DISPUT - Partei DIE LINKE

Die Seite wird erstellt Hortensia-Pia Stolz
 
WEITER LESEN
DISPUT - Partei DIE LINKE
DISPUT
                                                           ISSN 0948–2407 | 67485

                                                                Wahlen
MITGLIEDER ZEITSCHRIF T DER PARTEI DIE LINKE
SEP TEMBER 2019 2 EURO                         Drei Landtagswahlen im
                                               Osten sind für DIE LINKE als
                                               Regierung und Opposition
                                               eine große Herausforderung,
                                               nicht nur wegen der
                                               Rechten. 4–9

                                                         Mehrheiten
                                               Neue Linke Mehrheiten
                                               als Alternative zur einst-
                                               mals Großen Koalition
                                               und Signal zum Aufbruch
                                               stehen im Mittelpunkt
                                               der Debatte. 18

                                                           Organizing
                                               Ob im Arbeitskampf oder
                                               bei der Verteidigung
                                               von Mieterrechten – die
                                               Erfahrung zeigt: Gemein-
                                               sames Handeln macht
                                               stark. 20–23

                                                             Foto: Malte Fiedler
DISPUT - Partei DIE LINKE
INHALT

                                                         Ministerpräsidenten auf Seite 6 und                       erfolgreichen Organizing-Pilotpro-
                                                         7. Bodo Ramelow berichtet nicht nur                       jekt in Hamburg-Steilshoop und
                                                         von Erfolgen seiner Regierung, son-                       vom gewerkschaftlichen Kampf
                                                         dern auch über die Hausforderun-                          beim Essenlieferdienst Deliveroo.
                                                         gen und warnt die CDU eindrück-                           Hat dir der DISPUT gefallen?
                                                         lich davor, nicht Steigbügelhalter                        Wenn du das Mitgliedermagazin
                                                         der extremen Rechten in Thüringen                         der LINKEN monatlich erhalten
                                                         zu werden.                                                möchtest, kannst du ihn unter
                                                         In der LINKEN herrscht große Ei-                          www.die-linke.de/disput
                                                         nigkeit darüber, dass die Große Ko-                       abonnieren.
                                                         alition, die längst sowohl politisch
                                                         als auch arithmetisch eine klei-                              Thomas Lohmeier ist Leiter des

    D
               iese Ausgabe des DIS-                     ne ist, abgelöst gehört. Katja Kip-                           Bereichs Bürgerdialog, Medien
               PUT erhalten dies-                        ping schlägt den Kampf um Neue                                und Öffentlichkeitsarbeit in der
               mal nicht nur die                         Linke Mehrheiten vor. Was darun-                              Bundesgeschäftsstelle der LINKEN
               Abonnent*innen, son-                      ter zu verstehen ist, erläutert sie                           in Berlin
               dern alle Mitglieder                      auf Seite 14. Auf den folgenden Sei-
    der LINKEN. Ich freue mich über                      ten schließt sich eine Debatte an,
    die große Leser*innenschaft die-                     an der sich unter anderem Diet-
    ser Ausgabe. Dieser DISPUT hat                       mar Bartsch, Katina Schubert, Rico                                    DISPUT 09/2019
    drei Schwerpunkte. Erstens die                       Gebhard, Bernd Riexinger und Zak-
    Wahlen im Osten. Besonders zur                       lin Nastic beteiligen.
    Lektüre empfehlen möchte ich                         In der dritten Artikelserie (Seite 26                                      VOR-GELESEN VON
    das Interview mit dem LINKEN                         bis 29) berichten wir von unserem                                         THOMAS  -GELESEN
                                                                                                                                        VORLOHMEIER
                                                                                                                                            VON ???

WAHLEN IM OSTEN                                                                                                    ORGANIZING
Ich will verbinden – Bodo Ramelow                                                                                  Organisiert wehren 22
im Gespräch 6                                                                                                      Schlimmstes Union Busting 24
Überholen, ohne einzuholen 8                                                                                       International kämpfen 26
Brandenburg: Viel erreicht, noch
mehr vor 9                                                                                                         EUROPA
                                                                                                                   Generationswechsel in Europa 27
KOMMUNALISIEREN
Sparen für den Profit 10                                                                                           REICHTUM
                                                                                                                   Wo ist unser Geld? 28
MIE TENP OLITIK
Die Mieten einfrieren 12                                                                                          GESCHICHTE
                                                                                                                  Tod, Leid und Zerstörung 30
DEBAT TE
Neue Linke Mehrheiten?                                                                                             INTERNATIONAL
Beiträge unter anderem von                                  JEDEN MONAT                                            Gegen Krieg und das Regime 36
Katja Kipping, Dietmar Bartsch,                             AUS DEM HAUS 4
Bernd Riexinger, Zaklin Nastic                              PRES SEDIENST 32
und Ates Gürpinar 14 bis 19                                 DAS KLEINE BL ABL A 33
                                                            FEUILLE TON 35
KLIMAP OLITIK                                               NEU IM KINO 37
Klima vor Kapitalismus 20                                   KULTUR 38
Die Grünen – Was sie sagen, was                             SEP TEMBERKOLUMNE 39
sie tun 21
                                                                                                                   Foto: DIE LINKE Thüringen

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH,
Weydingerstraße 14–16, 10178 Berlin REDAKTION Thomas Lohmeier, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: 030 24009346, disput@die-linke.de
GRAFIK UND LAYOUT Herbell, Berlin DRUCK EVERSFRANK BERLIN GmbH | Ballinstraße 15 | Postfach 470355 | 12359 Berlin ABOSERVICE Neues Deutschland, Druckerei
und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407
REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 9: 29.7.2019. DISPUT 10/2019 erscheint am 26.9.2019.

2                                                                                                                                           DISPUT September 2019
DISPUT - Partei DIE LINKE
FRAGEZEICHEN

                  Serena, was
                  ist für
                  dich links?

                                                                                                     Foto: privat

                  Nicht mit Ungerechtigkeit abfinden. Partei ergreifen für die Ausgebeuteten,
                  Ausgegrenzten, Unterdrückten. Auch wenn es nach schon oft Gehörtem klingt:
                  Der Kampf für die Befreiung von Herrschaftsverhältnissen. Was hat dich in
                  letzter Zeit am meisten überrascht? Wie groß und verbreitet die Klima-
                  bewegung geworden ist. Dass Schüler*innen von Fridays for Future nicht die
                  Luft ausgegangen ist, der ausgesprochene Klimanotstand in Großbritannien
                  und vielen deutschen Städten … Wenn du Parteivorsitzende wärst … Dann
                  hätte ich die schwere Aufgabe, darauf zu achten, dass DIE LINKE sich nicht in
                  dem Dasein einer bürgerlichen Partei verliert. Ich würde den Fokus auf die
                  außerparlamentarischen Bewegungen, das Empowerment unserer Mitglieder,
                  politische Bildung und auf Zukunftsutopien legen. Was regt dich auf? Die Zu-
                  rückdrängung von bereits Errungenem; dass wir uns ständig damit beschäf-
                  tigen müssen, bereits Erkämpftes zu verteidigen. Wir waren schon mal weiter.
                  Zum Beispiel was die Arbeitszeitverkürzung angeht. Es ist auch immer wie-
                  der amüsant, die SPD mit sozialdemokratischen Forderungen zu konfrontie-
                  ren, aber auch so frustrierend. Wovon träumst du? Der baldigen Überwin-
                  dung von Kapitalismus und Patriarchat und dann vielleicht Fully Automated
                  Luxury Gay Space Communism? Und bis dahin radikale Bewegung und nie
                  wieder kalte Füße. Wovor hast du Angst? Der Schoß ist fruchtbar noch, aus
                  dem das kroch. Wenn ich sehe, wie faschistische Tendenzen verharmlost und
                  der Rechtsruck befeuert werden, graut es mir. Ich glaube, hier fehlt es bei uns
                  Linken manchmal auch an entschlossenerem Vorgehen. Wie lautet dein Le-
                  bensmotto? Das klappt! Wo engagierst du dich in der Linken? Ich bin Kreis-
                  sprecherin in Karlsruhe und Mitglied in der LAG Frauen.

                  Serena Schmidt ist seit 2015 Mitglied. Am Tag nach der Wahl in Baden-Württemberg 2016
                  wurde sie aktiv. Sie ist Sprecherin der LINKEN Karlsruhe und Mitglied in der LAG Frauen.

                                                                                        DISPUT fragt jeden Monat ein Mitglied
                                                                                        unserer Partei nach dem vollen Ernst im
                                                                                        richtigen Leben.

DISPUT September 2019                                                                                                             3
DISPUT - Partei DIE LINKE
AUS DEM HAUS

W
                   ir wissen, dass un-                                            Selbst in Sachsen, wo die Hand-
                   sere Gesellschaft                                              lungsspielräume für uns in der Op-
                   alles andere als                                               position andere sind, machen wir im
                   gerecht ist. Wir er-                                           Alltag vieler Menschen den Unter-
                   leben jeden Tag,                                               schied. Als starke Bündnispartner
dass Löhne nicht reichen, dass Kin-                                               kämpfen wir in und außerhalb der
dergärten schließen, dass wir das                                                 Parlamente für ein offenes, antiras-
Pflegeheim in der Nähe nicht be-                                                  sistisches und solidarisches Sach-
zahlen können. Wir sehen, dass die                                                sen. Und auch der unermüdliche
Rechten durch unsere Stadt mar-                                                   Einsatz im NSU-Untersuchungsaus-
schieren und dass eine kleine Grup-                                               schuss sendet deutlich das Signal,
pe sehr Reicher so verschwende-                      JÖRG SCHINDLER               dass wir den Nazis das Land nicht
risch lebt und wirtschaftet, dass                                                 überlassen. Das sind kleine Schrit-
für den Rest von uns nichts mehr                        Für eine                  te, aber auch welche, die für alle in
bleibt. Wir sehen, dass Ressourcen                                                Sachsen, die nicht in das perfide
verschwendet werden und gleichzei-                    gerechtere                  Weltbild der Rechten passen, wirk-
tig Menschen ohne diese auskom-                      Gesellschaft                 lich zählen.
men müssen. Das ist unser Wirt-                                                   Und zusammen, solidarisch für et-
schaftssystem: effizient für den Ge-                  kämpfen –                   was zu kämpfen, bringt uns weitaus
winn, aber blind für bestimmte ge-                     mit LINKS                  mehr als Kitas, Schulen und sichere
sellschaftliche Bedürfnisse.                                                      Räume. Es zeigt uns im Alltag, dass
Unsere linke Idee einer gerech-                                                   wir etwas erreichen können, wenn wir
ten und solidarischen Gesellschaft                                                uns gemeinsame Ziele setzen. Das
scheint da oft völlig unerreich-          weiß, was das für eine Mammutauf-       kann über die Parlamente passieren
bar. Und wenn wir ehrlich sind, ha-       gabe ist.                               oder über die vielen lokalen Engage-
ben wir uns schon gelegentlich ge-        In Thüringen haben wir Grundsteine      ments in Kommunen, Vereinen und
fragt: Was genau kann DIE LINKE in        für eine bessere Zukunft des Landes     Initiativen. Entscheidend ist, dass wir
diesem Wust aus Ungerechtigkeiten         gelegt. Entgegen der Bundesvorgabe      eben nicht in einer alternativlos unge-
und Machtkonzentration eigentlich         wird hier nicht die Sparpolitik zum     rechten Gesellschaft leben, sondern
bewegen? Die Antwort ist: eine gan-       Selbstzweck erklärt, sondern es wird    dass wir in vielen kleinen Schritten
ze Menge! Denn die bessere, soli-         in Bildung investiert – und zwar ganz   große Veränderungen erreichen kön-
darischere Gesellschaft, für die wir      konkret in Lehrerinnen und Lehrer.      nen. Lasst uns die Wahlkämpfe ro-
uns einsetzen, wird nicht einfach ei-     Und nur wenn ausreichend Lehrerin-      cken – mutig und entschlossen! Wir
nes Tages da sein: Wir erreichen sie      nen und Lehrer da sind, um sich um      haben eine Vision, für die es sich zu
Schritt für Schritt, mit den Kämp-        alle Kinder entsprechend ihrem Be-      kämpfen lohnt – gemeinsam und so-
fen, die wir vor Ort führen – und ge-     darf zu kümmern, ist eine wirkliche     lidarisch. Für eine gerechte Gesell-
winnen. Unsere Kämpfe sind damit          Chancengleichheit in der Bildung ge-    schaft – mit LINKS.
zweierlei: Schritte für reale Verbes-     geben. Wenn Kinder besonders för-
serungen und zugleich Ansporn, da-        derbedürftig sind, kann die Suche          Jörg Schindler ist Bundesgeschäfts-
mit nicht zufrieden zu sein.              nach Unterstützung zu einem belas-         führer der LINKEN.
In Brandenburg ist es uns in der Lan-     tenden Hürdenlauf werden. Lehrper-
desregierung gelungen, die Kinder-        sonal, das dank einer ausreichen-
betreuung wieder zu einer Aufgabe         den Personaldecke Luft hat, Schüle-     Fotos: Mark Mühlhaus/attenzione,
der öffentlichen Daseinsvorsorge zu       rinnen und Schüler zu unterstützen,     DIE LINKE
machen. Eltern können ihre Kinder         kann für Familien die Welt bedeuten.
in den Kindergarten schicken – und        Auch der jetzt begonnene Rück-
zwar unabhängig von ihrem Einkom-         kauf von Wohnungen ist ein solcher
men. Das ist ein kleiner Schritt in       Schritt. Denn die gut 5.000 Wohnun-
Richtung mehr Solidarität, der aber       gen in der Hand des Landes können
zum Beispiel für Alleinerziehende die     zu Bedingungen vermietet werden,
Welt bedeuten kann. Wer versucht          die den Bedürfnissen der Menschen
hat, für nur eine Woche ganztägige        entsprechen und nicht dem Streben
Kinderversorgung zu organisieren,         nach Profit.

4
DISPUT - Partei DIE LINKE
WAHLEN IM OSTEN

                                                                                             September,
                                                                 ur g un d  Sachsen am 1.               ist,
                                         ählt – in Bran
                                                          de  nb                         im Osten stark
                        Der Osten w                  ob er. Fü r un s  als Partei, die        d W est
                                            27. Okt                                 in Ost  un
                        in Thüringen am besonders. Die Unterschiede                                  en
                               es e W  ah le n                          se in. W ir wollen aber kein
                        sind di                         us s Sc  hlus s                        nzuh olen.«
                                           r. Damit m                                 , ohne ei
                         bestehen weite           er n w en n sc  hon: Ȇberholen lkampf mit einem
                                            sond                                    Wah
                         Nachbau West,                         stmals in einen
                              nd er s ist au  ch, dass wir er
                         Beso
                                             nten gehen.
                          Ministerpräside

                                                                  Fotos: DIE LINKE Sachsen, DIE LINKE Brandenburg

DISPUT September 2019                                                                                          5
DISPUT - Partei DIE LINKE
WAHLEN IM OSTEN

Ich will verbinden
Thüringens Ministerpräsident BODO RAMELOW (DIE LINKE)
im Gespräch

DISPUT: Glückwunsch Bodo,                  Bündnis 90/Die Grünen, die gemein-
du bist laut aktuellen Umfragen            same Koalition fortzusetzen. Alle drei
der beliebteste Ministerpräsi-             Parteien müssen dafür ihren Beitrag
dent Ostdeutschlands.                      leisten. Ich werbe um Stimmen für
55 Prozent der Thüringer sind              DIE LINKE, aber natürlich nicht zu-
mit deiner Arbeit zufrieden.               lasten unserer Koalitionspartner. Ich
Trotzdem liegt die CDU derzeit             bin sehr optimistisch, dass wir unser
vor der LINKEN. Wie erklärst du            Wahlziel erreichen, denn ich erlebe
dir das?                                   eine motivierte, engagierte Partei, die
Bodo Ramelow: Die Menschen ver-            geschlossen an diesem Ziel arbeitet.
binden mit der CDU Stabilität und          Da nicht alle unsere
Ordnung. Mit der LINKEN verban-            Leser*innen die Thüringer Lan-
den sie besonders den Protest ge-          despolitik verfolgen: Was hat
gen den Status quo, bei dem der Os-        Rot-Rot-Grün erreicht?
ten benachteiligt ist, statt gleiche Le-   Die Liste ist lang und facettenreich.
bensverhältnisse herzustellen.             Die Arbeitslosigkeit ist die niedrigs-
Leider glauben noch viele, DIE LIN-        te im Osten, wir haben über 1 Milliar-    nerativ und dezentral. Warum nicht
KE stünde nur für Protest. Und es          de Euro CDU-Altschulden abgebaut,         aus Gülle Biogas machen, Wind-, Was-
gibt noch immer Menschen, die sa-          Thüringen entwickelt sich wirtschaft-     serkraft und Pumpspeichertechnik
gen, dass sie DIE LINKE wegen ihrer        lich prächtig. Wir sind sozialpolitisch   nutzen? Warum nicht intelligente Mo-
Geschichte nicht wählen können.            aktiv: Inzwischen sind zwei Kinder-       bilität mit Wasserstoff organisieren?
Wir müssen also mit unserer prak-          gartenjahre beitragsfrei und wir ha-      Wasserstoffbusse und -züge, Wasser-
tischen Arbeit werben. Der Abstand         ben über 1.000 Arbeitsplätze im ge-       stofftankstellen und Wasserstoffher-
zwischen CDU und uns bewegt sich           meinwohlorientierten Bereich ge-          stellung verbinden. Mobilität und
innerhalb statistischer Fehlerto-          schaffen. Über 4.000 Lehrkräfte ha-       Umweltschutz sind vereinbar!
leranzen und der Wahlkampf hat             ben wir eingestellt. Aber auch mehr       Kürzlich hast du den Plan der
noch nicht begonnen. Die CDU pro-          Polizistinnen und Polizisten, übrigens    LINKEN für eine lebenswerte
fitiert nicht davon, Oppositionspar-       ohne Verschärfung der Polizeigeset-       Zukunft in Ostdeutschland vor-
tei zu sein. Sie hat in den vergan-        ze. Diese Liste ließe sich noch ewig      gestellt. Welche Punkte sind dir
genen fünf Jahren deutlich an Zu-          fortsetzen.                               da besonders wichtig?
spruch verloren. Meine hohen Zu-           Bitte!                                    Ich will, dass wir Einkommens- und
stimmungswerte freuen mich sehr.           Wir haben das Wahlalter zu Kommu-         Rentengerechtigkeit schaffen. Dafür
Sie zeigen auch, dass die Menschen         nalwahlen auf 16 Jahre gesenkt und        braucht es aber eine Debatte in Ost
die Arbeit der rot-rot-grünen Regie-       die Mitbestimmungsrechte in den           und West. Ich will über Themen re-
rung wertschätzen.                         Kommunen gestärkt. Und nicht zu-          den, die verbinden: längeres gemein-
Die Umfragen sehen einen äu-               letzt haben wir das Bildungsfreistel-     sames Lernen, ganztägige Kinderbe-
ßerst knappen Wahlausgang vo-              lungsgesetz und ein landesweites          treuung, eine moderne Bürgerversi-
raus. Für wie wahrscheinlich               Azubiticket eingeführt.                   cherung usw.
hältst du derzeit eine Neuaufla-           Eine beeindruckende Liste.                Ein weiterer Punkt: Versorgungssi-
ge von Rot-Rot-Grün?                       Aber es gibt ja offenbar immer            cherheit auf dem Land. Die Men-
Ich denke, dass die Menschen mehr          noch was zu tun …                         schen sollen immer weitere Wege auf
und mehr spüren, dass DIE LINKE            Ja, den Politikwechsel, den wir be-       sich nehmen, weil Krankenhäuser
nicht nur für soziale Gerechtigkeit        gonnen haben, wollen wir fortsetzen.      oder Pflegeheime schließen sollen.
steht, sondern auch für gute Wirt-         Thüringen braucht einen landeswei-        Ich will, dass wir Infrastruktur erhal-
schaftspolitik. Die Menschen spüren        ten Verkehrsverbund. Wir müssen in-       ten und zeigen, dass wir uns um alle
Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. In        telligent Bahn, Bus, Carsharing und       kümmern.
Thüringen verbinden das viele kon-         Co miteinander verbinden. Das er-         Gerade im Osten ist die AfD be-
kret mit meiner Person, was sich in        leichtert den Alltag, entlastet Famili-   sonders stark, auch wenn sie
der Umfragen widerspiegelt. Wenn           en und schont die Umwelt.                 nicht mehr so zulegt. Wie hoch
sie mich als Ministerpräsidenten be-       Nächster Punkt: Ökologie. Wir wer-        schätzt du die Gefahr ein, dass
halten wollen, müssen sie DIE LINKE        den in Thüringen weiter verstärkt         die CDU im Osten Koalitionen
wählen.                                    darauf hinarbeiten, dass die Energie-     mit den Rechtspopulisten bil-
Es ist das Ziel von LINKEN, SPD und        wende gelingen kann. Regional, rege-      det?

6                                                                                                      DISPUT September 2019
DISPUT - Partei DIE LINKE
Thüringens Minister-
präsident Bodo Ramelow
(DIE LINKE) auf Wander-                   tive. Davor dachte man stets, dass        gen. Wir können doch nicht zulassen,
schaft. Vor ihm steht                     es jetzt klar sein müsste, wes Geis-      Menschen einfach nur zu »verwah-
Attila, Thüringens                        tes Kind diese Leute sind. Im Thü-        ren«, ohne jede Gewissheit, was aus
»First Dog«.                              ringen Monitor konnten wir feststel-      ihnen wird. Wir müssen ihnen die
Foto: DIE LINKE Thüringen                 len, dass eine bestimmte Anzahl von       Chance geben, unsere Sprache und
                                          Menschen, die dieser Partei zuge-         einen Beruf zu lernen. Wir brauchen
                                          neigt sind, dies nicht aus Armut sind,    eine europäische Verständigung. Was
                                          oder weil sie sich abgehängt fühlen.      jeden Tag auf dem Mittelmeer pas-
                                          Sondern weil sie ein geschlossenes        siert, ist ein Skandal. Und in dieser
Die CDU muss entscheiden, welchen         rechtes Weltbild haben. Sie finden im     Frage sind die Grünen in Thüringen
Weg sie einschlagen will. Möchte sie      »Flügel« ihre Erfüllung. Für alle ande-   ein verlässlicher Partner.
Steigbügelhalter der extremen Rech-       ren muss man ein sehr feines Gehör        Apropos Bundesrat: Macht es
ten sein, wie in Österreich oder Itali-   entwickeln.                               einen Unterschied, ob man dort
en? Oder wird sie sich als konserva-      Wer nur allgemein einen Denkzettel        als Ministerpräsident der LIN-
tive, aber gemäßigte Kraft behaup-        mit dieser Wahl verbinden möchte          KEN sitzt oder nur als kleinerer
ten? Diese Fragen kann ich nicht be-      und die AfD zur Landtagswahl wählt,       Koalitionspartner?
antworten, aber ich kann diejenigen       dem muss man klar sagen: Er be-           Ich vertrete im Bundesrat nicht mei-
Stimmen in der CDU zur Kenntnis           kommt Höcke und stärkt den rechten        ne Partei, sondern Thüringen. Das sa-
nehmen, die laut über so was nach-        Flügel. Wer noch ehrlich zur Deut-        ge ich seit 2014 deutlich. Nicht mein
denken oder in den Kommunen be-           schen Verantwortung für die NS-Bar-       Landesvorstand entscheidet, wie ich
reits gemeinsame Sache mit den            barei steht, der darf seinen Protest      dort abstimme, sondern die Landes-
Feinden einer offenen Gesellschaft        nicht mit dieser Thüringer AfD ver-       regierung. Natürlich wissen alle, wel-
machen. Ich frage mich, wie oft die       binden.                                   cher Partei ich angehöre, und natür-
AfD sich noch häuten muss, bis end-       Horst Seehofers Hau-ab-Gesetz             lich verbinden sich damit inhaltliche
lich alle ihren hässlichen Kern erken-    ist im Bundesrat nur mit Zu-              Positionen, die sich in der Politik un-
nen können.                               stimmung der Grünen durchge-              seres Bundeslandes widerspiegeln.
Wenn man über Thüringen                   kommen. Sind die Grünen denn              Und es ist schon amüsant zu sehen,
spricht, dann ganz sicher auch            hier überhaupt noch ein ver-              wenn andere Ministerpräsidenten
über Björn Höcke. Sein extrem             lässlicher Koalitionspartner in           plötzlich genötigt werden, den Koali-
rechtsnationaler »Flügel« über-           Sachen humaner Flüchtlingspo-             tionsvertrag im Bund einfach umzu-
nimmt derzeit die Partei. Macht           litik?                                    setzen, und ich dann darauf hinwei-
das die AfD noch gefährlicher             Aus Prinzip äußere ich mich nicht         sen muss, dass ich der GroKo nun
oder bewirkt die Radikalisie-             zu anderen Bundesländern. Deshalb         wirklich nicht angehöre.
rung, dass sich mehr Menschen             kann ich nur sagen: Bei diesem The-
von der Partei abwenden?                  ma war sich die Koalition in Thürin-      Bodo Ramelow ist der erste LINKE
Der »Flügel« ist die letzte aktuelle      gen einig. Dieses Gesetz schafft kei-     Ministerpräsident. Am 27. Oktober stellt er
Häutung der sogenannten Alterna-          ne Perspektiven und keine Lösun-          sich in Thüringen zur Wiederwahl.

DISPUT September 2019                                                                                                        7
DISPUT - Partei DIE LINKE
WAHLEN IM OSTEN

Überholen, ohne einzuholen
Die Unterschiede in Ost und West bestehen weiter. Schluss mit dem »Nachbau West«.
Für eine lebenswerte Zukunft im Osten VON CHRISTINA KAINDL

D
       ie Mauer muss weg«, riefen die      gen, im Osten gibt es davon weniger      nen Pfadwechsel zu einer Wirtschaft,
       Demonstranten 1989. 30 Jah-         als im Westen. Die Ungleichheit folgt    in der der Osten nicht nur Zulieferer
       re später ist die Mauer nicht       den Pfaden, die die Treuhand nach        und Verkaufsfiliale ist, während im
mehr zu sehen. Aber das Leben im           der Wende gelegt hat: Deindustrali-      Westen die großen Firmenzentralen
Osten Deutschlands unterscheidet           sierung durch Abwicklung und Ver-        stehen und die Gewinne umgesetzt
sich immer noch von dem im Westen.         schuldung der öffentlichen Haushal-      werden. Wir wollen eine Wirtschaft,
Die Beschreibungen fangen meist mit        te. Vom »Volksvermögen« hat die Be-      die das Gemeinwohl höher bewer-
»weniger« an: weniger Rente, weniger       völkerung im Osten nicht nur nichts      tet und die Werte vor Ort schafft. Wo
Lohn, weniger Wirtschaftsleistung,         gesehen, sondern stattdessen Schul-      nicht nur Gelder und Steuervorteile
weniger Vermögen, weniger Erben,           den übergeholfen bekommen.               an große Unternehmen verteilt wer-
weniger Urlaubsgeld, weniger Inter-                                                 den, sondern für und mit den Men-
net. Und: weniger Optimismus beim                                                   schen vor Ort beraten und entschie-
Blick in die Zukunft, weniger das Ge-            Mehr für den Osten                 den wird, was nötig ist und wie es er-
fühl, das eigene Leben zu bestimmen,                                                wirtschaftet werden kann. Es braucht
weniger Wertschätzung und Anerken-         Die Menschen im Osten haben es satt,     neue Träume, neue Regeln für die Ar-
nung. Trotz einiger wirtschaftlich star-   sich über »weniger« zu definieren. Der   beit, neue Formen der Steuerung von
ker Zentren ist Ostdeutschland immer       LINKE Zukunftsplan Ost setzt daher       Investitionen und neue Formen von
noch die größte zusammenhängende           auf »mehr«: nicht einfach mehr För-      Zusammenarbeit.
strukturschwache Region.                   dergelder, sondern mehr Selbstbe-
   Ungleichheit wird vererbt, das spü-     stimmung, mehr Anerkennung, mehr            Christina Kaindl ist Bereichsleiterin
ren auch die Enkel: Das gilt für Geld-     Lohn, mehr Rente, mehr gemeinsam            Strategie und Grundsatz im
vermögen wie für Eigentumswohnun-          geteiltes Leben. Es geht sich um ei-        Karl-Liebknecht-Haus.

      Leitplanken für den                  zeugen. Hier ist der Osten stark.        Hochschulen und kritische Wis-
                                           Kommunale Gesundheitszentren             senschaften fördern. Besonders
         Zukunftsplan Ost                  und wohnortnahe Pflege mit guter         wichtig ist, dass in den Verwal-
                                           Arbeit.                                  tungswissenschaften wieder Wis-
                                           Wir fördern flächendeckendes             sen über öffentliche Planung, öf-
    Gute Arbeit mit guten Löhnen:          schnelles Internet.                      fentliche Unternehmen und Ge-
    Wir wollen ein einheitliches bun-      Sozialzentren in den Dörfern. Sie        nossenschaften geschaffen wird.
    desweites Tarifgebiet. Tarifver-       sind Orte der Begegnung und bie-         Wie wir das bezahlen? Wir wol-
    träge müssen auf Antrag der Ge-        ten grundlegende Dienstleistungen        len einen Solidarpakt III für Re-
    werkschaften allgemeinverbind-         wie Post, Bank, Kultur und Dorfla-       gionen im Strukturumbruch. Der
    lich erklärt werden.                   den. Nicht prekär, sondern mit gu-       Solidarzuschlag ist die sozial ge-
    Die Renten müssen sofort an-           ter Arbeit.                              rechteste Steuer in Deutschland.
    geglichen werden.                      Demokratisch wirtschaften: Wir           Er muss erhalten bleiben, zumin-
    Öffentliche Gelder: Auftrags-          stärken Belegschaftseigentum und         dest für die oberen 20 Prozent.
    vergabe und Wirtschaftsförde-          Genossenschaften. In regionalen          Wir wollen in der Wirtschaftsför-
    rung gibt es nur noch für Unter-       Wirtschafts- und Sozialräten ent-        derung eine Ostquote einführen.
    nehmen, die Tariflöhne zahlen.         wickeln Gewerkschaften, Zivilgesell-     Und mit unserer Vermögensteu-
    Bei der Vergabe gilt: Tarif, regio-    schaft, Unternehmen und öffentli-        er würden 15 Milliarden Euro im
    nal und nachhaltig geht vor!           che Hand gemeinsam, was wie pro-         Jahr in den Osten fließen. Damit
    Wir wollen stärken, was die Ge-        duziert werden soll.                     schaffen wir den Einstieg in den
    sellschaft zusammenhält: kos-          Regional wirtschaften: Produkti-         Umbau.
    tenfreien und besseren öffentli-       onsgenossenschaften und Vertriebs-
    chen Nahverkehr, auch auf dem          genossenschaften aus den Regionen           Weiterlesen: Unseren vollständigen
    Land. Dadurch verstetigen wir          sollen miteinander verbunden wer-           Zukunftsplan Ost findest du unter:
    die Produktion von Schienenfahr-       den.                                        www.die-linke.de/zukunftost

8                                                                                                        DISPUT September 2019
DISPUT - Partei DIE LINKE
Viel erreicht, noch mehr vor
Seit 10 Jahren regiert in Brandenburg DIE LINKE. Sie verhinderte, dass das Land zum
Niedriglohnland wurde VON KATHRIN DANNENBERG UND SEBASTIAN WALTER

A
        m 1. September wählt Branden-
        burg einen neuen Landtag, der
        Wahlkampf nähert sich dem
Höhepunkt. DIE LINKE führt ihn zum
zweiten Mal als Regierungspartei. Im
Jahr 2009 gab es erstmals eine rot-rote
Koalition mit der SPD, 2014 wurde das
Bündnis erneuert.
   In zehn Jahren Regierungsbetei-
ligung haben wir viel erreicht: Bran-
denburg ist kein Niedriglohnland
mehr – ein Konzept, das die CDU
einst vertreten hatte. Wir haben den
Mindestlohn bei öffentlichen Aufträ-
gen durchgesetzt, noch bevor es einen
Mindestlohn im Bund gab. Wir haben
sämtliche Krankenhäuser erhalten,
und wir haben das letzte Kitajahr von
Elternbeiträgen befreit. Ziel bleibt die   Foto: DIE LINKE Brandenburg
vollständige Beitragsfreiheit.
   Der Arbeitsmarkt hat sich gut ent-          Wir verstehen die Wut, die viele
wickelt. 2014 gab es in Brandenburg        umtreibt. Sie ist die Folge einer un-                      DIE SPITZEN-
noch fast 10 Prozent Erwerbslose, heu-     gerechten und unsozialen Bundespo-                     KANDIDAT*INNEN
te nur noch 5,6 Prozent – ein histori-     litik, die besonders den Osten trifft –
scher Tiefstand. Wir haben 5.300 neue      auch 30 Jahre nach der Wende. Auch
Lehrer*innen eingestellt und die Zu-       hier gilt: Es ist nicht einfach. Mit popu-   Kathrin Dannenberg kommt
schüsse für die Kitas auf 490 Mio. Eu-     listischen Phrasen lassen sich keine         aus dem Landkreis Oberspree-
ro im Jahr mehr als verdoppelt.            Probleme lösen. So ist die Angst vor         wald-Lausitz. Sie ist seit 1990
   Auch die Stellenzahl bei der Polizei    dem Kohleausstieg in der Lausitz ver-        Lehrerin für Geschichte, Sport
haben wir erhöht. Im Koalitionsver-        ständlich; Tausende fürchten um ihre         und Lebensgestaltung-Ethik-
trag waren 7.800 Polizist*innen vor-       Arbeitsplätze. Aber die Antwort dar-         Religionskunde. 2009 wurde
gesehen, inzwischen gibt es fast 8.300     auf kann nicht lauten, den Klimawan-         sie Mitglied der LINKEN. 2010
Planstellen. Die Kommunen wurden           del kleinzureden. Notwendig ist ein          erhielt Kathrin den Deutschen
finanziell bessergestellt und 750 Mio.     komplexer Strukturwandel, der neue,          Lehrerpreis. 2014 wurde sie
Euro wurden in den Einstieg in eine        nachhaltige Arbeitsplätze schafft und        in den Brandenburger Land-
Verkehrswende investiert. So sieht         einen sozialverträglichen Kohleaus-          tag gewählt. Dort arbeitet sie
der neue Landesnahverkehrsplan             stieg ermöglicht.                            als stellvertretende Fraktions-
10 Mio. Zugkilometer zusätzlich vor.                                                    vorsitzende und bildungspoliti-
Und das alles ohne neue Schulden.                                                       sche Sprecherin.
Wir haben die Schuldenlast sogar um               Es geht ums Ganze!                    Sebastian Walter ist gebürtiger
fast 1 Mrd. Euro gesenkt.                                                               Eberswalder. Er ist seit 2016
   Trotz dieser Erfolge sehen wir          Die Wahl am 1. September ist eine            Gewerkschaftssekretär in Ost-
den Werbespruch der SPD-geführ-            Richtungsentscheidung: Sind wir ein          brandenburg. Er kämpft ge-
ten Staatskanzlei skeptisch: »Bran-        Land der Solidarität und der Gerech-         gen die weitverbreiteten Nied-
denburg. Es kann so einfach sein!«         tigkeit? Wollen wir gute Arbeit und          riglöhne und setzt sich dafür
Wir antworten mit den Fantastischen        faire Löhne? Wollen wir gute Bildung         ein, dass auch in Brandenburg
Vier: »… ist es aber nicht!« Denn einfa-   und Förderung für jedes Kind? Wol-           mehr Beschäftigte nach Tarif
cher ist es für viele Menschen nicht       len wir, dass die Leistungen der Ost-        bezahlt werden. Seit 2004 ist
geworden. Noch immer sind zu viele         deutschen anerkannt werden? Wol-             Sebastian Mitglied der LINKEN,
trotz Arbeit arm. Nicht alle können        len wir, kurz gesagt, das Selbstver-         von 2014 bis 2018 war er Vize-
sich ihre Miete leisten. Und noch im-      ständliche wieder selbstverständ-            landesvorsitzender.
mer hängt die Bildung der Kinder vom       lich machen? Wir sagen: Es geht ums
Geldbeutel der Eltern ab.                  Ganze!

DISPUT September 2019                                                                                                     9
DISPUT - Partei DIE LINKE
KOMMUNALISIEREN

                                                                                                                            Foto: pixabay.com
Was für alle da ist, muss auch allen gehören! VON SARAH NAGEL

B
      ezahlbarer Wohnraum, Was-          Lehrer, ist Mitglied der LINKEN und      wird. Die Initiative hat ein Bürgerbe-
      ser- und Energieversorgung,        engagiert sich in der Bürgerinitiative   gehren eingeleitet, um genau das zu
      Gesundheitsversorgung, Schul-      »Schule in Not«. Dort haben sich Leh-    erreichen.
reinigung, Autoraststätten, Paket-       rer, Eltern, Bürger und ein Hausmeis-       So wie in Neukölln wurden in den
zustellung: Immer mehr Menschen          ter zusammengeschlossen. Mit Rei-        letzten vierzig Jahren in vielen Kom-
merken, dass die Privatisierung von      nigungskräften führt die Initiative      munen Dienstleistungen und öffentli-
öffentlichem Eigentum und öffentli-      viele Gespräche. »Wir haben schnell      ches Eigentum privatisiert. Erst war
cher Daseinsvorsorge ihr Leben nicht     gemerkt, dass von den Problemen          es die Liberalisierung bei der Post,
besser, sondern teurer macht. DIE        bei der Schulreinigung alle betrof-      bei der Bahn, bei der Telekom. Spä-
LINKE hält dagegen, zusammen mit         fen sind«, sagt Dehne. Die Initiative    ter verkauften Städte und Kommu-
vielen Initiativen vor Ort.              bringt sie zusammen. Die Gruppe hat      nen alles Mögliche, um Schulden zu
   Als die Lehrerinnen und Lehrer in     eine Kundgebung organisiert, zu der      begleichen: Krankenhäuser, kommu-
Berlin-Neukölln im letzten Jahr aus      Leute aus elf Schulen kamen. Sie war     nale Wohnungen, Schwimmbäder,
den Sommerferien kamen, mussten          in der Zeitung, im Fernsehen und be-     Energienetze. Aber die Rechnung
viele erst mal die Klassenräume put-     kommt auch Anfragen aus anderen          ging nicht auf. Krankenhäuser, der
zen: Eine Grundreinigung hatte nicht     Bezirken, wo die Reinigungssituation     öffentliche Nahverkehr, Schwimm-
stattgefunden. Schon lange werden        ähnlich schlecht ist.                    bäder und andere Bereiche sind Zu-
die Schulräume nicht mehr richtig                                                 schussgeschäfte. Sie gehören zur öf-
gesäubert. Genau genommen seit die                                                fentlichen Daseinsvorsorge. Wenn da-
Schulreinigung privatisiert wurde.                  Bürgerbegehren                mit Profit gemacht werden soll, muss
Früher waren die Reinigungskräfte                                                 irgendwo gespart werden – und die
beim Bezirk angestellt. Jetzt wird die   »Wir haben schon einiges erreicht,       Menschen und Beschäftigten müssen
Reinigung europaweit ausgeschrie-        zum Beispiel, dass Leute merken,         es ausbaden. In einigen Fällen ist es
ben und die billigste Firma bekommt      dass sie an ihrer Schule nicht allein    gelungen, Privatisierung zu verhin-
den Zuschlag. Die Reinigungskräfte       sind. Auch der Bezirk hat immerhin       dern. Eine Bürgerinitiative in Frei-
müssen die Arbeit in immer weni-         anerkannt, dass es ein Problem gibt.     burg im Breisgau hat es zum Beispiel
ger Zeit schaffen. Die Folge: Sie müs-   Unser Ziel ist nun, dass die Reini-      geschafft. Im Jahr 2006 wurde der
sen sich abhetzen, machen unbezahl-      gungskräfte wieder beim Bezirk an-       Verkauf von Tausenden städtischen
te Überstunden und werden doch           gestellt werden und mehr Zeit für ih-    Wohnungen durch ein Bürgerbegeh-
nicht ganz fertig. Auch Schülerinnen     re Arbeit bekommen.« Die Arbeits-        ren verhindert. Gregor Mohlberg, der
und Schüler leiden darunter, dass        bedingungen sollen sich verbessern.      heute für DIE LINKE im Stadtrat sitzt,
die Räume verdreckt sind. Philipp        Das ist dauerhaft nur möglich, wenn      erinnert sich noch gut daran. Als be-
Dehne will das ändern. Er war selbst     die Reinigung rekommunalisiert           kannt wurde, dass die schwarz-grü-

10                                                                                                  DISPUT September 2019
ne Mehrheit im Gemeinderat den
Verkauf plant, formierte sich die Ini-
tiative »Wohnen ist Menschenrecht«,
die auch DIE LINKE unterstützte.
Gemeinsam organisierten sie Kund-        Foto: cundali
gebungen, Infostände bei Stadtteil-
festen, Flohmärkte. Bei verschiede-      in Hochburgen der LINKEN und der          wieder in die öffentliche Hand zu ho-
nen Aktionen, unter anderem einem        SPD waren es noch mehr. Das Bünd-         len, erleichtert es das Leben aller Be-
stadtweiten Sternmarsch, wurden in       nis gibt es heute noch, auch wenn die     teiligten an den Schulen. Der Initiati-
kurzer Zeit 28.000 Unterschriften ge-    große Bewegung vorbei ist. Der Pro-       ve ist es wichtig, eben diese Betrof-
sammelt. »Zentral für den Erfolg war,    test hat die Stadt geprägt. »Weingar-     fenen miteinzubeziehen. Deswegen
dass die Mieterinnen und Mieter mo-      ten, der am stärksten betroffene Be-      sind Philipp und die anderen Aktiven
bilisiert werden konnten. Die wa-        zirk, ist bis heute widerständig.«        von »Schule in Not« an jeder Schule
ren zu 100 Prozent organisiert«, er-        Einen Erfolg erhofft sich auch Phi-    im Bezirk unterwegs, um mit Betrof-
zählt Gregor. Von vielen Balkonen        lipp. »Schule in Not« setzt dabei nicht   fenen ins Gespräch zu kommen und
hingen selbstgemachte Transparen-        nur auf das Bürgerbegehren, son-          vielleicht neue Mitstreiter zu finden.
te. Am Ende stimmten gut 70 Prozent      dern auch auf öffentlichen Druck.         Denn nur gemeinsam, das wissen sie,
gegen den Verkauf der Wohnungen,         Wenn es gelingt, die Schulreinigung       können sie etwas verändern.

   Privatisierung:                       nehmen. Die Tickets werden teurer,        hen auf Einkaufstour. Die Beschäf-
                                         der Service wird schlechter.              tigten, Patienten und Angehörigen
   Der große                             ■ 1995 wurde die Bundespost priva-       zahlen die Zeche für die Profite der
   Ausverkauf                            tisiert. Das gilt auch für die Telekom-   Konzerne.
                                         munikation, die vorher Teil der Post
   Seit den 1980er Jahren haben          war.                                      Aber: An vielen Orten konnten
   Bund, Länder und Kommunen öf-         ■ In den letzten 20 Jahren wurden im     Bürgerinitiativen eine Privatisie-
   fentliches Eigentum verkauft. Weil    Zuge der Privatisierungswelle mehr        rung verhindern oder holen Kom-
   sie Schulden tilgen mussten oder      als 1,2 Millionen Arbeitsplätze im öf-    munen sich privatisiertes Eigen-
   keine Kredite aufnehmen durften.      fentlichen Dienst gestrichen. Statt-      tum zurück. Weil sie Druck von un-
   Und weil eine neoliberale Werbe-      dessen gibt es mehr prekäre Arbeit.       ten bekommen. Oder weil sie mer-
   offensive Öffentliches schlecht ge-   ■ Hunderttausende kommunale Woh-         ken, dass es sich wirtschaftlich
   macht hat. Doch privat ist nicht      nungen wurden in den letzten Jahr-        nicht lohnt: Im Jahr 2010 erwar-
   besser und nicht billiger. Angebote   zehnten verkauft. 2006 verkaufte et-      ben in Mecklenburg-Vorpommern
   werden teurer, schlechter, die Ver-   wa die Stadt Dresden den komplet-         rund 500 Kommunen den Energie-
   sorgung wird nicht mehr gewähr-       ten städtischen Wohnungsbestand           versorger Wemag von der Vatten-
   leistet. Das merken auch die Men-     an einen Investor aus den USA. Ähn-       fall AG. Im Jahr 2013 holten sich
   schen vor Ort: Öffentlich ist we-     lich fand das auch in anderen Städ-       Thüringer Kommunen die Anteile
   sentlich.                             ten statt. Die Immobilienkonzerne ma-     vom Energiekonzern E.ON zurück.
                                         chen jetzt fette Gewinne durch stei-      In Berlin wurden die Wasserbetrie-
   ■
    Seit 1982 hat sich der Bund von      gende Mieten.                             be durch einen Volksentscheid re-
   rund 90 Prozent seiner mittelbaren    ■ Bis 1985 war es verboten, mit Kran-    kommunalisiert.
   oder unmittelbaren staatlichen Be-    kenhäusern Profit zu machen. Diese
   teiligungen getrennt.                 Regel wurde gelockert und schließ-        DIE LINKE findet: Was für alle
   ■ 1994 wurde die Deutsche Bahn       lich ganz abgeschafft. Die Folge: Der     da ist, muss auch allen gehören.
   in eine private Rechtsform über-      Anteil der privaten Krankenhäuser         Wir wollen, dass öffentliches
   führt. Das heißt: Die Bahn gehört     hat sich erhöht, allein 2002–2013 um      Eigentum in öffentlicher Hand
   zwar immer noch dem Staat, muss       mehr als 10 Prozent. Konzerne wie         bleibt oder zurückgeholt wird.
   aber Profit machen wie ein Unter-     Fresenius Helios oder Asklepios ge-       Dafür setzen wir uns ein.

DISPUT September 2019                                                                                                     11
MIE TENP OLITIK

Die Mieten einfrieren
Die Stadt den Menschen zurückgeben! VON KATALIN GENNBURG

S
      eit wir vor zwei Jahren das Regie-   ne Gegenstimme. Was für ein Signal!       nungsvolksbegehrens lässt sich zei-
      rungsprogramm der rot-rot-grü-          Auch Grüne und SPD können sich         gen, dass DIE LINKE nicht nur »emp-
      nen Koalition für einen sozial-      der Forderung kaum entziehen. Und         fänglicher« für die Forderungen von
ökologischen Stadtumbau mitschrie-         doch macht es einen Unterschied,          sozialen Kämpfen ist, sondern auch
ben, ist die Möglichkeit zu scheitern      dass DIE LINKE. Berlin selbst aktiv       als Regierungspartei in diesen aktiv
täglich präsent. Wir erstritten in den     Unterschriften gesammelt hat, und         mitmischen will.
Koalitionsverhandlungen, was wir           zwar mehr als 10.000 von insgesamt            Was aus dem Enteignungsvolksbe-
aus stadtentwicklungspolitischer Per-      77.001! Als linke Regierungspartei        gehren wird, kann derzeit niemand re-
spektive für unabdingbar hielten und       muss es im Zweifel genau darum ge-        alistisch sagen. Für viele ist die Initia-
was uns mit den stadtpolitischen Aus-      hen, die Eigenständigkeit von sozia-      tive schon jetzt das beste Rezept gegen
einandersetzungen der letzten Jahre        ler Bewegung zu stärken, statt sich ei-   Politikverdrossenheit – gerade in so-
zum Auftrag wurde: Wir wollen die          ner vermeintlichen Regierungsräson        genannten abgehängten Milieus, weil
Stadt gemeinsam mit den Menschen           zu unterwerfen. Im Falle des Enteig-      es endlich mal »gegen die da oben«
zurückerobern, den Ausverkauf be-                                                    geht. Und sie hatte mit dem Mieten-
enden und gezielt Löcher in den Ver-                           BERLINER              deckel schon einen ersten handfesten
wertungsteppich schneiden. Gegen                        WOHNNUNGSPOLITK              Erfolg – denn dieser fand sich nicht
etliche Lobbywiderstände haben wir                                                   im Koalitionsvertrag und konnte den-
schon einiges erreicht. Aber wir ha-                                                 noch – zumindest in den Eckpunkten
ben auch noch sehr viel vor.                  Was der rot-rot-grüne Senat in         – bereits mit der SPD beschlossen wer-
    Noch vor dieser Sommerpause ver-          Berlin in der Wohnungspolitik          den.
abschiedete der Senat ein Eckpunk-            seit 2016 auf den Weg brachte:
tepapier unserer Senatorin Katrin
Lompscher für einen Mietendeckel,             ■
                                               Insgesamt 7.000 Wohnungen                   Linke Kernprojekte
der für 1,4 Millionen Mietwohnungen           bereits vom Land direkt zurück-
greifen soll. Wir wollen die Mieten ein-      gekauft und damit in landesei-         Unser Berliner rot-rot-grünes Regie-
frieren und möglichst absenken. Wir           genem Besitz gesichert                 rungsbündnis ist politisch ein Ergeb-
halten das Hamsterrad der immobili-           ■ 3.900 Wohnungen in Milieu-          nis der stadtpolitischen Kämpfe der
enwirtschaftlichen Renditemaximie-            schutzgebieten durch Vorkaufs-         vergangenen Jahre und hat zumindest
rung an, indem wir einen Mietende-            recht und Abwendungsver-               in Teilen den Anspruch, auch dessen
ckel für fünf Jahre einführen. Dieser         einbarungen gesichert (Stand           parlamentarische Vertretung zu sein.
deckelt ab 2020 die Mieten über das           3/2019)                                Die Rolle der LINKEN ist es, diese Per-
Preisrecht und ersetzt somit die un-          ■ Mehr als 100 Mio. Euro be-          spektive einzubringen und starkzu-
wirksame Mietpreisbremse auf Bun-             reitgestellt, um Wohnungen in          machen. Deswegen sind die Kernpro-
desebene durch ein eigenes Berli-             die öffentliche Hand zu bringen        jekte unserer Transformationspolitik
ner Gesetz. Das setzt auch die GroKo          ■ Mieterhöhungen bei den lan-         im Koalitionsvertrag auch
und andere Landesregierungen un-              deseigenen Wohnungen auf                  1. der Umbau der städtischen Woh-
ter Druck, denn was in Berlin geht, ist       2 Prozent begrenzt                     nungsbaugesellschaften zu Akteuren
auch anderswo möglich.                        ■ Mieterhöhungen im sozialen          einer gemeinwohlorientierten Woh-
                                              Wohnungsbau 2017, 2018 und             nungswirtschaft;
                                              2019 ausgesetzt                           2. Ankauf und Rekommunalisie-
         Deutsche Wohnen                      ■ Mehr Wohnungen für Men-             rung von Mietshäusern durch das
                enteignen                     schen mit Wohnberechtigungs-           kommunale Vorkaufsrecht und die
                                              schein                                 Vergesellschaftung von Wohnraum;
Als die Initiative »Deutsche Wohnen           ■ Wohnungstauschbörse bei                3. die Re-Regulierung der Mieten-
und Co enteignen« im vergangenen              den landeseigenen Wohnungs-            politik durch die politische Festlegung
Herbst die Vergesellschaftung rendi-          unternehmen gegründet                  von Höchstmieten;
teorientierter Vermietungskonzerne            ■ Kostenlose Mieterberatung              4. die Vergesellschaftung des Bo-
auf die Agenda setzte, ahnte kaum je-         in den Bezirken eingerichtet           dens durch Rückkauf und die Verga-
mand, mit welcher Dynamik sich das            ■ Kostenloser Mietrechts-             be in Erbbaurecht.
Vorhaben entwickeln würde. DIE LIN-           schutz für Transferleistungs-             Unser Auftrag als LINKE ist sehr
KE. Berlin beschloss auf ihrem Partei-        empfangende                            klar, wir müssen uns mit dem Kapi-
tag im Spätherbst 2018 die Unterstüt-                                                tal anlegen und den Willen der Bür-
zung des Volksbegehrens – ohne ei-                                                   gerinnen und Bürger in reale Politik

12                                                                                                       DISPUT September 2019
umsetzen und als sozialistische Partei
eine gerechtere Gesellschaft in einer
anders regierten Stadt begreifbar und
erkennbar machen.
   Das geht nur gemeinsam mit den
Initiativen und den Menschen, und
natürlich nur mit willigen Koalitions-
partnerinnen und -partnern.

                  Regieren auf
                   Augenhöhe
Mit der Finanzkrise begann das golde-
ne Zeitalter der Immobilienwirtschaft.
Seitdem besteht unsere Arbeit darin,
Bündnisse der Willigen zu knüpfen,
Widerstand zu stärken und Alternati-
ven zu realisieren. Wir wollen als Par-
tei in Bewegung auch Regieren in Be-
wegung.
    Genossenschaften, Hausgemein-
schaften, linke Anwältinnen und An-
wälte, Hausbesetzerinnen und Haus-
besetzer und Kleingärtnerinnen und         40000 Menschen gehen im Mai gegen hohe Mieten in Berlin auf die Straße.
Kleingärtner – sie alle wollen den Aus-    Gleichzeitig startet das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen!«
verkauf der Stadt stoppen. Wir müs-        Foto: Bianca Theis
sen sie ernst nehmen und als Regie-
rungspartei versuchen, tatsächlich
auf Augenhöhe zu agieren. »Zuhören,        uns in die Regierung getragen ha-        haben arbeiten und in den Kiezen und
statt ansagen!« war unsere Losung im       ben und mit denen wir seither Vor-       Nachbarschaften organisiert und ein-
Wahlkampf, und in Regierungsver-           kaufsrechte für Mietshäuser realisie-    fach die besseren Auskennerinnen
antwortung ist dieses Versprechen          ren. Mit ihnen wollen wir die Bürger-    und Auskenner sind.
tagtäglich zu erneuern. Den Staatsap-      beteiligung neu aufstellen, damit real      »Wem gehört die Stadt?!« kann nur
parat gilt es mit alle seinen Vorfestle-   Macht aus den Amtsstuben in Betei-       bedeuten: Wir legen uns mit dem Ka-
gungen und Routinen zielgerichtet zu       ligungsprozesse fließt. Mit Menschen,    pital an und nutzen alle rechtlichen
hinterfragen, um einen Politikwechsel      die für Selbstverwaltung und Mit-        Spielräume, um sozial gerecht um-
überhaupt zu ermöglichen.                  bestimmung in landeseigenen Woh-         zuverteilen; bei der Verfügung über
    Die LINKE ist auch in Berlin im Um-    nungsbaugesellschaften streiten, Ak-     Mietwohnungen, über Boden und
bruch. Während unter Rot-Rot wichti-       tiven, die für Mieterinnen und Mie-      über neue Stadtentwicklungsprojekte
ge Teile des linken (Bewegungs-)Mili-      ter Mietrechtsberatung organisieren,     und der Verfügbarmachung des Stadt-
eus der Partei den Rücken kehrten,         welche wir als Land finanzieren und      raums eben nicht für Investoren und
ist die Partei mittlerweile wieder ak-     auch Transferleistungsempfangenden       deren Rendite, sondern für die Men-
zeptierter Partner und wird gerade bei     zugänglich machen, agieren wir auf       schen. So sind auch Parks, öffentliche
Jüngeren auch für aktive Mitarbeit at-     Augenhöhe.                               Ufer, Kleingärten, Fußgängerbrücken,
traktiver. Dennoch ist das Spannungs-          »Regieren auf Augenhöhe«, mit den    öffentliche Plätze und Spielplätze ein
verhältnis zwischen Regieren und wi-       Menschen und nicht nur in der eige-      Beitrag zur Rückaneignung der Stadt
derständiger Bewegung nur in dauer-        nen Regierungskoalition, bedeutet da-    und für das Gemeinwohl.
hafter und ernsthafter Beziehungsar-       bei, dass wir die Forderungen und Ide-
beit möglich – durch harte zusätzliche     en aus der Stadt ernsthaft prüfen und       Katalin Gennburg ist Sprecherin für
Arbeit jenseits des Parlamentsalltags.     es als LINKE in Verantwortung nicht         Stadtentwicklung der Fraktion DIE
    Es waren die stadtpolitischen          immer besser wissen, weil Initiativen       LINKE im Abgeordnetenhaus von
Gruppen und Mieterinitiativen, die         teils Jahrzehnte an Themen und Vor-         Berlin und Mitglied im Parteivorstand.

DISPUT September 2019                                                                                                      13
DEBAT TE

                                        e Mehrheiten.
Katja Kipping plädiert für Neue Link
                                          auf der
Eine Debatte, die wir hier beginnen und
                            w.d ie-link  e.d e/disput
DISPUT-Website unter ww
                                     r anderem  Texte
fortsetzen. Dort befinden sich unte
                                        Kor te.
von Susanne Hennig-Wellsow und Jan
Hier erste Kommen  tare .

Eine neue Dynamik schaffen
Zeit für ein linkes Aufbruchssignal. Ein Plädoyer für Neue Linke Mehrheiten VON KATJA KIPPING

D
       ie Große Koalition ist fertig. Mit   sungen werden. Dafür brauchen wir        im Chor die alten neoliberalen Lang-
       ihr hat sich auch der Neolibe-       ein zukunftsfähiges Regierungspro-       weiler Sozialabbau, Deregulierung,
       ralismus Merkel'scher Prägung        gramm, das die grundlegende Verän-       Privatisierung und Leugnung des Kli-
erschöpft. Die marktkonforme Demo-          derung der Machtverhältnisse denk-       mawandels wiederholt, muss endlich
kratie ist ausgelaugt – mehr noch,          bar macht. Es geht dabei auch darum,     eine progressive Machtalternative
durch soziale Unterlassung konnte ei-       eine Entscheidungssituation zu schaf-    entgegentreten, und zwar mit einem
ne radikalisierte Rechte erst richtig       fen, in der die Grünen Farbe beken-      linken Programm, das sowohl dem
erstarken. Zugleich wurde die tradi-        nen müssen: Rot oder Schwarz? Links      »Weiter so!« als auch kleinen Reförm-
tionelle Parteilandschaft umgepflügt.       oder rechts? Vortäuschen von Klima-      chen eine Absage erteilt. Denn die Zeit
Das alte Machtmodell zweier gro-            schutz mit der Union oder sozialöko-     der kosmetischen Korrekturen ist vor-
ßer Volksparteien ist Vergangenheit.        logische Wende mit uns. Wenn der         bei.
Wann immer der nächste Bundestags-          Markt über das Leben der Mehrheit            Mehrheiten links der Union sind
wahlkampf kommt, er wird der erste          herrscht, muss eine Mehrheit sich die    keine Garantie dafür, dass die not-
Wahlkampf nach Angela Merkel. Wir           Macht über den Markt zurückholen.        wendige sozialökologische Wende
werden eine große Mobilisierung er-            Die neue gesellschaftliche Dyna-      kommt, aber sie sind eine notwendi-
leben, mutmaßlich mit einer hohen           mik kann uns beim Kampf um sol-          ge Voraussetzung. Eine Voraussetzung
Wahlbeteiligung. Alle werden sich           che Mehrheiten in die Hände spie-        dafür, die zentralen Säulen sozialer Si-
entscheiden müssen: Wird die sozia-         len. Nachdem jahrelang rechte Pro-       cherheit in unserer Gesellschaft neu
le Spaltung verfestigt, oder gelingt es     vokationen die Grenze des Sagba-         zu errichten: Gute Arbeit, die zum Le-
endlich, Hartz IV und prekäre Arbeit        ren überschritten haben, stehen nun      ben passt, soziale Garantien, die alle
zu ersetzen durch Arbeit, die zum Le-       vermehrt fortschrittliche Themen         sicher vor Armut schützen, bezahlba-
ben passt, und durch soziale Garanti-       im Mittelpunkt, wie Klimaschutz          res Wohnen, eine flächendeckende
en? Kommt wirklicher Klimaschutz            oder Vergesellschaftung. Etwas Neu-      Gesundheitsversorgung und eine gu-
und wenn ja, auf Kosten der ärmeren         es hat begonnen, das aus der Gesell-     te Rente. Unser Land braucht endlich
Menschen oder der Konzerne? Wollen          schaft selbst kommt. Klimastreik,        eine linke Wirtschafts- und Sozialpoli-
wir die Früchte der Digitalisierung für     Seenotrettung oder die zahlreichen       tik, die weder vor direkten Marktein-
alle nutzbar machen und wollen wir          Mieter*inneninitiativen – all diese      griffen noch vor einer sanktionsfrei-
solidarische Antworten auf die anste-       Proteste fordern eine radikale Um-       en Mindestsicherung oder einer Mil-
henden Umwälzungen in der Arbeits-          kehr. Es geht um nicht weniger als       lionärsteuer zurückschreckt. Nur so
welt finden?                                eine soziale wie ökologische Wen-        kann eine wirksame Klimapolitik zu
                                            de, die zugleich Sicherheit wie Zu-      einem gesellschaftlichen Aufbruchssi-
                                            kunft schafft. Kriege und Klimacha-      gnal werden, anstatt nur erneut sozi-
     Eine Entscheidungs-                    os bedrohen unser aller Zukunft auf      ale Spaltung und Verlustängste zu be-
       situation schaffen                   diesem Planeten. Deshalb braucht es      fördern. Wir müssen die Dringlichkeit
                                            Mehrheiten für Friedenspolitik und       dieser Zeit in eine Politik der Verände-
Auch DIE LINKE muss sich diesen             Klimagerechtigkeit. Zugleich müssen      rung übersetzen. Neue Linke Mehrhei-
Fragen stellen, und sie muss sich ent-      wir die Gerechtigkeitskrise in unserer   ten sind somit die Chance für eine so-
scheiden, ob sie Teil einer machtpoli-      Gesellschaft lösen, damit nicht erneut   ziale Demokratie, die der radikalisier-
tischen Antwort sein will. Wir müs-         die Armen die Zeche zahlen müssen.       ten Rechten die Kraft der Solidarität
sen also bereit sein, unsere Prinzipi-                                               entgegenstellt; sie sind eine linke Re-
en nicht nur zu verkünden, sondern                                                   gierungsalternative, die endlich ernst
auch zu signalisieren, dass wir unse-                Zeit der Kosmetik               macht mit sozialen Sicherheiten, kon-
re Antworten umsetzen wollen. Wenn                            ist vorbei             sequentem Klimaschutz und einer Po-
nötig auch gemeinsam mit anderen.                                                    litik des Friedens in Zeiten globaler
Aus linken Ideen müssen linke Lö-           Dem rechten Block, der immer noch        Krisen.

14                                                                                                      DISPUT September 2019
Wir geben den
Bewegungen eine
Stimme im Parlament.
Ates Gürpinar

KATINA SCHUBERT                              DIETMAR BARTSCH                         beutung von Angst. Diese Geschäfts-
Landesvorsitzende Berlin                     Fraktionsvorsitzender                   grundlage müssen wir der AfD weg-
                                                                                     nehmen. In einer sozial gerecht einge-
Linke Mehrheiten                             Linke Politik kann                      richteten Gesellschaft muss niemand
braucht das Land                             Hoffnungen erfüllen                     Angst haben. Das müssen wir klar
                                                                                     machen. Veränderung muss nicht
Die Bundesrepublik steht an einem            Mit der Finanzkrise hat der Neo-        Bedrohung bedeuten, Bedrohungs-
Scheideweg: Geht es nach rechts oder         liberalismus seinen Zenit über-         gefühle können auch durch die Ver-
gelingt es, die Entwicklung in der öf-       schritten, aber er ist deshalb noch     änderung der Gesellschaft abgebaut
fentlichen Daseinsvorsorge, der sozi-        lange nicht erledigt. Die durch ra-     werden. Wir müssen verdeutlichen,
alen Gerechtigkeit, des sozialökologi-       biate Nötigung erzwungene Nie-          dass linke Politik Hoffnungen erfül-
schen Wandels, der Demokratie und            derlage der griechischen Syriza-        len kann.
der zivilen Konfliktlösung nach links        Regierung im Sommer 2015 hat               Dafür dürfen wir selbst keine
zu verschieben? Als Partei stehen wir        deutlich gemacht, wie einfluss-         Angst haben, Angst etwa vor mög-
natürlich für Letzteres. Es gibt viel        stark neoliberale Politik weiter-       licher Regierungsverantwortung.
fortschrittliche Bewegung, die mit           hin ist. Die Klimaproteste zeigen,      Wenn es uns gelingt, radikale Impul-
Dingen bricht, die im neoliberalen           dass hinsichtlich der Zukunftsfra-      se ins Regierungshandeln zu über-
Zeitalter wie Selbstverständlichkei-         gen der ehemals Großen Koalition        tragen, erfüllen wir einen Zweck,
ten wirkten: die Eigentumsfrage wird         nichts mehr zugetraut wird. Aller-      der weit über die bloße Mehrheitsbe-
von der Mietenbewegung neu ge-               dings müssen wir auch zur Kennt-        schaffung in einer Mitte-links-Koali-
stellt, die unbeschränkte Verfügung          nis nehmen, dass die Krise des          tion hinausgeht. Armut darf es nicht
von Großunternehmen und Konzer-              Neoliberalismus aktuell nicht uns       mehr geben, Privateigentum an Pro-
nen über die natürlichen Ressourcen          nützt, sondern den Rechtsaußen-         duktionsmitteln ist kein Heiligtum,
wird von der Klimabewegung infra-            akteuren von der AfD.                   Kriege sollten der Vergangenheit an-
ge gestellt, Menschlichkeit und Soli-           Die Geschäftsgrundlage des           gehören. Damit ließe sich gut regie-
darität sind die Triebfedern der See-        Rechtspopulismus ist die Aus-           ren.
notrettungs- und Antirassismusbewe-
gung, gute Arbeit und Gerechtigkeit
die der Gewerkschaften, die für Tarif-
verträge, gerechten Lohn und gesun-
de Arbeitsverhältnisse streiten. Wir      RALF KRÄMER                                nalem Terrain entschieden. Eine sol-
sind nicht nur Teil der Bewegungen,       Bundessprecherrat der                      che Perspektive wäre auch ein wich-
sondern müssen diese Politik auch in      Sozialistischen Linken                     tiger mobilisierender Faktor für ge-
Parlament und Regierung umsetzen.                                                    sellschaftliche Bewegungen und für
In Berlin regieren wir mit SPD und        DIE LINKE muss klares                      linke Wahlbeteiligung.
Grünen, jeder Schritt nach vorn muss      Profil zeigen                                  Doch entscheidend sind die Inhal-
ausgehandelt werden: Berlin wird das                                                 te. Wenn DIE LINKE »liberal vs. auto-
erste Bundesland mit einem Mieten-        Für eine populäre LINKE: weder Be-         ritär rechts« als die zentrale Kontro-
deckel sein, das von der LINKEN un-       wegungsfetischismus noch Mitregie-         verse behandeln würde, wie es Kat-
terstützte Volksbegehren »Deutsche        ren um jeden Preis.                        ja Kipping schreibt, würde sie nur in
Wohnen und Co enteignen« hat die              Ja – wenn wir eine bessere, sozia-     die Falle von Grünen und AfD tap-
Diskussion über die Sozialpflichtig-      le, friedliche, gerechtere, zukunftsori-   pen. Stattdessen muss DIE LINKE
keit des Eigentums angefacht und          entierte Politik durchsetzen und da-       sich als die Kraft aufstellen, die ent-
neue Spielräume für die Rekommuna-        für Druck aus der Gesellschaft ent-        schieden für die Interessen der vie-
lisierung von Wohnraum eröffnet. Die      wickeln wollen, dann brauchen wir          len gegen die der Superreichen und
Liste der Beispiele von Berliner Regie-   beides: außerparlamentarische Be-          Konzerne eintritt. Es geht vor allem
rungspolitik, die in die richtige Rich-   wegung, Kampagnen und Aktionen,            darum, für soziale Verbesserungen
tung weisen, ist lang. Sie zeigt: Wir     und eine Perspektive anderer Parla-        und Umverteilung von oben nach un-
können dieses Land nach links ver-        ments- und Regierungsmehrheiten,           ten zu kämpfen, ökologischen Umbau
schieben, wenn wir uns trauen. Und        auch auf Bundesebene. Hier wird            nicht zulasten der Arbeitenden und
das müssen wir jetzt auch auf Bundes-     über die wichtigsten Weichenstel-          der »kleinen Leute« umzusetzen, ei-
ebene angehen: lösungsorientiert, vi-     lungen, die Finanzen und über die          ne Wende zu Frieden und Abrüstung
sionär, mit radikaler Realpolitik.        Politik Deutschlands auf internatio-       statt Konfrontationspolitik zu errei- >

DISPUT September 2019                                                                                                   15
Sie können auch lesen