DISPUT - Partei DIE LINKE
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DISPUT ISSN 0948–2407 | 67485 Wahlen MITGLIEDER ZEITSCHRIF T DER PARTEI DIE LINKE SEP TEMBER 2019 2 EURO Drei Landtagswahlen im Osten sind für DIE LINKE als Regierung und Opposition eine große Herausforderung, nicht nur wegen der Rechten. 4–9 Mehrheiten Neue Linke Mehrheiten als Alternative zur einst- mals Großen Koalition und Signal zum Aufbruch stehen im Mittelpunkt der Debatte. 18 Organizing Ob im Arbeitskampf oder bei der Verteidigung von Mieterrechten – die Erfahrung zeigt: Gemein- sames Handeln macht stark. 20–23 Foto: Malte Fiedler
INHALT Ministerpräsidenten auf Seite 6 und erfolgreichen Organizing-Pilotpro- 7. Bodo Ramelow berichtet nicht nur jekt in Hamburg-Steilshoop und von Erfolgen seiner Regierung, son- vom gewerkschaftlichen Kampf dern auch über die Hausforderun- beim Essenlieferdienst Deliveroo. gen und warnt die CDU eindrück- Hat dir der DISPUT gefallen? lich davor, nicht Steigbügelhalter Wenn du das Mitgliedermagazin der extremen Rechten in Thüringen der LINKEN monatlich erhalten zu werden. möchtest, kannst du ihn unter In der LINKEN herrscht große Ei- www.die-linke.de/disput nigkeit darüber, dass die Große Ko- abonnieren. alition, die längst sowohl politisch als auch arithmetisch eine klei- Thomas Lohmeier ist Leiter des D iese Ausgabe des DIS- ne ist, abgelöst gehört. Katja Kip- Bereichs Bürgerdialog, Medien PUT erhalten dies- ping schlägt den Kampf um Neue und Öffentlichkeitsarbeit in der mal nicht nur die Linke Mehrheiten vor. Was darun- Bundesgeschäftsstelle der LINKEN Abonnent*innen, son- ter zu verstehen ist, erläutert sie in Berlin dern alle Mitglieder auf Seite 14. Auf den folgenden Sei- der LINKEN. Ich freue mich über ten schließt sich eine Debatte an, die große Leser*innenschaft die- an der sich unter anderem Diet- ser Ausgabe. Dieser DISPUT hat mar Bartsch, Katina Schubert, Rico DISPUT 09/2019 drei Schwerpunkte. Erstens die Gebhard, Bernd Riexinger und Zak- Wahlen im Osten. Besonders zur lin Nastic beteiligen. Lektüre empfehlen möchte ich In der dritten Artikelserie (Seite 26 VOR-GELESEN VON das Interview mit dem LINKEN bis 29) berichten wir von unserem THOMAS -GELESEN VORLOHMEIER VON ??? WAHLEN IM OSTEN ORGANIZING Ich will verbinden – Bodo Ramelow Organisiert wehren 22 im Gespräch 6 Schlimmstes Union Busting 24 Überholen, ohne einzuholen 8 International kämpfen 26 Brandenburg: Viel erreicht, noch mehr vor 9 EUROPA Generationswechsel in Europa 27 KOMMUNALISIEREN Sparen für den Profit 10 REICHTUM Wo ist unser Geld? 28 MIE TENP OLITIK Die Mieten einfrieren 12 GESCHICHTE Tod, Leid und Zerstörung 30 DEBAT TE Neue Linke Mehrheiten? INTERNATIONAL Beiträge unter anderem von JEDEN MONAT Gegen Krieg und das Regime 36 Katja Kipping, Dietmar Bartsch, AUS DEM HAUS 4 Bernd Riexinger, Zaklin Nastic PRES SEDIENST 32 und Ates Gürpinar 14 bis 19 DAS KLEINE BL ABL A 33 FEUILLE TON 35 KLIMAP OLITIK NEU IM KINO 37 Klima vor Kapitalismus 20 KULTUR 38 Die Grünen – Was sie sagen, was SEP TEMBERKOLUMNE 39 sie tun 21 Foto: DIE LINKE Thüringen IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14–16, 10178 Berlin REDAKTION Thomas Lohmeier, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: 030 24009346, disput@die-linke.de GRAFIK UND LAYOUT Herbell, Berlin DRUCK EVERSFRANK BERLIN GmbH | Ballinstraße 15 | Postfach 470355 | 12359 Berlin ABOSERVICE Neues Deutschland, Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 9: 29.7.2019. DISPUT 10/2019 erscheint am 26.9.2019. 2 DISPUT September 2019
FRAGEZEICHEN Serena, was ist für dich links? Foto: privat Nicht mit Ungerechtigkeit abfinden. Partei ergreifen für die Ausgebeuteten, Ausgegrenzten, Unterdrückten. Auch wenn es nach schon oft Gehörtem klingt: Der Kampf für die Befreiung von Herrschaftsverhältnissen. Was hat dich in letzter Zeit am meisten überrascht? Wie groß und verbreitet die Klima- bewegung geworden ist. Dass Schüler*innen von Fridays for Future nicht die Luft ausgegangen ist, der ausgesprochene Klimanotstand in Großbritannien und vielen deutschen Städten … Wenn du Parteivorsitzende wärst … Dann hätte ich die schwere Aufgabe, darauf zu achten, dass DIE LINKE sich nicht in dem Dasein einer bürgerlichen Partei verliert. Ich würde den Fokus auf die außerparlamentarischen Bewegungen, das Empowerment unserer Mitglieder, politische Bildung und auf Zukunftsutopien legen. Was regt dich auf? Die Zu- rückdrängung von bereits Errungenem; dass wir uns ständig damit beschäf- tigen müssen, bereits Erkämpftes zu verteidigen. Wir waren schon mal weiter. Zum Beispiel was die Arbeitszeitverkürzung angeht. Es ist auch immer wie- der amüsant, die SPD mit sozialdemokratischen Forderungen zu konfrontie- ren, aber auch so frustrierend. Wovon träumst du? Der baldigen Überwin- dung von Kapitalismus und Patriarchat und dann vielleicht Fully Automated Luxury Gay Space Communism? Und bis dahin radikale Bewegung und nie wieder kalte Füße. Wovor hast du Angst? Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Wenn ich sehe, wie faschistische Tendenzen verharmlost und der Rechtsruck befeuert werden, graut es mir. Ich glaube, hier fehlt es bei uns Linken manchmal auch an entschlossenerem Vorgehen. Wie lautet dein Le- bensmotto? Das klappt! Wo engagierst du dich in der Linken? Ich bin Kreis- sprecherin in Karlsruhe und Mitglied in der LAG Frauen. Serena Schmidt ist seit 2015 Mitglied. Am Tag nach der Wahl in Baden-Württemberg 2016 wurde sie aktiv. Sie ist Sprecherin der LINKEN Karlsruhe und Mitglied in der LAG Frauen. DISPUT fragt jeden Monat ein Mitglied unserer Partei nach dem vollen Ernst im richtigen Leben. DISPUT September 2019 3
AUS DEM HAUS W ir wissen, dass un- Selbst in Sachsen, wo die Hand- sere Gesellschaft lungsspielräume für uns in der Op- alles andere als position andere sind, machen wir im gerecht ist. Wir er- Alltag vieler Menschen den Unter- leben jeden Tag, schied. Als starke Bündnispartner dass Löhne nicht reichen, dass Kin- kämpfen wir in und außerhalb der dergärten schließen, dass wir das Parlamente für ein offenes, antiras- Pflegeheim in der Nähe nicht be- sistisches und solidarisches Sach- zahlen können. Wir sehen, dass die sen. Und auch der unermüdliche Rechten durch unsere Stadt mar- Einsatz im NSU-Untersuchungsaus- schieren und dass eine kleine Grup- schuss sendet deutlich das Signal, pe sehr Reicher so verschwende- JÖRG SCHINDLER dass wir den Nazis das Land nicht risch lebt und wirtschaftet, dass überlassen. Das sind kleine Schrit- für den Rest von uns nichts mehr Für eine te, aber auch welche, die für alle in bleibt. Wir sehen, dass Ressourcen Sachsen, die nicht in das perfide verschwendet werden und gleichzei- gerechtere Weltbild der Rechten passen, wirk- tig Menschen ohne diese auskom- Gesellschaft lich zählen. men müssen. Das ist unser Wirt- Und zusammen, solidarisch für et- schaftssystem: effizient für den Ge- kämpfen – was zu kämpfen, bringt uns weitaus winn, aber blind für bestimmte ge- mit LINKS mehr als Kitas, Schulen und sichere sellschaftliche Bedürfnisse. Räume. Es zeigt uns im Alltag, dass Unsere linke Idee einer gerech- wir etwas erreichen können, wenn wir ten und solidarischen Gesellschaft uns gemeinsame Ziele setzen. Das scheint da oft völlig unerreich- weiß, was das für eine Mammutauf- kann über die Parlamente passieren bar. Und wenn wir ehrlich sind, ha- gabe ist. oder über die vielen lokalen Engage- ben wir uns schon gelegentlich ge- In Thüringen haben wir Grundsteine ments in Kommunen, Vereinen und fragt: Was genau kann DIE LINKE in für eine bessere Zukunft des Landes Initiativen. Entscheidend ist, dass wir diesem Wust aus Ungerechtigkeiten gelegt. Entgegen der Bundesvorgabe eben nicht in einer alternativlos unge- und Machtkonzentration eigentlich wird hier nicht die Sparpolitik zum rechten Gesellschaft leben, sondern bewegen? Die Antwort ist: eine gan- Selbstzweck erklärt, sondern es wird dass wir in vielen kleinen Schritten ze Menge! Denn die bessere, soli- in Bildung investiert – und zwar ganz große Veränderungen erreichen kön- darischere Gesellschaft, für die wir konkret in Lehrerinnen und Lehrer. nen. Lasst uns die Wahlkämpfe ro- uns einsetzen, wird nicht einfach ei- Und nur wenn ausreichend Lehrerin- cken – mutig und entschlossen! Wir nes Tages da sein: Wir erreichen sie nen und Lehrer da sind, um sich um haben eine Vision, für die es sich zu Schritt für Schritt, mit den Kämp- alle Kinder entsprechend ihrem Be- kämpfen lohnt – gemeinsam und so- fen, die wir vor Ort führen – und ge- darf zu kümmern, ist eine wirkliche lidarisch. Für eine gerechte Gesell- winnen. Unsere Kämpfe sind damit Chancengleichheit in der Bildung ge- schaft – mit LINKS. zweierlei: Schritte für reale Verbes- geben. Wenn Kinder besonders för- serungen und zugleich Ansporn, da- derbedürftig sind, kann die Suche Jörg Schindler ist Bundesgeschäfts- mit nicht zufrieden zu sein. nach Unterstützung zu einem belas- führer der LINKEN. In Brandenburg ist es uns in der Lan- tenden Hürdenlauf werden. Lehrper- desregierung gelungen, die Kinder- sonal, das dank einer ausreichen- betreuung wieder zu einer Aufgabe den Personaldecke Luft hat, Schüle- Fotos: Mark Mühlhaus/attenzione, der öffentlichen Daseinsvorsorge zu rinnen und Schüler zu unterstützen, DIE LINKE machen. Eltern können ihre Kinder kann für Familien die Welt bedeuten. in den Kindergarten schicken – und Auch der jetzt begonnene Rück- zwar unabhängig von ihrem Einkom- kauf von Wohnungen ist ein solcher men. Das ist ein kleiner Schritt in Schritt. Denn die gut 5.000 Wohnun- Richtung mehr Solidarität, der aber gen in der Hand des Landes können zum Beispiel für Alleinerziehende die zu Bedingungen vermietet werden, Welt bedeuten kann. Wer versucht die den Bedürfnissen der Menschen hat, für nur eine Woche ganztägige entsprechen und nicht dem Streben Kinderversorgung zu organisieren, nach Profit. 4
WAHLEN IM OSTEN September, ur g un d Sachsen am 1. ist, ählt – in Bran de nb im Osten stark Der Osten w ob er. Fü r un s als Partei, die d W est 27. Okt in Ost un in Thüringen am besonders. Die Unterschiede en es e W ah le n se in. W ir wollen aber kein sind di us s Sc hlus s nzuh olen.« r. Damit m , ohne ei bestehen weite er n w en n sc hon: »Überholen lkampf mit einem sond Wah Nachbau West, stmals in einen nd er s ist au ch, dass wir er Beso nten gehen. Ministerpräside Fotos: DIE LINKE Sachsen, DIE LINKE Brandenburg DISPUT September 2019 5
WAHLEN IM OSTEN Ich will verbinden Thüringens Ministerpräsident BODO RAMELOW (DIE LINKE) im Gespräch DISPUT: Glückwunsch Bodo, Bündnis 90/Die Grünen, die gemein- du bist laut aktuellen Umfragen same Koalition fortzusetzen. Alle drei der beliebteste Ministerpräsi- Parteien müssen dafür ihren Beitrag dent Ostdeutschlands. leisten. Ich werbe um Stimmen für 55 Prozent der Thüringer sind DIE LINKE, aber natürlich nicht zu- mit deiner Arbeit zufrieden. lasten unserer Koalitionspartner. Ich Trotzdem liegt die CDU derzeit bin sehr optimistisch, dass wir unser vor der LINKEN. Wie erklärst du Wahlziel erreichen, denn ich erlebe dir das? eine motivierte, engagierte Partei, die Bodo Ramelow: Die Menschen ver- geschlossen an diesem Ziel arbeitet. binden mit der CDU Stabilität und Da nicht alle unsere Ordnung. Mit der LINKEN verban- Leser*innen die Thüringer Lan- den sie besonders den Protest ge- despolitik verfolgen: Was hat gen den Status quo, bei dem der Os- Rot-Rot-Grün erreicht? ten benachteiligt ist, statt gleiche Le- Die Liste ist lang und facettenreich. bensverhältnisse herzustellen. Die Arbeitslosigkeit ist die niedrigs- Leider glauben noch viele, DIE LIN- te im Osten, wir haben über 1 Milliar- nerativ und dezentral. Warum nicht KE stünde nur für Protest. Und es de Euro CDU-Altschulden abgebaut, aus Gülle Biogas machen, Wind-, Was- gibt noch immer Menschen, die sa- Thüringen entwickelt sich wirtschaft- serkraft und Pumpspeichertechnik gen, dass sie DIE LINKE wegen ihrer lich prächtig. Wir sind sozialpolitisch nutzen? Warum nicht intelligente Mo- Geschichte nicht wählen können. aktiv: Inzwischen sind zwei Kinder- bilität mit Wasserstoff organisieren? Wir müssen also mit unserer prak- gartenjahre beitragsfrei und wir ha- Wasserstoffbusse und -züge, Wasser- tischen Arbeit werben. Der Abstand ben über 1.000 Arbeitsplätze im ge- stofftankstellen und Wasserstoffher- zwischen CDU und uns bewegt sich meinwohlorientierten Bereich ge- stellung verbinden. Mobilität und innerhalb statistischer Fehlerto- schaffen. Über 4.000 Lehrkräfte ha- Umweltschutz sind vereinbar! leranzen und der Wahlkampf hat ben wir eingestellt. Aber auch mehr Kürzlich hast du den Plan der noch nicht begonnen. Die CDU pro- Polizistinnen und Polizisten, übrigens LINKEN für eine lebenswerte fitiert nicht davon, Oppositionspar- ohne Verschärfung der Polizeigeset- Zukunft in Ostdeutschland vor- tei zu sein. Sie hat in den vergan- ze. Diese Liste ließe sich noch ewig gestellt. Welche Punkte sind dir genen fünf Jahren deutlich an Zu- fortsetzen. da besonders wichtig? spruch verloren. Meine hohen Zu- Bitte! Ich will, dass wir Einkommens- und stimmungswerte freuen mich sehr. Wir haben das Wahlalter zu Kommu- Rentengerechtigkeit schaffen. Dafür Sie zeigen auch, dass die Menschen nalwahlen auf 16 Jahre gesenkt und braucht es aber eine Debatte in Ost die Arbeit der rot-rot-grünen Regie- die Mitbestimmungsrechte in den und West. Ich will über Themen re- rung wertschätzen. Kommunen gestärkt. Und nicht zu- den, die verbinden: längeres gemein- Die Umfragen sehen einen äu- letzt haben wir das Bildungsfreistel- sames Lernen, ganztägige Kinderbe- ßerst knappen Wahlausgang vo- lungsgesetz und ein landesweites treuung, eine moderne Bürgerversi- raus. Für wie wahrscheinlich Azubiticket eingeführt. cherung usw. hältst du derzeit eine Neuaufla- Eine beeindruckende Liste. Ein weiterer Punkt: Versorgungssi- ge von Rot-Rot-Grün? Aber es gibt ja offenbar immer cherheit auf dem Land. Die Men- Ich denke, dass die Menschen mehr noch was zu tun … schen sollen immer weitere Wege auf und mehr spüren, dass DIE LINKE Ja, den Politikwechsel, den wir be- sich nehmen, weil Krankenhäuser nicht nur für soziale Gerechtigkeit gonnen haben, wollen wir fortsetzen. oder Pflegeheime schließen sollen. steht, sondern auch für gute Wirt- Thüringen braucht einen landeswei- Ich will, dass wir Infrastruktur erhal- schaftspolitik. Die Menschen spüren ten Verkehrsverbund. Wir müssen in- ten und zeigen, dass wir uns um alle Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. In telligent Bahn, Bus, Carsharing und kümmern. Thüringen verbinden das viele kon- Co miteinander verbinden. Das er- Gerade im Osten ist die AfD be- kret mit meiner Person, was sich in leichtert den Alltag, entlastet Famili- sonders stark, auch wenn sie der Umfragen widerspiegelt. Wenn en und schont die Umwelt. nicht mehr so zulegt. Wie hoch sie mich als Ministerpräsidenten be- Nächster Punkt: Ökologie. Wir wer- schätzt du die Gefahr ein, dass halten wollen, müssen sie DIE LINKE den in Thüringen weiter verstärkt die CDU im Osten Koalitionen wählen. darauf hinarbeiten, dass die Energie- mit den Rechtspopulisten bil- Es ist das Ziel von LINKEN, SPD und wende gelingen kann. Regional, rege- det? 6 DISPUT September 2019
Thüringens Minister- präsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) auf Wander- tive. Davor dachte man stets, dass gen. Wir können doch nicht zulassen, schaft. Vor ihm steht es jetzt klar sein müsste, wes Geis- Menschen einfach nur zu »verwah- Attila, Thüringens tes Kind diese Leute sind. Im Thü- ren«, ohne jede Gewissheit, was aus »First Dog«. ringen Monitor konnten wir feststel- ihnen wird. Wir müssen ihnen die Foto: DIE LINKE Thüringen len, dass eine bestimmte Anzahl von Chance geben, unsere Sprache und Menschen, die dieser Partei zuge- einen Beruf zu lernen. Wir brauchen neigt sind, dies nicht aus Armut sind, eine europäische Verständigung. Was oder weil sie sich abgehängt fühlen. jeden Tag auf dem Mittelmeer pas- Sondern weil sie ein geschlossenes siert, ist ein Skandal. Und in dieser Die CDU muss entscheiden, welchen rechtes Weltbild haben. Sie finden im Frage sind die Grünen in Thüringen Weg sie einschlagen will. Möchte sie »Flügel« ihre Erfüllung. Für alle ande- ein verlässlicher Partner. Steigbügelhalter der extremen Rech- ren muss man ein sehr feines Gehör Apropos Bundesrat: Macht es ten sein, wie in Österreich oder Itali- entwickeln. einen Unterschied, ob man dort en? Oder wird sie sich als konserva- Wer nur allgemein einen Denkzettel als Ministerpräsident der LIN- tive, aber gemäßigte Kraft behaup- mit dieser Wahl verbinden möchte KEN sitzt oder nur als kleinerer ten? Diese Fragen kann ich nicht be- und die AfD zur Landtagswahl wählt, Koalitionspartner? antworten, aber ich kann diejenigen dem muss man klar sagen: Er be- Ich vertrete im Bundesrat nicht mei- Stimmen in der CDU zur Kenntnis kommt Höcke und stärkt den rechten ne Partei, sondern Thüringen. Das sa- nehmen, die laut über so was nach- Flügel. Wer noch ehrlich zur Deut- ge ich seit 2014 deutlich. Nicht mein denken oder in den Kommunen be- schen Verantwortung für die NS-Bar- Landesvorstand entscheidet, wie ich reits gemeinsame Sache mit den barei steht, der darf seinen Protest dort abstimme, sondern die Landes- Feinden einer offenen Gesellschaft nicht mit dieser Thüringer AfD ver- regierung. Natürlich wissen alle, wel- machen. Ich frage mich, wie oft die binden. cher Partei ich angehöre, und natür- AfD sich noch häuten muss, bis end- Horst Seehofers Hau-ab-Gesetz lich verbinden sich damit inhaltliche lich alle ihren hässlichen Kern erken- ist im Bundesrat nur mit Zu- Positionen, die sich in der Politik un- nen können. stimmung der Grünen durchge- seres Bundeslandes widerspiegeln. Wenn man über Thüringen kommen. Sind die Grünen denn Und es ist schon amüsant zu sehen, spricht, dann ganz sicher auch hier überhaupt noch ein ver- wenn andere Ministerpräsidenten über Björn Höcke. Sein extrem lässlicher Koalitionspartner in plötzlich genötigt werden, den Koali- rechtsnationaler »Flügel« über- Sachen humaner Flüchtlingspo- tionsvertrag im Bund einfach umzu- nimmt derzeit die Partei. Macht litik? setzen, und ich dann darauf hinwei- das die AfD noch gefährlicher Aus Prinzip äußere ich mich nicht sen muss, dass ich der GroKo nun oder bewirkt die Radikalisie- zu anderen Bundesländern. Deshalb wirklich nicht angehöre. rung, dass sich mehr Menschen kann ich nur sagen: Bei diesem The- von der Partei abwenden? ma war sich die Koalition in Thürin- Bodo Ramelow ist der erste LINKE Der »Flügel« ist die letzte aktuelle gen einig. Dieses Gesetz schafft kei- Ministerpräsident. Am 27. Oktober stellt er Häutung der sogenannten Alterna- ne Perspektiven und keine Lösun- sich in Thüringen zur Wiederwahl. DISPUT September 2019 7
WAHLEN IM OSTEN Überholen, ohne einzuholen Die Unterschiede in Ost und West bestehen weiter. Schluss mit dem »Nachbau West«. Für eine lebenswerte Zukunft im Osten VON CHRISTINA KAINDL D ie Mauer muss weg«, riefen die gen, im Osten gibt es davon weniger nen Pfadwechsel zu einer Wirtschaft, Demonstranten 1989. 30 Jah- als im Westen. Die Ungleichheit folgt in der der Osten nicht nur Zulieferer re später ist die Mauer nicht den Pfaden, die die Treuhand nach und Verkaufsfiliale ist, während im mehr zu sehen. Aber das Leben im der Wende gelegt hat: Deindustrali- Westen die großen Firmenzentralen Osten Deutschlands unterscheidet sierung durch Abwicklung und Ver- stehen und die Gewinne umgesetzt sich immer noch von dem im Westen. schuldung der öffentlichen Haushal- werden. Wir wollen eine Wirtschaft, Die Beschreibungen fangen meist mit te. Vom »Volksvermögen« hat die Be- die das Gemeinwohl höher bewer- »weniger« an: weniger Rente, weniger völkerung im Osten nicht nur nichts tet und die Werte vor Ort schafft. Wo Lohn, weniger Wirtschaftsleistung, gesehen, sondern stattdessen Schul- nicht nur Gelder und Steuervorteile weniger Vermögen, weniger Erben, den übergeholfen bekommen. an große Unternehmen verteilt wer- weniger Urlaubsgeld, weniger Inter- den, sondern für und mit den Men- net. Und: weniger Optimismus beim schen vor Ort beraten und entschie- Blick in die Zukunft, weniger das Ge- Mehr für den Osten den wird, was nötig ist und wie es er- fühl, das eigene Leben zu bestimmen, wirtschaftet werden kann. Es braucht weniger Wertschätzung und Anerken- Die Menschen im Osten haben es satt, neue Träume, neue Regeln für die Ar- nung. Trotz einiger wirtschaftlich star- sich über »weniger« zu definieren. Der beit, neue Formen der Steuerung von ker Zentren ist Ostdeutschland immer LINKE Zukunftsplan Ost setzt daher Investitionen und neue Formen von noch die größte zusammenhängende auf »mehr«: nicht einfach mehr För- Zusammenarbeit. strukturschwache Region. dergelder, sondern mehr Selbstbe- Ungleichheit wird vererbt, das spü- stimmung, mehr Anerkennung, mehr Christina Kaindl ist Bereichsleiterin ren auch die Enkel: Das gilt für Geld- Lohn, mehr Rente, mehr gemeinsam Strategie und Grundsatz im vermögen wie für Eigentumswohnun- geteiltes Leben. Es geht sich um ei- Karl-Liebknecht-Haus. Leitplanken für den zeugen. Hier ist der Osten stark. Hochschulen und kritische Wis- Kommunale Gesundheitszentren senschaften fördern. Besonders Zukunftsplan Ost und wohnortnahe Pflege mit guter wichtig ist, dass in den Verwal- Arbeit. tungswissenschaften wieder Wis- Wir fördern flächendeckendes sen über öffentliche Planung, öf- Gute Arbeit mit guten Löhnen: schnelles Internet. fentliche Unternehmen und Ge- Wir wollen ein einheitliches bun- Sozialzentren in den Dörfern. Sie nossenschaften geschaffen wird. desweites Tarifgebiet. Tarifver- sind Orte der Begegnung und bie- Wie wir das bezahlen? Wir wol- träge müssen auf Antrag der Ge- ten grundlegende Dienstleistungen len einen Solidarpakt III für Re- werkschaften allgemeinverbind- wie Post, Bank, Kultur und Dorfla- gionen im Strukturumbruch. Der lich erklärt werden. den. Nicht prekär, sondern mit gu- Solidarzuschlag ist die sozial ge- Die Renten müssen sofort an- ter Arbeit. rechteste Steuer in Deutschland. geglichen werden. Demokratisch wirtschaften: Wir Er muss erhalten bleiben, zumin- Öffentliche Gelder: Auftrags- stärken Belegschaftseigentum und dest für die oberen 20 Prozent. vergabe und Wirtschaftsförde- Genossenschaften. In regionalen Wir wollen in der Wirtschaftsför- rung gibt es nur noch für Unter- Wirtschafts- und Sozialräten ent- derung eine Ostquote einführen. nehmen, die Tariflöhne zahlen. wickeln Gewerkschaften, Zivilgesell- Und mit unserer Vermögensteu- Bei der Vergabe gilt: Tarif, regio- schaft, Unternehmen und öffentli- er würden 15 Milliarden Euro im nal und nachhaltig geht vor! che Hand gemeinsam, was wie pro- Jahr in den Osten fließen. Damit Wir wollen stärken, was die Ge- duziert werden soll. schaffen wir den Einstieg in den sellschaft zusammenhält: kos- Regional wirtschaften: Produkti- Umbau. tenfreien und besseren öffentli- onsgenossenschaften und Vertriebs- chen Nahverkehr, auch auf dem genossenschaften aus den Regionen Weiterlesen: Unseren vollständigen Land. Dadurch verstetigen wir sollen miteinander verbunden wer- Zukunftsplan Ost findest du unter: die Produktion von Schienenfahr- den. www.die-linke.de/zukunftost 8 DISPUT September 2019
Viel erreicht, noch mehr vor Seit 10 Jahren regiert in Brandenburg DIE LINKE. Sie verhinderte, dass das Land zum Niedriglohnland wurde VON KATHRIN DANNENBERG UND SEBASTIAN WALTER A m 1. September wählt Branden- burg einen neuen Landtag, der Wahlkampf nähert sich dem Höhepunkt. DIE LINKE führt ihn zum zweiten Mal als Regierungspartei. Im Jahr 2009 gab es erstmals eine rot-rote Koalition mit der SPD, 2014 wurde das Bündnis erneuert. In zehn Jahren Regierungsbetei- ligung haben wir viel erreicht: Bran- denburg ist kein Niedriglohnland mehr – ein Konzept, das die CDU einst vertreten hatte. Wir haben den Mindestlohn bei öffentlichen Aufträ- gen durchgesetzt, noch bevor es einen Mindestlohn im Bund gab. Wir haben sämtliche Krankenhäuser erhalten, und wir haben das letzte Kitajahr von Elternbeiträgen befreit. Ziel bleibt die Foto: DIE LINKE Brandenburg vollständige Beitragsfreiheit. Der Arbeitsmarkt hat sich gut ent- Wir verstehen die Wut, die viele wickelt. 2014 gab es in Brandenburg umtreibt. Sie ist die Folge einer un- DIE SPITZEN- noch fast 10 Prozent Erwerbslose, heu- gerechten und unsozialen Bundespo- KANDIDAT*INNEN te nur noch 5,6 Prozent – ein histori- litik, die besonders den Osten trifft – scher Tiefstand. Wir haben 5.300 neue auch 30 Jahre nach der Wende. Auch Lehrer*innen eingestellt und die Zu- hier gilt: Es ist nicht einfach. Mit popu- Kathrin Dannenberg kommt schüsse für die Kitas auf 490 Mio. Eu- listischen Phrasen lassen sich keine aus dem Landkreis Oberspree- ro im Jahr mehr als verdoppelt. Probleme lösen. So ist die Angst vor wald-Lausitz. Sie ist seit 1990 Auch die Stellenzahl bei der Polizei dem Kohleausstieg in der Lausitz ver- Lehrerin für Geschichte, Sport haben wir erhöht. Im Koalitionsver- ständlich; Tausende fürchten um ihre und Lebensgestaltung-Ethik- trag waren 7.800 Polizist*innen vor- Arbeitsplätze. Aber die Antwort dar- Religionskunde. 2009 wurde gesehen, inzwischen gibt es fast 8.300 auf kann nicht lauten, den Klimawan- sie Mitglied der LINKEN. 2010 Planstellen. Die Kommunen wurden del kleinzureden. Notwendig ist ein erhielt Kathrin den Deutschen finanziell bessergestellt und 750 Mio. komplexer Strukturwandel, der neue, Lehrerpreis. 2014 wurde sie Euro wurden in den Einstieg in eine nachhaltige Arbeitsplätze schafft und in den Brandenburger Land- Verkehrswende investiert. So sieht einen sozialverträglichen Kohleaus- tag gewählt. Dort arbeitet sie der neue Landesnahverkehrsplan stieg ermöglicht. als stellvertretende Fraktions- 10 Mio. Zugkilometer zusätzlich vor. vorsitzende und bildungspoliti- Und das alles ohne neue Schulden. sche Sprecherin. Wir haben die Schuldenlast sogar um Es geht ums Ganze! Sebastian Walter ist gebürtiger fast 1 Mrd. Euro gesenkt. Eberswalder. Er ist seit 2016 Trotz dieser Erfolge sehen wir Die Wahl am 1. September ist eine Gewerkschaftssekretär in Ost- den Werbespruch der SPD-geführ- Richtungsentscheidung: Sind wir ein brandenburg. Er kämpft ge- ten Staatskanzlei skeptisch: »Bran- Land der Solidarität und der Gerech- gen die weitverbreiteten Nied- denburg. Es kann so einfach sein!« tigkeit? Wollen wir gute Arbeit und riglöhne und setzt sich dafür Wir antworten mit den Fantastischen faire Löhne? Wollen wir gute Bildung ein, dass auch in Brandenburg Vier: »… ist es aber nicht!« Denn einfa- und Förderung für jedes Kind? Wol- mehr Beschäftigte nach Tarif cher ist es für viele Menschen nicht len wir, dass die Leistungen der Ost- bezahlt werden. Seit 2004 ist geworden. Noch immer sind zu viele deutschen anerkannt werden? Wol- Sebastian Mitglied der LINKEN, trotz Arbeit arm. Nicht alle können len wir, kurz gesagt, das Selbstver- von 2014 bis 2018 war er Vize- sich ihre Miete leisten. Und noch im- ständliche wieder selbstverständ- landesvorsitzender. mer hängt die Bildung der Kinder vom lich machen? Wir sagen: Es geht ums Geldbeutel der Eltern ab. Ganze! DISPUT September 2019 9
KOMMUNALISIEREN Foto: pixabay.com Was für alle da ist, muss auch allen gehören! VON SARAH NAGEL B ezahlbarer Wohnraum, Was- Lehrer, ist Mitglied der LINKEN und wird. Die Initiative hat ein Bürgerbe- ser- und Energieversorgung, engagiert sich in der Bürgerinitiative gehren eingeleitet, um genau das zu Gesundheitsversorgung, Schul- »Schule in Not«. Dort haben sich Leh- erreichen. reinigung, Autoraststätten, Paket- rer, Eltern, Bürger und ein Hausmeis- So wie in Neukölln wurden in den zustellung: Immer mehr Menschen ter zusammengeschlossen. Mit Rei- letzten vierzig Jahren in vielen Kom- merken, dass die Privatisierung von nigungskräften führt die Initiative munen Dienstleistungen und öffentli- öffentlichem Eigentum und öffentli- viele Gespräche. »Wir haben schnell ches Eigentum privatisiert. Erst war cher Daseinsvorsorge ihr Leben nicht gemerkt, dass von den Problemen es die Liberalisierung bei der Post, besser, sondern teurer macht. DIE bei der Schulreinigung alle betrof- bei der Bahn, bei der Telekom. Spä- LINKE hält dagegen, zusammen mit fen sind«, sagt Dehne. Die Initiative ter verkauften Städte und Kommu- vielen Initiativen vor Ort. bringt sie zusammen. Die Gruppe hat nen alles Mögliche, um Schulden zu Als die Lehrerinnen und Lehrer in eine Kundgebung organisiert, zu der begleichen: Krankenhäuser, kommu- Berlin-Neukölln im letzten Jahr aus Leute aus elf Schulen kamen. Sie war nale Wohnungen, Schwimmbäder, den Sommerferien kamen, mussten in der Zeitung, im Fernsehen und be- Energienetze. Aber die Rechnung viele erst mal die Klassenräume put- kommt auch Anfragen aus anderen ging nicht auf. Krankenhäuser, der zen: Eine Grundreinigung hatte nicht Bezirken, wo die Reinigungssituation öffentliche Nahverkehr, Schwimm- stattgefunden. Schon lange werden ähnlich schlecht ist. bäder und andere Bereiche sind Zu- die Schulräume nicht mehr richtig schussgeschäfte. Sie gehören zur öf- gesäubert. Genau genommen seit die fentlichen Daseinsvorsorge. Wenn da- Schulreinigung privatisiert wurde. Bürgerbegehren mit Profit gemacht werden soll, muss Früher waren die Reinigungskräfte irgendwo gespart werden – und die beim Bezirk angestellt. Jetzt wird die »Wir haben schon einiges erreicht, Menschen und Beschäftigten müssen Reinigung europaweit ausgeschrie- zum Beispiel, dass Leute merken, es ausbaden. In einigen Fällen ist es ben und die billigste Firma bekommt dass sie an ihrer Schule nicht allein gelungen, Privatisierung zu verhin- den Zuschlag. Die Reinigungskräfte sind. Auch der Bezirk hat immerhin dern. Eine Bürgerinitiative in Frei- müssen die Arbeit in immer weni- anerkannt, dass es ein Problem gibt. burg im Breisgau hat es zum Beispiel ger Zeit schaffen. Die Folge: Sie müs- Unser Ziel ist nun, dass die Reini- geschafft. Im Jahr 2006 wurde der sen sich abhetzen, machen unbezahl- gungskräfte wieder beim Bezirk an- Verkauf von Tausenden städtischen te Überstunden und werden doch gestellt werden und mehr Zeit für ih- Wohnungen durch ein Bürgerbegeh- nicht ganz fertig. Auch Schülerinnen re Arbeit bekommen.« Die Arbeits- ren verhindert. Gregor Mohlberg, der und Schüler leiden darunter, dass bedingungen sollen sich verbessern. heute für DIE LINKE im Stadtrat sitzt, die Räume verdreckt sind. Philipp Das ist dauerhaft nur möglich, wenn erinnert sich noch gut daran. Als be- Dehne will das ändern. Er war selbst die Reinigung rekommunalisiert kannt wurde, dass die schwarz-grü- 10 DISPUT September 2019
ne Mehrheit im Gemeinderat den Verkauf plant, formierte sich die Ini- tiative »Wohnen ist Menschenrecht«, die auch DIE LINKE unterstützte. Gemeinsam organisierten sie Kund- Foto: cundali gebungen, Infostände bei Stadtteil- festen, Flohmärkte. Bei verschiede- in Hochburgen der LINKEN und der wieder in die öffentliche Hand zu ho- nen Aktionen, unter anderem einem SPD waren es noch mehr. Das Bünd- len, erleichtert es das Leben aller Be- stadtweiten Sternmarsch, wurden in nis gibt es heute noch, auch wenn die teiligten an den Schulen. Der Initiati- kurzer Zeit 28.000 Unterschriften ge- große Bewegung vorbei ist. Der Pro- ve ist es wichtig, eben diese Betrof- sammelt. »Zentral für den Erfolg war, test hat die Stadt geprägt. »Weingar- fenen miteinzubeziehen. Deswegen dass die Mieterinnen und Mieter mo- ten, der am stärksten betroffene Be- sind Philipp und die anderen Aktiven bilisiert werden konnten. Die wa- zirk, ist bis heute widerständig.« von »Schule in Not« an jeder Schule ren zu 100 Prozent organisiert«, er- Einen Erfolg erhofft sich auch Phi- im Bezirk unterwegs, um mit Betrof- zählt Gregor. Von vielen Balkonen lipp. »Schule in Not« setzt dabei nicht fenen ins Gespräch zu kommen und hingen selbstgemachte Transparen- nur auf das Bürgerbegehren, son- vielleicht neue Mitstreiter zu finden. te. Am Ende stimmten gut 70 Prozent dern auch auf öffentlichen Druck. Denn nur gemeinsam, das wissen sie, gegen den Verkauf der Wohnungen, Wenn es gelingt, die Schulreinigung können sie etwas verändern. Privatisierung: nehmen. Die Tickets werden teurer, hen auf Einkaufstour. Die Beschäf- der Service wird schlechter. tigten, Patienten und Angehörigen Der große ■ 1995 wurde die Bundespost priva- zahlen die Zeche für die Profite der Ausverkauf tisiert. Das gilt auch für die Telekom- Konzerne. munikation, die vorher Teil der Post Seit den 1980er Jahren haben war. Aber: An vielen Orten konnten Bund, Länder und Kommunen öf- ■ In den letzten 20 Jahren wurden im Bürgerinitiativen eine Privatisie- fentliches Eigentum verkauft. Weil Zuge der Privatisierungswelle mehr rung verhindern oder holen Kom- sie Schulden tilgen mussten oder als 1,2 Millionen Arbeitsplätze im öf- munen sich privatisiertes Eigen- keine Kredite aufnehmen durften. fentlichen Dienst gestrichen. Statt- tum zurück. Weil sie Druck von un- Und weil eine neoliberale Werbe- dessen gibt es mehr prekäre Arbeit. ten bekommen. Oder weil sie mer- offensive Öffentliches schlecht ge- ■ Hunderttausende kommunale Woh- ken, dass es sich wirtschaftlich macht hat. Doch privat ist nicht nungen wurden in den letzten Jahr- nicht lohnt: Im Jahr 2010 erwar- besser und nicht billiger. Angebote zehnten verkauft. 2006 verkaufte et- ben in Mecklenburg-Vorpommern werden teurer, schlechter, die Ver- wa die Stadt Dresden den komplet- rund 500 Kommunen den Energie- sorgung wird nicht mehr gewähr- ten städtischen Wohnungsbestand versorger Wemag von der Vatten- leistet. Das merken auch die Men- an einen Investor aus den USA. Ähn- fall AG. Im Jahr 2013 holten sich schen vor Ort: Öffentlich ist we- lich fand das auch in anderen Städ- Thüringer Kommunen die Anteile sentlich. ten statt. Die Immobilienkonzerne ma- vom Energiekonzern E.ON zurück. chen jetzt fette Gewinne durch stei- In Berlin wurden die Wasserbetrie- ■ Seit 1982 hat sich der Bund von gende Mieten. be durch einen Volksentscheid re- rund 90 Prozent seiner mittelbaren ■ Bis 1985 war es verboten, mit Kran- kommunalisiert. oder unmittelbaren staatlichen Be- kenhäusern Profit zu machen. Diese teiligungen getrennt. Regel wurde gelockert und schließ- DIE LINKE findet: Was für alle ■ 1994 wurde die Deutsche Bahn lich ganz abgeschafft. Die Folge: Der da ist, muss auch allen gehören. in eine private Rechtsform über- Anteil der privaten Krankenhäuser Wir wollen, dass öffentliches führt. Das heißt: Die Bahn gehört hat sich erhöht, allein 2002–2013 um Eigentum in öffentlicher Hand zwar immer noch dem Staat, muss mehr als 10 Prozent. Konzerne wie bleibt oder zurückgeholt wird. aber Profit machen wie ein Unter- Fresenius Helios oder Asklepios ge- Dafür setzen wir uns ein. DISPUT September 2019 11
MIE TENP OLITIK Die Mieten einfrieren Die Stadt den Menschen zurückgeben! VON KATALIN GENNBURG S eit wir vor zwei Jahren das Regie- ne Gegenstimme. Was für ein Signal! nungsvolksbegehrens lässt sich zei- rungsprogramm der rot-rot-grü- Auch Grüne und SPD können sich gen, dass DIE LINKE nicht nur »emp- nen Koalition für einen sozial- der Forderung kaum entziehen. Und fänglicher« für die Forderungen von ökologischen Stadtumbau mitschrie- doch macht es einen Unterschied, sozialen Kämpfen ist, sondern auch ben, ist die Möglichkeit zu scheitern dass DIE LINKE. Berlin selbst aktiv als Regierungspartei in diesen aktiv täglich präsent. Wir erstritten in den Unterschriften gesammelt hat, und mitmischen will. Koalitionsverhandlungen, was wir zwar mehr als 10.000 von insgesamt Was aus dem Enteignungsvolksbe- aus stadtentwicklungspolitischer Per- 77.001! Als linke Regierungspartei gehren wird, kann derzeit niemand re- spektive für unabdingbar hielten und muss es im Zweifel genau darum ge- alistisch sagen. Für viele ist die Initia- was uns mit den stadtpolitischen Aus- hen, die Eigenständigkeit von sozia- tive schon jetzt das beste Rezept gegen einandersetzungen der letzten Jahre ler Bewegung zu stärken, statt sich ei- Politikverdrossenheit – gerade in so- zum Auftrag wurde: Wir wollen die ner vermeintlichen Regierungsräson genannten abgehängten Milieus, weil Stadt gemeinsam mit den Menschen zu unterwerfen. Im Falle des Enteig- es endlich mal »gegen die da oben« zurückerobern, den Ausverkauf be- geht. Und sie hatte mit dem Mieten- enden und gezielt Löcher in den Ver- BERLINER deckel schon einen ersten handfesten wertungsteppich schneiden. Gegen WOHNNUNGSPOLITK Erfolg – denn dieser fand sich nicht etliche Lobbywiderstände haben wir im Koalitionsvertrag und konnte den- schon einiges erreicht. Aber wir ha- noch – zumindest in den Eckpunkten ben auch noch sehr viel vor. Was der rot-rot-grüne Senat in – bereits mit der SPD beschlossen wer- Noch vor dieser Sommerpause ver- Berlin in der Wohnungspolitik den. abschiedete der Senat ein Eckpunk- seit 2016 auf den Weg brachte: tepapier unserer Senatorin Katrin Lompscher für einen Mietendeckel, ■ Insgesamt 7.000 Wohnungen Linke Kernprojekte der für 1,4 Millionen Mietwohnungen bereits vom Land direkt zurück- greifen soll. Wir wollen die Mieten ein- gekauft und damit in landesei- Unser Berliner rot-rot-grünes Regie- frieren und möglichst absenken. Wir genem Besitz gesichert rungsbündnis ist politisch ein Ergeb- halten das Hamsterrad der immobili- ■ 3.900 Wohnungen in Milieu- nis der stadtpolitischen Kämpfe der enwirtschaftlichen Renditemaximie- schutzgebieten durch Vorkaufs- vergangenen Jahre und hat zumindest rung an, indem wir einen Mietende- recht und Abwendungsver- in Teilen den Anspruch, auch dessen ckel für fünf Jahre einführen. Dieser einbarungen gesichert (Stand parlamentarische Vertretung zu sein. deckelt ab 2020 die Mieten über das 3/2019) Die Rolle der LINKEN ist es, diese Per- Preisrecht und ersetzt somit die un- ■ Mehr als 100 Mio. Euro be- spektive einzubringen und starkzu- wirksame Mietpreisbremse auf Bun- reitgestellt, um Wohnungen in machen. Deswegen sind die Kernpro- desebene durch ein eigenes Berli- die öffentliche Hand zu bringen jekte unserer Transformationspolitik ner Gesetz. Das setzt auch die GroKo ■ Mieterhöhungen bei den lan- im Koalitionsvertrag auch und andere Landesregierungen un- deseigenen Wohnungen auf 1. der Umbau der städtischen Woh- ter Druck, denn was in Berlin geht, ist 2 Prozent begrenzt nungsbaugesellschaften zu Akteuren auch anderswo möglich. ■ Mieterhöhungen im sozialen einer gemeinwohlorientierten Woh- Wohnungsbau 2017, 2018 und nungswirtschaft; 2019 ausgesetzt 2. Ankauf und Rekommunalisie- Deutsche Wohnen ■ Mehr Wohnungen für Men- rung von Mietshäusern durch das enteignen schen mit Wohnberechtigungs- kommunale Vorkaufsrecht und die schein Vergesellschaftung von Wohnraum; Als die Initiative »Deutsche Wohnen ■ Wohnungstauschbörse bei 3. die Re-Regulierung der Mieten- und Co enteignen« im vergangenen den landeseigenen Wohnungs- politik durch die politische Festlegung Herbst die Vergesellschaftung rendi- unternehmen gegründet von Höchstmieten; teorientierter Vermietungskonzerne ■ Kostenlose Mieterberatung 4. die Vergesellschaftung des Bo- auf die Agenda setzte, ahnte kaum je- in den Bezirken eingerichtet dens durch Rückkauf und die Verga- mand, mit welcher Dynamik sich das ■ Kostenloser Mietrechts- be in Erbbaurecht. Vorhaben entwickeln würde. DIE LIN- schutz für Transferleistungs- Unser Auftrag als LINKE ist sehr KE. Berlin beschloss auf ihrem Partei- empfangende klar, wir müssen uns mit dem Kapi- tag im Spätherbst 2018 die Unterstüt- tal anlegen und den Willen der Bür- zung des Volksbegehrens – ohne ei- gerinnen und Bürger in reale Politik 12 DISPUT September 2019
umsetzen und als sozialistische Partei eine gerechtere Gesellschaft in einer anders regierten Stadt begreifbar und erkennbar machen. Das geht nur gemeinsam mit den Initiativen und den Menschen, und natürlich nur mit willigen Koalitions- partnerinnen und -partnern. Regieren auf Augenhöhe Mit der Finanzkrise begann das golde- ne Zeitalter der Immobilienwirtschaft. Seitdem besteht unsere Arbeit darin, Bündnisse der Willigen zu knüpfen, Widerstand zu stärken und Alternati- ven zu realisieren. Wir wollen als Par- tei in Bewegung auch Regieren in Be- wegung. Genossenschaften, Hausgemein- schaften, linke Anwältinnen und An- wälte, Hausbesetzerinnen und Haus- besetzer und Kleingärtnerinnen und 40000 Menschen gehen im Mai gegen hohe Mieten in Berlin auf die Straße. Kleingärtner – sie alle wollen den Aus- Gleichzeitig startet das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen!« verkauf der Stadt stoppen. Wir müs- Foto: Bianca Theis sen sie ernst nehmen und als Regie- rungspartei versuchen, tatsächlich auf Augenhöhe zu agieren. »Zuhören, uns in die Regierung getragen ha- haben arbeiten und in den Kiezen und statt ansagen!« war unsere Losung im ben und mit denen wir seither Vor- Nachbarschaften organisiert und ein- Wahlkampf, und in Regierungsver- kaufsrechte für Mietshäuser realisie- fach die besseren Auskennerinnen antwortung ist dieses Versprechen ren. Mit ihnen wollen wir die Bürger- und Auskenner sind. tagtäglich zu erneuern. Den Staatsap- beteiligung neu aufstellen, damit real »Wem gehört die Stadt?!« kann nur parat gilt es mit alle seinen Vorfestle- Macht aus den Amtsstuben in Betei- bedeuten: Wir legen uns mit dem Ka- gungen und Routinen zielgerichtet zu ligungsprozesse fließt. Mit Menschen, pital an und nutzen alle rechtlichen hinterfragen, um einen Politikwechsel die für Selbstverwaltung und Mit- Spielräume, um sozial gerecht um- überhaupt zu ermöglichen. bestimmung in landeseigenen Woh- zuverteilen; bei der Verfügung über Die LINKE ist auch in Berlin im Um- nungsbaugesellschaften streiten, Ak- Mietwohnungen, über Boden und bruch. Während unter Rot-Rot wichti- tiven, die für Mieterinnen und Mie- über neue Stadtentwicklungsprojekte ge Teile des linken (Bewegungs-)Mili- ter Mietrechtsberatung organisieren, und der Verfügbarmachung des Stadt- eus der Partei den Rücken kehrten, welche wir als Land finanzieren und raums eben nicht für Investoren und ist die Partei mittlerweile wieder ak- auch Transferleistungsempfangenden deren Rendite, sondern für die Men- zeptierter Partner und wird gerade bei zugänglich machen, agieren wir auf schen. So sind auch Parks, öffentliche Jüngeren auch für aktive Mitarbeit at- Augenhöhe. Ufer, Kleingärten, Fußgängerbrücken, traktiver. Dennoch ist das Spannungs- »Regieren auf Augenhöhe«, mit den öffentliche Plätze und Spielplätze ein verhältnis zwischen Regieren und wi- Menschen und nicht nur in der eige- Beitrag zur Rückaneignung der Stadt derständiger Bewegung nur in dauer- nen Regierungskoalition, bedeutet da- und für das Gemeinwohl. hafter und ernsthafter Beziehungsar- bei, dass wir die Forderungen und Ide- beit möglich – durch harte zusätzliche en aus der Stadt ernsthaft prüfen und Katalin Gennburg ist Sprecherin für Arbeit jenseits des Parlamentsalltags. es als LINKE in Verantwortung nicht Stadtentwicklung der Fraktion DIE Es waren die stadtpolitischen immer besser wissen, weil Initiativen LINKE im Abgeordnetenhaus von Gruppen und Mieterinitiativen, die teils Jahrzehnte an Themen und Vor- Berlin und Mitglied im Parteivorstand. DISPUT September 2019 13
DEBAT TE e Mehrheiten. Katja Kipping plädiert für Neue Link auf der Eine Debatte, die wir hier beginnen und w.d ie-link e.d e/disput DISPUT-Website unter ww r anderem Texte fortsetzen. Dort befinden sich unte Kor te. von Susanne Hennig-Wellsow und Jan Hier erste Kommen tare . Eine neue Dynamik schaffen Zeit für ein linkes Aufbruchssignal. Ein Plädoyer für Neue Linke Mehrheiten VON KATJA KIPPING D ie Große Koalition ist fertig. Mit sungen werden. Dafür brauchen wir im Chor die alten neoliberalen Lang- ihr hat sich auch der Neolibe- ein zukunftsfähiges Regierungspro- weiler Sozialabbau, Deregulierung, ralismus Merkel'scher Prägung gramm, das die grundlegende Verän- Privatisierung und Leugnung des Kli- erschöpft. Die marktkonforme Demo- derung der Machtverhältnisse denk- mawandels wiederholt, muss endlich kratie ist ausgelaugt – mehr noch, bar macht. Es geht dabei auch darum, eine progressive Machtalternative durch soziale Unterlassung konnte ei- eine Entscheidungssituation zu schaf- entgegentreten, und zwar mit einem ne radikalisierte Rechte erst richtig fen, in der die Grünen Farbe beken- linken Programm, das sowohl dem erstarken. Zugleich wurde die tradi- nen müssen: Rot oder Schwarz? Links »Weiter so!« als auch kleinen Reförm- tionelle Parteilandschaft umgepflügt. oder rechts? Vortäuschen von Klima- chen eine Absage erteilt. Denn die Zeit Das alte Machtmodell zweier gro- schutz mit der Union oder sozialöko- der kosmetischen Korrekturen ist vor- ßer Volksparteien ist Vergangenheit. logische Wende mit uns. Wenn der bei. Wann immer der nächste Bundestags- Markt über das Leben der Mehrheit Mehrheiten links der Union sind wahlkampf kommt, er wird der erste herrscht, muss eine Mehrheit sich die keine Garantie dafür, dass die not- Wahlkampf nach Angela Merkel. Wir Macht über den Markt zurückholen. wendige sozialökologische Wende werden eine große Mobilisierung er- Die neue gesellschaftliche Dyna- kommt, aber sie sind eine notwendi- leben, mutmaßlich mit einer hohen mik kann uns beim Kampf um sol- ge Voraussetzung. Eine Voraussetzung Wahlbeteiligung. Alle werden sich che Mehrheiten in die Hände spie- dafür, die zentralen Säulen sozialer Si- entscheiden müssen: Wird die sozia- len. Nachdem jahrelang rechte Pro- cherheit in unserer Gesellschaft neu le Spaltung verfestigt, oder gelingt es vokationen die Grenze des Sagba- zu errichten: Gute Arbeit, die zum Le- endlich, Hartz IV und prekäre Arbeit ren überschritten haben, stehen nun ben passt, soziale Garantien, die alle zu ersetzen durch Arbeit, die zum Le- vermehrt fortschrittliche Themen sicher vor Armut schützen, bezahlba- ben passt, und durch soziale Garanti- im Mittelpunkt, wie Klimaschutz res Wohnen, eine flächendeckende en? Kommt wirklicher Klimaschutz oder Vergesellschaftung. Etwas Neu- Gesundheitsversorgung und eine gu- und wenn ja, auf Kosten der ärmeren es hat begonnen, das aus der Gesell- te Rente. Unser Land braucht endlich Menschen oder der Konzerne? Wollen schaft selbst kommt. Klimastreik, eine linke Wirtschafts- und Sozialpoli- wir die Früchte der Digitalisierung für Seenotrettung oder die zahlreichen tik, die weder vor direkten Marktein- alle nutzbar machen und wollen wir Mieter*inneninitiativen – all diese griffen noch vor einer sanktionsfrei- solidarische Antworten auf die anste- Proteste fordern eine radikale Um- en Mindestsicherung oder einer Mil- henden Umwälzungen in der Arbeits- kehr. Es geht um nicht weniger als lionärsteuer zurückschreckt. Nur so welt finden? eine soziale wie ökologische Wen- kann eine wirksame Klimapolitik zu de, die zugleich Sicherheit wie Zu- einem gesellschaftlichen Aufbruchssi- kunft schafft. Kriege und Klimacha- gnal werden, anstatt nur erneut sozi- Eine Entscheidungs- os bedrohen unser aller Zukunft auf ale Spaltung und Verlustängste zu be- situation schaffen diesem Planeten. Deshalb braucht es fördern. Wir müssen die Dringlichkeit Mehrheiten für Friedenspolitik und dieser Zeit in eine Politik der Verände- Auch DIE LINKE muss sich diesen Klimagerechtigkeit. Zugleich müssen rung übersetzen. Neue Linke Mehrhei- Fragen stellen, und sie muss sich ent- wir die Gerechtigkeitskrise in unserer ten sind somit die Chance für eine so- scheiden, ob sie Teil einer machtpoli- Gesellschaft lösen, damit nicht erneut ziale Demokratie, die der radikalisier- tischen Antwort sein will. Wir müs- die Armen die Zeche zahlen müssen. ten Rechten die Kraft der Solidarität sen also bereit sein, unsere Prinzipi- entgegenstellt; sie sind eine linke Re- en nicht nur zu verkünden, sondern gierungsalternative, die endlich ernst auch zu signalisieren, dass wir unse- Zeit der Kosmetik macht mit sozialen Sicherheiten, kon- re Antworten umsetzen wollen. Wenn ist vorbei sequentem Klimaschutz und einer Po- nötig auch gemeinsam mit anderen. litik des Friedens in Zeiten globaler Aus linken Ideen müssen linke Lö- Dem rechten Block, der immer noch Krisen. 14 DISPUT September 2019
Wir geben den Bewegungen eine Stimme im Parlament. Ates Gürpinar KATINA SCHUBERT DIETMAR BARTSCH beutung von Angst. Diese Geschäfts- Landesvorsitzende Berlin Fraktionsvorsitzender grundlage müssen wir der AfD weg- nehmen. In einer sozial gerecht einge- Linke Mehrheiten Linke Politik kann richteten Gesellschaft muss niemand braucht das Land Hoffnungen erfüllen Angst haben. Das müssen wir klar machen. Veränderung muss nicht Die Bundesrepublik steht an einem Mit der Finanzkrise hat der Neo- Bedrohung bedeuten, Bedrohungs- Scheideweg: Geht es nach rechts oder liberalismus seinen Zenit über- gefühle können auch durch die Ver- gelingt es, die Entwicklung in der öf- schritten, aber er ist deshalb noch änderung der Gesellschaft abgebaut fentlichen Daseinsvorsorge, der sozi- lange nicht erledigt. Die durch ra- werden. Wir müssen verdeutlichen, alen Gerechtigkeit, des sozialökologi- biate Nötigung erzwungene Nie- dass linke Politik Hoffnungen erfül- schen Wandels, der Demokratie und derlage der griechischen Syriza- len kann. der zivilen Konfliktlösung nach links Regierung im Sommer 2015 hat Dafür dürfen wir selbst keine zu verschieben? Als Partei stehen wir deutlich gemacht, wie einfluss- Angst haben, Angst etwa vor mög- natürlich für Letzteres. Es gibt viel stark neoliberale Politik weiter- licher Regierungsverantwortung. fortschrittliche Bewegung, die mit hin ist. Die Klimaproteste zeigen, Wenn es uns gelingt, radikale Impul- Dingen bricht, die im neoliberalen dass hinsichtlich der Zukunftsfra- se ins Regierungshandeln zu über- Zeitalter wie Selbstverständlichkei- gen der ehemals Großen Koalition tragen, erfüllen wir einen Zweck, ten wirkten: die Eigentumsfrage wird nichts mehr zugetraut wird. Aller- der weit über die bloße Mehrheitsbe- von der Mietenbewegung neu ge- dings müssen wir auch zur Kennt- schaffung in einer Mitte-links-Koali- stellt, die unbeschränkte Verfügung nis nehmen, dass die Krise des tion hinausgeht. Armut darf es nicht von Großunternehmen und Konzer- Neoliberalismus aktuell nicht uns mehr geben, Privateigentum an Pro- nen über die natürlichen Ressourcen nützt, sondern den Rechtsaußen- duktionsmitteln ist kein Heiligtum, wird von der Klimabewegung infra- akteuren von der AfD. Kriege sollten der Vergangenheit an- ge gestellt, Menschlichkeit und Soli- Die Geschäftsgrundlage des gehören. Damit ließe sich gut regie- darität sind die Triebfedern der See- Rechtspopulismus ist die Aus- ren. notrettungs- und Antirassismusbewe- gung, gute Arbeit und Gerechtigkeit die der Gewerkschaften, die für Tarif- verträge, gerechten Lohn und gesun- de Arbeitsverhältnisse streiten. Wir RALF KRÄMER nalem Terrain entschieden. Eine sol- sind nicht nur Teil der Bewegungen, Bundessprecherrat der che Perspektive wäre auch ein wich- sondern müssen diese Politik auch in Sozialistischen Linken tiger mobilisierender Faktor für ge- Parlament und Regierung umsetzen. sellschaftliche Bewegungen und für In Berlin regieren wir mit SPD und DIE LINKE muss klares linke Wahlbeteiligung. Grünen, jeder Schritt nach vorn muss Profil zeigen Doch entscheidend sind die Inhal- ausgehandelt werden: Berlin wird das te. Wenn DIE LINKE »liberal vs. auto- erste Bundesland mit einem Mieten- Für eine populäre LINKE: weder Be- ritär rechts« als die zentrale Kontro- deckel sein, das von der LINKEN un- wegungsfetischismus noch Mitregie- verse behandeln würde, wie es Kat- terstützte Volksbegehren »Deutsche ren um jeden Preis. ja Kipping schreibt, würde sie nur in Wohnen und Co enteignen« hat die Ja – wenn wir eine bessere, sozia- die Falle von Grünen und AfD tap- Diskussion über die Sozialpflichtig- le, friedliche, gerechtere, zukunftsori- pen. Stattdessen muss DIE LINKE keit des Eigentums angefacht und entierte Politik durchsetzen und da- sich als die Kraft aufstellen, die ent- neue Spielräume für die Rekommuna- für Druck aus der Gesellschaft ent- schieden für die Interessen der vie- lisierung von Wohnraum eröffnet. Die wickeln wollen, dann brauchen wir len gegen die der Superreichen und Liste der Beispiele von Berliner Regie- beides: außerparlamentarische Be- Konzerne eintritt. Es geht vor allem rungspolitik, die in die richtige Rich- wegung, Kampagnen und Aktionen, darum, für soziale Verbesserungen tung weisen, ist lang. Sie zeigt: Wir und eine Perspektive anderer Parla- und Umverteilung von oben nach un- können dieses Land nach links ver- ments- und Regierungsmehrheiten, ten zu kämpfen, ökologischen Umbau schieben, wenn wir uns trauen. Und auch auf Bundesebene. Hier wird nicht zulasten der Arbeitenden und das müssen wir jetzt auch auf Bundes- über die wichtigsten Weichenstel- der »kleinen Leute« umzusetzen, ei- ebene angehen: lösungsorientiert, vi- lungen, die Finanzen und über die ne Wende zu Frieden und Abrüstung sionär, mit radikaler Realpolitik. Politik Deutschlands auf internatio- statt Konfrontationspolitik zu errei- > DISPUT September 2019 15
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