KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
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KOMPASS Die Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr Soldat in Welt und Kirche 12I21 + 01I22 Menschen in © jasmine mellow / EyeEm – stock.adobe.com Bewegung ISSN 1865-5149
INHALT Titelthema Rubriken Menschen in Bewegung 14 zum LKU: Denk-Vier-Methode 6 Eine globale Perspektive: Flucht und Migration 15 Film-Tipp: ALINE 8 Migration menschenwürdig gestalten 16 Kolumne der Wehrbeauftragten 9 Nachgefragt bei Hauptfeldwebel Lydia Foken 20 Auslegeware: 10 Interview mit Dominik Wullers, Deutscher.Soldat e. V. Mein Vater war ein heimatloser Aramäer 22 Auf ein Wort: Weihnachten im Einsatz Aus der Militärseelsorge 26 Buch-Tipp: Trotzdem! 4 Weihnachtsgruß des Katholischen Militärbischofs 26 VORSCHAU: Unser Titelthema im Februar 2022 23 Die Bundeswehr im Einsatz 27 Rätsel 24 Grüße zum Advent und Wünsche für das Jahr 2022 23 Glaube, Kirche, Leben 18 Der harmloseste „Krieg“ der Welt 19 Adveniat Weihnachtsaktion 25 Mache dich auf! (mit Kerzenhülle) 25 Weihnachtsmann-freie Zone Titelbild: © jasmine mellow / EyeEm – stock.adobe.com I Die Menschen auf den Seiten 2, 8, 9, 11, 12 und 13 © Feodora – stock.adobe.com Impressum Herausgeber Hinweis KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche Der Katholische Militärbischof Die mit Namen oder Initialen gekennzeich- ISSN 1865-5149 für die Deutsche Bundeswehr neten Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für das Redaktionsanschrift Druck unverlangte Einsenden von Manuskripten und KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche ARNOLD group Bildern kann keine Gewähr und für Verweise Am Weidendamm 2 Am Wall 15 in 14979 Großbeeren in das Internet keine Haftung übernommen 10117 Berlin werden. Bei allen Verlosungen und Preisaus- schreiben in KOMPASS. Soldat in Welt und Telefon: +49 (0)30 20617-421 Kirche ist der Rechtsweg ausgeschlossen. E-Mail: kompass@katholische- soldatenseelsorge.de Internet www.katholische-militaerseelsorge.de Chefredakteurin Friederike Frücht (FF) Redakteur Jörg Volpers (JV) Social Media Bildredakteurin, Layout Doreen Bierdel Lektorat Schwester Irenäa Bauer OSF Leserbriefe Bei Veröffentlichung von Leserbriefen behält sich die Redaktion das Recht auf Kürzung vor. 2 Kompass 12I21 + 01I22
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, wir Menschen leben zusammen, weil wir soziale Wesen sind. Meistens funktioniert das ohne nachzudenken, es ist „normal“. Genauso normal ist es, wenn wir verreisen, zur Arbeit pendeln, Urlaub machen, eine Forschungsexkursion unternehmen. Wir sind unter- wegs, übrigens auch geistig. Wir nehmen ständig neue Eindrücke auf, gewollt oder gezwungen. Diese Formen der Mobilität sind uns vertraut. Im Gegensatz dazu verunsichern uns Faktoren, die wir nicht bestimmen können. Flüchtlingsbewegungen, andere Hautfarben, Meinun- gen und anderes Verhalten sind solche Kräfte. Alles das kann ich als Migration bezeichnen: Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen von ihrem bisherigen Platz aus in Bewegung setzen. Neben vielen anderen Faktoren bestimmen politische, klimatische, wirtschaftliche Faktoren diese Migrationen. Zudem gibt es Push- und Pull-Kräfte: Personen müssen sich verän- dern oder sie wollen sich verändern. Alles hat einen Grund und es bedarf der Sicht auf Zusammenhänge, um mit diesen Phänomenen umzugehen. Irgendwo ist immer jemand unterwegs und je nach- dem, wo das ist, welche Verhältnisse sie umgeben oder worauf sie treffen, immer verändert sich etwas. Das zu akzeptieren, damit umzugehen, ist vielleicht die Aufgabe, die wir haben, wenn wir migrieren, immi- © KS / Doreen Bierdel grieren, emigrieren. Es sollte uns als Menschen eine Aufgabe sein, aufeinander aufzupassen, aufeinander zuzugehen und das Verbindende zu suchen. Migration ist nicht nur ein Begriff – es sind immer die Menschen. Ich wünsche uns allen eine bewegende Advents- und „Steh auf, nimm „Steh auf, nimm das Kind das Kind und seine Weihnachtszeit und einen erfolgreichen Start in das neue Jahr. Bleiben Sie behütet. und seine Mutter, und Mutter, und flieh flieh nach Ägypten ...“ nach Ägypten ...“ Norbert Stäblein, Matthäus-Evangelium 2,13 Referatsleiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Kompass 12I21 + 01I22 3
WEIHNACHTSGRUSS DES KATHOLISCHEN MILITÄRBISCHOFS Liebe Soldatinnen und Soldaten, liebe Angehörige der Bundeswehr, wenn diese Kompass-Ausgabe bei Ihnen ist, können Sie So dürfen wir in der Gewissheit Weihnachten feiern, dass auf ein ereignisreiches und bewegendes Jahr zurück- diese unbedingte Zusage für alle Menschen gilt. Sie bil- schauen, das noch stark durch die Pandemie bestimmt det für Christinnen und Christen das Fundament ihres war, insbesondere für Sie aber auch stets mit dem Ende Glaubens. Darauf bauen Werte auf, für die Soldatinnen des Afghanistan-Einsatzes und den schrecklichen Bildern und Soldaten immer wieder einstehen: Gemeinschaft, aus Kabul verbunden sein wird. Vor diesem Hintergrund Solidarität, Gerechtigkeit und der Einsatz für die Schwa- blicken Sie vielleicht erwartungsvoll auf die kommenden chen und Hilfsbedürftigen. Ob im Auslandseinsatz, bei der Monate, verbunden mit der Hoffnung, endlich in einen Bekämpfung der Corona-Pandemie oder im Rahmen der neuen soldatischen Alltag hineinfinden zu können, der Bewältigung der Hochwasser-Katastrophe im Juli dieses wieder etwas mehr Normalität verspricht. Jahres – Soldatinnen und Soldaten leis- teten ihren Dienst in Krisenregionen und Dennoch spüren wir in dieser Zeit im Notsituationen, packten vor Ort tatkräftig Advent 2021, dass diese bescheidene mit an, halfen dort, wo es verantwortet Zukunftsperspektive, dieser Wunsch möglich war und retteten so viele Men- nach vormals gewohnter Normalität und schenleben. Alltäglichkeit, auch für die kommenden Monate in Frage steht, da die Pandemie Immer dann, wenn Erfahrungen von Leid © KS / Doreen Bierdel noch nicht vorbei ist. Mit dieser Situati- und Tod dieses Eintreten für andere zu on menschlich und verantwortungsvoll überschatten drohen, ist die Stärke umzugehen, ist kräftezehrend und stellt der Gemeinschaft gefragt. Kameraden eine Herausforderung dar, die uns die trösten Kameraden, Seelsorger bieten Weihnachtserzählung ganz anders – aber Räume, um Trauer Ausdruck verleihen vielleicht innerlich viel vertrauter und be- zu können und machen Angebote, um rührender – erleben lässt. Ihr Ort ist die seelisch zu Kräften zu kommen. So kann Armseligkeit eines einfachen Stalls da- Hoffnung und neuer Mut entstehen, ge- maliger Zeit, in dem Maria und Josef ei- + Dr. Franz-Josef Overbeck meinsam weiterzumachen. Dann spen- ner ungewissen Zukunft entgegensehen. Bischof von Essen det Kameradschaft Kraft, die auch hilft, Wenn etwas diese Szenerie nicht prägt, Katholischer Militärbischof den Alltag zu bewältigen, der mit Blick dann ist es Sicherheit. Die kleine Familie für die Deutsche Bundeswehr auf die kommenden Monate so unklar ist vielmehr außerordentlich verwundbar. vor uns liegt. An der Schwelle zum dritten Jahr der Corona-Pandemie ist Als Soldatinnen und Soldaten treten Sie, stets ihrem Gewis- dieses Motiv hochaktuell. Viele von Ihnen haben erfahren, was sen verpflichtet, ganz praktisch für die Würde der Menschen es bedeutet, wenn Menschen mit einer vergleichbaren Lebens- ein. Deshalb war auch der Große Zapfenstreich im Oktober situation konfrontiert sind – zwar in einem übertragenden Sinn, dieses Jahres ein gutes und richtiges Zeichen, die Soldaten aber genauso hilflos und verletzlich. Alte Gewissheiten, die und Soldatinnen des Afghanistaneinsatzes und der Evakuie- lange Zeit verlässlich Orientierung boten, geraten ins Wanken rungsoperation zu würdigen. Dabei ist es bedeutend, auch oder sind plötzlich sogar null und nichtig; vieles von dem, was alle einzubeziehen, die diesen Einsatz möglich machten: Die als selbstverständlich betrachtet wurde, wird hinterfragt oder Angehörigen, Freunde, aber auch die vielen, die logistisch gilt nicht mehr. In so einer Situation des Gefährdetseins wird und kommunikativ Unterstützung geleistet haben. Mit ihren Gott Mensch und kommt als Kind zur Welt, das ganz und gar unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen bildeten sie eine auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Das ist die Bedeutung Gemeinschaft und standen füreinander ein. von Weihnachten: Gott trotzt der Machtlogik dieser Welt, denn er erklärt den Menschen – jeden einzelnen – in diesem einen Der Dienst, mitsamt aller Belastungen für die Soldaten und Kind in der Krippe für einmalig. ihre Angehörigen, geht auch im nächsten Jahr weiter. Dabei 4 Kompass 12I21 + 01I22
WEIHNACHTSGRUSS DES TITELTHEMA KATHOLISCHEN MILITÄRBISCHOFS dürfen Sie stets auf die Zusage Gottes vertrauen, der für uns Mensch geworden ist. So ist Weihnachten auch „Immer dann, ein starkes Zeichen der Hoffnung, das helfen kann, die kommenden Aufgaben zu bestehen – in Gemeinschaft wenn Erfahrungen von Leid und mit einem klaren moralischen Kompass, der gerade in schwierigen Lebenslagen Orientierung gibt. Ob im ver- und Tod dieses Eintreten bindenden Gebet, bei vertrauensvollen Gesprächen oder in der stärkenden Begleitung: Die Seelsorger und Seel- sorgerinnen vor Ort werden Ihnen dabei zur Seite stehen. für andere zu überschatten In der Gemeinschaft der Soldaten und der Gemeinschaft drohen, ist die Stärke der der Christen stärken wir uns gegenseitig, wie es die Men- schen an der Krippe getan haben. Weihnachten kann uns Gemeinschaft gefragt.“ helfen, hoffend, voller Vertrauen und mit neuem Mut die Herausforderungen der kommenden Zeit zu akzeptieren und zusammen zu bewältigen. Ich wünsche Ihnen, Ihren Angehörigen und allen, die Ihnen nahestehen, eine gesegnete Advents- und Weih- nachtszeit und ein segensreiches Neues Jahr 2022! Motiv: KS / Doreen Bierdel / Hintergrund: tomertu – stock.adobe.com Kompass 12I21 + 01I22 5
TITELTHEMA Eine globale Perspektive Flucht und Migration von Katharina Lumpp, Vertreterin des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) in Deutschland M igration hat es immer gegeben. Seit es Menschen gibt, gibt es auch Menschen, die weiterziehen, oft in der Hoff- nung, dass es anderswo besser ist. Das geschieht auch aus An die Stelle des Schutzes der Men- schenrechte durch das Heimatland tritt der internationale Schutz als Flüchtling Not, aber letztlich ist es eine Entscheidung, zu gehen. Und sie durch den Staat, an dessen Grenze oder auf beinhaltet auch die Entscheidung und vor allem die Möglich- dessen Territorium sich der Flüchtling befindet. keit, wieder zurückkehren zu können. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die anfänglich vor Migration ist nicht immer Flucht allem mit Blick auf noch ungelöste Situationen nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, ist mittlerweile Es hat aber auch immer Flüchtlinge gegeben. Menschen, die prägend für den Flüchtlingsschutz weltweit. Als völkerrecht- nicht einfach aufgebrochen sind, sondern zur Flucht gezwungen licher Vertrag ist sie Maßstab für Flüchtlingsrecht und -praxis wurden. Die ihre Heimat verlassen mussten, weil sie sonst auf nationaler Ebene und hat regionales Recht geprägt, so verfolgt oder schweren Menschenrechtsverletzungen ausge- auch in der Europäischen Union, in Afrika und Lateinamerika. setzt gewesen wären. Und für die keine sichere Möglichkeit Dort ist sie Grundlage für regionale Instrumente, in denen sie besteht, zurückzukehren. Für diese Menschen wurden vor sie- um den Schutz von Menschen ergänzt wurde, die vor willkür- ben Jahrzehnten das Amt des „Hohen Flüchtlingskommissars licher Gewalt und Konflikten fliehen. der Vereinten Nationen“ (UNHCR) geschaffen und die Gen- fer Flüchtlingskonvention, als Grundlage des internationalen Mittlerweile haben 149 Staaten entweder die Genfer Flücht- Flüchtlingsschutzes, verabschiedet. lingskonvention oder ihr Protokoll oder beide ratifiziert. Das sind 77 % der Mitgliedstaaten der Generalversammlung der Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert, wer Flüchtling ist, Vereinten Nationen. Und die Konvention ist Grundlage für den wie die Rechtsstellung von Flüchtlingen ausgestaltet sein und Schutz einer in den letzten Jahren stetig gewachsenen Zahl wie die entsprechende Konvention umgesetzt werden soll: von Menschen. Flucht ist unfreiwilliger als Migration Wir leben in Zeiten beispielloser Mobilität. Weltweit gibt es Ein Flüchtling ist demnach ein Mensch, geschätzt 250 Millionen Menschen, die in einem anderen Land der sich aus einer wohlbegründeten Furcht leben, als dem, aus dem sie kommen. Für die meisten ist die Migrationserfahrung freiwillig – für viele von uns als Teil unseres vor Verfolgung aufgrund seiner Rasse, beruflichen Werdegangs. Sie ist sicher und bereichernd. Für Religion, Nationalität, politischen zunehmend mehr Menschen ist dies allerdings nicht der Fall. Anschauung oder der Zugehörigkeit zu In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Menschen, einer sozialen Gruppe außerhalb seines die vor Verfolgung, schweren Menschenrechtsverletzungen und Konflikten zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sind, Heimatlandes befindet und aus diesen stetig gestiegen. Mittlerweile betrifft dies mehr als 82 Millionen Gründen nicht auf den Schutz des Menschen. Das entspricht der Bevölkerungszahl von Deutsch- land. Und über 1 % der Weltbevölkerung. Mit anderen Worten Herkunftslandes vertrauen kann. wird mehr als jeder hundertste Mensch mit Gewalt und gegen seinen Willen vertrieben, davon über 26 Millionen Menschen, die auf der Suche nach Schutz gezwungen sind, über interna- tionale Grenzen zu fliehen: Flüchtlinge. 6 Kompass 12I21 + 01I22
TITELTHEMA © Feodora – stock.adobe.com Das sind die fünf größten Aufnahmeländer von Flüchtlingen Und die Herkunftsländer sagen etwas aus zu den Gründen, aus denen Flüchtlinge ihr Heimatland verlassen mussten: Die meisten weltweit (68 %) kommen aus nur fünf Ländern, allen voran aus Syrien, Venezuela, Afghanistan, aus dem Südsudan 3,7 Millionen und aus Myanmar. Türkei Globale Trends von Flucht und Vertreibung der letzten Jahre zeigen neben stetig wachsenden Zahlen von Flüchtlingen ins- besondere auch, dass 86 % der Flüchtlinge in Ländern mit 1,7 Millionen niedrigem oder mittleren Einkommen Schutz finden und nur Kolumbien zehn Länder, darunter Deutschland als einziges westliches Industrieland, knapp zwei Drittel (66 %) der Flüchtlinge weltweit beherbergen. Was ist zu tun? 1,5 Millionen Pakistan Insgesamt gab es in Deutsch- Es überrascht daher nicht, dass internationale Solidarität und land am 30. Juni 2021 genau eine bessere und verlässlichere internationale Zusammen- 1.235.160 Flüchtlinge. Damit arbeit und Verantwortungsteilung zentral für die Bewältigung sank die Zahl der Zugänge nach der Herausforderungen geworden sind, auch für die Bereit- 1,4 Millionen Deutschland im vierten Jahr in schaft zum fortgesetzten Engagement für Flüchtlinge im Uganda Folge deutlich. eigenen Land. Mit 102.600 neuen Asylanträgen Größere internationale Solidarität und gemeinsames Handeln verzeichnete die Bundesrepublik sind die Herausforderungen im Flüchtlingsschutz, ebenso wie 1,2 Millionen Ende 2020 die seit Jahren ge- in der Pandemie und im Klimaschutz. „Grenzüberschreitenden“ Deutschland ringste Zahl. Herausforderungen kann effektiv nur gemeinsam begegnet werden. Quelle: UNHCR-Bericht „Global Trends- Forced Displacement in 2020“ >> Kompass 12I21 + 01I22 7
TITELTHEMA >> >> Deutschland hat in diesem Sinne in den vergangenen Jahren zunehmend globale Verantwortung im Flüchtlingsschutz übernom- men. Als zweitgrößter humanitärer Geber und als großes Aufnahmeland von Flüchtlingen genießt Deutschland internationale Glaubwürdigkeit, ein Ge- wicht, das es in Anbetracht der globalen Entwicklungen weiter zu nutzen gilt. Die steigende Zahl von Menschen in Not und unvorhersehbare Krisen – wie die Corona-Pandemie – verdeutlichen, wie not- wendig die verlässliche und flexible Finanzierung humanitärer Organisationen, darunter auch UNHCR, ist und bleibt. Das sind die fünf größten Geber des UNHCR 1.973 Millionen US-Dollar USA 522,1 Millionen US-Dollar Europäische Union M it dem Dokument „Migration menschenwürdig gestal- ten“ legen die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD – in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft 446,9 Millionen US-Dollar Christlicher Kirchen in Deutschland – ein neues Migrations- Deutschland wort vor. Dieses steht in der Nachfolge des 1997 erschiene- nen Wortes „… und der Fremdling, der in deinen Toren ist“, das über viele Jahre als zentraler kirchlicher Referenztext 134,7 Millionen US-Dollar für Fragen von Migration und Flucht galt. United Kingdom Ausgangspunkt des Dokuments ist eine Analyse relevan- ter Entwicklungen im Migrationsdiskurs der letzten beiden 126,3 Millionen US-Dollar Jahrzehnte. In einem nächsten Schritt werden spezifisch Japan kirchliche Prägungen durch Migration sowie ekklesiologische Quelle: UNHCR-Bericht „Global Trends- Forced Displacement in 2020“ und pastorale Grundmuster herausgearbeitet. Auf die Ent- faltung einer biblisch-theologischen Lerngeschichte folgt die Die Hilfe für Flüchtlinge und Aufnahmeländer muss allerdings Reflexion über Grundlagen einer christlichen Migrationsethik über die Linderung akuter Not hinausgehen. Es bedarf der und ihre praktischen Konsequenzen. Daran anschließend sinnvollen Verzahnung von humanitärer Hilfe und längerfristiger werden mehrere politisch-rechtliche Fragenkomplexe be- Entwicklungszusammenarbeit, damit neben der Unterstützung leuchtet, etwa die Bedeutung von Menschenrechten im von Flüchtlingen durch humanitäre Hilfe in Gesundheits- und Migrationskontext, die Dimension der globalen Zusammen- Bildungssysteme und lokale Infrastruktur investiert werden arbeit, Migrations- und Asylpolitik als gemeinsame euro- kann. Davon können sowohl die Bevölkerung vor Ort als auch päische Politikfelder sowie Fragen der Integration und der Flüchtlinge profitieren. Der Druck auf Aufnahmeländer und Staatsbürgerschaft. In einem abschließenden Teil werden -gesellschaften wird gemindert, Flüchtlingen eine wirkliche Per- Thesen für das kirchliche Handeln in der Migrationsgesell- spektive eröffnet, ihr Leben im Aufnahmeland in die eigene schaft formuliert. Hand zu nehmen und der soziale Zusammenhalt zwischen Flüchtlingen und „Einheimischen“ gestärkt. „Migration menschenwürdig gestalten“ will dazu beitragen, dass angemessene Antworten auf die Anliegen von Migran- Auch im politischen Diskurs und Handeln nach innen ist es ten und Schutzsuchenden gefunden werden. Dabei wird wichtig, solidarisch zu bleiben. Dazu gehört, das Verständnis Migration als vielschichtige Gestaltungsaufgabe begriffen. für die Not und Beweggründe von Flüchtlingen weiter zu stärken Entsprechend richtet sich das Wort an einen weiten Kreis: sowie Erfolge und Errungenschaften statt der Probleme in den an Haupt- und Ehrenamtliche in der kirchlichen Seelsorge Mittelpunkt zu stellen. Viele Flüchtlinge haben in Deutsch- und in der karitativen Arbeit, an Verantwortungsträger in land Schutz gefunden, getragen von breitem gesamtgesell- Verwaltung und Politik, aber auch an alle Gläubigen und schaftlichem Engagement. Und das verdient, stärker betont zu Bürger, die mit Migrationsfragen in Berührung kommen. werden. 8 Kompass 12I21 + 01I22
TITELTHEMA Nachgefragt „Es ist doch egal, in welchem Land Wir haben zum Titelthema nachgefragt bei Hauptfeldwebel Lydia Foken. jemand geboren oder aufgewachsen Kompass: Erleben Sie Diskriminierung durch Kamera- ist. Ebenso ist die Nationalität und dinnen oder Kameraden? Hauptfeldwebel Lydia Foken: Mir wurde von einem sexuelle Orientierung unwichtig. Kameraden berichtet, dass er aufgrund seiner Herkunft gemobbt wurde. Für mich unverständlich. Er war noch Wir sollten nicht danach urteilen.“ sehr klein, als er nach Deutschland kam, spricht per- fekt Deutsch, aber dennoch wurde er aufgrund seines Aussehens nicht wirklich bei den Kameraden aufge- nommen. Es ist sehr schade und traurig. Das ist aber auch der einzige Fall, der mir bekannt ist. Ansonsten habe ich im Kameradenkreis keine Diskriminierung erlebt. Kompass: Wie gehen Sie damit um? In diesem Fall habe ich erst einmal zugehört und dann versucht, den Kameraden aufzubauen. Ich habe ihm nahegelegt, zum Disziplinarvorgesetzten, Kompanie- feldwebel oder zur Vertrauensperson zu gehen. Im Notfall zum Sozialdienst, sollte sich die Situation ver- schlimmern. Die Telefonnummer vom zuständigen Bearbeiter beim Sozialdienst habe ich für ihn raus- gesucht. Ich kann grundsätzlich so ein Handeln nicht nachvoll- ziehen. Es ist doch egal, in welchem Land jemand geboren oder aufgewachsen ist. Ebenso ist die Natio- nalität und sexuelle Orientierung unwichtig. Wir sollten nicht danach urteilen. Kompass: Was muss in der Bundeswehr geändert werden? Ich würde Tauschprojekte mit anderen Nationen bevor- zugen. In meinem ehemaligen Verband habe ich solche Projekte teilweise mitbekommen. Offiziere aus Frank- reich waren für mehrere Monate für schulische Zwecke in Deutschland eingesetzt. Was spricht dagegen, diese Tauschprojekte „wochenweise“ auch für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in den Laufbahngrup- © durch copyright geschützt pen Unteroffiziere und Mannschaften anzubieten? Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Interesse in der Truppe sowie den Kommandobehörden groß ist. Ein anderer Vorschlag wäre es, im Rahmen der politischen WEBTIPP: Bildung das Thema Migration mehr einzubauen. Lesen Sie das Die Fragen stellte Barbara Dreiling. komplette Interview mit Hauptfeldwebel Lydia Foken: milseel.de/heimat Kompass 12I21 + 01I22 9
TITELTHEMA © Bundeswehr Wir sind deutsch. Punkt. Wir leisten unseren Dienst für dieses Land. Wir lassen uns im Zweifel sogar erschießen für dieses Land. Interview mit Dominik Wullers, ehemaliger Zeitsoldat, Leiter der Informationsarbeit der Wehrtechnischen Dienststelle in Meppen Kompass: Herr Wullers, können Sie bitte kurz etwas zu Ihrer Kompass: Wie war dann Ihr weiterer Weg? Person sagen? Dominik Wullers: Ich bin zur Operativen Information gegan- Dominik Wullers: Ich bin 1984 im Münsterland geboren und gen, habe da meine Ausbildung zum Offizier gemacht und bin Sohn einer Deutschen und eines Cabo-Verdianers, von einer 2007 an die Bundeswehruniversität in Hamburg gewechselt. kleinen Inselgruppe westlich vom Senegal. Während meines Studiums der Volkswirtschaftslehre durfte ich zwei Auslandssemester machen. Als ich von meinem zweiten Kompass: Das sind die Kap Verden, oder? Auslandssemester zurückkam, sprach mich mein Vorgesetzter Dominik Wullers: Ja, Cabo Verde ist mittlerweile die offizielle an, der selbst einen Migrationshintergrund hatte – seine Eltern Bezeichnung, von Teneriffa aus in Richtung Süden. Ich bin im kommen beide aus Afrika – und fragte mich, ob ich auch einen Münsterland aufgewachsen, habe 2003 mein Abitur gemacht Migrationshintergrund hätte. Soeben sei ein Buch von Thilo und bin dann zum Wehrdienst beim Heer eingezogen worden. Sarrazin erschienen, in dem ganz krude Theorien stünden, Auf den Rat eines Offiziers hin habe ich mich beworben und da müsse man ein Zeichen dagegensetzen. Die Realität von bin 2004 Offiziersanwärter geworden. Integration sei doch auch unsere Realität, eben dass auch 10 Kompass 12I21 + 01I22
TITELTHEMA „Schaut mal, in der Bundeswehr funktioniert das – warum funktioniert es bei euch nicht?“ Menschen mit Migrationshintergrund in den Streitkräften die- In dem Moment, als wir in diesen Seminarraum reinkamen nen, und dass Migration und Integration nicht nur Probleme und ich plötzlich die Realität von deutschen Soldaten in allen sind und belasten, sondern die große Masse eigentlich die Facetten sah, wurde mir das klar. Ja, und dann haben wir uns Gesellschaft bereichern, wie zum Beispiel in der Bundeswehr. relativ schnell entschlossen, einen Verein zu gründen, um eben genau aus diesem Blickwinkel auf die gesellschaftliche Kompass: Das war der Auslöser für Ihr weiteres Engagement? Debatte einzuwirken. Es ging nie darum, eine Interessenvertre- Dominik Wullers: Genau. Ich selbst hatte mich, muss ich wirk- tung zu sein für Soldaten mit Migrationshintergrund, sondern lich sagen, vorher nicht so sehr mit meiner Herkunft auseinan- sozusagen die positiven Erfahrungen, die wir in der Bundes- dergesetzt, einfach weil es ein unangenehmes Thema ist und wehr gemacht hatten, und unsere Lebensrealität der breiteren weil ich tatsächlich auch häufiger negativ darauf angesprochen Gesellschaft mitzuteilen. Eher nach dem Motto: Schaut mal, wurde. Ich bin pflichtschuldig zu dem Termin hingegangen, in der Bundeswehr funktioniert das – warum funktioniert es den er anberaumt hatte. Und dann waren wir rund sechzig bei euch nicht? Offizieranwärter und Offiziere mit Migrationshintergrund allei- ne an der Uni, die er in kürzester Zeit zusammengetrommelt Lange war und ist es auch eigentlich noch unser Motto: In Uni- hatte. Das war 2010 und das hat mich beeindruckt. Mir war form fühlen wir uns wohler als ohne. Denn in den Streitkräften, das vorher nicht so klar gewesen, was für eine Vielfalt in der wie der Begriff Uniform schon sagt, ist man gleichgestellt. Es Bundeswehr und insbesondere an der Uni schon herrschte ist völlig egal, wie man aussieht, wo man herkommt, an was und welchen unglaublichen Integrationsmotor die Bundeswehr oder wen man glaubt. Was letztendlich zählt, ist der Mensch. darstellt. Was eigentlich gar nicht so überraschend ist, wenn Was zählt, ist ganz pragmatisch, wer in die gleiche Richtung man in andere Streitkräfte sieht. Eigentlich überall dienen die schießt. Und das habe ich vor allen Dingen im Einsatz erlebt, Streitkräfte nicht nur als Möglichkeit des sozialen Aufstiegs, aber auch in der Ausbildung. Wenn man gemeinsam nachts sondern auch zur Integration. durch den Schlamm gleitet und dann vom Feldwebel ange- schrien wird, dann ist es völlig gleichgültig, wo der andere herkommt, was für eine sexuelle Orientierung er hat oder was auch immer, all diese Merkmale, mit denen wir uns im Moment sehr beschäftigen. Das ist alles völlig irrelevant, denn das Einzige, was zählt, ist: Es ist ein Kamerad. Das war tatsächlich unsere Erfahrung, und das wollten wir ein bisschen vermitteln mit „Deutscher.Soldat e. V.“ >> Die Vision des Vereins Deutscher.Soldat e. V. ist ein Deutschland des Miteinanders, in dem gemeinsame Werte schwerer wiegen als sichtbare Unterschiede. Eine Nation, in der derjenige als Deutscher gilt, der sich als solcher fühlt und wahrgenommen werden will. Dabei streben die Mitglieder nach einer Gesellschaft, in der die Leistungsbereitschaft einen höheren Stel- lenwert hat als die Abstammung. Mit Nariman Hammouti, Vorstandsvorsitzende und zur- zeit S2-Offizier im Marinefliegerstützpunkt Nordholz, streben die Mitglieder das Brechen alter Denkmuster an und erhielten dafür bereits 2015 den Hauptstadt- preis für Integration und Toleranz verliehen. Kompass 12I21 + 01I22 11
TITELTHEMA >> Kompass: Das klingt jetzt erst einmal recht positiv. darüber hinaus auch einen gesellschaftspolitischen Anspruch Dominik Wullers: Aber Vielfalt ist nicht per se schon gut, son- formulieren und sagen: Die Bundeswehr soll der Spiegel der dern sie ist erst mal nur ein Zustand. Und: Vielfalt kann auch zu Gesellschaft sein, dann muss sie das tun. Dann kann sie nicht Dissens führen. Man stelle sich zum Beispiel deutsch-türkische ignorieren, dass die Gesellschaft nicht mehr so aussieht wie und deutsch-kurdische Soldaten vor oder deutsch-palästinensi- 1980, sondern dann muss sie natürlich darauf eingehen, dass sche und deutsch-jüdische Soldaten. Also das kann durchaus ein Viertel in der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Sprengstoff bergen. Das heißt, man kann Vielfalt nicht einfach wuchern lassen, wenn man möchte, dass sie vorteilhaft ist. Bei den Kindern sprechen wir von über einem Drittel, die einen Aber sie kann auch militärisch ein Vorteil sein. Migrationshintergrund haben. Und die Bundeswehr soll wieder wachsen. Nun, dann muss sich die Bundeswehr die Frage Das hat mit dazu geführt, dass das Verteidigungsministerium stellen: Wo sollen denn die Rekruten herkommen? Will man dann ein Diversity Management eingeführt bzw. darüber nach- denn wirklich nur in rein weißen Orten rekrutieren? Soll so die zudenken angefangen hat. Dass eine Stabsstelle eingerichtet Bundeswehr der Zukunft aussehen? wurde, die bis dahin nur für das Thema Gleichstellung von Frauen zuständig war und die den Blick dann ein bisschen ge- Kompass: Wie hat sich dies entwickelt? weitet hat. Gemeinsam mit Staatssekretärin Suder haben wir Dominik Wullers: Der Gedanke war damals, dass es viele in das Weißbuch 2016 entsprechende Absätze eingebracht, „neue Deutsche“ gibt, wie wir uns genannt haben. Also Men- damit es einen strategischen Hintergrund gibt für das Thema. schen, die hier geboren, die hier sozialisiert sind, die aber Und mit ihr gemeinsam hatten wir dann auch auf der Münch- trotzdem in der Debatte in der Regel auf ihre Herkunft oder die ner Sicherheitskonferenz ein offizielles Event mit dem kanadi- Herkunft der Eltern reduziert wurden. Das Beispiel war immer schen Verteidigungsminister. Wenn wir uns die Demographie die Frage nach dem: Woher kommst du? Und wenn man dann und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland anschauen, sagt: Ich komme aus dem Münsterland, dann die penetrante dann sind wir jetzt vielfältig, ob wir es wollen oder nicht. Punkt. Nachfrage: Aber woher denn wirklich? Worauf man hinaus Und wenn die Bundeswehr zukünftig auch in der Lage sein wollte, war sozusagen, dass es offensichtlich eine Dissonanz soll, Deutschland zu verteidigen, dann muss sie, um das not- gibt zwischen der Tatsache, dass ich mich als deutsch identi- wendige Personal zu rekrutieren, darauf Rücksicht nehmen. fiziere, und der Erwartung des Gegenübers, wie denn deutsch Und das ist jetzt nur rein pragmatisch gesprochen. Wenn wir auszusehen hat. © KS / Doreen Bierdel 12 Kompass 12I21 + 01I22
TITELTHEMA „Wir brauchen in jedem Fall eine Art von gesundem Patriotismus, der Vielfalt bejaht, der sich nicht auf Herkunft Nein, wir sind deutsch. Punkt. Und wir leisten unseren Dienst für dieses Land. Wir lassen uns im Zweifel sogar erschießen für bezieht, sondern tatsächlich dieses Land. Und das muss dann doch letztendlich ein Punkt sein in der Integrationsdebatte, wo man es geschafft haben auf gemeinsame Werte, einen sollte, akzeptiert zu werden als Deutscher. Und weil das nicht die Realität war, haben wir sozusagen aktiv dieses Adjektiv wertebasierten Patriotismus.“ deutsch für uns reklamiert und auch darauf bestanden. Und in dieser Zusammensetzung mit „Deutscher.Soldat“ war das natürlich bewusst provokativ. Kompass: Was ist heute Ihre Funktion in der Bundeswehr? Ein kleines Beispiel: Wenn sich im Ausland, in den USA, wie Sie sagten mir, Sie sind kein aktiver Soldat mehr. Sondern? ich es selbst erlebt habe, zwei Franzosen treffen, die sich Dominik Wullers: Genau, ich bin 2016 ausgeschieden. Mei- völlig unbekannt sind, dann gibt es ein großes Hallo. Ach, man ne letzte Verwendung war als Sprecher für die Afghanistan- kommt auch aus Frankreich, ja, woher denn? Spannend, toll! Einsätze im Einsatzführungskommando. Ich bin dann in die Kennst du Jacques, kennst du Claude? Ach, wir haben sogar Beamtenlaufbahn gewechselt. Und nach mehreren Stationen gemeinsame Bekannte. und meiner Rückkehr aus Harvard habe ich etwas Heimat- nahes gesucht: Ich bin in Meppen bei der Wehrtechnischen Wenn sich zwei Mexikaner treffen, ist es noch extremer, eine Dienststelle als Leiter der Informationsarbeit. Umarmung und Küsschen links, Küsschen rechts, fantastisch! Wenn man als Deutscher im Ausland hört, dass jemand ande- Kompass: Sie haben Ende September in „Die Zeit“ ein Essay res im Raum Deutsch spricht, dann geht man schnell woanders veröffentlicht mit dem Titel „So stolz dürfen wir heute sein“ ... hin. Und das ist symptomatisch für unser Selbstverständnis. Dominik Wullers: Ja, mein aktuelles Thema ist der Patriotis- Es gibt so eine Selbstverleugnung. Auch möglichst akzentfrei mus, was genau in die gleiche Bresche schlägt. Tatsächlich die Sprache des Gastlands sprechen zu können, ist ja in vie- habe ich aus meiner Beobachtung in Deutschland, aber auch len Fällen dadurch motiviert, dass man möglichst nicht als aus dem Ausland festgestellt, dass dieses mangelnde Selbst- Deutscher erkannt werden will. Und das ist für eine nationale bewusstsein schädlich ist. Psyche nicht gesund. Auch im christlichen Glauben funktioniert die Nächstenliebe ja nur, wenn man sich erst mal selbst liebt. Kompass: Richtig. Dominik Wullers: Und das ist meiner Meinung nach auch im nationalen Maßstab geboten. Wir brauchen in jedem Fall 87,9 % so eine Art von gesundem Patriotismus, der Vielfalt bejaht, der sich nicht auf Herkunft bezieht, sondern tatsächlich auf gemeinsame Werte, einen wertebasierten Patriotismus. So der Personen in der ein bisschen wie der amerikanische Patriotismus, der sich Bundeswehr haben zumindest in seiner gesunden Form nicht auf Herkunft oder keinen Migrations- hintergrund. 12,1 % Aussehen beschränkt, sondern darauf, dass man eben die amerikanische Verfassung wertschätzt. Und ich glaube nicht mit den vielen Flaggen und dem Feuerwerk, aber irgendeine der Personen in der Art von positivem Selbstverständnis brauchen wir in Deutsch- Bundeswehr haben land. Brauchen wir zur Integration, um die Vielfalt positiv für einen Migrations- uns alle nutzbar zu machen, und brauchen wir, um diese sehr hintergrund. zerstörerischen politischen Grabenkämpfe, die wir im Moment haben, zu überwinden. Die Fragen stellte Jörg Volpers. Quelle: Statistisches Bundesamt Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2020 (Erstergebnisse) Kompass 12I21 + 01I22 13
ZUM LKU Zur Praxis moralischer Bildung: Denk-Vier-Methode Men·schen·bild [das] kommunikativ Soziale Gesundheit – Teil V O „Was ist der Mensch?“ Kants Frage ist auch das Wahre in der menschheitlichen nicht nur aktuell, vielmehr ist sie auch Ordnung – also unabdingbare Vorausset- eine Frage nach dem persönlichen wie zung für das seit alters her verheißene auch allgemeinen Bild, das ein jeder, „Friede auf Erden“ (Lk 2,14). das die Gesellschaft vom Menschen hat. Keineswegs sollte die Frage aber zur Ge- Das neue Menschheits-Maß „Würde“ er- schmacksfrage degradiert werden, viel- fordert jedoch ein zeitgemäßes „kommu- mehr ist es eine Frage der Vernunft, denn nikatives Modell“, um unterschiedliche die Antwort steht im direkten Zusammen- Menschen-Bilder kultur- und religions- © Aamon – stock.adobe.com hang mit der (staatlichen) Ordnung in der übergreifend würdevoll zu kommunizie- Welt. Sie ist letztlich die Schlüsselfrage ren. Einen vernünftigen Beitrag liefert hier zum Weltfrieden. das quasi formale Meta-Menschenbild der Denk-Vier-Methode, die dem neuen Vom untrennbaren Zusammenhang zwi- Würde-Maßstab entspricht. Grundlage für schen Menschen-Bild und Welt-Ordnung dieses methodisch erweiterte moralische erzählt eine kleine Alltagsgeschichte: Ein Denken, Urteilen und Wahrnehmen sind Kind langweilt sich, nervt deswegen die vier formal zu unterscheidende Dimensi- mit Homeoffice überlastete Mutter. Da onen von Person. In der reflektierenden ihr Sohn gern Puzzle legt, nimmt sie eine Fundament für das Menschheits-Puzzle Zusammenschau bildet diese qualitati- Illustrierte, schneidet aus einem prächti- einer künftigen Friedensordnung vor- ve Vierheit eine formal-sittliche Einheit gen Bild des blauen Planeten lauter klei- bereitet: „Alle Menschen sind frei und namens „Personenwürde“: Erstens, die ne Puzzleteile und gibt sie dem Kleinen. gleich an Würde und Rechten geboren.“ somatisch-biologische Dimension, zwei- „Nun hat er gut zu tun“, denkt sie. Aber tens, die psychisch-soziale Dimension, schon nach fünf Minuten ruft der Sohn: Diese allgemeinen Festschreibungen drittens, die kognitiv-geistige Dimension „Mama, bin fertig!“ Völlig überrascht eines „Würde-Maßstabes“ waren nach und viertens, die spirituell-seelische Di- geht sie ins Kinderzimmer und siehe der Menschheitskatastrophe des Krie- mension. Sobald diese würdevolle Denk- da, das schwierige Puzzle liegt fertig auf ges ein formal-sittliches Würde-Update Ordnung verstanden und systematisch dem Spieltisch. „Wie hast du denn das des bereits seit der Antike bekannten geübt wird, gewährleistet sie zuverlässig so schnell geschafft?“ „Mama, das war Homo-Mensura-Satzes: Der Mensch ist eine ganzheitlichere Betrachtung der Per- ein blödes Puzzle. Da gab‘s nur bunte Tei- das Maß aller Dinge. Diese moralische son. Bei den aktuellen Pandemie-Maß- le, aber auch Teile mit Fingern, einer Nase Erweiterung bedeutet, dass nicht bloß nahmen wäre beispielsweise mit dieser und den Augen. Das Gesicht habe ich als das Schöne an wertvollen Dingen Wür- Methode ein Verständnis menschlicher erstes zusammengelegt. Und die andere de, sondern vor allem nun das Gute in Gesundheit bestimmend, das alle me- Seite, die hat dann auch gepasst!“ Die- würdevollen Beziehungen Gerechtigkeit dizinischen, sozialen, geistigen und se Erfahrung zeigt: Wenn der Mensch in einfordert. Dieses auf Personenwürde seelischen Aspekte als Personenwürde Ordnung kommt, dann kommt auch die gründende Gerechtigkeits-Format ist integriert. Mit der Denk-Vier-Methode Welt in Ordnung! in einem freiheitlich demokratischen könnten in gesellschaftlichen Verände- Rechtsstaat aber nicht nur Richtscheit rungsprozessen auch gewaltig wirkende So einfach ist es freilich nicht immer: für das „Werk des Friedens“, vielmehr ist „Menschen-Kräfte“ bewusster gemacht Nach den bitteren Erfahrungen des Na- die Unantastbarkeit menschlicher Würde werden: Setzt man nämlich die in Wür- tionalsozialismus versuchte zumindest de upgedatete Frage Kants zur Agenda Deutschland 1949 die Schlüsselfrage „Klimaschutz“ in Bezug, dann erkennt nach dem Menschen in eine vorstaat- jede Persönlichkeit guten Willens – nicht liche Ordnung zu bringen: Über allem nur das Kind der Eingangserzählung –, stand die Menschenwürde, die – un- dass eigentlich zuerst der Mensch in Ord- antastbar – seit dem Inkrafttreten des nung kommen muss, ehe das Welt-Klima- Grundgesetzes das staatlich geordnete Puzzle vernünftig in Ordnung gebracht Miteinander regelt. Bereits 1948 hatte werden kann. die Proklamation der Allgemeinen Erklä- Franz J. Eisend, rung der Menschenrechte das sittliche Wissenschaftlicher Referent, KMBA 14 Kompass 12I21 + 01I22
Aline FILM-TIPP THE VOICE OF LOVE D ie kleine Aline (Valérie Lemercier) singt bei einer Familienfei- er. Und da wird allen klar: Das Nesthäkchen der Familie hat eine außergewöhnliche Stimme. Die letzte von 14 Kindern. Und dann „klemmt“ sich die ganze Familie dahinter, vornweg die Mutter – später wird sie eine Art Managerin für Aline, köstlich wie Danielle Fichaud das spielt. Doch vorher kommt der bekannte Musikproduzent Guy- © Rectangle / Gaumont Claude Kamar (Sylvain Marcel) ins Spiel. Er hört ein Demo- Band und weiß: Aline und ihre besondere Stimme haben Star- Qualität. Und dann beginnt das Biopic einer Traumkarriere. „Aline – The Voice of Love“ lief beim diesjährigen Filmfestival in Cannes außerhalb der Konkurrenz und erlebte dort seine Welturaufführung. Nun startet der Film kurz vor Weihnachten auch hier in Deutschland. Es geht bei ALINE um diese Frau, die am Himmel der Berühmt- Sicherlich: ALINE ist nicht der große Musikfilm wie „Bohemian heit uneinholbar schwebt und doch den Weg eines ganz norma- Rhapsody“ mit einem fulminanten Showdown, oder ein aus- len Menschen geht: Groß-Werden, Erfolg, Verlust, Einsamkeit tariertes Künstler- und Musikerinnen-Porträt wie der deutsche und Existenzkampf. Verfolgen kann man das durch die unter- Klassiker „Solo Sunny“ – das alles ist ALINE nicht. Aber ALINE titelten Liedzeilen – denn die Songs sind quasi unverzichtbare ist als eher stiller Film doch eine fulminante Musik-Show. Kommentare im Film. Gekonnt wird dabei der Bogen von einer Familiengeschichte Das alles steckt in ALINE drin. Und es ist dem Verleih „Welt- bis zum Weg eines Superstars gespannt. Lange thematisiert kino“ zu danken, dass er eine Untertitelung vorgenommen hat, der Film die Liebe zwischen Aline als Sängerin und dem Mu- auch wenn das für eine spätere Fernsehausstrahlung sogar sikproduzenten Guy-Claude: eine Liebe, die 26 Jahre Alters- hinderlich sein könnte. unterschied aushält. Mit beeindruckenden Bildern wird diese Paar-Beziehung erzählt, ohne falsche Sentimentalität und ohne Und letztlich: „Aline – The Voice of Love“ ist Entertainment auf Peinlichkeiten. Da beweist die Regisseurin Valérie Lemercier Höchst-Niveau. Der Kinostart am 23. Dezember verspricht nun ein großes Einfühlungsvermögen und Mut. Ein Mut, der sich eine Weihnachtsüberraschung der besonderen Art zu werden. auch darin zeigt, dass sie das Drehbuch schrieb und als Haupt- Thomas Bohne, darstellerin fungierte. Mitglied der Katholischen Filmkommission Gezeigt wird die Entwicklung von der 5-jährigen Aline bis zum Star durch eine einzige Darstellerin, mit digitaler Tricktechnik. Und es scheint fast der Weg „vom hässlichen Entlein zum bewunderten Schwan“ zu sein. Das alles wird nicht ohne Au- genzwinkern und Humor präsentiert, eingebettet in die Songs von Céline Dion – deren Karriere die „Blaupause“ für ALINE ist. Aline – The Voice of Love Musikfilm, Drama, Biografie Lange wartet man vor der Leinwand auf das so bekannte Frankreich / Kanada 2020 „My Heart Will Go On“, das ja im Blockbuster „Titanic“ von Regie, Drehbuch und 1997 ein Millionenpublikum angezogen und diesem Film zum Hauptdarstellerin: Valérie Lemercier Kultstatus verholfen hat. Doch das kommt geradezu nebenbei, Länge: 126 Minuten ist auch nicht das Hauptthema des Films. Kinostart: 23.12.2021 Kompass 12I21 + 01I22 15
KOLUMNE Liebe Soldatin, lieber Soldat, © Deutscher Bundestag / Inga Haar das Amt der Wehrbeauftragten mit seiner besonderen Historie, seinen umfassenden Aufgaben und Befugnissen ist auf der Welt einmalig. Doch auch in anderen Ländern und Streitkräften gibt es Institutionen, die sich um Anlie- gen ihrer Soldatinnen und Soldaten kümmern. Mehr als 30 solcher Ombudsinstitutionen gibt es weltweit – von Norwegen bis Südafrika, von Kanada bis Kirgisistan. Sie sind ganz unterschiedlich aufgestellt und ausgestal- tet. Einige sind unabhängige, zivile Stellen, andere in die Strukturen des Militärs eingebunden. Manche sind An- sprechstelle lediglich für Soldatinnen und Soldaten, ande- re auch für Zivilistinnen und Zivilisten. So unterschiedlich sie auch sein mögen, sie eint die Aufgabe, individuelle „Soldatinnen und Beschwerden entgegenzunehmen und Lösungen zu su- Soldaten stehen „Soldatinnen Seite und Soldaten an stehen chen. Damit leisten sie einen entscheidenden Beitrag zur Zufriedenheit von Soldatinnen und Soldaten und der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Seite Seite mitmit an Seite Kameradinnen Kameradinnen und Regelmäßig tausche ich mich mit meinen internationa- und Kameraden Kameraden anderer anderer Streitkräfte und len Kolleginnen und Kollegen aus. Zum Beispiel treffen wir uns einmal im Jahr bei der International Conference Streitkräfteunterstehen und unterste- mitunter of Ombuds Institutions for the Armed Forces (ICOAF). Die Konferenz geht auf eine Initiative meines Vorgängers henArmeen. Vorgesetzten anderer mitunter Wenn Reinhold Robbe zurück. Vorgesetzten es hier Schwierigkeiten undanderer Probleme Mitte Oktober war ich auch in Wien und habe dort das Präsidium der Parlamentarischen Bundesheerkommission Armeen. gibt: Wennsiees An wen wenden sichhier und getroffen. Schwierigkeiten und wer ist zuständig?“ Dieser internationale Austausch ist für mich als Wehr- Probleme gibt: An wen beauftragte sehr wichtig. Zum einen erfahre ich, welche Anliegen Soldatinnen und Soldaten anderer Streitkräfte beschäftigen, und erkenne hier viele Parallelen – von wenden sie sich und wer unzureichender Ausstattung über die Vereinbarkeit von Familie und Dienst bis hin zu PTBS-Erkrankungen. Zum ist zuständig?“ anderen lernen wir voneinander, wie diese Anliegen aufge- griffen und angegangen werden, und tauschen Beispiele © Hintergrund: SidorArt – stock.adobe.com guter Praxis aus. Dabei ergeben sich in multinationalen Einsätzen und Mis- Auch in einer weiteren Hinsicht ist dieser Austausch sehr sionen ganz besondere Herausforderungen. Soldatinnen wichtig. In internationalen Einsätzen – der Europäischen und Soldaten stehen Seite an Seite mit Kameradinnen Union, der NATO oder den Vereinten Nationen – wirken und Kameraden anderer Streitkräfte und unterstehen nationale Streitkräfte zusammen. Das ist mittlerweile mitunter Vorgesetzten anderer Armeen. Wenn es hier eine Selbstverständlichkeit. So selbstverständlich diese Schwierigkeiten und Probleme gibt: An wen wenden sie Zusammenarbeit von Streitkräften ist, ein Aspekt ist bis- sich und wer ist zuständig? Die nationale, eigene Om- lang noch nicht in gleichem Maße etabliert: die Zusam- budsinstitution? Die Ombudsinstitution des Partnerlan- menarbeit von Ombudsinstitutionen. des? Oder des gastgebenden Landes? 16 Kompass 12I21 + 01I22
KOLUMNE © Parlamentarische Bundesheereskommission Meinungs- und Erfahrungsaustausch mit dem Präsidium der Parlamentarischen Bundesheerkommission Österreichs. Dies ist eine dem Amt der Wehrbeauftragten vergleichbare Ombudsinstitution für österreichische Soldatinnen und Soldaten. Anfang Oktober habe ich auch meine Kollegen aus Öster- politischen Vertretern des Kosovo und der Slowakei über reich, den Niederlanden, Norwegen und Mali zu einem die Idee, das Wissen und die Erfahrung des Amtes ge- Workshop nach Berlin eingeladen, um Antworten auf sprochen. Ich hoffe sehr, hiermit einen kleinen Beitrag diese Fragen zu finden. Zum Abschluss haben wir eine zu leisten, dass auch diese Länder eine vergleichbare Resolution verabschiedet, mit der wir unsere Zusammen- Institution etablieren. Damit bliebe das Amt der Wehr- arbeit stärken und intensivieren. Beispielsweise haben beauftragten zwar weiterhin einmalig, doch keineswegs wir uns zu gemeinsamen Besuchen von Einsätzen und allein in der Welt. Übungen, in denen unsere Streitkräfte zusammenwirken, verabredet. Mit herzlichen Grüßen Es ist mir eine große Ehre, Wehrbeauftragte des Deut- schen Bundestages zu sein. Es ist ein wunderbares und wichtiges Amt. Die Bundeswehr und ihre Einsatzbereit- schaft sind ohne das Amt nicht zu denken. Deswegen freue ich mich, wenn andere Länder sich für das Amt der Wehrbeauftragten interessieren. So habe ich mit Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Kompass 12I21 + 01I22 17
GLAUBE, KIRCHE, LEBEN Der harmloseste „Krieg“ der Welt – oder doch nur ein Bürokratie-Monster? D ie kleine Insel namens „Hans“ be- findet sich im arktischen Ozean und liegt direkt auf der 1973 im UNO-Vertrag So heißt es aus verschiedenen Quellen (vgl. Wikipedia u. a.), dass erst 1984 das dänische Militär die Flagge Dänemarks stützte zumindest früher das dänische Außenministerium auf der kanadischen Version von Google einen Link, der bei festgelegten Grenzlinie zwischen Kanada und eine Flasche Aquavit hinterließ, wo- der Suche nach Hans Treffer ergab wie und Dänemark. Dieser schreibt den ge- rauf die Kanadier es den Dänen einige Hans Island is Danish – Does ‚Hans‘ nauen Grenzverlauf zwischen dem kana- Zeit später nachmachten, die dänische sound Canadian? – Danish name, danish dischen Ellesmere Island und Grönland Fahne entfernten, die kanadische hiss- island. Ein Privatmann aus Kanada kon- (autonomer Bestandteil des Königreichs ten und eine Flasche Whisky danebenleg- terte daraufhin mit einem eigenen Link, Dänemark) fest – leider blieb die Hans- ten. Zu einem regelmäßigen Austausch der das genaue Gegenteil behauptete. Insel dabei unberücksichtigt. Bis heute gibt es sonst keine Zeugnisse, nur Ver- konnte keine Einigung erzielt werden, zu mutungen. Seit Jahren wird an einer friedlichen wem das Eiland gehört. Lösung gearbeitet Nationalflaggen zeigen den Die Hans-Insel Anspruch an Im „Streit“ zwischen Dänemark und Kanada um Hans Island war lange Zeit Mit einer Größe von 1,25 km² hält Hans 2005 hissten sowohl Kanada als auch keine Einigung in Sicht. Eben seit 2005 weder Vegetation noch irgendwelche Be- Dänemark auf der Insel ihre jeweiligen gibt es eine Übereinkunft, dass jedes wohner bereit. Benannt wurde sie nach Fahnen, vereinbarten aber einen Pro- Land die andere Seite zumindest infor- dem grönländischen Arktisforscher und zess zur Beilegung des Streits. Bei der mieren muss, wenn es plant, die Insel Expeditionsteilnehmer Hans Hendrik. Wa- Einigung über die Seegrenze zwischen zu besuchen.Eine friedliche Lösung wäre, rum aber „streiten“ sich Kanada und Dä- beiden Staaten wurde das Gebiet um die die Verantwortung über die Insel den in nemark seit Jahrzehnten darüber, wem Hans-Insel 2012 erneut ausgeklammert. Grönland ansässigen Inuit zu übertragen die Insel gehört? – oder Hans in einen Naturpark zu ver- Der Insel-Streit treibt auch im Internet wandeln. Die Insel war 1933 von einem Vorgänger bizarre Blüten: So haben vermutlich pro- des heutigen Internationalen Gerichts- dänische Patrioten eine Seite namens Und wie sieht es heute aus? hofs bereits Dänemark zugesprochen Free Hans Island eingerichtet, auf der worden – mit der Gründung der Vereinten sie unter anderem Kanada vorwerfen, mit 2018 beriefen die Länder eine gemein- Nationen im Jahr 1945 wurde die Ent- „regelmäßigen Angriffen“ die dänische same Task Force ein, um eine offizielle scheidung aber hinfällig, und Hans Island Souveränität zu verletzen – und deshalb Vereinbarung auszuhandeln. Diese setzt geriet aufgrund seiner Bedeutungslosig- einen Ausschluss des Landes aus der sich aus Juristen und Experten aus ver- keit bis 1984 in Vergessenheit. NATO fordern. Und laut Spiegel unter- schiedenen Ministerien zusammen und 18 Kompass 12I21 + 01I22
GLAUBE, KIRCHE, LEBEN ÜberLeben in der Stadt Adveniat Weihnachtsaktion 2021 Immer mehr Menschen in Lateinamerika und der Karibik leben bereits heute in Städten. Unter dem Motto „Über- Leben in der Stadt“ rückt Adveniat dieses Jahr die Sorgen und Nöte der armen Stadtbevölkerung in den Blickpunkt. Mit seinen Projektpartnern, wie zum Beispiel Ordensleu- ten und pastoralen Mitarbeitern, durchbricht das Latein- amerika-Hilfswerk Adveniat die Spirale der Armut: durch Bildungsprojekte in Pfarrgemeinden – insbesondere auch © Dave Walsh – stock.adobe.com für Frauen und Kinder –, Menschenrechtsarbeit und den Einsatz für faire Arbeitsbedingungen. Schwerpunktländer sind Mexiko, Paraguay und Brasilien. Die Weihnachtskollekte am 24. und 25. Dezember in allen katholischen Kirchen Deutschlands ist für Adveniat und die Hilfe für die Menschen in Lateinamerika und der Karibik bestimmt. Advents-Zeit ist Adveniat-Zeit: Hier finden Sie alles zur Weihnachtsaktion aber auch für eine erfüllte Advents- und Weihnachtszeit in der Gemeinde und in der Familie. prüft alle Optionen für die Insel, ein- schließlich eines Vorschlags von Wis- Weiter Informationen unter: senschaftlern, der vorsieht, dass sich www.adveniat.de/engagieren/weihnachtsaktion/ Dänemark und Kanada die Eigentümer- schaft teilen. Alan Kessel, Rechtsexperte bei Global Affairs Canada, rechnet aber damit, dass eine vollständige Einigung noch Jahre dauern könnte – was ein wenig nach einer Arbeitsbeschaffungs- Maßnahme für Bürokraten klingt. Fazit Bei dem „Flaschenaustausch“ handelt es sich wohl nicht um eine regelmäßige Sache. Dennoch hat er tatsächlich statt- gefunden! Es gibt Quellen, die mindes- tens zwei Aktionen in der Vergangenheit belegen. So bleibt festzuhalten, dass der Fahnenklau und andere „kreative Lösun- gen“, wie auch die überlieferten Fußball- spiele an Fronten des 1. Weltkriegs, si- cher manchen Konflikt entschärfen und Friede den hoffentlich auch echte Kriege verhindern könnten ... Menschen auf Erden JV Weihnachtskollekte 2021 am 24. und 25. Dezember Kompass 12I21 + 01I22 19 03.08.2
AUSLEGEWARE Flucht nach Ägypten. Magasin Pittoresque Paris 1839 © Mannaggia – stock.adobe.com Alte Reproduktion eines Bassreliefs in Notre-Dame de Paris mit der Darstellung der Mein Vater war ein heimatloser Aramäer W enn man es auf einen Punkt brin- gen will, so ist das Alte Testament zum großen Teil Migrantenliteratur. Es langen Weg. So wandert Terach mit sei- nem Sohn Abra(ha)m und seinem Enkel Lot sowie mit seiner Schwiegertochter seinen Brüdern fast getöteter Hebräer (vgl. Gen 37,18.22 und 39,14), steigt in der Fremde nach Verleumdung und fängt schon mit der Urerfahrung an, dass Sara(i) aus Ur in Chaldäa aus, um sich jahrelanger Haft zum zweiten Mann im der Mensch aus dem Paradies vertrie- in Haran niederzulassen. Einen Migrati- Staat auf, sodass er dann sogar den ben wird, um dann als Vertriebener im onsgrund nennt die Bibel nicht (vgl. Gen sogenannten Familiennachzug seiner Schweiße seines Angesichts mühsam 11,31). Kein Gottesruf oder wirtschaftli- Sippe nach Ägypten organisieren kann seinen Lebensunterhalt zu sichern. Nach cher oder politischer Grund werden ange- (vgl. Gen 46,26–47,6). Ende gut, alles biblischer Überlieferung ist der Mensch geben. Erst viel später ergeht dann nach gut? Jede Geschichte geht bekanntlich an dieser Vertreibung selbst nicht ganz biblischer Überlieferung ein Anruf Gottes weiter und „beim happy end“ wird im unschuldig (vgl. Gen 3). Haben Vertriebe- an Abra(ha)m, mit seiner Familie Haran Leben anders als im Film eben nicht ne nun ihre Vertreibung selbst verschul- zu verlassen und sich nach Kanaan zu „jewöhnlich abjeblendt“ (frei nach Kurt det? Da es in jener biblischen Erzählung begeben. Wieder wird kein Grund hierfür Tucholsky). So heißt es dann auch gleich letztlich nicht um zwei Individuen namens genannt. Klar ist, sie kommen nicht in im ersten Kapitel des Buches Exodus, die Adam und Eva geht, sondern um eine unbesiedeltes Land. Wenig später verlas- nächste Migrationswelle kündigt sich im durchaus grundsätzliche Situation, so sen sie Kanaan wieder, um nach Ägyp- Buchtitel bereits an, dass sich die Isra- lässt sich jene Erzählung heute auch so ten weiterzuziehen; jetzt wird eine Be- eliten in Ägypten so stark vermehrten, lesen, dass der Mensch für politische, gründung dafür geliefert, und zwar einer „sodass das Land von ihnen wimmel- gesellschaftliche, wirtschaftliche und Hungersnot wegen. Sie sind sozusagen te“ (vgl. Ex 1,7). Und jetzt werden alle klimatische Gegebenheiten mit all ihren „Wirtschaftsflüchtlinge“. Dass dies alles Rechtfertigungen vorgetragen, die recht Folgen immer mit Verantwortung trägt. nicht ohne schwere Konflikte abgeht, ver- gegenwärtig klingen. Der neue König, schweigt die Bibel nicht. der keine Erinnerung mehr an Josef und Beispiele aus dem Alten Testament seine Verdienste hat, stellt publikums- Eine Migrationserzählung par excellence wirksam fest: „Das Volk der Israeliten Anscheinend machen sich Menschen ist die Geschichte von Josef und seinen ist größer und stärker als wir“ (Ex 1,8). auch von selbst immer wieder auf einen Brüdern (Gen 37–50). Josef, ein von Wenn dieses Volk sich weiter vermehrt, 20 Kompass 12I21 + 01I22
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