KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge

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KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
KOMPASS
                                             Die Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr

                                             Soldat in Welt und Kirche                   12I21 + 01I22

                                                                     Menschen in
© jasmine mellow / EyeEm – stock.adobe.com

                                                                       Bewegung
ISSN 1865-5149
KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
INHALT

Titelthema                                                                        Rubriken
Menschen in Bewegung
                                                                                  14 zum LKU: Denk-Vier-Methode
6   Eine globale Perspektive: Flucht und Migration
                                                                                  15 Film-Tipp: ALINE
8   Migration menschenwürdig gestalten
                                                                                  16 Kolumne der Wehrbeauftragten
9   Nachgefragt bei Hauptfeldwebel Lydia Foken
                                                                                  20 Auslegeware:
10 Interview mit Dominik Wullers, Deutscher.Soldat e. V.                             Mein Vater war ein heimatloser Aramäer

                                                                                  22 Auf ein Wort: Weihnachten im Einsatz

Aus der Militärseelsorge                                                          26 Buch-Tipp: Trotzdem!

4   Weihnachtsgruß des Katholischen Militärbischofs                               26 VORSCHAU: Unser Titelthema im Februar 2022

23 Die Bundeswehr im Einsatz                                                      27 Rätsel

24 Grüße zum Advent und Wünsche für das Jahr 2022

                                                                                                                                    23
Glaube, Kirche, Leben

18 Der harmloseste „Krieg“ der Welt

19 Adveniat Weihnachtsaktion

25 Mache dich auf! (mit Kerzenhülle)

25 Weihnachtsmann-freie Zone

Titelbild: © jasmine mellow / EyeEm – stock.adobe.com I Die Menschen auf den Seiten 2, 8, 9, 11, 12 und 13 © Feodora – stock.adobe.com

Impressum                                        Herausgeber                                      Hinweis
KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche               Der Katholische Militärbischof                   Die mit Namen oder Initialen gekennzeich-
ISSN 1865-5149                                   für die Deutsche Bundeswehr                      neten Beiträge geben nicht unbedingt die
                                                                                                  Meinung des Herausgebers wieder. Für das
Redaktionsanschrift                              Druck                                            unverlangte Einsenden von Manuskripten und
KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche               ARNOLD group                                     Bildern kann keine Gewähr und für Verweise
Am Weidendamm 2                                  Am Wall 15 in 14979 Großbeeren                   in das Internet keine Haftung übernommen
10117 Berlin                                                                                      werden. Bei allen Verlosungen und Preisaus-
                                                                                                  schreiben in KOMPASS. Soldat in Welt und
Telefon: +49 (0)30 20617-421                                                                      Kirche ist der Rechtsweg ausgeschlossen.
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        soldatenseelsorge.de                                                                      Internet
                                                                                                  www.katholische-militaerseelsorge.de
Chefredakteurin Friederike Frücht (FF)
Redakteur Jörg Volpers (JV)                                                                       Social Media
Bildredakteurin, Layout Doreen Bierdel
Lektorat Schwester Irenäa Bauer OSF
                                                 Leserbriefe
                                                 Bei Veröffentlichung von Leserbriefen behält
                                                 sich die Redaktion das Recht auf Kürzung vor.

2                             Kompass 12I21 + 01I22
KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser,
wir Menschen leben zusammen, weil wir soziale Wesen
sind. Meistens funktioniert das ohne nachzudenken,
es ist „normal“. Genauso normal ist es, wenn wir
verreisen, zur Arbeit pendeln, Urlaub machen, eine
Forschungsexkursion unternehmen. Wir sind unter-
wegs, übrigens auch geistig. Wir nehmen ständig neue
Eindrücke auf, gewollt oder gezwungen. Diese Formen
der Mobilität sind uns vertraut. Im Gegensatz dazu
verunsichern uns Faktoren, die wir nicht bestimmen
können.

Flüchtlingsbewegungen, andere Hautfarben, Meinun-
gen und anderes Verhalten sind solche Kräfte. Alles
das kann ich als Migration bezeichnen: Menschen,
die sich aus unterschiedlichen Gründen von ihrem
bisherigen Platz aus in Bewegung setzen. Neben vielen
anderen Faktoren bestimmen politische, klimatische,
wirtschaftliche Faktoren diese Migrationen. Zudem gibt
es Push- und Pull-Kräfte: Personen müssen sich verän-
dern oder sie wollen sich verändern. Alles hat einen
Grund und es bedarf der Sicht auf Zusammenhänge,
um mit diesen Phänomenen umzugehen.

Irgendwo ist immer jemand unterwegs und je nach-
dem, wo das ist, welche Verhältnisse sie umgeben
oder worauf sie treffen, immer verändert sich etwas.
Das zu akzeptieren, damit umzugehen, ist vielleicht
die Aufgabe, die wir haben, wenn wir migrieren, immi-

                                                                                                                  © KS / Doreen Bierdel
grieren, emigrieren. Es sollte uns als Menschen eine
Aufgabe sein, aufeinander aufzupassen, aufeinander
zuzugehen und das Verbindende zu suchen. Migration
ist nicht nur ein Begriff – es sind immer die Menschen.
Ich wünsche uns allen eine bewegende Advents- und                  „Steh auf, nimm
                                                                    „Steh auf, nimm das Kind
                                                                   das Kind und seine
Weihnachtszeit und einen erfolgreichen Start in das
neue Jahr. Bleiben Sie behütet.
                                                                    und seine Mutter, und
                                                                   Mutter,    und flieh
                                                                    flieh nach Ägypten ...“
                                                                   nach Ägypten ...“
                                      Norbert Stäblein,                            Matthäus-Evangelium 2,13
        Referatsleiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

                                                                    Kompass 12I21 + 01I22                     3
KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
WEIHNACHTSGRUSS DES KATHOLISCHEN MILITÄRBISCHOFS

Liebe Soldatinnen und Soldaten,
liebe Angehörige der Bundeswehr,

wenn diese Kompass-Ausgabe bei Ihnen ist, können Sie                  So dürfen wir in der Gewissheit Weihnachten feiern, dass
auf ein ereignisreiches und bewegendes Jahr zurück-                   diese unbedingte Zusage für alle Menschen gilt. Sie bil-
schauen, das noch stark durch die Pandemie bestimmt                   det für Christinnen und Christen das Fundament ihres
war, insbesondere für Sie aber auch stets mit dem Ende                Glaubens. Darauf bauen Werte auf, für die Soldatinnen
des Afghanistan-Einsatzes und den schrecklichen Bildern               und Soldaten immer wieder einstehen: Gemeinschaft,
aus Kabul verbunden sein wird. Vor diesem Hintergrund                 Solidarität, Gerechtigkeit und der Einsatz für die Schwa-
blicken Sie vielleicht erwartungsvoll auf die kommenden               chen und Hilfsbedürftigen. Ob im Auslandseinsatz, bei der
Monate, verbunden mit der Hoffnung, endlich in einen                  Bekämpfung der Corona-Pandemie oder im Rahmen der
neuen soldatischen Alltag hineinfinden zu können, der                 Bewältigung der Hochwasser-Katastrophe im Juli dieses
wieder etwas mehr Normalität verspricht.                                               Jahres – Soldatinnen und Soldaten leis-
                                                                                       teten ihren Dienst in Krisenregionen und
Dennoch spüren wir in dieser Zeit im                                                   Notsituationen, packten vor Ort tatkräftig
Advent 2021, dass diese bescheidene                                                    mit an, halfen dort, wo es verantwortet
Zukunftsperspektive, dieser Wunsch                                                     möglich war und retteten so viele Men-
nach vormals gewohnter Normalität und                                                  schenleben.
Alltäglichkeit, auch für die kommenden
Monate in Frage steht, da die Pandemie                                                 Immer dann, wenn Erfahrungen von Leid

                                                                                                                                    © KS / Doreen Bierdel
noch nicht vorbei ist. Mit dieser Situati-                                             und Tod dieses Eintreten für andere zu
on menschlich und verantwortungsvoll                                                   überschatten drohen, ist die Stärke
umzugehen, ist kräftezehrend und stellt                                                der Gemeinschaft gefragt. Kameraden
eine Herausforderung dar, die uns die                                                  trösten Kameraden, Seelsorger bieten
Weihnachtserzählung ganz anders – aber                                                 Räume, um Trauer Ausdruck verleihen
vielleicht innerlich viel vertrauter und be-                                           zu können und machen Angebote, um
rührender – erleben lässt. Ihr Ort ist die                                             seelisch zu Kräften zu kommen. So kann
Armseligkeit eines einfachen Stalls da-                                                Hoffnung und neuer Mut entstehen, ge-
maliger Zeit, in dem Maria und Josef ei-           + Dr. Franz-Josef Overbeck          meinsam weiterzumachen. Dann spen-
ner ungewissen Zukunft entgegensehen.                  Bischof von Essen               det Kameradschaft Kraft, die auch hilft,
Wenn etwas diese Szenerie nicht prägt,             Katholischer Militärbischof         den Alltag zu bewältigen, der mit Blick
dann ist es Sicherheit. Die kleine Familie       für die Deutsche Bundeswehr           auf die kommenden Monate so unklar
ist vielmehr außerordentlich verwundbar.                                               vor uns liegt.

An der Schwelle zum dritten Jahr der Corona-Pandemie ist          Als Soldatinnen und Soldaten treten Sie, stets ihrem Gewis-
dieses Motiv hochaktuell. Viele von Ihnen haben erfahren, was     sen verpflichtet, ganz praktisch für die Würde der Menschen
es bedeutet, wenn Menschen mit einer vergleichbaren Lebens-       ein. Deshalb war auch der Große Zapfenstreich im Oktober
situation konfrontiert sind – zwar in einem übertragenden Sinn,   dieses Jahres ein gutes und richtiges Zeichen, die Soldaten
aber genauso hilflos und verletzlich. Alte Gewissheiten, die      und Soldatinnen des Afghanistaneinsatzes und der Evakuie-
lange Zeit verlässlich Orientierung boten, geraten ins Wanken     rungsoperation zu würdigen. Dabei ist es bedeutend, auch
oder sind plötzlich sogar null und nichtig; vieles von dem, was   alle einzubeziehen, die diesen Einsatz möglich machten: Die
als selbstverständlich betrachtet wurde, wird hinterfragt oder    Angehörigen, Freunde, aber auch die vielen, die logistisch
gilt nicht mehr. In so einer Situation des Gefährdetseins wird    und kommunikativ Unterstützung geleistet haben. Mit ihren
Gott Mensch und kommt als Kind zur Welt, das ganz und gar         unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen bildeten sie eine
auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Das ist die Bedeutung       Gemeinschaft und standen füreinander ein.
von Weihnachten: Gott trotzt der Machtlogik dieser Welt, denn
er erklärt den Menschen – jeden einzelnen – in diesem einen       Der Dienst, mitsamt aller Belastungen für die Soldaten und
Kind in der Krippe für einmalig.                                  ihre Angehörigen, geht auch im nächsten Jahr weiter. Dabei

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KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
WEIHNACHTSGRUSS DES
                                                                                                                  TITELTHEMA
                                                                                                                    KATHOLISCHEN MILITÄRBISCHOFS

                                                                      dürfen Sie stets auf die Zusage Gottes vertrauen, der
                                                                      für uns Mensch geworden ist. So ist Weihnachten auch
                                                                                                                                                „Immer dann,
                                                                      ein starkes Zeichen der Hoffnung, das helfen kann, die
                                                                      kommenden Aufgaben zu bestehen – in Gemeinschaft            wenn Erfahrungen von Leid
                                                                      und mit einem klaren moralischen Kompass, der gerade
                                                                      in schwierigen Lebenslagen Orientierung gibt. Ob im ver-      und Tod dieses Eintreten
                                                                      bindenden Gebet, bei vertrauensvollen Gesprächen oder
                                                                      in der stärkenden Begleitung: Die Seelsorger und Seel-
                                                                      sorgerinnen vor Ort werden Ihnen dabei zur Seite stehen.
                                                                                                                                  für andere zu überschatten
                                                                      In der Gemeinschaft der Soldaten und der Gemeinschaft         drohen, ist die Stärke der
                                                                      der Christen stärken wir uns gegenseitig, wie es die Men-
                                                                      schen an der Krippe getan haben. Weihnachten kann uns            Gemeinschaft gefragt.“
                                                                      helfen, hoffend, voller Vertrauen und mit neuem Mut die
                                                                      Herausforderungen der kommenden Zeit zu akzeptieren
                                                                      und zusammen zu bewältigen.

                                                                      Ich wünsche Ihnen, Ihren Angehörigen und allen, die
                                                                      Ihnen nahestehen, eine gesegnete Advents- und Weih-
                                                                      nachtszeit und ein segensreiches Neues Jahr 2022!
Motiv: KS / Doreen Bierdel / Hintergrund: tomertu – stock.adobe.com

                                                                                                                                      Kompass 12I21 + 01I22      5
KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

Eine globale Perspektive
Flucht und Migration
von Katharina Lumpp,
Vertreterin des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) in Deutschland

M     igration hat es immer gegeben. Seit es Menschen gibt,
      gibt es auch Menschen, die weiterziehen, oft in der Hoff-
nung, dass es anderswo besser ist. Das geschieht auch aus
                                                                  An die Stelle des Schutzes der Men-
                                                                  schenrechte durch das Heimatland tritt
                                                                  der internationale Schutz als Flüchtling
Not, aber letztlich ist es eine Entscheidung, zu gehen. Und sie   durch den Staat, an dessen Grenze oder auf
beinhaltet auch die Entscheidung und vor allem die Möglich-       dessen Territorium sich der Flüchtling befindet.
keit, wieder zurückkehren zu können.
                                                                  Die Genfer Flüchtlingskonvention, die anfänglich vor
              Migration ist nicht immer Flucht                    allem mit Blick auf noch ungelöste Situationen nach
                                                                  dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, ist mittlerweile
Es hat aber auch immer Flüchtlinge gegeben. Menschen, die         prägend für den Flüchtlingsschutz weltweit. Als völkerrecht-
nicht einfach aufgebrochen sind, sondern zur Flucht gezwungen     licher Vertrag ist sie Maßstab für Flüchtlingsrecht und -praxis
wurden. Die ihre Heimat verlassen mussten, weil sie sonst         auf nationaler Ebene und hat regionales Recht geprägt, so
verfolgt oder schweren Menschenrechtsverletzungen ausge-          auch in der Europäischen Union, in Afrika und Lateinamerika.
setzt gewesen wären. Und für die keine sichere Möglichkeit        Dort ist sie Grundlage für regionale Instrumente, in denen sie
besteht, zurückzukehren. Für diese Menschen wurden vor sie-       um den Schutz von Menschen ergänzt wurde, die vor willkür-
ben Jahrzehnten das Amt des „Hohen Flüchtlingskommissars          licher Gewalt und Konflikten fliehen.
der Vereinten Nationen“ (UNHCR) geschaffen und die Gen-
fer Flüchtlingskonvention, als Grundlage des internationalen      Mittlerweile haben 149 Staaten entweder die Genfer Flücht-
Flüchtlingsschutzes, verabschiedet.                               lingskonvention oder ihr Protokoll oder beide ratifiziert. Das
                                                                  sind 77 % der Mitgliedstaaten der Generalversammlung der
Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert, wer Flüchtling ist,   Vereinten Nationen. Und die Konvention ist Grundlage für den
wie die Rechtsstellung von Flüchtlingen ausgestaltet sein und     Schutz einer in den letzten Jahren stetig gewachsenen Zahl
wie die entsprechende Konvention umgesetzt werden soll:           von Menschen.

                                                                               Flucht ist unfreiwilliger als Migration

                                                                  Wir leben in Zeiten beispielloser Mobilität. Weltweit gibt es
 Ein Flüchtling ist demnach ein Mensch,                           geschätzt 250 Millionen Menschen, die in einem anderen Land
der sich aus einer wohlbegründeten Furcht                         leben, als dem, aus dem sie kommen. Für die meisten ist die
                                                                  Migrationserfahrung freiwillig – für viele von uns als Teil unseres
  vor Verfolgung aufgrund seiner Rasse,                           beruflichen Werdegangs. Sie ist sicher und bereichernd. Für
     Religion, Nationalität, politischen                          zunehmend mehr Menschen ist dies allerdings nicht der Fall.
  Anschauung oder der Zugehörigkeit zu                            In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Menschen,
 einer sozialen Gruppe außerhalb seines                           die vor Verfolgung, schweren Menschenrechtsverletzungen
                                                                  und Konflikten zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sind,
  Heimatlandes befindet und aus diesen                            stetig gestiegen. Mittlerweile betrifft dies mehr als 82 Millionen
    Gründen nicht auf den Schutz des                              Menschen. Das entspricht der Bevölkerungszahl von Deutsch-
                                                                  land. Und über 1 % der Weltbevölkerung. Mit anderen Worten
     Herkunftslandes vertrauen kann.                              wird mehr als jeder hundertste Mensch mit Gewalt und gegen
                                                                  seinen Willen vertrieben, davon über 26 Millionen Menschen,
                                                                  die auf der Suche nach Schutz gezwungen sind, über interna-
                                                                  tionale Grenzen zu fliehen: Flüchtlinge.

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KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

                                                                                                                                            © Feodora – stock.adobe.com
                                                                       Das sind die fünf
                                                                       größten Aufnahmeländer
                                                                       von Flüchtlingen
Und die Herkunftsländer sagen etwas aus zu den Gründen,
aus denen Flüchtlinge ihr Heimatland verlassen mussten: Die
meisten weltweit (68 %) kommen aus nur fünf Ländern, allen
voran aus Syrien, Venezuela, Afghanistan, aus dem Südsudan             3,7 Millionen
und aus Myanmar.                                                       Türkei

Globale Trends von Flucht und Vertreibung der letzten Jahre
zeigen neben stetig wachsenden Zahlen von Flüchtlingen ins-
besondere auch, dass 86 % der Flüchtlinge in Ländern mit               1,7 Millionen
niedrigem oder mittleren Einkommen Schutz finden und nur               Kolumbien
zehn Länder, darunter Deutschland als einziges westliches
Industrieland, knapp zwei Drittel (66 %) der Flüchtlinge weltweit
beherbergen.
                       Was ist zu tun?                                 1,5 Millionen
                                                                       Pakistan                 Insgesamt gab es in Deutsch-
Es überrascht daher nicht, dass internationale Solidarität und                                  land am 30. Juni 2021 genau
eine bessere und verlässlichere internationale Zusammen-                                        1.235.160 Flüchtlinge. Damit
arbeit und Verantwortungsteilung zentral für die Bewältigung                                    sank die Zahl der Zugänge nach
der Herausforderungen geworden sind, auch für die Bereit-              1,4 Millionen            Deutschland im vierten Jahr in
schaft zum fortgesetzten Engagement für Flüchtlinge im                 Uganda                   Folge deutlich.
eigenen Land.
                                                                                                Mit 102.600 neuen Asylanträgen
Größere internationale Solidarität und gemeinsames Handeln                                      verzeichnete die Bundesrepublik
sind die Herausforderungen im Flüchtlingsschutz, ebenso wie            1,2 Millionen            Ende 2020 die seit Jahren ge-
in der Pandemie und im Klimaschutz. „Grenzüberschreitenden“            Deutschland              ringste Zahl.
Herausforderungen kann effektiv nur gemeinsam begegnet
werden.                                                                Quelle: UNHCR-Bericht „Global Trends- Forced Displacement in 2020“
                                                         >>

                                                                            Kompass 12I21 + 01I22                                           7
KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

                     >>
>>                  Deutschland hat in diesem Sinne in den
                   vergangenen Jahren zunehmend globale
                 Verantwortung im Flüchtlingsschutz übernom-
               men. Als zweitgrößter humanitärer Geber und
            als großes Aufnahmeland von Flüchtlingen genießt
         Deutschland internationale Glaubwürdigkeit, ein Ge-
      wicht, das es in Anbetracht der globalen Entwicklungen
     weiter zu nutzen gilt.

Die steigende Zahl von Menschen in Not und unvorhersehbare
Krisen – wie die Corona-Pandemie – verdeutlichen, wie not-
wendig die verlässliche und flexible Finanzierung humanitärer
Organisationen, darunter auch UNHCR, ist und bleibt.

       Das sind die fünf größten Geber des UNHCR

       1.973 Millionen US-Dollar
       USA

       522,1 Millionen US-Dollar
       Europäische Union
                                                                                  M     it dem Dokument „Migration menschenwürdig gestal-
                                                                                        ten“ legen die Deutsche Bischofskonferenz und der
                                                                                  Rat der EKD – in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft
       446,9 Millionen US-Dollar                                                  Christlicher Kirchen in Deutschland – ein neues Migrations-
       Deutschland                                                                wort vor. Dieses steht in der Nachfolge des 1997 erschiene-
                                                                                  nen Wortes „… und der Fremdling, der in deinen Toren ist“,
                                                                                  das über viele Jahre als zentraler kirchlicher Referenztext
       134,7 Millionen US-Dollar                                                  für Fragen von Migration und Flucht galt.
       United Kingdom
                                                                                  Ausgangspunkt des Dokuments ist eine Analyse relevan-
                                                                                  ter Entwicklungen im Migrationsdiskurs der letzten beiden
       126,3 Millionen US-Dollar                                                  Jahrzehnte. In einem nächsten Schritt werden spezifisch
       Japan                                                                      kirchliche Prägungen durch Migration sowie ekklesiologische
             Quelle: UNHCR-Bericht „Global Trends- Forced Displacement in 2020“   und pastorale Grundmuster herausgearbeitet. Auf die Ent-
                                                                                  faltung einer biblisch-theologischen Lerngeschichte folgt die
Die Hilfe für Flüchtlinge und Aufnahmeländer muss allerdings                      Reflexion über Grundlagen einer christlichen Migrationsethik
über die Linderung akuter Not hinausgehen. Es bedarf der                          und ihre praktischen Konsequenzen. Daran anschließend
sinnvollen Verzahnung von humanitärer Hilfe und längerfristiger                   werden mehrere politisch-rechtliche Fragenkomplexe be-
Entwicklungszusammenarbeit, damit neben der Unterstützung                         leuchtet, etwa die Bedeutung von Menschenrechten im
von Flüchtlingen durch humanitäre Hilfe in Gesundheits- und                       Migrationskontext, die Dimension der globalen Zusammen-
Bildungssysteme und lokale Infrastruktur investiert werden                        arbeit, Migrations- und Asylpolitik als gemeinsame euro-
kann. Davon können sowohl die Bevölkerung vor Ort als auch                        päische Politikfelder sowie Fragen der Integration und der
Flüchtlinge profitieren. Der Druck auf Aufnahmeländer und                         Staatsbürgerschaft. In einem abschließenden Teil werden
-gesellschaften wird gemindert, Flüchtlingen eine wirkliche Per-                  Thesen für das kirchliche Handeln in der Migrationsgesell-
spektive eröffnet, ihr Leben im Aufnahmeland in die eigene                        schaft formuliert.
Hand zu nehmen und der soziale Zusammenhalt zwischen
Flüchtlingen und „Einheimischen“ gestärkt.                                        „Migration menschenwürdig gestalten“ will dazu beitragen,
                                                                                  dass angemessene Antworten auf die Anliegen von Migran-
Auch im politischen Diskurs und Handeln nach innen ist es                         ten und Schutzsuchenden gefunden werden. Dabei wird
wichtig, solidarisch zu bleiben. Dazu gehört, das Verständnis                     Migration als vielschichtige Gestaltungsaufgabe begriffen.
für die Not und Beweggründe von Flüchtlingen weiter zu stärken                    Entsprechend richtet sich das Wort an einen weiten Kreis:
sowie Erfolge und Errungenschaften statt der Probleme in den                      an Haupt- und Ehrenamtliche in der kirchlichen Seelsorge
Mittelpunkt zu stellen. Viele Flüchtlinge haben in Deutsch-                       und in der karitativen Arbeit, an Verantwortungsträger in
land Schutz gefunden, getragen von breitem gesamtgesell-                          Verwaltung und Politik, aber auch an alle Gläubigen und
schaftlichem Engagement. Und das verdient, stärker betont zu                      Bürger, die mit Migrationsfragen in Berührung kommen.
werden.

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KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

Nachgefragt                                                     „Es ist doch egal, in welchem Land
Wir haben zum Titelthema nachgefragt bei
Hauptfeldwebel Lydia Foken.                                   jemand geboren oder aufgewachsen
Kompass: Erleben Sie Diskriminierung durch Kamera-               ist. Ebenso ist die Nationalität und
dinnen oder Kameraden?
Hauptfeldwebel Lydia Foken: Mir wurde von einem                      sexuelle Orientierung unwichtig.
Kameraden berichtet, dass er aufgrund seiner Herkunft
gemobbt wurde. Für mich unverständlich. Er war noch               Wir sollten nicht danach urteilen.“
sehr klein, als er nach Deutschland kam, spricht per-
fekt Deutsch, aber dennoch wurde er aufgrund seines
Aussehens nicht wirklich bei den Kameraden aufge-
nommen.
Es ist sehr schade und traurig. Das ist aber auch der
einzige Fall, der mir bekannt ist. Ansonsten habe ich
im Kameradenkreis keine Diskriminierung erlebt.

Kompass: Wie gehen Sie damit um?
In diesem Fall habe ich erst einmal zugehört und dann
versucht, den Kameraden aufzubauen. Ich habe ihm
nahegelegt, zum Disziplinarvorgesetzten, Kompanie-
feldwebel oder zur Vertrauensperson zu gehen. Im
Notfall zum Sozialdienst, sollte sich die Situation ver-
schlimmern. Die Telefonnummer vom zuständigen
Bearbeiter beim Sozialdienst habe ich für ihn raus-
gesucht.
Ich kann grundsätzlich so ein Handeln nicht nachvoll-
ziehen. Es ist doch egal, in welchem Land jemand
geboren oder aufgewachsen ist. Ebenso ist die Natio-
nalität und sexuelle Orientierung unwichtig. Wir sollten
nicht danach urteilen.

Kompass: Was muss in der Bundeswehr geändert
werden?
Ich würde Tauschprojekte mit anderen Nationen bevor-
zugen. In meinem ehemaligen Verband habe ich solche
Projekte teilweise mitbekommen. Offiziere aus Frank-
reich waren für mehrere Monate für schulische Zwecke
in Deutschland eingesetzt. Was spricht dagegen, diese
Tauschprojekte „wochenweise“ auch für Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr in den Laufbahngrup-
                                                                                                           © durch copyright geschützt

pen Unteroffiziere und Mannschaften anzubieten? Ich
kann mir sehr gut vorstellen, dass das Interesse in der
Truppe sowie den Kommandobehörden groß ist. Ein
anderer Vorschlag wäre es, im Rahmen der politischen                                       WEBTIPP:
Bildung das Thema Migration mehr einzubauen.
                                                                                        Lesen Sie das
                    Die Fragen stellte Barbara Dreiling.
                                                                                     komplette Interview
                                                                                     mit Hauptfeldwebel
                                                                                         Lydia Foken:
                                                                                      milseel.de/heimat

                                                                        Kompass 12I21 + 01I22              9
KOMPASS - Menschen in Bewegung - 12I21 + 01I22 - Katholische Militärseelsorge
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                                                                                                                                    © Bundeswehr
                                  Wir sind deutsch. Punkt.
                       Wir leisten unseren Dienst für dieses Land.
                       Wir lassen uns im Zweifel sogar erschießen
                                     für dieses Land.

                           Interview mit Dominik Wullers, ehemaliger Zeitsoldat,
                Leiter der Informationsarbeit der Wehrtechnischen Dienststelle in Meppen

Kompass: Herr Wullers, können Sie bitte kurz etwas zu Ihrer       Kompass: Wie war dann Ihr weiterer Weg?
Person sagen?                                                     Dominik Wullers: Ich bin zur Operativen Information gegan-
Dominik Wullers: Ich bin 1984 im Münsterland geboren und          gen, habe da meine Ausbildung zum Offizier gemacht und bin
Sohn einer Deutschen und eines Cabo-Verdianers, von einer         2007 an die Bundeswehruniversität in Hamburg gewechselt.
kleinen Inselgruppe westlich vom Senegal.                         Während meines Studiums der Volkswirtschaftslehre durfte ich
                                                                  zwei Auslandssemester machen. Als ich von meinem zweiten
Kompass: Das sind die Kap Verden, oder?                           Auslandssemester zurückkam, sprach mich mein Vorgesetzter
Dominik Wullers: Ja, Cabo Verde ist mittlerweile die offizielle   an, der selbst einen Migrationshintergrund hatte – seine Eltern
Bezeichnung, von Teneriffa aus in Richtung Süden. Ich bin im      kommen beide aus Afrika – und fragte mich, ob ich auch einen
Münsterland aufgewachsen, habe 2003 mein Abitur gemacht           Migrationshintergrund hätte. Soeben sei ein Buch von Thilo
und bin dann zum Wehrdienst beim Heer eingezogen worden.          Sarrazin erschienen, in dem ganz krude Theorien stünden,
Auf den Rat eines Offiziers hin habe ich mich beworben und        da müsse man ein Zeichen dagegensetzen. Die Realität von
bin 2004 Offiziersanwärter geworden.                              Integration sei doch auch unsere Realität, eben dass auch

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                                                                   „Schaut mal, in der Bundeswehr
                                                                           funktioniert das – warum
                                                                    funktioniert es bei euch nicht?“

Menschen mit Migrationshintergrund in den Streitkräften die-      In dem Moment, als wir in diesen Seminarraum reinkamen
nen, und dass Migration und Integration nicht nur Probleme        und ich plötzlich die Realität von deutschen Soldaten in allen
sind und belasten, sondern die große Masse eigentlich die         Facetten sah, wurde mir das klar. Ja, und dann haben wir uns
Gesellschaft bereichern, wie zum Beispiel in der Bundeswehr.      relativ schnell entschlossen, einen Verein zu gründen, um
                                                                  eben genau aus diesem Blickwinkel auf die gesellschaftliche
Kompass: Das war der Auslöser für Ihr weiteres Engagement?        Debatte einzuwirken. Es ging nie darum, eine Interessenvertre-
Dominik Wullers: Genau. Ich selbst hatte mich, muss ich wirk-     tung zu sein für Soldaten mit Migrationshintergrund, sondern
lich sagen, vorher nicht so sehr mit meiner Herkunft auseinan-    sozusagen die positiven Erfahrungen, die wir in der Bundes-
dergesetzt, einfach weil es ein unangenehmes Thema ist und        wehr gemacht hatten, und unsere Lebensrealität der breiteren
weil ich tatsächlich auch häufiger negativ darauf angesprochen    Gesellschaft mitzuteilen. Eher nach dem Motto: Schaut mal,
wurde. Ich bin pflichtschuldig zu dem Termin hingegangen,         in der Bundeswehr funktioniert das – warum funktioniert es
den er anberaumt hatte. Und dann waren wir rund sechzig           bei euch nicht?
Offizieranwärter und Offiziere mit Migrationshintergrund allei-
ne an der Uni, die er in kürzester Zeit zusammengetrommelt        Lange war und ist es auch eigentlich noch unser Motto: In Uni-
hatte. Das war 2010 und das hat mich beeindruckt. Mir war         form fühlen wir uns wohler als ohne. Denn in den Streitkräften,
das vorher nicht so klar gewesen, was für eine Vielfalt in der    wie der Begriff Uniform schon sagt, ist man gleichgestellt. Es
Bundeswehr und insbesondere an der Uni schon herrschte            ist völlig egal, wie man aussieht, wo man herkommt, an was
und welchen unglaublichen Integrationsmotor die Bundeswehr        oder wen man glaubt. Was letztendlich zählt, ist der Mensch.
darstellt. Was eigentlich gar nicht so überraschend ist, wenn     Was zählt, ist ganz pragmatisch, wer in die gleiche Richtung
man in andere Streitkräfte sieht. Eigentlich überall dienen die   schießt. Und das habe ich vor allen Dingen im Einsatz erlebt,
Streitkräfte nicht nur als Möglichkeit des sozialen Aufstiegs,    aber auch in der Ausbildung. Wenn man gemeinsam nachts
sondern auch zur Integration.                                     durch den Schlamm gleitet und dann vom Feldwebel ange-
                                                                  schrien wird, dann ist es völlig gleichgültig, wo der andere
                                                                  herkommt, was für eine sexuelle Orientierung er hat oder was
                                                                  auch immer, all diese Merkmale, mit denen wir uns im Moment
                                                                  sehr beschäftigen. Das ist alles völlig irrelevant, denn das
                                                                  Einzige, was zählt, ist: Es ist ein Kamerad. Das war tatsächlich
                                                                  unsere Erfahrung, und das wollten wir ein bisschen vermitteln
                                                                  mit „Deutscher.Soldat e. V.“
                                                                                                                                >>

  Die Vision des Vereins Deutscher.Soldat e. V. ist ein
  Deutschland des Miteinanders, in dem gemeinsame
  Werte schwerer wiegen als sichtbare Unterschiede.
  Eine Nation, in der derjenige als Deutscher gilt, der
  sich als solcher fühlt und wahrgenommen werden will.
  Dabei streben die Mitglieder nach einer Gesellschaft,
  in der die Leistungsbereitschaft einen höheren Stel-
  lenwert hat als die Abstammung.

  Mit Nariman Hammouti, Vorstandsvorsitzende und zur-
  zeit S2-Offizier im Marinefliegerstützpunkt Nordholz,
  streben die Mitglieder das Brechen alter Denkmuster
  an und erhielten dafür bereits 2015 den Hauptstadt-
  preis für Integration und Toleranz verliehen.

                                                                             Kompass 12I21 + 01I22                            11
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Kompass: Das klingt jetzt erst einmal recht positiv.                  darüber hinaus auch einen gesellschaftspolitischen Anspruch
Dominik Wullers: Aber Vielfalt ist nicht per se schon gut, son-       formulieren und sagen: Die Bundeswehr soll der Spiegel der
dern sie ist erst mal nur ein Zustand. Und: Vielfalt kann auch zu     Gesellschaft sein, dann muss sie das tun. Dann kann sie nicht
Dissens führen. Man stelle sich zum Beispiel deutsch-türkische        ignorieren, dass die Gesellschaft nicht mehr so aussieht wie
und deutsch-kurdische Soldaten vor oder deutsch-palästinensi-         1980, sondern dann muss sie natürlich darauf eingehen, dass
sche und deutsch-jüdische Soldaten. Also das kann durchaus            ein Viertel in der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat.
Sprengstoff bergen. Das heißt, man kann Vielfalt nicht einfach
wuchern lassen, wenn man möchte, dass sie vorteilhaft ist.            Bei den Kindern sprechen wir von über einem Drittel, die einen
Aber sie kann auch militärisch ein Vorteil sein.                      Migrationshintergrund haben. Und die Bundeswehr soll wieder
                                                                      wachsen. Nun, dann muss sich die Bundeswehr die Frage
Das hat mit dazu geführt, dass das Verteidigungsministerium           stellen: Wo sollen denn die Rekruten herkommen? Will man
dann ein Diversity Management eingeführt bzw. darüber nach-           denn wirklich nur in rein weißen Orten rekrutieren? Soll so die
zudenken angefangen hat. Dass eine Stabsstelle eingerichtet           Bundeswehr der Zukunft aussehen?
wurde, die bis dahin nur für das Thema Gleichstellung von
Frauen zuständig war und die den Blick dann ein bisschen ge-          Kompass: Wie hat sich dies entwickelt?
weitet hat. Gemeinsam mit Staatssekretärin Suder haben wir            Dominik Wullers: Der Gedanke war damals, dass es viele
in das Weißbuch 2016 entsprechende Absätze eingebracht,               „neue Deutsche“ gibt, wie wir uns genannt haben. Also Men-
damit es einen strategischen Hintergrund gibt für das Thema.          schen, die hier geboren, die hier sozialisiert sind, die aber
Und mit ihr gemeinsam hatten wir dann auch auf der Münch-             trotzdem in der Debatte in der Regel auf ihre Herkunft oder die
ner Sicherheitskonferenz ein offizielles Event mit dem kanadi-        Herkunft der Eltern reduziert wurden. Das Beispiel war immer
schen Verteidigungsminister. Wenn wir uns die Demographie             die Frage nach dem: Woher kommst du? Und wenn man dann
und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland anschauen,           sagt: Ich komme aus dem Münsterland, dann die penetrante
dann sind wir jetzt vielfältig, ob wir es wollen oder nicht. Punkt.   Nachfrage: Aber woher denn wirklich? Worauf man hinaus
Und wenn die Bundeswehr zukünftig auch in der Lage sein               wollte, war sozusagen, dass es offensichtlich eine Dissonanz
soll, Deutschland zu verteidigen, dann muss sie, um das not-          gibt zwischen der Tatsache, dass ich mich als deutsch identi-
wendige Personal zu rekrutieren, darauf Rücksicht nehmen.             fiziere, und der Erwartung des Gegenübers, wie denn deutsch
Und das ist jetzt nur rein pragmatisch gesprochen. Wenn wir           auszusehen hat.

                                                                                                                                        © KS / Doreen Bierdel

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                                                     „Wir brauchen in jedem Fall eine Art von
                                               gesundem Patriotismus, der Vielfalt bejaht,
                                                                   der sich nicht auf Herkunft
Nein, wir sind deutsch. Punkt. Und wir leisten unseren Dienst
für dieses Land. Wir lassen uns im Zweifel sogar erschießen für  bezieht, sondern tatsächlich
dieses Land. Und das muss dann doch letztendlich ein Punkt
sein in der Integrationsdebatte, wo man es geschafft haben      auf gemeinsame Werte, einen
sollte, akzeptiert zu werden als Deutscher. Und weil das nicht
die Realität war, haben wir sozusagen aktiv dieses Adjektiv     wertebasierten Patriotismus.“
deutsch für uns reklamiert und auch darauf bestanden. Und
in dieser Zusammensetzung mit „Deutscher.Soldat“ war das
natürlich bewusst provokativ.

Kompass: Was ist heute Ihre Funktion in der Bundeswehr?             Ein kleines Beispiel: Wenn sich im Ausland, in den USA, wie
Sie sagten mir, Sie sind kein aktiver Soldat mehr. Sondern?         ich es selbst erlebt habe, zwei Franzosen treffen, die sich
Dominik Wullers: Genau, ich bin 2016 ausgeschieden. Mei-            völlig unbekannt sind, dann gibt es ein großes Hallo. Ach, man
ne letzte Verwendung war als Sprecher für die Afghanistan-          kommt auch aus Frankreich, ja, woher denn? Spannend, toll!
Einsätze im Einsatzführungskommando. Ich bin dann in die            Kennst du Jacques, kennst du Claude? Ach, wir haben sogar
Beamtenlaufbahn gewechselt. Und nach mehreren Stationen             gemeinsame Bekannte.
und meiner Rückkehr aus Harvard habe ich etwas Heimat-
nahes gesucht: Ich bin in Meppen bei der Wehrtechnischen            Wenn sich zwei Mexikaner treffen, ist es noch extremer, eine
Dienststelle als Leiter der Informationsarbeit.                     Umarmung und Küsschen links, Küsschen rechts, fantastisch!
                                                                    Wenn man als Deutscher im Ausland hört, dass jemand ande-
Kompass: Sie haben Ende September in „Die Zeit“ ein Essay           res im Raum Deutsch spricht, dann geht man schnell woanders
veröffentlicht mit dem Titel „So stolz dürfen wir heute sein“ ...   hin. Und das ist symptomatisch für unser Selbstverständnis.
Dominik Wullers: Ja, mein aktuelles Thema ist der Patriotis-        Es gibt so eine Selbstverleugnung. Auch möglichst akzentfrei
mus, was genau in die gleiche Bresche schlägt. Tatsächlich          die Sprache des Gastlands sprechen zu können, ist ja in vie-
habe ich aus meiner Beobachtung in Deutschland, aber auch           len Fällen dadurch motiviert, dass man möglichst nicht als
aus dem Ausland festgestellt, dass dieses mangelnde Selbst-         Deutscher erkannt werden will. Und das ist für eine nationale
bewusstsein schädlich ist.                                          Psyche nicht gesund. Auch im christlichen Glauben funktioniert
                                                                    die Nächstenliebe ja nur, wenn man sich erst mal selbst liebt.

                                                                    Kompass: Richtig.
                                                                    Dominik Wullers: Und das ist meiner Meinung nach auch
                                                                    im nationalen Maßstab geboten. Wir brauchen in jedem Fall

       87,9 %                                                       so eine Art von gesundem Patriotismus, der Vielfalt bejaht,
                                                                    der sich nicht auf Herkunft bezieht, sondern tatsächlich auf
                                                                    gemeinsame Werte, einen wertebasierten Patriotismus. So
     der Personen in der                                            ein bisschen wie der amerikanische Patriotismus, der sich
     Bundeswehr haben                                               zumindest in seiner gesunden Form nicht auf Herkunft oder
      keinen Migrations-
         hintergrund.                    12,1 %                     Aussehen beschränkt, sondern darauf, dass man eben die
                                                                    amerikanische Verfassung wertschätzt. Und ich glaube nicht
                                                                    mit den vielen Flaggen und dem Feuerwerk, aber irgendeine
                                        der Personen in der         Art von positivem Selbstverständnis brauchen wir in Deutsch-
                                        Bundeswehr haben            land. Brauchen wir zur Integration, um die Vielfalt positiv für
                                         einen Migrations-          uns alle nutzbar zu machen, und brauchen wir, um diese sehr
                                            hintergrund.            zerstörerischen politischen Grabenkämpfe, die wir im Moment
                                                                    haben, zu überwinden.

                                                                                                   Die Fragen stellte Jörg Volpers.
Quelle: Statistisches Bundesamt
Bevölkerung mit Migrationshintergrund
– Ergebnisse des Mikrozensus 2020
(Erstergebnisse)

                                                                                Kompass 12I21 + 01I22                           13
ZUM LKU

          Zur Praxis moralischer Bildung: Denk-Vier-Methode

         Men·schen·bild [das] kommunikativ
                                                 Soziale Gesundheit – Teil V

        O
„Was ist der Mensch?“ Kants Frage ist                                                     auch das Wahre in der menschheitlichen
nicht nur aktuell, vielmehr ist sie auch                                                  Ordnung – also unabdingbare Vorausset-
eine Frage nach dem persönlichen wie                                                      zung für das seit alters her verheißene
auch allgemeinen Bild, das ein jeder,                                                     „Friede auf Erden“ (Lk 2,14).
das die Gesellschaft vom Menschen hat.
Keineswegs sollte die Frage aber zur Ge-                                                  Das neue Menschheits-Maß „Würde“ er-
schmacksfrage degradiert werden, viel-                                                    fordert jedoch ein zeitgemäßes „kommu-
mehr ist es eine Frage der Vernunft, denn                                                 nikatives Modell“, um unterschiedliche
die Antwort steht im direkten Zusammen-                                                   Menschen-Bilder kultur- und religions-

                                                                                                                                         © Aamon – stock.adobe.com
hang mit der (staatlichen) Ordnung in der                                                 übergreifend würdevoll zu kommunizie-
Welt. Sie ist letztlich die Schlüsselfrage                                                ren. Einen vernünftigen Beitrag liefert hier
zum Weltfrieden.                                                                          das quasi formale Meta-Menschenbild
                                                                                          der Denk-Vier-Methode, die dem neuen
Vom untrennbaren Zusammenhang zwi-                                                        Würde-Maßstab entspricht. Grundlage für
schen Menschen-Bild und Welt-Ordnung                                                      dieses methodisch erweiterte moralische
erzählt eine kleine Alltagsgeschichte: Ein                                                Denken, Urteilen und Wahrnehmen sind
Kind langweilt sich, nervt deswegen die                                                   vier formal zu unterscheidende Dimensi-
mit Homeoffice überlastete Mutter. Da                                                     onen von Person. In der reflektierenden
ihr Sohn gern Puzzle legt, nimmt sie eine     Fundament für das Menschheits-Puzzle        Zusammenschau bildet diese qualitati-
Illustrierte, schneidet aus einem prächti-    einer künftigen Friedensordnung vor-        ve Vierheit eine formal-sittliche Einheit
gen Bild des blauen Planeten lauter klei-     bereitet: „Alle Menschen sind frei und      namens „Personenwürde“: Erstens, die
ne Puzzleteile und gibt sie dem Kleinen.      gleich an Würde und Rechten geboren.“       somatisch-biologische Dimension, zwei-
„Nun hat er gut zu tun“, denkt sie. Aber                                                  tens, die psychisch-soziale Dimension,
schon nach fünf Minuten ruft der Sohn:        Diese allgemeinen Festschreibungen          drittens, die kognitiv-geistige Dimension
„Mama, bin fertig!“ Völlig überrascht         eines „Würde-Maßstabes“ waren nach          und viertens, die spirituell-seelische Di-
geht sie ins Kinderzimmer und siehe           der Menschheitskatastrophe des Krie-        mension. Sobald diese würdevolle Denk-
da, das schwierige Puzzle liegt fertig auf    ges ein formal-sittliches Würde-Update      Ordnung verstanden und systematisch
dem Spieltisch. „Wie hast du denn das         des bereits seit der Antike bekannten       geübt wird, gewährleistet sie zuverlässig
so schnell geschafft?“ „Mama, das war         Homo-Mensura-Satzes: Der Mensch ist         eine ganzheitlichere Betrachtung der Per-
ein blödes Puzzle. Da gab‘s nur bunte Tei-    das Maß aller Dinge. Diese moralische       son. Bei den aktuellen Pandemie-Maß-
le, aber auch Teile mit Fingern, einer Nase   Erweiterung bedeutet, dass nicht bloß       nahmen wäre beispielsweise mit dieser
und den Augen. Das Gesicht habe ich als       das Schöne an wertvollen Dingen Wür-        Methode ein Verständnis menschlicher
erstes zusammengelegt. Und die andere         de, sondern vor allem nun das Gute in       Gesundheit bestimmend, das alle me-
Seite, die hat dann auch gepasst!“ Die-       würdevollen Beziehungen Gerechtigkeit       dizinischen, sozialen, geistigen und
se Erfahrung zeigt: Wenn der Mensch in        einfordert. Dieses auf Personenwürde        seelischen Aspekte als Personenwürde
Ordnung kommt, dann kommt auch die            gründende Gerechtigkeits-Format ist         integriert. Mit der Denk-Vier-Methode
Welt in Ordnung!                              in einem freiheitlich demokratischen        könnten in gesellschaftlichen Verände-
                                              Rechtsstaat aber nicht nur Richtscheit      rungsprozessen auch gewaltig wirkende
So einfach ist es freilich nicht immer:       für das „Werk des Friedens“, vielmehr ist   „Menschen-Kräfte“ bewusster gemacht
Nach den bitteren Erfahrungen des Na-         die Unantastbarkeit menschlicher Würde      werden: Setzt man nämlich die in Wür-
tionalsozialismus versuchte zumindest                                                     de upgedatete Frage Kants zur Agenda
Deutschland 1949 die Schlüsselfrage                                                       „Klimaschutz“ in Bezug, dann erkennt
nach dem Menschen in eine vorstaat-                                                       jede Persönlichkeit guten Willens – nicht
liche Ordnung zu bringen: Über allem                                                      nur das Kind der Eingangserzählung –,
stand die Menschenwürde, die – un-                                                        dass eigentlich zuerst der Mensch in Ord-
antastbar – seit dem Inkrafttreten des                                                    nung kommen muss, ehe das Welt-Klima-
Grundgesetzes das staatlich geordnete                                                     Puzzle vernünftig in Ordnung gebracht
Miteinander regelt. Bereits 1948 hatte                                                    werden kann.
die Proklamation der Allgemeinen Erklä-                                                                             Franz J. Eisend,
rung der Menschenrechte das sittliche                                                           Wissenschaftlicher Referent, KMBA

14                          Kompass 12I21 + 01I22
Aline
                                                               FILM-TIPP

                                              THE VOICE OF LOVE

D   ie kleine Aline (Valérie Lemercier) singt bei einer Familienfei-
    er. Und da wird allen klar: Das Nesthäkchen der Familie hat
eine außergewöhnliche Stimme. Die letzte von 14 Kindern. Und
dann „klemmt“ sich die ganze Familie dahinter, vornweg die
Mutter – später wird sie eine Art Managerin für Aline, köstlich
wie Danielle Fichaud das spielt.

Doch vorher kommt der bekannte Musikproduzent Guy-

                                                                                                                                           © Rectangle / Gaumont
Claude Kamar (Sylvain Marcel) ins Spiel. Er hört ein Demo-
Band und weiß: Aline und ihre besondere Stimme haben Star-
Qualität. Und dann beginnt das Biopic einer Traumkarriere.

„Aline – The Voice of Love“ lief beim diesjährigen Filmfestival
in Cannes außerhalb der Konkurrenz und erlebte dort seine
Welturaufführung. Nun startet der Film kurz vor Weihnachten
auch hier in Deutschland.
                                                                       Es geht bei ALINE um diese Frau, die am Himmel der Berühmt-
Sicherlich: ALINE ist nicht der große Musikfilm wie „Bohemian          heit uneinholbar schwebt und doch den Weg eines ganz norma-
Rhapsody“ mit einem fulminanten Showdown, oder ein aus-                len Menschen geht: Groß-Werden, Erfolg, Verlust, Einsamkeit
tariertes Künstler- und Musikerinnen-Porträt wie der deutsche          und Existenzkampf. Verfolgen kann man das durch die unter-
Klassiker „Solo Sunny“ – das alles ist ALINE nicht. Aber ALINE         titelten Liedzeilen – denn die Songs sind quasi unverzichtbare
ist als eher stiller Film doch eine fulminante Musik-Show.             Kommentare im Film.

Gekonnt wird dabei der Bogen von einer Familiengeschichte              Das alles steckt in ALINE drin. Und es ist dem Verleih „Welt-
bis zum Weg eines Superstars gespannt. Lange thematisiert              kino“ zu danken, dass er eine Untertitelung vorgenommen hat,
der Film die Liebe zwischen Aline als Sängerin und dem Mu-             auch wenn das für eine spätere Fernsehausstrahlung sogar
sikproduzenten Guy-Claude: eine Liebe, die 26 Jahre Alters-            hinderlich sein könnte.
unterschied aushält. Mit beeindruckenden Bildern wird diese
Paar-Beziehung erzählt, ohne falsche Sentimentalität und ohne          Und letztlich: „Aline – The Voice of Love“ ist Entertainment auf
Peinlichkeiten. Da beweist die Regisseurin Valérie Lemercier           Höchst-Niveau. Der Kinostart am 23. Dezember verspricht nun
ein großes Einfühlungsvermögen und Mut. Ein Mut, der sich              eine Weihnachtsüberraschung der besonderen Art zu werden.
auch darin zeigt, dass sie das Drehbuch schrieb und als Haupt-                                                          Thomas Bohne,
darstellerin fungierte.                                                                      Mitglied der Katholischen Filmkommission

Gezeigt wird die Entwicklung von der 5-jährigen Aline bis zum
Star durch eine einzige Darstellerin, mit digitaler Tricktechnik.
Und es scheint fast der Weg „vom hässlichen Entlein zum
bewunderten Schwan“ zu sein. Das alles wird nicht ohne Au-
genzwinkern und Humor präsentiert, eingebettet in die Songs
von Céline Dion – deren Karriere die „Blaupause“ für ALINE ist.                                     Aline – The Voice of Love
                                                                                                    Musikfilm, Drama, Biografie
Lange wartet man vor der Leinwand auf das so bekannte                                               Frankreich / Kanada 2020
„My Heart Will Go On“, das ja im Blockbuster „Titanic“ von                                          Regie, Drehbuch und
1997 ein Millionenpublikum angezogen und diesem Film zum                                            Hauptdarstellerin: Valérie Lemercier
Kultstatus verholfen hat. Doch das kommt geradezu nebenbei,                                         Länge: 126 Minuten
ist auch nicht das Hauptthema des Films.                                                            Kinostart: 23.12.2021

                                                                                   Kompass 12I21 + 01I22                            15
KOLUMNE

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

                                                                                                                            © Deutscher Bundestag / Inga Haar
das Amt der Wehrbeauftragten mit seiner besonderen
Historie, seinen umfassenden Aufgaben und Befugnissen
ist auf der Welt einmalig. Doch auch in anderen Ländern
und Streitkräften gibt es Institutionen, die sich um Anlie-
gen ihrer Soldatinnen und Soldaten kümmern. Mehr als
30 solcher Ombudsinstitutionen gibt es weltweit – von
Norwegen bis Südafrika, von Kanada bis Kirgisistan.

Sie sind ganz unterschiedlich aufgestellt und ausgestal-
tet. Einige sind unabhängige, zivile Stellen, andere in die
Strukturen des Militärs eingebunden. Manche sind An-
sprechstelle lediglich für Soldatinnen und Soldaten, ande-
re auch für Zivilistinnen und Zivilisten. So unterschiedlich
sie auch sein mögen, sie eint die Aufgabe, individuelle
                                                                              „Soldatinnen und
Beschwerden entgegenzunehmen und Lösungen zu su-                  Soldaten      stehen
                                                                     „Soldatinnen          Seite
                                                                                   und Soldaten      an
                                                                                                  stehen
chen. Damit leisten sie einen entscheidenden Beitrag
zur Zufriedenheit von Soldatinnen und Soldaten und der
Einsatzbereitschaft der Streitkräfte.
                                                                   Seite
                                                                  Seite      mitmit
                                                                        an Seite  Kameradinnen
                                                                                     Kameradinnen und

Regelmäßig tausche ich mich mit meinen internationa-
                                                                   und    Kameraden
                                                                    Kameraden                anderer
                                                                                anderer Streitkräfte und
len Kolleginnen und Kollegen aus. Zum Beispiel treffen
wir uns einmal im Jahr bei der International Conference
                                                                  Streitkräfteunterstehen
                                                                                    und unterste-
                                                                                                mitunter
of Ombuds Institutions for the Armed Forces (ICOAF).
Die Konferenz geht auf eine Initiative meines Vorgängers
                                                                                    henArmeen.
                                                                   Vorgesetzten anderer    mitunter Wenn
Reinhold Robbe zurück.                                                  Vorgesetzten
                                                                  es hier Schwierigkeiten undanderer
                                                                                               Probleme
Mitte Oktober war ich auch in Wien und habe dort das
Präsidium der Parlamentarischen Bundesheerkommission
                                                                      Armeen.
                                                                      gibt:         Wennsiees
                                                                            An wen wenden       sichhier
                                                                                                     und
getroffen.                                                                Schwierigkeiten          und
                                                                                    wer ist zuständig?“
Dieser internationale Austausch ist für mich als Wehr-                Probleme gibt: An wen
beauftragte sehr wichtig. Zum einen erfahre ich, welche
Anliegen Soldatinnen und Soldaten anderer Streitkräfte
beschäftigen, und erkenne hier viele Parallelen – von
                                                                  wenden sie sich und wer
unzureichender Ausstattung über die Vereinbarkeit von
Familie und Dienst bis hin zu PTBS-Erkrankungen. Zum
                                                                                 ist zuständig?“
anderen lernen wir voneinander, wie diese Anliegen aufge-
griffen und angegangen werden, und tauschen Beispiele
                                                                                                                            © Hintergrund: SidorArt – stock.adobe.com

guter Praxis aus.
                                                                 Dabei ergeben sich in multinationalen Einsätzen und Mis-
Auch in einer weiteren Hinsicht ist dieser Austausch sehr        sionen ganz besondere Herausforderungen. Soldatinnen
wichtig. In internationalen Einsätzen – der Europäischen         und Soldaten stehen Seite an Seite mit Kameradinnen
Union, der NATO oder den Vereinten Nationen – wirken             und Kameraden anderer Streitkräfte und unterstehen
nationale Streitkräfte zusammen. Das ist mittlerweile            mitunter Vorgesetzten anderer Armeen. Wenn es hier
eine Selbstverständlichkeit. So selbstverständlich diese         Schwierigkeiten und Probleme gibt: An wen wenden sie
Zusammenarbeit von Streitkräften ist, ein Aspekt ist bis-        sich und wer ist zuständig? Die nationale, eigene Om-
lang noch nicht in gleichem Maße etabliert: die Zusam-           budsinstitution? Die Ombudsinstitution des Partnerlan-
menarbeit von Ombudsinstitutionen.                               des? Oder des gastgebenden Landes?

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KOLUMNE
© Parlamentarische Bundesheereskommission

                                                                                                  Meinungs- und Erfahrungsaustausch mit dem Präsidium der
                                                                                          Parlamentarischen Bundesheerkommission Österreichs. Dies ist eine
                                                                                           dem Amt der Wehrbeauftragten vergleichbare Ombudsinstitution für
                                                                                                                  österreichische Soldatinnen und Soldaten.

                                            Anfang Oktober habe ich auch meine Kollegen aus Öster-     politischen Vertretern des Kosovo und der Slowakei über
                                            reich, den Niederlanden, Norwegen und Mali zu einem        die Idee, das Wissen und die Erfahrung des Amtes ge-
                                            Workshop nach Berlin eingeladen, um Antworten auf          sprochen. Ich hoffe sehr, hiermit einen kleinen Beitrag
                                            diese Fragen zu finden. Zum Abschluss haben wir eine       zu leisten, dass auch diese Länder eine vergleichbare
                                            Resolution verabschiedet, mit der wir unsere Zusammen-     Institution etablieren. Damit bliebe das Amt der Wehr-
                                            arbeit stärken und intensivieren. Beispielsweise haben     beauftragten zwar weiterhin einmalig, doch keineswegs
                                            wir uns zu gemeinsamen Besuchen von Einsätzen und          allein in der Welt.
                                            Übungen, in denen unsere Streitkräfte zusammenwirken,
                                            verabredet.
                                                                                                       Mit herzlichen Grüßen
                                            Es ist mir eine große Ehre, Wehrbeauftragte des Deut-
                                            schen Bundestages zu sein. Es ist ein wunderbares und
                                            wichtiges Amt. Die Bundeswehr und ihre Einsatzbereit-
                                            schaft sind ohne das Amt nicht zu denken. Deswegen
                                            freue ich mich, wenn andere Länder sich für das Amt
                                            der Wehrbeauftragten interessieren. So habe ich mit                  Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages

                                                                                                                     Kompass 12I21 + 01I22                       17
GLAUBE, KIRCHE, LEBEN

     Der harmloseste „Krieg“ der Welt – oder doch
     nur ein Bürokratie-Monster?

D   ie kleine Insel namens „Hans“ be-
    findet sich im arktischen Ozean und
liegt direkt auf der 1973 im UNO-Vertrag
                                            So heißt es aus verschiedenen Quellen
                                            (vgl. Wikipedia u. a.), dass erst 1984 das
                                            dänische Militär die Flagge Dänemarks
                                                                                         stützte zumindest früher das dänische
                                                                                         Außenministerium auf der kanadischen
                                                                                         Version von Google einen Link, der bei
festgelegten Grenzlinie zwischen Kanada     und eine Flasche Aquavit hinterließ, wo-     der Suche nach Hans Treffer ergab wie
und Dänemark. Dieser schreibt den ge-       rauf die Kanadier es den Dänen einige        Hans Island is Danish – Does ‚Hans‘
nauen Grenzverlauf zwischen dem kana-       Zeit später nachmachten, die dänische        sound Canadian? – Danish name, danish
dischen Ellesmere Island und Grönland       Fahne entfernten, die kanadische hiss-       island. Ein Privatmann aus Kanada kon-
(autonomer Bestandteil des Königreichs      ten und eine Flasche Whisky danebenleg-      terte daraufhin mit einem eigenen Link,
Dänemark) fest – leider blieb die Hans-     ten. Zu einem regelmäßigen Austausch         der das genaue Gegenteil behauptete.
Insel dabei unberücksichtigt. Bis heute     gibt es sonst keine Zeugnisse, nur Ver-
konnte keine Einigung erzielt werden, zu    mutungen.                                     Seit Jahren wird an einer friedlichen
wem das Eiland gehört.                                                                             Lösung gearbeitet
                                                  Nationalflaggen zeigen den
             Die Hans-Insel                              Anspruch an                     Im „Streit“ zwischen Dänemark und
                                                                                         Kanada um Hans Island war lange Zeit
Mit einer Größe von 1,25 km² hält Hans      2005 hissten sowohl Kanada als auch          keine Einigung in Sicht. Eben seit 2005
weder Vegetation noch irgendwelche Be-      Dänemark auf der Insel ihre jeweiligen       gibt es eine Übereinkunft, dass jedes
wohner bereit. Benannt wurde sie nach       Fahnen, vereinbarten aber einen Pro-         Land die andere Seite zumindest infor-
dem grönländischen Arktisforscher und       zess zur Beilegung des Streits. Bei der      mieren muss, wenn es plant, die Insel
Expeditionsteilnehmer Hans Hendrik. Wa-     Einigung über die Seegrenze zwischen         zu besuchen.Eine friedliche Lösung wäre,
rum aber „streiten“ sich Kanada und Dä-     beiden Staaten wurde das Gebiet um die       die Verantwortung über die Insel den in
nemark seit Jahrzehnten darüber, wem        Hans-Insel 2012 erneut ausgeklammert.        Grönland ansässigen Inuit zu übertragen
die Insel gehört?                                                                        – oder Hans in einen Naturpark zu ver-
                                            Der Insel-Streit treibt auch im Internet     wandeln.
Die Insel war 1933 von einem Vorgänger      bizarre Blüten: So haben vermutlich pro-
des heutigen Internationalen Gerichts-      dänische Patrioten eine Seite namens              Und wie sieht es heute aus?
hofs bereits Dänemark zugesprochen          Free Hans Island eingerichtet, auf der
worden – mit der Gründung der Vereinten     sie unter anderem Kanada vorwerfen, mit      2018 beriefen die Länder eine gemein-
Nationen im Jahr 1945 wurde die Ent-        „regelmäßigen Angriffen“ die dänische        same Task Force ein, um eine offizielle
scheidung aber hinfällig, und Hans Island   Souveränität zu verletzen – und deshalb      Vereinbarung auszuhandeln. Diese setzt
geriet aufgrund seiner Bedeutungslosig-     einen Ausschluss des Landes aus der          sich aus Juristen und Experten aus ver-
keit bis 1984 in Vergessenheit.             NATO fordern. Und laut Spiegel unter-        schiedenen Ministerien zusammen und

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GLAUBE, KIRCHE, LEBEN

                                                                                       ÜberLeben in der Stadt
                                                                                         Adveniat Weihnachtsaktion 2021

                                                                                 Immer mehr Menschen in Lateinamerika und der Karibik
                                                                                 leben bereits heute in Städten. Unter dem Motto „Über-
                                                                                 Leben in der Stadt“ rückt Adveniat dieses Jahr die Sorgen
                                                                                 und Nöte der armen Stadtbevölkerung in den Blickpunkt.

                                                                                 Mit seinen Projektpartnern, wie zum Beispiel Ordensleu-
                                                                                 ten und pastoralen Mitarbeitern, durchbricht das Latein-
                                                                                 amerika-Hilfswerk Adveniat die Spirale der Armut: durch
                                                                                 Bildungsprojekte in Pfarrgemeinden – insbesondere auch
                                                © Dave Walsh – stock.adobe.com   für Frauen und Kinder –, Menschenrechtsarbeit und den
                                                                                 Einsatz für faire Arbeitsbedingungen. Schwerpunktländer
                                                                                 sind Mexiko, Paraguay und Brasilien.

                                                                                 Die Weihnachtskollekte am 24. und 25. Dezember in allen
                                                                                 katholischen Kirchen Deutschlands ist für Adveniat und die
                                                                                 Hilfe für die Menschen in Lateinamerika und der Karibik
                                                                                 bestimmt.

                                                                                 Advents-Zeit ist Adveniat-Zeit: Hier finden Sie alles zur
                                                                                 Weihnachtsaktion aber auch für eine erfüllte Advents- und
                                                                                 Weihnachtszeit in der Gemeinde und in der Familie.
prüft alle Optionen für die Insel, ein-
schließlich eines Vorschlags von Wis-                                            Weiter Informationen unter:
senschaftlern, der vorsieht, dass sich                                               www.adveniat.de/engagieren/weihnachtsaktion/
Dänemark und Kanada die Eigentümer-
schaft teilen. Alan Kessel, Rechtsexperte
bei Global Affairs Canada, rechnet aber
damit, dass eine vollständige Einigung
noch Jahre dauern könnte – was ein
wenig nach einer Arbeitsbeschaffungs-
Maßnahme für Bürokraten klingt.

                  Fazit

Bei dem „Flaschenaustausch“ handelt
es sich wohl nicht um eine regelmäßige
Sache. Dennoch hat er tatsächlich statt-
gefunden! Es gibt Quellen, die mindes-
tens zwei Aktionen in der Vergangenheit
belegen. So bleibt festzuhalten, dass der
Fahnenklau und andere „kreative Lösun-
gen“, wie auch die überlieferten Fußball-
spiele an Fronten des 1. Weltkriegs, si-
cher manchen Konflikt entschärfen und             Friede den
hoffentlich auch echte Kriege verhindern
könnten ...                                       Menschen
                                                  auf Erden
                                       JV

                                                           Weihnachtskollekte 2021
                                                           am 24. und 25. Dezember

                                                                                           Kompass 12I21 + 01I22                          19   03.08.2
AUSLEGEWARE

                                                                                                                                 Flucht nach Ägypten. Magasin Pittoresque Paris 1839 © Mannaggia – stock.adobe.com
                                                                                                                                 Alte Reproduktion eines Bassreliefs in Notre-Dame de Paris mit der Darstellung der
                               Mein Vater war ein
                              heimatloser Aramäer

W      enn man es auf einen Punkt brin-
       gen will, so ist das Alte Testament
zum großen Teil Migrantenliteratur. Es
                                             langen Weg. So wandert Terach mit sei-
                                             nem Sohn Abra(ha)m und seinem Enkel
                                             Lot sowie mit seiner Schwiegertochter
                                                                                         seinen Brüdern fast getöteter Hebräer
                                                                                         (vgl. Gen 37,18.22 und 39,14), steigt
                                                                                         in der Fremde nach Verleumdung und
fängt schon mit der Urerfahrung an, dass     Sara(i) aus Ur in Chaldäa aus, um sich      jahrelanger Haft zum zweiten Mann im
der Mensch aus dem Paradies vertrie-         in Haran niederzulassen. Einen Migrati-     Staat auf, sodass er dann sogar den
ben wird, um dann als Vertriebener im        onsgrund nennt die Bibel nicht (vgl. Gen    sogenannten Familiennachzug seiner
Schweiße seines Angesichts mühsam            11,31). Kein Gottesruf oder wirtschaftli-   Sippe nach Ägypten organisieren kann
seinen Lebensunterhalt zu sichern. Nach      cher oder politischer Grund werden ange-    (vgl. Gen 46,26–47,6). Ende gut, alles
biblischer Überlieferung ist der Mensch      geben. Erst viel später ergeht dann nach    gut? Jede Geschichte geht bekanntlich
an dieser Vertreibung selbst nicht ganz      biblischer Überlieferung ein Anruf Gottes   weiter und „beim happy end“ wird im
unschuldig (vgl. Gen 3). Haben Vertriebe-    an Abra(ha)m, mit seiner Familie Haran      Leben anders als im Film eben nicht
ne nun ihre Vertreibung selbst verschul-     zu verlassen und sich nach Kanaan zu        „jewöhnlich abjeblendt“ (frei nach Kurt
det? Da es in jener biblischen Erzählung     begeben. Wieder wird kein Grund hierfür     Tucholsky). So heißt es dann auch gleich
letztlich nicht um zwei Individuen namens    genannt. Klar ist, sie kommen nicht in      im ersten Kapitel des Buches Exodus, die
Adam und Eva geht, sondern um eine           unbesiedeltes Land. Wenig später verlas-    nächste Migrationswelle kündigt sich im
durchaus grundsätzliche Situation, so        sen sie Kanaan wieder, um nach Ägyp-        Buchtitel bereits an, dass sich die Isra-
lässt sich jene Erzählung heute auch so      ten weiterzuziehen; jetzt wird eine Be-     eliten in Ägypten so stark vermehrten,
lesen, dass der Mensch für politische,       gründung dafür geliefert, und zwar einer    „sodass das Land von ihnen wimmel-
gesellschaftliche, wirtschaftliche und       Hungersnot wegen. Sie sind sozusagen        te“ (vgl. Ex 1,7). Und jetzt werden alle
klimatische Gegebenheiten mit all ihren      „Wirtschaftsflüchtlinge“. Dass dies alles   Rechtfertigungen vorgetragen, die recht
Folgen immer mit Verantwortung trägt.        nicht ohne schwere Konflikte abgeht, ver-   gegenwärtig klingen. Der neue König,
                                             schweigt die Bibel nicht.                   der keine Erinnerung mehr an Josef und
  Beispiele aus dem Alten Testament                                                      seine Verdienste hat, stellt publikums-
                                             Eine Migrationserzählung par excellence     wirksam fest: „Das Volk der Israeliten
Anscheinend machen sich Menschen             ist die Geschichte von Josef und seinen     ist größer und stärker als wir“ (Ex 1,8).
auch von selbst immer wieder auf einen       Brüdern (Gen 37–50). Josef, ein von         Wenn dieses Volk sich weiter vermehrt,

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