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Österreichische Post AG, MZ 02Z031731M, ÖGB-Verlag, Johann-Böhm-Pl. 1, 1020 Wien, Retouren an PF 100 1350 Wien KOMPETENZ KOMPETENZ MAGAZIN DER GEWERKSCHAFT DER PRIVATANGESTELLTEN, DRUCK, JOURNALISMUS, PAPIER www.gpa-djp.at www.kompetenz-online.at Leistungssport Pflege
INHALT 4 KOMPETENZ Ausgabe 4/2019 3 EDITORIAL von Martin Panholzer 4 Leistungssport Pflege Porträt einer Berufsgruppe, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens braucht 8 Schöner Schein Douglas verhindert Betriebsratswahl 10 Gegenöffentlichkeit schaffen 12 1.000-mal erwähnt 11 KOMMENTAR von Barbara Teiber 12 „Wir sind nicht auf dem Klima-Zielpfad“ Die Ökonomin und Klimaexpertin Angela Köppl im Interview 15 FOTOGRAMM Unbezahlte Arbeit nach Geschlecht 16 Kollektivvertrag Metallindustrie Kick-off der Verhandlungen 17 „Die Solidarität ist spürbar“ Chefverhandler Karl Dürtscher im Interview 18 KURZMELDUNGEN zu Politik, Arbeit und Wirtschaft Fotos: S. 4/12: Nurith Wagner-Strauss, S. 26: iStock, Illustration: S. 22: Peter M. Hoffmann 20 Der aufgestiegene Weltverbesserer Fritz Schiller, Betriebsratsvorsitzender bei der Raiffeisen 22 Kapitalanlage GmbH, im Porträt 22 Pressefreiheit ist kein Gnadenakt Gastkommentar von Falter-Journalistin Nina Horaczek 24 FAKTENCHECK Erbschaftssteuer 26 RECHT Gleitzeit 30 KonsumentInnenschutz Kostenfalle Bankomat 31 Buchtipps, Impressum 26 2 4/2019 KOMPETENZ
EDITORIAL Hochwertige Pflege absichern von Martin Panholzer E gal in welcher politischen Konstellation eine Regierung nach der geschlagenen Nationalratswahl weiterarbeitet, sie muss sich den großen politischen Themen und Herausforderungen zuwenden, die im aufgeheizten Wahlkampf leider oft zu kurz gekom- men sind. Eine der größten Herausforderungen ist dabei die Pflege in einer älter werdenden Gesellschaft. Unbestritten ist, dass sehr viel Geld und Ressourcen notwendig sein werden, um ein Altern in Würde für alle abzusichern. Umstritten ist jedoch die Frage, wer dafür aufkom- men soll. Wir meinen, dass eine Besteuerung großer Vermögens- werte und Erbschaften ein Schlüssel für eine nachhaltige und sozi- al gerechte Finanzierung ist. In der Pflege sind aber auch Tausende Menschen, mit großer Mehrheit Frauen, beschäftigt, die berechtigte Forderungen nach besserer Bezahlung und Arbeitszeitqualität stellen. Auch der Kampf gegen die Klimakrise erfordert rasches Handeln vonseiten der Politik. Dass wir in Österreich sehr wohl Handlungs- spielraum für wirksame Schritte haben und dies Innovationen för- dert, unterstreicht die Ökonomin Angela Köppl in einem Interview. Besonders freut uns, dass wir die FALTER-Chefreporterin Nina Horacek für einen Gastkommentar zur Pressefreiheit gewinnen konnten. Jeder Versuch, Pressefreiheit einzuschränken und Journa- listInnen einzuschüchtern, ist ein Angriff auf demokratische Grund- werte. Gerade aufgrund unserer eigenen Geschichte sehen wir diese Entwicklung mit größter Sensibilität. Der Herbst ist die Zeit wichtiger Lohn- und Gehaltsverhandlungen. Auch wenn uns die Arbeitgeber einzureden versuchen, die Party sei vorbei und wir sollten uns zurück halten, mit Lohn- und Gehaltsdum- ping wird Österreich sicher nicht reüssieren, sondern mit hoch ent- Martin Panholzer wickelten Produkten und Dienstleistungen von gut bezahlten Be- ist Leiter der Abteilung schäftigten. Und eines ist klar: Nur Gewerkschaften, die aufgrund Öffentlichkeitsarbeit in der ihrer Mitgliederzahlen in der Lage sind, Druck zu erzeugen, können Foto: Michael Mazohl GPA-djp und Chefredakteur erreichen, dass Gewinne auch dort ankommen, wo sie geschaffen der KOMPETENZ. wurden, nämlich bei den ArbeitnehmerInnen.● KOMPETENZ 4/2019 3
Pflege COVERSTORY Wer in der Pflege arbeiten möchte, muss körperlich fit, kommunikativ und empathisch sein. Porträt einer Berufsgruppe, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens braucht. F rau Maria schwelgt in Erin- Dabei arbeitet sich die Krankheit Wohnungen können sie mit eige- nerungen. Etwa, wie es da- immer tiefer ins Gedächtnis hi- nen Möbeln beziehen. Daneben mals nach dem Krieg noch nein – was den erkrankten Men- verfügen die „Häuser zum Le- kein fließendes Wasser am heimi- schen am längsten zur Verfügung ben“ auch über stationäre Berei- schen Bauernhof gab und es ihre steht, sind die Erinnerungen aus che, in zwei Häusern gibt es eine Aufgabe war, jeden Samstag genü- einer oft Jahrzehnte zurücklie- Remobilisation-Station, eines ist gend Wasser für die gesamte Fa- genden Vergangenheit, in der sie gar mit einer Demenz Station aus- milie zu holen. Rund eine Viertel- nun wieder leben. Frau Maria ist gerüstet. Das Durchschnittsalter, stunde zum Gemeindebrunnen eine von rund 130.000 Demenz- in dem sich SeniorInnen für ein hin, der Rückweg mit der schwe- kranken in Österreich. Die Ten- Pensionisten-Wohnhaus oder Al- ren Last dauerte freilich länger. denz ist steigend, bis 2030 soll tersheim entscheiden, ist in den Ihre Jugend war hart und entbeh- sich die Zahl verdoppeln und im vergangenen Jahren gestiegen. rungsreich, ein Lichtblick, als sie Jahr 2050 sprechen die Prognosen „Schuld“ daran ist ein eigentlich sich in ihren späteren Ehemann gar von einer Verdreifachung. erfreulicher Aspekt. Ältere Men- verliebte. „Das war am Palmsonn- schen können heutzutage län- tag, er war früher ein ganz fescher PFLEGE LÄNGER DAHEIM ger zu Hause leben, weil es we- Bursch“, erzählt die Pensionistin. „Vielen Menschen ist gar nicht niger Substandard-Wohnungen Auch an das erste Auto, das sich bewusst, was in den Pflegeberu- gibt und immer mehr Häuser mit das Ehepaar gemeinsam leistete fen alles geleistet wird“, erklärt Liften nachgerüstet werden. „Es hat Frau Maria noch genaue Er- Ria Brandlhofer, diplomierte Sozi- ist aber dann ein riesiger Schritt, innerungen – ein gebrauchter alarbeiterin und Zentral-Betriebs- wenn die Menschen eine Woh- VW Käfer mit „Brezel“-Schei- ratsvorsitzende in Vertretung nung, in der sie bis zu 60 Jahre ge- ben. „Wir waren sehr stolz auf das beim Kuratorium Wiener Pensio- lebt haben, für immer verlassen“, Auto, später sind halt die Gänge nisten-Wohnhäuser „Häuser zum weiß Ria Brandlhofer. Vielleicht immer wieder rausgehüpft wäh- Leben“. Und Brandlhofer vertritt sogar der größte. rend der Fahrt“, schmunzelt sie. circa 4.500 KollegInnen – vom di- Bloß an die vergangene Woche plomierten Pflegepersonal über PERSÖNLICHER KONTAKT kann sie sich nicht mehr so ge- technische HausbetreuerInnen WICHTIG nau erinnern. Frau Maria ist sich bis zu den KöchInnen. Durch die immer älter werden- nicht sicher, ob sie beim prakti- Die meisten älteren Menschen, den BewohnerInnen intensiviert schen Arzt war oder die Zeit doch die in eines der „Häuser zum Le- sich die Arbeit der Pflegekräfte. nur zu Hause verbracht hat. Es ist ben“ übersiedeln, brauchen zu Die Zahl der Demenz-, Diabetes- verblüffend, wie sich die 81-Jäh- Beginn meist noch relativ wenig oder Depressionserkrankungen rige an Details einer Geschich- Unterstützung, doch mit der Zeit nimmt zu. Psychische Erkran- te erinnert, die über 60 Jahre zu- steigt der Pflegebedarf. „Wir ha- kungen und psychische Auffällig- rückliegt. Die Gegenwart ist ihr ben 30 Standorte, die Bewohne- keiten kommen mehr zum Vor- fremd. Bei einer Demenzerkran- rInnen bleiben in der Regel bis schein. Pflegekräfte sind dabei kung purzeln die Erinnerungen sie sterben bei uns“, weiß Brandl- sehr gefordert. Demenz etwa tritt gleich Dominosteinen dahin, das hofer. Für die MieterInnen wird in unterschiedlichen Phasen auf Gedächtnis verliert die Möglich- ein individueller Pflege- und Be- – bei manchen Menschen merkt keit, wieder darauf zuzugreifen. treuungsplan erstellt, die kleinen man sie kaum, andere werden in- KOMPETENZ 4/2019 5
COVERSTORY Pflege tensiver „Wir können die Men- Eigenengagement notwendig. für mehr als 50 BewohnerInnen schen nur dort abholen, wo sie Ich muss professionell und em- im Alten- und Pflegeheim zu- stehen“, erklärt Brandlhofer. An- pathisch sein“, gibt Brandlhofer ständig. Zeit zum Verschnaufen fangs überspielen viele ihre De- zu Bedenken. bleibt da kaum. Einsatzkräfte in menz und behaupten: „Das habe der mobilen Pflege und Betreu- ich jetzt vergessen“ oder „das TÄGLICHE HÖCHSTLEISTUNGEN ung legen teils mehr als 60 Kilo- hast du mir nie erzählt“. Es gehört Kein Wunder, dass es laut Wifo meter im Stadtverkehr pro Tag im auch zu den Aufgaben der Fach- bald einen Mangel an Pflege- Auto zurück, um in einem Dienst kräfte, das zu beobachten bis zu 20 KlientInnen zu und zu erkennen. Dafür versorgen – für die auch müssen die Betreuenden dringend benötigte Zu- die zu pflegenden Men- schen besser kennen ler- 24.000 SCHRITTE wendung und Gespräche bleibt kaum ein Moment. nen. „Da ist es wichtig, die ODER 17 KILOMETER IN „Ohne dem enormen Engagement der Pflege- Persönlichkeit einschätzen zu können und mit den An- EINEM NACHTDIENST kräfte würde das System gehörigen Kontakt zu ha- SIND KEINE SELTEN- schon längst vor sehr gro- ben, die über Biografie und ßen Problemen stehen“, Historie der BewohnerIn- HEIT. ist sich Eva Scherz, Wirt- nen Bescheid wissen.“ schaftsbereichssekretärin Das erleichtert auch, die der GPA-djp, sicher. BewohnerInnen so anzu- nehmen, wie sie sich durch ihre kräften geben wird. Etwa 20.000 HOHER DOKUMENTA- Krankheit verändert haben. Im Pflegekräfte in Krankenhäusern, TIONSAUFWAND Umgang mit Demenzerkrankten Reha-Einrichtungen, Arztpra- Stefan Kraker ist Be- sollten auch einige Regeln beach- xen, in der Langzeitpflege und triebsratsvorsitzender bei tet werden. Wichtig ist es dabei, -betreuung oder in der Aus- und der Caritas Steiermark und auf Gefühle einzugehen und die Weiterbildung werden bis 2030 vertritt mehr als 2.000 Mitar- Realität der PatientInnen anzu- fehlen. So unterschiedlich ihre beiterInnen, rund die Hälfte da- nehmen. Wenn etwa eine alte Tätigkeit im Arbeitsfeld ist, ei- von ist in der Pflege beschäftigt. Frau auf ihre Mutter wartet, so nes haben alle Der gelernte hat es wenig Sinn zu sagen, dass Pflegekräfte ge- Programmie- diese schon längst verstorben ist. meinsam: Sie er- rer ist auch Es hilft eher, über die Mutter zu bringen täglich für den reden und ein angenehmes Ge- Höchstleistun- sprächsklima zu erzeugen. gen zum Wohle Trotzdem kann es ziemlich sehr verletzlicher stressig werden. Oftmals wollen Gruppen wie Ältere, Kran- Arbeitsschutz zu- von Demenz Betroffene etwa ke oder Menschen mit beson- ständig. „Die Arbeit im Sozialbe- nicht ein- deren reich ist sehr herausfordernd und sehen, Be- wird immer anstrengender, das dürf- sehe ich, weil ich auch über den nissen. ArbeitnehmerInnenschutz in alle Die Einrichtungen komme“, erzählt AK Kraker. Ober- Neben einer oft körperlich an- österreich hat untersucht, welche strengenden Tätigkeit, gehören dass eine Körperhygiene erforder- Spitzenwerte ein Pflegedienst der Beistand bei großen Schmer- lich ist oder es nötig ist,Nahrung zu tagtäglich hervorbringt: 24.000 zen, Sterbebegleitung oder auch sich zu nehmen. Diese Situati- Schritte in einem Nachtdienst – der Trost Angehöriger zu ihren onen verlangen, von den Fach- also knapp 17 Kilometer – sind Aufgaben. Hilfe, die wesentlich kräften viel Verständnis und ein keine Seltenheit. Oft betreut mehr wert ist, als dies derzeit so- Foto: iStock Vorgehen mit reichlich Herz und eine Fachkraft im Nachtdienst wohl in der Entlohnung als auch Seele. „In unseren Berufen ist viel eine ganze Station allein und ist in der zur Verfügung stehenden 6 4/2019 KOMPETENZ
Pflege COVERSTORY Zeit zum Ausdruck kommt. Ei- auch etwas haben“, fordert Ria es gut, mit den KollegInnen Psy- nige ArbeitnehmerInnen sind Brandlhofer. Denn für die ent- chohygiene zu betreiben. Tod, Al- knapp vor dem Burn-out. Stefan sprechende Qualität, die täglich ter oder Krankheit dürfen kein Kraker ist sich sicher, dass seine erbracht wird, braucht es genug Tabu, sein und wir reden freilich KollegInnen bei der Caritas eine Zeit zur Entspannung. „Jeder soll auch im KollegInnen-Kreis darü- hohe Frustrationstoleranz ha- seinen eigenen Tank wieder voll- ber, wenn jemandem eine Pflege ben und ihre KlientInnen nicht machen können und genug Zeit sehr nahe gegangen ist“, erklärt im Stich lassen wollen. „Aller- für die eigene Familie haben“, Brandlhofer. dings wäre es oft gesünder, wenn führt Ria Brandlhofer sich die Leute früher aus dem vom Kuratorium Wie- KV-VERHAND- Stress rausnehmen.“ Der Druck ner Pensionisten-Häu- LUNGEN in der Arbeit steigt, die Fachkräf- ser aus. Die gebürtige Burgen- te müssen weit mehr als die rei- länderin ist gelernte Rauchfang- ne KlientInnen-Arbeit meistern: MASSNAHMEN kehrerin, doch in Wien kam ihr Betriebsratsvorsitzender Kra- GEGEN STRESS die Freude an Schornsteinen und ker: „Tendenziell nimmt der Do- Gemeinsam mit der Geschäfts- Kamintürchen abhanden. „Die leitung wird dort an der Umge- Arbeit war viel zu anonym. Des- staltung der Arbeitszeitmodelle halb habe ich umgesattelt und bin gearbeitet: „Wir müssen einen auf die Akademie für Sozialarbeit Weg finden, uns der modernen gegangen.“ Mittlerweile arbeitet Zeit anzupassen – für unsere Be- sie seit 14 Jahren im Kuratorium kumentationsaufwand zu, was wohnerInnen da sein und die Wiener Pensionisten-Wohnhäu- nicht bloß schlecht ist, denn die Wünsche unserer MitarbeiterIn- ser. Im Herbst ist sie erstmals im Fachkräfte müssen sich ja auch nen einplanen“, sagt Brandlhofer. engeren Kollektivvertrags-Ver- absichern. Doch die Arbeit wird Keine einfache Aufgabe. Rund handlungsteam vertreten. Ihr nicht leichter, wenn ich jeden Ar- um die Uhr ist die Pflege in der Ziel ist unter anderem, eine Ver- beitsschritt zusätzlich dokumen- stationären Abteilung tätig, je besserung bei den Arbeitszeiten tieren muss.“ nach Bedarf von sieben bis 21 Uhr zu erreichen. Angst vor den lang- Grundsätzlich ist es dringend in den Wohnungen der „Häuser wierigen Sitzungen hat sie keine. notwendig die Pflegeberufe at- zum Leben“. In den Wiener Pensi- „Denn als Mutter von zwei inzwi- traktiver zu machen. Die Aus- onisten-Wohnhäusern wird auch schen erwachsenen Kindern bin bildung muss stärker beworben auf Stressabbau durch Kommu- ich ausreichend verhandlungser- werden, die Gehälter müssen nikation gesetzt. „Manchmal ist probt.“ ● steigen und die Arbeitszeit ver- Christian Resei kürzt werden. „Es gibt ganz vie- le KollegInnen, die, wenn es sich finanziell ausgehen würde, nicht 38 Stunden, sondern weniger ar- beiten wollen. Doch weil unser Lohnniveau insgesamt nicht so hoch ist, können sie es sich mit ihren Verpflichtungen nicht leis- ten“, erklärt Kraker. „Ich bin für Eva Scherz, Ria Brandlhofer, Stefan Kraker, die 35-Stunden-Woche bei vol- Wirtschaftsbereichs- Zentral-Betriebs- Betriebsratsvorsit- sekretärin in der GPA- ratsvorsitzende in zender bei der Cari- lem Lohnausgleich, weil ich ein- djp, weiß, welche Spit- Vertretung, Kurato- tas Steiermark, will die fach merke, wie der Wunsch nach zenleistungen Pfle- rium Wiener Pensio- Pflegeberufe attrak- mehr Freizeit unter den KollegIn- gerInnen erbringen nisten-Wohnhäuser, tiver machen. Dazu nen immer stärker wird“, führt müssen. 60 km im möchte Verbesserun- gehört für ihn, dass die Foto: Nurith Wagner-Strauss, iStock Stadtverkehr seien gen bei der Abeitszeit Gehälter steigen und Kraker fort. In der Pflege sind in der mobilen Pfle- erreichen: „Jeder soll die Arbeitszeit ver- immer mehr Teilzeitkräfte und ge normal. Ohne das seinen eigenen Tank kürzt wird: „Ich bin für AlleinerzieherInnen aktiv; Men- enorme Engagement wieder vollmachen die 35-Stunden-Wo- schen, die häufig armutsgefähr- würde das System können und Zeit für che bei vollem Lohn- längst vor sehr großen die Familie haben.“ ausgleich.“ det sind. „Es wird höchste Zeit, Problemen stehen. dass sie von ihrem Engagement KOMPETENZ 4/2019 7
Betriebsrat Douglas Sabrina E. wollte gemeinsam mit Kolleginnen bei Douglas einen Betriebsrat gründen. Die Geschäftsführung sieht das als Unruhestiftung und hat sie gekündigt. Schöner Schein Schönes Aussehen versprechen die Produkte der Beautykette Douglas ihren KundInnen. Alles andere als schön sind jedoch die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten: Taschenkontrollen und eine verhinderte Betriebsratsgründung stellen dem Management kein schönes Zeugnis aus. S abrina E. versteht die Welt nicht Versprechen eines Filialleiterpostens und Kolleginnen und Kollegen unter- mehr. Vor etwa einem Jahr wur- für Douglas abgeworben worden. stützen, die sich von Vorgesetzten un- de sie von einer anderen Dro- Auch mit ihrer Arbeitsleistung war die gerecht behandelt fühlen“, erzählen sie. geriemarktkette für Douglas abgewor- Geschäftsleitung immer zufrieden. Als ben. Seither hat sie gerne und mit Freu- sie sich aufgrund bedenklicher Vor- KLAGE EINGEBRACHT de für Douglas gearbeitet. Sie wurde kommnisse, wie Taschenkontrollen, Die ehemaligen Douglas-Mitarbei- für ihr Engagement und ihre hohen Spindkontrollen mit Zentralschlüssel terInnen haben mit Unterstützung Verkaufszahlen von der Geschäftslei- in Abwesenheit der MitarbeiterInnen der GPA-djp gegen die Kündigungen tung mehrfach gelobt. Als sie sich im und einer generell schlechten Stim- geklagt. Außerdem gingen sie mit ih- Frühsommer dieses Jahres gemeinsam mung unter den MitarbeiterInnen rer Kritik an die Öffentlichkeit. Seit- mit anderen KollegInnen zusammen- entschloss, sich gemeinsam mit Sabri- her hätten sie viel positives Feedback tat, um einen Betriebsrat zu gründen, na E. in einem Betriebsrat zu engagie- erhalten und Unterstützung von ehe- war plötzlich alles anders. „Am 24. Au- ren, wurde auch sie „wegen Unruhe- maligen KollegInnen erfahren, erzählt gust wurden wir von der Gebietslei- stiftung“ gekündigt und sofort dienst- Sabrina E. Sie möchte ins Unterneh- tung ins Büro gerufen. Es wurde uns freigestellt. men zurückkehren: „Ich würde sehr gesagt, dass wir Unruhe verbreiten, wir Sabrina E. und Emilija S. können gerne zurückkehren gemeinsam mit Foto: Daniel Novotny wurden gekündigt und noch am sel- den Vorwurf der Unruhestiftung nicht meinen Kolleginnen und auch die ben Tag dienstfrei gestellt.“ nachvollziehen. „Wir wollten uns kon- Gründung eines Betriebsrates voran- Emilija S. war ebenfalls von einem struktiv mit Vorschlägen zur Verbes- treiben. Weil wir denken, dass das sehr Konkurrenzunternehmen mit dem serung des Betriebsklimas einbringen wichtig ist. Ich war ja nur teilzeitbe- 8 4/2019 KOMPETENZ
Douglas Betriebsrat schäftigt, deshalb habe ich andere ge- einen Betriebsrat wollen“, schildert den Fall ein tolles Instrument, das ich beten, mir beizustehen und weitere Teiber das Gespräch, das nicht einmal jedem Betrieb empfehlen würde – Kandidatinnen für den Betriebsrat zu eine Stunde gedauert hat. Die Kündi- auch wenn es einen guten Personal- finden. Wenn wir vor Gericht recht be- gungen jener drei Mitarbeiterinnen, chef oder eine gute Personalchefin kommen, dann müsste ich auch nicht die einen Betriebsrat gründen woll- gibt. Und: Nicht unterkriegen lassen! mehr im Geheimen Kolleginnen für ten, werde Douglas nicht zurückzie- Es wird immer KollegInnen geben, die den Betriebsrat akquirieren, und nie- hen, erzählt Teiber. Douglas bestreitet, einen von so einem Vorhaben abhal- mand müsste Angst dass die Kün- ten wollen. Ich würde mich davon nie haben. Denn außer mir digungen et- abhalten lassen. Ich weiß, das ist leich- wurden andere Mitar- „GEHT AUF JEDEN was mit der ter gesagt, wenn man nicht wirklich beiterinnen ebenfalls FALL ZUR geplanten abhängig ist von dem Job. Trotzdem: gekündigt, die im Be- GEWERKSCHAFT!“ Betriebsrats- Man muss für eine Sache wirklich ein- triebsrat mitarbeiten gründung zu stehen. Der Betriebsrat ist ein wichti- SABRINA E. wollten.“ tun gehabt ges Mitbestimmungsinstrument und haben. Die ein Gegenpol für die ArbeitnehmerIn- KEIN EINLENKEN DER GESCHÄFTS- Mitarbeiterinnen seien als „schwarze nen.“ ● FÜHRUNG Schafe“ bezeichnet worden, sagt Tei- Lucia Bauer Die Geschäftsführung von Douglas ber. schaltet unterdessen auf stur. Bei ei- Sabrina E. ist überzeugt, dass die nem Gespräch mit der GPA-djp-Vor- Entscheidung zur Gewerkschaft zu sitzenden Barbara Teiber, beharrte sie gehen und einen Betriebsrat zu grün- Interview mit Sabrina E. auf den Kündigungen. „Die Geschäfts- den richtig war: „Geht auf jeden Fall http://bit.ly/Kompetenz_Douglas_Interview führung hat uns mitgeteilt, dass wir zur Gewerkschaft!“, rät sie auch ande- nicht erwarten können, dass die Wahl ren Beschäftigten in einer ähnlichen eines Betriebsrates unterstützt wird. Situation. „Denn die Unterstützung, Sie werden mit ihren Führungskräf- die ich in den vergangenen Wochen ten, also den Filialleiterinnen, reden, durch die Gewerkschaft erfahren habe, ob die glauben, ob die Beschäftigten war enorm. Ein Betriebsrat ist auf je- V. l. n. r.: Sabrina E.. Barbara Teiber, Emilija S. Foto: Daniel Novotny KOMPETENZ 4/2019 9
Aktuell Gegenöffentlichkeit ÖFFENTLICHKEIT FÜR UNSERE THEMEN SCHAFFEN 1.000-mal erwähnt Nahezu 1.000-mal wurde die GPA-djp seit Jahresbeginn in den österreichischen Tages- und Wochenzeitungen erwähnt. Öffentliche Aktionen, Gehaltsverhandlungen und Konflikte zwischen Arbeit- gebern und ArbeitnehmerInnen – wie bei Amazon oder Douglas – finden reges öffentliches Interesse und werden auch in den Sozialen Medien intensiv diskutiert. Die GPA-djp wird vor allem positiv erwähnt. Es geht um die Geschichten von mutigen Menschen, die sich für ihre KollegIn- nen einsetzen, um Solidarität, durchgesetzte Rechte und um Verhandlungserfolge. In Zeiten, in denen Arme gegen noch Ärmere ausgespielt werden und Hetze den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht, setzen wir etwas dagegen. Das ist ein wichtiger Erfolg und ein Grund, sich zu freuen. ● Foto: Daniel Novotny 10 4/2019 KOMPETENZ
KOMMENTAR Gut, bei der Gewerkschaft zu sein Ein Kommentar von Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA-djp Stellen Sie sich vor, Sie werden schlechter sofort die Rechtsvertretung übernommen bezahlt als Ihnen zusteht. Oder haben und Klage eingebracht. Außerdem haben Probleme mit Ihren Vorgesetzten. Oder Sie wir alle Filialen besucht und uns mit einem werden am Arbeitsplatz diskriminiert. Brief an die Beschäftigten gewandt. Wir stehen hinter den Kolleginnen. Und jetzt stellen Sie sich vor, es ist niemand da, der Ihnen zur Seite Wir bieten über 14.000 steht und Sie dabei Betriebsrätinnen und unterstützt, Ihr Recht „INSGESAMT IST IN ÖSTER- Betriebsräten das durchzusetzen. bestmögliche Service, REICH EIN VIERTEL DER ARBEIT- damit diese sich für Durch Ihre NEHMERiNNEN MITGLIED EINER die Beschäftigten Mitgliedschaft in der GPA-djp können Sie GEWERKSCHAFT. GEMEINSAM einsetzen können. sicher sein, dass Sie HABEN WIR EINE KRAFT VON 1,2 Sie sind die ersten niemals allein sind, MILLIONEN MENSCHEN.“ Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner wenn es um Probleme BARBARA TEIBER im Betrieb, wenn in der Arbeitswelt Sie Unterstützung GPA-djp- geht. Unsere brauchen. Rechtsberatung: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich täglich um die Gibt es in Ihrem Betrieb noch keinen Betriebsrat, Rechtsberatung und Rechtsbeistand Anliegen von 280.000 Mitgliedern. dann unterstützen wir gerne bei der Gründung. bei Problemen am Gemeinsam mit den GPA-djp-Mitarbeiterinnen Arbeitsplatz erhalten Insgesamt sind in Österreich ein Viertel und Mitarbeitern gehen Sie jeden Schritt Sie österreichweit in der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allen Regionalstellen gemeinsam bis hin zur Betriebsratswahl. Mitglied einer Gewerkschaft. Gemeinsam der GPA-djp. haben wir die Kraft von 1,2 Millionen Egal, welches Problem Sie in der Arbeitswelt Menschen. Mit vollem Einsatz verhandeln haben: Ihre Gewerkschaft GPA-djp hat ein Telefonische die Gewerkschaften jedes Jahr unzählige offenes Ohr. Sie erreichen uns persönlich Erstberatung: Kollektivverträge, um für die Kolleginnen und in unseren Servicestellen, telefonisch, per 05 03 01-301 Kollegen das Maximum herauszuholen. Mail oder in den sozialen Netzwerken. Auch wenn der Wind rauer wird: Wir sind Mit all unserer Kraft setzen wir uns 365 Tage im da! So hat die Parfümeriekette Douglas drei Jahr für Sie ein. Damit Sie sich sicher sein können: Mitarbeiterinnen gekündigt, weil sie einen Es ist gut, bei der Gewerkschaft zu sein. l Betriebsrat gründen wollten. Wir haben Foto: Michael Mazohl KOMPETENZ 4/2019 11
INTERVIEW Klimaschutz Wir sind nicht auf dem Klima-Zielpfad Die Ökonomin Angela Köppl vom WIFO befürwortet eine CO2-Steuer, deren Einnahmen an BürgerInnen und Wirtschaft zurückfließen. Würden Menschen und Politik langfristiger denken, könnte emissionsreduziertes Verhalten zahlreiche Innovationen hervorbringen. KOMPETENZ: : Ist eine CO2-Steuer DIE zentrale Kli- Eine einheitliche Einführung auf europäischer Ebe- maschutzmaßnahme unserer Zeit? ne ist nicht einfach, weil der Beschluss von Steuern KÖPPL: Die CO2-Steuer ist EIN Element in einem aus- dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegt. Das hat sich gewogenen Instrumenten-Mix, um die umfangrei- bereits 2011 beim Versuch der Novellierung der Ener- chen Herausforderungen der Transformation unseres giesteuerrichtlinie – die auch schon eine CO2-Kom- Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu erreichen. ponente enthalten hat – gezeigt, die an der Ableh- Es ist unbestritten, dass ein Wandel stattfinden muss, nung einzelner Mitgliedsstaaten gescheitert ist. wenn wir den Klimawandel begrenzen wollen. Ös- Beispiele aus anderen europäischen Ländern wie terreich hat sich zu den Pariser Klimazielen bekannt, Schweden oder der Schweiz zeigen aber, dass eine muss daher die Emissionen deutlich reduzieren und Steuer auf Kohlenstoffdioxid-Ausstöße auch im nati- hat auch im Rahmen der europäischen, Klima- und onalen Kontext sinnvoll umgesetzt werden kann. In Energiepolitik Emissionsziele zu erreichen und Ziele Schweden wurden begleitende Maßnahmen gesetzt, für die Steigerung der Energieeffizienz und den Anteil um die Fernwärme auszubauen und fossile Heizsys- Foto: Nurith Wagner-Strauss erneuerbarer Energie mitzutragen. teme zu ersetzen, sodass der Gebäudesektor mitt- lerweile im Wesentlichen frei von fossilen Brenn- Macht eine CO2-Steuer auf nationaler Ebene Sinn, stoffen beheizt wird. Negative Auswirkungen auf die oder kann nur auf europäischer oder globaler Ebene Wirtschaft gab es nicht, von vielen Klimaschutzmaß- etwas erreicht werden? nahmen profitieren unterschiedliche Unternehmen 12 4/2019 KOMPETENZ
Klimaschutz INTERVIEW und Wirtschaftssektoren sogar durch eine zusätzli- auf Arbeit sowie eine Zweckwidmung für Klimain- che Nachfrage. vestitionen. Am sinnvollsten scheint mir eine Kom- In der Schweiz, wo Brennstoffe, nicht aber der Verkehr bination aus diesen drei Maßnahmen: mit einer CO2-Steuer belegt sind, wird ein Drittel der Beim Ökobonus wird aus den Steuereinnahmen ein Einnahmen für begleitende Maßnahmen verwendet: Pauschalbetrag je Haushalt oder Bewohner rückver- Es gibt ein Gebäudeprogramm, um den Bestand kli- teilt. Der Vorteil daran wäre, dass soziale Härten, die matauglicher zu machen indem zum Beispiel fossile aus der zusätzlichen Steuerbelastung entstehen, ab- Heizsysteme getauscht werden. Die restlichen zwei gefedert würden. Jemand, der viele Emissionen er- Drittel der Steuereinnahmen werden gemäß ihrem zeugt, hätte unter dem Strich trotz Bonus eine Steu- Aufkommensanteil an die erleistung zu bezahlen. Dieses Wirtschaft und Haushalte Modell hat den Nachteil, dass rückverteilt. „UNERWÜNSCHTES VER- nicht sichergestellt ist, dass aus HALTEN BEKOMMT EINEN der Steuerbelastung tatsäch- Ein nationaler Alleingang PREIS, DAMIT DIE KONSU- lich auch Anreize für Investiti- wäre also ein sinnvoller An- onen in Emissionsvermeidung fang? MENTEN UND PRODUZENTEN entstehen. Es gibt ja auch ande- Grundsätzlich ja. Fairer wei- REAGIEREN UND DIESES VER- re Barrieren, welche die direk- se muss man dazusagen, HALTEN REDUZIEREN. DER te Lenkungswirkung der Steu- dass es in der Schweiz und EFFEKT IST EIN RÜCKGANG er einschränken, beispielswei- in Schweden Ausnahmen se haben Mieter oft gar keine DER EMISSIONEN.“ für sehr energieintensive Möglichkeit, Emissions-min- und emissionsintensive ANGELA KÖPPL dernde Maßnahmen zu setzen. Firmen gibt. Schwedische Eine Rückverteilung der Unternehmen, die über den CO 2-Steuereinnahmen über EU-Emissionshandels-Sektor oder in der Schweiz eine Senkung von Steuern und Abgaben auf Arbeit dem Schweizer Emissionshandel reguliert sind, un- wäre deswegen sinnvoll, weil Österreich eine hohe terliegen nicht der CO2-Steuer. Abgabenlast auf Arbeit hat. Auch hier gilt, dass die Welche Unternehmen in eine CO2-Steuer mit ein- Rückverteilung nicht direkt mit dem Klimaschutz bezogen werden und was als Bemessungsgrundlage verbunden wäre, und es ist unbestimmt, wie weit für die Steuer herangezogen wird, ist natürlich eine dadurch tatsächlich Klimaschutzinvestitionen aus- politische Frage. gelöst würden. Im Rahmen einer Zweckwidmung für Umwelt- Wie könnte eine CO2-Steuer in Österreich konkret schutzmaßnahmen sollten die Einnahmen aus der aussehen? CO2-Steuer für klimataugliche Investitionen, also für Fossile Energieträger, Brennstoffe und Treibstoffe die Verbesserung der privaten und öffentlichen Infra- würden mit einem Steuersatz je Tonne CO2 belegt struktur verwendet werden. werden. Wie hoch der richtige Steuersatz wäre, ist nicht eindeutig bestimmt und letztlich eine politi- Wie kann das funktionieren? sche Entscheidung. Der festgesetzte Steuersatz wirkt Die Wirtschaft hätte starke Anreize, etwas Neues zu dann je nach Energieträger unterschiedlich, weil die entwickeln: Innovationen, die zu einer Reduktion der Emissionsintensität nach Energieträgern unter- Treibhausgasemissionen führen, können sowohl aus schiedlich ist, d.h. Benzin, Diesel, Heizöl und andere dem Blickwinkel der Lebensqualität der Menschen Ölprodukte haben eine höhere Emissionsintensität attraktiv sein, aber ebenso die Wettbewerbsfähigkeit je Energieeinheit als Gas. Da wir den Emissionsfak- der Unternehmen erhöhen. tor jedes Energieträgers kennen, wissen wir, welche Auswirkungen ein bestimmter Steuersatz auf die ein- Wo verorten Sie die Verantwortung zu einer CO2-re- zelnen Energieträger hätte. duzierten Lebensweise? Letztlich gilt es, die entsprechenden politischen Rah- Welche begleitenden Maßnahmen für Wirtschaft menbedingungen zu schaffen. Darüber hinaus hat und Bevölkerung wären nötig? jeder Verbraucher im Bereich Heizen als auch in der Es macht Sinn, eine CO2-Steuer im Kontext einer Mobilität kurzfristig meist nur eingeschränkte Ein- ökologischen Steuerreform zu diskutieren, um die flussmöglichkeiten, weil die vorhandenen Techno- Einnahmen wieder sinnvoll rückverteilen zu können. logien die Emissionen im Wesentlichen bestimmen. Dabei gibt es drei häufig diskutierte Optionen: den Bei anstehenden Investitionen, wie dem Autokauf Ökobonus, eine Senkung der Steuern und Abgaben oder dem notwendigen Einbau eines neuen Heizsys- KOMPETENZ 4/2019 13
INTERVIEW Klimaschutz ZUR PERSON Die Ökonomin Angela Köppl ist 59 Jahre alt und arbeitet seit 1992 im WIFO. Nach dem Studium der Volkswirtschaft an der Universität Wien hat sie eine postgraduale Ausbil- dung am Institut für Höhere Studien ab- solviert. In ihren For- schungen setzt sich Köppl mit Fragen des Klimawandels und der Restrukturierung des Energiesystems, ökonomischen Ins- trumenten der Kli- mapolitik wie Öko- steuern und Emis- sionshandel sowie der Energie- und Kli- mapolitik Österreichs tems oder auch Investitionen von Unternehmen, reagieren und dieses Verhalten reduzieren. Der Ef- und der EU ausein- sehe ich schon eine Verantwortung des Einzelnen. fekt ist ein Rückgang der Emissionen. ander. Politische Rahmenbedingungen und Verhalten Ökonomisch gesehen ist eine CO2-Steuer effizi- des Einzelnen müssten in Hinblick auf Klima- ent, weil dort Maßnahmen gesetzt werden, wo schutz miteinander einhergehen und vor allem sich dies ökonomisch rechnet. Emissionsredu- auch eine längerfristige Perspektive haben. zierende Maßnahmen werden gesetzt, solange Internationale Zusammenarbeit bräuchte es je- sie günstiger sind als die zu bezahlende denfalls in Hinblick auf den Flugverkehr. Kero- Steuerleistung. Das heißt, die Steuer schafft wirt- sin ist aufgrund von Verträgen aus den 1940er schaftliche Anreize. Dieses Modell stößt dort an - Jahren steuerbefreit. Ursprünglich wollte man seine Grenzen, wo zusätzliche Barrieren beste- damit den Flugverkehr ankurbeln. Der innereu- hen, wie die bereits angesprochene Mieter-Eigen- ropäische Flugverkehr ist in den EU-Emissions- tümer-Problematik, oder fehlendes Angebot an handel einbezogen, auch eine Kerosinsteuer wäre alternativen Mobilitätsmöglichkeiten. innereuropäisch möglich, Für den internationa- Gesellschaftspolitisch geht es um Akzeptanz einer len Flugverkehr gibt es jedoch keine abgestimmte solchen Klimaschutzmaßnahme. Wichtig wäre Klimapolitik. eine klare Kommunikation, dass eine CO2-Steuer als Maßnahme zur Bekämpfung des Klimawan- Ihre persönliche Meinung zu einer CO2-Steuer? dels gesetzt wird, und glaubhaft vermittelt wer- Von mir gibt es ein klares „Ja“ zu einer CO2-Steu- den kann, was mit den Steuereinnahmen passiert. er. Sinnvoll wäre es, eine derartige Steuer schritt- Das könnte die Zustimmung für die Steuer er- weise einzuführen bzw. über mehrere Jahre hin- höhen. weg anzukündigen, um Anpassungsprozesse zu erleichtern und zu fördern. Im Individualverkehr Wie ist Österreich derzeit klimapolitisch unter- würden Konsumenten so eine höhere Steuer bei wegs? der Wahl des Fahrzeugmodells in die Kaufent- Wir sind nicht auf dem Zielpfad, die Klimapolitik scheidung miteinbeziehen. wird bei uns leider viel zu oft zugunsten von kurz- Eine Lenkungsabgabe wie eine CO2-Steuer hat fristigen politischen Zielsetzungen in den Hinter- drei wichtige Ebenen: die ökologische, die ökono- grund gerückt. Klimapolitik bewegt sich in einem Foto: Nurith Wagner-Strauss mische und die gesellschaftspolitische. Kontext unterschiedlicher politischer Zielsetzun- Ökologisch gesehen steht die Lenkung im Vorder- gen, da können eben sowohl Synergien als auch grund. Unerwünschtes Verhalten bekommt einen Konflikte auftreten. ● Preis, damit die Konsumenten und Produzenten Das Interview führte Andrea Rogy 14 4/2019 KOMPETENZ
Unbezahlte Arbeit bei FOTOGRAMM Männern und Frauen 37 % 37 % Unbezahlte Bezahlte Arbeit Arbeit 63 % 63 % Quelle: Statistik Austria/AK Bezahlte Unbezahlte Arbeit Arbeit Männer verbringen gut 63 Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitszeit in bezahlter und 37 Prozent in unbezahlter Arbeit. Bei Frauen ist es exakt umgekehrt: Lediglich 37 Prozent ihrer Arbeit wird bezahlt, während der überwiegende Rest von 63 Prozent unbezahlt ist. Foto: Lucia Bauer Mehr Info: http://bit.ly/unbezahlte_arbeit KOMPETENZ 4/2019 15
KOLLEKTIVVERTRAG Metallindustrie Kollektivvertragsverhandlungen für die Metallindustrie Elfriede Schober, Miba Sinter Austria; Rainer Wir fordern 4,5 Prozent Wimmer, Karl Dürtscher Ende September war es wieder so weit: Die schweren Türen des Sitzungssaals in der Wirtschaftskam- mer Österreich in der Wiedner Hauptstraße in Wien schlossen sich hinter den Verhandlungsteams der Arbeitgeber und der Gewerkschaften. D iesem Tag war viel vorausge- Zurück in die Wirtschaftskammer, che und der Rechtsanspruch auf die gangen: Die Gewerkschaften 23. September 2019. Etwa 80 Betriebs- 4-Tage-Woche verlangt, auch Verbes- befragten die Beschäftigten rätinnen und Betriebsräte aus ganz serungen bei den passiven Reisezeiten in der Metalltechnischen Industrie, Österreich – das sogenannte große und für Lehrlinge werden gefordert. was ihnen bei den heurigen Kollektiv- Verhandlungsteam – versammeln Die Forderungen sind mehr als berech- vertragsverhandlungen besonders sich in der Wirtschaftskammer. tigt, die letzten zehn Jahre waren Re- wichtig sei. Wirtschaftsdaten wurden Die Stimmung ist gut, die Beleg- kordjahre für die Metallbranche. Es ist gesammelt, errechnet und verglichen. schaftsvertreterInnen sind bereit für das Mindeste, dass die Beschäftigten Die Branche wurde analysiert und harte Verhandlungen. Die Chefver- ein ordentliches Stück vom Kuchen die Ergebnisse mit der Gesamtent- handler der beiden zuständigen Ge- bekommen, verkünden Dürtscher und wicklung der österreichischen und werkschaften GPA-djp und PRO-GE, Wimmer. europäischen Wirtschaft sowie Karl Dürtscher und Rainer Wimmer, Nachdem die Medien infor- der Absatzmärkte gekoppelt. Die Be- läuten den Verhandlungstag mit ei- miert sind, geht es im Verhandlungs- triebsräte versammelten sich und ner Zusammenfassung der relevanten zimmer ans Eingemachte. Verkleiner- beschlossen die Leitlinien und Kennzahlen und der Stimmung in den te Verhandlungsteams beider Seiten Grundsätze für die Kollektivvertrags- Betrieben ein. treffen aufeinander. auseinandersetzung. Verhandelt wird einige Stunden. Der Kollektivvertrag (KV) der ERSTE VERHANDLUNGSRUNDE Wie erwartet, kommt es in dieser ers- Metallindustrie ist der Taktgeber Kurz darauf treffen die Gewerk- ten Runde zu keinem Ergebnis. Alle für die KV-Saison. Anfang des schafter zum ersten Mal in dieser Ver- Beteiligten wissen: Es wird noch etli- Herbstes verhandeln die Gewerk- handlungsrunde auf die Arbeitgeber- che Verhandlungsstunden brauchen, schaften mit den Arbeitgebern vertreter. Die wirtschaftliche Lage um zu einem für beide Seiten tragba- Foto: Georg Hochmuth/ APA/ picturedesk.com für 195.000 Beschäftigte in der wird im Groben besprochen und die ren Abschluss zu kommen. Die Arbeit- Branche, das Ergebnis ist der Richtwert Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- nehmerinnen und Arbeitnehmer und für alle weiteren KV-Verhandlungen. mer verkünden ihre Forderung: 4,5 ihre Gewerkschaften sind jedenfalls Durch diese besondere Bedeutung Prozent mehr Lohn und Gehalt, min- bereit, für ihren Kollektivvertrag zu kämpfen die Arbeitnehmerinnen und destens aber 100 Euro steht an der kämpfen. ● Arbeitnehmer für den bestmöglichen Spitze der Liste. Auch im Rahmenrecht Daniel Gürtler Abschluss oft um jeden Punkt und jeden gibt es wichtige Punkte, so werden un- Beistrich. ter anderem die sechste Urlaubswo- 16 4/2019 KOMPETENZ
Metallindustrie KOLLEKTIVVERTRAG „Die Solidarität ist spürbar“ Im Interview erklärt Chefverhandler Karl Dürtscher, warum der Metaller-Kollektiv- vertrag (KV) besondere Bedeutung hat, und dass die Metaller auch heuer kampfbereit sind. Was macht den Metaller-KV so besonders? beitnehmerInnen am Buffet gleichberechtigt wa- ZUR PERSON: Die Metallindustrie ist mit einer Exportquote von ren, hat nicht stattgefunden, und eine Party, wo wir, Karl Dürtscher ist ca. 80 Prozent ein wichtiger Faktor in der österrei- lediglich den Aufbau begleiten durften, die Arbeit Bundesgeschäftsführer der GPA-djp und chischen Wirtschaft und gleichzeitig werden späte- während der Party hatten und dann noch zusam- Chefverhandler für re konjunkturelle Entwicklungen in der Industrie menräumen sollen und einem dabei gesagt wird, den Metaller-KV. als erstes sichtbar. Das trifft sowohl auf Phasen des dass man dafür nicht mehr alle braucht (z. B. Zeit- Aufschwungs als auf erwartbare Phasen einer mode- arbeitskräfte, befristete Dienstverhältnisse, Kurzar- rateren Entwicklung zu. In einer solchen mit einem beit etc.) lehnen wir ab. Wir wollen den gerechten etwas verringerten Wachstum befinden wir uns der- Anteil am Ertrag. zeit. Außerdem ist die Metaller-Runde so etwas wie der Leit-KV, an dem sich andere KVs orientieren. Wir wichtig ist die Streikbereitschaft der Metaller? Warum gibt es keine gemeinsamen Verhand- Aktions- und Streikbereitschaft sind elementare lungen? Grundlagen für einen erfolgreichen Verhandlungs- Früher gab es die sogenannte „Globalrunde“ der prozess. Denn wenn Verhandlungsgeschick an sei- gesamten Metallindustrie. Einzelne Fachverbände ne Grenzen stößt, und das Gegenüber für noch so wollten keine gemeinsamen Verhandlungen mehr. gute Argumente nicht zugänglich ist, braucht es die Das war letzten Endes zu akzeptieren. Jedoch sind Solidarität der ArbeitnehmerInnen. Diese ist im Me- wir dem oftmaligen Wunsch der Fachverbände nach tallbereich spürbar und erleichtert es den Verhand- Abschlüssen in unterschiedlicher Höhe bisher nicht lerInnen, ein erfolgreiches Ergebnis nach Hause zu nachgekommen. bringen. Die Arbeitgeber jammern, dass die Wirtschaft sich Welche Rolle spielen die BetriebsrätInnen? schlecht entwickle. Was setzt ihr dem entgegen? Die BetriebsrätInnen haben eine Schlüsselrolle für Die aufziehenden Gewitterwolken hören wir jedes erfolgreiche KV-Verhandlungen. Sie nehmen die Jahr. Sogar in Jahren der Hochkonjunktur wurde be- Anliegen der Beschäftigten wahr und bringen diese tont, dass Gewerkschaften Verantwortung für den in die Verhandlungen ein und bereiten Betriebsver- Standort übernehmen sollen. So auch dieses Jahr. sammlungen, Protestkundgebungen und Streiks ge- Wenn man sich allerdings die Gewinnausschüttun- meinsam mit den RegionalsekretärInnen der GPA- gen der Unternehmen näher ansieht, stellt man fest, djp vor. KV-Verhandlungen sind gelebte Solidarität. dass heuer ca. 90 Prozent der Gewinne entnommen ArbeitnehmerInnen wissen, allein kann man oft we- wurden. Es ist also ein sehr einseitiges Verlangen, nig bewegen. Anliegen, für die wir gemeinsam ein- Foto: Nurith Wagner-Strauss das die Arbeitgeber hier an die ArbeitnehmerInnen- treten, können wir umsetzen. Hier gilt die Aussage seite stellen. Unter dem Motto der Arbeitgeber „Die – je mehr Gewerkschaftsmitglieder wir sind, umso Party ist vorbei“ sollen Betriebsräte und Gewerk- mehr wird´s. ● schafterInnen auf geringere Einkommenssteige- Das Interview führte Daniel Gürtler rungen vorbereitet werden. Eine Party, wo die Ar- KOMPETENZ 4/2019 17
KURZMELDUNGEN Aktuelles SONNTAG FREI Kick-off der Kampagne „Der Sonntag gehört mir!“ Arbeitszeit. Die Änderung des Arbeitsruhegeset- „Der Sonntag gehört mir!“ und den zugehörigen zes brachte 2018 für ArbeitnehmerInnen mas- Hashtags #meinsonntag #dersonntaggehörtmir sive Verschlechterungen. Ein Jahr später droht #sundays4future eine öffentliche Stimme. KURZMELDUNGEN eine komplette „Aufweichung“ der Wochen- endruhe. Die Allianz für den freien Sonntag star- Kick-off ist am 14. Oktober 2019 mit einer Pres- tet daher im Oktober eine Informations- und sekonferenz unter Beteiligung von GPA-djp, AK, Imagekampagne für den arbeitsfreien Sonntag. katholischer und evangelischer Kirche und Ju- Sie soll die Wichtigkeit dieses letzten freien Wo- gendvertreterInnen. ● chentages bewusst machen, zu Diskussionen und auch zu Aktivitäten im persönlichen Umfeld Mehr Infos unter anregen. Getragen wird die Kampagne von „ech- www.meinsonntag.plus ten“ Menschen, BotschafterInnen für den freien Sonntag, denen dieser Tag wirklich am Herzen facebook: @arbeitsfreier.Sonntag liegt. Sie erhalten unter dem Kampagnen-Claim instagram: meinsonntag ÄLTERE ARBEITNEHMERiNNEN Aktion 20.000 NEU Arbeitsmarkt. Mit dem von der SPÖ/ÖVP-Re- eine Neuauflage: Zwar kommt die Aktion 20.000 gierung im Jahr 2017 beschlossenen Förderpro- nicht in ihrer ursprünglichen Form zurück, es gramm „Aktion 20.000“ wurden Menschen über wurde jedoch beschlossen, bereits in den Jahren 50 Jahren, die seit mindestens einem Jahr keine 2019 und 2020 Euro aus dem Budget des Bundes Arbeitsstelle mehr finden konnten, bei der Wie- 50 Millionen für die Förderung von Menschen dererlangung eines Jobs unterstützt: Konnten über 50 zu verwenden. Nun sollen auch Jobs in sie bei einer öffentlichen Einrichtung oder ei- der Privatwirtschaft gefördert werden können, nem gemeinnützigen Verein beschäftigt werden, wobei die genaue Ausgestaltung der Förderung übernahm die öffentliche Hand dafür die Kosten vom AMS vorgenommen wird. ● – die Finanzierung erfolgte insbesondere über das AMS. Von der türkis-blauen Bundesregie- rung war die zunächst auf zwei Jahre befriste- Mehr Infos zu den im September te Aktion 20.000 dann nicht verlängert worden. beschlossenen Verbesserungen Das stellte 3.700 Langzeitarbeitslose über 50, die für ArbeitnehmerInnen und von der Aktion 20.000 profitiert hatten, vor gro- PensionistInnen: ße Schwierigkeiten. Nun gelang im Nationalrat http://bit.ly/NR-Beschlüsse 18 4/2019 KOMPETENZ
KURZMELDUNGEN KLIMAVOLKSBEGEHREN Klimaschutz in die Verfassung Klimakrise. Wir spüren die Auswirkungen der terstützungserklärungen können online mit der Klimakrise schon jetzt! Unsere Gletscher ver- Handysignatur oder am Gemeindeamt/Magist- schwinden, unsere Äcker und Wälder vertrock- rat abgegeben werden. ● nen, die Hitze belastet uns alle. Die Initiato- rInnen des Klimavolksbegehrens möchten die Volksbegehren unterstützen: Politik zum Handeln zwingen. Sie fordern verfas- https://klimavolksbegehren.at/ sungsgesetzliche Änderungen, die Klimaschutz auf allen Ebenen ermöglichen und leistbar machen. In nur 24 Stunden hat das Klimavolksbegehren bereits genug UnterstützerInnen gefunden, um zur Unterzeichnung aufgelegt zu werden. Un- SOZIALVERSICHERUNG Milliardengrab Kassenfusion ÖGK. Die Reform der Sozialversicherung er- weist sich als Milliardengrab und große Mär- chenstunde noch bevor sie umgesetzt ist. Die Erzählung war gut erfunden: 2020 werden 21 So- zialversicherungsträger auf fünf zusammenge- legt. Das soll Einsparungen von einer Milliarde bringen, die in Form besserer Leistungen an die Menschen fließen. Das Problem: Nichts davon stimmt. Statt einer Milliarde mehr gibt es eine Milliarde weniger! Da die Husch-Pfusch-Reform nun vor dem Ver- fassungsgerichtshof landete, hat die damalige Sozialministerin Beate Hartinger-Klein ein Gut- achten beauftragt, das das Einsparungspoten- zial aufzeigen solle. Dieses Gutachten gab an, dass es zunächst teuer wird. Die Fusions- und Integrationskosten wurden mit 300 bis 400 Mil- lionen eingeschätzt. Aber binnen fünf Jahren aufwand in Millionenhöhe und erhebliche in- könnte angeblich ein Kostensenkungspotenzi- terne Kosten, weil viele MitarbeiterInnen in al von ca. 300 Millionen Euro realisiert werden. Organisationsprojekten gebunden sind. Dem- Dieses Auftragsgutachten hat aber einige Unge- nächst müssen dann die bisherigen Verträge mit reimtheiten. Die Arbeiterkammer hat nachrech- den Ärztekammern unter Zeitdruck neu verhan- nen lassen und festgestellt: Die Annahmen sind delt werden. Auch das sind Vorgaben, die teuer falsch. Das Kostensenkungspotenzial wurde viel werden können. ● zu hoch berechnet: Die Verwaltungseinsparun- gen sind realistisch nur ein Drittel der angebli- Mehr dazu: chen 100 Millionen. http://bit.ly/Kompetenz_Kassenfusion Die über das Knie gebrochene Fusion der Kran- kenkassen wird zu erheblichen Mehrkosten füh- ren. Allein für ein neues Logo und den neuen Foto: Fotolia.de Außenauftritt werden statt der zunächst kolpor- tierten 400.000 Euro 2,5 Millionen Euro zu ver- anschlagen sein. Hinzu kommt ein Beratungs- KOMPETENZ 4/2019 19
PORTRÄT Betriebsrat Der aufgestiegene Weltverbesserer Fritz Schiller ist ein konstruktiver Kritiker, der überall seine Stimme erhebt, wo er politische Funktionen innehat. G äbe es die Parteifarbe Rot- Österreichs Ökologie-Bewegung abhängig“ und kein Grüner sei, Grün, wäre Fritz Schiller in Gang kam, marschierte er ge- betont er. vielleicht einer ihrer Ver- gen die geplanten Kraftwerke treter. Das ist aber nicht der Fall. Zwentendorf und Hainburg. RÜCKBAU DER WIRTSCHAFT Also geht er mit Rot wie mit Grün Das VWL-Studium, u. a. bei Al- „Mein Herz schlägt für die Ar- gleichermaßen hart ins Gericht. exander Van der Bellen und Erich beiterInnenbewegung“, erklärt er Wahrscheinlich liegt das an seiner Streissler, bedeutete für den jun- im Interview. Aber die SPÖ habe Biografie. „Ich bin ein aufgestiege- gen Fritz „Wissen aufsaugen“ und ihre Basis, die sie einmal vertreten ner Arbeitersohn.“ Aufgewachsen „Befreiung“, erinnert sich Schiller. hat, vernachlässigt, auf ihre Kern- ist er in den Wiener proletarisch Für den fertigen Volkswirt stan- wählerInnen einfach vergessen geprägten, Bezirken Meidling den dann als Berufseinstieg zur und sie nicht mehr unterstützt. und Rudolfsheim-Fünfhaus – der Auswahl die Arbeiterkammer, Die Grünen seien konsequent ge- Vater war Stadtbahner, die Mut- welche er wegen des damals par- ZUR PERSON: gen den Klimawandel, hätten aber Fritz Schiller ist ter Schneiderin und Hausbesor- teipolitisch „restriktiven Klimas“, Betriebsratsvorsitzender niemals eine soziale Basis gehabt, gerin, also „brave Sozialdemokra- wie er es heute nennt, ablehnte. bei der Raiffeisen „die Grünen waren immer Bobos Kapitalanlage GmbH, tInnen“, sagt der Sohn (Jahrgang Oder eben der Bankensektor. Der Mitglied des GPA-djp- (aus „bourgeois“ und „bohémien“, 1957). Vom Hauptschüler, Lehr- ist nunmehr seit Jahrzehnten Bundesvorstandes, Anm.)“, findet er. „Beide wollen die AUGE-Vertreter in der ling bei den Wiener Verkehrsbe- sein Brötchengeber. Seit 21 Jah- Bundesarbeitskammer Wettbewerbsfähigkeit stärken, trieben und Industriekaufmann ren arbeitet er für die Raiffeisen sowie im Vorstand und das geht nicht.“ der bisherigen Wiener arbeitete er sich hoch zum Ma- Kapitalanlage GmbH, wo er auch Gebietskrankenkasse Stattdessen plädiert Fritz Schil- turanten im zweiten Bildungs- Vorsitzender des von ihm gegrün- (WGKK), weshalb er ler für einen Rückbau der Wirt- Foto: Nurith Wagner-Strauss auch ein Verfechter weg und zum Studium der Volks- deten Betriebsrates für rund 270 schaft, was Nachhaltigkeitsfor- der dortigen wirtschaftslehre (VWL). Anfang MitarbeiterInnen ist. Seit 16 Jah- Selbstverwaltung scher als „Degrowth“ propagieren. der 1970er-Jahre demonstrierte ren gehört er den Alternativen durch die „Wir müssen ein völlig demokra- ArbeitnehmerInnen ist. er für das SPÖ-Urgestein Bruno und Grünen GewerkschafterIn- tisch verwaltetes Wirtschaftssys- Kreisky. Als einige Jahre später nen (AUGE) an, wiewohl er „un- tem weltweit zustande bringen. 20 4/2019 KOMPETENZ
Betriebsrat PORTRÄT Das ist natürlich eine Illusion. und effizienter wir von einem auf bisher. Ich bin kritisch und möch- Aber wir brauchen ein gemeinsam das nächste Jahr gearbeitet haben. te, dass es den ArbeitnehmerIn- akkordiertes System, auch die Aus- Das sei wichtig hinsichtlich der nen immer besser geht, und dass beutung der Dritten Welt muss zunehmenden Automatisierung die Gewerkschaften immer stär- berücksichtigt werden – und die und Digitalisierung. „Es geht um ker werden. Aber ich will keinen Frage der Frauenunterdrückung; die durchschnittliche Produktivi- bürokratischen Haufen. Es gibt von halbe-halbe sind wir nicht tät bei solidarischer Lohnpolitik. schon sehr gute Arbeitnehmer- einmal meilenweit entfernt. Der Sonst würde sich die Lohnpoli- vertreterInnen, auch in der Ar- Betriebsrat ist Gott sei Dank ein tik spreizen – in extrem gute und beiterkammer, eine absolut nicht kleines Instrument, um das aufzu- extrem schlechte Bezahlung, und zeigen.“ diese Lücke zwischen den Bran- chen wird immer größer“, erläu- KRITIK AM NEOLIBERALISMUS tert Schiller. Er ist auch Mitglied An den neolibe- ral ausgerichteten, wirtschaftsfreund- „ICH GLAUBE AN DAS lichen Parteien übt Schiller ganz Volks- GUTE IM MENSCHEN UND wirt sowieso Kritik. MÖCHTE DIE WELT VER- „Die Neoliberalen BESSERN.“ vertreten eine Kü- FRITZ SCHILLER chen-Ökonomie. Die ÖVP verteidigt die Leistungsträger, wobei sie nie dazu sagt, wie sie des GPA-djp-Bundesvorstands „Leistung“ definiert.“ Egal ob je- und will nicht die gewerkschaft- mand im Reporting arbeitet oder liche (Verhandlungs-)Stärke an- zu unterschätzende Organisati- in der Pflegebranche oder Unter- zweifeln. Sondern er möchte sei- on“, betont Fritz Schiller. „Aber nehmerInnen selbst, „die können ne Publikation (seine Doktorar- die Postenkämpferei ist ein Pro- auch nicht mehr als 24 Stunden ar- beit) als Unterfutter für die ge- blem.“ beiten. Da klafft etwas massiv aus- werkschaftlichen Tarifverhand- Auf die abschließende Fra- einander. Es kann mir niemand er- lungen verstanden wissen. ge, was ihm Kraft gibt, antwor- klären, warum ein CEO zwei Mil- Damit liegt nicht weniger als tet er ganz Humanist: „Ich glau- lionen Euro verdient – und dann die erste Monografie über Lohn- be an das Gute im Menschen und dafür noch belohnt wird, wenn er politik in Österreich vor. Fritz möchte die Welt verbessern. Ich Leute raushaut“. Schiller wurde deshalb auch schon habe den normativen Anspruch, Fritz Schiller fordert denn auch vom Wirtschaftsforschungsins- dass jeder Mensch die gleichen eine Gehaltsobergrenze genauso titut (WIFO) und von der Nati- Chancen hat. Die Menschenrech- wie einen höheren Mindestlohn. onalbank angefragt. „Ich bin ein te sind ein Mindestmaß. Aber ich „Die Mindestlöhne sind in man- kleiner Betriebsrat, kein Wissen- habe nicht die Weisheit mit dem chen Branchen wirklich nicht schaftler“, fühlt er sich dennoch Löffel gegessen.“ ● Existenz sichernd.“ Darauf nimmt bestätigt mit seinem Anliegen. Er Heike Hausensteiner auch sein Buch Bezug. Darin kriti- sei kein Quertreiber, „das wäre ja siert er, dass in Österreich – trotz ohne Sinn“. Vielmehr sieht er sich hoher Abdeckung durch Kollekti- als konstruktiver Kritiker im Sin- vverträge (98 Prozent) – die Tarif- ne derjenigen, die er vertritt. Fritz Schiller Foto: Nurith Wagner-Strauss Wagner-Strauss Lohnpolitik in Österreich löhne zu gering seien. Und fordert Zur Relevanz der eine „produktivitätsorientierte GEWERKSCHAFTER UND BE- produktivitätsorientierten und solidarische Lohnpolitik.“ TRIEBSRAT MIT LEIB UND SEELE und solidarischen Das heißt, dass die Löhne entspre- „Ich bin Gewerkschafter und Lohnpolitik chend der Verbraucherpreise (In- Betriebsrat mit Leib und Seele. 29,90 Euro flation) steigen und entsprechend Das ist meine Erfüllung. Ich bin ISBN 978-3-99046-368-0 der statistisch höheren Produkti- das jetzt seit 16 Jahren, und das vität, also um wie viel schneller ist die befriedigendste Lebenszeit KOMPETENZ 4/2019 21
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