Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund

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Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
E VA N G E L I S C H E
                         ORIENTIERUNG
                                                           1/2021

                            h  e Ö  k u m   en
         Ökaornumomes igesmceinsam besser geht e
                W
SARAH HARTWIG, GERMANY                       YEARS
                                                     UNIVERSAL DECLARATION OF

                                                     HUMAN RIGHTS
                                                     #STANDUP4HUMANRIGHTS
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
Inhalt

                                                                                                                                              Bildnachweis: Werner Krüper/Bild oben, Wolfgang Noack/Portrait (Seite 3), bph/Werner Kaiser/Wikimedia CC-BY-3.0 (Seite 6), Wikimedia/CC BY-SA 3.0 und ÖKT (Seite 7)
       Harald Lamprecht
       Konfessionen ade? ................................................. 4

       Meldungen ............................................................ 5

       Wolfgang Thönissen
       Ökumene heute ..................................................... 6

       Christian Schwaiger, Deborah Drensek, Charlotte Horn

                                                                                            6

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Adobe Stock (Seite 8), Vikoria Kühne (Seite 10), pbm, Bistum Magdeburg (Seite 11), iStock (Seite 14, 20), Foto: Diakoniestation (Seite 17)
       Visionen zur Ökumene ........................................... 8

       Gerhard Feige
       Ermutigung zur Ökumene .................................... 10

       Friedrich Kramer, Johann Schneider
       Blickwechsel ....................................................... 12

       Beate Thalheimer, Ulrich Rost                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             An 365 Tagen im Jahr kümmert sich die Ökumenische Bahnhofsmission in rund 100 Städten ganz unbürokratisch um Menschen, die Unterstützung brauchen.
       Ökumenischer Weg in der Schulseelsorge ........... 14

       Carina Dobra
       Simultankirche Biberach...................................... 16

       Interview mit Tobias Stein
       Pflege als gemeinsame christliche Aufgabe ......... 17
                                                                                            14
       Gerold Heinke
       Grenzen überwinden ............................................ 18
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 „Was sollen wir denn noch alles machen? Gottesdienste, Bibel-               Ökumenische Zusammenarbeit ist kein „on top“-Thema, das zu-
       Kathinka Hertlein                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         stunden, Seniorenkreis, Religionsunterricht, Konfis, Jugendar-              sätzlich zu allen anderen Aufgaben dazu kommt. Ökumene ist
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 beit, Kirchenchor, Seelsorge, Taufen, Beerdigungen, Trauungen,              ein Grundvollzug von Kirche, der „Ernstfall des Glaubens“, wie
       „Können wir das schaffen?“ ................................. 20                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Gremienarbeit, Verwaltung – und dann auch noch Ökumene?“,                   Ernst Lange es einmal nannte. Gut, dass sich die EKD in ihren
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 so höre ich manche Kollegin und manchen Kollegen seufzen. Ge-               „Zwölf Leitsätzen“ eindeutig zur verstärkten ökumenischen Zu-
       Hanne Lamparter                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           rade in Zeiten knapper werdender Kassen muss man Schwer-                    sammenarbeit bekennt: „Wir stärken ein Handeln in gegenseiti-
       Ökumenisches Netzwerk MEET ........................... 21                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 punkte setzen. Und sich dann erst mit dem katholischen Kolle-               ger Stellvertretung und enger Verzahnung unserer kirchlichen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 gen zusammenraufen, die ganzen Abstimmungen und Vorberei-                   Arbeit vor Ort …“
       Vor Ort ................................................................ 22                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               tungstreffen … – dafür, dass man einer Veranstaltung das Eti-

       Aktuelles aus dem Wolfgang-Sucker-Haus ........... 23                                17                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   kett „ökumenisch“ aufkleben kann. Lohnt sich das?

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Aber: Ist ein Gottesdienst erst dann ökumenisch, wenn vorne
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Wie das konkret aussehen kann und noch viel mehr zur Öku-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             mene, lesen Sie in diesem Heft.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 ein Mann in Weiß mit Stola und eine Frau im langen Schwarzen                Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 mit Beffchen steht – oder kann einmal der eine und ein anderes
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Mal die andere einen Gottesdienst mit allen Gläubigen feiern?
Herausgeber: Evangelischer Bund.                   Verlag: Evangelischer Bund e.V. Bensheim, 64602      Annahmeschluss für Anzeigen jeweils                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Brauchen wir für die kirchlichen Kindergärten in einer Region
Konfessionskundliches und Ökumenisches             Bensheim, Postfach 1255; Telefon 06251.8433-0.       vier Wochen vor Quartalsende.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            unbedingt zwei Verwaltungsstellen, oder ist es nicht ökono-
Arbeitswerk der Evangelischen Kirche               Satz, Layout und Produktion: Bonifatius GmbH,        E-Mail: info@ki-bensheim.de
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 misch sinnvoll, sie zusammenzulegen? Schränkt es unser dia-
in Deutschland.                                    Karl-Schurz-Str. 26, 33100 Paderborn                 Internet: www.evangelischer-bund.de
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 konisches Zeugnis in irgendeiner Weise ein, wenn meiner be-                                     DR. EKKEHARD WOHLLEBEN
Redaktion: Britta Jagusch, Christina               Die Zeitschrift „Evangelische Orientierung“          Konto: Evangelische Bank eG Kassel
Krause, Dr. Harald Lamprecht (V.i.S.d.P.),         erscheint vierteljährlich. Der Preis ist durch den   IBAN: DE87 5206 0410 0004 0015 32                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        tagten Mutter morgens ein Katholik die Tabletten richtet und ihr                                ist Leiter der Evangelischen Stadtakademie
Dr. Martin Schuck und Dr. Ekkehard Wohlleben.      Mitgliedsbeitrag abgegolten.                         BIC: GENODEF1EK1                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         abends eine Protestantin beim Baden hilft?                                                      Nürnberg, Vorsitzender der ACK Nürnberg
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 und Mitglied im Redaktionskreis der
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 „Evangelischen Orientierung“.

       2   Evangelische Orientierung 1/2021                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Evangelische Orientierung 1/2021   3
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                              Meldungen

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                                                                                                                                                     Die Goldenen Zwanziger. Zwischen den Zeiten.
                                                                                                                                                     Die „Goldenen Zwanziger“ waren eine Epoche zwischen pulsierendem Lebensgefühl und wirt-
                                                                                                                                                     schaftlicher Notlage – glamourös und ernüchternd. Doch dann verloren sie Glanz und Glamour
                                                                                                                                                     in wirtschaftlichem Ruin und dem Niedergang der Republik. 20 Persönlichkeiten aus Kunst, Ge-
                                                                                                                                                     sellschaft und Kirche blicken zurück und werfen erhellende Schlaglichter auf die Gegenwart. Sie
                                                                                                                                                     entdecken eindrückliche Bilder, unvergessliche Zitate und erzählen über die Erfahrungen einer
                                                                                                                                                     Generation. Das Buch, herausgegeben vom Evangelischen Bund Hessen, besticht durch seine Viel-
                                                                                                                                                     falt und Ideen. Den Auftakt bildet ein Blick auf die Theologie Karl Barths, der wie kein anderer die
                                                                                                                                                     Theologie der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts geprägt hat.
                                                                                                                                                     Zwischen den Zeiten: Elisabeth Engler-Starck, Lars Hillebold, Astrid Maria Horn, Matthias Ullrich

Konfessionen ade?
                                                                                                                                                     (Hrsg.), Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, April 2021, 192 Seiten, 20 Euro.

                                                                                                                                         ANGESCHAUT
Wie Frömmigkeitstypen an die Stelle                                                                                                                  Religionen entdecken
konfessioneller Spaltungen treten                                                                                                                    Kindern die Welt des Glaubens erklären, mehr über religiöse Feste erfahren und im Quiz span-
                                                                                                                                                     nende Dinge über die Bibel erfahren? Im Portal religionen-entdecken.de finden sich nicht nur in-
Über Jahrhunderte prägte die Spaltung der Konfessionen               katholischen Bereich hingegen geht es mehr um die kirchliche                    teressante Informationen für Kinder, sondern auch Literaturtipps, Links und Unterrichtsideen für
das Leben vieler Menschen in Europa. Im sogenannten                  Autorität, also Papst und Lehramt, auf die man sich beruft –                    Lehrkräfte. Für die Seriosität der Informationen sorgen zahlreiche Religionspädagogen, Religions-
„konfessionellen Zeitalter“ zog sich der Riss durch nahezu           allerdings meist in vorkonziliarer Perspektive und weniger auf                  wissenschaftler und Theologen. Über das Christentum hinaus beraten Experten aus dem Islam,
alle Lebensbereiche. Heute gibt es zwar noch die Konfes­             den gegenwärtigen Papst Franziskus. Gemeinsam ist dieser                        dem Alevitentum, dem Judentum, der Bahai-Religion, dem Buddhismus und dem Hinduismus das
sionen und so manche Verschiedenheit hat sich erhalten.              Richtung in beiden Konfessionen die Furcht, das selbständige                    Internetportal. Sie unterstützen das Projekt von Anfang an. Das Portal wird durch das Gemein-
Aber dennoch hat die Bedeutung dieser Trennung im allge­             Denken des Individuums könne diese Autoritäten beschädigen.                     schaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) von erfahrenen Journalistinnen und Theologen
meinen Bewusstsein stark nachgelassen.                               Darum müsse der menschliche Verstand ihnen stets untergeord-                    stetig weiterentwickelt.
                                                                                                                                                     religionen-entdecken.de
                                                                     net bleiben.
Insbesondere für jüngere Menschen spielen die konfessionellen
Unterschiede in vielen Lebenssituationen kaum noch eine Rolle.
An ihre Stelle ist eine andere Trennlinie getreten. Diese verläuft
nun aber quer zu den Konfessionen. Was heutzutage im Lebens-
                                                                     Kritisches Denken gefragt
                                                                                                                                         ANGELAUFEN
gefühl und bei vielen praktischen Fragen Trennungen verur-           Im Gegensatz dazu wird dem selbständigen kritischen Denken
                                                                                                                                                     Pilgern auf dem Lutherweg 1521
sacht, ist stärker der Frömmigkeitstypus als die angestammte         in dem hier als „liberal“ bezeichneten Bereich ein hoher Stellen-
Konfession. Das gegenwärtige Gruppenempfinden richtet sich           wert zugeschrieben. Damit werden auch die gewachsenen reli-                     Am 18. April 1521 stand Martin Luther vor dem Reichstag in Worms. Er weigerte sich, seine Schrif-
mehr an den Bezeichnungen „liberal“ oder „konservativ“ aus.          giösen Autoritäten der Kritik unterworfen. Inbegriff dafür ist –                ten zu widerrufen, die Reformation nahm ihren Lauf. In diesem Jahr feiert Worms 500-jähriges
                                                                     nicht nur im protestantischen Bereich – die historisch-kritische                Jubiläum. Frankfurt am Main feiert den Ökumenischen Kirchentag. Der Lutherweg 1521 verbin-
                                                                     Methode der Schriftauslegung. Im katholischen Bereich gehört                    det beide Fest-Orte. Vom 8. bis 12. Mai lädt daher das Evangelische Dekanat Wetterau zur Pilger-
Gefühlte Zugehörigkeiten                                                                                                                             tour „Mut tut gut“ von Worms nach Frankfurt ein. In fünf Etappen startet der Weg mit einer Er-
                                                                     dazu z.B. die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Klerikalis-
                                                                                                                                                     kundungstour durch Worms und führt dann von Worms nach Osthofen, ca. 15 km, von Osthofen
                                                                     mus – vor allem bei den Themen sexueller Missbrauch und Stel-
                                                                                                                                                     nach Oppenheim, ca. 18 km, von Oppenheim nach Mörfelden-Walldorf, ca. 18 km und von Mörfel-
Zwar sind beides unscharfe Begriffe, aber doch entwickeln sich       lung von Frauen in kirchlichen Ämtern.
                                                                                                                                                     den-Walldorf nach Frankfurt. Das Programm wird den aktuellen Hygienemaßgaben der Pandemie
an ihnen „gefühlte“ Zugehörigkeiten. In meinem Bekannten-
                                                                                                                                                     angepasst. Anmeldung: Britta.Laubvogel@ekhn.de
kreis gibt es einige, die z.B. die Zeitschrift Publik-Forum gern
                                                                                                                                                     wetterau-evangelisch.de
lesen, aber nicht ohne weiteres sagen könnten, ob das ein evan-      Größere Vielfalt
gelisches oder katholisches Blatt ist. Umgekehrt habe ich im
evangelikalen wie im konservativ-katholischen Bereich Men-           So scharf, wie der Gegensatz hier gezeichnet wurde, ist er glück-
schen getroffen, die sich vollkommen einig waren, dass z.B. die
Harry-Potter-Bücher gefährlich seien, weil sie Magie und Okkul-
                                                                     licherweise in der Praxis nicht immer. Es gibt viele nicht-fun-
                                                                     damentalistische „Konservative“ ebenso wie traditionelle Werte
                                                                                                                                         ANGEHÖRT
tismus verbreiten würden.                                            schätzende „Liberale“. Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind also                       7 Tage 1 Song
                                                                     fehl am Platz. Dennoch können diese Beobachtungen etwas von
                                                                                                                                                     Liederandacht mal anders: Das Projekt „7 Tage 1 Song“ von Pfarrer Christoph Borries aus Greven-
                                                                     den veränderten Allianzen der Gegenwart erklären.
                                                                                                                                                     broich fordert auf: „Schenk einem Song mehrere Verabredungen mit Dir in einer Woche.“ Zu jedem
Eine Frage der Autorität
                                                                                                                                                     Lied gibt es drei Gedankenimpulse, die einladen, sich näher mit dem Text zu beschäftigen. „Es gibt
                                                                                                                                                     so viele Songs, die Kraft schenken, die Hoffnung wachsen lassen oder die etwas Kaputtes reparie-
Beide Frömmigkeitstypen unterscheiden sich maßgeblich in ih-                            DR. HARALD LAMPRECHT
                                                                                                                                                     ren. Dafür muss ich dem Lied Zeit und Aufmerksamkeit schenken“, so der Pfarrer. Sein Konzept
rer jeweiligen Haltung zur Autorität und zur menschlichen Ver-                          ist Weltanschauungsbeauftragter der Evan-
                                                                                                                                                     hat Erfolg: Nach fünf veröffentlichten Podcasts hatte Christoph Borries bereits mehrere Tausend
nunft. Im „konservativen“ Lager kämpft man für den Erhalt der                           gelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens                   Zuhörerinnen und Zuhörer pro Episode. Hier kann man reinhören:
traditionellen Autoritäten. Das zeigt sich im evangelischen Be-                         und Geschäftsführer des Evangelischen Bun-                   7tage1song.de
reich oft in einem fundamentalistischen Bibelverständnis. Im                            des Sachsen.

4   Evangelische Orientierung 1/2021                                                                                                                                                                                             Evangelische Orientierung 1/2021   5
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                                    Thema

Ökumene heute
                                                                                                                                              Ökumenischer Dialog versus gegenseitige Anerkennung

                                                                                                                                              Diese Frage treibt heute viele evangelische und katholische
                                                                                                                                              Christen um, nicht nur in Deutschland. Kirchen, Gemeinschaf-
                                                                                                                                              ten, Arbeitskreise, Initiativgruppen suchen vermehrt Antworten
Wieviel Einheit unter den Christen ist nötig?                                                                                                 auf diese Fragen. Wenn sich die christlichen Kirchen heute auf
                                                                                                                                              dem Weg zu einer gemeinsamen Erklärung über Kirche, Eucha-
                                                                                                                                              ristie und Amt befinden, scheint der ökumenische Dialog einen
                                                                                                                                              beträchtlichen Erfolg erzielt zu haben. Aber wieweit ist die ge-
                                                                                                                                              genseitige Anerkennung der Kirchen vorangeschritten, die die
                                                                                                                                              Grundlage für eine gemeinsame Praxis in der Eucharistie oder
                                                                                                                                              beim Abendmahl bildet? Sind die theologischen Kontroversen
                                                                                                                                              aus dem Weg geräumt? Welche Rolle spielen sie überhaupt noch?        Präsident Thomas Sternberg, Bischof Georg Bätzing, Kirchenpräsident Volker
                                                                                                                                              Kommt es nicht vielmehr auf die christliche Praxis an?               Jung und Präsidentin Bettina Limperg präsentieren das Leitwort des 3. ÖKT.

                                                                                                                                              Der für dieses Jahr geplante 3. Ökumenische Kirchentag in            ein friedliches ökumenisches Miteinander zu leben? Nötig wäre
                                                                                                                                              Frankfurt am Main sucht sich hier zwischen den verschiede-           dann aber ein Verzicht auf solche ökumenischen Zielvorgaben,
                                                                                                                                              nen Motiven der ökumenischen Bemühungen einen Weg. Mehr              die keine Chance mehr auf Verwirklichung haben oder auch zu
                                                                                                                                              und mehr kommt in den Blick, dass Ökumene nicht nur die Ver-         neuen Spaltungen führen würden.
                                                                                                                                              ständigung zwischen evangelischen und katholischen Christen
                                                                                                                                              meint, sondern Freikirchen, charismatische Bewegungen und            So stellt sich die Ur-Frage der Ökumene nach wie vor: Wieviel
                                                                                                                                              orthodoxe Kirchen miteinbezieht.                                     Einheit unter den Christen ist nötig, wie viele Unterschiede kön-
                                                                                                                                                                                                                   nen wir uns in der Ökumene letztlich leisten? So wächst die
                                                                                                                                                                                                                   Einsicht: Wahrscheinlich wird der „ökumenische Heilungspro-
                                                                                                                                              Sichtbare Einheit überhaupt möglich?                                 zess“ noch lange dauern. Für unsere Zeit haben wir sicher ein
                                                                                                                                                                                                                   Maximum an ökumenischen Gemeinsamkeiten erreicht. Das
                                                                                                                                              Ist das Ziel einer sichtbaren Einheit mit notwendiger organisa-      schließt vieles an Übereinstimmungen ein, aber eine gemein-
                                                                                                                                              torischer Einbindung, wie man lange im ökumenischen Dialog           same Abendmahlsfeier evangelischer und katholischer Christen
                                                                                                                                              glaubte, überhaupt noch realistisch? Kann man nicht die theo-        ist gegenwärtig nicht in Sichtweite.
                                                                                                                                              logischen Kontroversen auf sich beruhen lassen? Sie betreffen
                                                                                                                                              das ordinationsgebundene Amt, die Rolle und Funktion der Bi-
Ökumenische Taufvesper im Hildesheimer Dom am Tag nach der Wiedereröffnung, 16. August 2014.                                                  schöfe im Blick auf die übergemeindliche Kirchenleitung (epis-
                                                                                                                                              kopé), den Begriff und das Verständnis der Sakramente, die of-
                                                                                                                                              fenkundigen Differenzen in der Ethik, wie Ehescheidung, Em­
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und durch die                          Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre                     pfängnisverhütung und die Rolle des Lehramtes in Fragen der
Kriegsfolgen bedingt hat die weltweite Ökumene einen                                                                                          Lebensführung.
immensen Auftrieb erfahren. Der 1948 in Amsterdam                           Nachdem die dem ÖRK zugehörende Kommission für Glauben
gegründete Weltrat der Christen, der Ökumenische Rat                        und Kirchenverfassung noch 1982 ein erstes, weltweit Aufmerk-     Auch die Frage nach der Frauenordination sei hier nicht verges-
der Kirchen (ÖRK), trat in den ersten fünf Jahrzehnten                      samkeit erlangendes ökumenisches Dokument publizierte, die        sen. Dem stehen zahlreiche Verständigungen gegenüber, wie in
als gewichtiger Akteur des weltweiten kirchlichen                           aus einem Jahrzehnte dauernden Dialog hervorgegangenen „Kon-      der Frage des Allgemeinen Priestertums der Gläubigen, in der
Geschehens auf.                                                             vergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt“ (die sog.       gegenseitigen Anerkennung der Taufe, in der grundsätzlich
                                                                            Lima-Papiere), traten bald die großen bilateralen Konsens-Doku-   kirchlichen Bedeutung des Abendmahles und der übergemeind-
Die großen Versammlungen des ÖRK zogen bisweilen die                        mente an die Öffentlichkeit. Mit der Veröffentlichung der „Ge-    lichen Kirchenleitung, das gemeinsame Zeugnis zur Würde des
ganze Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich. Bis                   meinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, zwischen dem       Menschen. Differenzen und Konvergenzen gleichermaßen be-
in die 1990er Jahre hinein beherrschten die Themen dieser                   Lutherischen Weltbund und der römisch-katholischen Kirche am      denkend, stellt sich die Frage: Wieweit reicht das Modell eines
Vollversammlungen die Schlagzeilen der Weltpresse, zuletzt                  31. Oktober 1999 unterzeichnet, kommt diese zweite Phase der      solchen differenzierten Konsenses?
noch die Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und                     neueren ökumenischen Entwicklungen zu ihrem vorläufigen Hö-
Bewahrung der Schöpfung 1990 in Seoul (Korea). Nicht zu                     hepunkt. Fünf Kirchen – Anglikaner, Katholiken, Lutheraner,
vergessen sind hier die Europäischen Ökumenischen Ver-                      Methodisten und Reformierte – wollen inzwischen den hier ge-      Ökumenisches Miteinander statt spaltende Zielvorgaben
sammlungen in Basel (1989) und Graz (1997) zur selben The-                  fundenen theologischen Konsens ökumenisch vertiefen.
matik.                                                                                                                                        So lebendig sich die Ökumene unserer Tage zu präsentieren ver-
                                                                            50 Jahre ökumenischer Dialog haben zu einer fast unüberschau-     mag, eine Lösung der vom ökumenischen Dialog her geforder-
Mit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils Mitte                        baren Fülle an „Dokumenten wachsender Übereinstimmung“            ten Fragen ist noch nicht in Sicht. Ein realistisches Szenario für
der 1960er Jahre betrat ein neuer Akteur die ökumenische                    geführt. In den letzten 20 Jahren ist vielfach versucht worden,   eine sichtbare Einheit ist auch unter Verwendung eines diffe-
Bühne: die bis zum heutigen Tage nicht dem ÖRK als Mit-                     Ergebnisse aus den bilateralen Dialogen zu beschreiben, zu ana-   renzierten Konsenses nicht zu erkennen. Darf man Entwicklun-
glied angehörende römisch-katholische Kirche. Fast wie aus                  lysieren und auf den Punkt zu bringen. Lassen sich die Ergeb-     gen erwarten, die die Revision von Lehre und Praxis einer Kir-                           PROF. DR. WOLFGANG THÖNISSEN
heiterem Himmel herab gewannen die von ihr initiierten so-                  nisse der Dialoge bündeln, um die Frage zu beantworten, ob die    che einfordern oder gar voraussetzen, damit eine Einigung in                             ist Leitender Direktor des Johann-Adam-
genannten bilateralen theologischen Dialoge zwischen den                    Voraussetzungen für die gegenseitige Erklärung von Kirchen-       der Frage der gegenseitigen Anerkennung der Kirchen als Kir-                             Möhler-Instituts für Ökumenik im Erzbistum
großen kirchlichen Gemeinschaften und Weltbünden rasch                      gemeinschaft und damit die Grundlage für eine gemeinsame          chen überhaupt möglich erscheint? Wäre es nicht viel realisti-                           Paderborn.
an Bedeutung.                                                               Abendmahlspraxis erfüllt sind?                                    scher, auf diese gegenseitigen Zumutungen zu verzichten, um

6   Evangelische Orientierung 1/2021                                                                                                                                                                                                                           Evangelische Orientierung 1/2021   7
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                      Thema

Visionen zur Ökumene
Drei junge Theologinnen und Theologen berichten
über ihre Vorstellungen einer Ökumene der Zukunft.
                                                                                                                                     Praktisch gelebt im diakonischen Handeln                             In der Zusammenarbeit voneinander lernen

                                                                  Für mich ist da die Frage, ob Ökumene eine Form ist, ein Gottes-   Meine Vision für die Ökumene der Zukunft besteht in einer            Meine Vision für Ökumene: Mehr zusammen arbeiten!
                                                                  dienst, ein Verständnis oder einfach ein Gefühl. Ich freue mich,   praktisch gelebten Ökumene auf Basis der Einheit in versöhn-         Dabei sollte aber nicht im Fokus stehen, sich konfessio-
                                                                  wenn ich Menschen anderer Konfession treffe, mit ihnen Ge-         ter Verschiedenheit. Trotz der bestehenden Unterschiede ist es       nell gegenseitig zu ersetzen, sondern in der Zusammenar-
                                                                  meinschaft erleben und mich mit ihnen über Gott und ihre Vor-      möglich, in bestimmten Arbeitsbereichen zusammenzuarbeiten.          beit etwas auf die Beine zu stellen oder gemeinsam etwas
                                                                  stellung vom Glauben austauschen darf. Ich habe vor einiger Zeit   Ein solches mögliches Arbeitsfeld ist die Notfallseelsorge, in der   zu lernen. Wenn Menschen, egal in welcher Altersgruppe,
                                                                  in einem Franziskanerkloster in Venedig gelebt, als Lutheraner.    man gemeinsam (auch mit Hilfsorganisationen) den Dienst or-          aus verschiedenen Konfessionen im Rahmen von Projekten
                                                                  Dort leben Studenten verschiedenster Konfessionen und Nati-        ganisiert. Ebenso sollte es im diakonischen Bereich mehr und         in der Gemeindearbeit, Bibelworkshops oder Freizeiten eine
                                                                  onalitäten zusammen und machen ein Studium der Ökumene.            größere Zusammenarbeit der diakonischen Werke Diakonie und           Gruppe bilden, dann lernen sie sich gegenseitig kennen –
                                                                  Ein orthodoxer Italiener, Katholiken aus ganz Afrika und auch      Caritas geben. Beispielsweise indem man statt evangelische und       auch in ihren Unterschieden. Gefördert wird der gegensei-
                                                                  eine Lutheranerin aus Brasilien. Es wurde diskutiert, gestritten   katholische Sozialstationen bewusst ökumenische Sozialstatio-        tige Austausch aber auch durch Kenntnis auf dem eigenen
                                                                  und auch gelacht. Es gab Andachten in den unterschiedlichsten      nen betreibt oder gemeinsame Beratungsangebote im Bereich            Gebiet, denn wenn man sich selbst nicht einordnen kann,
                                                                  Stilen, wir haben Gottesdienste der verschiedenen Konfessionen     der Schuldnerberatung usw. anbietet.                                 bieten sich oft weniger Anknüpfungspunkte für Gespräche.
                                                                  besucht und es war nie die Frage, wer ist aus welcher Konfes-                                                                           Eine Förderung der Kenntnis der eigenen Konfession wäre
                                                                  sion, was ist richtig, was falsch. Wir haben jeder unsere eigene   Diese Kooperation in den diakonischen Feldern ist möglich,           daher sicher hilfreich.
                                                                  Überzeugung gehabt, grundverschieden und doch waren wir ge-        da diese Dienste aus der Nächstenliebe heraus geschehen und
                                                                  meinsam unterwegs, mit Respekt und in der Hoffnung, gemein-        das Anliegen, dem Nächsten zu helfen, wie es im Gleichnis des        Ein schönes Beispiel lässt sich auch schon in der Schule finden:
                                                                  sam an Gottes Haus zu bauen. Hätte uns jemand gefragt, wie         Barmherzigen Samariters gezeigt wird, die Motivation für diese       Mit konfessionell-kooperativem Unterricht zwischen evangeli-
                                                                  dieses Haus aussieht, hätte jeder ein anderes Bild beschrieben     Dienste ist. Wenn man nun in denselben Tätigkeitsbereichen,          schen und katholischen Religionslehrkräften liegt der Fokus oft
                                                                  und doch waren wir uns im Grundsatz einig. So sieht für mich       aus derselben Motivation heraus handelt, dann kann man dies          weitaus weniger auf dem „wir“ gegen „die“.
                                                                  Ökumene aus. Nicht aus Verwaschungen, aus Vereinheitlichun-        gemeinsam tun, anstatt sich Konkurrenz zu machen.
                                                                  gen, sondern als bunte Vielfalt, gemeinsam und doch anders.                                                                             Bei aller gemeinschaftlichen Arbeit halte ich es aber auch für
                                                                                                                                     In diesem Fall schaffen gemeinsames Anliegen und gemein-             sehr wichtig, sich bewusst zu machen, dass die eigene Meinung
                                                                  Und so stelle ich mir auch die ökumenische Zukunft vor: Der        same Motivation die versöhnte Verschiedenheit, in der die öku-       ebenso viel zählt wie die des Gegenübers, auch wenn sie sich
Bunte Vielfalt: gemeinsam und doch anders                         Grund, auf und aus dem wir bauen, sollte der gleiche sein, doch    menische Zusammenarbeit geschieht. Damit entsteht gleichzei-         unter Umständen stark unterscheiden. Ebenso ist auch die Ge-
                                                                  wie das Haus aussieht, das ist grundverschieden. So wünsche        tig auch eine ökonomische Ökumene, die aber nicht um der Öko-        wissheit nicht zu verlieren, dass die Einheit der christlich Gläu-
Wenn ich heute das Wort Ökumene höre, geht es immer da-           ich mir Mut, gemeinsam Projekte zu beginnen, sei es in der Ju-     nomie willen geschieht, sondern ein positiver Nebeneffekt der        bigen im Glauben an den trinitarischen Gott liegt – und damit
rum, dass Unterschiede betont werden. Geht es darum, dass wir     gend- und Erwachsenenarbeit oder in der Seelsorge, ohne dabei      Zusammenarbeit aus gemeinsamer Motivation und gemeinsa-              außerhalb der kirchlich-organisatorischen und konfessionellen
Dinge nicht gemeinsam feiern, wie das Abendmahl oder eine         die eigenen Positionen aufzugeben oder zu kürzen.                  men Anliegen heraus ist.                                             Ebenen.
Messe, darum, was richtig oder falsch ist, wie man sich am bes-
ten darauf einigen kann, was man gemeinsam tut.

Doch geht es in der Ökumene darum wirklich? Müssen wir uns        CHRISTIAN SCHWAIGER                                                DEBORAH DRENSEK                                                      CHARLOTTE HORN
immer einig sein, um ökumenisch zu sein? Muss ich die katholi-    macht sein Vikariat in der württembergischen Landeskirche in       ist Vikarin in der Evangelischen Kirchengemeinde Bernhausen          studiert evangelische Theologie in Tübingen, abschnittsweise
sche Messe gut finden oder darf ich auch an einem württember-     Böblingen und hat in Rom und Venedig ökumenische Studien­          und Teilnehmerin am GEKE- Programm Young Theologians in              auch in Rom (ökumenisch) und im Oman (interreligiös). Sie ist
gischen Predigtgottesdienst hängen?                               erfahrungen gesammelt.                                             Communion für die Evangelische Landeskirche in Württemberg.          kooptiertes Mitglied im Vorstand des EB Württemberg.

8   Evangelische Orientierung 1/2021                                                                                                                                                                                                             Evangelische Orientierung 1/2021   9
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                                                    Thema

Bischof Feige bei der Ordination der neuen Pfarrerinnen und Pfarrer im Dom zu Magdeburg.                                                           Ökumenischer Gottesdienst auf dem Pilgerweg 2015 in der Stadt- und Pfarrkirche St. Marien in Lutherstadt Wittenberg.

                                                                                                                                                   Die EKD verankert die Suche nach der Einheit im Gebet Jesu um                   vielleicht sogar Konkurrenz oder Gegebenheiten von Mehrheit

Ermutigung zur Ökumene
                                                                                                                                                   das Einssein der Seinen (Joh 17,21) und unterstreicht zugleich                  und Minderheit im Verhältnis der Konfessionen, zu hinterfragen
                                                                                                                                                   die spezifische Bedeutung von Ökumene in den zunehmend                          und hoffentlich zu überwinden sein.
                                                                                                                                                   von Säkularisierung, Pluralisierung und Individualisierung
                                                                                                                                                   geprägten Gesellschaften unserer Zeit. Im Bistum Magdeburg
                                                                                                                                                   haben wir seit vielen Jahren Erfahrungen damit, wie Chris-                      Sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit
In Wort und Tat gemeinsam vom Evangelium Zeugnis geben                                                                                             ten als Minderheit in einer Gesellschaft leben, in der der über-
                                                                                                                                                   wiegende Teil der Mitbürgerinnen und Mitbürger weder dem                        „Sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ ist für die
                                                                                                                                                   Christentum noch einer anderen Religion zugehört. In dieser                     EKD das erklärte Ziel der Ökumene. Als Getaufte sind wir ein
                                                                                                                                                   Situation wird in der Außen- wie in der Selbstwahrnehmung                       Leib in Christus. Im gemeinsamen Gottesdienst und Gebet,
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich im                      gerufen“ mit Nachdruck unterstrichen und alle Gläubigen einge-       wichtiger als die Konfessionszugehörigkeit die Frage, ob man                    im gemeinsamen Zeugnis und im gemeinsamen Handeln wird
vergangenen Jahr auf zwölf Leitsätze verständigt, die für                     laden, um die Einheit zu beten und dafür zu wirken.                  Christ ist oder nicht.                                                          diese Verbundenheit schon sichtbar. Viele sehnen sich danach,
die Gestaltung der Zukunft richtungsweisend sein sollen.                                                                                                                                                                           dass mit einer Gemeinschaft in Eucharistie und Abendmahl
Den Impuls aus dem Reformationsjubiläum auf­nehmend,                                                                                                                                                                               ein weiterer Schritt erfolgt. Da sie aus katholischer Sicht Kir-
stehen die Leitsätze unter der Überschrift „Hinaus ins                        Ökumenisches Engagement                                              Als Kirchen gemeinsam auf dem Weg                                               chengemeinschaft voraussetzt, können wir dazu nicht uneinge-
Weite – Kirche auf gutem Grund“. Das Wagnis eines                                                                                                                                                                                  schränkt Ja sagen. Aber als Bischof und Ökumeneverantwort-
Aufbruchs in eine weite und aufgeschlossene Kirche ist                        Dankbar können wir feststellen, dass wir uns durch das öku-          Daher haben wir uns im Bistum beim „Pastoralen Zukunftsge-                      licher in der Deutschen Bischofskonferenz setze ich mich auch
möglich, weil die EKD sich auf gutem Grund weiß.                              menische Engagement von Vielen auf allen Ebenen kirchli-             spräch“ 2004 bewusst entschlossen, einen eigenen Text zur Öku-                  weiter dafür ein, dass wir hier weiterkommen. Arbeiten wir mit-
                                                                              chen Lebens, an der sogenannten Basis, unter den Theologen           mene mit dem Titel „Als Kirchen gemeinsam auf dem Weg“ zu ver-                  einander daran, dass die Einheit unter uns immer mehr sichtbar
Jesus Christus ist Fundament, bleibende Orientierung und Ziel                 und zwischen den Kirchenleitungen, nähergekommen sind.               fassen. Dort heißt es programmatisch: „In einer Situation, in der               und die Verschiedenheit immer versöhnter wird. Dann sind wir
der Gemeinschaft all derer, die in der einen Kirche Jesu Christi              Ökumenische Gottesdienste gehören an vielen Orten zu den             christlicher Glaube längst nicht mehr selbstverständlich ist, kommt             auf einem guten Weg.
verbunden sind, als deren Teil die EKD sich versteht. Diese                   selbstverständlichen Erfahrungen; vieles geschieht gemein-           dem Umgang der Kirchen miteinander sowie ihrem gemeinsamen
selbstbewusste und zugleich für die Gemeinschaft mit anderen                  sam, vor allem im Einsatz für die Menschenwürde und das              Auftreten eine besondere Bedeutung für ihre Glaubwürdigkeit zu.
Kirchen und Gemeinschaften offene Selbstbestimmung ist Vor-                   Gemeinwohl, für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung             … Nur in einem lebendigen Miteinander werden die Kirchen in ih-
aussetzung für das explizite Bekenntnis zur Ökumene als einer                 der Schöpfung.                                                       rem Tun und in ihren Anliegen von den Menschen verstanden und
zentralen Perspektive auf dem Weg in die Zukunft.                                                                                                  angenommen. Angesichts weit verbreiteter Gleichgültigkeit, von
                                                                                                                                                   Vorurteilen und Gewohnheiten sind die Christen aufgerufen, in
                                                                              Auftrag und Zukunftsgestalt                                          Wort und Tat gemeinsam vom Evangelium Zeugnis zu geben.“
Erfreuliche Grundübereinstimmung
                                                                              Austausch und Miteinander sind sowohl im offiziellen Verhältnis
Der fünfte Leitsatz fordert und ermutigt, die Ökumene zu stär-                der Kirchen als auch in den persönlichen Kontakten vor Ort einge-    Verbundenheit statt Konkurrenz
ken, die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kirchen                  spielt und verlässlich. Dies betrifft die katholisch-evangelischen
und Gemeinschaften in Deutschland zu pflegen, auf das Ziel ei-                Beziehungen ebenso wie die Kontakte zu orthodoxen und orien-         Wenn heute deutschlandweit die Zahl der Christinnen und
ner sichtbaren Einheit in versöhnter Verschiedenheit hinzuar-                 talisch-orthodoxen, altkatholischen und freikirchlichen Christen.    Christen abnimmt, dann wird Glauben und Handeln in öku-                         Ökumenische Pilgerfahrt „Mit Luther zum Papst“ 2016. Papst Franziskus mit
beiten und in allem das reformatorische Profil einzubringen. Bei              Freilich gibt es in der katholischen Kirche – und vermutlich nicht   menischer Verbundenheit mehr denn je wichtig. Das schließt                      Leitenden Geistlichen aus evangelischer und katholischer Kirche.

allen Unterschieden, die sich in der konkreten Ausrichtung und                nur in ihr – neben den ökumenisch Aufgeschlossenen und Enga-         auch stellvertretendes Handeln etwa im Bereich der kategori-
Umsetzung ergeben, sehe ich hier eine erfreuliche Grundüber-                  gierten auch die, die gegenüber Christen anderer Konfessionen        alen Seelsorge ein. Künftig werden häufig auch Sachzwänge,
einstimmung mit der katholischen Kirche, die sich mit dem                     gleichgültig, reserviert oder gar ablehnend sind, weil ihnen viel-   die durch verminderte Ressourcen personeller und finanziel-                                          DR. GERHARD FEIGE
Zweiten Vatikanischen Konzil unumkehrbar auf die Ökumene                      leicht persönliche Erfahrungen fehlen oder sie die Andersheit von    ler Art gegeben sind, solche Synergien nahelegen. Aber es geht                                       ist Bischof des Bistums Magdeburg und
verpflichtet hat. Die Deutsche Bischofskonferenz hat dies aus                 Christen als Verunsicherung erleben. Da ist es gut, daran zu er-     um mehr. Wenn wir uns darauf einlassen, werden auch nicht-                                           Vorsitzender der Ökumenekommission der
Anlass des 50. Jahrestages des dort verabschiedeten Ökumenis-                 innern, dass Ökumene zum Auftrag und zur Zukunftsgestalt von         theologische Faktoren, die manchmal zwischen uns stehen                                              Deutschen Bischofskonferenz.
musdekrets „Unitatis redintegratio“ in ihrem Wort „Zur Einheit                Kirche gehört, wie es die EKD mit ihrem Leitsatz tut.                können, wie Selbstgenügsamkeit, Eigeninteressen, Wettbewerb,

10 Evangelische Orientierung 1/2021                                                                                                                                                                                                                                          Evangelische Orientierung 1/2021   11
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                                                 Thema

Blickwechsel
                                                                                                                                                                                                                                   Herausforderung: Interkulturelle Öffnung

                                                                                                                                                                                                                                   Eine sehr große Herausforderung bleibt die interkulturelle Öff-
                                                                                                                                                                                                                                   nung gegenüber neu entstehenden orthodoxen und pentekost-
                                                                                                                                                                                                                                   alen Migrationsgemeinden, die (Kirchen)Räume für ihre Ver-
Lebendige ökumenische Gemeinschaften                                                                                                                                                                                               sammlungen suchen. Viele Gemeinden reagieren gegenüber ei-
                                                                                                                                                                                                                                   ner Mitnutzung ihrer Kirche eher skeptisch ablehnend, obwohl
im Osten Deutschlands                                                                                                                                                                                                              die Gebäude die meiste Zeit nicht genutzt werden. Für eine auf-
                                                                                                                                                                                                                                   geschlossene evangelische Kirche können die bewährten öku-
                                                                                                                                                                                                                                   menischen Erfahrungen in der religiösen Diaspora als Ermu-
                                                                                                                                                                                                                                   tigung einer glaubhaften Sendung der Kirche in dieser Welt
                                                                                                                                                                                                                                   fruchtbar werden.

                                                                                                                                                                                                                                    WEITERE INFORMATIONEN
                                                                                                                                                     Die christliche Lebensgemeinschaft „Jesus Projekt Erfurt e.V.“ im Stadtteil    Leitsätze der EKD
                                                                                                                                                     Roter Berg bietet mit ihren sozial-diakonischen Angeboten Erwachsenen und      Unter dem Motto „Kirche auf gutem Grund“ hatte die Evan-
                                                                                                                                                     Kindern eine neue Perspektive.
                                                                                                                                                                                                                                    gelische Kirche in Deutschland (EKD) 12 Leitsätze zur
                                                                                                                                                                                                                                    Weiterentwicklung der evangelischen Kirche veröffentlicht.
                                                                                                                                                     Ökumenische Personalgemeinden entstehen                                        www.ekd.de/zwoelf-leitsaetze-zur-zukunft-einer-aufge-
                                                                                                                                                                                                                                    schlossenen-kirche-60102.htm
                                                                                                                                                     In Sachsen-Anhalt nimmt das Interesse an den Lebenswendefei-
                                                                                                                                                     ern von Jahr zu Jahr zu und entgegen den Befürchtungen hat es                  Religiöse Einstellungen in West- und Ostdeutschland:
                                                                                                                                                     der Teilnahme an der Konfirmation keinen oder kaum Abbruch                     2018 bezeichnen sich in Westdeutschland 16 % als nicht gläu-
                                                                                                                                                     getan, den Kirchen aber die Kritik der atheistisch inspirierten                big, Agnostiker oder Atheisten, während es in Ostdeutschland
                                                                                                                                                     Jugendweihevereine eingetragen. Aus diesen Segensfeiern ent-                   68,3 % waren. Als Christen bezeichneten sich in Westdeutsch-
                                                                                                                                                     wickeln sich vor allem im Umfeld der konfessionellen Schulen                   land 74,0 % und in Ostdeutschland bei 24,6 %.“
                                                                                                                                                     „ökumenische“ Personalgemeinden von jungen Menschen, die                       Quelle: Eurobarometer-Umfrage, Angaben in Prozent der Bevölkerung,
                                                                                                                                                     gegenüber der Kirche individuell aufgeschlossen sind, jedoch                   Deutschland, West- und Ostdeutschland, 2018

                                                                                                                                                     ohne getauft zu sein.
Kirche gemeinsam neu leben und verstehen, das möchten die Akteure des Erprobungsraums Bad Langensalza. Sie betreiben unter anderem ein Ladenlokal.                                                                                  Michael Domsgen, Konfessionslosigkeit. Annährungen über
                                                                                                                                                     Aus religionspädagogischer Sicht werden nicht nur der kürz-                    einen Leitbegriff in Ermangelung eines besseren, in: Michael
                                                                                                                                                     lich beschlossene kooperative Religionsunterricht befürwortet,                 Domsgen / Dirk Evers (Hg.), Konfessionslosigkeit, Leipzig
Die „Zwölf Leitsätze“, die im November 2020 von der ersten                   in Zukunft zur Minderheit in der Gesellschaft, sondern sie sind         sondern darüber hinaus werden auch Konzepte interreligiöser                    2014, S. 11-27.
digitalen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland                     es seit Jahrzehnten. Die Herausforderung im Osten ist nicht die         und interkonfessioneller Bildung favorisiert, da aus „xenosophi-               Eberhard Tiefensee, Ökumene mit Atheisten und religiös In-
(EKD) beschlossen wurden, enthalten zwischen Leitsätzen                      zukünftige ökumenische Gemeinschaft – diese wird seit vielen            scher“ Sicht die Erfahrung von kultureller und religiöser Diffe-               differenten, in: www.euangel.de/ausgabe-2-2015/oekume-
zu „Mission“ und „Digitalisierung“ den Leitsatz „Ökumene“.                   Jahrzehnten vor Ort praktiziert –, sondern die Frage nach Gott          renz eine wesentliche Möglichkeit zur Wahrnehmung des Frem-                    ne-und-mission/oekumene-mit-atheisten-und-religioes-in-
Grundsätzlich ist bei der Lektüre der Leitsätze festzu­                      in einem religiös indifferenten Umfeld, in dem Konfessionslosig-        den und des Eigenen und deren jeweiliger Reflexion bietet.                     differenten
stellen, dass die vorausgesetzten religiösen Kontexte von                    keit kulturell bestimmend ist.                                                                                                                         Emilia Handke, Religiöse Jugendfeiern »zwischen Kirche und
Kirche bzw. Religion sich auf einen westdeutschen kultu­                                                                                                                                                                            anderer Welt«. Eine historische, systematische und empiri-
rellen Kontext beziehen. Die Voraussetzungen sind im                         Der Erfurter Theologe Eberhard Tiefensee bezeichnet die ost-            Mehrkonfessionelle Erprobungsräume in der EKM                                  sche Studie über kirchlich (mit)verantwortete Alternativen
Osten Deutschlands andere.                                                   deutsche Mehrheitsbevölkerung als „dritte Konfession“ und                                                                                              zur Jugendweihe (Arbeiten zur Praktischen Theologie, Band
                                                                             als „Ökumene der dritten Art“. Diese Perspektive fehlt in den           Die Gemeinschaften, die unter dem Projekt „Erprobungsräume“                    65), Leipzig 2016.
Das zeigt schon die Hinführung, in der es heißt, dass christli-              EKD-Leisätzen. Hingegen werden die im EKD-Text als förde-               in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) firmie-
cher Glaube für viele Menschen an Plausibilität verloren habe;               rungswürdig genannten neuen Formen ökumenischer Ge-                     ren, arbeiten oft mehrkonfessionell einschließlich der „dritten“               Feier der Lebenswende
im Osten hat (christlicher) Glaube für rund drei Viertel der Men-            meindearbeit bis hin zu ökumenischen, mehrkonfessionellen               Konfession. Diese zum Teil auch freikirchlich inspirierten Ge-                 www.lebenswendefeier.de
schen kaum Plausibilität, da sogenannte Konfessionslose seit                 Gemeinden seit Jahren in Mitteldeutschland praktiziert. Nicht           meinden ziehen Menschen unterschiedlicher Konfessionen und
mehreren Generationen familial keine Berührung mehr damit                    getaufte, konfessionslose Jugendliche werden z.B. in gemeinsa-          Milieus an und können auch in Spannung zu den Ortsgemein-                      Erprobungsräume
haben und nie Mitglied einer Kirche waren.                                   mer Verantwortung zwischen evangelischen und katholischen               den stehen.                                                                    www.erprobungsraeume-ekm.de
                                                                             Gemeinden zu Segensfeiern eingeladen, die als „Lebenswende“
                                                                             bezeichnet werden.                                                      Es geht im Osten nicht darum, Doppelungen von Seelsorgern,
Jugendweihe als Familientradition                                                                                                                    zum Beispiel in Krankenhäusern, abzubauen, denn diese sind
                                                                                                                                                     oft ökumenisch getragen, sondern grundsätzlich um öffentliche
Sehr viele Mädchen und Jungen im Konfirmationsalter feiern im                                    FRIEDRICH KRAMER                                    Präsenz und Erreichbarkeit von Christen vor Ort. Zukünftig                                      DR. JOHANN SCHNEIDER
Osten ihre Jugendweihe, weil schon ihre Großeltern und Eltern                                    ist Landesbischof der Evangelischen Kirche in       wird es im Osten vor allem darum gehen, dass eine christliche                                   ist Regionalbischof des Propstsprengels
diese gefeiert haben. Dass dieses Ritual aus der DDR heute in-                                   Mitteldeutschland und gehörte 2020 zum              Gemeinschaft in dünn besiedelten ländlichen Räumen öffentlich                                   Halle-Wittenberg.
haltsleer wirkt, tut der Feier keinen Abbruch, weil es zur Fa-                                   Zukunftsausschuss der EKD-Synode.                   erreichbar bleibt. Dazu dienen auch die evangelisch-katholisch
milientradition geworden ist. Christen werden im Osten nicht                                                                                         verantworteten Visitationen in den Gemeinden.

12 Evangelische Orientierung 1/2021                                                                                                                                                                                                                                       Evangelische Orientierung 1/2021   13
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                       Thema

Ökumenischer Weg in der
Schulseelsorge
Gemeinsame Ausbildung und Teamarbeit in der Praxis

Seit einigen Jahren befinden sich die Evangelische
Landeskirche in Württemberg zusammen mit der Diözese
Rottenburg-Stuttgart auf dem Weg, sich an den Lebens­
wirklichkeiten der Menschen in Schulen zu orientieren
und von ihnen her das religionspädagogische und seel­                                                                                  Die erste Ökumenische Ausbildungsgruppe der Weiterbildung Schulpastoral/Schulseelsorge.
sorgliche pastorale Handeln gemeinsam zu verstehen und
auszurichten.                                                                                                                          von Schulseelsorge bereits angenähert haben. In den Schulen und     Arbeiten im ökumenischen Schulseelsorgeteam
                                                                                                                                       Kirchen zeigt sich jedoch auch, dass diese Verständnisse meis-
Am ökumenischen Weg beteiligt sind Vertreterinnen und Ver-                                                                             tens noch nicht an der „Basis“ angekommen sind.                     In der konkreten Praxis an den Schulen zeigt sich deutlich, worin
treter der kirchlichen Jugendarbeit, der kirchlichen Schulabtei-                                                                                                                                           die Stärken der ökumenischen Zusammenarbeit liegen: Die Schul-
lungen und Zuständige der Seelsorge/Pastoral. In Baden-Würt-                                                                                                                                               leitung hat mehr als eine Kontaktperson, wenn es um die Organi-
temberg findet der Religionsunterricht konfessionell nach Ar-                                                                          Weggefährtenschaft der Kursleitung                                  sation und Wahrnehmung von Angeboten der Schulseelsorge geht.
tikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik                                                                                                                                                  Die Schulseelsorgerinnen und -seelsorger arbeiten im Team.
Deutschland statt. Das Modell der konfessionell-kooperativen                                                                           Um eine dreijährige Weggefährtenschaft als ökumenischen Pro-        Das heißt, sie können sich kollegial beraten, Projekte gemein-
Zusammenarbeit eröffnet an immer mehr Schulen die Möglich-                                                                             zess anzugehen, war es in der Kursleitung zunächst notwendig,       sam durchführen, arbeitsteilig organisieren, eine Vielfalt von
keit, diese profilierte Form des Religionsunterrichts im Wechsel                                                                       das je eigene Schulseelsorgeverständnis durchzubuchstabieren        Kooperationspartnern mit einbeziehen, Ressourcen der beiden
zwischen evangelischen und katholischen qualifizierten Lehr-                                                                           und in eine gemeinsame Beschreibung zu überführen. Im ers-          Kirchen nutzen, die schulinterne und -externe Öffentlichkeits-
kräften umzusetzen. Im innerschulischen und außerunterricht-                                                                           ten Durchgang der Weiterbildung Schulseelsorge ging es immer        arbeit gemeinsam leisten, mit eigenen Stärken wuchern und
lichen Bereich der Seelsorge an Schulen kann explizit ein öku-                                                                         wieder darum, mit zu erleben, wie der/die andere Inhalte und        Schwächen ausgleichen. Allerdings müssen sie auch mit unter-
menischer Weg beschritten werden.                                                                                                      Lernanliegen in einem methodisch-didaktischen Prozess um-           schiedlichen, als ungerecht empfundenen institutionellen Ar-
                                                                                                                                       setzt und was dadurch bei den Teilnehmenden ausgelöst wird.         beitsbedingungen und ihren Folgen zurechtkommen. So kann
Vor drei Jahren begann erstmals der Weg von evangelischen                                                                              Aus diesen Erfahrungen sowie der Evaluation der ersten öku-         es zu Situationen kommen, in denen nicht beide Kräfte in der
und katholischen Religionslehrkräften, sich gemeinsam in einer     Psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen haben              menischen Weiterbildung ergibt sich für die folgenden Weiter-       Schulseelsorge in gleicher Weise mit zeitlichen und finanziellen
dreijährigen berufsbegleitenden Weiterbildung zu Schulseelsor-     während der Coronapandemie zugenommen.                              bildungen ein weiterer Versuch, die einzelnen Elemente besser       Ressourcen ausgestattet werden können.
gerinnen und Schulseelsorgern in einer konstanten Lerngruppe                                                                           miteinander zu verschränken, den ökumenischen Weg weiter zu         Für Menschen im Lebensraum Schule steht ein breitgefächertes
ausbilden zu lassen. Zu dieser Weiterbildung Schulseelsorge        stiftende Initiativen zu fördern und Rituale zu gestalten. Dabei    profilieren. Aus dem im Verlauf der Zeit geteilten Leben, Arbei-    Angebot für die Persönlichkeitsentwicklung, eigene Spiritualität
zählen u.a. neun zweieinhalbtägige Präsenzveranstaltungen,         ist auch das helfende Gespräch wichtig.                             ten und Glauben heraus erwächst eine Weggefährtenschaft, die        und Lebenshilfe, für diakonische Hilfestellungen und für die Mög-
acht Treffen in Supervisionsgruppen, die Durchführung eige-                                                                            von den Gemeinsamkeiten lebt, die Unterschiede achtet und die       lichkeit zur Mitgestaltung des Lebensraums Schule zu Verfügung.
ner schulseelsorglicher Angebote an Schulen, der Aufbau eines                                                                          sich auf dem Weg weiß zu einem Mehr an echter profilierter ge-
Schulseelsorgeteams an der eigenen Schule, die Kooperation mit     Begleitung in Krisen und Trauer                                     lebter Ökumene. Die Kursleitung erfüllt dabei eine Art Vorbild-      WEITERE INFORMATIONEN
inner- und außerschulischen Kooperationspartnern, die Mitar-                                                                           funktion. Sie gibt sich wechselseitig Raum, zeigt eigene spezifi-
beit im Kriseninterventionsteam der Schule.                        Gemeinsam haben die beiden Kirchen seit vielen Jahren Einzelne,     sche Profile und lädt dazu ein, gemeinsame Ausdrucksformen           Die deutschen Bischöfe: Im Dialog mit den Menschen in der
                                                                   Klassen und Gruppen bei Trauer und Tod begleitet, in Krisen- und    des Glaubens zu entwickeln und zu praktizieren.                      Schule. Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Schulpasto-
                                                                   Notfallteams Hilfesuchende unterstützt, Räume der Stille geför-                                                                          ral, Nr. 108 v. 24.11.2020.
Konfessionell geprägte Verständnisse von Schulseelsorge            dert und gestaltet, ökumenische Gottesdienste und spirituelle Im-                                                                        Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.):
                                                                   pulse entlang des Schul- und Kirchenjahres angeboten. In beiden     Weggefährtenschaft der Kursgruppe                                    Evangelische Schulseelsorge in der EKD. Ein Orientierungs-
Zu Beginn des gemeinsamen Weges stand die Feststellung,            Konfessionen beschreiben die Stellungsnahmen der Deutschen                                                                               rahmen, August 2015, EKD-Text 123.
dass theologisch und historisch gewachsene Verständnisse von       Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland       Am Ende der Evaluation der ersten Weiterbildung Schulseel-           https://schulpastoral.drs.de
Schulseelsorge mit am Start waren: Evangelische Schulseel-         in jüngster Zeit ein aktuell geltendes Verständnis von Schulseel-   sorge steht von Teilnehmenden die Aussage: „Die erfahrene Viel-      www.ptz-rpi.de/schule-kita/schulseelsorge
sorge denkt tendenziell von der seelsorglichen Unterstützung       sorge/Schulpastoral. Darin zeigt sich, dass sich Verständnisse      falt wird nicht durch die Konfessionen bestimmt, sondern durch
Einzelner und Gruppen her. Seelsorgliche Gespräche und Ange-                                                                           die eigene Persönlichkeit und Spiritualität jedes einzelnen von
bote bilden einen Schwerpunkt. Von da aus kommt sie auch zur                                                                           uns.“ Im Vordergrund standen der persönliche Kontakt und die
Schulgemeinschaft als Ganzes, die sie durch Initiativen und Pro-                    DR. BEATE THALHEIMER                               gewachsenen kollegialen und freundschaftlichen Beziehungen.                          ULRICH ROST
jekte fördert. Das katholische Verständnis von Schulseelsorge/                      ist Referentin für Schulpastoral in der            Als anregend wurden die konfessionellen Schwerpunkte erfah-                          ist Pfarrer, Dozent für Schulseelsorge im Pä-
Schulpastoral folgt eher einem systemischen und an den Men-                         Hauptabteilung IX-Schulen der Diözese Rot-         ren. Sie wurden nicht nur als Ergänzung, sondern auch als Ori-                       dagogisch-Theologischen Zentrum Stuttgart,
schen im Lebensraum Schule orientierten Ansatz. In der Folge                        tenburg-Stuttgart, Supervisorin und Bildungs-      entierungshilfe für die Entwicklung eines eigenen Verständnis-                       Lehrsupervisor und Kursleiter für erfah-
geht es darum, Begegnungen zu ermöglichen, gemeinschafts-                           referentin.                                        ses als Schulseelsorger*in erfahren.                                                 rungsbezogenes Seelsorgelernen.

14 Evangelische Orientierung 1/2021                                                                                                                                                                                                             Evangelische Orientierung 1/2021   15
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
Thema                                                                                                                                                                                                                                                        Interview

Simultankirche                                                                                                                            Gemeinsame Aufgabe Pflege
Wenn Gemeinden eine                                                                                                                       Die Ökumenische Diakoniestation Pfinztal
„Wohngemeinschaft“ gründen
                                                                                                                                          Drei Fragen an Geschäftsführer Tobias Stein                        weg, sind wichtige Signale auch im Hinblick auf schwindende
                                                                                                                                                                                                             Mitgliederzahlen. Mein Wunsch wären offene herzliche Gemein-
Normalerweise hat jedes Dorf mindestens zwei Kirchen:                                                                                                                                                        den, in denen alle willkommen sind, ein Gemeindehaus, das al-
Eine katholische und eine evangelische. Im baden-württem­                                                                                 Wie ist die Ökumenische Diakoniestation Pfinztal entstanden?       len offen steht, eine Kranken- und Altenpflege, die für alle da ist.
bergischen Biberach an der Riß ist das anders: Hier teilen                                                                                                                                                   Zusammenarbeit statt Konkurrenz und mehr gemeinsam „als
sich Katholiken und Protestanten ein Gotteshaus.                                                                                          Die Diakoniestation Pfinztal e.V. wurde im Jahre 1977 gegrün-      Marke“ auftreten. Die Sache Jesu braucht Begeisterte – so soll-
                                                                                                                                          det. Damals schlossen sich die Evangelischen Kirchengemein-        ten auch wir andere begeistern und mit unserem Glauben anste-
Es sind die alltäglichen Dinge, die manchmal zu Konflikten                                                                                den Berghausen-Wöschbach, Kleinsteinbach und Söllingen zu-         cken. Wir müssen für die Menschen da sein, die uns brauchen.
führen. Wie in einer WG: Da ärgert sich der eine über die of-                                                                             sammen, die zuvor eigene Krankenpflegevereine betrieben            Das macht unser christliches Selbstverständnis aus.
fene Zahnpasta-Tube, der andere über den Abwasch, der noch in                                                                             hatten. Im Jahr 2000 wurde die katholische Kirchengemeinde
der Spüle liegt. Das Grundkonzept eines gemeinsam genutzten,                                                                              Wöschbach, die bisher nur Kooperationspartner war, als Voll-
sakralen Raums werde dadurch aber nicht in Frage gestellt,                                                                                mitglied aufgenommen. Gleichzeitig wurde auch der Name in
erzählt Ulrich Heinzelmann, evangelischer Pfarrer und Vorsit-        gebung wüssten, dass die Kirche „ökumenisch“ ist und betrach-        Ökumenische Diakoniestation Pfinztal e.V. geändert. Gemein-
zender des Stiftungsrates Gemeinschaftliche Kirchenpflege in         ten das Simultaneum als Zukunftsmodell für die Kirchen. Ob           sam sind wir weiter gewachsen. 2006 kam die Seniorenwohn-
Biberach, der die Stadtpfarrkirche St. Martin in Biberach in den     es bald einen gemeinsamen Gemeindebrief gibt, wird derzeit in        anlage „Haus Bühlblick“ dazu und 2020 übernahm die Diako-
baulichen Belangen verwaltet.                                        den Gremien diskutiert. Im Internet treten die Gemeinden mit         niestation die Trägerschaft einer weiteren Seniorenwohnanlage,
                                                                     zwei unterschiedlichen Webseiten noch getrennt voneinander           das „Stammhaus Frommel“.
Das um 1300 errichtete Gotteshaus in Oberschwaben ist eine von       auf. „Das wird wohl so bleiben, jede Gemeinde will ja auch etwas
rund 70 Simultankirchen in Deutschland. Simultankirche, auch         Eigenes haben“, meint Pfarrer Heinzelmann.“ Es klinge zwar pa-
Simultaneum genannt, bezeichnet einen von mehreren Konfessi-         radox, aber gerade in einem Simultaneum habe jede Gemeinde           Wie macht sich das „Ökumenische“ in der Arbeit bemerkbar?
onen genutzten Sakralbau. Schon nach der Reformation wurden          umso mehr das Bedürfnis, sich konfessionell abzugrenzen.“
die ersten eingerichtet - vor allem in den Gebieten der Kurpfalz,                                                                         Unsere Leitungsgremien sind ökumenisch besetzt. In der Mit-
im Elsass und in Franken. Oft wurden damals provisorische            Nichtsdestotrotz wird die Ökumene in Biberach groß geschrie-         gliederversammlung sitzen jeweils vier Vertreterinnen bzw.
Wände eingezogen, welche die Gläubigen voneinander trennten.         ben. So feiern die beiden Gemeinden monatlich einen ökumeni-         Vertreter aus jeder Kirchengemeinde. Daraus wird der Vor-          Pflegefachkraft Diana S. auf dem Weg zu den Patienten.
Die Idee dazu kam Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Westfäli-       schen Gottesdienst. Auch auf Stadtfesten wie dem Schützenfest        stand gewählt. Aber auch in unserer praktischen Arbeit spiegelt
schen Frieden auf: Um religiöse Unruhen zu vermeiden, ließen         treten die beiden Konfessionen gemeinsam auf. Auch wirtschaft-       sich die Ökumene wieder. Wir haben ein diakonisch-karitatives
viele Landesherren beide Konfessionen in einer Kirche beten.         lich sei die Simultankirche ein profitables Modell, sagen die bei-   Leitbild und ziehen auch sozial-politisch an einem Strang. Wir      WEITERE INFORMATIONEN
                                                                     den Geistlichen, die über die Jahre Freunde geworden sind. Man       legen Wert darauf, dass unsere Mitarbeitenden ihren Dienst im
In Biberach nutzen Christen die Kirche in der Innenstadt durch       teilt sich die Kosten. Im Moment steht etwa eine Außensanierung      Sinne des christlichen Auftrags versehen. Ein großer Vorteil        Die Ökumenische Diakoniestation Pfinztal ist heute ein gro-
ein kaiserliches Interim seit 1548 gemeinsam, wie Heinzelmann        an, wie Heinzelmann berichtet: „Das könnten die einzelnen Ge-        unserer kirchlichen Einrichtung ist es, dass die früheren Kran-     ßer Anbieter der ambulanten und teilstationären Pflege mit
erklärt. Konkret heißt das: Es gibt einen gemeinsamen Bele-          meinden kaum schultern.“ Rund 800.000 Euro an Spenden seien          kenpflegevereine uns jetzt als Fördervereine unterstützen. So       verschiedenen Teilbereichen: Ambulante Pflege, Hauswirt-
gungsplan für Gottesdienste, Konzerte und andere Feierlichkei-       schon zusammengekommen, freut er sich. Die Spenden kommen            können wir uns etwas mehr Zeit für die Patientinnen und Pati-       schaftliche Versorgung, Familienpflege, Alltagsbetreuung,
ten. Die Sonntagsgottesdienste finden zeitlich getrennt voneinan-    über den bewusst nicht konfessionellen Verein Bauhütte Simul-        enten nehmen. Darüber hinaus gibt es eine enge und vertrauens-      Hospizarbeit, Tagespflege, Betreutes Wohnen und Betreutes
der statt. Anders als in einigen anderen Simultankirchen aber im     taneum e.V. den beiden Kirchengemeinden zugute.                      volle Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden: Gemeinsame           Servicewohnen. Das Einzugsgebiet umfasst die Gemeinde
gemeinsamen Kirchenraum. Dabei zeigten sich die Protestanten                                                                              Gottesdienste und verschiedene Veranstaltungen. Auch inner-         Pfinztal. 150 Mitarbeitende versorgen einen Kundenstamm
sehr kompromissbereit, sagt Stefan Ruf, der katholische Gemein-       WEITERE INFORMATIONEN                                               halb der Seniorenwohnanlagen finden regelmäßig ökumenische          von über 450 Patientinnen und Patienten.
depfarrer. Es gebe Heiligenfiguren und wenn es mal nach Weih-                                                                             Gottesdienste statt, die immer abwechselnd von den einzelnen        Die Diakoniestation bietet eine umfassende, bedarfsgerechte
rauch riecht, sei das für die evangelischen Glaubensbrüder- und       Bauhütte Simultaneum e.V.                                           Gemeinden bestritten werden. Neue Mitarbeitende werden in           Pflege, Begleitung und Beratung für ältere und pflegebe-
schwestern nicht schlimm, freut er sich. Ein weiteres Beispiel für    www.simultaneum.de/simultaneum.html                                 Gottesdiensten vorgestellt. Die Seelsorge übernehmen Pfarrer        dürftige Menschen, sowie eine tatkräftige Unterstützung
ökumenische Toleranz sei der Karfreitag. Obwohl dies ein hoher        Katholische Seelsorgeeinheit Biberach                               und Pfarrerinnen aus den Gemeinden.                                 der pflegenden Angehörigen.
evangelischer Feiertag ist, sei es für die Gläubigen in Ordnung,      http://st-martin-bc.drs.de                                                                                                              www.diakonie-pfinztal.de
dass die Glocken – gemäß der katholischen Tradition - schweigen.      Evangelische Gesamtkirchengemeinde Biberach
                                                                      www.evangelisch-in-biberach.de                                      Warum ist Ihnen das ökumenische Miteinander wichtig?
Es gibt aber auch Nebenräume, die der einen oder anderen Ge-
meinde überlassen sind, wie Heinzelmann erzählt. So haben                                                                                 Ich halte das Miteinander über Konfessionsgrenzen hinweg für
etwa die Katholiken für ihre Sakristei und den Chorraum das                                                                               sinnvoll, weil Kranken- und Altenpflege eine gemeinsame christ-
Nutzungsrecht. In der Vergangenheit habe das gelegentlich zu                          CARINA DOBRA                                        liche Aufgabe ist. Die Fragen, wie wir im Alter leben wollen und                     TOBIAS STEIN
Konflikten geführt. Auch die Abstimmung von Konzerten sei                             ist Journalistin in Frankfurt am Main.              füreinander da sein können, können wir nur gemeinschaftlich be-                      ist Geschäftsführer der Ökumenischen
manchmal eine Herausforderung, ergänzt sein katholischer Kol-                                                                             antworten, in dem wir glaubhaft Dienst am Nächsten tun. Das                          Diakoniestation Pfinztal.
lege. Ansonsten ist das Simultaneum aber eine Bereicherung,                                                                               ökumenische Miteinander sehe ich daher als Chance und rich-
wie beide Pfarrer betonen. Die Menschen in Biberach und Um-                                                                               tigen Weg. Gelebte Nächstenliebe über Konfessionsgrenzen hin-

16 Evangelische Orientierung 1/2021                                                                                                                                                                                                                 Evangelische Orientierung 1/2021   17
Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
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