Ökonomische Ökumene Warum es gemeinsam besser geht 1/2021 - Evangelischer Bund
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E VA N G E L I S C H E ORIENTIERUNG 1/2021 h e Ö k u m en Ökaornumomes igesmceinsam besser geht e W SARAH HARTWIG, GERMANY YEARS UNIVERSAL DECLARATION OF HUMAN RIGHTS #STANDUP4HUMANRIGHTS
Inhalt Bildnachweis: Werner Krüper/Bild oben, Wolfgang Noack/Portrait (Seite 3), bph/Werner Kaiser/Wikimedia CC-BY-3.0 (Seite 6), Wikimedia/CC BY-SA 3.0 und ÖKT (Seite 7) Harald Lamprecht Konfessionen ade? ................................................. 4 Meldungen ............................................................ 5 Wolfgang Thönissen Ökumene heute ..................................................... 6 Christian Schwaiger, Deborah Drensek, Charlotte Horn 6 Adobe Stock (Seite 8), Vikoria Kühne (Seite 10), pbm, Bistum Magdeburg (Seite 11), iStock (Seite 14, 20), Foto: Diakoniestation (Seite 17) Visionen zur Ökumene ........................................... 8 Gerhard Feige Ermutigung zur Ökumene .................................... 10 Friedrich Kramer, Johann Schneider Blickwechsel ....................................................... 12 Beate Thalheimer, Ulrich Rost An 365 Tagen im Jahr kümmert sich die Ökumenische Bahnhofsmission in rund 100 Städten ganz unbürokratisch um Menschen, die Unterstützung brauchen. Ökumenischer Weg in der Schulseelsorge ........... 14 Carina Dobra Simultankirche Biberach...................................... 16 Interview mit Tobias Stein Pflege als gemeinsame christliche Aufgabe ......... 17 14 Gerold Heinke Grenzen überwinden ............................................ 18 „Was sollen wir denn noch alles machen? Gottesdienste, Bibel- Ökumenische Zusammenarbeit ist kein „on top“-Thema, das zu- Kathinka Hertlein stunden, Seniorenkreis, Religionsunterricht, Konfis, Jugendar- sätzlich zu allen anderen Aufgaben dazu kommt. Ökumene ist beit, Kirchenchor, Seelsorge, Taufen, Beerdigungen, Trauungen, ein Grundvollzug von Kirche, der „Ernstfall des Glaubens“, wie „Können wir das schaffen?“ ................................. 20 Gremienarbeit, Verwaltung – und dann auch noch Ökumene?“, Ernst Lange es einmal nannte. Gut, dass sich die EKD in ihren so höre ich manche Kollegin und manchen Kollegen seufzen. Ge- „Zwölf Leitsätzen“ eindeutig zur verstärkten ökumenischen Zu- Hanne Lamparter rade in Zeiten knapper werdender Kassen muss man Schwer- sammenarbeit bekennt: „Wir stärken ein Handeln in gegenseiti- Ökumenisches Netzwerk MEET ........................... 21 punkte setzen. Und sich dann erst mit dem katholischen Kolle- ger Stellvertretung und enger Verzahnung unserer kirchlichen gen zusammenraufen, die ganzen Abstimmungen und Vorberei- Arbeit vor Ort …“ Vor Ort ................................................................ 22 tungstreffen … – dafür, dass man einer Veranstaltung das Eti- Aktuelles aus dem Wolfgang-Sucker-Haus ........... 23 17 kett „ökumenisch“ aufkleben kann. Lohnt sich das? Aber: Ist ein Gottesdienst erst dann ökumenisch, wenn vorne Wie das konkret aussehen kann und noch viel mehr zur Öku- mene, lesen Sie in diesem Heft. ein Mann in Weiß mit Stola und eine Frau im langen Schwarzen Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! mit Beffchen steht – oder kann einmal der eine und ein anderes Mal die andere einen Gottesdienst mit allen Gläubigen feiern? Herausgeber: Evangelischer Bund. Verlag: Evangelischer Bund e.V. Bensheim, 64602 Annahmeschluss für Anzeigen jeweils Brauchen wir für die kirchlichen Kindergärten in einer Region Konfessionskundliches und Ökumenisches Bensheim, Postfach 1255; Telefon 06251.8433-0. vier Wochen vor Quartalsende. unbedingt zwei Verwaltungsstellen, oder ist es nicht ökono- Arbeitswerk der Evangelischen Kirche Satz, Layout und Produktion: Bonifatius GmbH, E-Mail: info@ki-bensheim.de misch sinnvoll, sie zusammenzulegen? Schränkt es unser dia- in Deutschland. Karl-Schurz-Str. 26, 33100 Paderborn Internet: www.evangelischer-bund.de konisches Zeugnis in irgendeiner Weise ein, wenn meiner be- DR. EKKEHARD WOHLLEBEN Redaktion: Britta Jagusch, Christina Die Zeitschrift „Evangelische Orientierung“ Konto: Evangelische Bank eG Kassel Krause, Dr. Harald Lamprecht (V.i.S.d.P.), erscheint vierteljährlich. Der Preis ist durch den IBAN: DE87 5206 0410 0004 0015 32 tagten Mutter morgens ein Katholik die Tabletten richtet und ihr ist Leiter der Evangelischen Stadtakademie Dr. Martin Schuck und Dr. Ekkehard Wohlleben. Mitgliedsbeitrag abgegolten. BIC: GENODEF1EK1 abends eine Protestantin beim Baden hilft? Nürnberg, Vorsitzender der ACK Nürnberg und Mitglied im Redaktionskreis der „Evangelischen Orientierung“. 2 Evangelische Orientierung 1/2021 Evangelische Orientierung 1/2021 3
Thema Meldungen ANGELESEN Die Goldenen Zwanziger. Zwischen den Zeiten. Die „Goldenen Zwanziger“ waren eine Epoche zwischen pulsierendem Lebensgefühl und wirt- schaftlicher Notlage – glamourös und ernüchternd. Doch dann verloren sie Glanz und Glamour in wirtschaftlichem Ruin und dem Niedergang der Republik. 20 Persönlichkeiten aus Kunst, Ge- sellschaft und Kirche blicken zurück und werfen erhellende Schlaglichter auf die Gegenwart. Sie entdecken eindrückliche Bilder, unvergessliche Zitate und erzählen über die Erfahrungen einer Generation. Das Buch, herausgegeben vom Evangelischen Bund Hessen, besticht durch seine Viel- falt und Ideen. Den Auftakt bildet ein Blick auf die Theologie Karl Barths, der wie kein anderer die Theologie der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Zwischen den Zeiten: Elisabeth Engler-Starck, Lars Hillebold, Astrid Maria Horn, Matthias Ullrich Konfessionen ade? (Hrsg.), Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, April 2021, 192 Seiten, 20 Euro. ANGESCHAUT Wie Frömmigkeitstypen an die Stelle Religionen entdecken konfessioneller Spaltungen treten Kindern die Welt des Glaubens erklären, mehr über religiöse Feste erfahren und im Quiz span- nende Dinge über die Bibel erfahren? Im Portal religionen-entdecken.de finden sich nicht nur in- Über Jahrhunderte prägte die Spaltung der Konfessionen katholischen Bereich hingegen geht es mehr um die kirchliche teressante Informationen für Kinder, sondern auch Literaturtipps, Links und Unterrichtsideen für das Leben vieler Menschen in Europa. Im sogenannten Autorität, also Papst und Lehramt, auf die man sich beruft – Lehrkräfte. Für die Seriosität der Informationen sorgen zahlreiche Religionspädagogen, Religions- „konfessionellen Zeitalter“ zog sich der Riss durch nahezu allerdings meist in vorkonziliarer Perspektive und weniger auf wissenschaftler und Theologen. Über das Christentum hinaus beraten Experten aus dem Islam, alle Lebensbereiche. Heute gibt es zwar noch die Konfes den gegenwärtigen Papst Franziskus. Gemeinsam ist dieser dem Alevitentum, dem Judentum, der Bahai-Religion, dem Buddhismus und dem Hinduismus das sionen und so manche Verschiedenheit hat sich erhalten. Richtung in beiden Konfessionen die Furcht, das selbständige Internetportal. Sie unterstützen das Projekt von Anfang an. Das Portal wird durch das Gemein- Aber dennoch hat die Bedeutung dieser Trennung im allge Denken des Individuums könne diese Autoritäten beschädigen. schaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) von erfahrenen Journalistinnen und Theologen meinen Bewusstsein stark nachgelassen. Darum müsse der menschliche Verstand ihnen stets untergeord- stetig weiterentwickelt. religionen-entdecken.de net bleiben. Insbesondere für jüngere Menschen spielen die konfessionellen Unterschiede in vielen Lebenssituationen kaum noch eine Rolle. An ihre Stelle ist eine andere Trennlinie getreten. Diese verläuft nun aber quer zu den Konfessionen. Was heutzutage im Lebens- Kritisches Denken gefragt ANGELAUFEN gefühl und bei vielen praktischen Fragen Trennungen verur- Im Gegensatz dazu wird dem selbständigen kritischen Denken Pilgern auf dem Lutherweg 1521 sacht, ist stärker der Frömmigkeitstypus als die angestammte in dem hier als „liberal“ bezeichneten Bereich ein hoher Stellen- Konfession. Das gegenwärtige Gruppenempfinden richtet sich wert zugeschrieben. Damit werden auch die gewachsenen reli- Am 18. April 1521 stand Martin Luther vor dem Reichstag in Worms. Er weigerte sich, seine Schrif- mehr an den Bezeichnungen „liberal“ oder „konservativ“ aus. giösen Autoritäten der Kritik unterworfen. Inbegriff dafür ist – ten zu widerrufen, die Reformation nahm ihren Lauf. In diesem Jahr feiert Worms 500-jähriges nicht nur im protestantischen Bereich – die historisch-kritische Jubiläum. Frankfurt am Main feiert den Ökumenischen Kirchentag. Der Lutherweg 1521 verbin- Methode der Schriftauslegung. Im katholischen Bereich gehört det beide Fest-Orte. Vom 8. bis 12. Mai lädt daher das Evangelische Dekanat Wetterau zur Pilger- Gefühlte Zugehörigkeiten tour „Mut tut gut“ von Worms nach Frankfurt ein. In fünf Etappen startet der Weg mit einer Er- dazu z.B. die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Klerikalis- kundungstour durch Worms und führt dann von Worms nach Osthofen, ca. 15 km, von Osthofen mus – vor allem bei den Themen sexueller Missbrauch und Stel- nach Oppenheim, ca. 18 km, von Oppenheim nach Mörfelden-Walldorf, ca. 18 km und von Mörfel- Zwar sind beides unscharfe Begriffe, aber doch entwickeln sich lung von Frauen in kirchlichen Ämtern. den-Walldorf nach Frankfurt. Das Programm wird den aktuellen Hygienemaßgaben der Pandemie an ihnen „gefühlte“ Zugehörigkeiten. In meinem Bekannten- angepasst. Anmeldung: Britta.Laubvogel@ekhn.de kreis gibt es einige, die z.B. die Zeitschrift Publik-Forum gern wetterau-evangelisch.de lesen, aber nicht ohne weiteres sagen könnten, ob das ein evan- Größere Vielfalt gelisches oder katholisches Blatt ist. Umgekehrt habe ich im evangelikalen wie im konservativ-katholischen Bereich Men- So scharf, wie der Gegensatz hier gezeichnet wurde, ist er glück- schen getroffen, die sich vollkommen einig waren, dass z.B. die Harry-Potter-Bücher gefährlich seien, weil sie Magie und Okkul- licherweise in der Praxis nicht immer. Es gibt viele nicht-fun- damentalistische „Konservative“ ebenso wie traditionelle Werte ANGEHÖRT tismus verbreiten würden. schätzende „Liberale“. Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind also 7 Tage 1 Song fehl am Platz. Dennoch können diese Beobachtungen etwas von Liederandacht mal anders: Das Projekt „7 Tage 1 Song“ von Pfarrer Christoph Borries aus Greven- den veränderten Allianzen der Gegenwart erklären. broich fordert auf: „Schenk einem Song mehrere Verabredungen mit Dir in einer Woche.“ Zu jedem Eine Frage der Autorität Lied gibt es drei Gedankenimpulse, die einladen, sich näher mit dem Text zu beschäftigen. „Es gibt so viele Songs, die Kraft schenken, die Hoffnung wachsen lassen oder die etwas Kaputtes reparie- Beide Frömmigkeitstypen unterscheiden sich maßgeblich in ih- DR. HARALD LAMPRECHT ren. Dafür muss ich dem Lied Zeit und Aufmerksamkeit schenken“, so der Pfarrer. Sein Konzept rer jeweiligen Haltung zur Autorität und zur menschlichen Ver- ist Weltanschauungsbeauftragter der Evan- hat Erfolg: Nach fünf veröffentlichten Podcasts hatte Christoph Borries bereits mehrere Tausend nunft. Im „konservativen“ Lager kämpft man für den Erhalt der gelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens Zuhörerinnen und Zuhörer pro Episode. Hier kann man reinhören: traditionellen Autoritäten. Das zeigt sich im evangelischen Be- und Geschäftsführer des Evangelischen Bun- 7tage1song.de reich oft in einem fundamentalistischen Bibelverständnis. Im des Sachsen. 4 Evangelische Orientierung 1/2021 Evangelische Orientierung 1/2021 5
Thema Thema Ökumene heute Ökumenischer Dialog versus gegenseitige Anerkennung Diese Frage treibt heute viele evangelische und katholische Christen um, nicht nur in Deutschland. Kirchen, Gemeinschaf- ten, Arbeitskreise, Initiativgruppen suchen vermehrt Antworten Wieviel Einheit unter den Christen ist nötig? auf diese Fragen. Wenn sich die christlichen Kirchen heute auf dem Weg zu einer gemeinsamen Erklärung über Kirche, Eucha- ristie und Amt befinden, scheint der ökumenische Dialog einen beträchtlichen Erfolg erzielt zu haben. Aber wieweit ist die ge- genseitige Anerkennung der Kirchen vorangeschritten, die die Grundlage für eine gemeinsame Praxis in der Eucharistie oder beim Abendmahl bildet? Sind die theologischen Kontroversen aus dem Weg geräumt? Welche Rolle spielen sie überhaupt noch? Präsident Thomas Sternberg, Bischof Georg Bätzing, Kirchenpräsident Volker Kommt es nicht vielmehr auf die christliche Praxis an? Jung und Präsidentin Bettina Limperg präsentieren das Leitwort des 3. ÖKT. Der für dieses Jahr geplante 3. Ökumenische Kirchentag in ein friedliches ökumenisches Miteinander zu leben? Nötig wäre Frankfurt am Main sucht sich hier zwischen den verschiede- dann aber ein Verzicht auf solche ökumenischen Zielvorgaben, nen Motiven der ökumenischen Bemühungen einen Weg. Mehr die keine Chance mehr auf Verwirklichung haben oder auch zu und mehr kommt in den Blick, dass Ökumene nicht nur die Ver- neuen Spaltungen führen würden. ständigung zwischen evangelischen und katholischen Christen meint, sondern Freikirchen, charismatische Bewegungen und So stellt sich die Ur-Frage der Ökumene nach wie vor: Wieviel orthodoxe Kirchen miteinbezieht. Einheit unter den Christen ist nötig, wie viele Unterschiede kön- nen wir uns in der Ökumene letztlich leisten? So wächst die Einsicht: Wahrscheinlich wird der „ökumenische Heilungspro- Sichtbare Einheit überhaupt möglich? zess“ noch lange dauern. Für unsere Zeit haben wir sicher ein Maximum an ökumenischen Gemeinsamkeiten erreicht. Das Ist das Ziel einer sichtbaren Einheit mit notwendiger organisa- schließt vieles an Übereinstimmungen ein, aber eine gemein- torischer Einbindung, wie man lange im ökumenischen Dialog same Abendmahlsfeier evangelischer und katholischer Christen glaubte, überhaupt noch realistisch? Kann man nicht die theo- ist gegenwärtig nicht in Sichtweite. logischen Kontroversen auf sich beruhen lassen? Sie betreffen das ordinationsgebundene Amt, die Rolle und Funktion der Bi- Ökumenische Taufvesper im Hildesheimer Dom am Tag nach der Wiedereröffnung, 16. August 2014. schöfe im Blick auf die übergemeindliche Kirchenleitung (epis- kopé), den Begriff und das Verständnis der Sakramente, die of- fenkundigen Differenzen in der Ethik, wie Ehescheidung, Em Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und durch die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre pfängnisverhütung und die Rolle des Lehramtes in Fragen der Kriegsfolgen bedingt hat die weltweite Ökumene einen Lebensführung. immensen Auftrieb erfahren. Der 1948 in Amsterdam Nachdem die dem ÖRK zugehörende Kommission für Glauben gegründete Weltrat der Christen, der Ökumenische Rat und Kirchenverfassung noch 1982 ein erstes, weltweit Aufmerk- Auch die Frage nach der Frauenordination sei hier nicht verges- der Kirchen (ÖRK), trat in den ersten fünf Jahrzehnten samkeit erlangendes ökumenisches Dokument publizierte, die sen. Dem stehen zahlreiche Verständigungen gegenüber, wie in als gewichtiger Akteur des weltweiten kirchlichen aus einem Jahrzehnte dauernden Dialog hervorgegangenen „Kon- der Frage des Allgemeinen Priestertums der Gläubigen, in der Geschehens auf. vergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt“ (die sog. gegenseitigen Anerkennung der Taufe, in der grundsätzlich Lima-Papiere), traten bald die großen bilateralen Konsens-Doku- kirchlichen Bedeutung des Abendmahles und der übergemeind- Die großen Versammlungen des ÖRK zogen bisweilen die mente an die Öffentlichkeit. Mit der Veröffentlichung der „Ge- lichen Kirchenleitung, das gemeinsame Zeugnis zur Würde des ganze Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich. Bis meinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, zwischen dem Menschen. Differenzen und Konvergenzen gleichermaßen be- in die 1990er Jahre hinein beherrschten die Themen dieser Lutherischen Weltbund und der römisch-katholischen Kirche am denkend, stellt sich die Frage: Wieweit reicht das Modell eines Vollversammlungen die Schlagzeilen der Weltpresse, zuletzt 31. Oktober 1999 unterzeichnet, kommt diese zweite Phase der solchen differenzierten Konsenses? noch die Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und neueren ökumenischen Entwicklungen zu ihrem vorläufigen Hö- Bewahrung der Schöpfung 1990 in Seoul (Korea). Nicht zu hepunkt. Fünf Kirchen – Anglikaner, Katholiken, Lutheraner, vergessen sind hier die Europäischen Ökumenischen Ver- Methodisten und Reformierte – wollen inzwischen den hier ge- Ökumenisches Miteinander statt spaltende Zielvorgaben sammlungen in Basel (1989) und Graz (1997) zur selben The- fundenen theologischen Konsens ökumenisch vertiefen. matik. So lebendig sich die Ökumene unserer Tage zu präsentieren ver- 50 Jahre ökumenischer Dialog haben zu einer fast unüberschau- mag, eine Lösung der vom ökumenischen Dialog her geforder- Mit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils Mitte baren Fülle an „Dokumenten wachsender Übereinstimmung“ ten Fragen ist noch nicht in Sicht. Ein realistisches Szenario für der 1960er Jahre betrat ein neuer Akteur die ökumenische geführt. In den letzten 20 Jahren ist vielfach versucht worden, eine sichtbare Einheit ist auch unter Verwendung eines diffe- Bühne: die bis zum heutigen Tage nicht dem ÖRK als Mit- Ergebnisse aus den bilateralen Dialogen zu beschreiben, zu ana- renzierten Konsenses nicht zu erkennen. Darf man Entwicklun- glied angehörende römisch-katholische Kirche. Fast wie aus lysieren und auf den Punkt zu bringen. Lassen sich die Ergeb- gen erwarten, die die Revision von Lehre und Praxis einer Kir- PROF. DR. WOLFGANG THÖNISSEN heiterem Himmel herab gewannen die von ihr initiierten so- nisse der Dialoge bündeln, um die Frage zu beantworten, ob die che einfordern oder gar voraussetzen, damit eine Einigung in ist Leitender Direktor des Johann-Adam- genannten bilateralen theologischen Dialoge zwischen den Voraussetzungen für die gegenseitige Erklärung von Kirchen- der Frage der gegenseitigen Anerkennung der Kirchen als Kir- Möhler-Instituts für Ökumenik im Erzbistum großen kirchlichen Gemeinschaften und Weltbünden rasch gemeinschaft und damit die Grundlage für eine gemeinsame chen überhaupt möglich erscheint? Wäre es nicht viel realisti- Paderborn. an Bedeutung. Abendmahlspraxis erfüllt sind? scher, auf diese gegenseitigen Zumutungen zu verzichten, um 6 Evangelische Orientierung 1/2021 Evangelische Orientierung 1/2021 7
Thema Thema Visionen zur Ökumene Drei junge Theologinnen und Theologen berichten über ihre Vorstellungen einer Ökumene der Zukunft. Praktisch gelebt im diakonischen Handeln In der Zusammenarbeit voneinander lernen Für mich ist da die Frage, ob Ökumene eine Form ist, ein Gottes- Meine Vision für die Ökumene der Zukunft besteht in einer Meine Vision für Ökumene: Mehr zusammen arbeiten! dienst, ein Verständnis oder einfach ein Gefühl. Ich freue mich, praktisch gelebten Ökumene auf Basis der Einheit in versöhn- Dabei sollte aber nicht im Fokus stehen, sich konfessio- wenn ich Menschen anderer Konfession treffe, mit ihnen Ge- ter Verschiedenheit. Trotz der bestehenden Unterschiede ist es nell gegenseitig zu ersetzen, sondern in der Zusammenar- meinschaft erleben und mich mit ihnen über Gott und ihre Vor- möglich, in bestimmten Arbeitsbereichen zusammenzuarbeiten. beit etwas auf die Beine zu stellen oder gemeinsam etwas stellung vom Glauben austauschen darf. Ich habe vor einiger Zeit Ein solches mögliches Arbeitsfeld ist die Notfallseelsorge, in der zu lernen. Wenn Menschen, egal in welcher Altersgruppe, in einem Franziskanerkloster in Venedig gelebt, als Lutheraner. man gemeinsam (auch mit Hilfsorganisationen) den Dienst or- aus verschiedenen Konfessionen im Rahmen von Projekten Dort leben Studenten verschiedenster Konfessionen und Nati- ganisiert. Ebenso sollte es im diakonischen Bereich mehr und in der Gemeindearbeit, Bibelworkshops oder Freizeiten eine onalitäten zusammen und machen ein Studium der Ökumene. größere Zusammenarbeit der diakonischen Werke Diakonie und Gruppe bilden, dann lernen sie sich gegenseitig kennen – Ein orthodoxer Italiener, Katholiken aus ganz Afrika und auch Caritas geben. Beispielsweise indem man statt evangelische und auch in ihren Unterschieden. Gefördert wird der gegensei- eine Lutheranerin aus Brasilien. Es wurde diskutiert, gestritten katholische Sozialstationen bewusst ökumenische Sozialstatio- tige Austausch aber auch durch Kenntnis auf dem eigenen und auch gelacht. Es gab Andachten in den unterschiedlichsten nen betreibt oder gemeinsame Beratungsangebote im Bereich Gebiet, denn wenn man sich selbst nicht einordnen kann, Stilen, wir haben Gottesdienste der verschiedenen Konfessionen der Schuldnerberatung usw. anbietet. bieten sich oft weniger Anknüpfungspunkte für Gespräche. besucht und es war nie die Frage, wer ist aus welcher Konfes- Eine Förderung der Kenntnis der eigenen Konfession wäre sion, was ist richtig, was falsch. Wir haben jeder unsere eigene Diese Kooperation in den diakonischen Feldern ist möglich, daher sicher hilfreich. Überzeugung gehabt, grundverschieden und doch waren wir ge- da diese Dienste aus der Nächstenliebe heraus geschehen und meinsam unterwegs, mit Respekt und in der Hoffnung, gemein- das Anliegen, dem Nächsten zu helfen, wie es im Gleichnis des Ein schönes Beispiel lässt sich auch schon in der Schule finden: sam an Gottes Haus zu bauen. Hätte uns jemand gefragt, wie Barmherzigen Samariters gezeigt wird, die Motivation für diese Mit konfessionell-kooperativem Unterricht zwischen evangeli- dieses Haus aussieht, hätte jeder ein anderes Bild beschrieben Dienste ist. Wenn man nun in denselben Tätigkeitsbereichen, schen und katholischen Religionslehrkräften liegt der Fokus oft und doch waren wir uns im Grundsatz einig. So sieht für mich aus derselben Motivation heraus handelt, dann kann man dies weitaus weniger auf dem „wir“ gegen „die“. Ökumene aus. Nicht aus Verwaschungen, aus Vereinheitlichun- gemeinsam tun, anstatt sich Konkurrenz zu machen. gen, sondern als bunte Vielfalt, gemeinsam und doch anders. Bei aller gemeinschaftlichen Arbeit halte ich es aber auch für In diesem Fall schaffen gemeinsames Anliegen und gemein- sehr wichtig, sich bewusst zu machen, dass die eigene Meinung Und so stelle ich mir auch die ökumenische Zukunft vor: Der same Motivation die versöhnte Verschiedenheit, in der die öku- ebenso viel zählt wie die des Gegenübers, auch wenn sie sich Bunte Vielfalt: gemeinsam und doch anders Grund, auf und aus dem wir bauen, sollte der gleiche sein, doch menische Zusammenarbeit geschieht. Damit entsteht gleichzei- unter Umständen stark unterscheiden. Ebenso ist auch die Ge- wie das Haus aussieht, das ist grundverschieden. So wünsche tig auch eine ökonomische Ökumene, die aber nicht um der Öko- wissheit nicht zu verlieren, dass die Einheit der christlich Gläu- Wenn ich heute das Wort Ökumene höre, geht es immer da- ich mir Mut, gemeinsam Projekte zu beginnen, sei es in der Ju- nomie willen geschieht, sondern ein positiver Nebeneffekt der bigen im Glauben an den trinitarischen Gott liegt – und damit rum, dass Unterschiede betont werden. Geht es darum, dass wir gend- und Erwachsenenarbeit oder in der Seelsorge, ohne dabei Zusammenarbeit aus gemeinsamer Motivation und gemeinsa- außerhalb der kirchlich-organisatorischen und konfessionellen Dinge nicht gemeinsam feiern, wie das Abendmahl oder eine die eigenen Positionen aufzugeben oder zu kürzen. men Anliegen heraus ist. Ebenen. Messe, darum, was richtig oder falsch ist, wie man sich am bes- ten darauf einigen kann, was man gemeinsam tut. Doch geht es in der Ökumene darum wirklich? Müssen wir uns CHRISTIAN SCHWAIGER DEBORAH DRENSEK CHARLOTTE HORN immer einig sein, um ökumenisch zu sein? Muss ich die katholi- macht sein Vikariat in der württembergischen Landeskirche in ist Vikarin in der Evangelischen Kirchengemeinde Bernhausen studiert evangelische Theologie in Tübingen, abschnittsweise sche Messe gut finden oder darf ich auch an einem württember- Böblingen und hat in Rom und Venedig ökumenische Studien und Teilnehmerin am GEKE- Programm Young Theologians in auch in Rom (ökumenisch) und im Oman (interreligiös). Sie ist gischen Predigtgottesdienst hängen? erfahrungen gesammelt. Communion für die Evangelische Landeskirche in Württemberg. kooptiertes Mitglied im Vorstand des EB Württemberg. 8 Evangelische Orientierung 1/2021 Evangelische Orientierung 1/2021 9
Thema Thema Bischof Feige bei der Ordination der neuen Pfarrerinnen und Pfarrer im Dom zu Magdeburg. Ökumenischer Gottesdienst auf dem Pilgerweg 2015 in der Stadt- und Pfarrkirche St. Marien in Lutherstadt Wittenberg. Die EKD verankert die Suche nach der Einheit im Gebet Jesu um vielleicht sogar Konkurrenz oder Gegebenheiten von Mehrheit Ermutigung zur Ökumene das Einssein der Seinen (Joh 17,21) und unterstreicht zugleich und Minderheit im Verhältnis der Konfessionen, zu hinterfragen die spezifische Bedeutung von Ökumene in den zunehmend und hoffentlich zu überwinden sein. von Säkularisierung, Pluralisierung und Individualisierung geprägten Gesellschaften unserer Zeit. Im Bistum Magdeburg haben wir seit vielen Jahren Erfahrungen damit, wie Chris- Sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit In Wort und Tat gemeinsam vom Evangelium Zeugnis geben ten als Minderheit in einer Gesellschaft leben, in der der über- wiegende Teil der Mitbürgerinnen und Mitbürger weder dem „Sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ ist für die Christentum noch einer anderen Religion zugehört. In dieser EKD das erklärte Ziel der Ökumene. Als Getaufte sind wir ein Situation wird in der Außen- wie in der Selbstwahrnehmung Leib in Christus. Im gemeinsamen Gottesdienst und Gebet, Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich im gerufen“ mit Nachdruck unterstrichen und alle Gläubigen einge- wichtiger als die Konfessionszugehörigkeit die Frage, ob man im gemeinsamen Zeugnis und im gemeinsamen Handeln wird vergangenen Jahr auf zwölf Leitsätze verständigt, die für laden, um die Einheit zu beten und dafür zu wirken. Christ ist oder nicht. diese Verbundenheit schon sichtbar. Viele sehnen sich danach, die Gestaltung der Zukunft richtungsweisend sein sollen. dass mit einer Gemeinschaft in Eucharistie und Abendmahl Den Impuls aus dem Reformationsjubiläum aufnehmend, ein weiterer Schritt erfolgt. Da sie aus katholischer Sicht Kir- stehen die Leitsätze unter der Überschrift „Hinaus ins Ökumenisches Engagement Als Kirchen gemeinsam auf dem Weg chengemeinschaft voraussetzt, können wir dazu nicht uneinge- Weite – Kirche auf gutem Grund“. Das Wagnis eines schränkt Ja sagen. Aber als Bischof und Ökumeneverantwort- Aufbruchs in eine weite und aufgeschlossene Kirche ist Dankbar können wir feststellen, dass wir uns durch das öku- Daher haben wir uns im Bistum beim „Pastoralen Zukunftsge- licher in der Deutschen Bischofskonferenz setze ich mich auch möglich, weil die EKD sich auf gutem Grund weiß. menische Engagement von Vielen auf allen Ebenen kirchli- spräch“ 2004 bewusst entschlossen, einen eigenen Text zur Öku- weiter dafür ein, dass wir hier weiterkommen. Arbeiten wir mit- chen Lebens, an der sogenannten Basis, unter den Theologen mene mit dem Titel „Als Kirchen gemeinsam auf dem Weg“ zu ver- einander daran, dass die Einheit unter uns immer mehr sichtbar Jesus Christus ist Fundament, bleibende Orientierung und Ziel und zwischen den Kirchenleitungen, nähergekommen sind. fassen. Dort heißt es programmatisch: „In einer Situation, in der und die Verschiedenheit immer versöhnter wird. Dann sind wir der Gemeinschaft all derer, die in der einen Kirche Jesu Christi Ökumenische Gottesdienste gehören an vielen Orten zu den christlicher Glaube längst nicht mehr selbstverständlich ist, kommt auf einem guten Weg. verbunden sind, als deren Teil die EKD sich versteht. Diese selbstverständlichen Erfahrungen; vieles geschieht gemein- dem Umgang der Kirchen miteinander sowie ihrem gemeinsamen selbstbewusste und zugleich für die Gemeinschaft mit anderen sam, vor allem im Einsatz für die Menschenwürde und das Auftreten eine besondere Bedeutung für ihre Glaubwürdigkeit zu. Kirchen und Gemeinschaften offene Selbstbestimmung ist Vor- Gemeinwohl, für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung … Nur in einem lebendigen Miteinander werden die Kirchen in ih- aussetzung für das explizite Bekenntnis zur Ökumene als einer der Schöpfung. rem Tun und in ihren Anliegen von den Menschen verstanden und zentralen Perspektive auf dem Weg in die Zukunft. angenommen. Angesichts weit verbreiteter Gleichgültigkeit, von Vorurteilen und Gewohnheiten sind die Christen aufgerufen, in Auftrag und Zukunftsgestalt Wort und Tat gemeinsam vom Evangelium Zeugnis zu geben.“ Erfreuliche Grundübereinstimmung Austausch und Miteinander sind sowohl im offiziellen Verhältnis Der fünfte Leitsatz fordert und ermutigt, die Ökumene zu stär- der Kirchen als auch in den persönlichen Kontakten vor Ort einge- Verbundenheit statt Konkurrenz ken, die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kirchen spielt und verlässlich. Dies betrifft die katholisch-evangelischen und Gemeinschaften in Deutschland zu pflegen, auf das Ziel ei- Beziehungen ebenso wie die Kontakte zu orthodoxen und orien- Wenn heute deutschlandweit die Zahl der Christinnen und ner sichtbaren Einheit in versöhnter Verschiedenheit hinzuar- talisch-orthodoxen, altkatholischen und freikirchlichen Christen. Christen abnimmt, dann wird Glauben und Handeln in öku- Ökumenische Pilgerfahrt „Mit Luther zum Papst“ 2016. Papst Franziskus mit beiten und in allem das reformatorische Profil einzubringen. Bei Freilich gibt es in der katholischen Kirche – und vermutlich nicht menischer Verbundenheit mehr denn je wichtig. Das schließt Leitenden Geistlichen aus evangelischer und katholischer Kirche. allen Unterschieden, die sich in der konkreten Ausrichtung und nur in ihr – neben den ökumenisch Aufgeschlossenen und Enga- auch stellvertretendes Handeln etwa im Bereich der kategori- Umsetzung ergeben, sehe ich hier eine erfreuliche Grundüber- gierten auch die, die gegenüber Christen anderer Konfessionen alen Seelsorge ein. Künftig werden häufig auch Sachzwänge, einstimmung mit der katholischen Kirche, die sich mit dem gleichgültig, reserviert oder gar ablehnend sind, weil ihnen viel- die durch verminderte Ressourcen personeller und finanziel- DR. GERHARD FEIGE Zweiten Vatikanischen Konzil unumkehrbar auf die Ökumene leicht persönliche Erfahrungen fehlen oder sie die Andersheit von ler Art gegeben sind, solche Synergien nahelegen. Aber es geht ist Bischof des Bistums Magdeburg und verpflichtet hat. Die Deutsche Bischofskonferenz hat dies aus Christen als Verunsicherung erleben. Da ist es gut, daran zu er- um mehr. Wenn wir uns darauf einlassen, werden auch nicht- Vorsitzender der Ökumenekommission der Anlass des 50. Jahrestages des dort verabschiedeten Ökumenis- innern, dass Ökumene zum Auftrag und zur Zukunftsgestalt von theologische Faktoren, die manchmal zwischen uns stehen Deutschen Bischofskonferenz. musdekrets „Unitatis redintegratio“ in ihrem Wort „Zur Einheit Kirche gehört, wie es die EKD mit ihrem Leitsatz tut. können, wie Selbstgenügsamkeit, Eigeninteressen, Wettbewerb, 10 Evangelische Orientierung 1/2021 Evangelische Orientierung 1/2021 11
Thema Thema Blickwechsel Herausforderung: Interkulturelle Öffnung Eine sehr große Herausforderung bleibt die interkulturelle Öff- nung gegenüber neu entstehenden orthodoxen und pentekost- alen Migrationsgemeinden, die (Kirchen)Räume für ihre Ver- Lebendige ökumenische Gemeinschaften sammlungen suchen. Viele Gemeinden reagieren gegenüber ei- ner Mitnutzung ihrer Kirche eher skeptisch ablehnend, obwohl im Osten Deutschlands die Gebäude die meiste Zeit nicht genutzt werden. Für eine auf- geschlossene evangelische Kirche können die bewährten öku- menischen Erfahrungen in der religiösen Diaspora als Ermu- tigung einer glaubhaften Sendung der Kirche in dieser Welt fruchtbar werden. WEITERE INFORMATIONEN Die christliche Lebensgemeinschaft „Jesus Projekt Erfurt e.V.“ im Stadtteil Leitsätze der EKD Roter Berg bietet mit ihren sozial-diakonischen Angeboten Erwachsenen und Unter dem Motto „Kirche auf gutem Grund“ hatte die Evan- Kindern eine neue Perspektive. gelische Kirche in Deutschland (EKD) 12 Leitsätze zur Weiterentwicklung der evangelischen Kirche veröffentlicht. Ökumenische Personalgemeinden entstehen www.ekd.de/zwoelf-leitsaetze-zur-zukunft-einer-aufge- schlossenen-kirche-60102.htm In Sachsen-Anhalt nimmt das Interesse an den Lebenswendefei- ern von Jahr zu Jahr zu und entgegen den Befürchtungen hat es Religiöse Einstellungen in West- und Ostdeutschland: der Teilnahme an der Konfirmation keinen oder kaum Abbruch 2018 bezeichnen sich in Westdeutschland 16 % als nicht gläu- getan, den Kirchen aber die Kritik der atheistisch inspirierten big, Agnostiker oder Atheisten, während es in Ostdeutschland Jugendweihevereine eingetragen. Aus diesen Segensfeiern ent- 68,3 % waren. Als Christen bezeichneten sich in Westdeutsch- wickeln sich vor allem im Umfeld der konfessionellen Schulen land 74,0 % und in Ostdeutschland bei 24,6 %.“ „ökumenische“ Personalgemeinden von jungen Menschen, die Quelle: Eurobarometer-Umfrage, Angaben in Prozent der Bevölkerung, gegenüber der Kirche individuell aufgeschlossen sind, jedoch Deutschland, West- und Ostdeutschland, 2018 ohne getauft zu sein. Kirche gemeinsam neu leben und verstehen, das möchten die Akteure des Erprobungsraums Bad Langensalza. Sie betreiben unter anderem ein Ladenlokal. Michael Domsgen, Konfessionslosigkeit. Annährungen über Aus religionspädagogischer Sicht werden nicht nur der kürz- einen Leitbegriff in Ermangelung eines besseren, in: Michael lich beschlossene kooperative Religionsunterricht befürwortet, Domsgen / Dirk Evers (Hg.), Konfessionslosigkeit, Leipzig Die „Zwölf Leitsätze“, die im November 2020 von der ersten in Zukunft zur Minderheit in der Gesellschaft, sondern sie sind sondern darüber hinaus werden auch Konzepte interreligiöser 2014, S. 11-27. digitalen Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland es seit Jahrzehnten. Die Herausforderung im Osten ist nicht die und interkonfessioneller Bildung favorisiert, da aus „xenosophi- Eberhard Tiefensee, Ökumene mit Atheisten und religiös In- (EKD) beschlossen wurden, enthalten zwischen Leitsätzen zukünftige ökumenische Gemeinschaft – diese wird seit vielen scher“ Sicht die Erfahrung von kultureller und religiöser Diffe- differenten, in: www.euangel.de/ausgabe-2-2015/oekume- zu „Mission“ und „Digitalisierung“ den Leitsatz „Ökumene“. Jahrzehnten vor Ort praktiziert –, sondern die Frage nach Gott renz eine wesentliche Möglichkeit zur Wahrnehmung des Frem- ne-und-mission/oekumene-mit-atheisten-und-religioes-in- Grundsätzlich ist bei der Lektüre der Leitsätze festzu in einem religiös indifferenten Umfeld, in dem Konfessionslosig- den und des Eigenen und deren jeweiliger Reflexion bietet. differenten stellen, dass die vorausgesetzten religiösen Kontexte von keit kulturell bestimmend ist. Emilia Handke, Religiöse Jugendfeiern »zwischen Kirche und Kirche bzw. Religion sich auf einen westdeutschen kultu anderer Welt«. Eine historische, systematische und empiri- rellen Kontext beziehen. Die Voraussetzungen sind im Der Erfurter Theologe Eberhard Tiefensee bezeichnet die ost- Mehrkonfessionelle Erprobungsräume in der EKM sche Studie über kirchlich (mit)verantwortete Alternativen Osten Deutschlands andere. deutsche Mehrheitsbevölkerung als „dritte Konfession“ und zur Jugendweihe (Arbeiten zur Praktischen Theologie, Band als „Ökumene der dritten Art“. Diese Perspektive fehlt in den Die Gemeinschaften, die unter dem Projekt „Erprobungsräume“ 65), Leipzig 2016. Das zeigt schon die Hinführung, in der es heißt, dass christli- EKD-Leisätzen. Hingegen werden die im EKD-Text als förde- in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) firmie- cher Glaube für viele Menschen an Plausibilität verloren habe; rungswürdig genannten neuen Formen ökumenischer Ge- ren, arbeiten oft mehrkonfessionell einschließlich der „dritten“ Feier der Lebenswende im Osten hat (christlicher) Glaube für rund drei Viertel der Men- meindearbeit bis hin zu ökumenischen, mehrkonfessionellen Konfession. Diese zum Teil auch freikirchlich inspirierten Ge- www.lebenswendefeier.de schen kaum Plausibilität, da sogenannte Konfessionslose seit Gemeinden seit Jahren in Mitteldeutschland praktiziert. Nicht meinden ziehen Menschen unterschiedlicher Konfessionen und mehreren Generationen familial keine Berührung mehr damit getaufte, konfessionslose Jugendliche werden z.B. in gemeinsa- Milieus an und können auch in Spannung zu den Ortsgemein- Erprobungsräume haben und nie Mitglied einer Kirche waren. mer Verantwortung zwischen evangelischen und katholischen den stehen. www.erprobungsraeume-ekm.de Gemeinden zu Segensfeiern eingeladen, die als „Lebenswende“ bezeichnet werden. Es geht im Osten nicht darum, Doppelungen von Seelsorgern, Jugendweihe als Familientradition zum Beispiel in Krankenhäusern, abzubauen, denn diese sind oft ökumenisch getragen, sondern grundsätzlich um öffentliche Sehr viele Mädchen und Jungen im Konfirmationsalter feiern im FRIEDRICH KRAMER Präsenz und Erreichbarkeit von Christen vor Ort. Zukünftig DR. JOHANN SCHNEIDER Osten ihre Jugendweihe, weil schon ihre Großeltern und Eltern ist Landesbischof der Evangelischen Kirche in wird es im Osten vor allem darum gehen, dass eine christliche ist Regionalbischof des Propstsprengels diese gefeiert haben. Dass dieses Ritual aus der DDR heute in- Mitteldeutschland und gehörte 2020 zum Gemeinschaft in dünn besiedelten ländlichen Räumen öffentlich Halle-Wittenberg. haltsleer wirkt, tut der Feier keinen Abbruch, weil es zur Fa- Zukunftsausschuss der EKD-Synode. erreichbar bleibt. Dazu dienen auch die evangelisch-katholisch milientradition geworden ist. Christen werden im Osten nicht verantworteten Visitationen in den Gemeinden. 12 Evangelische Orientierung 1/2021 Evangelische Orientierung 1/2021 13
Thema Thema Ökumenischer Weg in der Schulseelsorge Gemeinsame Ausbildung und Teamarbeit in der Praxis Seit einigen Jahren befinden sich die Evangelische Landeskirche in Württemberg zusammen mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart auf dem Weg, sich an den Lebens wirklichkeiten der Menschen in Schulen zu orientieren und von ihnen her das religionspädagogische und seel Die erste Ökumenische Ausbildungsgruppe der Weiterbildung Schulpastoral/Schulseelsorge. sorgliche pastorale Handeln gemeinsam zu verstehen und auszurichten. von Schulseelsorge bereits angenähert haben. In den Schulen und Arbeiten im ökumenischen Schulseelsorgeteam Kirchen zeigt sich jedoch auch, dass diese Verständnisse meis- Am ökumenischen Weg beteiligt sind Vertreterinnen und Ver- tens noch nicht an der „Basis“ angekommen sind. In der konkreten Praxis an den Schulen zeigt sich deutlich, worin treter der kirchlichen Jugendarbeit, der kirchlichen Schulabtei- die Stärken der ökumenischen Zusammenarbeit liegen: Die Schul- lungen und Zuständige der Seelsorge/Pastoral. In Baden-Würt- leitung hat mehr als eine Kontaktperson, wenn es um die Organi- temberg findet der Religionsunterricht konfessionell nach Ar- Weggefährtenschaft der Kursleitung sation und Wahrnehmung von Angeboten der Schulseelsorge geht. tikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Die Schulseelsorgerinnen und -seelsorger arbeiten im Team. Deutschland statt. Das Modell der konfessionell-kooperativen Um eine dreijährige Weggefährtenschaft als ökumenischen Pro- Das heißt, sie können sich kollegial beraten, Projekte gemein- Zusammenarbeit eröffnet an immer mehr Schulen die Möglich- zess anzugehen, war es in der Kursleitung zunächst notwendig, sam durchführen, arbeitsteilig organisieren, eine Vielfalt von keit, diese profilierte Form des Religionsunterrichts im Wechsel das je eigene Schulseelsorgeverständnis durchzubuchstabieren Kooperationspartnern mit einbeziehen, Ressourcen der beiden zwischen evangelischen und katholischen qualifizierten Lehr- und in eine gemeinsame Beschreibung zu überführen. Im ers- Kirchen nutzen, die schulinterne und -externe Öffentlichkeits- kräften umzusetzen. Im innerschulischen und außerunterricht- ten Durchgang der Weiterbildung Schulseelsorge ging es immer arbeit gemeinsam leisten, mit eigenen Stärken wuchern und lichen Bereich der Seelsorge an Schulen kann explizit ein öku- wieder darum, mit zu erleben, wie der/die andere Inhalte und Schwächen ausgleichen. Allerdings müssen sie auch mit unter- menischer Weg beschritten werden. Lernanliegen in einem methodisch-didaktischen Prozess um- schiedlichen, als ungerecht empfundenen institutionellen Ar- setzt und was dadurch bei den Teilnehmenden ausgelöst wird. beitsbedingungen und ihren Folgen zurechtkommen. So kann Vor drei Jahren begann erstmals der Weg von evangelischen Aus diesen Erfahrungen sowie der Evaluation der ersten öku- es zu Situationen kommen, in denen nicht beide Kräfte in der und katholischen Religionslehrkräften, sich gemeinsam in einer Psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen haben menischen Weiterbildung ergibt sich für die folgenden Weiter- Schulseelsorge in gleicher Weise mit zeitlichen und finanziellen dreijährigen berufsbegleitenden Weiterbildung zu Schulseelsor- während der Coronapandemie zugenommen. bildungen ein weiterer Versuch, die einzelnen Elemente besser Ressourcen ausgestattet werden können. gerinnen und Schulseelsorgern in einer konstanten Lerngruppe miteinander zu verschränken, den ökumenischen Weg weiter zu Für Menschen im Lebensraum Schule steht ein breitgefächertes ausbilden zu lassen. Zu dieser Weiterbildung Schulseelsorge stiftende Initiativen zu fördern und Rituale zu gestalten. Dabei profilieren. Aus dem im Verlauf der Zeit geteilten Leben, Arbei- Angebot für die Persönlichkeitsentwicklung, eigene Spiritualität zählen u.a. neun zweieinhalbtägige Präsenzveranstaltungen, ist auch das helfende Gespräch wichtig. ten und Glauben heraus erwächst eine Weggefährtenschaft, die und Lebenshilfe, für diakonische Hilfestellungen und für die Mög- acht Treffen in Supervisionsgruppen, die Durchführung eige- von den Gemeinsamkeiten lebt, die Unterschiede achtet und die lichkeit zur Mitgestaltung des Lebensraums Schule zu Verfügung. ner schulseelsorglicher Angebote an Schulen, der Aufbau eines sich auf dem Weg weiß zu einem Mehr an echter profilierter ge- Schulseelsorgeteams an der eigenen Schule, die Kooperation mit Begleitung in Krisen und Trauer lebter Ökumene. Die Kursleitung erfüllt dabei eine Art Vorbild- WEITERE INFORMATIONEN inner- und außerschulischen Kooperationspartnern, die Mitar- funktion. Sie gibt sich wechselseitig Raum, zeigt eigene spezifi- beit im Kriseninterventionsteam der Schule. Gemeinsam haben die beiden Kirchen seit vielen Jahren Einzelne, sche Profile und lädt dazu ein, gemeinsame Ausdrucksformen Die deutschen Bischöfe: Im Dialog mit den Menschen in der Klassen und Gruppen bei Trauer und Tod begleitet, in Krisen- und des Glaubens zu entwickeln und zu praktizieren. Schule. Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Schulpasto- Notfallteams Hilfesuchende unterstützt, Räume der Stille geför- ral, Nr. 108 v. 24.11.2020. Konfessionell geprägte Verständnisse von Schulseelsorge dert und gestaltet, ökumenische Gottesdienste und spirituelle Im- Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): pulse entlang des Schul- und Kirchenjahres angeboten. In beiden Weggefährtenschaft der Kursgruppe Evangelische Schulseelsorge in der EKD. Ein Orientierungs- Zu Beginn des gemeinsamen Weges stand die Feststellung, Konfessionen beschreiben die Stellungsnahmen der Deutschen rahmen, August 2015, EKD-Text 123. dass theologisch und historisch gewachsene Verständnisse von Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland Am Ende der Evaluation der ersten Weiterbildung Schulseel- https://schulpastoral.drs.de Schulseelsorge mit am Start waren: Evangelische Schulseel- in jüngster Zeit ein aktuell geltendes Verständnis von Schulseel- sorge steht von Teilnehmenden die Aussage: „Die erfahrene Viel- www.ptz-rpi.de/schule-kita/schulseelsorge sorge denkt tendenziell von der seelsorglichen Unterstützung sorge/Schulpastoral. Darin zeigt sich, dass sich Verständnisse falt wird nicht durch die Konfessionen bestimmt, sondern durch Einzelner und Gruppen her. Seelsorgliche Gespräche und Ange- die eigene Persönlichkeit und Spiritualität jedes einzelnen von bote bilden einen Schwerpunkt. Von da aus kommt sie auch zur uns.“ Im Vordergrund standen der persönliche Kontakt und die Schulgemeinschaft als Ganzes, die sie durch Initiativen und Pro- DR. BEATE THALHEIMER gewachsenen kollegialen und freundschaftlichen Beziehungen. ULRICH ROST jekte fördert. Das katholische Verständnis von Schulseelsorge/ ist Referentin für Schulpastoral in der Als anregend wurden die konfessionellen Schwerpunkte erfah- ist Pfarrer, Dozent für Schulseelsorge im Pä- Schulpastoral folgt eher einem systemischen und an den Men- Hauptabteilung IX-Schulen der Diözese Rot- ren. Sie wurden nicht nur als Ergänzung, sondern auch als Ori- dagogisch-Theologischen Zentrum Stuttgart, schen im Lebensraum Schule orientierten Ansatz. In der Folge tenburg-Stuttgart, Supervisorin und Bildungs- entierungshilfe für die Entwicklung eines eigenen Verständnis- Lehrsupervisor und Kursleiter für erfah- geht es darum, Begegnungen zu ermöglichen, gemeinschafts- referentin. ses als Schulseelsorger*in erfahren. rungsbezogenes Seelsorgelernen. 14 Evangelische Orientierung 1/2021 Evangelische Orientierung 1/2021 15
Thema Interview Simultankirche Gemeinsame Aufgabe Pflege Wenn Gemeinden eine Die Ökumenische Diakoniestation Pfinztal „Wohngemeinschaft“ gründen Drei Fragen an Geschäftsführer Tobias Stein weg, sind wichtige Signale auch im Hinblick auf schwindende Mitgliederzahlen. Mein Wunsch wären offene herzliche Gemein- Normalerweise hat jedes Dorf mindestens zwei Kirchen: den, in denen alle willkommen sind, ein Gemeindehaus, das al- Eine katholische und eine evangelische. Im baden-württem Wie ist die Ökumenische Diakoniestation Pfinztal entstanden? len offen steht, eine Kranken- und Altenpflege, die für alle da ist. bergischen Biberach an der Riß ist das anders: Hier teilen Zusammenarbeit statt Konkurrenz und mehr gemeinsam „als sich Katholiken und Protestanten ein Gotteshaus. Die Diakoniestation Pfinztal e.V. wurde im Jahre 1977 gegrün- Marke“ auftreten. Die Sache Jesu braucht Begeisterte – so soll- det. Damals schlossen sich die Evangelischen Kirchengemein- ten auch wir andere begeistern und mit unserem Glauben anste- Es sind die alltäglichen Dinge, die manchmal zu Konflikten den Berghausen-Wöschbach, Kleinsteinbach und Söllingen zu- cken. Wir müssen für die Menschen da sein, die uns brauchen. führen. Wie in einer WG: Da ärgert sich der eine über die of- sammen, die zuvor eigene Krankenpflegevereine betrieben Das macht unser christliches Selbstverständnis aus. fene Zahnpasta-Tube, der andere über den Abwasch, der noch in hatten. Im Jahr 2000 wurde die katholische Kirchengemeinde der Spüle liegt. Das Grundkonzept eines gemeinsam genutzten, Wöschbach, die bisher nur Kooperationspartner war, als Voll- sakralen Raums werde dadurch aber nicht in Frage gestellt, mitglied aufgenommen. Gleichzeitig wurde auch der Name in erzählt Ulrich Heinzelmann, evangelischer Pfarrer und Vorsit- gebung wüssten, dass die Kirche „ökumenisch“ ist und betrach- Ökumenische Diakoniestation Pfinztal e.V. geändert. Gemein- zender des Stiftungsrates Gemeinschaftliche Kirchenpflege in ten das Simultaneum als Zukunftsmodell für die Kirchen. Ob sam sind wir weiter gewachsen. 2006 kam die Seniorenwohn- Biberach, der die Stadtpfarrkirche St. Martin in Biberach in den es bald einen gemeinsamen Gemeindebrief gibt, wird derzeit in anlage „Haus Bühlblick“ dazu und 2020 übernahm die Diako- baulichen Belangen verwaltet. den Gremien diskutiert. Im Internet treten die Gemeinden mit niestation die Trägerschaft einer weiteren Seniorenwohnanlage, zwei unterschiedlichen Webseiten noch getrennt voneinander das „Stammhaus Frommel“. Das um 1300 errichtete Gotteshaus in Oberschwaben ist eine von auf. „Das wird wohl so bleiben, jede Gemeinde will ja auch etwas rund 70 Simultankirchen in Deutschland. Simultankirche, auch Eigenes haben“, meint Pfarrer Heinzelmann.“ Es klinge zwar pa- Simultaneum genannt, bezeichnet einen von mehreren Konfessi- radox, aber gerade in einem Simultaneum habe jede Gemeinde Wie macht sich das „Ökumenische“ in der Arbeit bemerkbar? onen genutzten Sakralbau. Schon nach der Reformation wurden umso mehr das Bedürfnis, sich konfessionell abzugrenzen.“ die ersten eingerichtet - vor allem in den Gebieten der Kurpfalz, Unsere Leitungsgremien sind ökumenisch besetzt. In der Mit- im Elsass und in Franken. Oft wurden damals provisorische Nichtsdestotrotz wird die Ökumene in Biberach groß geschrie- gliederversammlung sitzen jeweils vier Vertreterinnen bzw. Wände eingezogen, welche die Gläubigen voneinander trennten. ben. So feiern die beiden Gemeinden monatlich einen ökumeni- Vertreter aus jeder Kirchengemeinde. Daraus wird der Vor- Pflegefachkraft Diana S. auf dem Weg zu den Patienten. Die Idee dazu kam Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Westfäli- schen Gottesdienst. Auch auf Stadtfesten wie dem Schützenfest stand gewählt. Aber auch in unserer praktischen Arbeit spiegelt schen Frieden auf: Um religiöse Unruhen zu vermeiden, ließen treten die beiden Konfessionen gemeinsam auf. Auch wirtschaft- sich die Ökumene wieder. Wir haben ein diakonisch-karitatives viele Landesherren beide Konfessionen in einer Kirche beten. lich sei die Simultankirche ein profitables Modell, sagen die bei- Leitbild und ziehen auch sozial-politisch an einem Strang. Wir WEITERE INFORMATIONEN den Geistlichen, die über die Jahre Freunde geworden sind. Man legen Wert darauf, dass unsere Mitarbeitenden ihren Dienst im In Biberach nutzen Christen die Kirche in der Innenstadt durch teilt sich die Kosten. Im Moment steht etwa eine Außensanierung Sinne des christlichen Auftrags versehen. Ein großer Vorteil Die Ökumenische Diakoniestation Pfinztal ist heute ein gro- ein kaiserliches Interim seit 1548 gemeinsam, wie Heinzelmann an, wie Heinzelmann berichtet: „Das könnten die einzelnen Ge- unserer kirchlichen Einrichtung ist es, dass die früheren Kran- ßer Anbieter der ambulanten und teilstationären Pflege mit erklärt. Konkret heißt das: Es gibt einen gemeinsamen Bele- meinden kaum schultern.“ Rund 800.000 Euro an Spenden seien kenpflegevereine uns jetzt als Fördervereine unterstützen. So verschiedenen Teilbereichen: Ambulante Pflege, Hauswirt- gungsplan für Gottesdienste, Konzerte und andere Feierlichkei- schon zusammengekommen, freut er sich. Die Spenden kommen können wir uns etwas mehr Zeit für die Patientinnen und Pati- schaftliche Versorgung, Familienpflege, Alltagsbetreuung, ten. Die Sonntagsgottesdienste finden zeitlich getrennt voneinan- über den bewusst nicht konfessionellen Verein Bauhütte Simul- enten nehmen. Darüber hinaus gibt es eine enge und vertrauens- Hospizarbeit, Tagespflege, Betreutes Wohnen und Betreutes der statt. Anders als in einigen anderen Simultankirchen aber im taneum e.V. den beiden Kirchengemeinden zugute. volle Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden: Gemeinsame Servicewohnen. Das Einzugsgebiet umfasst die Gemeinde gemeinsamen Kirchenraum. Dabei zeigten sich die Protestanten Gottesdienste und verschiedene Veranstaltungen. Auch inner- Pfinztal. 150 Mitarbeitende versorgen einen Kundenstamm sehr kompromissbereit, sagt Stefan Ruf, der katholische Gemein- WEITERE INFORMATIONEN halb der Seniorenwohnanlagen finden regelmäßig ökumenische von über 450 Patientinnen und Patienten. depfarrer. Es gebe Heiligenfiguren und wenn es mal nach Weih- Gottesdienste statt, die immer abwechselnd von den einzelnen Die Diakoniestation bietet eine umfassende, bedarfsgerechte rauch riecht, sei das für die evangelischen Glaubensbrüder- und Bauhütte Simultaneum e.V. Gemeinden bestritten werden. Neue Mitarbeitende werden in Pflege, Begleitung und Beratung für ältere und pflegebe- schwestern nicht schlimm, freut er sich. Ein weiteres Beispiel für www.simultaneum.de/simultaneum.html Gottesdiensten vorgestellt. Die Seelsorge übernehmen Pfarrer dürftige Menschen, sowie eine tatkräftige Unterstützung ökumenische Toleranz sei der Karfreitag. Obwohl dies ein hoher Katholische Seelsorgeeinheit Biberach und Pfarrerinnen aus den Gemeinden. der pflegenden Angehörigen. evangelischer Feiertag ist, sei es für die Gläubigen in Ordnung, http://st-martin-bc.drs.de www.diakonie-pfinztal.de dass die Glocken – gemäß der katholischen Tradition - schweigen. Evangelische Gesamtkirchengemeinde Biberach www.evangelisch-in-biberach.de Warum ist Ihnen das ökumenische Miteinander wichtig? Es gibt aber auch Nebenräume, die der einen oder anderen Ge- meinde überlassen sind, wie Heinzelmann erzählt. So haben Ich halte das Miteinander über Konfessionsgrenzen hinweg für etwa die Katholiken für ihre Sakristei und den Chorraum das sinnvoll, weil Kranken- und Altenpflege eine gemeinsame christ- Nutzungsrecht. In der Vergangenheit habe das gelegentlich zu CARINA DOBRA liche Aufgabe ist. Die Fragen, wie wir im Alter leben wollen und TOBIAS STEIN Konflikten geführt. Auch die Abstimmung von Konzerten sei ist Journalistin in Frankfurt am Main. füreinander da sein können, können wir nur gemeinschaftlich be- ist Geschäftsführer der Ökumenischen manchmal eine Herausforderung, ergänzt sein katholischer Kol- antworten, in dem wir glaubhaft Dienst am Nächsten tun. Das Diakoniestation Pfinztal. lege. Ansonsten ist das Simultaneum aber eine Bereicherung, ökumenische Miteinander sehe ich daher als Chance und rich- wie beide Pfarrer betonen. Die Menschen in Biberach und Um- tigen Weg. Gelebte Nächstenliebe über Konfessionsgrenzen hin- 16 Evangelische Orientierung 1/2021 Evangelische Orientierung 1/2021 17
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