PLUS DU haSt Die WahL! - Magazin für eine generationensensible Pastoral - katholische-kirche-horbach.de

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Ausgabe 11/2021

                    PLUS
                    Magazin für eine generationensensible Pastoral

                         Du hast
                         die Wahl!

Wahlprüfsteine:        Praxistipp:               Interview:
Altersarmut S. 12      Glück im Leben   S. 18    Gleichberechtigung   S. 19
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EDITORIAL

                                                         muss ich
                                                         noch mal
                                                                                                      wenn
                          weiß nicht                     drüber
                                                                                                      jemand
                                                         nachdenken
nein                                                                               vielleicht         mitmacht
                                            ja

  Du hast die Wahl!
                      Liebe Leserinnen und Leser!                Martin Matl. Bernd Heil erinnert an eine
                                                                 grundlegende Wahlentscheidung, die
                      Ist PLUS über Nacht jetzt auch zu einem    uns die Bibel zumutet. Sitta von Schenck
                      Politmagazin geworden? Na klar! Das        berichtet kurz vor ihrem Ruhestand, wie
                      Superwahljahr 2021 mit Kommunal-,          wichtig menschliche Nähe und das Thema
                      Landtags- und Bundestagswahlen hat uns     „Gott“ am Ende eines Lebens werden. Im
                      gereizt, dem Thema „Du hast die Wahl!“     PLUS-Fragebogen steht eine junge Frau
                      in seinen unterschiedlichen Facetten       Rede und Antwort zur alltäglichen Wahl
                      nachzugehen.                               zwischen Beruf und Familie. Und schließ-
                                                                 lich fehlt auch der satirische Seitenblick
                      So spannt PLUS 11 einen breiten Bogen:     nicht, diesmal von Gisela Matthiae über
                      KAB-Diözesansekretär Michael Schmitt       all die Wahlmöglichkeiten im Supermarkt,
                      stellt Wahlprüfsteine zum Thema Alters-    beim Friseur und bei der Religion.
                      armut vor. ZdK-Vizepräsidentin Claudia
                      Lücking-Michel findet klare Worte zu       Darüber, welche ‚Wahl‘ einen guten Weg
                      „Macht und Gewaltenteilung in der Kir-     in die Zukunft öffnet, wird an vielen
                      che“. Der Wiener Ethiker Gunter Prüller-   Stellen und deshalb auch in unserem
                      Jagenteufel erläutert, dass Wahlfreiheit   Magazin gerungen.
                      nicht schrankenlos, sondern an Verant-
                      wortung zurückgebunden ist. In den         Wir wünschen eine spannende und
                      Titelstories erzählen Frauen, die bei      ­anregende Lektüre
                      Maria 2.0 und in der Kommunalpolitik
                      aktiv sind, warum sie sich für dieses
                      Engagement entscheiden. Ein Palliativ­
                      mediziner berichtet von schwierigen
                      Entscheidungen in seinem Arbeitsalltag.
                      Zu Entscheidungen und dem Glück im
                      Leben gibt Hannelore Dauzenroth eine
                      Gesprächsanregung. Und von miteinander
                      verbundenen statt durch Auswahl vonei-
                      nander getrennten Kunstwerken berichtet    Mathias Ziegler          Dr. Andreas Ruffing

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INHALT

An den Grenzen des Lebens, der Macht, der Politik
Drei Wahl-Geschichten .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..     4
Du hast die Wahl – und die Verantwortung
Prof. Dr. Gunter Prüller-Jagenteufel über Lust und Wirklichkeit .. .. .. .. .. .. .. .. ..                     8
Sie haben die Häresie, äh die Wahl!
Ein schräger Blick auf ein paar Wahlmöglichkeiten von Dr. Gisela Matthiae .. .. ..                             10
„Du hast die BundestagsWahl“
Michael Schmitt zeigt Wahlprüfsteine zu Alterssicherung und Altersarmut .. .. .. .. .. ..                            12
Unsere vier PLUS-Praxistipps zum Herausnehmen
Bewegen zu Musik, anders beten, Gedächtnistraining,
Gesprächsanregung „sich entscheiden“ .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..             15
Ohne rückhaltlose Gleichberechtigung
verspielt die Kirche ihre Zukunft
Interview mit ZdK-Vizepräsidentin Dr. Claudia Lücking-Michel .. .. .. .. .. .. .. .. ..                        19
Bildgedanken: Miteinander verbunden
Diözesanbaumeister Martin Matl zu den 25 Bildwerken im „KunstRaumkirche“ .. .. .. .. ..                                22
Biblischer Impuls: „Ja“ zu einem unheimlich schönen Leben
Was uns an Gutem begegnet, fragt Bernd Heil .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..             24
Wir haben die Wahl! Aber was wählen wir?
Ein Zwischenruf von Stefan Reinders .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..             26
Beruf und Familie – eine Entscheidung mit Folgen
Der PLUS-Fragebogen mit Antonia Rudolf .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..                27
Altenheimseelsorge: Grundbedürfnis nach Gott und Zeit
Sitta von Schenck zum Abschied: „Hört nicht auf, Menschen am Ende
ihres Lebens zu begleiten" .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..    28
Termine Seniorennetzwerk
WerkstattTag 20.09. und Motorrad-Treffen am 04.09. / 03.10. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..                            30
Impressum .. .. .. .. .. .. .. .. ..         .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 31

Zum guten Schluss
Lassen Sie sich das PLUS-Magazin nach Hause schicken! .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..                      32
                                                                                                             PLUS 11/2021   | 3
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Titel

 An den Grenzen des Lebens,
 der Macht, der Politik
 – drei Wahl-Geschichten
 Situationen, in denen wir eine Wahl zu treffen haben, lassen sich manchmal als Situationen beschreiben,
 in denen wir an eine Grenze geraten. Da geht es nicht einfach weiter, vielleicht wollen wir woanders hin,
 vielleicht werden wir mit etwas konfrontiert, das eine Entscheidung braucht? PLUS-Redakteur Christoph
 Baumanns hat vier Menschen zugehört, die eine Wahl getroffen haben: Peter Fehrenbach wählt die
 ­Begleitung von Menschen bis an ihr Lebensende. Irene Heigel und Barbara Vogler wählen den Einsatz für
 Gleichberechtigung. Helga Böhm wählt ihre Dorfgemeinschaft, in der sie sich politisch engagiert.

                     Das Leben wählen?
                     Dr. Peter Fehrenbach arbeitet im Angesicht des Unausweichlichen

                     Es sind heuer dreißig Jahre, die Peter Feh-    hat, der über sein Leben bestimmt. Im Ernst-
                     renbach seinen Beruf ausübt. Der All-          fall heißt das, Arzt und Patient treffen ge-
                     gemeinarzt, Anästhesist und Schmerz-           meinsam die Entscheidung. Als Arzt gehört
                     therapeut gehört zum Ärzteteam des             deshalb zu meinen wichtigen Aufgaben,
                     „Schmerz&PalliativZentrum Fulda“, eines        den Patienten über die Behandlungsmög-
                     von 22 Palliativteams in Hessen.               lichkeiten zu informieren.“ Der 57jährige
                                                                    Fehrenbach – verheiratet, Vater von vier
                     Palliativ? Das bedeutet laut Duden „die Be-    Kindern und Großvater von zwei Enkelkin-
                     schwerden einer Krankheit lindernd, aber       dern – erlebt Menschen, die ein Gefühl für
                     nicht [mehr] die Ursachen bekämpfend“.         den richtigen Zeitpunkt einer Entscheidung
                     In diesem „nicht [mehr]“ stecken viele von     haben. Er ist mit Menschen konfrontiert,
                     den Situationen, in denen Peter Fehren-        die sich viel zu früh in ihr Schicksal fügen,
                     bach vor die Wahl gestellt wird: Welche        die schwer an biographischen Altlasten lei-
                     Therapie braucht der schwerkranke, unter       den, die maximale Leidenslinderung bean-
                     chronischen Schmerzen leidende Mensch,         spruchen. Und er hat mit Menschen zu tun,
                     oft auch welche Therapie braucht er als        die ‚von all dem‘ nichts wissen wollen.
                     nächste? Das Ziel der Heilung nicht wei-       Seit 2007 hat jeder Mensch laut Sozialge-
                     ter zu verfolgen und sich auf Linderung        setzbuch (§ 37b SGB V) den Anspruch auf
                     zu konzentrieren, ist einer der manchmal       „spezialisierte ambulante Palliativversor-
                     schwersten, manchmal leichtesten „nicht        gung (SAPV)“ in seinem häuslichen Um-
                     [mehr]-“Schritte in der Behandlung.            feld. Für Fehrenbach ist das eine histori-
                     „Wenn wir bei der Palliativmedizin von         sche Weiterentwicklung: „Zum ersten Mal
                     Wahlmöglichkeiten sprechen, dann sind          seit 200 Jahren fragt die Medizin, die sich
                     das ja nicht nur die, die ich als Arzt habe,   bis dahin klar naturwissenschaftlich auf-
                     sondern auch, die die der leidende Mensch      gestellt hat, nicht nur nach medizinischer

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Persönlich

Diagnose und Therapie, sondern ganzheit-
lich auch nach den pflegerischen Notwen-
digkeiten, dem sozialen Umfeld, den see-
lischen und spirituellen Bedürfnissen der                                 Foto: www.schmerzzentrumfulda.de

schwerstkranken Menschen.“

Selbst Fehrenbach, der sich zwei Tage die     Eine alte Frau ist unheilbar an Altersleu­
Woche ausschließlich um Sterbende küm-        kämie erkrankt. Eine Zeit lang helfen Blut-
mert, sagt, dass das Sterben immer noch       Transfusionen. „Aber irgendwann werden
ein Tabuthema ist und auf die Intensiv-       diese zur Quälerei. Und wir haben dann im
stationen verbannt wird. „Aber mit der        Gespräch mit ihr und der Familie entschie-
ambulanten Palliativversorgung kommen         den, keine Transfusionen mehr durchzu-
das Sterben und damit die existenziel-        führen. Ich werde die respektvolle Haltung
len Fragen am Ende eines Lebens zurück        nicht vergessen, mit der die Frau ihre letz-
nach Hause.“ Für Peter Fehrenbach ist das     ten Lebenstage verbrachte.“
eine sehr positive Entwicklung. Was ihm
in diesem „Care-System“ noch fehlt, ist
die Seelsorge. Einen „prekären Seelsor-
geraum“ nennt er die palliative Situation     Die Kirche wählen?
beim Menschen zu Hause: „Alle existen-        Irene Heigel und Barbara Vogler engagieren
ziellen Fragen liegen auf dem Tisch, alle     sich bei Maria 2.0
Weltanschauungen treffen aufeinander,
zwischen kirchlich distanziert und ab-        Obwohl es beim Thema Männer und Frau-
lehnend, sinnsuchend, evangelisch, ka-        en in der Kirche gerade nicht viel zu lachen
tholisch“, sagt Peter Fehrenbach, der sich    gibt, sind Irene Heigel und Barbara Vogler
gern schon mal als „Lebensend-Mediziner       ohne Frage sehr humorvolle Frauen. Doch
mit ungeklärtem Behandlungsauftrag“           sind sie müde an den immer gleichen Streit-
bezeichnet.                                   themen über die Rolle der Frau in der katho-
                                              lischen Kirche. Die zwei lebens- und kirche-
Eine ältere Frau nicht-europäischer Her-      erfahrenen Frauen haben schlicht den Papp
kunft, gut deutsch sprechend, alleinste-      auf von ihrer Kirche. „Da muss sich endlich
hend, vier kleine Kinder, auf Hilfe durch     etwas ändern! Es geht nicht mehr an, dass
das Jugendamt angewiesen, leidet an ei-       Frauen in der Kirche benachteiligt werden.
nem fortschreitenden Tumor. Sie soll eine     Menschenrechte gelten für alle: Frauen sind
bestimmte Behandlung bekommen, entlässt       gleichberechtigt. Wir bestehen hier so viele
sich aber aus dem Krankenhaus, will in ein    Jahre schon auf Selbstverständlichkeiten!“
anderes Krankenhaus. Für den Palliativ­
mediziner ist diese Behandlung nicht er-      Für Irene Heigel und Barbara Vogler hat es
folgversprechend: „Aber wenn die Patien-      nicht zur Wahl gestanden, zur Kirche da-
tin das so will und die Energie aufwendet,    zuzugehören oder nicht. „Wir wurden ja in
das zu machen, ist das angemessen, und        unsere Gemeinden förmlich hineingebo-
meine Aufgabe heißt, sie darin zu begleiten   ren“, sagen sie. Heute sind sie in St. Georg
und die Symptome zu kontrollieren.“           in Poppenhausen kirchlich zu Hause. Die

                                                                                                             PLUS 11/2021   | 5
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Titel

                     67jährige Irene Heigel ist verwitwet und hat
                     drei Kinder. Sie arbeitete zuletzt als Kun-
                     denberaterin in einem Juweliergeschäft.
                     Barbara Vogel ist 69 Jahre alt, verheira-
                     tet, drei Töchter und sieben Enkelkinder.
                     Sie führte zusammen mit ihrem Mann ein
                                                                         Irene Heigel und Barbara Vogler plakatieren im Februar die sieben Thesen von Maria 2.0
                     Maler- und Putzgeschäft.                                                      an die Kirchentür von St. Georg, Poppenhausen (Foto: privat)

                     Als vor zwei Jahren in Münster und Hil-        Die Welt hat sich geändert, das sollten wir
                     desheim die ersten Maria 2.0-Gruppen           auch tun. Euer Beharren schafft Leid und
                     starteten, war das für Heigel und Vogler       Unglück. Hört nicht immer nur auf Rom!“
                     eine Initialzündung, in dieser Kirche auf      Und den jungen Frauen, die Heigel und
                     neue Weise noch einmal die Auseinan-           Vogler vermissen: „Kämpft mit uns! Für
                     dersetzung zu suchen. „Für die erste Akti-     unseren Glauben lohnt es sich!“
                     on, als wir die Schuhe vor die Kirche auf
                     weiße Tücher bis zum Marktplatz gestellt       Eine Frage gibt es, die die beiden scheu-
                     haben, bekamen wir einigen Zuspruch.           en: Welche Wahl treffen sie, wenn sich
                     Das hat uns Mut gemacht und Kraft gege-        nichts ändert: Gehen oder bleiben sie in
                     ben“, berichtet Irene Heigel. Es folgte ein    der Kirche? „Wir wissen, nur wenn wir
                     offener Brief mit 150 Unterschriften an        bleiben, können wir auch etwas bewegen.
                     Bischof Dr. Michael Gerber, der die Frau-      Wir glauben an die Geistkraft Gottes, dass
                     en zu einem Gespräch einlud. „Es war ein       sich etwas bewegt.“
                     gutes Gespräch aber eben mit, wie soll ich
                     sagen, neutralen Ergebnissen.“ Und an
                     neutralen Ergebnissen haben Irene Heigel
                     und Barbara Vogler definitiv kein Interes-     Die Dorfgemeinschaft
                     se mehr.                                       wählen?
                                                                    Helga Böhm ist Dorfpolitikerin
                     „Für unsere Kinder“ ist die erste und lau-
                     te Antwort auf die Frage, warum sich die       Für Helga Böhm ist Politik etwas Selbst-
                     beiden überhaupt noch für „gleiche Wür-        verständliches. Politisches Handeln be-
                     de und gleiche Rechte“ von Frauen in           deutet für die 82jährige vor allem, sich für
                     der katholischen Kirche einsetzen. „Aber       ihre Dorfgemeinschaft einzusetzen. „Was
                     wenn wir selbst unsere Kirche unglaub-         gibt es sonst noch für Fragen?“, fragt sie
                     würdig finden, wie sollen wir sie dann         und lacht.
                     unseren Kindern nahebringen?“ Die bei-
                     den Rhöner Frauen wünschen sich mehr           Helga Böhm ist eigentlich Landwirtin.
                     Mitstreiterinnen. „So viele haben sich in-     Zusammen mit ihrem Mann hat sie ei-
                     nerlich und äußerlich verabschiedet, all       nen Bauernhof im Eichenzeller Ortsteil
                     die Charismen, die der Kirche so guttä-        Rönshausen geführt. Als ihr Mann vor
                     ten.“ Den leitenden Männern in der Ka-         26 Jahren starb, gab sie die selbstständi-
                     tholischen Kirche würden die beiden am         ge Landwirtschaft ab, blieb aber auf dem
                     liebsten zurufen: „Lasst die Kirche nicht      Hof wohnen. Viele Jahre arbeitete sie dann
                     zugrunde gehen, indem ihr nichts ändert!       im Speisesaal des Kneippkurheims Lud-

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Persönlich

wigsstift Gersfeld. „Man muss sehen, dass    Themen Umweltschutz und Nachhaltig-
man klarkommt. Das Leben geht immer          keit eine wichtige Rolle. Da ist es für mich
weiter.“ Das ist für Helga Böhm eine wich-   klar, das zu unterstützen.“
tige ­Lebensgrundhaltung. Drei Kinder hat
die siebenfache Großmutter großgezogen,      Die Familie Schönberger unterhält den be-
ist auch schon Ur-Oma. Heute lebt sie mit    kannten Schulbauernhof Rönshausen. Mit
ihrer Tochter, deren Ehemann und beiden      ihrem Selbstversorgerhof haben sie sich
Kindern zusammen auf dem Hof.                zum Ziel gesetzt, auch heute noch Land-
                                             wirtschaft erlebbar zu machen und den
Dass sie sich bei der Partei „Bündnis 90/    Schülern/innen und Besucher/innen ein
Die Grünen“ engagiert, hat wesentlich mit    Gespür und einen Zugang zur ländlichen
ihrem Nachbarn Helmut Schönberger zu         Kultur anzubieten. Auch auf dem Schul-
tun. Der Bio-Landwirt und stellvertre-       bauernhof hilft Helga Böhm tatkräftig
tende Fraktionsvorsitzende des Grünen        mit – jedenfalls als Veranstaltungen noch
Kreisverbands Fulda setzt sich seit vielen   möglich waren. „Corona ist ein schlimmes
Jahren für die Erhaltung der bäuerlichen     Thema.“ findet Helga Böhm.
Landwirtschaft und für das Biosphären-
reservat Rhön ein. „Er hat mich gefragt,     Zu ihren politischen Tätigkeiten zählt
ob ich bei den Grünen mithelfen will, und    Helga Böhm auch ihre Vorstandstätigkeit
da habe ich selbstverständlich ja gesagt.“   bei der Katholischen Frauengemeinschaft;
Dazu gehörte dann auch, bei der dies-        seit über 52 Jahren ist sie kfd-Mitglied.
jährigen hessischen Kommunalwahl von         Außerdem engagiert sich als Patientenfür-
„Bündnis 90/Die Grünen“ zu kandidieren.      sprecherin im Klinikum Gersfeld. Böhm ist
Darüber, dass sie es auf Listenplatz 31      unabhängig unterwegs, fährt Auto, „mal
nicht in den Kreistag geschafft hat, ob-     sehen, wie lange das noch geht.“
wohl die Grünen um vier Prozent zulegen
konnten, ist Helga Böhm nicht traurig. „In   Gefragt, was sie den Jungen gerne mitge-
meinem Alter sind parlamentarische Sit-      ben würde, antwortet Helga Böhm: „Ehr-
zungen doch etwas anstrengend.“ Gerne        lichkeit ist wichtig, sich nicht verstellen
aber besucht Helga Böhm die Veranstal-       und zu seiner Meinung stehen ist sehr
tungen der Grünen. „Der Kontakt zu den       wichtig im Leben.“
jungen Leuten und die Gespräche mit ih-
nen gefallen mir gut. Obwohl ich schon
ganz schön alt bin, will ich immer noch
gerne das Neueste mitbekommen.“
Helga Böhm weiß, dass sie sich auf ihre
Nachbarschaft verlassen kann. Diese
Nachbarschaft war beim Tod ihres Man-
nes und den nachfolgenden Veränderun-
gen in ihrem Leben eine wichtige Stütze,
ganz besonders die Familie Schönberger
vom Nachbarhof. Gute Nachbarschaft ist
für Helga Böhm wie gute Politik. „In un-
serer Nachbarschaft spielen die grünen                   Foto: Privat

                                                                                            PLUS 11/2021   | 7
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Freiheit

 Du hast die Wahl –
 und die Verantwortung!
 Ist die Freiheit in Gefahr? Wer die Demonstrationen vor Augen hat, die vor einer „Corona-Diktatur“
 warnen – Lockdown als Anschlag auf die verfassungsmäßigen Grundfreiheiten –, könnte diesen Ein-
 druck gewinnen. Der so geäußerte Widerspruch führt aber absurderweise in einen Selbst-Widerspruch:
 Die Verweigerung der Freiheitseinschränkungen führt dazu, dass diese umso länger nötig sind. Natür-
 lich stimmt es: „Die Menschen sind der Pandemie müde“, sie „tragen die Maßnahmen nicht mehr mit“
 und „wollen endlich wieder normal leben“. Wer möchte das nicht? Aber haben wir eine Wahl? Wenn
 ja: zwischen welchen Alternativen?

                     Der freie Wille ist mehr als ein bloßer        den entsprechenden technischen Hilfs-
                     Wunsch                                         mitteln, versteht sich.
                     Immanuel Kant, der große Denker des
                     freien Willens, hält gleich zu Beginn sei-     Freiheit bewegt sich also zuallererst im
                     ner „Grundlegung zur Metaphysik der            Rahmen des Möglichen: Wählen kann
                     Sitten“ fest, dass der Wille „freilich nicht   ich nur zwischen Alternativen, die auch
                     etwa ein bloßer Wunsch“ ist, „sondern          realistisch sind. Und diese Alternativen
                     die Aufbietung aller Mittel, soweit sie in     sind meist komplex miteinander verkop-
                     unserer Gewalt sind“. Wünschen kann            pelt: Wir haben die Wahl zwischen zwei
                     ich vieles, z.B. dass ich einen Sechser im     Möglichkeiten: (1.) Wir halten uns an
                     Lotto gewinne. Aber „wollen“ kann ich          die – wissenschaftlich wohlbegründeten–
                     das nicht, würde Kant einwerfen, weil es       Covid-Maßnahmen oder (2.) wir nehmen
                     nicht in meinen Möglichkeiten steht (und       in Kauf, dass die Pandemie Ausmaße er-
                     darüber hinaus extrem unwahrscheinlich         reicht, die unser Gesundheitssystem zu-
                     ist). Das mag eine narzisstische Kränkung      sammenbrechen lassen. Eine dritte Mög-
                     bedeuten, aber damit muss ich leben.           lichkeit gibt es nicht – zumindest so lange
                                                                    nicht, bis eine ausreichend hohe Durch-
                     Sigmund Freud, der Begründer der Psy-          impfungsrate erreicht ist.
                     choanalyse, hat davon gesprochen, dass
                     sich eine gesunde Person dadurch aus-          Natürlich kann man diesen Zusammen-
                     zeichnet, dass sie das Lustprinzip durch       hang auch leugnen. Allerdings hat man
                     das Realitätsprinzip umgestaltet. Nur so       dann den Boden der gesicherten Erkennt-
                     kann nämlich aus dem bloßen Wunsch ein         nis, das heißt die Realität und die Ver-
                     kreativer Wille werden, der die Wirklich-      nunft, hinter sich gelassen. Freiheit ist
                     keit verändert. So wurde der jahrtausen-       aber nur dann Freiheit, wenn sie auch
                     dealte „Traum vom Fliegen“ Wirklichkeit,       vernünftig ist.
                     als das Flugzeug erfunden wurde. Heute         Du hast die Wahl = du musst dich für
                     können die meisten von uns fliegen – mit       etwas entscheiden

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Konsequenzen

Ein zweiter Gedanke: Die Freiheit von         Du hast die Wahl = du trägst die Verant-
Zwang, also die negative Freiheit, ist we-    wortung
sentlich, aber für sich allein ist sie noch   Ich habe die Wahl! Habe ich damit nicht
gar nichts. Denn gegen Zwang wehre ich        auch das Recht auf Unvernunft, auf Reali-
mich ja deshalb, weil man mir etwas ver-      tätsverweigerung? Bis zu einem gewissen
bietet, eine Möglichkeit verbaut. Es geht     Grad wohl schon. In einer liberalen Ge-
in der Freiheit also tatsächlich um etwas,    sellschaft wird niemand zu seinem Glück
Kant nennt das die positive Freiheit: die     gezwungen. Aber – so die jahrtausen-
Freiheit etwas zu verwirklichen. Und hier     dealte Erfahrung der Menschen – Glück
zeigt die Freiheit ihre paradoxe Struktur:    besteht nicht in der Unverbindlichkeit,
Um in Freiheit etwas zu verwirklichen,        sondern in der Kreativität: dass ich etwas
bin ich gezwungen, anderes außen vor zu       geschafft/geschaffen habe, das mich mit
lassen und mich an dieses eine, für das       Freude erfüllt. Und das – so die Philoso-
ich mich entschieden habe, zu binden. Die     phie der Aufklärung, die unserer demo-
freie Wahl macht also in gewissem Sinne       kratischen Gesellschaft zu Grunde liegt –
unfrei.                                       gelingt nur im Rahmen der Vernunft.

Ein Beispiel: Ich habe die Wahl, ein ge-      Zumindest darf meine Unvernunft nicht
wisses Maß an Talent vorausgesetzt, ein       so weit gehen, dass dadurch andere ge-
Musikinstrument zu erlernen. Ich habe         fährdet oder geschädigt werden. Denn
die Wahl: Entscheide ich mich z.B. da-        wenn ich die Wahl habe, dann trage ich
für, Klavier spielen zu lernen, muss ich      auch die Verantwortung für das, was
wohl oder übel auf das Cello, die Posau-      ich tue. Meine Freiheit korrespondiert
ne etc. verzichten. Für die hätte ich viel-   mit Pflichten; jedenfalls mit der Pflicht,
leicht auch Talent; aber um wirklich gut      die anderen ebenso zu achten wie mich
zu spielen, muss ich mich konzentrieren,      selbst. Und da stoßen wir dann unver-
muss üben – auch, wenn ich gerade keine       sehens auf den Kern unseres Glaubens:
Lust habe. Dann und nur dann werde ich        „Alles, was ihr wollt, dass euch die Men-
das Ziel, das ich mir selbst gesteckt habe,   schen tun, das tut auch ihnen! Darin
auch erreichen. Mit jeder Wahl entscheide     besteht das Gesetz und die Propheten.“
ich mich also gegen andere Möglichkeiten      (Matthäus 7,12)
und trage die Konsequenzen.
                                              Gunter Prüller-Jagenteufel
Freiheit kann also nicht in der Unver-        gunter.prueller-jagenteufel@univie.ac.at
bindlichkeit bleiben. Wer die Wahl hat,       Prof. Dr. Gunter Prüller-Jagenteufel-
muss sich auch entscheiden, und zwar          unterrichtet theologische Ethik an der
konsequent. Wer heute Klavier spielen         Universität Wien.
möchte und morgen Fußball und über-
morgen Dressurreiten und dann vielleicht
Aquarellmalen wird am Ende zwar Zeit
verbracht – „totgeschlagen“– haben, aber
wohl nichts erreicht.

                                                                                    PLUS 11/2021   | 9
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Satire

 Sie haben die Häresie, äh, Wahl!
 Ein schräger Blick auf ein paar Wahlmöglichkeiten, die das Leben
 so bietet, von Dr. Gisela Matthiae, Theologin und Clownin

                      Übergroße Wahlzettel, nein Fahnen. Wo-        Zeiten auf Wahlmöglichkeiten bestand,
                      hin damit in dieser engen Kabine? War-        als keine gegeben waren, galt eben nicht
                      um haben sie keine Tapeziertische aufge-      als freier Wähler, sondern als Ketzer. Wer
                      stellt? Ich hatte mir vorher schon ein paar   sich die Wahl nahm, war abtrünnig. Dazu
                      Namen notiert, bei meiner ersten Wahl in      braucht man gar nicht in vergangene Zei-
                      diesem Wahljahr. Denn wie sollte ich hier     ten zu schauen, das trifft auch auf Län-
                      alle kennen! Und nur nach Parteien zu         der heutzutage zu, und zwar zunehmend.
                      entscheiden, das ging ja auch nicht. Kom-     Völlig anders sei es in unseren pluralisti-
                      munal ist die Wahl! Und nicht nur ein         schen Gesellschaften mit den unzählba-
                      Kreuz, nein, mehrere. Das Wort kann ich       ren Wahlmöglichkeiten, meinte der Autor
                      mir merken, denn ich weiß, es gibt Hau-       des Buches Peter L. Berger, ein US-ame-
                      fenwolken, die auch so heißen: cumulus,       rikanischer Religionsphilosoph bereits im
                      also kumulieren. Und das gemischte Bier       Jahr 1980. Häresie, also Wahlmöglichkei-
                      mit Limo heißt in Frankreich Panaché:         ten zu haben, sei eine Chance, aber auch
                      panachieren, wenn ich Parteien mischen        ein Zwang. Nicht nur wählen zu können,
                      will, also die Namen auf der Liste.           sondern auch zu müssen, das sei die Her-
                      Ja, wenn ich Parteien mischen könnte:         ausforderung. Im Großen wie im Kleinen.
                      Was von dieser und was von jener, das         Da ist was dran. Wer die Wahl hat, hat
                      wäre eine feine Sache. Wer die Wahl hat,      die ….
                      hat die Wahl – zwischen dem Gegebenen.
                      Nun gut, ich will mich nicht beschwe-         Es fängt schon an im Supermarkt. Sind
                      ren. Immerhin ist es erst gut 100 Jahre       die Unterschiede zwischen diesen Seifen
                      her, dass ich als Frau überhaupt wählen       wirklich so groß, dass ich eine entschie-
                      darf und also überhaupt eine Wahl habe.       dene Wahl treffen sollte? Warum gibt es
                      Aber trotzdem, die Auswahl ist nicht so       hier drei Sorten Bio-H-Milch, die ich viel-
                      prickelnd.                                    leicht sowieso nicht trinken sollte? Aber
                                                                    unter den frischen Sorten habe ich die
                      In meinem Regal steht ein Buch mit dem        Wahl gleich zwischen sechs verschiede-
                      Titel „Der Zwang zur Häresie“. Das Wort       nen. Ich war auch mal in so einem Coffee-
                      Häresie kommt aus dem Griechischen und        Shop, nicht jetzt, irgendwann vor über
                      heißt zu Deutsch „Wahl“. Doch wer zu          einem Jahr. Large, Medium oder Small,

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In der Wahlkabine

                                                                                              Foto: Dr. Gisela Matthiae

                                                 Dr. Gisela Matthiae
                                                 Die in Gelnhausen lebende evangelische Theo-
                                                 login und Clownin arbeitet als freie Referentin,
wobei Small mir schon zu groß erschien.          Autorin und Humortrainerin: Sie bildet Clown*s
Mit welcher der wieviel Sorten Kaffee,           aus und steht selbst auf der Bühne:
mit oder ohne oder nur teilweise Koffein.        www.clownin.de und www.kirchenclownerie.de.
Ob noch so eine Soße drauf, und Sahne            Über Humor, auch theologisch betrachtet,
oder Milch. Und ob ich Punkte sammle.            schreibt sie unter anderem in ihrem Blog
Ich entschied mich angesichts der vielen         www.humorladen.wordpress.com
Wahlmöglichkeiten für eine radikale, ich
verließ den Laden. Ohne Kaffee, aber ir-
gendwie erleichtert.                         eines? Sollte ich mal eine andere Religi-
                                             on ausprobieren? Es gibt inzwischen so
Ständig muss man sich entscheiden. Und       viele interessante neue Religionen, meine
da ist das mit dem Kaffee noch eine Lap-     eigene kenne ich ja, mit ihren Vor- und
palie. Soll ich, wenn ich kann, wieder in    Nachteilen. Sollte ich umziehen, abtau-
Urlaub fahren? Wo ich doch jetzt erfahren    chen und gar meine Identität wechseln?
habe, dass davon nicht mein Jahresglück
abhängt. Aber wenn ja, wohin? Ist das        Hast du sie noch alle? frage ich mich völlig
Meer in Ligurien wirklich so anders als      überrumpelt von all den Wahlmöglichkei-
das an der Costa Brava? Ich kenne weder      ten und all den Nötigungen zur Wahl. Ich
das eine noch das andere. Augen auf bei      will mich gar nicht ständig entscheiden
der Berufswahl! Die entscheidet schließ-     müssen! Die allermeisten Wahlmöglich-
lich für einen längeren Zeitraum als für     keiten sind doch bloße Ablenkungsma-
zwei Wochen. Welches Ehrenamt passt          növer! Reine Beschäftigungsprogramme!
zu mir? In der nachberuflichen Lebens-       Damit ich nicht mitkriege, wie eng an-
phase will ich auch noch was tun, mich       sonsten meine Wahlmöglichkeiten sind.
einbringen, Anregungen geben, aber auch      Nicht nur diese Kabine da im März, in der
welche bekommen. Sollte ich mal den          ich mich mit gigantischen Wahlzetteln
Zahnarzt wechseln oder die Gynäkolo-         herumgeschlagen habe. Behaltet euren
gin? Die Friseurin habe ich ja bereits öf-   Kaffee, aber gebt mir eine echte Stimme!
ters gewechselt. Sollte ich mein umwelt-
verschmutzendes Auto wegtun, einfach         Dr. Gisela Matthiae
weg und kein neues oder falls ja, was für    matthiae@clownin.de

                                                                                    PLUS 11/2021   | 11
Wählen

 „Du hast die BundestagsWahl“
 am 26. September
 Unter die Lupe genommen: Alterssicherung und Altersarmut
 Schon 2018 waren in Deutschland 3,1 Millionen Rentner/innen von Altersarmut betroffen. – Tendenz
 steigend. Von Altersarmut spricht man unter anderem bei einem Einkommen von weniger als 60 Prozent
 des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung. Bei Alleinstehenden bedeutete das 2018: Wer nicht
 mehr als 13.628 Euro Jahreseinkommen hat, gilt als arm. Nach Daten des Europäischen Statistikamtes
 Eurostat ist in Deutschland fast jede/r Fünfte über 65 Jahren von Altersarmut betroffen.

                      Sieben Wahlprüfsteine                       Prüfstein 1:
                      Viele erwarteten, dass das Thema „Rente“    Die künftigen Regierungsparteien stehen
                      mit den Fragen nach Alterssicherung und     vor zwei Aufgaben: (1) zu verhindern,
                      Altersarmut ein zentrales Thema bei der     dass das Rentenniveau unter 48 Prozent
                      Bundestagswahl 2021 spielen würde, ge-      fällt; (2) zu versuchen, das Rentenniveau
                      puscht noch durch den Renteneintritt der    auf über 50 Prozent anzuheben.
                      geburtenstarken Jahrgänge. Die Corona-      Für die Sozialpolitik sehr belastend war
                      Pandemie jedoch verschob die Aufmerk-       die in der Agenda 2010 geplante Absen-
                      samkeit drastisch: Die Bewältigung der      kung des Rentenniveaus auf 43 % bis
                      Pandemie steht seit März 2020 im Vorder-    zum Jahr 2030. Eine Absenkung auf die-
                      grund nahezu jedes politischen Handelns.    ses Niveau würde unweigerlich zu einem
                      Dennoch bleibt „Rente“ ein gesellschaft-    zahlenmäßigen Anstieg derjenigen führen,
                      liches Thema von großer Bedeutung. Die      die Grundsicherung beantragen müssten,
                      KAB bietet hier sieben Prüfsteine an, mit   insbesondere bei denjenigen mit unterbro-
                      denen Wahlaussagen und Wahlprogramme        chenen Erwerbsbiografien oder denen, die
                      in Sachen rentenpolitische Vorstellungen,   zeitlebens für einen niedrigen Lohn arbei-
                      Alterssicherheit und Altersarmut kritisch   teten. Deshalb wurde Ende 2018 im § 154
                      hinterfragt werden können.                  des Sozialgesetzbuches VI eine „Haltelinie
                                                                  eingezogen“. Bis 2025 darf demnach das
                                                                  Rentenniveau nicht unter 48 % fallen. Al-
Wahlprogramme                                                     tersarmut zu verhindern ist eine „Minimal-
Gerne hätten wir die Wahlprogramme der Parteien in                grenze“. Würdiges Leben im Alter bedeutet
ihren Renten-Aussagen kritisch durchleuchtet, aber                aber nicht, an einer „Untergrenze“ zu leben.
Corona hat auch das verhindert. Die meisten Program-
me lagen bei Redaktionsschluss nur als Entwürfe vor               Prüfstein 2:
und waren noch nicht verabschiedet:                                Kommt es zu Mindereinnahmen in
https://www.bundestagswahl-2021.de/wahlprogramme/                  der Rentenversicherung, dürfen keine
                                                                  „Rückschritte“ erfolgen. Gegebenenfalls

12 |   PLUS 11/2021
Prüfen

sind zusätzliche Bundeszuschüsse not-         Prüfstein 4:
wendig.                                       Künftige Regierungsparteien sollten für
Mit der Einführung der Grundrente ab 1.       alle Kinder 30 Monate Erziehungszeit
Januar 2021 (die teilweise jedoch erst ab     anerkennen. Diese von der Rentenver-
Ende 2022 ausgezahlt wird) brauchen sich      sicherung auszuzahlenden Leistungen
viele Menschen auf das Prozedere des          sind durch einen Bundeszuschuss aus-
Grundsicherungsantrags, bei dem alle Ver-     zugleichen, da die Kindererziehung von
mögensverhältnisse offen gelegt werden        höchster gesellschaftlicher Relevanz ist.
müssen, nicht mehr einlassen; ein Proze-      In der laufenden Legislaturperiode wurde
dere, das für viele am Ende eines Arbeits-    die Anerkennung von Kindererziehungszei-
lebens entwürdigend war. Ob ein Anspruch      ten zugunsten der Rentenbezieherinnen ge-
auf Grundrente vorhanden ist, wird jetzt      ändert. Für Kinder, die nach dem 1. Januar
seitens der Rentenversicherung automa-        1992 geboren wurden, werden ab 2019 30
tisch berechnet. Da bei Bestandsrenten die-   Monate Erziehungszeit anerkannt. Welchen
se Berechnungen erst Ende 2022 beendet        Grund gibt es, hier nur Kinder, die ab 1992
sein werden, ist die Belastung der Renten-    geboren wurden, zu berücksichtigen?
kassen durch die Einführung der Grund-
rente noch nicht konkret abzusehen; es        Prüfstein 5:
könnte also hier zu deutlich höheren Aus-     Für die Beiträge, die in die Betriebsren-
gaben der Rentenkassen kommen, denen          te einfließen, sind bereits Kranken- und
zu wenig Einnahmen gegenüberstehen.           Pflegeversicherungsbeiträge gezahlt
                                              worden. Von der künftigen Regierung
Prüfstein 3:                                  ist zu fordern, dass eine „Zweifachver-
Eine künftige Regierungsmehrheit              beitragung“ für die volle Betriebsrente
muss sich auch daran messen lassen,           ausgeschlossen wird.
schnellst möglichst Verbesserungen            Dass die gesetzliche Rente schon jetzt wie
auch für die Menschen zu beschließen,         auch in Zukunft nur ein Standbein der
die vor dem 1. Januar 2019 schon Er-          Altersversorgung sein kann, ist unstrittig.
werbsminderungsrente bezogen haben.           Unterschiedlichste Modelle von Betriebs-
Auch die Abschlagsregelung muss               renten, die zur Ergänzung notwendig
nachgebessert werden.                         sind, haben in den letzten Jahren Stärken
Die derzeitige Regierungskoalition hat        und Schwächen deutlich gemacht. Eine
in den vergangenen Jahren eine deutli-        Schwäche war und ist die zweifache Ver-
che Verbesserung bei der Erwerbsminde-        beitragung der Betriebsrenten zur Kran-
rungsrente umgesetzt. Diese bezieht sich      ken- und Pflegeversicherung, also einmal
jedoch nur auf diejenigen, die nach dem       bei der Gehaltszahlung und das zweite
1. Januar 2019 Anspruch auf Erwerbsmin-       Mal bei der Rentenzahlung. Zwar hat man
derungsrente erhoben. Fragwürdig sind         einen Pauschalbetrag der Betriebsrenten
auch die Abschläge von bis zu 10,8 % bei      krankenversicherungsfrei gestellt, nicht
den Bezieher/innen unter 63 Jahren.           jedoch vom Pflegeversicherungsbeitrag.

                                                                                            PLUS 11/2021   | 13
Wählen

                      Prüfstein 6:                                 Prüfstein 7:
                      Die zur Wahl antretenden Parteien            Die Katholische Arbeitnehmer-Bewe-
                      sollten sich für eine Verbesserung der       gung (KAB) fordert eine Erhöhung des
                      Altersversorgung ganz besonders der-         gesetzlichen Mindestlohns auf
                      jenigen Menschen mit unterbrochener          14,09 Euro pro Stunde.
                      Erwerbsbiografie oder Erwerbsminde-          Ein weiterer Hebel zur Vermeidung von
                      rungsrente einsetzen.                        Altersarmut ist eine Erhöhung des ge-
                      Das sind wichtige Verbesserungen der         setzlichen Mindestlohns auf 14,09 Euro
                      Alterssicherheit, die nicht unbedingt alle   pro Stunde; dies entspricht 60 Prozent
                      Rentner/innen betreffen, aber insbeson-      des statistischen Durchschnittslohns, der
                      dere Personen, die aufgrund ihrer Lebens-    gleichzeitig die „Armutsgrenze“ ist. Die-
                      umstände benachteiligt sein können. Das      se Mindestlohnhöhe verhindert schon im
                      gilt zum Beispiel für Frauen und Männer,     Erwerbsleben ein Leben unterhalb der Ar-
                      die aufgrund von Kindererziehung eine        mutsgrenze. Sie trägt ebenso dazu bei, dass
                      unterbrochene Erwerbsbiografie haben,        sich nach 45 Erwerbsarbeitsjahren auf die-
                      oder auch Menschen, die gesundheitlich       sem Lohnniveau ein Rentenanspruch ober-
                      eingeschränkt sind und eine Erwerbsmin-      halb der Grenze der Grundsicherung ergibt.
                      derungsrente beziehen.
                                                                   Michael Schmitt
                                                                   michael.schmitt@kab-fulda.de
                                                                   Diözesansekretär Katholische Arbeitneh-
Begriffserklärung „Rentenniveau“                                   mer-Bewegung (KAB), Diözesanverband
Das Rentenniveau wird in Prozent angegeben und                     Fulda e.V.
zeigt die Höhe einer Rente im Vergleich zum
durchschnittlichen Einkommen eines/r Arbeitsneh-
mers/in (45 Jahre Beitragszahlung) an. Beträgt dieses
durchschnittliche Einkommen beispielsweise
2.500,- Euro/Monat und das Rentenniveau liegt
wie derzeit (2020) bei 48,21 Prozent, so würde die
monatliche Rente mit 1.205,25 Euro ausfallen.

14 |   PLUS 11/2021
Bewegen und Tanz zu Musik

                                                                                                                                                                    PLUS-praxistipp
                                                Körperhaltung und Beweglichkeit trainieren

                                                Bewegung zu Musik trainiert das Gedächtnis, bringt Freude an Bewegung, lenkt vom Alltag mit
                                                seinen Schmerzen und seiner Langeweile ab, verbessert Körperhaltung, Beweglichkeit, Geschick-
                                                lichkeit und Atmung.
                                                Bewegung zu Musik ist einfach. Die Teilnehmer/innen können dabei im Kreis stehen oder sitzen.
                                                Jede/r kann teilnehmen.

                                                  Tipps zum Ausprobieren:
                                                     • Kleben Sie nicht an Beschreibungen/Vorgaben, sondern vereinfachen Sie falls erforderlich.
                                                     • Die Bewegungen sollen den Möglichkeiten der Teilnehmer/innen entsprechen.
                                                     • Gehen Sie vom Leichten zum Schweren (einfache Tänze, Bewegungen zuerst, Bekanntes
                                                        oft wiederholen).
                                                     • Ermutigen Sie dazu, Bewegungen und Tanzfiguren selbst zu erfinden

                                                  Bewegungstanz im Sitzen mit Tüchern (Musik: Begrüßungswalzer)
                                                     • Teil 1
                                                        Arme hoch – runter – hoch // 2x mit den Füßen aufstampfen
                                                        Arme runter – hoch – runter // 2x mit den Füßen aufstampfen
                                                        Arme hoch – runter – hoch // 2x mit den Füßen aufstampfen
                                                        Arme hoch – runter – hoch // 2x mal mit den Füßen aufstampfen
                                                     • Teil 2: Schwingen abwechselnd mit rechts und links
                                                     • Teil 1 und Teil 2 noch 5x wiederholen (insgesamt 6 Durchgänge)

                                                  Bewegungstanz: Variation ohne Tücher
                                                     • Teil 1: Arme schwingen vor dem Körper von einer Seite zur anderen Seite. 2x klatschen
                                                        (4x wiederholen)
                                                     • Teil 2: rechter Fuß 2x anwinkeln, ausstrecken, anwinkeln, abstellen, 2x mit linkem Fuß.
PLUS-Praxistipp 1 | Bewegen und Tanz zu Musik

                                                     • Teil 1: wiederholen
                                                     • Teil 2: rechter und linker Fuß abwechselnd kreisen
                                                     • Teil 1: wiederholen
                                                     • Teil 2: rechtes und linkes Bein abwechselnd nach vorne strecken
                                                     • Teil 1: wiederholen

                                                     Treffen für Seniorinnen und Senioren sind zur Zeit kaum möglich. Die Übungen können Sie
                                                     mit wenigen Personen umsetzen oder am Bildschirm, falls Sie sich virtuell treffen.
                                                     Hinweise und Bezugsquellen zu Musik mit Bewegung finden Sie auf
                                                     https://www.bistum-eichstaett.de > Glaube-Leben > Senioren > Materialien

                                                Christine Stüß
                                                DRK Seniorenzentrum Fulda, Pflegefachkraft
                                                Telefon 0170/2323776 · E-Mail christine.stuess@drk-fulda.de

                                                                                                                                                  PLUS
                                                                                                                                                   PLUS03/2017
                                                                                                                                                        7/2019   | 15
Anders miteinander beten
PLUS-PRAXISTIPP

                  Rosenkranz und Gottesdienste vor dem Fernseher

                    Gebetsvorschlag Rosenkranz
                  Schauen Sie sich den Rosenkranz an: Die Perlenkette ist ein Hilfsmittel beim Beten. Er besteht aus
                  einem Kreuz und 59 Perlen. Man beginnt mit dem Kreuzzeichen und spricht dazu: „Im Namen
                  des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Es folgt das Glaubensbekenntnis. Bei jeder
                  großen Perle wird das „Vater unser“ gebetet, bei jeder kleinen das „Gegrüßet seist du, Maria“. Je
                  zehn kleine Perlen bilden ein Rosenkranzgesätz. In einem Gesätz sprechen wir jedes Mal beim
                  „Gegrüßet seist du, Maria" nach dem Wort „Jesus“ dieselben Worte. Es sind die „Geheimnisse“ des
                  freudenreichen, des lichtreichen, des schmerzhaften oder des glorreichen Rosenkranzes.
                  Beten Sie den Rosenkranz in einer kleinen Gruppe, vielleicht zu zweit. Sie können die jeweiligen
                  Gesätze auf zwei „Gegrüßet seist du, Maria“ verkürzen. Betrachten Sie die Geheimnisse dabei ganz
                  konkret. Übertragen Sie sie auf heute - möglichst einfach und lebensnah.
                  • Hier ein Beispiel zum Gesätz „Jesus, der für uns Blut geschwitzt hat …“:
                     Sinnen Sie darüber nach und versuchen Sie, ins Wort zu bringen, wann habe ich in meinem Le-
                     ben Krieg, Flucht oder totale Ablehnung erfahren? Sprechen Sie darüber ganz konkret. Spüren
                     Sie der Angst nach. Ganz offen.
                  • Hier ein weiteres Beispiel zum Gesätz „den du, oh Jungfrau, zu Elisabeth getragen hast …“:
                     Manche Frauen haben schwere Schwangerschaften erlebt, die sie körperlich oder seelisch be-
                     lasteten. An wen konnte ich mich wenden? Wen konnte ich um Hilfe oder Tipps bitten? Wer hat
                     sich mit mir gefreut, die eigene Schwangerschaft gefeiert…?
                  So wird ein Rosenkranz zu einem ganz persönlichen Gebet und die Nähe Gottes wird konkret. Das
                  vergisst man nie.

                    Gebetsvorschlag vor dem Fernseher
                  Viele Menschen feiern die Eucharistie allein vor dem Fernseher und erleben das als Ausschluss von
                  der Gottesdienstgemeinde: „Ich bin alt und kann nicht mehr live mitfeiern.“ Das trifft sie schmerz-
                  haft.
                                                                                                                        PLUS-Praxistipp 2 | Anders miteinander beten

                  Bieten Sie an, die Gottesdienstübertragung gemeinsam anzuschauen. Diese Gebets-Gemeinschaft
                  kann tief erlebt werden. Gott lädt uns zur Eucharistiefeier ein.
                  • Wiederholen Sie diesen Termin und machen Sie einen Plan, wann und wo werde ich Menschen
                     besuchen, mit Ihnen vor dem Fernseher feiern.
                  • Binden Sie andere in der Gemeinde mit ein. Eine solche Gemeinschaft im Gebet wirkt belebend
                     und gibt Sinn.

                  Sr. Eva-Maria
                  Klinikseelsorgerin am Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda
                  Telefon 0661-159704 · E-Mail Sr.Maria@mutterhaus-fd.de
Wie leicht fällt es Ihnen,
                                                                    die Wahl zu haben?

                                                                                                                                                                                           PLUS-PRAXISTIPP
                                                                    Zwei Übungen für das Gedächtnistraining
                                                                      1. Der ‚Rückwärts-Text‘
                                                                    Sie können den folgenden „Rückwärts“-Text (beginnend mit dem letzten Wort) einzeln oder
                                                                    gemeinsam in einer kleinen Gruppe lesen. Bitte achten Sie dabei auf die geltenden Hygienevor-
                                                                    schriften:
                                                                    .lhaW eid ? eis nebah riw rebA .thciel remmi thcin tsi ,nebah uz lhaW eiD .nies uz hcsirrüm redo
                                                                    tumeghorF .nediehcstne uz rediw redo rüf snU .nelhäw riw rekitiloP nehclew redo nirekitiloP
                                                                    ehclew dnu ietraP ehclew dnu nelhäw riw bo ,nediehcstne uZ .neffahcsrev uz röheG snU .nehielrev
                                                                    uz thciweG emmitS reresnU .tgeil nezreH ma snu sad ,netertuznie sawte rüF .nediehcstne uz
                                                                    nebelnehcriK redo nebeL mi gnuthciR etmmitseb enie rüf snU .nies uz rehcisnu redo hcilthcis-
                                                                    revuZ .nednew uz ttoG na tebeG mi snU .nies uz trewhcsebnu redo llovnegroS .nies uz nessaleg
                                                                    redo negeruzfua snU .nies uz hcsiuartssim redo neuartrev uZ .nies uz hcildnuerfnu redo tteN .thcin
                                                                    redo nenohcs uz rutaN eiD .thcin redo neuerfre uz rutaN red na snU -- lhaW eid nebah riW .thcin
                                                                    redo netert uz tkatnoK ni nosreP renie tiM .nehcam uz nehcrekciN nie redo neheg uz nereizaps
                                                                    nessE med hcaN .thcin saw dnu nefuaknie riw saW .negart uz tor redo ualB .neknirt uz eeT redo
                                                                    eeffaK lhaW eiD .netlatseg uz eueN sfua gaT nedej dnu ednutS edej lhaW eid nebah riW .nethcöm
                                                                    riw saw ,nessal dnu nut uZ .lhaW eid nebah riW
                                                                    					                                        (Auflösung unter www.bistum-fulda.de >leben_glauben > seniorennetzwerk)

                                                                    Fragen zum Gespräch und für den Austausch:
                                                                    • Wie sehen Sie das für sich selbst?
                                                                    • Wo haben Sie das letzte Mal bewusst eine Wahl getroffen?
                                                                    • Was möchten Sie ergänzen?

                                                                      2. Welches Sprichwort spricht Sie an?
PLUS-Praxistipp 3 | Wie leicht fällt es Ihnen, die Wahl zu haben?

                                                                    Lesen Sie sich die Sprichworte durch. Welches der Sprichworte zu ‚Wahl‘ und ‚Entscheidung‘
                                                                    weckt Erinnerungen bei Ihnen. Erzählen Sie Ihrem Gegenüber davon.
                                                                    • „Im Leben muss man dauernd zwischen Aufrichtigkeit und Höflichkeit wählen.“ (Sophia Loren)
                                                                    • „Es gibt Fälle, in denen vernünftig sein, feige sein heißt.“ (Marie von Ebner-Eschenbach )
                                                                    • „Die Fähigkeit, das Wort „Nein“ auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit.“ (Nicholas
                                                                       Chamfort)
                                                                    • „Das Schlimmste in allen Dingen ist die Unentschlossenheit.“ (Napoléon I. Bonaparte)
                                                                    • „Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.“
                                                                       (Winston Churchill)
                                                                    • „Es ist besser, unvollkommene Entscheidungen durchzuführen als beständig nach vollkommen-
                                                                      den Entscheidungen zu suchen, die es niemals geben wird.“ (Charles DeGaulle)
                                                                    • „Die größte Entscheidung deines Lebens liegt darin, dass Du Dein Leben ändern kannst, indem
                                                                       Du Deine Geisteshaltung änderst.“ (Albert Schweitzer)

                                                                    Roswitha Barfoot
                                                                    Sprecherin AG Ehrenamt im Seniorennetzwerk
                                                                    E-Mail r.barfoot@t-online.de
Entscheidungen und das Glück im Leben
PLUS-PRAXISTIPP

                  Eine Gesprächsanregung für Kleingruppen
                  und Einzelgespräche

                  In der wärmeren Jahreszeit sind Treffen im Freien unter Hygienebedingungen möglich. Hier eine Gesprächs-
                  anregung, die Sie in einer kleinen Gruppe oder im Einzelgespräch nutzen können.

                    Einführung: Manchmal kommt es …
                  Manchmal kommt es im Leben anders, als zu erwarten ist. Manchmal ist es unmöglich, alle Konsequen-
                  zen einer Entscheidung oder eines Ereignissens zu erkennen.
                  Die alte chinesische Parabel vom Glück im Unglück kann helfen, versöhnlicher mit eigenen Fehlentschei-
                  dungen umzugehen und lehrt für die Zukunft, nicht alles gleich zu bewerten.
                  Ein rechtschaffener Mann lebte nahe der Grenze. Ohne Grund entlief ihm eines Tages sein Pferd auf das
                  Gebiet des verfeindeten Nachbarlandes. Alle Leute bedauerten ihn. Sein Vater aber sprach zu ihm: „Wer
                  weiß, ob das nicht Glück bringt?“ Mehrere Monate später kam sein Pferd zurück mit einer Gruppe guter,
                  edler Wildpferde. Alle Leute beglückwünschten ihn und der Mann entschied die Pferde zu behalten.
                  Sein Vater aber sprach zu ihm: „Wer weiß, ob das nicht Unglück bringt?“ Der Sohn liebte das Reiten und
                  zähmte die Pferde. Dabei fiel er, brach sich ein Bein und konnte fortan nicht mehr richtig laufen. Alle Leu-
                  te bedauerten ihn. Sein Vater aber sprach: „Wer weiß, ob das nicht Glück bringt?“ Ein Jahr später fielen
                  die Barbaren über die Grenze ein. Die erwachsenen Männer zogen in den Krieg. Neun von zehn Grenzbe-
                  wohnern wurden dabei getötet, mit Ausnahme des Sohnes, der wegen seiner Behinderung nicht in den
                  Kampf musste. Vater und Sohn überlebten beide. (Quelle unbekannt)
                  Lesen Sie die Geschichte vor oder erzählen Sie sie frei. Laden Sie zum Gespräch ein. Betrachten Sie
                  dabei lieber ein Ereignis genauer als dass Sie viele aufzählen.

                    Fragen
                       • Haben Sie erleben müssen, dass etwas ganz anders kam, als Sie es erwartet hatten?

                                                                                                                                 PLUS-Praxistipp 4 | Entscheidungen und das Glück im Leben
                       • Können Sie sich erinnern, einmal großes Glück gehabt zu haben?
                       • Was war Ihre beste Entscheidung?
                       • Was war Ihr größtes Pech/Ihre größte Enttäuschung?
                       • Welcher Gedanke hat Ihnen damals geholfen, die Enttäuschung zu überwinden?

                    Hinweise für das Gespräch
                       • Ein Rückblick auf die im Leben getroffenen Entscheidungen lohnt sich.
                       • Für Gelungenes wird Freude und Dankbarkeit spürbar, nicht erfüllte Wünsche, Hoffnungen und
                          Sehnsüchte, dürfen benannt werden, Ungerechtigkeiten ausgesprochen.
                       • Und was erfüllt einen Menschen mehr als die Zufriedenheit: Es kam zwar nicht, wie ich erwartet
                          hatte, aber ich habe das Beste daraus gemacht.

                  Hannelore Dauzenroth
                  Gemeindereferentin, Klinikseelsorgerin am Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda,
                  Telefon 0661-159704 · E-Mail hannelore.dauzenroth@bistum-fulda.de
Interview

Ohne rückhaltlose Gleichberechtigung
verspielt die Kirche ihre Zukunft
PLUS-Interview mit ZdK-Vizepräsidentin Dr. Claudia Lücking-Michel,
die gemeinsam mit dem Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck das
Synodalforum I „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ leitet

 PLUS: „Du hast die Wahl“, ist das Leit-
                                                                                                   Zur Person
 thema dieser PLUS-Ausgabe: Als Frau in
                                                                                                   Dr. Claudia Lücking-Michel -
 dieser Art von katholischer Kirche – kann
                                                                                                   geboren 1962, verheiratet
 das überhaupt noch eine Wahl sein?
                                                                                                   mit Prof. Dr. Andreas Michel,
 DR. CLAUDIA LÜCKING-MICHEL: Wer als
                                                                                                   drei Kinder - hat in Münster,
 halbwegs emanzipierte Frau des 21. Jahr-
                                                                                                   Jerusalem und Tübingen
 hunderts in der römisch-katholischen Kir-
                                                                                                   Theologie und Geschichte
 che bleibt, sich zu ihr bekennt und sich
                                                                                                   studiert (Diplom und Lehr-
 hier engagiert, muss hart im Nehmen oder
                                                                                                   amt). Von 1997 bis 2004 war
 bescheuert sein. Keine Ahnung, was bei
                                                                                                   sie Abteilungsleiterin beim
 mir überwiegt. Dass ich dabeibleibe, liegt
                                                  Dr. Claudia Lücking-Michel. Foto: AGIAMONDO e.V. kirchlichen Hilfswerk MISE-
 aber vor allem an meiner starken Verbun-
                                                          REOR, dann Generalsekretärin im Cusanuswerk. Von
 denheit. Lange Zeit habe ich jedenfalls ab-
                                                          2013 bis 2017 war sie CDU-Abgeordnete im Bundes-
 gestritten, dass ich persönlich überhaupt
                                                          tag. Seit drei Jahren ist die gebürtige Sauerländerin
 eine Wahl hätte. Ich habe dann argumen-
                                                          Geschäftsführerin von AGIAMONDO, einem Verein
 tiert mit dem Verweis auf meine eigene
                                                          für Personalvermittlung und -beratung in der Ent-
 Familie, die ich mir auch nicht auswählen
                                                          wicklungszusammenarbeit. Ehrenamtlich engagiert
 kann, oder dem Bild meiner Heimat, die
                                                          sich die promovierte Theologin als Vizepräsidentin
 ich nicht „einfach verlasse“. Ja das stimmt,
                                                          des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)
 meine Kirche lasse ich nicht so einfach los.
                                                          und als Stellvertretende Vorsitzende der Deutschen
 Ich gehöre hier hin, ich verdanke ihr viel
                                                          Kommission Justitia et Pax. Zusammen mit Bischof
 und was mir nicht passt, das möchte ich
                                                          Dr. Franz-Josef Overbeck, Essen, leitet sie das Forum
„von Innen“ mitgestalten und verändern.
                                                        „Macht- und Gewaltenteilung – Gemeinsame Teil-
                                                          nahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ beim
PLUS: Das sagen viele, die die Kirche –
                                                          Synodalen Weg.
zum Teil schon seit Jahrzehnten – von in-
nen verändern wollen. Ist das nicht naiv?
DR. CLAUDIA LÜCKING-MICHEL: Wie
naiv? Mein Idealismus ist mittlerweile          dieses römisch-katholische System trage
schwer erschüttert und ich denke ganz           ich nicht mehr mit? Ich hoffe weiterhin,
neu und viel kritischer über mein Verhält-      dass es nicht so weit kommt, ich hoffe
nis zur Kirche nach. Ich bin getauft und        geradezu verzweifelt. In dem Moment, in
bleibe „katholisch“, aber wann kommt der        dem ich erkennen müsste, es ändert sich
Punkt, wo ich sagen muss: Ohne mich,            nichts, müsste ich gehen.

                                                                                                          PLUS 11/2021   | 19
Interview

                       PLUS: Was hat Sie motiviert, beim Sy-       Köln und das Segnungsverbot aus Rom
                      nodalen Weg den Vorsitz eines Forums         bestimmt ist?
                       zu übernehmen, der ein kirchlich derart     LÜCKING-MICHEL: Ich erlebe die ge-
                      heikles Thema wie „Macht und Gewalten-       nannten Vorgänge wie „den Film zum
                      teilung“ verhandelt?                         Buch.“ Während wir uns beim Syno-
                      LÜCKING-MICHEL: Das Thema ist si-            dalen Weg noch immer an theoretisch-
                       cher heikel, aber es ist auch zentral und   theologischen Grundsatzfragen (z.B. Was
                       sehr relevant. Anlass und Grund für das     ist die Kirche? Welche Rolle spielt das
                       ganze Projekt Synodaler Weg waren ja        Weihe-Amt in ihr?) die Zähne ausbeißen,
                      tausendfache Fälle von perfidem Macht-       geht das Kirchenleben wie gehabt weiter.
                      missbrauch durch Kleriker an Minderjäh-      Macht wird an vielen Stellen willkürlich
                      rigen. Dabei ist Machtmissbrauch durch       ausgeübt; Entscheidungsträger – an der
                      Ausübung von sexueller Gewalt ja nur         Stelle kann man die weibliche Form ge-
                       eine, wenn auch sicherlich eine besonders   trost weglassen – müssen keine Rechen-
                      verabscheuungswürdige Form. Was lag          schaft ablegen: weder für ihre Taten noch
                       also näher, als die Frage nach Macht in     für ihre moralische Haltung. Wir erleben,
                       der Kirche in den Fokus der Überlegungen    wie Macht missbraucht wird durch Ein-
                       zu stellen. Wer hat Zugang zur Macht?       schränkungen in der Rede-, Denk- und
                      Wie wird sie organisiert? Warum wird sie     Pressefreiheit.
                       so wenig kontrolliert und warum gibt es
                      keine formalisierte und kaum faktische        PLUS: Ist dafür das Segnungsverbot aus
                      ­Rechenschaftspflicht?                        Rom für homosexuelle Partnerschaften
                                                                    ein Beispiel unter vielen?
                      PLUS: Wen wundert’s bei dieser zentra­        LÜCKING-MICHEL: Mit dem „Segnungs-
                      listischen Machtausübung?                     verbot aus Rom“ werden eher die Gren-
                      LÜCKING-MICHEL: Kirche ist sicher kei-        zen einseitiger Machtvorgaben deutlich.
                      ne Demokratie, aber warum sollte sie eine     Ich würde sagen, der Schuss ging für die
                      zentralistische Autokratie bleiben? Durch    „Römer“ deutlich nach hinten los. Ein-
                      die Jahrhunderte haben Gesellschaften oft     schärfen wollte man allen Gläubigen die
                      bitter Lehrgeld bezahlen müssen, weil sie     offizielle römische Position zu gleichge-
                      Macht nicht gut geteilt und kontrolliert      schlechtlichen Liebesbeziehungen. Die
                      haben. Von diesen Lehren und Erfahrun-        mitgelieferten Argumente konnten nicht
                      gen kann die Kirche profitieren. Kirche       nur nicht überzeugen, sondern führten
                      sollte alles prüfen und das Gute umsetzen,    bei vielen, die sich bis dahin in der Frage
                      zum Beispiel unabhängige Verwaltungs-         noch nicht innerlich positioniert hatten,
                      gerichtsbarkeit, Gleichberechtigung, Men-     zu einer Klärung. Eine tausendfache Re-
                      schenrechte, Gewaltenteilung.                 aktion schallt durch das Land: „So nicht!
                                                                    Das lasse ich nicht unwidersprochen ste-
                      PLUS: Wie erleben Sie die aktuelle Situ-      hen. Ich distanziere mich von der römi-
                      ation in der Katholischen Kirche, die vor     schen Lehrmeinung.“
                      allem durch das Missbrauchsgutachten in

20 |   PLUS 11/2021
Machtfrage

                   Dr. Claudia Lücking-Michel auf der Ersten Synodalversammlung
                     2020 in Frankfurt am Main (Beratungen am 31.01.2020). Foto:
                                                         Synodaler Weg/Malzkorn

 PLUS: In einem der ersten Texte Ihres Sy-
 nodalforums heißt es: "Vom Synodalfo-
 rum wird erwartet, dass für die Synodal-
 versammlung konkrete Beschlussvorlagen
 vorbereitet werden, die auf einer gesicher-
 ten theologischen Basis stehen und mutig
 Reformen angehen." Halten Sie das (im-
 mer noch) für möglich?
 LÜCKING-MICHEL: Also, wenn ich nicht
 die Hoffnung hätte, dass solche Beschlüs-
 se und zwar auch solche mit mutigen re-
 formerischen Inhalten beim Synodalen                                               PLUS: Wirklich neu ist das aber nicht.
 Weg möglich wären, würde ich meine Zeit                                            LÜCKING-MICHEL: Das stimmt! Neu ist
 und Energie nicht darein investieren. „Der                                         es nicht, aber immer wieder – auch jetzt
 Weg entsteht beim Gehen“ – selten galt                                             aktuell – sehr nötig. Ich hoffe auf eine
 eine Lebensweisheit so sehr, wie hier beim                                         Kirche, die zuerst fragt „Was tut Not?“,
 Synodalen Weg. Wer weiß, was uns da al-                                           „Was braucht Ihr?“, „Wie können wir hel-
 les noch auf der Strecke erwartet. Aber                                            fen und wie Euch mit der Botschaft vom
„der Weg ist nicht das Ziel“. Ich setze auf                                         Reich Gottes Mut machen?“ Stattdessen
 überzeugende Beschlüsse einer überzeug-                                            dieses ganze Aufspielen als „Herren der
 ten Synodenversammlung. In unserem                                                 Gnade“, die zuteilen, abmessen und Zu-
 Forum haben wir bisher jedenfalls sehr                                             gangskriterien definieren. Wer darf ge-
 gründlich an der theologischen Basis un-                                           segnet werden? Wer darf zur Kommunion
 serer ekklesiologischen Vorstellungen und                                          gehen? Wer ist richtig katholisch? Damit
 Forderungen gearbeitet, die ersten kon-                                            kann man niemanden mehr beeindrucken
 kreten Beschlussvorlagen liegen vor.                                               und verfehlt seinen Auftrag. Was wäre das
                                                                                    stattdessen für ein starkes Zeichen für alle
PLUS: Was müsste aus Ihrer Sicht pas-                                               unterdrückten Frauen dieser Welt, wenn
sieren, dass die Kirche aus dieser Krise                                            unsere Kirche zeigen würde: Wir sind bei
gestärkt hervorgeht und sie wieder von                                              Euch, wir meinen es ernst. Eine Kirche
mehr Menschen als religiöse Heimat ge-                                              aber, die für sich selbst nicht zu einer Po-
wählt wird?                                                                         sition rückhaltloser Gleichberechtigung
LÜCKING-MICHEL: Ein „Aggiornamen-                                                   und Gleichbehandlung von Frauen, ja al-
to“ müsste passieren: Den Begriff kennen                                            ler Getauften und Gefirmten kommt, wird
wir ja für das II. Vaticanum. Man wollte                                            kaum Chancen haben, erstgenommen zu
der etwas in der Zeit stehen gebliebenen                                            werden, und wird ihre Zukunft verspielen.
Kirche wieder ins „Heute“ verhelfen. Aber
das Heute bleibt ja nicht in den 1960er                                            PLUS: Wir danken Ihnen sehr für das In-
Jahren stehen. 2021 ist die Aufgabe die                                            terview und wünschen allen Beteiligten
gleiche: Die Kirche an die Seite der Men-                                          ein nachhaltiges Vorankommen auf dem
schen von heute katapultieren.                                                     Synodalen Weg.

                                                                                                                                   PLUS 11/2021   | 21
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