KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ

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KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
Nachrichten aus der Kultur.Region Niederösterreich . November 2015

                                                                                                                                              schaufenster
                                                                                                                                KULTUR.REGION
                                                                                                                                                   Vom Leben in der Region

                                                                                                                                Agnes Palmisano / Vom Dudeln und Schdeam . Musikschulen / We are Musical
                                                                                                                                      Integration / Kleine Schritte . Museen / Freiwilliges Engagement
P.b.b. · Vertragsnummer GZ 10Z038552 S · Erscheinungsort: 3452 Atzenbrugg · Verlagspostamt: 3451 Michelhausen · DVR: 0933 295
KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
WIEN NORD
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KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
EinBlick / 3

                                                        Vital und verankert:

              LEBEN IN DER REGION

                                                                             Der ländliche Raum und die hier lebenden Men-
                                                                              schen stehen schon die längste Zeit vor großen
                                                                            Herausforderungen: strukturell, ökonomisch, sozial
                                                                            oder kulturell. Das Überleben in der Region hängt
                                                                            also nicht zuletzt vom Willen ab, mit allen Kräften
                                                                                zu ihrer Vitalität und Stärkung beizutragen.

Stadtluft macht frei, so lautete ein Rechtsgrundsatz im Mittelalter,      vital, weitgehend autonom und bedacht auf die eigenen Vorzüge.
demzufolge ein bislang Unfreier in den damals erstarkenden Städ-          Idealerweise bietet das Leben auf dem Land ausreichend Raum und
ten nach Jahr und Tag nicht mehr von seinem Dienstherrn zurück-           Ruhe für ein sinnliches Wahrnehmen der Natur, frische Luft, ein der
beordert werden konnte, also Stadtbewohner und somit frei gewor-          Gesundheit zuträgliches Klima, mittlerweile zahlreiche Angebote in
den war. Im übertragenen Sinn erfuhr der Spruch „Stadtluft macht          den Bereichen Bildung und Kultur und viel Platz, ob für den Bewe-
frei“ die Bedeutung, befreit aus der Enge festgefahrener Dorfstruk-       gungsdrang von Kindern, das so genannte Freiwerden des Kopfes bei
turen, inmitten zahlreicher Konsum- und Kulturangebote und weit-          Wanderungen oder das von störender Betriebsamkeit unbeeinträch-
gehend losgelöst von sozialer Kontrolle leben zu können. Doch so          tigte künstlerische Schaffen. Gerade in den Städten will die Sehnsucht
wie die meisten Geschichten hat auch diese eine zweite Seite, die mit     nach solchen Qualitäten in ländlich anmutenden Inseln gestillt wer-
Begriffen wie Vereinsamung, Anonymität oder Entfremdung ein-              den, handelt es sich nun um Parks, begrünte Dächer und Hinterhöfe,
hergeht.                                                                  Gemüse am Balkon oder Garteln im öffentlichen Raum.

Heute ist jedenfalls eine sich oft rasch und ständig ändernde Mixtur      Im besten Fall funktioniert ein Zusammenwirken von Stadt und
aus Gefühlen, Motiven und Sachzwängen ausschlaggebend dafür,              Land gleichberechtigt auf Augenhöhe und in einer Weise, die den
wo Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben, und die Bandbreite             Menschen Möglichkeiten zur Wahl ihres Lebensmittelpunktes ein-
reicht von den wenigen, die über Domizile in mehreren Welt-               räumt. Der ländliche Raum benötigt dazu eine entsprechende Infra-
gegenden verfügen, bis zu den vielen, die an einen einzigen Wohn-         struktur und die zur Daseinsvorsorge nötigen Einrichtungen, darü-
sitz gebunden sind. Der gegenwärtige Trend zeigt dabei eindeutig          ber hinaus vor allem aber jene Menschen, die ihre Kraft aus einer
ein Wachsen urbaner Ballungsräume: So lebt mittlerweile mehr als          starken emotionalen Bindung zu ihrem Dorf und ihrer Region
die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten.                                schöpfen, vielleicht auch trotz mancher Nachteile und Schwierig-
                                                                          keiten. Solchen Menschen gebührt unsere Aufmerksamkeit, und vor
Doch wie kann sich angesichts solcher Tatsachen die Zukunft des           diesen Menschen ziehen wir unseren Hut.
ländlichen Raums gestalten: keinesfalls als bloßer Ressourcenspender
für entfernte Machtzentren, sondern im besten Fall selbstbewusst,         Dorli Draxler, Edgar Niemeczek

                                                  schaufenster / Kultur.Region / November 2015
KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
Top-Termine / 4

                                                        November 2015

                                        TOP-TERMINE

                                                                                              JUNGE MEISTER
                                                                                              ——————————————————
                                                                                              Sa, 28. 11. 2015, 18.00 Uhr
                                                                                              Haus der Regionen, Donaulände 56,
                                                                                              3500 Krems-Stein
                                                                                              ——————————————————
                                                                                              Junge Meister konzertieren für einen
                                                                                              guten Zweck! Dass man sich um den
                                               MUSICAL „HIGH SOCIETY“                         musikalischen Nachwuchs unseres Bun-
MARTINILOBEN                                   ——————————————————                             deslandes keine Sorgen machen muss,
——————————————————                             November 2015                                  haben die Talente aus den Musikschulen
So, 8. 11. 2015                                Hollabrunn, Korneuburg, Zistersdorf            im Vorjahr wieder eindrucksvoll bei
Brandlhof, 3710 Radlbrunn 24                   ——————————————————                             Jugendmusikwettbewerben bewiesen.
——————————————————                             Musikschüler und Musicalbegeisterte aus        1.200 Musikschüler sind angetreten, um
Am 8. November findet das mittlerweile         dem Weinviertel bringen den Filmklas-          ihre Können unter Beweis zu stellen und
traditionelle Martiniloben im Brandlhof        siker von Cole Porter auf die Bühne. Im        sich mit Gleichaltrigen in den musikali-
statt. „In der heiligen Martininacht wird      Rahmen des Projekts „Wir sind Bühne“.          schen Austausch zu begeben. Nun setzen
der Most zum Wein gemacht“ – und so            Musical erarbeiteten junge Nachwuchs-          Preisträger verschiedener Wettbewerbe
gilt der Festtag des hl. Martin traditionell   talente unter der künstlerischen Lei-          mit einem gemeinsamen Konzert im
als der früheste Termin, die Qualität des      tung von Luzia Nistler innerhalb eines         Haus der Regionen ein deutliches Zei-
neuen Weins zu beurteilen, ihn beim            Schuljahres das Stück. Das Ergebnis gibt       chen. Zugunsten des karitativen Vereins
neuen Namen zu nennen, ihn zu loben.           es im November in sieben Vorstellun-           „Hilfe im eigenen Land – Katastrophen-
Die Volkskultur Niederösterreich und die       gen zu sehen: Die Premiere findet am           hilfe Österreich“ präsentieren Solisten
Winzer von weingueter-weinviertel.at           7. November im Stadtsaal Hollabrunn            und Ensembles ein abwechslungsreiches
präsentieren den jungen Wein. Karl             statt, weitere Aufführungen folgen in der      Potpourri aus ihrem Wettbewerbspro-
Korab gestaltet dazu die Flaschenetiket-       Werft Korneuburg und dem Kulturhaus            gramm. Mit dabei sind unter anderem
ten. Das Original wird beim Martini-           Zistersdorf.                                   das A-cappella-Ensemble Ciderellas aus
loben zugunsten von „Hilfe im eigenen                                                         dem Mostviertel und das Volksmusik-
                                               —————
Land“ versteigert.                                                                            ensemble Pfiffikus aus dem Weinviertel.

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                                               Musikschulmanagement Niederösterreich
Information                                    Tel. 02742 9005 16891                          Information
Tel. 0664 8208595                              tamara.sedlmaier@musikschul­                   VVK: EUR 10,00, AK: EUR 12,00 /
Reservierungen Martinigansl:                   management.at                                  Freie Platzwahl, Tel. 02732 85015
Tel. 02956 81222                               www.musikschulmanagement.at                    ticket@volkskultureuropa.org
www.volkskulturnoe.at/brandlhof                www.oeticket.com                               www.volkskultureuropa.org

                                               schaufenster / Kultur.Region / November 2015
KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
Inhalt / 5

                                                                         November 2015

                                                                  INHALT

		Interview                                                 		 30 Jahre                                                   		Niederösterreich
6/       Agnes Palmisano                                    20 /       Dorf- und Stadterneuerung                          34 /       Kulturpreise 2015
 ——————                                                      ——————                                                                  ——————

 Haus der Regionen
                                                             Trachtenmappe                                                		 Museumsmanagement &
8/       Kremser Kamingespräche                             21 /       Frische Dirndl                                     		 Museumsdorf Niedersulz
 ——————                                                      ——————                                                       37 /       Ehrenamtliches

 Haus der Regionen
                                                             Advent                                                                  Engagement
9/       Musik der Auvergne                                 22 /       Märkte im November                                            ——————
 ——————                                                                ——————                                             		Forschung

 Haus der Regionen                                          		 Galerie der Regionen                                       40 /
                                                                                                                            		 Tannbauerhof
9/       Beziehungsreich                                    23 /       Feine Ware                                                    ——————
 ——————                                                                ——————                                                        Kulturgeschichte

 Brauch                                                     		Handwerk                                                    42 /       Tagebuchschreiben
10 /     Pilgerwege                                         24 /       Der Kalmuck-Janker                                            ——————
         ——————                                                        ——————                                             		Kolumne
		Industrieviertel                                          		Kreativakademie                                             44 /       Zwischen Himmel und Erde
12 /     Die Kräuterwirtin                                  26 /       Musik- und Kunstschulen                                       Sendetermine
         ——————                                                        ——————                                                        ——————
		Waldviertel                                                          Musikschulen                                       		Kultur.Region
14 /     Klostermusiker                                     28 /       Wir sind Musical                                   45 /       Fortbildungen
         neu entdeckt                                       		——————                                                                 ——————
		——————                                                               Spiel                                              		Kultur.Region
		Weinviertel                                               30 /       Cool Notes                                         46 /       Intern
16 /     Kellergassen                                       		——————                                                       ——————
         ——————                                                        Integration                                         Kultur.Region

		Brandlhof                                                 31 /       Kleine Schritte                                    47 /       Nachschau
19 /     Martiniloben                                                  ——————                                                        ——————
         ——————                                             		Auslage                                                                Kolumne
                                                            32 /       Bücher & CDs                                       50 /       Die letzte Seite
                                                                       ——————                                                        ——————

 IMPRESSUM

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 Cover: Agnes Palmisano. Foto: Erich Marschik

                                                              schaufenster / Kultur.Region / November 2015
KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
Interview / 6

                                                                 Agnes Palmisano

                      EMOTIONALE HEIMAT

              Die Sängerin Agnes Palmisano im Gespräch mit Edgar Niemeczek und Mella Waldstein
              über den Wiener Dudler, ihre neue CD „Wean & Schdeam“ und das Verhältnis zum Tod.

                                                                                                       Wiener sein“: Das Wienerlied hat immer
                                                                                                       zwei Seiten, es ist nie so ganz traurig und
                                                                                                       auch nie nur lustig. Auch unsere neue CD
                                                                                                       „Wean & Schdeam“ hat eine doppelbödige
                                                                                                       Bedeutung – „Wean“ steht für Wien ebenso
                                                                                                       wie für „Werden“.

                                                                                                       Schaufenster: Das ist der große Unterschied
                                                                                                       zur alpenländischen Volksmusik. Da wird
                                                                                                       auch von großen Gefühlen gesprochen – zum
                                                                                                       Beispiel über Freundschaft und das Wieder-
                                                                                                       sehen, doch das Thema Tod ist hier nicht so
                                                                                                       präsent.

                                                                                                       Agnes Palmisano: Im Wienerlied hingegen
                                                                                                       wird der Tod besungen, man scherzt darü-
                                                                                                       ber, und so schaffte man es, durch das Lied
                                                                                                       und durch die Thematisierung des Sterbens
                                                                                                       den Schrecken und die Furcht davor zu
                                                                                                       dämpfen. Man sieht es mir nicht so an, aber
                                                                                                       der Gedanke ans Sterben ist bei mir extrem
                                                                                                       präsent. Das war schon als Kind so. Und
     „Worüber man nicht sprechen kann, das dudelt man. Für mich ist das Dudeln emotionale Heimat.“
                                                                                                       mit den eigenen Kindern wird es ja nur
                                                                                                       schlimmer. Es gibt keinen Tag, an dem man
                                                                                                       sich nicht vorstellt: „Was wäre, wenn …?“
                                                                                                       Dafür habe ich ein ausgeprägtes Sensorium.
Ein regnerischer Herbsttag. Aus den K­ellern          Schaufenster: Beim Wienerlied kommt man
des Heurigen Hengl-Haselbrunner in Wien               um das Thema Abschied von der Welt nicht         Schaufenster: Ist das Wienerlied heroisch?
dampft warme Luft, der Wein ist in den Fäs-           herum.
sern, die Flaschen we­  rden gewaschen. In                                                             Agnes Palmisano: Heroisch ist es nicht,
den Altwiener Gaststuben beginnt das                  Agnes Palmisano: Man kommt ja auch im            ganz im Gegenteil, da gibt’s immer Hoppa-
Leben: Die Buffetdamen wickeln das Besteck            Leben nicht darum herum. Warum mir               las.
in die Servietten, die Sulz wird aufgeschnit-         Wienerlieder so zusagen, ist, dass sie eine
ten, die Salate mariniert, der Kümmelbraten           gewisse Doppelbödigkeit haben. Meistens          Schaufenster: Besonders die junge Genera-
im Rohr gewendet. Auch die Katze erwacht.             sind die Lieder übers Schdeam durchaus           tion findet am Wienerlied Gefallen – auch
                                                      heiter: „Kinder, wegen mir brauchts ka           d­eshalb, weil das Sterben darin Thema ist?
Agnes Palmisano, verheiratet mit dem Win-             Trauerg’wand“, „Schmeißt mi in a Fassl
zer und H­eurigenwirt Matthias Hengl, bittet          rein“ oder „Erst wann’s aus wird sein“ oder      Agnes Palmisano: Ich glaub schon, dass
zum Haustisch.                                        Georg Kreislers „Der Tod, das muss ein           sich die jungen Leute darüber Gedanken

                                                        schaufenster / Kultur.Region / November 2015
KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
Interview / 7

                                                                                                         Schaufenster: Sie haben zwei Kinder,
                                                                                                         Sie unterrichten, Sie sind Musikerin, und
                                                                                                         Sie leben in einem Winzer- und Heurigen­
                                                                                                         betrieb. Wie ist das unter einen Hut zu
                                                                                                         b­ringen?

                                                                                                         Agnes Palmisano: Der Heurige ist der
                                                                                                         A­ufgabenbereich meines Mannes. Das ist
                                                                                                         bei uns klar getrennt. Ich weiß, manche
                                                                                                         erwarten, dass ich die Frau Chefin werde.
                                                                                                         Aber das ist nicht meins. Doch mich unter-
                                                                                                         stützt die Heurigenstruktur insofern, als ich
                                                                                                         eigentlich nicht kochen muss. Der Heurige
                                                                                                         ist wie eine Dorfstruktur, wo die Kinder
                                                                                                         auch hie und da „mitlaufen“ können. Ich
 Agnes Palmisano im Gespräch mit Mella Waldstein und Edgar Niemeczek: „Der Wiener Dudler ist quasi ein
                                                                                                         bin sehr froh, dass in meinem Leben für
                                         Dialekt vom Jodler.“
                                                                                                         beides Platz ist, für Familie und Musik. /

                                                                                                         Fotos: Erich Marschik
machen. Unsere Zeit definiert sich durch              Der Wiener Dudler ist quasi ein Dialekt
das Ausblenden des Todes und ein Nicht-               vom Jodeln. Es gibt verschiedene Entste-
sterben-lassen-Können, weil wir eine                  hungsweisen der Dudler. Erstens Lieder mit
erfolgsorientierte und leistungsbewusste              Migrationshintergrund: Steirische Jodler
Gesellschaft sind.                                    und Tiroler Lieder haben sich in Wien
                                                      angesiedelt. Und da in Wien eine andere              AGNES PALMISANO
Schaufenster: Wenn zu Allerheiligen und               Musikzierweise herrschte und eine größere            ———————————————————
Allerseelen alle auf die Friedhöfe pilgern …          Kunstfertigkeit, hat der Jodler eine eigene
                                                      Stilistik bekommen. Zweitens gibt es Lieder,
Agnes Palmisano: … tu ich das gar nicht.              die sind in Wien entstanden, das hört man
Man wird es nicht glauben, aber ich war               an der Harmonik. Der Dudler ist dazu da,
noch nie am Zentralfriedhof. Für mich sind            eine Emotionalität zu kanalisieren. Das ist
Tote nicht am Friedhof zu finden. Doch                eine Charakteristik für den Weana Tanz –
Begräbnisse sind etwas sehr Bewegendes                die schwermütigen Lieder mit dem
und Berührendes. Es ist wichtig, dass es              anschließenden Jauchzen. Aus dieser
die Rituale des Abschieds gibt. Und es ist            Ursuppe der Wiener Musik ist das Dudeln
wichtig, dass wir sie im Angesicht eines              auf die Theaterbühne gekommen. Dabei ist
Verlustes nicht neu erfinden müssen.                  zu bemerken: Wie tief verwurzelt muss                Wean & Schdeam
                                                      etwas sein, dass man es auf der Theater-             Eine augenzwinkernde musikalisch-
Schaufenster: Lassen wir das Schdeam hin-             bühne als typisch wienerisch hinstellt!              philosophisch Abhandlung über das Wer-
ter uns. Sie haben sich dafür engagiert, dass                                                              den und Vergehen im Allgemeinen sowie
das Dudeln auf die Liste des immateriellen            Schaufenster: Woher kommt das Wort                   über Wien und seine Beziehung zum Tod
Weltkulturerbes kommt. Was ist Dudeln?                „Dudler“?                                            im Speziellen: bisweilen nachdenklich,
                                                                                                           zumeist sehr vergnüglich und allemal
Agnes Palmisano: Dass ich überhaupt                   Agnes Palmisano: Im 19. Jahrhundert hat              unausweichlich. Traditionelle Wiener
Wienerlieder singe und dudle, ist ein Wun-            man durchwegs – das ist auch bei Nestroy             Lieder, Dudler und Kabarettlieder treffen
der. Ich bin ja nicht in Wien aufgewachsen,           nachzulesen – die Dudler als Jodler be-              auf Neukompositionen, die bereit sind,
wiewohl ich in Ottakring geboren bin –                zeichnet. Wann das Wort „dudeln“ aufkam,             das Erbe anzutreten und mit heutigen
dort, wo das Dudeln zu Hause war. Wiener              ist nicht so ganz klar. Der Unterschied zum          Stilmitteln zu bereichern.
Musik und Wienerlied haben eine eigene                Jodeln ist der Stimmgebrauch. Der Jodler             Mit Daniel Fuchsberger, Peter Havlicek,
Stilistik. Die Tatsache ist, dass die Musiker         wird mit viel mehr Masse und Druck pro-              Helmut Thomas Stippich, Maria Stippich,
in Wien in der Regel immer Berufsmusiker              duziert, der Dudler wird mit mehr Kolora-            Roland Sulzer, Peter Uhler und Paul
waren und nicht Bauern, die in der Freizeit           tur gesungen. Der emotionale Gehalt steckt           Gulda.
spielen. Auch die Sänger, die dudelten, hat-          im Jodler wie im Dudler. Denn worüber                Erhältlich bei:
ten ausgebildete Stimmen. Deshalb hat sich            man nicht sprechen kann, das dudelt man.             Preiser Records
der Dudler anders entwickelt als der Jodler.          Für mich ist das Dudeln emotionale Heimat.           EUR 19,90

                                                        schaufenster / Kultur.Region / November 2015
KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
Haus der Regionen / 8

                                                 Kremser Kamingespräche

   DAS UNIVERSUM IM KLEINEN

                           Namhafte Referenten diskutieren bei den Kremser Kamingesprächen
                             über große Zusammenhänge und alltägliche Herausforderungen.

                                              Haslinger, Direktorin der Raiffeisen Hol-
                                              ding Wien, und Professor Alfred Winter,         INFORMATION
                                              Salzburger Landesbeauftragter für kultu-        ———————————————————
                                              relle Sonderprojekte i. R. Im Mittelpunkt       Kostbarkeiten
                                              stand dabei unter anderem das Wirken von        Mi, 11. 11. 2015, 18.00 Uhr
                                              Leopold Kohr, einem österreichischen            Dr. Veronika Plöckinger-Walenta, wis-
                                              Natio­nalökonomen, Philosophen und Trä-         senschaftliche Leiterin des Museumsdorfs
                                              ger des Alternativen Nobelpreises, der          Niedersulz, und Univ.-Prof. Dr. Stefan
                                              autonome Kleinräumigkeit und ein Leben          Karner, Leiter des wissenschaftlichen
                                              nach menschlichem Maß forderte.                 Fachbeirats des Hauses der Geschichte
      Das Universum im Kleinen ist die                                                        Niederösterreich
  Herausforderung, im täglichen Handeln das
         große Ganze mitzudenken.               Sammeln – Deuten – Bewahren                   Wunschbilder
                                                                                              Mi, 9. 12. 2015, 18.00 Uhr
                                              Am 11. November findet das dritte Krem-         Univ.-Prof. Dr. Brigitte Mazohl, Institut
                                              ser Kamingespräch der Reihe „Das Univer-        für Geschichtswissenschaften der Univer-
Das Streben nach Monopolen, Alleinherr-       sum im Kleinen“ statt. Dr. Veronika Plö-        sität Innsbruck
schaft und Machtkonzentration auf der         ckinger-Walenta, wissenschaftliche Leiterin     Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller, Autor
einen Seite und Autonomie sowie Wider-        des Museumsdorfs Niedersulz, und Univ.-         und Vorsitzender des Instituts für Öster-
stand auf der anderen sind zwei Pole, zwi-    Prof. Dr. Stefan Karner, Leiter des wissen-     reichkunde
schen denen ein nicht selten gewaltsamer      schaftlichen Fachbeirats des Hauses der
                                                                                              Edelsorten
Interessenkonflikt ausgetragen wird. Im-      Geschichte Niederösterreich, unterhalten
                                                                                              Mi, 13. 1. 2016, 18.00 Uhr
perien verschwanden von der Landkarte,        sich über „Kostbarkeiten“, die in großen
                                                                                              Mag. Dorli Muhr, Geschäftsführerin
Weltkonzerne verloren ihre Vorherrschaft,     Häusern ebenso zu entdecken sind wie in         Wine and Partners
Megasysteme brachen zusammen. Dem             kleinen Museen.                                 ÖkR Dipl.-HLFL-Ing. Josef Pleil, Auf-
gegenüber bot nicht selten das Kleine und                                                     sichtsratsvorsitzender der NÖ Versiche-
Überschaubare die Basis für Ideen und         In Museen werden Objekte bewahrt, doku-         rung, ehem. Präsident des Österreichi-
Erfindungen zum Nutzen für die ganze          mentiert, inventarisiert und konserviert,       schen Weinbauverbands
Welt. Die 19. Staffel der Kremser Kamin-      und es wird lokale, regionale und nationale
                                                                                              Eintritt frei, Anmeldung erbeten.
gespräche beleuchtet verschiedene Aspekte     Geschichte präsentiert. Österreich gilt als
des „Universums im Kleinen“.                  vielseitiges Museumsland, und allein in         Die Gespräche werden jeweils eine Woche
                                              Nieder­österreich gibt es rund 700 Museen       später um 21.00 Uhr auf Radio Nieder-
Die Kremser Kamingespräche starteten „on      und Sammlungen. Wie repräsentativ, um-          österreich ausgestrahlt.
tour“ im Haus Tostmann Trachten in Wien,      fangreich oder spezialisiert kann oder soll     Haus der Regionen –
wo Anita Querfeld (Inhaberin des Café         eine museale Sammlung sein? In welcher          Volkskultur Europa
Landtmann) und Dr. Alfred Noll (Rechts-       Form soll Geschichte präsentiert werden?        3504 Krems-Stein, Donaulände 56
anwalt und Publizist) über die Räume des      Welchen Wert haben regionale Exponate           Tel. 02732 85015
Lebens und deren zunehmende Kommer-           im Austausch mit der Welt? /                    Anmeldung:
zialisierung diskutierten. Unter dem Motto                                                    ticket@volkskultureuropa.org
„Machtsphären“ sprachen Mag. Veronika         Text: Miriam Molin Pradel                       www.volkskultureuropa.org

                                               schaufenster / Kultur.Region / November 2015
KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
Haus der Regionen / 9

                                                                   Frankreich                                                              Begegnungsreich

                                                  MUSIQUE                                                                 STIMMUNG
                                                DE L’AUVERGNE                                                           BRAUCHT STIMME

                                                    Eine französische Sommernacht –                                                Umfragen der persönlichen Art,
                                                           mitten im November.                                                      die wirklich etwas bringen.

                                                                        Seit langem ist Patrick Bouffard als                                        Das Superwahljahr mit den Landtags-
                                                                        einer der herausragenden Musiker aus                                        und Gemeinderatswahlen ist gelaufen.
Patrick Bouffard Trio. Foto: z. V. g.

                                                                        dem Kreis traditioneller Musik der                                          Es interessieren an dieser Stelle aber
                                                                        zentralfranzösischen Region Auvergne                                        nicht die politischen Konstellationen,
                                                                        /Bourbonnais bekannt. Sein feuriges                                         sondern die medial gepushten, hoch-
                                                                        Spiel auf der Drehleier wird im Trio                                        komplexen Wählerumfragen. Bezeich-
                                                                        von Rémy Villeneuve an der Corne-                                           nend das Statement eines Experten
                                                                        muse, der zentralfranzösischen Sack-                                        anlässlich der letzten großen Wahl:
                                                                        pfeife, und Raphaël Maurel am diato-                                        „Alle Daten für die Trendanalyse wur-
                                                                        nischen Akkordeon ergänzt.                                                  den mittels Calls und Recalls erhoben
                                                                                                                                                    und mit tausenden weiteren Details ins
                                                                      Die Musik des Trios folgt dem überlie-                                        EDV-System eingespeist.“
                                                                      ferten Repertoire und wird mit einem
                                        solchen Feuer und derartiger Virtuosität gespielt, dass es schwer fällt,    Eine Berufsbranche erlebte dann ihr Waterloo, denn das Endergebnis
                                        nicht zu tanzen. Mit Bourées, Schottischen, Polkas und Walzern ver-         brachte verglichen mit den Prognosen, sogar die Schwankungsbreite ins
                                        breiten die Musiker das Flair einer heißen Sommernacht in der               Wanken. Sind so manch verkorkste Umfragen, auch abseits der Politik,
                                        Auvergne. Die Instrumentalstücke werden durch berührende Lieder             nicht eine völlige Überschätzung derer, die glauben, alles zu erforschen?
                                        mit der Sängerin Violaine Jourdren ergänzt. /                               Für das Persönliche braucht es keine digitalen Datenchecks, sondern
                                                                                                                    Zeit, Muße und Freude für Umfragen der ganz persönlichen Art, die
                                                                                                                    dann aber wirklich stimmen. Stellen wir in unserer nächsten Umge-
                                                                                                                    bung ganz einfach die ehrliche Frage: „Wie geht es dir?“. Hier bedarf es
                                                                                                                    keiner Methode, sondern des Willens, auf den anderen zuzugehen und
                                          KONZERT                                                                   bei der meist schnellen Antwort „Gut“ dann ehrlich nachzufragen:
                                          ————————————————————————————————                                          „Warum geht es dir gut?“ Viele Menschen sind erstaunt, dass jemand
                                          Sa, 14. 11. 2015, 19.30 Uhr                                               nicht gleich weiterläuft, sondern echtes Interesse zeigt, und da kann es
                                                                                                                    schon vorkommen, dass aus einem „Es geht mir gut“ ein „Eigentlich
                                          Patrick Bouffard Trio
                                                                                                                    geht es mir nicht gut“ wird.
                                          Karten
                                          Kat. I: VVK: EUR 18,00; AK: EUR 20,00                                     Dort, wo man das Leben trifft und das richtige Gespür mitbringt, ist ein
                                          Kat. II: VVK: EUR 16,00; AK: EUR 18,00                                    Einlassen auf das Denken, Wissen und Fühlen des anderen möglich.
                                                                                                                    Wir haben die Wahl, unseren Nächsten jene ehrliche Stimmung zu
                                          Tipp: Genießen Sie vor dem Konzert ein dreigängiges Menü
                                                                                                                    bieten, damit auch sie ihre Stimme erheben und sich nicht noch mehr
                                          im Restaurant BLAUENSTEIN inklusive Konzerteintritt um
                                                                                                                    zurückziehen. Die Zahl der Stimmlosen wird aufgrund von Getrieben-
                                          insgesamt EUR 36,00.
                                                                                                                    heit, Zeitdruck oder Angst immer größer. Das Miteinander braucht
                                          Haus der Regionen – Volkskultur Europa                                    Platz und Raum für Umfragen, die Herz-Wert haben und Sinn geben.
                                          3504 Krems-Stein, Donaulände 56
                                          Tel. 02732 85015                                                          PS: Sie wollen wissen, wie „der andere“ wirklich denkt? Fragen Sie! /
                                          ticket@volkskultureuropa.org
                                                                                                                    Martin Lammerhuber
                                          www.volkskultureuropa.org                                                 martin.lammerhuber@kulturregionnoe.at

                                                                                            schaufenster / Kultur.Region / November 2015
KULTUR.REGION schaufenster - Volkskultur NÖ
Brauch / 10

                                                                    Wallfahrt

                                       WEG UND ZIEL

                      Wallfahrten in Niederösterreich: Große Heilige und Bräuche zu ihren Ehren.

                                                                                                     Die berühmteste Grablege ist aber jene des
                                                                                                     Landespatrons. Der Babenberger Leopold III.
                                                                                                     (geb. um 1075) regierte 1095 bis 1136 als
                                                                                                     Markgraf und heiratete 1106, in zweiter Ehe,
                                                                                                     die verwitwete Kaisertochter Agnes († 1143).
                                                                                                     Beide gründeten 1114 in Klosterneuburg ein
                                                                                                     Säkular-Kanonikerstift, das 1133 die regu-
                                                                                                     lierten Augustiner-Chorherren übernahmen.
                                                                                                     Diese schrieben eine Generation nach dem
                                                                                                     Tod des Stifters eine Chronik und begannen
                                                                                                     mit der Ausspeisung armer Leute an seinem
                                                                                                     Todestag. 1323 gab es ein Verzeichnis mit
                                                                                                     Gebetserhörungen an seinem Grab. Eine
                                                                                                     päpstliche Ablassurkunde von 1326 lässt auf
                                                                                                     häufige Wallfahrten schließen.

                                                                                                               500 Wallfahrtsorte

                                         Heiliger Leonhard                                           Ablasswesen, Reliquien- und Bilderkult
                                                                                                     waren Hauptkritikpunkte der Protestanten.
                                                                                                     Sie machten um 1570 in Niederösterreich
                                                                                                     75 bis 80 Prozent der Bewohner aus. Dadurch
Seit mehr als einem Jahrtausend bestehen in         ehrung breitete sich rasch aus, nachdem          kam das Wallfahrtswesen zum Erliegen.
Niederösterreich Wallfahrtsorte. Die ersten         Markgraf Heinrich I. anno 1014 die Gebeine       Umso größeren Aufschwung erfuhr es im
Pilger besuchten die Gräber des hl. Koloman         in das Stift Melk hatte bringen lassen. Kolo-    Zuge der Rekatholisierungsmaßnahmen der
in Melk, des hl. Altmann in Göttweig und            man war 1244 bis 1663 der Landespatron           Gegen­reformation. Die barocken Frömmig-
des hl. Leopold in Klosterneuburg. Dies ent-        Österreichs.                                     keitsformen standen, gefördert durch das
sprach ganz der Tradition, die seit dem                                                              Kaiserhaus, im Zeichen des bewussten Ein-
7. Jahr­­hundert überall im christlichen Europa     Altmann (1015–1091) war Bischof von Pas-         tretens für die katholische Kirche. Damals
Wallfahrtsorte zu Reliquien entstehen ließ.         sau. Im Konflikt zwischen Kirche und Staat       entstanden die bedeutendsten niederöster­
Schon zuvor waren die Gräber heiligmäßig            um die Rolle der weltlichen Herrscher bei der    reichischen Wallfahrtsorte wie Maria Taferl,
verehrter Personen Ziele hilfesuchender             Amtseinsetzung von Bischöfen und Äbten           Maria Dreieichen oder Mariahilfberg bei
Gläubiger gewesen.                                  unterstützte er Papst Gregor VII. bei der        Gutenstein. Zusammen mit den wieder-
                                                    Absetzung Kaiser Heinrichs IV. Als dieser        belebten zählte das Bundesland damals rund
Koloman, ein irischer Pilger, befand sich um        wieder an die Macht kam, flüchtete Altmann       500 Wallfahrtsziele, zu denen ein- oder mehr-
die Jahrtausendwende auf dem Weg ins Hei-           in das 1070 von ihm gegründete Stift Gött-       tägige Prozessionen führten, 2008 waren
lige Land. Bei Stockerau wurde er 1012 wegen        weig. Hier wirkte er trotz seiner Absetzung      rund ein Zehntel davon aktiv. (Liste der Wall-
seiner fremdländischen Kleidung als Spion           durch den Kaiser bis zum Lebensende als          fahrtstermine von Franz Groiß in: Denkmal-
verdächtigt, gefoltert und gehängt. Seine Ver-      Bischof.                                         pflege in Niederösterreich, Band 38).

                                                      schaufenster / Kultur.Region / November 2015
Brauch / 11

                 Heiliger Leopold                                 Heiliger Koloman                                  Heiliger Leonhard

             Fiakerwallfahrt                      tel, ist dem hl. Leonhard geweiht. Hier gab es   toren, Autos und deren Besitzer. Dann pre-
                                                  noch in den 1980er Jahren einen Opfergang        digte er auf einer improvisierten Kanzel im
Den größten Wallfahrtszuzug verzeichneten         mit Wachsvotiven. Univ.-Prof. Helmut Fiel-       Freien der Menschenmenge.
die Kirchen an den Gedenktagen der Heili-         hauer hat dies 1969 in einem wissenschaft­
gen. Berühmt ist bis heute der „Leopolditag“,     lichen Film dokumentiert. Er zeigt das           Im Zuge der Josephinischen Reformen, die
der 15. November, wo die Männer- und die          Geschehen am 6. November und am folgen­          schon 1772 unter Maria Theresia begannen,
Ministrantenwallfahrten zahlreiche Teilneh-       den Sonntag. Am Leonharditag fanden sich         wurden mehrtägige Wallfahrten und Bru­
mer nach Klosterneuburg führen. Einige            mehrere Pilgergruppen ein. Der Pfarrer und       derschaften verboten und Kirchen abgeris-
Tage davor, am 6. November, steht der             zwei Ministranten mit Fahnen begrüßten die       sen, wie die beim Bründl von Schöngrabern
hl. Leonhard im Kalender. Leonhard von            Angekommenen. Bei der Kirche war ein             errichtete Wallfahrtskirche. 1778 mit enor­
Limoges († 559/620), war ein fränkischer          Tisch aufgebaut, an dem sie weiße, natur­        mem Aufwand fertiggestellt, musste sie schon
Adeliger, der sich für das Einsiedlerleben        farbene und rote Wachsvotive erwerben            fünf Jahre später demoliert werden. Während
entschied. Als Bauernheiliger erfreute er sich    konnte­n. Die Pferde, Rinder, Schweine, Häu-     der romantischen Bestrebungen im 19. Jahr-
vor allem in Bayern und Österreich größter        ser, menschlichen Figuren und Körperteile,       hundert, zu deren Galionsfigur der spätere
Popularität. Der „bayrische Herrgott“ gilt als    wie Herzen oder Beine, waren dazu bestimmt,      Wiener Landespatron Klemens Maria Hof-
Löser feindlicher Ketten, wohl wegen des          dass man sie am Altar ablegte. Nach einiger      bauer wurde, kam auch das Wallfahrten wie-
Gleichklangs seines Namens im Franzö-             Zeit kamen Buben mit großen Schachteln,          der zu Ehren.
sischen (Lienard) mit lien (Fessel). Aus tür-     holten die Votivgaben und brachten sie wie-
kischer Gefangenschaft Gerettete opferten in      der zum Verkaufstisch. Die Kirche besitzt           Von Sport bis Selbsterfahrung
den Leonhardskirchen ihre Ketten. Manche          eine Leonhardsreliquie in einem Reliquiar,
Gotteshäuser waren mit (Vieh-)Ketten              das der Pfarrer den Gläubigen zum Kuss           Eine völlig neue Qualität erreicht das Pilgern
umspannt. Die Schmiede an der Eisenstraße         reichte. Danach gingen sie hinter dem Hoch-      im 20. und 21. Jahrhundert. Nun machen sich
errichteten ihm Kapellen und Bildstöcke. Das      altar in die Kirche zurück. Während sich am      viele, vor allem jüngere Menschen wieder zu
Patronat als Pferdeheiliger wurde mit Leon-       eigentlich Festtag der Andrang in Grenzen        Fuß auf den Weg. Ihre Motivation ist nicht
hardiritten, Pferdesegnungen oder Reiter-         hielt, war der folgende Leonhardisonntag ein     nur religiöser Art. Persönliches Erleben –
spielen began­   gen. Die Pfarrkirche in          großes Ereignis. Die Pilger kamen mit Auto-      Medi­ tation, Selbsterfahrung, Grenzen spü-
St. Leonhard am Walde im Mostviertel heißt        bussen und eigenen Autos, die Blasmusik          ren –, Sport und Gemeinschaft gewinnen an
„Fiakerkirche“, weil sie seit 1826 Ziel der       spielte, mehrere Standl boten Spielzeug,         Bedeutung. Touristische Initiativen kommen
Wallfahrt der Wiener Fiaker ist. 1908 stifteten   Devotionalien und heiße Würstel an. Für die      diesem Trend entgegen. /
sie sogar einen Altar, später fanden sich auch    religiöse Handlung war an der Außenseite
Taxifahrer als Pilger hier ein.                   der Kirche ein Altar samt Opferstock aufge-      Text: Helga Maria Wolf
                                                  stellt. Während die Besucher dort beteten        Illustrationen: Magdalena Steiner
      Wachsvotive zu Leonhardi                    und ihre Votivgaben ablegten, kamen ständig
                                                  die Buben mit den Schachteln, damit dem
Die Pfarrkirche von Unterolberndorf, einer        Verkäufer die Ware nicht ausging. Der Pfarrer
Kata­stralgemeinde von Kreuttal im Weinvier-      segnete in der Folge einige aufgestellte Trak-

                                                   schaufenster / Kultur.Region / November 2015
Industrieviertel / 12

                                                       ÜberLeben in der Region

                         WOHLFÜHLFAKTOR
                           WIRTSHAUS
                     Wie in einem kleinen Ort das Weiterbestehen eines Gasthauses möglich ist,
                            zeigt die Kräuterwirtin Gerda Stocker in der Buckligen Welt.

                                                                                                   Rauchverbot ab 2018 eine große Hürde für
                                                                                                   die heimischen Gastronomen darstellen.
                                                                                                   Weiters schildert Pulker, dass es Gegenden
                                                                                                   ohne Tourismus noch schwieriger hätten,
                                                                                                   diesem Strukturwandel standzuhalten.

                                                                                                              Wirtshaussterben:
                                                                                                              nicht in Lembach

                                                                                                   Dies alles dürfte aber nicht für Lembach und
                                                                                                   schon gar nicht bei Gerda Stocker gelten.
                                                                                                   Die Mutter eines Sohnes betreibt seit bald
                                                                                                   20 Jahren das Gasthaus. „So einfach wie
                                                                                                   früher ist es nicht mehr, als die Leute noch
                                                                                                   Gesellschaft gesucht haben. Vor 30 Jahren
                                                                                                   war keine Werbung für das Gasthaus not-
                                                                                                   wendig – da früher die Mobilität einge-
                                                                                                   schränkter war, gehörte es zum Fixpro-
                           Gerda Stocker beim Backofen im Gastgarten.
                                                                                                   gramm, ins Gasthaus zu gehen. Unsere
                                                                                                   Stammgäste kommen beispielsweise jeden
                                                                                                   Samstagvormittag zum Kartenspielen und
Lembach, das ist ein lieblicher Ort, einge-       boden sowie den alten Kommoden und               die Kirchgeher jeden Sonntag ab halb zehn“,
bettet in der traumhaft schönen Kulisse der       Öfen. Gerda Stocker ist auch Liebhaberin         so die Wirtin. Mittlerweile liege die Heraus-
Buckligen Welt, dem „Land der tausend             von altem Geschirr, wie etwa Goldrandtel-        forderung in Lembach, im Vergleich zu
Hügel“. Die Katastralgemeinde der Stadt           lern und Tellern mit traditionellen Mustern.     größeren Ortschaften oder Städten, darin,
Kirchschlag wurde erstmals 1459 erwähnt                                                            dass Stocker die Gäste mit ihrer Spitzen-
und damals noch „Lempach“ geschrieben.            Jedoch die Zeiten ändern sich und somit          küche anlocken müsse. Sie wurde schon des
Heute zählt die kleine Ortschaft rund 350         auch die gastronomischen Herausforde-            Öfteren gefragt, warum sie mit dem Gast-
Einwohner. Mitten in Lembach befindet sich        rungen. Immer öfter ist vom „Wirtshaus-          haus nicht in eine Stadt umziehe. Für die
das Gasthaus von Kräuterwirtin Gerda Sto-         sterben“ die Rede, und auch aktuelle Statis-     Gastronomin ist dies aber ein undenkbarer
cker. Mit nur 24 Jahren übernahm die gebür-       tiken der Wirtschaftskammer zeigen, dass in      Schritt. Ihre Kraft holt sich die Kräuterwirtin
tige Lembacherin 1996 das Gasthaus ihrer          Niederösterreich die Zahl der Gasthäuser         im Kreise der Familie, in der Natur, und
Eltern. Als innovativer Gastronomin ist es        merklich gesunken ist. Hinsichtlich dieser       sogar beim Autofahren biete sich die Mög-
Gerda Stocker ein großes Anliegen, ihr im         Zahlen erklärt Mario Pulker, Obmann des          lichkeit, Energie zu tanken, schildert sie
Jahr 1932 erbautes, traditionelles Wirtshaus      Fachverbandes der österreichischen Gastro-       lächelnd.
lebendig zu halten: angefangen von der Ein-       nomen, dass der gesellschaftliche Wandel
richtung, welche bisher nur geringfügig           weg vom klassischen Wirtshaus hin ins eige-      Im Wirtshaus bekommen die Gäste, passend
geändert wurde, um den technischen Stan-          ne Wohnzimmer, aber auch gesetzliche             zu jeder Jahreszeit mit Wildkräutern und
dards zu entsprechen, bis hin zum Dielen-         Regelungen wie beispielsweise das generelle      Wildfrüchten verfeinert, einen Schweinsbra-

                                                    schaufenster / Kultur.Region / November 2015
Industrieviertel / 13

ten mit Kraut und Knödel, genauso wie das
klassische Wiener Schnitzel frisch zubereitet
serviert. Ein mit Schmalz und Grammeln
zubereiteter Sterz wird immer öfter von den
Gästen bestellt. „Eine ehrliche und echte
Küche verbindet Tradition mit der Jetztzeit
am besten“, fügt die Gastwirtin hinzu.

    Schafgarbe, Gundelrebe und
       Dinkelgrießschmarrn

Selbstverständlich ist das Gasthaus Stocker
Mitglied bei der Aktion „Sooo gut schmeckt
die Bucklige Welt“. Für die Kräuterwirtin
stehen die sanften Hügel der Buckligen Welt
für das „sanfte“ Herstellen der Produkte.
Eine verantwortungsvolle, artgerechte Tier-
haltung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle.
Biobauern aus der Umgebung beliefern das
                                                                        Die Kräuterwirtin in der Küche des 1932 erbauten Wirtshauses.
Gasthaus mit selbstgemachten Ölen, behut-
sam gepflückten Kräutern und mit Bio-
Rindfleisch. Im Fokus stehen der bewusste
Umgang mit der Natur und die Vorzüge der         betreut neben ihrem Wirtshaus weitere Pro-
Region. In ihrer Küche legt Gerda Stocker        jekte, beispielsweise das „gesunde Schulbuf-               AUSFLUGSTIPP
einen großen Wert auf frische und saisonale      fet“ am BORG Wiener Neustadt. „Es ist mir                  ———————————————————
Kräuter und Lebensmittel. Brennnesseln ste-      ein Anliegen, jungen Leuten frischgekochtes
hen ganz vorne auf der Liste, da sie guten       regionales Essen anbieten zu können. Darauf
Geschmack und reichlich Farbe geben. Auch        lege ich besonderen Wert, und seit bald fünf
die Schafgarbe aus der Pflanzengattung der       Jahren läuft diese Aktion sehr erfolgreich.
Korbblütler und ihr Lieblingskraut, die          Mein Schulbuffet ist abgestimmt auf den
Gundelrebe, auch Gundermann genannt,             Schulzweig ,Sport‘ und die Notwendigkeit,
aus der Familie der Lippenblütler, werden        gerade bei jungen Sportlerinnen und Sport-
oft für Süßspeisen verwendet. Auf die Frage,     lern auf eine gesunde Ernährung zu achten“,
welches Lieblingsrezept beziehungsweise          so Stocker.
welches Lieblingsessen Gerda Stocker selbst

                                                                                                                                                 Foto: Wiener Alpen/Walter Strobl
bevorzuge, antwortet sie schmunzelnd:            Im Laufe der vergangenen Jahre etablierte
„Dinkelgrießschmarrn mit Holler-Zwetsch-         sich in Lembach der 8. Dezember zu Mariä
ken-Koch“.                                       Empfängnis als Feiertag für die Jagd. In Rom
                                                 begeht der Papst den Feiertag mit einem an
          Vielseitiges Talent                    die Jungfrau Maria gerichteten Gebet an der
                                                 Piazza di Spagna, während bei der Stocker-
Gerda Stocker kam die Idee, eine eigens          Wirtin in Lembach die Jägerschaft zu einem
kreierte Limonade zu produzieren, um eine        „Weidmannsdank“ prostet. /
gesunde Alternative zu anderen zuckerhal-
tigen Getränken zu bieten. Daraus entstand       Text und Fotos: Theresia Draxler                           Promotion
„Stocker’s Bucklige Welt Limo“ aus Wild-                                                                    Paradies der Blicke
kräutern und Wildfrüchten. Die Gastwirtin                                                                   Einen herrlichen Rundblick über die
möchte aber auch bei den Jugendlichen                                                                       Hügellandschaft der Buckligen Welt
wieder das Bewusstsein für gutes Essen             INFORMATION                                              genießt man am Feuerturm in Kirch-
erwecken, weg von Pizza und Burger – hin           ———————————————————                                      schlag in der Buckligen Welt. Die
zum Wohlfühlfaktor im Wirtshaus. In die-                                                                    Aussichtswarte ist Teil der Burgruine
                                                   Gasthaus Stocker
sem Zusammenhang veranstaltet sie in                                                                        Kirchschlag und ein „Blickplatz“ entlang
regelmäßigen Abständen Kochkurse, um auf           Lembach 11, 2860 Kirchschlag in der                      des Wegs am Wiener Alpenbogen –
                                                   Buckligen Welt                                           des großen Wanderwegs durch das
die Vielfalt der Natur und die Reize der regi-
onalen und saisonalen Produkte aufmerk-            Tel. 02646 2288                                          „Paradies der Blicke“!
sam zu machen. Die Niederösterreicherin            www.gasthaus-stocker.at                                  www.wieneralpen.at/wanderweg

                                                   schaufenster / Kultur.Region / November 2015
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                                                                   Kirchenmusik

              KLOSTERKOMPONISTEN

                      Die Wiederentdeckung unveröffentlichter Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts
                                      aus heimischen Stifts- und Pfarrarchiven.

                                                                                                       Georg Donberger (* 1709 Bruck a.d. Leitha,
                                                                                                       † 1768 Herzogenburg), für Göttweig Johann
                                                                                                       Georg Zechner (* 1716 Gleisdorf, † 1778
                                                                                                       Krems-Stein), für St. Florian Franz Joseph
                                                                                                       Aumann (* 1728 Traismauer, † 1797 St. Flo-
                                                                                                       rian) oder für Stift Melk Franz Schneider
                                                                                                       (*1737 Pulkau, † 1812 Melk). Sie alle und
                                                                                                       noch viele weitere Komponisten dieser
                                                                                                       Epoche sind heute weitgehend der Verges-
                                                                                                       senheit anheimgefallen. Vielleicht auch
                                                                                                       weil das Dreigestirn der Wiener Klassik,
                                                                                                       Haydn, Mozart und Beethoven, alles über-
                                                                                                       strahlte, ist das Musikleben jener Zeit ins-
                                                                                                       gesamt noch vergleichsweise wenig er-
                                                                                                       for­
                                                                                                          scht. Sowohl wissenschaftliche Ausga-
                                                                                                       ben als auch gedrucktes praktisches Auf-
                                                                                                       führungsmaterial dieser Klosterkompo-
                                                                                                       nisten sind bis heute nur ganz vereinzelt
                                                                                                       erhältlich.

                                                                                                       Von jeher fand ein reger Austausch an
                                                                                                       Musikalien – und damit auch an neuen
                                                                                                       Ideen, Entwicklungen und Stilelementen –
                                                                                                       zwischen den Klöstern statt. Und die Kom-
                                                                                                       ponisten kannten einander sehr gut. Dass
                                                                                                       in diesem Netzwerk eine fruchtbare wech-
  Wiederentdeckte Klosterkomponisten – Konzert in der Pfarrkirche Spitz am Samstag, dem 7. November.   selseitige musikalische Beeinflussung statt-
                                     Foto: BSonne/WikiCommons
                                                                                                       fand, ist evident.

                                                                                                       „Lärmende“ Instrumente untersagt
„Im Zeitalter Maria Theresias (1740–1780)            des kl­assischen Stils der Epoche Haydns
nahmen die österreichischen Ordensstifte             und Mozarts bei.“1                                Reizvoll ist daher, die Entwicklung der Kir-
eine führende Stellung im öffentlichen                                                                 chenmusik jener Epoche anhand ausge-
Musikleben ein. In den Klöstern wirkten              Die meisten heimischen Klöster hatten in          wählter Kompositionen der genannten
fähige Komponisten, von denen manche                 jener Zeit ihre „Hauskomponisten“, die sie        Meister nachzuvollziehen: Der Tod des
am kaiserlichen Hof in Wien ausgebildet              mit Musik für den täglichen liturgischen          k­
                                                                                                        aiserlichen Hofkapellmeisters Johann
wurden. Ihr reiches musikalisches Schaffen           Gebrauch, aber auch mit Festmusiken zu            Joseph Fux im Jahr 1741 markiert den
fand weite Verbreitung und trug in                   besonderen Anlässen versorgten. Zu nen-           Beginn des langsamen Übergangs vom aus-
beträcht­
        l­
         ichem Maße zur Herausbildung                nen wären hier etwa für Stift Herzogenburg        gehenden Barock zur Wiener Klassik – der

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nicht zuletzt von (kirchen)politischen Ein-    Chorstimmen aufgeteilt und gleichzeitig
flüssen geprägt war. So regelte Papst Bene-    „abgesungen“ wurden. Mitunter nahm das
dikt XIV. 1749 in seiner Enzyklika „Annus      durchaus kuriose Züge an, wie etwa eine
qui“ die Kirchenmusik neu: Oberstes Ziel       Gloria-Vertonung mit nur 17 Takten (!) des
war die Verständlichkeit des liturgischen      Melkers Franz Schneider zeigt, die dennoch
Textes, zudem sollte Kirchenmusik nie          den vollständigen Text (84 Worte) „unter-
p­rofan oder gar theatermäßig klingen.         bringt“, unterlegt von gehetzten Läufen der
Dementsprechend wurde die Verwendung           Violinen. – Ein musikalischer Protest gegen
„lärmender“ Instrumente wie Trompeten          die neuen Vorschriften in Form einer Persi-
und Pauken untersagt! In Wien, und noch        flage?
viel mehr in den Klöstern der „Provinz“,
wurde diese Maßnahme aber erst um Jahre        Schon 1790, nach dem plötzlichen Tod
verspätet und nur halbherzig umgesetzt.        Josephs II., kam es unter seinem Bruder
Dennoch fand eine Säkularisierung der          Leopold II. zu einer nachhaltig konserva-
Kirchenmusik statt: Elemente der volks-        tiven Wende: Viele Reformen seines Vor-
tümlichen Tanzmusik flossen nach und           gängers wurden zurückgenommen, und die
nach ein, die Harmonik wurde einfacher,        Lage im Bereich der Kirchenmusik ent-
und ein oftmals heiterer Duktus löste zu-      spannte sich deutlich.
sehends den strengen Kontrapunkt ab.
Zu­dem wurden nun auch Sinfonien und           Forschung in Archiven und Pfarren                            Deckblatt der „Missa Sancta Catharina“
Instru­mentalkonzerte im Gottesdienst                                                                   von Georg Reutter – Musikarchiv Stift Göttweig.
ge­spielt.                                     Die beiden Spitzer Michael Koch und der
                                               Autor dieses Beitrags forschen seit Jahren
       Zeitalter der Aufklärung                in Stiftsarchiven, Wallfahrtskirchen und
                                               Pfarren und haben dabei zahlreiche Schätze
                                                                                                         INFORMATION
Einschneidende Veränderungen brachte           dieser Epoche wieder ans Tageslicht                       ———————————————————
dann das antiklerikale Zeitalter der Aufklä-   gebracht: Handschriftliche Abschriften und
rung mit den Kirchenreformen Josephs II.       Autographen zahlreicher Messen, Motet-
Neben der Schließung von mehr als 700          ten, Offertorien und Instrumentalkompo­
Klöstern und vielen kirchlichen Einrich-       sitionen wurden in aufwändiger Arbeit
tungen stand die Reform der Liturgie im        ediert und erstmals seit oft mehr als 200
Mittelpunkt – mit massiven Auswirkungen        Jahren wieder aufgeführt, teilweise auch am
auf die Kirchenmusik: So durfte nach dem       Ort ihrer Uraufführung. Erfreuliche „Ne-
Hofdekret vom 25. Februar 1783 nur mehr        ben­produkte“ der Recherchen waren u. a.
an Sonn- und Feiertagen mit Orchester          die Wiederentdeckung des alten Spitzer
musiziert werden, und die Zahl der Prozes­     Kirchenmusikarchivs im bayerischen Klos-
sionen und Andachten – ebenfalls meist         ter Niederaltaich sowie zweier – mittlerwei-
musi­ kalisch begleitet – wurde erheblich      le restaurierter – barocker Kesselpauken im
eingeschränkt. Von den Folgen berichtete       Turm der Spitzer Pfarrkirche.                             Niederösterreichische Kirchenmusik
der Melker Abt Anton Reyberger: „Stifts-                                                                 im 18. Jahrhundert
geistliche, Musiker und Musikfreunde wur-      In zwei moderierten Konzerten Anfang
den auf Pfarreien zerstreut, und das Musik-    November wird nun die Entwicklung der                     Unveröffentlichtes aus heimischen
                                                                                                         Stiftsarchiven von Zechner, Donberger,
fach im Stifte lag brach.“2 Weiters sollten    niederösterreichischen Kirchenmusik im
                                                                                                         Albrechtsberger, Schneider, Reutter,
deutschsprachige Kirchenlieder den Ritus       18. Jahrhundert hör- und erlebbar gemacht.
                                                                                                         Krottendorfer, Preindl, Weigl u. a.
allgemein verständlich machen. Michael         Gleich­zeitig begeht der 1845 gegründete
Haydns Deutsche Messe „Hier liegt vor          Wachau-Chor Spitz damit sein 170-jähriges                 Sa, 7. 11. 2015, 18.00 Uhr,
deiner Majestät“ ist das wohl bekannteste      Bestandsjubiläum. /                                       Pfarrkirche Spitz an der Donau
Beispiel dafür, aber auch von F. J. Aumann                                                               So, 8. 11. 2015, 17.00 Uhr,
ist eine „Missa Germanica“ (sic!) überlie-     Text: Claus Hamberger                                     Pfarrkirche Ottenschlag
fert. Zudem entstand für die Komponisten
                                               1 Hug, Raimund: „Georg Donberger und die Musik-           Wachau-Chor Spitz &
ein Zwang zur Kürze, der in sogenannten
„Schachtelmessen“ seinen extremsten Aus-         pflege im Augustiner-Chorherrenstift                    Unionchor Ottenschlag
                                                 Herzogenburg“, Teil 1, Sinzig 2007
druck fand: Im Bestreben um höchstmög-         2 Trittinger, Adolf: „Die musikhistorische Bedeutung      Cappella Wachovia
liche Knappheit des Satzes wurden die            des Stiftes Melk im österreichischen Musikschaf-        Franz Haselböck, Orgel
l­
 angen Ordinariumstexte ineinanderge-            fen“, 105. Jahresbericht des öffentlichen Stiftsgym-    Claus Hamberger, Moderation
schachtelt, indem Textpassagen auf die vier      nasiums der Benediktiner zu Melk, 1963                  Michael Koch, Dirigent

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                                                             Die Kellergasse lebt

                      KELLERGASSE GOES
                           KULTUR
   Die Kellergasse hat den Funktionswandel vom Produktionsplatz zur Kultureinrichtung längst vollzogen.
       Der Kellergassen-Kongress beschäftigt sich mit der Zukunft der Weinviertler Architekturjuwele.

                      Kellergasse Hadres – immer mehr Adventveranstaltungen finden in den Kellergassen statt. Foto: Manfred Horvath

Sonntagsausflug mit Familie im Jahr 2015:          stift und einem GPS-tauglichen Handy,                   schloss möglicherweise schon einmal geän-
Geocaching in der Öhlbergkellergasse in            macht sich besagte Familie auf den Weg. Die             dert. Nach ein bisschen Tüfteln, und mit
Pillersdorf. Die Aufgabenstellung ist, die         Kellergasse liegt ein ganzes Stück vom Dorf             Hilfe eines erfahrenen Geocachers ist der
Kellergasse zu durchwandern und zehn               Pillersdorf entfernt, ein Hohlweg zwischen              Schatz am Ende des Weges schnell gefun-
Fotos, die Details von Presshäusern zeigen,        den Weingärten. Jedes Presshaus wird genau              den. Und die Familie hat ein kleines Juwel,
in die richtige Reihenfolge zu bringen. Ein-       inspiziert, die Beschläge der Türen werden              abseits der selbst im Weinviertel schon
getragen in einem Raster, bekommt man für          untersucht, mit den Abbildungen verg-                   bestehenden Touristenpfade, entdeckt.
jedes Bild eine Zahl, was wiederum die             lichen. Die Fotos stammen schließlich aus
Koordinaten des Caches ergibt. Ausgerüstet         dem Jahr 2012, da hat sich die Farbe der                Als Dorf ohne Rauchfang werden sie
mit einem Ausdruck der Bilder, einem Blei-         Türen, des Beschlages oder das Vorhänge-                bezeichnet – die Kellergassen. Sie prägen die

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                                                      Kellergasse, mit der Ausbildung geht eine        vier Kellern auf. Aufgrund des Erfolgs wurde
                                                      Bewusstseinsbildung einher, die auch bei         dieses Modell eines Konzerts wieder
                                                      der Erhaltung und Renovierung der Ensem-         gewählt, zuletzt 2015 in der Jetzelsdorfer
                                                      bles eine große Rolle spielt. 500 ausgebildete   Kellertrift.
                                                      Kellergassenführer gibt es mittlerweile, im
                                                      Oktober dieses Jahres hat der 41. Lehrgang,              Kellergassen-Kongress
                                                      diesmal wieder im Pulkautal, begonnen.
                                                                                                       Im November laden die Kellergassenführer
                                                      Ein Vorzeigeprojekt ist sicherlich die Keller-   und die Agrar Plus zu einem Kellergassen-
                                                      gasse in Raschala, in der auch der Presshaus-    Kongress. „Wozu brauchen wir noch Keller-
                                                      experte Helmut Leierer einen Keller besitzt,     gassen?“ ist das Thema. Die Weichen für
                                                      den er mit großem Fachwissen herrichtete.        eine neue Nutzung der Kellergassen sind
                                                      Die Besitzer der übrigen Keller schlossen        längst gestellt, die Kellergasse als erhaltens-
                                                      sich zum Verein Köllamauna zusammen              wertes Kulturerbe ist in den Köpfen ange-
                                                      und in einer beispielgebenden Gemein-            kommen. Jetzt gilt es die Menschen auf den
                                                      schaftsleistung konnten sie das Ensemble         Schatz aufmerksam zu machen: auf den
                                                      erhalten. Aber auch das Feiern kommt nicht       besonderen Zauber der Kellergasse im
  Öhlbergkellergasse in Pillersdorf. Foto: z. V. g.   zu kurz: Der Kirtag, der stimmungsvolle          Herbst, auf das spannende und vielfältige
                                                      Adventmarkt und die Pinkelsteinfeste (diese      Kulturprogramm und last, but not least auf
                                                      finden am Faschingssonntag statt, aber nur       die wunderbaren Weine, die vielleicht noch
                                                      zu den Schaltjahren) prägen schon seit Jahr-     in einem der Keller gekeltert werden. /
Landschaft des Weinviertels, die funktionale          zehnten das Vereins- und Gesellschaftsleben
Architektur fügt sich in Geländekanten und            in Raschala.                                     Text: Eva Zeindl
Hohlwege ein. Die oben angeführte Keller-
gasse liegt einen knappen Kilometer von                     Kultur in der Kellergasse
Pillersdorf entfernt, umfasst 32 Keller mit
Presshäusern und zehn Kellerkappeln. Um               Auf eine viel kürzere Geschichte blickt die
1400 sollen schon die ersten Keller in den            Sitzendorfer Kellergasse zurück. Der Name          INFORMATION
Lehm gegraben worden sein, im 18. Jahr-               kann einen hier leicht in die Irre führen,         ———————————————————
hundert erfolgte der Zubau der Presshäuser.           denn die Kellergasse befindet sich am Rande        Geocaching ist eine Art elektronische
Die Blütezeit der Öhlbergkellergasse war              von Hollabrunn, nur die Richtung der Gasse         Schatzsuche oder Schnitzeljagd;
zwischen 1900 und 1930, heute wirkt die               weist auf das etwa 13 Kilometer entfernte          die Verstecke werden anhand geogra-
Kellergasse gerade zur Weinlesezeit etwas             Sitzendorf an der Schmida hin. Der Verein          fischer Koordinaten im Internet ver­
verwaist – nur mehr wenige Keller sind in             zur Förderung der Sitzendorfer Kellergasse         öffentlicht und können mit Hilfe von
Betrieb, die meisten werden zur Repräsen-             hat sich ebenfalls der Erhaltung, der Aufar-       GPS gesucht werden.
tation, zum Verkosten genutzt. Aber gerade            beitung und Darstellung der Kellergasse und        www.geocaching.com
deshalb macht die Kellergasse einen aus-              nicht zuletzt der Abhaltung von kulturellen
gesprochen gepflegten Eindruck.                       und gastronomischen Veranstaltungen ver-
                                                                                                         Kellergassen-Kongress
                                                      schrieben, wie es auf der Homepage des
                                                                                                         Do, 5. 11. 2015
    Botschafter der Kellergasse                       Vereins dargestellt wird. Seit 2010 findet
                                                                                                         Reichensteinerhof Poysdorf
                                                      hier mit großem Erfolg die Reihe „Kultur
                                                                                                         akadmie.agrarplus.at
Die Pillersdorfer Öhlbergkellergasse steht            und Kino im Keller“ statt. Der Obmann des
wohl für viele dieser Art im Weinviertel. Aus         Vereins kann nach sechs erfolgreichen Jah-
wirtschaftlichen und hygienischen Gründen             ren die Bilanz ziehen: „Die Kellergasse lebt.      Kellergasse Sitzendorf
                                                                                                         (bei Hollabrunn)
wurde die Weinproduktion längst in Hallen             Das einmalige Ambiente ist in Verbindung
                                                                                                         Kellerkatzenweg
mit riesigen Tanks verlagert. Dennoch wird            mit anspruchsvoller Unterhaltung und
der kulturhistorische Wert dieser Gassen              gepflegter Kulinarik ein attraktiver Anzie-        www.kellerkatzenweg.at
erkannt. Schon seit 1999 bietet die Agrar             hungspunkt für ein kulturinteressiertes
Plus einen Lehrgang zur Ausbildung von                Publikum.“                                         Advent in Raschala
Kellergassenführern an. In sechs Modulen                                                                 So, 29. 11. 2015, 10.00–19.00 Uhr
werden dem Interessierten einerseits Ge-              Die Musikschule Pulkautal hat schon anläss-        Kunsthandwerk, Turmbläser „Ensemble
schichte, Architektur, Weinbau, Kellerwirt-           lich des ersten Tages der Musikschulen im          Weinlandmusik Thern“, Christkindl­-
schaft und Degustation, andererseits aber             Jahr 2011 die Kellergasse für sich entdeckt.       -keller für die Kleinen und die größte
auch Basics in Sachen Vermittlung und Tou-            In der längsten geschlossenen Kellergasse          Krippe im Weinviertel
                                                                                                         2020 Raschala, Kellergasse Pinkelstein
rismus nähergebracht. Die Kellergassenfüh-            Europas, nämlich in Hadres, spielten die
rerinnen und -führer sind Botschafter der             Schüler zur Präsentation der Musikschule in        www.pinkelstein.at

                                                       schaufenster / Kultur.Region / November 2015
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