KUNST EINSICHT 16 1/2020Nr - Kunstmuseum Bern
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KUNST 16 Das gemeinsame Magazin von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee 1/2020 Nr. EINSICHT Seite 14 El Anatsui – die erste Retrospektive in der Schweiz
Editorial Es ist eine landesweite Debatte : Das zeitgenössische Künstler Afrikas, kon Ungleichgewicht zwischen Künstlerinnen frontiert uns in seinem Werk mit (Kolonial-) und Künstlern in den Programmen der Geschichte, Identität und unserem Um- grossen Schweizer Kunsthäuser. Umso mehr gang mit natürlichen Ressourcen. Aber freuen wir uns, dass wir das Jahr gleich auch Bern kommt nicht zu kurz : Wir haben mit zwei monografischen Ausstellungen mit Silvia Müller, Initiantin der Berner von Künstlerinnen starten : Den Abstrakten Museumsnacht, und mit Bernhard Fibicher, Expressionistinnen Lee Krasner im Zentrum ehemaliger Kurator der Abteilung Gegen Paul Klee und Teruko Yokoi im Kunstmuseum wartskunst am Kunstmuseum Bern und Bern, die mutig und ihrer Zeit voraus die heute Direktor des Musée cantonal des bekannten Pfade verliessen. Der foto Beaux-Arts in Lausanne, über Kunst, grafierenden Schriftstellerin Annemarie Kultur und Zukunftsprojekte gesprochen. Schwarzenbach wird im zweiten Halbjahr eine Ausstellung gewidmet. Wir laden Sie ein, sich von den Bildern der « unheilbar Nina Zimmer Reisenden » in ferne Regionen entführen Direktorin Kunstmuseum Bern — zu lassen. El Anatsui, der wohl wichtigste Zentrum Paul Klee Inhalt Interview Ausstellung 6 Bernhard Fibicher 22 Aufbruch ohne Ziel. Der Direktor des Musée cantonal des Beaux-Arts Annemarie Schwarzenbach über den Neubau, neue Ausstellungsformate und das zukünftige Museumsquartier Plateforme 10. als Fotografin Erstmals wird in einem thematischen und sparten übergreifenden Überblick das fotografische Schaffen Thematisch der Pionierin des Foto- und Reisejournalismus in 8 Von Künstlerinnen der Schweiz gezeigt. und Kunstgeschichte Persönlich Die Kuratorinnen Fabienne Eggelhöfer und Marta Dziewańska über Lee Krasner, Teruko Yokoi und 26 Brückenbauerin und allgemeine Tendenzen zur Wiederentdeckung von Künstlerinnen. Querdenkerin : Silvia Müller Die Initiantin der Berner Museumsnacht und Geschäftsleiterin des Vereins Museen Bern über Ausstellung laufende und Herzensprojekte. 20 Auf den Spuren eines Reisenden 34 Forum Mapping Klee folgt anhand seiner Reisen der künst- 38 Kalender lerischen Laufbahn Paul Klees und zeigt, wie er sich 39 More to See von der Fremde inspirieren liess. 40 Agenda 50 Kolumne
Lesen Shop Reisen Kunst sehen tät tat — Sacco Reportagen — Julian Barnes Brillenhalter Weltgeschehen im Kleinformat Ob für Brillen, Stifte oder die Fernbedie nung — Sacco eignet sich zur (aufrechten !) Aufbewahrung verschiedenster persönli cher Accessoires. Der weiche und leichte Ein Buch voller Kunstgeschichten : Über Fleecestoff ist robust, das Design zeitlos Maler und ihre Exzentrik, über ihre Modelle und das Produkt in verschiedenen Farben und das oftmals komplizierte Verhältnis erhältlich. tät tat steht für witziges und Früher gab es das Lagerfeuer, an dem zwischen Musen und Künstlern, über Bilder eigenwilliges Schweizer Design, das sauber die spannendsten Geschichten erzählt und Eskapaden wie auch Autoren, die sich gedacht, schön verpackt und in der Schweiz wurden. Heute gibt es Reportagen, das mit Malern beschäftigen. Durch Julian sozial produziert wird. CHF 29 im Museums unabhängige Magazin für erzählte Gegen Barnes’ Kenntnisreichtum und durch sein shop KMB. wart. Herausragende Autorinnen und Wissen um menschliche Schwächen und Autoren — sie sind Journalistinnen und Laster entsteht eine erzählte Kunstge Erzähler zugleich — berichten in spannen schichte von der Romantik bis in die Post den Reportagen aus der ganzen Welt. moderne, von Delacroix, Courbet, Manet, Vase Vor Ort recherchiert, persönlich bei den Cézanne und Degas bis hin zu Lucian Freud Protagonisten und abseits der ausgetrete — ein Buchgenuss für Kennerinnen und Cache-Cache nen Pfade spüren sie berührenden, auf Laien gleichermassen. Die siebzehn Auf rüttelnden und unerwarteten Schicksalen sätze erheben in ihrer umstandslos einge nach, nehmen ungewöhnliche Perspektiven standenen Subjektivität in Bezug auf die ein, treffen überraschende Menschen und Geschichte der Kunst und der Literatur kei verwandeln scheinbar bekannte Themen nen Anspruch auf Vollständigkeit. So zeigt in unentdecktes Neuland. Jeden zweiten sich vielmehr die Faszination des Autors Monat erhalten Leserinnen und Leser für die Vormoderne des 19. und frühen die Auswahl der besten Reportagen in ihren 20. Jahrhunderts sowie eine grosse Affinität Briefkasten. für die französische Malerei. Es stehen weniger eine Analyse der Bilder als vielmehr Passend dazu die Ausstellungen Mapping die Marotten und Lebensgeschichten Klee (21.05.—04.10.2020) und Aufbruch ihrer Schöpfer im Vordergrund — das ohne Ziel. Annemarie Schwarzenbach als Menschlich–Allzumenschliche eben, das Gleich mehrere Produkte werden mithilfe Fotografin (05.06.—06.09.2020). der britische Autor in seiner gewohnt dieses Designs recycelt : Erstens der geistreichen und zuweilen koketten Spra Karton, aus dem die runde oder tulpenför che und mit seinem scharfen Humor zu mige Aussenform der Vase besteht. Und Papier bringt. zweitens die PET-Flasche, die als Wasser behälter im Innern versteckt wird. Und so Julian Barnes funktioniert es : Kunst sehen Aus dem Englischen von Gertraude Krueger und Thomas Bodmer Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019 352 Seiten tout simplement ist eine französische Marke, die umweltfreundliche, lokale und schlicht-funktionale Designobjekte ent wirft und in Morteau im Herzen des Jura sozial produziert. CHF 36 im Museums © Ellen Warner shop ZPK. 4
Jubiläum Recycling Das ZPK wird 15 ! Sonntag 21.06.2020 Mit einem Fest der offenen Türen feiert das Zentrum Paul Klee 2020 sein 15-jähri ges Bestehen. Nebst Führungen « behind the scenes » — etwa in den Büro- und Forschungsräumlichkeiten im Südhügel, in der Restauration oder im Technik- und Regiebereich der Veranstaltungsräume — erwartet die Besucherinnen und Besucher ein attraktives Programm : Les passions de l’Ame, die Camerata Bern und weitere Ensembles versprechen vielseitige musi kalische Genüsse. Nach Lust und Laune kann auch gleich selber mit angepackt und gestaltet werden : Das Kindermuseum Creaviva bietet offene Ateliers für Gross und Klein. Theatergruppen, Chöre, Orches ter oder Akrobaten können ausserdem die offene Bühne des Auditoriums bespielen (Anmeldung und weitere Informationen unter www.paulundich.ch). Im Hinterland kann das fachgerechte Verpacken von Kunstwerken gelernt werden und im Frucht land suchen Abenteuerlustige den Weg durchs Maislabyrinth. Das Zentrum Paul Klee lädt Sie herzlich ein ! Bern Offcut Neu gibt es ihn neben Basel und Zürich auch Geschäftsauflösungen. Offene Ateliers, Work in der Bundesstadt : den OFFCUT-Material shops und Vermittlungsangebote sowie markt. OFFCUT sammelt und verkauft Ge Begegnungszonen ergänzen das Angebot. braucht- und Restmaterialien zur kreativen Wiederverwertung, schlägt Brücken zwi « Vernetzt und verflochten » : Offenes Atelier schen Industrie und Kunst und macht aus im Kunstmuseum Bern Reststoffen wieder Rohstoffe. Gemäss dem In Zusammenarbeit mit OFFCUT Bern verwan Zero-Waste-Gedanken wird keine neue delt sich das Atelier der Kunstvermittlung Ware produziert, sondern aus dem riesigen ab Freitag, 20. März 2020 (Museumsnacht) Es läuft die Jubiläumsausstellung Mapping Fundus des Vorhandenen geschöpft. Künst im Rahmen der Ausstellung El Anatsui. Klee sowie eine Sonderausstellung des lerinnen und Heimwerker können sich Triumphant Scale (13.03.—21.06.2020) in Klee-Enkels Aljoscha Ségard, der dieses von verschiedensten Farben, Formen und einen kreativen Gestaltungsraum. Ab dem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert. Mustern inspirieren lassen und finden bei 20. März jeweils mittwochs von 14—17 Uhr OFFCUT alles, was das Kreativherz begehrt und sonntags von 13—16 Uhr geöffnet. — seien es Ideen oder passende Bauteile : Das Atelier kann auch von Gruppen und von Folien, Papier und Karton, Stanzblechen, Schulklassen besucht werden (Anmeldung Seilen, Nieten, Verpackungen, Holz, Leder erforderlich, 031 328 09 11 oder und Verschlüssen bis hin zu ausgedientem vermittlung@kunstmuseumbern.ch). Dekorationsmaterial. Bildende Künstler kaufen hier Farben und Materialien für Skulp OFFCUT Bern, Meinen-Areal turen. Fotografinnen finden Requisiten für Gartenstrasse 23, 3007 Bern Shootings, Architektinnen und Designer www.offcut.ch Rohstoffe, um Modelle zu bauen. Das Mate rial stammt aus Produktionsüberschüssen, Öffnungszeiten Restposten oder von Privatpersonen, Mittwoch bis Freitag : 11—18 Uhr etwa aus Atelier- und Kellerräumungen oder Samstag : 10—16 Uhr 5
Interview Bernhard Fibicher Es kann eigentlich immer nur aufwärts gehen! MTC Nach der erfolgreichen Eröffnungsausstellung Atlas. Kartographie des Schenkens mit der Sammlung im Fokus hat Ihr Haus zwischen Mitte Januar und Mitte Februar nochmals eine Pause eingelegt, um das Museum für den Dauerbetrieb zu justieren. Was sind Ihre ersten Erfahrungen und Erkenntnisse mit dem Neubau? BF Ein ideales Raumangebot für alle künstlerischen Medien, schönes Licht, eine gute Besucherführung mit Platz zum Verschnaufen, ein erfolgreiches Restaurant und ein gelungener Start des Museums- shops. Daneben gibt es gewisse Mängel, wie zum Beispiel Risse im Terrazzoboden, die behoben werden müssen, und es braucht ein zusätzliches Garderobeangebot. Zudem muss die Signalisierung vom Bahnhof her verbessert werden. MTC Welche Rolle spielt das Gebäude und seine Einbettung in das Bahnhofsviertel für die Sache der Kunst ? Und was dürfen die Besucherinnen und Besucher vom baldigen Zuzug des Musée de design et d’arts appliqués contemporains und des Musée de Bernhard Fibicher legt besonderen Wert auf l’Elysée erwarten, die zusammen mit dem MCBA das Museums- Flexibilität und die Öffnung quartier Plateforme 10 bilden werden? gegenüber Kunst aus aller Welt. Foto: Florian Cella BF Der Standort gleich neben dem Bahnhof ist natürlich ideal und lädt ein, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln (Zug, Metro, Bus) ins Museum zu kommen. Der Bahnhof wird in den nächsten Jah- ren für über eine Milliarde Franken erweitert, um in 10 Jahren 200 000 Benutzer täglich empfangen zu können. Das stellt für uns ein interessantes Potenzial dar. Ende 2021/Anfang 2022 wird das Bernhard Fibicher, der Direktor des 2019 neu eröffneten Musée zweite Haus mit dem Fotomuseum und dem Designmuseum er- cantonal des Beaux-Arts in Lausanne, spricht im Interview über den öffnet. Dann wird das Kulturquartier erst vollständig sein und wir beeindruckenden Neubau, neue Ausstellungsformate und die werden gegenseitig voneinander profitieren können. Es kann enge Zusammenarbeit zwischen Kanton, Museen und Mäzenen im eigentlich immer nur aufwärts gehen ! Hinblick auf das zukünftige Museumsquartier Plateforme 10. MTC Drei Museen, drei Marken, ein Stiftungsdach: Das ist eine ähn- liche Konstellation wie hier in Bern mit dem Kunstmuseum und MARIA-TERESA CANO Herr Fibicher, das Musée cantonal des Beaux-Arts dem Zentrum Paul Klee. Was erachten Sie als besonders wichtig, in Lausanne (MCBA) wurde am 3. Oktober 2019 neu eröffnet. um im Triumvirat erfolgreich in die Zukunft zu gehen ? Weit über 80 000 Besucherinnen und Besucher aus dem In- und BF Als am Allerwichtigsten erachte ich die grösstmögliche Freiheit Ausland haben Sie seither verzeichnet, das sind etwa 1000 pro aller drei Museen. Eine Stärkung der Identität jedes Museums Tag. Ein wenig schwingt Bewunderung mit, wenn ich Sie frage : führt dazu, dass wir uns gut ergänzen. Lockere Strukturen also. Wie macht man das ? Die Lust, zusammenzuarbeiten, besteht schon. Wir haben einige BERNHARD FIBICHER Diese höchst erfreuliche Besucherzahl resultiert Male bewiesen, dass wir das können. Kurz : Wir müssen unsere aus einem Mix aus Architektur-Touristen, Kulturinteressierten Verschiedenheiten pointieren, aber auch interdisziplinär denken und ganz einfach Neugierigen, die einen Blick in den seit etwa 10 – was nicht bedeutet, dass alle alles machen ! Jahren im Gespräch stehenden Bau werfen wollten. Den Leuten MTC Gegenüber dem früheren Standort verfügt das Museum über hat nicht nur die gleichzeitig strenge und elegante Architektur mit dreimal mehr Ausstellungsfläche. Dieser Umstand erweitert die idealen Räumen für die Kunst gefallen, sondern auch die Er- Möglichkeiten für kommende Ausstellungen enorm. Was werden öffnungsausstellung, die 350 Schenkungen thematisch präsen- Sie mit diesem Potenzial anfangen ? tierte. Viele Besucher haben uns versichert, dass sie für die nächs- BF Wir haben dieselbe Ausstellungsfläche von 1200 m² für Wechsel- te Ausstellung Wien 1900 wieder kommen würden. ausstellungen zur Verfügung wie im Altbau, in dem wir seit den 6
Bernhard Fibicher 1940er-Jahren nur noch Wechselausstellungen veranstaltet haben. MTC Neben dem Ausstellungsformat Espace Focus, das dreimal jährlich Das zusätzliche Raumangebot dient vor allem der Sammlungs- die Sammlung unter verschiedenen Aspekten ins Zentrum stellt, präsentation, aber auch neuen Ausstellungsformaten wie dem wird es im neuen Museum einen weiteren Schwerpunkt geben, Projektraum (Espace Projet) im Erdgeschoss. nämlich den Espace Projet. Wie soll diese Plattform helfen, das MTC Mehr Fläche schafft natürlich auch Platz für Ankäufe und junge und zeitgenössische Kunstschaffen der Region Lausanne Sammlungserweiterungen. Wohin steuert die Sammlung unter bekannt zu machen? Ihrer Ägide? BF Kunst aus der Region wird im Projektraum nur im Zusammenhang BF Unsere Sammlung besteht aus beinahe 11 000 Werken, darunter ca. mit den Kunstpreisen (Manor, Buchet) gezeigt. Espace Projet ist 6000 Arbeiten auf Papier. Unsere wichtigsten historischen Bestände unsere kleine Kunsthalle, die einem Manko im Kanton Waadt ent- (mit mehr als hundert Arbeiten) stammen von Künstlerinnen und springt: Es gibt kein eigentliches Angebot für Ausstellungen mit international bekannten Künstlerinnen und Künstlern. Als erste zeigen wir die Russin Taus Makhacheva, dann folgt der Argentinier Jorge Macchi und anschliessend die Manor-Kunstpreisträgerin Anne Rochat, die Waadtländerin ist. MTC Reden wir noch ein wenig von Zahlen. Der Neubau des MCBA kostete 83,4 Millionen Franken – ein relativ bescheidener Be- trag, wenn man ihn in Vergleich zu anderen Museumsneu- oder « Es ist uns wichtig, dass erweiterungsbauten setzt. Interessant ist aber, dass 34 Millio- nen Franken – also über 40% – von Privaten zusammengebracht so viele Menschen wie wurden. Ist Lausanne von speziell grosszügigen Menschen be- siedelt, die sich ihrer Verantwortung der Kunst gegenüber be- sonders bewusst sind ? möglich – Menschen aller BF Lausanne kann man punkto Privatunterstützung von Kultur nicht mit Zürich, Basel oder Winterthur vergleichen. Diese mä- Altersstufen und jeg- zenatische Tradition gibt es bei uns nicht. Ich glaube, dass eben diese einmalige Gelegenheit, sich dem Kanton gegenüber er- kenntlich zu zeigen, den Erfolg dieser Public-Private Partner licher sozialer Herkunft – ships ausgemacht hat. Dem Kanton Waadt geht es finanziell sehr gut; er kann und will in die Kultur investieren und es gelingt ihm, so oft wie möglich MTC Mäzene und Sponsoren in diese Dynamik einzubinden. Kein Eintrittsgeld für die erste grosse Ausstellung zur Eröffnung, in Zukunft sind auch alle weiteren Sammlungsausstellungen unser Museum besuchen (Espace Focus) sowie die Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunstszene (Espace Projet) gratis. Wie ist diese generöse Idee können. » BF zustandegekommen? Und wie werden Sie diese «entgangenen» Einnahmen künftig gegenfinanzieren ? Diese Gratiseintritte nach dem englischen Vorbild wurden durch unseren Staatsrat bewilligt, im Wissen, dass ein öffentliches Mu- seum ein wichtiges gesellschaftsförderndes Bildungsinstitut ist. Es ist uns wichtig, dass so viele Menschen wie möglich – Men- schen aller Altersstufen und jeglicher sozialer Herkunft – so oft wie möglich unser Museum besuchen können. Eine stattliche Subvention des Kantons in der Höhe von 80–85% des Jahres- Künstlern wie Louis Ducros, Charles Gleyre, Théophile-Alexandre budgets macht dies möglich. Steinlen, Félix Vallotton, Louis Soutter, Aloïse, René Auberjonois MTC Seit dem 14. Februar ist Wien zu Gast in Lausanne, unter anderen und Ernest Biéler. Daneben besitzen wir einzelne Werke inter- mit Schiele, Klimt und Kokoschka. Ist dies eine ganz bewusste nationaler Künstlerinnen und Künstler wie Cézanne, Degas, Setzung im Ausstellungsangebot des MCBA ? Rodin sowie zeitgenössische Werke von Boltanski, Raetz, Broodt BF Es ging uns darum, das Publikum mit einer Ausstellung bekannter haers und Nauman. In den letzten 10 Jahren durften wir mit Sou- Künstler an unser Museum zu binden. Gleichzeitig wollten wir lages, Penone, Kapoor, Kentridge, Nevelson oder Rebecca Horn das östliche Gegenstück zur Art Nouveau französischer Prägung grossartige Schenkungen entgegennehmen, die vor allem unsere zum ersten Mal in der französischsprechenden Schweiz präsen- zeitgenössische Sammlung gestärkt haben. Das hat zu neuen star- tieren. Paris um 1900 (mit Steinlen oder Grasset etwa, die in ken Setzungen geführt – zum Beispiel im Bereich der arte povera unserer Sammlung sehr gut vertreten sind) hatte in den letzten mit Giuseppe Penone, Mario Merz und Luciano Fabro. Wir ver- Jahren im alten Museum prominente Auftritte. suchen einerseits, Lücken zu füllen (so suchen wir etwa eine MTC Und zu guter Letzt: Welches ist Ihr Lieblingsbild aus der reichen Kriegslandschaft von Vallotton), oder aber Neuland zu betreten Sammlung des Musée cantonal des Beaux-Arts, das Sie bei sich (durch die Annahme einer Schenkung von zwei Aborigines-Ge- zuhause über das Sofa hängen würden ? mälden). Besonders wichtig erscheint mir die Flexibilität und BF Leider habe ich eine Fensterfront hinter meinem Sofa … Museale Öffnung gegenüber Kunst aus aller Welt – im Wissen, dass wir nie Werke sollen im Museum gezeigt werden. Ich könnte mir aber gut ein enzyklopädisches Museum sein werden, aber im Bewusstsein vorstellen, mit den Holzschnitten Intimités von Vallotton zu der globalen Vernetzung der Schweiz : politisch, wirtschaftlich leben. b Das Interview führte Maria-Teresa Cano, Leiterin Kom- und eben auch kulturell. munikation und Öffentlichkeitsarbeit. 7
Thematisch Von Künstlerinnen und Kunstgeschichte Ein Gespräch Lee Krasner im Zentrum Paul Klee, Teruko Yokoi im Kunstmuseum Bern : Zeitgleich sind in Bern zwei monografische Ausstellungen über Künstlerinnen zu sehen. Beide Frauen – Krasner und Yokoi – über- wanden die Marginalisierung durch die Kunst geschichte. Die Kuratorinnen Fabienne Eggelhöfer und Marta Dziewańska sprechen über die Lebens- wege dieser Künstlerinnen und erklären, weshalb die Kategorien, die wir in der Kunstgeschichte haben, im Grunde nicht funktionieren. 8
Von Künstlerinnen und Kunstgeschichte Ein Meilenstein im Leben von Lee Krasner wie auch Teruko Yokoi war und Asiatin orientalisch und exotisch zugleich. Ausserdem sprach ihre Zeit an der Hans Hofmann School of Fine Arts in New York. Sie sie nicht sehr gut Englisch, sodass es verschiedene Ebenen der sind sich dort zwar nie begegnet — Krasner studierte fast zwanzig Marginalisierung gab. Jahre vor Yokoi —, beide entwickelten ihre künstlerische Sprache FE Ja, Lee Krasner war viel weniger ausgegrenzt als Teruko Yokoi : Sie aber wesentlich im Spannungsfeld der Künstlergruppe, die der deut stand im Zentrum eines der aktivsten künstlerischen Zirkel der sche Maler und Lehrer um sich geschart hatte. damaligen Zeit. Als Frau befand sie sich zwar immer noch ausser- MARTA DZIEWAŃSKA Teruko Yokoi reiste 1954 mit dem Schiff von halb des männlichen « Mainstreams », war aber dennoch eine Japan in die USA, nach San Francisco, was eine sehr mutige Ent- wichtige Stimme und extrem ausdrucksstark. Ebendas wollen wir scheidung war. Ab 1955 studierte sie bei Hans Hofmann in New zeigen : Der Schwerpunkt der Ausstellung im Zentrum Paul Klee York. Sie war eine junge, sehr ehrgeizige Studentin. Mehr noch : liegt auf den späten 1950er-Jahren und der Zeit danach, in der Lee Sie war fest davon überzeugt, etwas zu sagen zu haben und eine Krasner wusste, was sie tun und wohin sie mit ihrer Kunst gehen wichtige Künstlerin werden zu können. Und tatsächlich galt sie wollte. Die Jahre, in denen sie nach ihrem eigenen künstlerischen bald als sehr talentiert. Ausdruck suchte, sind in der Ausstellung nicht zu sehen. FABIENNE EGGELHÖFER Zur damaligen Zeit verlagerte sich die Kunst- MD Die Ausstellung über Teruko Yokoi im Kunstmuseum Bern kon- metropole von Paris in die USA, vor allem nach New York. Teruko zentriert sich auf das Gegenteil : Die 1950er- und 1960er-Jahre Yokoi muss erkannt haben, dass New York die erste Adresse für waren die Jahre, in denen sie am meisten um ihre eigene künst- Künstlerinnen und Künstler war, und sie studierte – wie Lee Kras- lerische Sprache rang. Als Kind eines Kalligrafen hatte sie eine ner und viele andere Künstler – bei Hans Hofmann. ausgesprochen traditionelle Ausbildung durchlaufen, wurde aber Trotz ihres Talents und ihres starken Charakters wurden sowohl gleichzeitig in den USA mit neuen Sprachen und Ausdrucks- Lee Krasner als auch Teruko Yokoi von der Gruppe der Abstrakten formen konfrontiert – vor allem nach den verheerenden Aus- Expressionisten marginalisiert : « Das ist so gut, man würde gar nicht wirkungen des Krieges. Diese Spannung zwischen den beiden denken, dass es von einer Frau gemalt wurde », urteilte Hans Hof Kulturen ist auf der materiellen Ebene ihrer Leinwand sichtbar : mann über Krasners Arbeiten. Und auch Yokoi befand sich in einer In den zarten japanischen Motiven, die von dieser stark abstrakt- Randposition — aufgrund ihrer Herkunft noch mehr als Krasner. expressionistischen Geste geprägt sind. Für mich ist dies die in- MD Es gab diesen Tross um Hans Hofmann, zu dem Teruko Yokoi teressanteste Phase ihres Werks. gehörte und in dem sie Sam Francis, Joan Mitchell, Franz Kline 1945 heiratete Lee Krasner den Maler Jackson Pollock. Sie hatten und andere Künstler traf, die sich um die damals berühmte Mar- sich einige Jahre zuvor kennengelernt, als Werke von beiden in der tha Jackson Gallery versammelten. In dieser Schar war sie als Frau McMillen Gallery in New York ausgestellt wurden. Als Pollocks Stern Links : Teruko Yokoi, um geben von ihren Werken im Chelsea Hotel, New York, 1959, © the artist Rechts : Lee Krasner um 1938, Fotograf : unbekannt 9
Von Künstlerinnen und Kunstgeschichte aufgestiegen war, wurde Krasners Werk lange Zeit von dem ihres Man FE All diese Kategorien, die wir in der Kunstgeschichte haben, funk- nes überschattet. Dennoch pflegten die beiden einen regen künstleri tionieren im Grunde nicht. Die ganze Geschichte ist viel komple- schen Austausch. Bei Teruko Yokoi und dem Künstler Sam Francis, den xer, viel fragmentierter, vielschichtiger und vielfältiger. Die Leute sie 1959 heiratete, war der Umgang mit ihr als Künstlerin ein anderer. drücken den Dingen gerne ein Etikett auf, weil es hilft, zu struktu- MD Teruko Yokoi begleitete Sam Francis zu allen Ausstellungs rieren und zu verstehen. Die Herausforderung für Museen besteht eröffnungen und er stellte sie Künstlern und Galeristen vor – als heute darin, die Kategorien zu untergraben – und zu sehen, was seine Partnerin, nicht als Künstlerkollegin. Angesichts ihrer man- passiert, wenn wir die Geschichte durch das Infragestellen des Be- gelnden Sprachkenntnisse war er ihr Tor zur Kunstwelt. Natürlich stehenden verändern. b Das Gespräch mit Fabienne Eggelhöfer, gab es einen Dialog, Fakt ist aber, dass Sam Francis sich in der Posi- Kuratorin der Ausstellung Lee Krasner. Living Colour, und Marta tion befand, dieser sehr starke Künstler in der Geschichte zu wer- Dziewańska, Kuratorin von Teruko Yokoi. Tokyo–New York–Paris– den, und sie nicht. Entdeckt wurde Teruko Yokoi schliesslich von Bern wurde aufgezeichnet von Martina Witschi, Volontärin Kom- Arnold Rüdlinger, dem damaligen Direktor der Kunsthalle Basel, als munikation und Öffentlichkeitsarbeit. er sie und Sam Francis zuhause in New York besuchte. Er sah einige von Terukos Werken und fragte Sam, mit dem er eng befreundet war, warum dieser nie erwähnt hatte, dass seine Frau Malerin war. Danach fand 1964 ihre erste grosse Ausstellung in Basel statt. FE Lee Krasner war bereits gut vernetzt, als sie Jackson Pollock kennen- lernte. Ihr Verhältnis änderte sich erst, als Pollocks Bekanntheit durch seine Action Paintings zunahm. Krasner entschied sich, im Hintergrund zu bleiben. Sie promotete ihn, aber gleichzeitig setzte sie ihre künstlerische Arbeit fort. Die Gerüchte, Pollock wolle nicht, dass sie malt, hielten sich hartnäckig, waren aber natürlich nicht wahr. Krasner betonte wiederholt, dass sie ihn verlassen hätte, wenn er ihr verboten hätte zu malen. Sie unterstützten sich gegen- seitig, tauschten sich aus und besuchten sich in ihren Ateliers. Die Hauptschwierigkeit bei der Konzeption von Ausstellungen über Künstlerinnen ist die Tatsache, dass es nebst ihren Werken kaum Quellen über sie gibt. Der Mangel ist das Ergebnis einer jahrzehnte langen einseitigen Geschichtsschreibung. Es ist nun die Aufgabe von Museen, Kunsthistorikerinnen und Kunstkritikern, das gegenwärtige Bild der Kunstgeschichte um weibliche Beiträge zu erweitern. MD Es gibt keine schriftlichen Zeugnisse über Teruko Yokois Leben und Werk. Ausserdem wurde viel verallgemeinert, weshalb ich versucht habe, die Auswahl der Werke einzuschränken und wirk- lich zu betrachten, was auf der Ebene der Leinwand passiert : Welche Spannungen lassen sich in den Bildern beobachten ? Wel- che Art von Austausch findet statt ? Die Ausstellung konzentriert sich auf die Geschichte der Künstlerin, die sich im Kontext grös- serer historischer und künstlerischer Erzählungen abspielt. Ich habe mich nie besonders dafür interessiert, die Kunstgeschichte aus der Sicht von Frauen zu erzählen. Ich denke, wir sollten viel- mehr das Bild der Kunstgeschichte, an das wir uns gewöhnt haben und das – nebenbei gesagt – von Männern geschrieben wurde, verkomplizieren. FE Lee Krasner ist ein Sonderfall, doch es gibt viele Künstlerinnen, bei denen man Mühe hat, Material wie Interviews, Texte oder Rezensionen ihrer Ausstellungen zu finden. Es gibt keine mono- grafischen Darstellungen, und je weniger Informationen es gibt, « Kunstgeschichte ist desto weniger werden diese Künstlerinnen in einem komplexeren kunsthistorischen Kontext rezipiert und gelesen. Da ist noch eine komplizierter als das, MD Menge Grundlagenforschung zu betreiben. Ausserdem ist es wichtig, mit den vorhandenen Wissensfrag- menten über Künstlerinnen zu arbeiten. Nicht nur, um ihre Ge- was seit Jahrzehnten schichten zu erzählen, sondern auch um zu zeigen, dass Kunst- geschichte komplizierter ist als das, was seit Jahrzehnten gelehrt gelehrt wird. Wir müssen wird. Wir müssen versuchen, über die vorgegebenen Formate hinauszuschauen, um das Bild der Kunstgeschichte und des Abs- trakten Expressionismus in diesen speziellen Fällen zu ergänzen. versuchen, über die Ich beobachte nur allzu gern, wie die einstmals marginalisierten Geschichten – und sei es auch nur ganz sanft – an den gegebenen vorgegebenen Formate Kanons rütteln können. Geschichte ist nie ein Bericht, nie linear. Wir konstruieren sie ständig. hinauszuschauen. » 10
Hintergrund Paul Klee, Ohne Titel, 1939 (Vorderseite), Kleisterfarbe und Bleistift auf Papier, 20,4 × 29,5 cm Privatbesitz, Frankreich, © Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv Paul Klee, Gärtnerei b. München, 1910, 20, Feder auf Papier auf Karton, 11,8 × 28,8 cm, © Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv Neuentdeckungen im Werk von Paul Klee Das Schaffen von Paul Klee (1879—1940) mit Abbildung dokumentiert und lassen somit nach der Ausstellung erworben wurde – mög- fast 10 000 Werken ist gut dokumentiert. Wer einen fast lückenlosen Überblick über die ver- licherweise direkt bei Paul Klee – und sich seit- einen Blick in das Archiv und die Bibliothek schiedenen Werkphasen und die stilistische her in einer Berner Familie befand. des Zentrum Paul Klee wirft, wird sich beein Entwicklung des Künstlers zu. Bei einem anderen Beispiel handelt es sich druckt fragen, was es überhaupt noch zu Trotzdem hofft die Klee-Forschung, die um ein einfarbiges Werk, beidseitig mit einer entdecken gibt. Im neunbändigen Werkver Lücken zumindest teilweise noch füllen zu Darstellung aus der Spätzeit von Klee. Es zeichnis findet sich aber hin und wieder können, und die bisherigen Neuentdeckungen stammt nachweislich aus dem Besitz von Petra eine Lücke, ein fehlendes Mosaiksteinchen. bestärken uns in dieser Hinsicht. In den letz- Petitpierre, einer Schülerin Klees am Bauhaus ten 15 Jahren kamen immerhin 82 Werke zum in Dessau und der Kunstakademie in Düssel- Das umfassende Wissen über Klees Werk ver- Vorschein, die eindeutig einem registrierten dorf. Petra Petitpierre lebte seit 1934 in Mur- danken wir nicht allein einer intensiven Werk in Klees Œuvre-Katalog zugeschrieben ten und Paul und Lily Klee besuchten sie 1939 Forschungsarbeit nach dem Tod des Künstlers, werden konnten. Durch Besitzwechsel oder mehrmals während eines knapp zwei Monate sondern auch Klee selbst, der mit seinem hand- Auflösung einer Privatsammlung kommen dauernden Aufenthalts in Faoug am Murtensee. schriftlichen Œuvre-Katalog bereits zu Leb- immer wieder unerwartet Arbeiten ans Licht, Vermutlich schenkte Klee seiner ehemaligen zeiten eine Werkübersicht geschaffen hat. In die man bereits als verschollen oder als im Schülerin spontan die frisch entstandene Zeich- akribischer Weise listete er seine Werke auf 2. Weltkrieg zerstört glaubte. nung, was erklären würde, weshalb sich kein und versah sie mit Nummern und Titeln. So Zu diesen erfreulichen Entdeckungen ge- passender Eintrag in seinem Œuvre-Katalog haben wir auch Kenntnis von Werken, die bis hört die Federzeichnung Gärtnerei b. München finden lässt. Petra Petitpierre musste die Zeich- heute unbekannt sind – wir wissen nichts über von 1910, die uns im Herbst des vergangenen nung später aus finanziellen Gründen ver- deren Verbleib und Aussehen. Jahres zur Expertise vorgelegt wurde. Klee ver- äussern. 2017 tauchte das Blatt in französischem Als die mehrjährige Arbeit am Werkver- zeichnete sie in seinem handschriftlichen Œu- Privatbesitz auf und wurde im Zentrum Paul zeichnis mit der Publikation der neun Bände vre-Katalog als Nr. 20 des Jahres 1910 mit dem Klee expertisiert. b Eva Wiederkehr Sladeczek des Catalogue raisonné im Herbst 2004, ein Titel Gärtnerei Bauer mit der Bäumchenreihe, ist Leiterin Archiv und Dokumentation des halbes Jahr vor Eröffnung des Zentrum Paul als Technik notierte er Feder auf Ingres. Dieses Zentrum Paul Klee. Klee, abgeschlossen war, gab es unter den Werk wurde im Rahmen einer Wanderaus- 8927 Werken, die Klee in seinem Œuvre-Kata- stellung in Bern, Zürich, Winterthur und Basel log verzeichnet hatte, noch 480 unbekannte von August 1910 bis Ende Januar 1911 aus- Werke. Mit andern Worten : Rund 95 % des gestellt. Danach ist es nicht mehr an die Gesamtwerks sind zumindest in Form einer Öffentlichkeit gelangt. Vermutlich, weil es kurz 11
Jubiläum Das Zufallende ist mehr als nur ein schöner Zufall Der Berner Künstler Aljoscha Ségard feiert in Glaskästen, andererseits grossformatige Kohle- dies auf den Punkt ; der Punkt ist jedoch wie- diesem Jahr seinen 80. Geburtstag. Ségard zeichnungen. So verschieden die beiden Werk- derum voller Offenheit : ist der Enkel von Paul Klee. Mit Leihgaben und stränge auf den ersten Blick auch sein mögen, seiner Unterstützung hat er mit dazu bei so sehr sind sie die Essenz eines langjährigen « BUCHSTABEN getragen, dass 2005 das Zentrum Paul Klee Schaffens und Suchens. In den Kästen lässt AUF EIN BLATT GEWORFEN eröffnet werden konnte. Ségards eigen der Künstler kleine Dinge zusammenkommen, IM SCHWINDENDEN LICHT ständigem Werk ist zum Jubiläum eine Aus die ihm im Alltag aufgefallen sind. Zettelchen EIN LETZTES GEDICHT. » stellung gewidmet. können das sein, Relikte, die es an einen Strand geschwemmt hat, oder einfach Farb- Dies Haiku-artige ist der Kern von Ségards Paul Klee starb 1940. Im selben Jahr wurde stiftstummel. So entstehen, nur scheinbar Werk. Nicht zufällig. Denn die japanische Alexander Klee in Sofia geboren. 1948 kam er beiläufig, poetische Reliquienkästchen voller Tradition ist für den Klee-Enkel ebenso wich- in die Schweiz. Damals war der Name Klee Assoziationen, die manchmal durch beigefügte tig wie die europäische. Nach Japan kehrt noch wenigen ein Begriff. Alexander Klee Wörter noch erweitert werden. Dabei bleibt er immer wieder für längere Zeit zurück. b machte eine Lehre als Fotograf, später arbeite- immer ein Geheimnis, das den Reiz der Dinge Konrad Tobler ist freier Autor, Kulturjournalist, te er als Pressefotograf und Buchhändler. Er erhöht. Kunst- und Architekturkritiker. machte sich 1976 als freischaffender Künstler Das Geheimnisvolle prägt auch die selbstständig – unter dem Künstlernamen Kohlezeichnungen. Zu sehen sind sehr rhyth- In der Edition Till Schaap erscheint Aljoscha Ségard. Das gab ihm mehr Freiheiten, misch gesetzte Linien, die sich zu Figuratio- aus Anlass der Ausstellung eine reich sein eigenes Werk zu entfalten. Mit seinem nen verdichten, teils zu tief schwarzen Flä- illustrierte Publikation mit Texten von Grossvater verbinden ihn künstlerisch min- chen, teils zu schriftähnlichen Erzählungen, Fabienne Eggelhöfer und Konrad Tobler. destens drei Eigenschaften, allerdings in ganz die nicht in Worte zu fassen sind, zumal auch eigener ästhetischer Ausprägung : das Hinter- Leerflächen eine wichtige Rolle spielen. Zentrum Paul Klee sinnige, das Witzig-Poetische und die Freude So fallen Ségard die Dinge zu – als Bilder. Aljoscha Ségard am Zusammenspiel von Bild und Wort. Aber dieses Zufallen ist kein Zufall. Denn nur 28.06.—23.08.2020 Seit einigen Jahren arbeitet Ségard vor wer das Auge und den Sinn dafür hat, sieht, Aljoscha Ségard in allem an zwei Werkgruppen. Da sind einer- was die Dinge, die da zufallen, besagen könn- seinem Atelier. seits Ding-Assemblagen in kleinen schwarzen ten. In einem kleinen Text bringt der Künstler Foto : Monika Flückiger 12
Fruchtland Digital Lob Paul Klee der Vielfalt 4.0 Kunst, Kultur, Natur: Die Verbindung und die gegenseitige Beein Die Chance erkannt, ergriffen und zugepackt, könnte man sagen. flussung dieser drei Bereiche wird im Rahmen von FRUCHTLAND Das Zentrum Paul Klee wird sein erstes Digitorial zur Ausstellung im Zentrum Paul Klee seit 2015 untersucht, genutzt und in ganz Mapping Klee umsetzen. Wie wollen wir die Geschichte von Paul unterschiedlichen Projekten umgesetzt. 2020 liegt der Fokus auf Klees Reisen erzählen ? Wie viel Interaktion braucht es, um den der Artenvielfalt. Mit einer Obstbaumgilde erhält das Zentrum Nutzern ein spannendes, aber nicht überladenes (Reise-)Erlebnis Paul Klee seine eigene Permakultur. zu verschaffen ? Diesen Fragen stellt sich unser Team. Schritt für Schritt wird im und vor allem um das Zentrum Paul Klee Ein Digitorial ist Teamwork. Ein Digitorial dient der Kunstvermittlung, im Rahmen von FRUCHTLAND die Biodiversität gefördert und ersetzt aber keine Führung, geschweige denn den physischen Besuch durch verschiedenste Massnahmen gesteigert. Dies geschieht in der der Ausstellung. Es ist ein Marketinginstrument, ohne dem Plakat die Überzeugung, dass Biodiversität ein wichtiger Teil einer nachhaltig- Schau zu stehlen oder Ersatz für den Webauftritt sein zu wollen. Ein ökologischen Bewirtschaftung von Natur und Landschaft ist. Mit Digitorial ist ein Onepager, eine Microsite. Eine kurze Einführung in die Kopfsteinpflaster mit Sand, Trockenmauern, Böschungsabbrüchen, Ausstellung, die vor deren Besuch und für jeden zugänglich sein soll. Es Steinhaufen und Totholz, der Verwendung von Natursand anstelle liefert Hintergrundinformationen und Kontext zu den Werken, zur von Kies, Brachflächen, auf denen die Pflanzen stehen bleiben, sowie Epoche, den Künstlerinnen und Künstlern. Bestenfalls ist ein Digitorial sandigen oder begrünten Bewirtschaftungswegen werden arten- so informativ, dass Nutzerinnen und Nutzer bei ihrem Besuch nur noch reiche Biotope geschaffen, die allerhand Tieren und Pflanzen eine durch die Ausstellung flanieren und die Werke geniessen können. Lebensgrundlage bieten. Zudem wurden im Umland des Zentrum Paul Klee spezifische Pflanzen als Nahrung für Schmetterlingsraupen Digitale Zukunft sowie Bienen- und Schmetterlingsweiden angelegt. Von den Mass- Vorgemacht haben es das Städel Museum, die Liebieghaus Skulpturen- nahmen profitieren Wildbienen und die einheimischen Dunklen sammlung und die Schirn Kunsthalle Frankfurt. Das Digitorial® ist eine Bienen des Zentrum Paul Klee, Schmetterlinge und weitere Insekten Marke und wurde als digitales Vermittlungsangebot von den drei und damit das ganze Ökosystem – also auch wir Menschen. Frankfurter Häusern konzipiert und vielfach realisiert. Für das Zent- 2020 entsteht in Kooperation mit Tobias Messmer von der rum Paul Klee ist dies das erste Angebot in dieser Art. 2018 haben wir Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften uns in einem Open Call für Digitorials unter dem Motto « Museen und HAFL der Berner Fachhochschule in Zollikofen eine sogenannte die digitale Zukunft » beworben. Nach einem erfolgreichen Pitch vor Baumgilde rund um einen Obstbaum auf dem Areal des Zentrum Paul einem Jahr bekamen wir den Zuschlag. Das Projekt wird von maze Klee. Eine Baumgilde ist eine Permakultur – eine dauerhafte Land- pictures swiss in Kooperation mit den oben genannten Museen durch- wirtschaft. Die Permakultur zielt auf ein gesundes, standort- geführt und von Engagement Migros, dem Förderfonds der Migros- angepasstes und ressourceneffizientes Ökosystem ab. Mit alten und Gruppe, unterstützt. Nun gehen wir gemeinsam einen wichtigen neuen Anbaumethoden aus der ganzen Welt entstehen meist klein- Schritt in Richtung digitale Zukunft. räumige Permakulturen. Unter der Verwendung von einheimischen und fremdländischen Wild- und Kulturpflanzen wird eine möglichst Virtueller Zugang hohe Vielfalt angestrebt. Dies kann eine Mischung aus Kräutern, Museen sammeln, bewahren, erforschen, zeigen und vermitteln. Sie Beeren, Gemüse und Blumen sein. Im Idealfall handelt es sich um sind öffentlich zugänglich, aber nicht jeder hat die Möglichkeit, sie zu mehrjährige Pflanzen, sodass der Aufwand für den Unterhalt der besuchen. Da oft auch nicht genug Platz zur Verfügung steht, können Permakultur möglichst gering ist. Eine Permakultur pflegt die Natur Museen meist nicht all ihre Schätze zeigen. Die Digitalisierung erlaubt und Landwirtschaft genauso, wie sie die Lebensqualität steigert. Und es mittlerweile Interessierten auf der ganzen Welt, die Sammlungen für das Zentrum Paul Klee ist besonders interessant, dass in der Ge- einiger Museen online anzuschauen. Sind diese auch noch ansprechend staltung zugleich Wert auf Ästhetik gelegt wird. kuratiert, erlauben sie ein virtuelles Flanieren. Für uns heisst dies, dass Bei der Baumgilde entsteht die Permakultur rund um einen wir uns nach verschiedenen Workshops nun an die Überarbeitung des Baum. Die verschiedenen angelegten Pflanzen unterstützen den Konzepts für das Storytelling des Digitorials Mapping Klee machen. Baum und fördern sein Wachstum. Auf dem Areal des Zentrum Paul Das Projekt geht in die Umsetzungsphase, die Komponenten und das Klee wird die Baumgilde rund 30 m² Fläche unter einem Obstbaum Design werden bestimmt, um die Nutzer auf eine spannende Reise mit einnehmen. Eventuell wird Tobias Messmer – ganz im Sinne von Paul Klee mitzunehmen. b Maria Horst ist Verantwortliche Digitale FRUCHTLAND – gar eine Brücke zwischen Natur und Kunst schla- Kommunikation. gen und sich bei der Bepflanzung von Werken von Paul Klee in- spirieren lassen. b Dominik Imhof ist Leiter Kunstvermittlung. Zentrum Paul Klee Digitorial Mapping Klee Zentrum Paul Klee Ab dem 30. April 2020 mit dem Digitorial zur Ausstellung FRUCHTLAND Natur Kultur Agrikultur spannende Einblicke in Paul Klees Reisen erhalten : Saisonstart mit den Agri-Kultur-Tagen ab Mai 2020 www.zpk.org/digitorialmappingklee 13
Gravity and Grace, 2010 (Ausschnitt) Aluminium, Kupferdraht 482 × 1120 cm, Collection of the artist, Nsukka, Nigeria, © El Anatsui. Courtesy of the artist and Jack Shainman Gallery, New York 14
Fokus EL ANATSUI DIE ERSTE RETROSPEKTIVE IN DER SCHWEIZ Kunstmuseum Bern 13.03.–21.06.2020 15
Fokus Kein grösseres Kunstmuseum in der Schweiz hat bisher einer westafrikanischen Künstlerin oder einem westafrikanischen Künstler eine Einzelausstellung gewidmet. Umso erfreulicher ist es für das Kunstmuseum Bern, die umfang reiche Retrospektive El Anatsui . Triumphant Scale (konzipiert und organisiert vom Haus der Kunst München) nach Bern zu holen und den ehrwürdigen Stettlerbau an der Hodlerstrasse in neue Dialoge mit grossformatigen Reliefs und Skulpturen zu bringen. Vom berühmten ghanaischen Künstler El Anatsui (*1944, Anyako, wollte Enwezor seit langem ein Buch über den künstlerischen Werde- Ghana) wurden zwar schon verschiedentlich Arbeiten in der Schweiz gang El Anatsuis schreiben. Als er dann 2011 als Direktor ans Haus der gezeigt – unvergessen sind seine monumentalen Metallgewebe an der Kunst nach München kam, rückte auch eine Ausstellung in greifbare Art Unlimited 2016 in Basel. Doch noch nie präsentierte eine Werk- Nähe, die schliesslich knapp vor seinem Tod im Frühling 2019 zu- schau in solchem Umfang Anatsuis lebenslanges Forschen über inno- stande kam. vative skulpturale Formen in verschiedensten Materialien und sogar Okeke-Agulu besuchte uns im Januar, um die provisorische Plat- Medien. Papier, Holz, Metall und Keramik sind seine Werkstoffe. Ana- zierung der Werke, die ich für die Ausstellung im Kunstmuseum Bern loge und digitale Verfahren, der Griff zu neuen und gebrauchten vorgenommen hatte, zu begutachten. Er freute sich über die dritte Materialien, kollektive und individuelle Vorgehensweisen bilden die Station, die nochmals eine andere räumliche Rahmung bietet als die Palette seiner künstlerischen Strategien. Dabei steht stets sein Be- faschistische Architektur in München oder das umgestaltete ehemalige streben im Mittelpunkt, nicht nur vorrangig mit denjenigen Materia- Schulhaus von MATHAF (Arabisches Museum für Moderne Kunst) in lien zu arbeiten, welche die Umgebung selbst hergibt, sondern auch Doha (Katar). Unser Stettlerbau wurde 1878 in einer Zeit erbaut, in eine skulpturale Form zu (er-)finden, die definiert und doch ver- welcher der Kolonialismus in vollem Schwung war. Es war einige Jahre änderbar bleibt. Gerade im Feld der zeitgenössischen Skulptur, in vor der berühmten « Kongokonferenz » in Berlin (15. November 1884 dem zurzeit so viel Überraschendes zu entdecken ist, erscheint das bis 26. Februar 1885), während der auf Einladung des deutschen Werk des 76-Jährigen von beeindruckender Frische und beharrlicher Reichskanzlers Bismarck der afrikanische Kontinent unter den Innovationskraft. Kolonialmächten aufgeteilt wurde. Ungeachtet von ethnischen oder Der ghanaische Künstler ist eine Ausnahmeerscheinung in jeder kulturellen Territorien wurden dabei zum Teil mit dem Lineal nur im Hinsicht. Die Länge und der Umfang seiner Karriere sind genauso er- Hinblick auf europäische Wirtschaftsinteressen Grenzen neu gezogen. staunlich wie der Umstand, dass er in der postkolonialen Umbruchzeit Das Museumsgebäude an der Hodlerstrasse erlaubt eine quasi physi- in Ghana seine künstlerischen Vorprägungen abschütteln konnte, um sche Verbindung zu jener historischen Phase in Europa, die nicht nur zu einem genuin eigenen, zeitgenössischen Schaffen zu gelangen, das für einen verschärften Kolonialismus in Afrika steht, sondern auch für den Klischees über « afrikanische Kunst » widerspricht und den Blick den Anfang seines Niedergangs. konsequent auf das Gegenwartsbezogene lenkt. Dies ist nur eine der Verbindungen zu den (post-)kolonialen Das Kuratorenteam – bestehend aus Okwui Enwezor und Chika Wurzeln afrikanischer Gegenwartskunst, denen auch im Rahmen- Okeke-Agulu – hat dafür gesorgt, dass die umfangreiche Werkschau programm nachgegangen wird. Zwar besass die Schweiz selbst nie von München ausgehend um die ganze Welt tourt. Dass es gleichzeitig Kolonien, doch gab es vielfältige Handels- und Forschungsbeziehungen die letzte Ausstellung des nigerianischen Ausnahmekurators Okwui zwischen der Schweiz und den Kolonialmächten. Allerdings kommt Enwezor wurde, verleiht dem Vorhaben zusätzlich Bedeutung. Zu- ihre historische Aufarbeitung – wie etwa der Film African Mirror (2019, sammen mit Chika Okeke-Agulu, der selbst Künstler ist und zudem in Mischa Hedinger) über René Gardi kürzlich zeigte – erst langsam im Princeton, USA, afrikanische Archäologie und Kunstgeschichte lehrt, öffentlichen Bewusstsein an. 16
Tiled Flower Garden, 2012 Aluminium, Kupferdraht Masse variabel, Collection of the artist, Nsukka, Nigeria 17
Omen, 1978 Keramik, Mangan 39 × 42 cm, Courtesy of the artist and Jack Shainman Gallery, New York, © El Anatsui 18
El Anatsui « Der Künstler entfesselt ein Fest der Farben, Texturen und Glanzlichter in unserem selbst an Schmuck nicht armen Stettlerbau. Es ist sofort einsichtig, weshalb seine Kunst auch Menschen anspricht, die sonst nichts mit Gegenwartskunst am Hut haben. » El Anatsuis Kunst beginnt sich in den 1960er-Jahren parallel zur schritt- bezaubern, beeindrucken, verlocken und faszinieren. Sie führen zualler- weisen Befreiung der afrikanischen Länder von ihren kolonialen Regie- erst die poetische und ästhetische Macht der Kunst vor Augen, bevor sie rungen zu entwickeln. Zentral war für ihn damals die Frage, was nach in anspielungsreichen Titeln auf Geschichte, Philosophie und Politik diesen Jahrzehnten der Abspaltung von der eigenen Kultur « afrikani- verweisen wie etwa Kammern der Erinnerung, Einladung zur Geschichte, sche Gegenwartskunst » sein könnte ? Was wollte er – schon 1975 als Auf ihrer schicksalhaften Reise ins Nirgendwo oder Schwerkraft und Anmut. Lehrer an die Fakultät für Schöne und Angewandte Künste der Uni- Anatsuis Kunst richtet den Blick in undogmatischer Weise auf universell versität von Nigeria in Nsukka berufen – aus den handwerklichen Tra- menschliche Erfahrungen wie den Umgang mit Geschichte oder Er- ditionen und verschiedenen kulturellen Auffassungen schöpfen ? Dieser innerung – und auf die Frage nach der Orientierung in einer zunehmend Anfangsimpuls war wichtig, doch zeigt sein umfangreiches und faszinie- komplexen Welt. rendes Werk, dass er sich längst auch weiteren Themen wie dem Um- Für Chika Okeke-Agulu liegt genau darin die Herausforderung in gang mit Geschichte und natürlichen Ressourcen oder formalen An- der Präsentation und Vermittlung der Ausstellung. « Das Afrikanische » liegen zugewendet hat. in Anatsuis Kunst sollte von sekundärer Bedeutung sein. Mir fällt eine Bei seinem Arbeitsbesuch im Januar nahm Chika Okeke-Agulu nur Szene bei der Pressekonferenz im Haus der Kunst in München ein, als wenige Änderungen in der Platzierung der Werke vor. Der Fokus der Journalisten daran zweifelten, dass sie Anatsuis Kunst verstehen könn- Ausstellung ist ganz auf die formale Entwicklung und die künstlerischen ten, ohne Afrikaner zu sein. Für Okeke-Agulu, der 1993 zusammen mit Strategien von El Anatsui gerichtet. Die Metallgewebe oder bottle cap- Okwui Enwezor die Kunstzeitschrift NKA für afrikanische Gegenwarts- Arbeiten, für die der Künstler bekannt geworden ist, sind eine logisti- kunst gegründet hat, ist die hiesige Neigung unverständlich, auf afrika- sche Herausforderung. Ihre «triumphale» Grösse – Formate von 5 mal nische Traditionen und Bräuche zurückzuverweisen, wenn von zeit- 10 Metern sind keine Seltenheit – ist das eigentliche Thema und bringt genössischer afrikanischer Kunst die Rede ist. Er wünscht sich, dass es auch unser Gebäude an seine Kapazitätsgrenzen. Die Werke verkörpern eine Selbstverständlichkeit wird, afrikanische Gegenwartskunst zu be- Gegensätzliches und bringen herkömmliche disziplinarische Kategorien trachten (und zu zeigen), genauso wie asiatische, arabische oder euro- ins Wanken : Sie stammen aus steifem Metall und fallen zugleich weich päische. Schliesslich sei die Frage, was ein Werk zeitgenössisch macht, wie gewobene Stoffe, sie beanspruchen auf fast aggressive Weise Raum viel wichtiger als die Frage, welche Sprache jemand zuhause spricht. und sind doch filigran wie ein Papierschnitt. Sie erinnern an kostbare Antworten kann man vom 13. März bis 21. Juni täglich im Kunstmuseum Textilien und wirken letztlich wie monumentale Architektur. Bern finden. b Kathleen Bühler ist die Kuratorin der Ausstellung. Innerhalb der Gegenwartskunst entfalten Anatsuis Metallreliefs dieselbe immersive Wirkung wie eine raumumspannende Video- Kunstmuseum Bern installation. Der Künstler entfesselt ein Fest der Farben, Texturen und El Anatsui. Triumphant Scale Glanzlichter in unserem selbst an Schmuck nicht armen Stettlerbau. Es 13.03.—21.06.2020 Seite 15: El Anatsui, ist sofort einsichtig, weshalb seine Kunst auch Menschen anspricht, die Eröffnung: Donnerstag, 12. März 2020 Haus der Kunst, 2019, sonst nichts mit Gegenwartskunst am Hut haben. Anatsuis Werke 18.30 Uhr Foto: Maximilian Geuter 19
Ausstellung Auf den Spuren eines Reisenden Im Sommer 2020 drehen sich gleich zwei Ausstellungen im Zentrum Paul Klee um das Thema Reisen – die Klee-Ausstellung Mapping Klee sowie parallel dazu die Ausstellung Aufbruch ohne Ziel. Annemarie Schwarzenbach als Fotografin. Wozu reist der Mensch, und insbesondere die Künstlerin oder der Künstler ? Welchen Reiz und welches Erkenntnispotenzial verspricht die Begegnung mit dem Unbekannten ? Die Ausstellung Mapping Klee zeichnet anhand von Klees Reisen seine künstlerische Laufbahn nach. Und zeigt auf, wie sich Klee von der Fremde inspirieren liess. Zentrum Paul Klee Paul Klee und Hermann 21.05.– 04.10.2020 Haller in Rom, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee 20
Mapping Klee Paul Klee, Côte de Provence 1, 1927, 229, Aquarell auf Papier auf Karton, 23,2 × 30,6 cm Zentrum Paul Klee, Bern Paul Klee liebte das Reisen. Er reiste zur Er- Künstlers örtlich, geografisch und kulturell zu Die Ausstellung wird durch einen dokumenta- holung von seiner Tätigkeit als Bauhauslehrer verorten – und den Besucherinnen und Be- rischen Teil erweitert, in dem anhand exemp- – aber auch zur Inspiration, zur künstlerischen suchern anhand des zentralen Motivs der larischer Fallstudien die « Reisen » der Bilder Bildung, zur Selbstfindung und zur Ver- Reise einen Gesamtüberblick über Leben und Klees nach seinem Tod nachgezeichnet wer- netzung mit anderen Künstlern und Galeris- Werk Paul Klees zu vermitteln. den. Eine Station wird sich beispielsweise der ten. Abgesehen von einzelnen Städtereisen Wie in einem Atlas macht die Ausstellung wichtigsten deutschen Klee-Sammlung in der nach Paris oder Berlin führte ihn das Fernweh sichtbar, welche Themen Klee an seinen unter- Kunstsammlung NRW in Düsseldorf widmen, jedoch zumeist ins milde Klima Südeuropas : schiedlichen Lebensstationen beschäftigt die in den 1970er- und 1980er-Jahren in einer nach Südfrankreich und Italien sowie nach haben – so beispielsweise die Auseinander- beispiellosen Welttournee global ausgestellt Nordafrika. setzung mit den Ordnungs- und Gestaltungs- wurde und für Deutschland von grosser Klee war kein klassischer Landschafts- prinzipien der Architektur auf seiner frühen kulturpolitischer Bedeutung ist. In einer wei- maler, der sich für eine unmittelbare Dar- Italienreise (1901–1902) oder die Faszination teren Station wird die 2019 durchgeführte stellung der Natur interessiert hätte und auf für geheimnisvolle Schriftzeichen und Hiero- Klee-Ausstellung in Brasilien dokumentiert, Reisen landschaftliche Motive suchte. Zwar glyphen während seines Ägyptenaufenthalts wobei auch ein neu produzierter Film zu fertigte Klee vor Ort häufig Skizzen oder (1928–1929). Die unterschiedlichen Statio- sehen sein wird, in dem die Besucherinnen Aquarelle an, doch die Bedeutung von Klees nen der Ausstellung beinhalten neben Werken und Besucher der Ausstellung ihre Begegnung Reisen für sein Werk geht weit über die vor aus der Sammlung auch zahlreiche Fotos, mit dem Werk Paul Klees reflektieren. Ort entstandenen Werke hinaus. Klee liess Filmaufnahmen und Ansichtskarten. Im Rahmen von Mapping Klee veröffent- sich unterwegs von der Intuition leiten und Wie viele Künstler der Moderne suchte licht das Zentrum Paul Klee auch sein erstes beobachtete Natur, Architektur und Men- Klee auf Reisen die Begegnung mit dem Exoti- «Digitorial» zum Ausstellungsthema. Digitori- schen sehr genau. Er machte Entdeckungen, schen, Fremdartigen und Archetypischen als als sind ein neuartiges digitales Vermittlungs- die er in seinen Tagebüchern und Briefen be- Gegenwelt zum Bekannten. Klee zeichnete angebot, das Bild, Ton und Text verbindet und schrieb, und nahm vielfältige Impulse auf. sich jedoch besonders dadurch aus, wie er das Ausstellungsinhalte online zugänglich macht. Diese verarbeitete er häufig erst später künst- Gesehene in seinem Werk verarbeitete. Auf b Martin Waldmeier ist der Kurator der Aus- lerisch, oft in abstrahierter Form, aufs seinen Reisen griff er Formen und Strukturen, stellung. Wesentliche reduziert. Beobachtungen und Erlebnisse, Phänomene Unter dem Titel Mapping Klee zeigt das von Flora und Fauna, architektonische und Zentrum Paul Klee im Sommer eine Klee- kulturhistorische Monumente auf und liess Ausstellung, die anhand von Klees Reisen sie in seinen künstlerischen Kosmos ein- Zentrum Paul Klee sowie Lebens- und Wirkungsorten seine fliessen – jedoch zumeist in einer Art und Mapping Klee künstlerische Biografie nachzeichnet. Der Be- Weise, die sich vom konkreten Ort oder Phä- 21.05.—04.10.2020 griff Mapping (engl. für kartografieren oder nomen löst, sich verselbständigt und uni- Eröffnung: Mittwoch, 20. Mai 2020 verorten) steht für die Idee, das Werk des versellen Charakter erhält. 18 Uhr 21
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