KUNSTFÖRDERPREIS DER STADT AUGSBURG 2021
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GRUSSWORT 1 Liebe Preisträgerin und Preisträger, INHALT sehr geehrte Kunst- und Kulturinteressierte! 1 Grußwort Dankbar und voller Freude darf ich in diesem Jahr im gewohnt und ange- 2 Architektur messen festlichen Rahmen den 62. Kunstförderpreis im Namen der Stadt an sieben vielversprechende Künstler und eine Künstlerin überreichen. 4 Bildende Kunst Eine gefühlt unendliche Zeit waren wesentliche Aufgaben im Kulturreferat 6 Bildende Kunst durch die Pandemie ausgebremst. Persönlich konnte ich den „kulturellen“ Lockdown dennoch gut nutzen, um die teils langjährig etablierten, teils als 8 Literatur Newcomer in den Startlöchern stehenden lokalen Akteurinnen und Akteure besser kennen zu lernen. Der direkte Austausch ermöglichte eine detaillier- 10 Literatur te Vorstellung über all die Themen, die wir auch unabhängig von, bzw. nach 12 Musik Vokal Krisenzeiten gemeinsam und mit konstruktiven sowie kreativen Lösungsansätzen angehen wollen. Mit der erneuten Vergabe des Kunstförderpreises bot sich eine erste Chance, bei der Wahrnehmung und Unter- 14 Musik Komposition klassisch stützung unserer lokalen jungen Künstlerinnen und Künstler unbürokratisch nachzubessern, zunächst fi- nanziell durch die Erhöhung der Fördersumme auf 27.000 Euro. Zukünftig werden wir den Preis auch pro- 16 Schauspiel grammatisch sinnvoll weiterdenken und zeitgemäß weiterentwickeln. Nichts geändert hat sich auch 2021 am zentralen Ziel der Auszeichnung, mit der wir die jungen Kunstschaffenden darin bestärken wollen, ihre nachhaltig gefestigten Erwerbsbiographien zu realisieren. Allen heute ausgezeichneten sieben Künstlern und der Künstlerin aus den Fachbereichen Architektur, Bil- dende Kunst, Literatur, Musik und Schauspiel, die sich mit ihrer Kompetenz, ihrem Spiel und ihren künstle- Die Videoporträts zu der Preisträgerin und den Preisträgern risch stark zum Ausdruck gebrachten Anliegen dem kritischen Urteil der jeweiligen Fachjury stellten, gratu- sind auf der Homepage der Stadt Augsburg unter liere ich im Namen der Stadt von ganzem Herzen. www.augsburg.de/kunstfoerderpreis zu sehen. Ohne die Expertise und die reibungslose Zusammenarbeit mit unseren bewährten Mitgliedern der jeweili- gen Fachjury sowie die Steuerung durch das Augsburger Kulturamt, das sensibel die aufwändigen Wettbe- werbsprozesse verantwortet und betreut, wäre die Vergabe der Kunstförderpreise gar nicht zu bewälti- Bewerbungsfrist zum 63. Kunstförderpreis 2022 gen. Ihnen gilt mein großer Dank! 1. – 31. Mai 2022 Auskunft zu den Bewerbungsanforderungen: Kulturamt: Telefon 0821 / 324 3251 www.augsburg.de/kunstfoerderpreis oder kulturamt@augsburg.de Jürgen K. Enninger Referent für Kultur, Welterbe und Sport EIN BESONDERER DANK GILT DER EHRENAMTLICH TÄTIGEN FACHJURY 2021 Architektur: Thomas Berger (komm. Leitung des Hochbauamtes der Stadt Augsburg), Prof. Peter Junghanß (Hochschule Augsburg), Roman Adrianowytsch (Vorsitzender BDA, Augsburg-Schwaben) / Ballett: Ricardo Fernando (Ballettdirektor Staatstheater Augsburg), Carla Silva (stellv. Ballettdirektorin Staatstheater Augs- burg), Jas Otrin (Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e.V.), Erich Payer (Theaterfreunde) / Bildende Kunst: Dr. Thomas Elsen (Kunstsammlungen der Stadt Augsburg), Ulo Florack (Künstlervereinigung „Die Ecke“), Prof. Carolin Jörg (Hochschule Augsburg), Norbert Kiening (BBK Augsburg und Schwaben Nord e.V.) / Literatur: Matthias Ferber (Studiendirektor Gymnasium bei St. Stephan), Prof. Dr. Jürgen Hillesheim (Bert Brecht Forschungs- und Gedenkstätte), Prof. Dr. Mathias Mayer (Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur- IMPRESSUM wissenschaft, Universität Augsburg), Lutz Keßler (Leitender Dramaturg Schauspiel Staatstheater Augsburg) Herausgeber: Stadt Augsburg - Kulturamt / Musik (Vokal oder Komposition klassisch): Prof. Andrea Friedhofen (Leopold-Mozart-Zentrum der Universi- Gestaltung: Waldmann & Weinold, Kommunikationsdesign, Augsburg tät Augsburg), Domonkos Héja (Generalmusikdirektor Augsburger Philharmoniker Staatstheater Augsburg), November 2021 Gabriele Tluck / Stefan Schulzki (Tonkünstlerverband Schwaben) / Schauspiel: Ramin Anaraki (Otto Falken- berg Schule, München), Nicole Schneiderbauer (künstl. Leitung Schauspiel Staatstheater Augsburg), @stadtaugsburg Dr. Sebastian Seidel (Freie Theaterszene Augsburg)
2 ARCHITEKTUR | JULIAN CHIELLINO 3 STATEMENT Neben der Arbeit an konkreten baulichen Aufgaben verstehe ich Architektur als Möglichkeit gesellschaftliche Themen zu bearbeiten. Deshalb habe ich 2014 gemeinsam mit zwei Partner*innen studioeuropa gegründet. In unseren Projekten versuchen wir initiative Konzepte für die Zukunft zu entwickeln und notwendige Veränderungen anzustoßen. Wir glau- ben an Offenheit und Gemeinschaft. Für diese Werte müssen räumliche Übersetzungen gefunden werden. Diese will ich entwerfen. Mich inte- ressieren die Räume, die hochfrequentiert, begegnungsreich und un- Foto: © Atherton-Chiellino vermeidlich sind - die Räume, die von vielen aktiv oder passiv genutzt werden. Allen voran der Öffentliche Raum. Hier braucht es architekto- nische Impulse - es braucht Qualität, Opulenz, Transparenz und Groß- zügigkeit. Durch Austausch entsteht Spannung und durch Reibung Energie. Ich habe gelernt, dass das auch für das Denken von Räumen gilt und un- entbehrlich dafür ist. Ist man offen für Konflikte, findet man Lösungen, die Altbekanntes in Frage stellen und Experimente lostreten. Unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse bekommen Raum, kommen zusammen und ergeben gemeinsam etwas Neues. So können Räume entstehen, die verbinden, Räume die über ihre physischen und architektonischen Grenzen hinaus als Träger einer Idee Bedeutung besitzen. 1 JULIAN CHIELLINO 28.02.1986 geboren in Augsburg / 2005 Abitur am Holbein Gymnasium Augsburg / 2 2006-2012 Architekturstudium an der TU München / 2010-2011 Architekturstudium Rhode Island School of Design, Providence, USA / 2012-2014 Mitarbeit bei 4architekten, München / 2014 Gründung studioeuropa / 1| Grundschule Bad Mergentheim, 2021 2| Haus der Jugend Heidelberg, 2018 2015 Freie Mitarbeit bei Klein&Sänger Architekten, München / 2019 Korrekturassistenz, Professur für Urban Grundriss EG Grundriss EG Design, Prof. Boucsein, TU München Preise/Auszeichnungen: 2017 Bauwelt Preis „Das erste Haus“/ 2018 Anerkennung durch den Baupreis Allgäu / 2020 Nominierung für den Förderpreis der Landeshauptstadt München / 2021 BDA Architekturpreis „max40“ Projekte (Auswahl): 2015 Fertigstellung Neubau, Einfami- lienhaus Jengen (Bauweltpreis 2017, BDA max40-Preis 2020) / 2018 Wettbewerb 1. Preis, Kindergarten und Gemeindewohnungen, Tullnerbach, Österreich / Programmwettbewerb 1. Preis, Wiedererrichtung Bauaka- demie, Berlin / 2019 Wettbewerb 3. Preis, Architekturmuseum Schwaben, Augsburg / 2020 Wettbewerb 2. Preis, Wohnungsbau, Bayrischzell / 2021 Wettbewerb 2. Preis, Grundschule, Bad Mergentheim. www.studioeuropa.eu JURYBEGRÜNDUNG Werk und Vortrag des jungen Architekten haben die Jury überzeugt. Erkennbar wurde eine klare strukturelle Konzeption, die sich in allen Entwürfen, Ideen und rea- lisierten Projekten wiederfindet. Die Durchgängigkeit des Konzeptionellen vom Entwurf bis zur konkreten Umsetzung und die Rückkopplung der Erfahrungen in die weiteren Arbeiten of- fenbarten den hohen Anspruch des Architekten an Offenheit und Ganzheitlichkeit in der Pro- 3| Wohnen in Attaching, 2020 jektbearbeitung. Diese Berufsauffassung ist in der Bearbeitung aller vorgestellten Arbeiten er- Grundriss EG lebbar. Die konstruktiven Strukturen der Entwürfe und Bauten suchen dabei immer die Kom- munikation von Innen- und Außenraum. Gleichzeitig begrenzt sich die Arbeit nicht auf reine 4| Wohnen München Nord, 2019 Bauaufgaben, im Gegenteil finden sich auch Inspirationen, Fragestellungen und Auseinander- Grundriss EG setzungen mit gesellschaftlich relevanten Themen in dargestellten Utopien wieder. Die Aufar- beitung der Werke überzeugt ebenfalls durch hohe gestalterische Qualität. Die Jury sieht im bisherigen und zukünftigen Weg des Architekten mit seinem Büro ein sehr großes Potential, das sie mit der Vergabe des Kunstförderpreises im Bereich Architektur wür- 3 digen und unterstützen möchte.
4 BILDENDE KUNST | MICHAEL SCHMIDT 5 STATEMENT Meine künstlerische Arbeit befasst sich im Kern mit dem Verhältnis des Menschen zu seiner Umgebung. Seien es Land- schaften, Gebäude, Dinge oder andere Menschen. Mich interessiert, welche Wechselwirkungen zwischen den unter- schiedlichen Akteurinnen und Akteuren bestehen und wie sich im wie- derholten Umgang miteinander spezifische Routinen ausbilden. Das reicht von der direkten, körperlichen Präsenz gebauter Räume bis hin zur hybriden zeitgenössischen Lebenswelt, einer bisweilen chaotischen Mischung aus analogen und digitalen Realitätsbausteinen. Für unter- schiedliche Phänomene dieser digitalen Überformung oder Durchdrin- gung unseres Alltags versuche ich in meiner künstlerischen Arbeit je- Foto: © Jens-Utzt weils eine konkrete Form zu finden. Der permanente Abgleich der eigenen Praxis mit gesellschaftlichen Entwicklungen ist mir dabei besonders wichtig. Bildnerisch und sprach- lich suche ich nach neuartigen Metaphern und benutze in diesem Pro- zess meinen eigenen Körper als Ausgangspunkt und Material. Meine Environments und Videoinstallation ermöglichen auch der Betrachterin und dem Betrachter direkte (körperliche) Erfahrungen. Ich bin überzeugt, dass dieser erfahrungsbasierte Ansatz vor dem Hintergrund ei- ner fortschreitenden Digitalisierung unserer Lebenswelt zunehmend an Relevanz gewinnen wird. Seit 2013 arbeite ich neben meinen Einzelprojekten im Duo mit Melina Hennicker als „Hennicker-Schmidt“. MICHAEL SCHMIDT 07.06.1986 geboren in Augsburg / 2007-2009 Studium der Germanistik an der Ot- to-Friedrich-Universität Bamberg / 2009-2018 Studium an der Akademie der Bildenden Künste München bei Albert Hien und Gregor Schneider (Diplom 2018) / seit 2018 Freier Autor für das Magazin Monopol. Preise/Förderungen (Auswahl): 2015 1. Preis des Akademievereins für „Die kleine Freiheit“ (Hennicker- Schmidt) / 2017 Taipeh-Residency des Kulturreferates der Stadt München / Goetheinstitut Taipeh u.a. (Hen- nicker-Schmidt) / 2018 Diplompreis des Akademievereins für „Ein weites Feld“ / 2019 Debütant:innen Preis des BBK München und Oberbayern e.V. (Hennicker-Schmidt) / 2021 Stipendienprogramm des Freistaats Bay- ern, Junge Kunst und neue Wege / Video|Dox Förderpreis für „kirchmoarhof_d“ (mit Melina Hennicker und Andreas Woller) / Ausstellungen/Projekte (Auswahl): 2015 Ulrike Maria Stuart, Bühnenbild, Münchner Kammerspiele / 2017 Virtuelles Gemüse, Simultanhalle, Köln (Hennicker-Schmidt) / 2019 SAW Sofia Art Week, Sofia, Bulgarien (Hennicker-Schmidt) / 2020 Debütant:innen 2020, Galerie der Künstler, München (Hennicker-Schmidt) / 2021 kirchmoarhof_d, Neue Galerie Innsbruck (in Zusammenarbeit mit Melina Henni- cker und Andreas Woller). www.hennicker-schmidt.com JURYBEGRÜNDUNG Der in Augsburg geborene Künstler Michael Schmidt verfügt über ein breites künstlerisches Formenvokabular, das Video-Installationen, Environments, Objekte und Sprache beinhaltet. Dabei untersucht er in einem weit gefassten gesellschaftlichen Rahmen menschliche Bezüge und den Einfluss der konkreten Orte, an denen sie leben, arbeiten und agie- ren. Hierzu begibt er sich – quasi als künstlerischer Feldforscher – an die Plätze, die er untersucht: „Viele meiner Projekte entwickle ich in enger Auseinandersetzung mit ausgesuchten Orten, an denen ich dann eine festgelegte Zeit lebe und arbeite“. So sind Anspruch und Wirkungsfeld der Kunst Schmidts einerseits durchaus überregional, z.T. in- ternational ausgerichtet, inhaltlich bezieht er sich jedoch in markanter Weise immer wieder (auch) auf Themen, Orte und Landschaften seiner Heimat-Region. Dies kommt z.B. in Arbeiten wie „Haus“, „Stadel“ oder „Westliche Wälder“ eindrucksvoll zum Ausdruck. Der Begriff von Heimat interessiert 1| T.i.n.A to P.au.L, performative Lesung mit Video, 2019 ihn dabei nicht vorrangig als „politisches Problemfeld“, sondern in sozialer Hinsicht in einem huma- 2| Westliche Wälder, Raumobjekt mit Video, in Zusammenarbeit mit Melina Hennicker, 2016 nen Interesse an den konkreten Personen und ihren Lebensumständen. 3| Westliche Wälder, Set-Fotografie, in Zusammenarbeit mit Melina Hennicker, 2016 In seinen Videos und Installationen, aber auch in performativen Lesungen finden diese Überlegun- 4| Ein weites Feld, Zweikanal Videostill, 2018 gen und Beobachtungen ihre präzise ausgearbeitete und ästhetisch überzeugende Umsetzung. 5| Kirchmoarhof, Environment mit Video, in Zusammenarbeit mit Melina Hennicker und Andreas Woller, 2020/21
6 BILDENDE KUNST | BÉL A JUTTNER STATEMENT Während meines Jungstudiums an der Heinz-Bosl Bal- lettakademie in Kooperation mit der Bayerischen Staatsoper fand mei- ne künstlerische Praxis frühe Entwicklung und Form. Durch den inten- siven Kontakt mit dem Leben vor, auf und hinter der Bühne konnte ich mein Bewusstsein für Raum, Körpersprache und das Selbst im Verhält- nis zu anderen sensibilisieren. Inszenierte Charaktere werden seither oftmals zu Trägern meiner Ar- beit. Das Design und die Herstellung von Kleidungsstücken und Objek- ten nutze ich hierzu als Grundlage und unmittelbares Ausdrucksmittel, um besagten Trägern eine Gestalt zu geben. Anschließend organisiere Foto: @miles Fischler ich mit diesen Stücken Aktionen, die mit der Körpersprache des Tanzes und Bildsprache der Mode spielen und choreographisch Szenen der Begegnung schildern. In der Produktion von Live-Performances und auch Videoarbeiten spiele ich mit dem für das Publikum Sichtbaren und stelle seine Rolle als reiner, dem Geschehen außenstehenden Be- trachter in Frage. Hierzu konzentriere ich mich auf die Mehrdeutigkeit menschlicher Beziehungen, wie Men- schen miteinander umgehen und welche Sinneselemente ihre Kommunikation beeinflussen. Die Quelle und 1 2 3 Entstehung einer Arbeit beginnt mit der spielerischen Anwendung unterschiedlicher Media, die dann in be- sagte Aktionen münden. Erst mit der spontanen und intuitiven Auseinandersetzung mit den oft fein handwerklich gearbeiteten Ob- jekten schaffe ich übergreifende Bezüge und Handlungsstränge, welche oftmals von einer humorvollen Am- biguität und ernsthaften Absurdität geprägt sind. BÉLA JUTTNER 13.07.1997 geboren in Augsburg / 2007-2015 Besuch des Oskar-von-Miller Gymnasiums München (Abitur 2015) / 2007-2012 Jungstudium an der Tanzakademie Heinz-Bosl Stiftung im Rahmen der Hochschule für Musik und Theater / 2012-2013 Austauschjahr, Lycée de Fustel de Coulanges, Paris / 2016- 2021 Royal Academy of Fine Arts Anwerp – Fashion department/Modedesign (Bachelor und Master) / 2020- 2021 „Start kit“ Aufenthaltsstipendium/Artist in Residence an der AAIR Antwerpen (Belgien) Ausstellungen: 2019 Ausstellung „urban divers“ (mit Stephan Juttner), Orangerie am Englischen Garten München / 2020 Gruppenausstellung „Prospectuses“, AAIR, Antwerpen (Belgien) / 2020 Gruppenausstellung „Ooh, Netwerk Aalst“, Aalst (Belgien) / 2021 Gruppenausstellung „What stories want“, AAIR, Antwerpen (Belgien). www.instagram.com/belajuttner 4 5 1| Skizze Silhouetten, 2020 2| Illustration Silhouette, 2020 JURYBEGRÜNDUNG Als multidisziplinärer Künstler stehen bei Béla Juttner tänzerische 3| Missing rope suit blazer, 2021 Performances im Mittelpunkt, die er – aufgefasst als Aktionskunst – unter Einbeziehung von Be- trachtern und Publikum auf- und durchführt. Wesentlicher Bestandteil hierbei ist das Entwerfen 4| What stories want, 2021 von Kostümen und deren Design. Zusammengenommen betrachtet Juttner diese Zutaten als ei- Installation view ne Art ästhetische Gesamtfigur, in der Tanz und Modeentwurf als Bestandteile einer physischen Sprache auftreten, die auf die vielfachen Ambiguitäten menschlicher Kommunikation hinweisen. 5| Rope coat, 2021 Mit den Elementen von Raumerfassung, Kostümentwurf und Körpersprache befasste sich Jutt- ner schon im Schüleralter ebenso intensiv wie eigenständig, was eine große Kontinuität und 6| SNIFF! SQUEEZE! SPLASH!, 2019 klare Idee seiner Arbeit trotz des noch jungen Lebensalters belegt. Film still Dokumentiert werden seine Performances in Videos, die dann wiederum zu eigenständigen 6 Fotos 1-4 und 6: Béla Juttner künstlerischen Arbeiten werden. Foto 5: Stephan Juttner
8 LITER ATUR | ROL AND SCHNELL 9 STATEMENT Der Schriftstellerberuf ist sehr praktisch für mich. Morgens, bevor’s losgeht, kann ich immer noch schön ein bisschen sit- zen und mich notfalls wieder hinlegen und weiterpennen. Kein anderer Beruf bietet mir diesen Komfort. Natürlich ist das Schreiben sehr schwierig und anspruchsvoll. Ständig muss man aufpassen, dass man keinen Scheiß schreibt. Das erfordert Disziplin und Ausdauer. Ich habe mich darin in den letzten Jahren streng geschult. Mit 40 möchte ich den ersten Band meiner Memoiren veröffentlichen. Das ist nicht mehr lang, deshalb muss ich mich ranhalten. Foto: © Meta Schnell Ventil Verlag ROLAND SCHNELL 04.10.1984 geboren in Aichach Projekte/Veröffentlichungen: 2013 Herausgeber unregelmäßig erscheinender Literatur- und Musikzeitschriften, wie dem „Homestory Magazin“ / Autor für die Roland van Oystern Zeitschrift „Am Erker“ / Sänger und Texter der Rockband „Die Damen und Herren des Orchesters“, Mitglied im Eine von diesen Batmanfolgen „Club Déjà-vu“ / 2014-2015 Aufenthalt in einem rumänischen Dorf zusammen mit Ferdinand Führer / 2016 Ver- öffentlichung Rumänien-Dorfwinter-Doppeltagebuch „Ein Tag Hagel und immer was zu essen da“ zusammen mit Ferdinand Führer / 2021 „Kritik am Mitmensch“ Sammlung der mit Ferdinand Führer verfassten Kolumnen in der Titanic im Ventil Verlag. Die TV-Serie Batman (USA 1966-68) samt des dazuge- Schuld dieser Serie. Nie wieder habe ich aufgehört, sie hörigen Films Batman hält die Welt in Atem (USA 1966) zu schauen, und auch nicht, sie meinen Freunden vorzu- ist, objektiv ausgesprochen und niedergeschrieben, das spielen. Einmal hatte ich sogar eine Freundin, der habe Beste, was jemals an Bewegtbild hergestellt wurde, und ich sie auch vorgespielt. „Das ist der beste Batman“, weil ich bei klarem Verstand bin, gucke ich sie schon ein flüsterte ich ihr ins Ohr, „der beste Batman“, und war Leben lang. In meiner Spätphase als Kindergartenkind mir nicht sicher, ob ich’s wirklich vollends unironisch (im dritten Jahr, und wie krass scheiße war das da jeden meinte. Schließlich, die Interpretation von Tim Burton, Tag) ist mir mittags einmal ein Brett auf den Kopf gefal- die ist auch nicht übel ... und die jüngste Trilogie von len, und ich musste ins Krankenhaus zum Nähen. Der Christopher Nolan ... aber im Jahr 2020, vermutlich auf Doktor, nachdem er mich repariert hatte, brachte seine dem Gipfel meiner Zurechnungsfähigkeit, habe ich alle Rede auf Bettruhe, und ich war alarmiert. Vom Bett aus, Batman-Verfilmungen einer neuerlichen Prüfung unter- schlafend, ließ sich schlecht Batman gucken. Batman zogen, auch die Miniserie von 1943, und jetzt weiß ich aber und dazu sein Mündel Robin steckten seit der letz- es mit Bestimmtheit. An den besten, den wirklich besten ten Folge, einer Doppelfolge, in einer Torte aus Treib- Batman kommt nichts ran. Noch in der Spätphase der sand, und nicht zu erfahren, wie die beiden da wieder Serie gibt’s Momente von alles überstrahlendem Glanz: rauskommen, hätte mir das letzte bisschen Seelenheil In einer Folge müssen Batman und Joker auf Surfboards zerbröselt, vielleicht für immer. Zu meinem Glück war gegeneinander antreten, in einem offiziellen Wettstreit, JURYBEGRÜNDUNG Roland Schnell veröffentlicht unter dem Pseudonym Roland van der Doktor ein einsichtiger, ja weitsichtiger Mensch: am Strand von Gotham City (ich nehme an, Gotham Ci- Oystern unter anderem im Satiremagazin Titanic. Der Jury präsentiert er sich als Verfasser kleiner Batman gucken ok, einfach danach ins Bett. Ungefähr ty), und jedenfalls verschwinden sie mit Badehosen in Formen. In seinen Kurzgeschichten zeigt er einen lakonischen, scheinbar distanzierten Stil, um fünf Jahre später, als Zehnjähriger, geschah etwas Merk- Umkleidekabinen, und ich sage noch zu meiner Frau würdiges: Die Serie kam mir auf einmal absurd schrottig (ich habe eine Frau): „Wie kommen die da wieder seine Figuren zu schützen. Das erzählende Ich, auf der Suche nach Anerkennung und Wertschät- vor, und ich dachte, gibt’s ja nicht, was die da für ein lä- raus?“, und dann kommen sie da wieder raus und haben zung, gleitet aus Momenten der Nähe, Freundschaft und Liebe wieder zurück in Leere, Emotions- cherliches Zeug produziert haben, mit einem Hai aus alles an wie immer, nur die Badehosen drüber. Sensatio- verknappung und Sprachlosigkeit. Die Erzählung „Der Stock“, die aus einem längeren, nicht ver- Plastik, der sich kein Stück bewegt, so was müssen er- nell. Sprachlosigkeit bei mir und bei uns beiden. Tiefe öffentlichten Text herausgenommen ist, zeigt Roland Schnells Erzählverfahren musterhaft: Auf wachsene Filmproduzenten doch merken, oder wie ist so Bewunderung für den, dem das eingefallen ist. Immer, einer guten Seite entsteht ein Charakterbild eines Jungen, ein deutlicher Blick in die Familien- was möglich? Waren die übel daneben ... oder hab ich wenn mich irgendwas sehr betrübt, denke ich an diese strukturen und die Geschichte einer Seelenverwandtschaft zu einem Stock, der zuletzt in kafka- mich am Ende für dumm verkaufen lassen? Ich kam Szene. Das lindert meinen Schmerz. Wenn ich mir vor- esker Manier „in den Müll rausgeräumt“ wird. nicht recht darauf. Dann wurde die Serie eine Zeit lang stelle, so alt zu werden wie Adam West (88) und die Se- nicht wiederholt. Ich war bereits 16 oder so, da lief we- rie 2072 im Bewusstsein zu schauen, dass wirklich nie- In den vorgelegten Literaturrezensionen erweist sich Roland Schnell nicht so sehr als Kritiker, nigstens mal wieder der Film im Vormittagsprogramm mand, der in irgendeiner Form an dieser Produktion be- Analytiker oder Urteiler, sondern stärker als Mitfühlender, Hinterfragender und Abwägender. des ZDF, und ich habe ihn bei meiner Oma mit dem Vi- teiligt war, noch am Leben ist, denke ich an diese Szene. Die rezensierten Bücher liegen ihm am Herzen, neben Ernst und Empathie treten freilich auch deorekorder aufgezeichnet und endlich, aufs Neue, die Noch hilft’s. Und ich will nicht, dass das irgendwann Schönheit dieser Reihe erkennen dürfen. Da waren hin- aufhört. In Abständen sage ich zu meiner Frau: „Frau, Komik und Schnoddrigkeit auf. In einer uneitlen, oft konkreten, manchmal saloppen, bisweilen ter und vor den Kulissen Menschen am Werk, von voll- lass uns eine von diesen Batmanfolgen schauen, das derben Sprache erstehen die Handelnden und ihre Welten sehr lebendig und lebenssehnsüchtig. endeter Genialität waren die, Wahnsinn. Was für ein lä- wird uns weiterhelfen, uns beiden!“ Und noch jedes Mal Roland Schnell ist ein plastisch inszenierender Erzähler, der zu seinen Helden hält. Foto: Maximilian Steger cherlicher Zehnjähriger war ich? Ich stand schwer in der ist sie umgehend einsichtig.
10 LITER ATUR | LISA FRÜHBEIS 11 STATEMENT Geschichten können die Welt verändern. Davon bin ich überzeugt. In meinen Werken beschäftige ich mich mit der Frage, was Privilegien bedeuten. Für meine Figuren, aber auch für die Lesen- den meiner Geschichten. Empathie zu entwickeln, für Figuren, die auf- grund des Mangels bestimmter Privilegien Entscheidungen treffen, die irritieren – das ist die große Kraft der Literatur. Aber nicht nur Narration, auch Bilder können das. Bilder kommunizieren schnell, und wirken über Farbe, Platzierung, und nicht zuletzt Gesichtern direkt auf unsere Emo- tionen. Die Kombination der beiden Elemente ist mächtig. Es reizt mich, Foto: © helle Tage Fotografie mit beiden einen Dialog erzeugen zu können. Meine Ambition ist Ge- schichten zu erzählen, die sich mehrschichtig entschlüsseln lassen. Da- bei öffnet sich bei jeder Schicht eine neue Perspektive. Wie genau die Geschichte erzählt wird – autobiografisch, fiktional, journalistisch – ist mir dabei nicht so wichtig, wie die Aussage, die ich damit treffe. Litera- rische Elemente wie die Ambivalenz der Figuren, der Schilderung der Machtverhältnisse, der Einsatz von Perspektiven, werden im Comic in künstlerische Elemente umgesetzt. Ei- ne spannende Aufgabe, und vielleicht der Kern der Synergie von zwei kreativen Bereichen, der, falls die Schaffende in diesem Versuch reüssiert, die Eigenständigkeit der 9. Kunst hervorhebt. Die Comicschaffung ist ein zeitintensives Ausdrucksmittel. Nach dem Schreiben geht die primär sichtbare Arbeit erst los. Der Kunstförderpreis hilft, dass diese Geschichten entstehen können. LISA FRÜHBEIS 17.05.1987 geboren in München / 2011 Bachelor Animation an der Hochschule Augs- burg / 2014 Master Freie Zeichnung an der Hochschule Augsburg Veröffentlichungen: 2017-2019 „My 100 Days of Strangelife“ Comicstrip im Tagesspiegel Berlin / 2018 „Versunken & Entsprungen“, Wißner-Verlag / 2019 „Menschen, die das Tor öffnen“, Kurzcomic in der Zeitschrift Aviso / 2020 „critical whiteness“, hrsg. Prof. Doris Dörrie / 2020 „Busengewunder“, Carlsen Verlag / 2021 „A fraction of time“, webcomic bei tapas hrsg. Goethe Institut Korea Auszeichnungen/Stipendien: 2011 Aufnahme in die Studienstiftung des Deut- 1 schen Volkes, Auswahl Design / 2013 DAAD-Promos Stipendiatin / 2016 Joseph Binder Preis: Auszeichnung / 2016 3x3 Illustration Show New York: Merit Award / 2020 Max und Moritz Preis für den besten deutschen Comicstrip (Busengewunder) / 2020 Bayr. Kunstförderpreis Literatur, Projektstipendium der Stiftung Kul- turwerk der VG Bildkunst / 2022 Stipendiatin der Arno Buchegger Stiftung. www.lisafruehbeis.de JURYBEGRÜNDUNG Lisa Frühbeis überzeugte die Jury mit ihren Comics, in denen sie mit ihrer Scharfsichtigkeit und -züngigkeit eine klare gesellschaftskritische Haltung humorvoll zu ver- packen weiß. Die in diesen Comics zum Ausdruck gebrachte literarische Qualität weiß sich darüber hinaus unabhängig von den liebevoll gestalteten Zeichnungen zu behaupten. Mit ihrem hohen Sprachbewusstsein dokumentiert sie eindrucksvoll ihre Fähigkeit, Weltsichten und Haltungen in äußerster literarischer Verknappung präzise auf den Punkt zu bringen. Ausgangspunkt sind wie- 2 3 4 derholt Alltagssituationen, in denen tieferliegende gesellschaftliche und historische Wirkkräfte sichtbar werden. Dabei ist ihr weiblicher, genderbewusster Blick nicht dogmatisch oder kämpfe- risch, sondern immer grundheiter und steter Quell, beständige Vorurteile mit satirischer Schärfe in Frage zu stellen. Dabei beeindruckte sie die Jury zugleich auch mit der von ihr an den Tag ge- legten hohen und äußerst sorgfältig recherchierten Informationsdichte. In diesem Zusammen- hang verdient „Afras Geschichte“ eine besondere Erwähnung. Hier durchleuchtet sie ein komple- xes Thema der Stadtgeschichte gleichermaßen bildstark wie sachlich, um schließlich deren viel- schichtige Wirkungsgeschichte freizulegen und deren Genese kritisch zu hinterfragen. Aufgrund 1|2|3| Busengewunder, Carlsen Verlag Hamburg 2021 der intellektuellen Wendigkeit, gesellschaftlichen Relevanz und nicht zuletzt der literarischen Qualität ihrer Arbeiten verdient Lisa Frühbeis eindeutig den Kunstförderpreis Literatur. 4| Ausschnitt aus "A Fraction of Time", Webcomic hrsg. vom Goethe Institut Korea, 2021
12 MUSIK VOK AL | MATTHIAS LIK A 13 STATEMENT Singen ist einer der wichtigsten Bausteine meines Le- bens. Es gab immer schon Sänger, die mich beim Hören in einen unend- lichen Bann zogen, deshalb denke ich, kam ich unter anderem durch viele Idole zu meinem künstlerischen Ansatz. Ich stellte mir während meines Studiums die Fragen, was macht diese für mich „besonderen“ Sänger denn eigentlich aus? Wie entsteht dieser intime Kontakt zwischen Sänger und Publikum? Wie kann ich mich selbst auf so eine „reine“ Art den Menschen öffnen? Natürlich habe ich niemals die hundertprozentige Antworten auf diese Fragen gefunden. Aber durch die lebenslange Arbeit, Disziplin und voll- Foto: © Dominik Koziol kommene Hingabe weiß ich zumindest, dass ich dieses Rätsel täglich weiter entdecke. Diese Art von Ausprobieren, Perfektionieren, Verän- dern und Annehmen lässt jeden Tag unvorhergesehen anders verlau- fen. Ich denke, jeder Künstler weiß, dass er niemals ankommen wird und das ist genau das Spannende an diesem Leben. „Singen ist ein Abglanz der Seele“, schreibt René Kollo. Menschen lernen ihr Leben lang, ihre Emotionen bestmöglich in der Öffentlichkeit zu verbergen. Meiner Meinung nach ist es Aufgabe der Musik, die Menschen daran zu erinnern, dass es Schmerz gibt, den man füh- len darf, dass Kälte und Wärme im Herzen existiert und dass wir mit Musik an unserer Seite dazu in der Lage 1 2 sind, uns an bestimmte Situationen für immer zu erinnern. Nicht umsonst untermalen wir die wichtigsten Anlässe des Lebens immer mit Musik! MATTHIAS LIKA 13.02.1994 geboren in Friedberg / 2005-2013 Besuch des Gymnasiums bei St. Stephan (Abitur) Unterricht/Studium: 1998-2006 Mitglied der Augsburger Domsingknaben / 2014-2018 Bachelor of Music mit dem Hauptfach Gesang bei Agnes Habereder-Kottler und Prof. Dominik Wortig, Leopold-Mozart- Zentrum der Universität Augsburg / seit 2018 Master of Music mit dem Hauptfach Gesang bei Prof. Dominik Wortig, Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg Meisterkurse: Gesang bei Boris Leisenheimer und Lisa Wedekind, Liedgestaltung: Schumann Symposium, Leitung: Markus Kreul und Prof. Dominik Wortig, für Oratorium: Sybilla Rubens, Peter Lika Solistische Tätigkeiten: „Weihnachtsoratorium“ von J.S. Bach und „Marienvesper“ von Monteverdi mit dem Barockorchester l’arpa festante und der Studentenkantorei in Hei- delberg / „Elias“ von Mendelssohn Bartholdy mit dem Bachorchester Würzburg und dem Capella Nova Chor in Bad Mergentheim / Opern und Operettengala 2019 mit dem Maksi-Akademieorchester unter der Leitung von Maurizio Quaremba im Apollo Theater in Siegen. JURYBEGRÜNDUNG Matthias Lika überzeugte mit seiner variablen Baritonstimme und sei- Foto: Záboj Ballettakademie ner ausdrucksvollen Tongestaltung. Er besitzt einen großen Stimmumfang, der in den vorgetra- genen Stücken sehr gut zur Geltung kam. Sprachlich und spielerisch präsent verstand er es, Aus- 3 druck und Emotion der einzelnen Werke hervorragend vorzutragen. „Der Turm zu Babel“ von Mauricio Kagel erklang berührend und intensiv als erstes Stück solistisch, ohne Klavierbegleitung. Gefolgt von Robert Schumanns „Belsazar“, W.A. Mozarts „Papageno“ und Gioachino Rossinis „Barbiere di Siviglia“ konnte Matthias Lika hier seine Lust und Variabilität Foto 1: © Paata Beridze an der spielerischen Darstellung eindrucksvoll zeigen. Foto 2/3: © Toni Bihler
14 MUSIK KOMPOSITION KL ASSISCH | FELIX BÖNIGK 15 STATEMENT Motivationen ein Stück zu schreiben gibt es zahlreiche. Ein Abend mit Freunden, Literatur, ein naturwissenschaftliches Phäno- men. Doch eines haben alle Stücke gemeinsam: Musik besteht für mich aus unzähligen Parametern. Melodik, Harmonik, Instrumentation, Rhyth- mus, Metrum etc. All diese Parameter traten je nach Epoche in immer wieder anderer Ge- stalt auf. Wir können also alles verändern, ja vielleicht sogar Grundle- gendes. Wie in der Neuen Musik, alte Gesetze aufheben und neue Re- Foto: © 2018 Max Saufler geln schaffen. Wir können die unglaubliche Schauspielerin Musik jede erdenkliche Rolle spielen lassen, jedes Kostüm tragen lassen. Ihr Mas- ken aufsetzen. Was mich interessiert ist, wer hinter den Rollen steckt. Wie ist die Schauspielerin ohne Schmuck und Abendkleid. Ohne Rolle. Es geht um etwas, das wir eben nicht verändern können. Der Urgrund der Musik. Ihr tiefstes Wesen. Die Zeit, die vergeht, während sie klingt. Musik ist in die vergehende Zeit gelegter Klang. Und mit dieser Zeit, die eigentlich immer gleich schnell ver- geht, zu spielen ist das Interessanteste, das es für mich gibt. Das innerste Wesen der Musik kennenzulernen ist mein Ziel. Das mag nach Utopie klingen. Ist es auch. Man scheitert jedes Mal. Aber der Prozess, nach jedem Stück ein bisschen weiter blicken zu können, ein wenig mehr zu verstehen und dadurch auch wieder ein klei- nes bisschen mehr zu Demjenigen geworden zu sein, der man sein möchte ist wunderschön. FELIX BÖNIGK 05.05.1993 geboren in Augsburg / 2003-2012 Besuch des Gymnasiums Königsbrunn mit Additum Klavier / 2014-2018 Kompositionsstudium an der Hochschule für Musik und Theater München bei Prof. Jan Müller-Wieland (Bachelor 2018) / seit WS 2019 Klavierstudium an der Hochschule für Musik und Theater München bei Prof. Markus Bellheim / seit 2018 Klavierlehrer an der städtischen Musikschule Königs- brunn / seit 2018 frei angeschlossenes Mitglied und Arrangeur der Augsburger Folk-Pop Band John Garner Preise und Auszeichnungen/Kompositionen: 2010 Anerkennungspreis zum Kulturpreis der Stadt Königs- brunn / 2016 1. Preis beim Deutschen Musikwettbewerb durch die Sopranistin Katharina Konradi mit der Arie „Allein“ Op. 9 No. 1, Aufführung „Deutschland, ein Märchen – Ein Bericht Op.13“ durch die Ernst-von Siemens- Musikstiftung im Gasteig München / 2018 Aufführung des Fragments „Klio“ im Rahmen einer Produktion der Hochschule für Musik und Theater München in Kooperation mit der Münchener Biennale / 2019 Kompositi- onsauftrag für das Klavierduo Majella Stockhausen - Holger Groschopp / 2021 kompositorische Kooperation mit BMW für einen kommenden Werbespot. JURYBEGRÜNDUNG Felix Bönigk hat sich als eine vielseitige Künstlerpersönlichkeit präsen- tiert. Als junger Komponist stellte er seine eingereichten Werke vor, die er als Gegenwartsmusik bezeichnete und die sein Schaffensspektrum der letzten zehn Jahre abbilden sollten. So konnte er anhand der einzelnen Stücke eindrucksvoll die virtuose Flexibilität seiner musikalischen Spra- che aufzeigen: Die kompositorischen Regeln richtet er von Stück zu Stück neu aus, den jeweiligen dramaturgischen Gegebenheiten angepasst, als „eigene Gesellschaft der Töne“. Werke wie „Al- lein“, „… ne quittez pas …“ oder „anomalie“ bilden seine kompositorischen und künstlerischen Leistungen beeindruckend ab.
16 SCHAUSPIEL | BARIS KIR AT STATEMENT Schauspiel ist mein künstlerisches Ventil, die Sprache, die es mir erlaubt, in die Tiefen meiner Psyche zu reisen und von dort das herauszuholen, was nötig ist, um schwarz-weiße Seiten zum Leben erwecken zu lassen. Ich erachte es als äußerstes Privileg, mich solch ei- ner Kunst widmen zu können und tue dies voller Passion. Auch, weil diese Sprache nicht nur in der Lage ist, mir zu helfen mich auszudrü- cken, sondern weil sie als Sprachrohr für jene dienen kann, die ihrer Stimme beraubt sind. Schauspiel öffnet lebendige Fenster in weniger Foto: © Fotostudio Renk (Türkei) beleuchtete Ecken der Welt, die zu sehen es bedarf. Es liegt mir dabei am Herzen dynamische, lebendige und realitätsnahe Charaktere zu schaffen. Authentizität ist dabei ein wichtiger Stich- punkt. Ich suche nach der tiefsten menschlichen Wurzel, den innigsten Wünschen und Ängsten meiner Rolle und entblöße sie, denn sie sind es, die uns Menschen zu unseren unerklärbarsten Handlungen motivie- ren. Welche Rolle auch immer ich dabei verkörpere, wird zu einer Kämp- ferin oder einem Kämpfer. Eine Figur, die bis zum Ende alles in ihrer Macht stehende versucht, um ihr tiefstes, sehnlichstes Bedürfnis zu stillen. Die emotionale Echtheit und auch Dringlichkeit entsteht, indem ich ein Mosaik aus meinem und dem Leben der Rolle erschaffe und sie zu einer einzigen Figur verschmelze. Das Hinarbeiten auf die Auflösung der Probleme der Figur ist dabei für mich, der ich das Sprachrohr der Rolle bin, so aufregend, als wären es tatsächlich meine eigenen Herausforderungen. Etwas pathetisch ausge- drückt: Im Kosmos der Rolle findet ein Kampf ums Überleben statt und ich will mit jeder Faser meines Seins, dass mein Rollen-Ich gewinnt. Dieser Kampf ist meine Leidenschaft. BARIS KIRAT 07.03.1998 geboren in Elmshorn / 2008-2016 Besuch der Bismarckschule, Elmshorn (Abitur) / 2017-2021 Philosophiestudium an der Universität Augsburg Rollen/Theaterarbeit: 2020/2021 Rollenbe- setzung in„Gretchen Nautilus“ von Leif Eric Young; Uraufführung mit dem theter ensemble, Regie: Leif-Eric Young / 2019/2020 Rollenbesetzung in „Der Horatier“ von Heiner Müller, Brechtfestival Augsburg, Regie: Alice Vanessa Bever, Freiheit.pro von Hansjörg Thurn; Uraufführung mit dem Staatstheater Augsburg, Regie: Achim Conrad / 2019/2020 ehrenamtlicher Produktionsleiter im theter ensemble seit 01/2021 Schauspielpa- tientenprogramm der Universität Augsburg, Teamleiter Schulung bei DialogDirect. www.instagram.com/bariselpaco JURYBEGRÜNDUNG Baris Kirat zog es bereits als junger Mensch immer wieder auf die Büh- ne, wo er erste Schauspielerfahrungen sammeln konnte. Seit 2017 ist er Mitglied des Augsburger theter ensemble und spielte 2018/19 in der Uraufführung von freiheit.pro am Staatstheater Augsburg. Beim Vorsprechen für den Kunstförderpreis präsentierte Baris Kirat das Gedicht „The Over Soul“ von Ralph Waldo Emmerson und zwei Rollenausschnitte, den Wursthändler aus „Die Ritter“ von Aristophanes und „Sofa“, Monolog eines Mannes von Ingrid Lausund. Besonders die beiden Rollenausschnitte zeigten sein außergewöhnliches Talent, sich auf den un- terschiedlichsten Ebenen mit theatralen Figuren zu befassen. Seine sehr klare Analyse der situa- tiven Vorgänge überzeugten die Jury ebenso, wie seine große Bandbreite an körperlichen und sprachlichen Ausdrucksformen. Bei der Anlage seiner Figuren arbeitete Baris Kirat äußerst ge- konnt und variierte performativ-formale, komödiantisch-überzeichnete oder psychologisch-rea- listische Elemente. Seine tiefe Emotionalität und die große Ernsthaftigkeit, mit der er jeden spie- lerischen Moment erforscht, verleihen seiner Darstellung eine beeindruckende Unmittelbarkeit. Baris Kirat ist ein äußerst begabter junger Künstler, der sich in den letzten Jahren intensiv auf die Suche nach einer eigenen künstlerischen Sprache und Form begeben hat. Diese Suche möchte die Jury durch den Kunstförderpreis würdigen und Baris Kirat ermutigen, den von ihm einge- schlagenen Weg weiterzuverfolgen. Foto: theter ensemble
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