Künstliche Intelligenz und Digitalisierung - Kassenärztliche Bundesvereinigung
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1. AUSGABE DAS MAGAZIN DER 2020 KASSENÄRZTLICHEN BUNDESVEREINIGUNG Künstliche Intelligenz und Digitalisierung Wo steht Deutschland? Bürokratieindex 2019 Digitalisierung in der Praxis Gesundheit anderswo Bürokratieaufwand in Praxen Hausärztin Dr. Irmgard Landgraf USA: Krankenversicherung leicht gesunken im Interview als Luxus
Editorial KBV Klartext Das Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Erscheinungsweise: Liebe Leserin, lieber Leser, vierteljährlich Herausgeber: die Digitalisierung kann eine Hilfe sein, ebenso wie die Künstli- Kassenärztliche Bundesvereinigung che Intelligenz. Dort, wo es Sinn macht, kann die medizinische Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvor- sitzender der KBV, V.i.S.d.P.) Versorgung von technischen Innovationen profitieren. Doch es Redaktion: gibt auch Herausforderungen und Grenzen, wie die Forschun- Birte Christophers, Miriam Borchert, gen in diesen Bereichen zeigen. Dennoch hat unser Praxis- Tom Funke, Sten Beneke Barometer Digitalisierung wieder gezeigt: Ärztinnen und Ärzte nutzen vermehrt Redaktionsbeirat: digitale Anwendungen im Praxisalltag. Mehr zu den Themen Künstliche Intelli- Dr. Roland Stahl genz und Digitalisierung – und wo Deutschland steht – erfahren Sie in unserem Redaktionsanschrift: Titelthema ab Seite 4. Kassenärztliche Bundesvereinigung Redaktion Klartext Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin Eine, die bereits voll auf Digitalisierung setzt, ist Dr. Irmgard Landgraf. In unse- Tel.: 030 4005-2205 Fax: 030 4005-2290 rem Interview erzählt die Allgemeinmedizinerin, wie sich durch die technische E-Mail: redaktion@kbv.de Unterstützung der Praxisalltag positiv verändert hat. Die Hausärztin, die auch www.kbv.de Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin ist, möchte Kol- Gestaltung: leginnen und Kollegen ermutigen, sich auf die Digitalisierung einzulassen. Das KloseDetering, Hamburg Interview lesen Sie ab Seite 12. Für Veränderungen im Praxisalltag sorgt auch Druck: die KBV-Zukunftspraxis. In der Testphase wird bereits untersucht, wie unter- Druckerei Kohlhammer, Stuttgart schiedliche Anwendungen die Behandlung der Patienten und die Praxisorgani- Fotos: sation erleichtern können (mehr ab Seite 18). Titel: © Klose Detering; © shutterstock/Go- rodenkoff > S. 2: © Lopata/axentis.de S. 3: © Miriam Bochert/KBV; © iStock.com/ upixa > S. 4: © Miriam Bochert/KBV > S. 5: © Auch die Organisation der Notfallversorgung soll verändert werden. Dazu hat iStock.com/miriam-doerr > S. 6: © Miriam Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen Entwurf zur Notfallgesetzgebung Bochert/KBV > S. 7: © Miriam Bochert/KBV > S. 8: © Birte Christophers/KBV > S. 10: © vorgelegt. Das Ziel: eine bessere Verzahnung der unterschiedlichen Angebote iStock.com/artisteer > S. 11: © Bundesregie- der Akut- und Notfallversorgung (Seite 17). rung / Steffen Kugler > S. 12: © Birte Christo- phers/KBV > S. 14: © Birte Christophers/KBV > S. 15: © agenturfotografin – stock.adobe. In der Rubrik „Gesundheit anderswo“ blicken wir in die USA: Dort gab es mit com; © arttools – stock.adobe.com > S. 16: © Lopata/axentis.de > S. 17: © picture „Obamacare“ eine Reform, durch die viele Amerikaner eine Krankenversicherung alliance / Holger Hollemann/dpa > S. 18: © erhielten. Eine Absicherung im Krankheitsfall ist dort nämlich keine Selbstverständ- Copyright Vuzix 2020 > S. 20: © KBV; Aaron GmbH > S. 21: © KVWL; iStock.com/Nastasic lichkeit. Doch nun drängt Präsident Trump auf ein eigenes Gesetz (ab Seite 24). > S. 22: © European Union 2019 – EP > S. 23: © Alexander Louvet > S. 24: © iStock.com/ narvikk > S. 25: © KloseDetering > S. 26: © Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre. iStock.com/Jeremy_Hogan > S. 27: © KBV Ihr Dr. Stephan Hofmeister, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes www.twitter.com/kbv4u KBV Klartext Die App KBV2GO! kostenlos abonnieren www.youtube.com/kbv4u kostenlos downloaden: und downloaden: www.kbv.de/klartext www.kbv.de/kbv2go www.kbv.de/praxisnachrichten 2 KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020
Inhalt Titel Themen Gesundheit anderswo 10 Bürokratieindex: Leichter Rückgang 24 USA: Krankenversicherung 4 Künstliche auf hohem Niveau als Luxus Intelligenz und 16 116117 rund um die Uhr Digitalisierung: Wo 17 Reform der Notfallversorgung: steht Deutschland? KBV begrüßt Referentenentwurf Kurz gefasst 18 #Zukunftspraxis – KBV testet 15 Meldungen aus dem Bund innovative Produkte 21 Meldungen aus den Ländern 22 Bericht aus Brüssel: Europäische Koordinierung gefragt 27 Angeklickt und Aufgeblättert Interview 12 Dr. Irmgard Landgraf: „Viele haben unnötige Angst“ Der vorgelegte Referentenentwurf zur Notfallversorgung ist laut KBV „ein Schritt in die richtige Richtung“. KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020 3
TITEL Künstliche Intelligenz: Chancen und Herausforderungen Von der Diagnostik bis hin zur Untersuchung, von der Behandlung bis zur Patientenverwaltung. Re- gelmäßig berichtet die Fachpresse von neuen Innovationen bei der Künstlichen Intelligenz (KI). Die KI soll nahende Herzinfarkte erkennen, bereits Tage im Voraus. Sie stellt Diagnosen für die seltensten Krankheiten und soll anhand eines Fotos eine Hautkrebsanalyse durchführen können. Doch von der Schlagzeile zum Praxisalltag ist es ein weiter Weg. 4 KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020
TITEL E in umgebauter Tierstall steht am westlichen Ende des Charité Campus Mitte. Vor 30 Jahren wurde hier noch Wirkstoffforschung mit Mäusen und Rat- ten betrieben (experimentelle Pathologie). pelt sich die Zahl der KI-Publikationen. Zeit, diese auf ihren Sachgehalt zu testen, bleibt häufig jedoch nicht. Ehe Wissen- schaft und Fachpresse eine Studie geprüft haben, stehen schon die nächsten Inno- das Programm seine selbstständige Lernfä- higkeit – und übertraf alle Erwartungen. Ein Jahr später allerdings war Schluss mit „Watson“. Einseitige Stammdaten, Heute sitzt hier ein Zukunftslabor der Cha- vationen bereit. Sie bauen auf vorherigen unbrauchbare Technik, falsche Diagnosen rité. In Ledersandalen an seinem Schreib- Annahmen auf, ergänzen diese, oder – das war das Fazit des DKFZ. Den Vertrag tisch: Peter Hufnagl, Professor für digitale verwerfen sie komplett. Ein Wettlauf um mit IBM ließ man stillschweigend auslau- Pathologie. Mit seinem Team forscht er Ergebnisse entsteht. Denn in vielen Fällen fen. „Watson hat großartig performed bei im Auftrag des Bundesministeriums an halten die Aussagen der Studien einer Jeopardy, aber realer Einsatz im Alltag ist der Nutzung künstlicher Intelligenz in genauen Prüfung nicht stand. Präzedenz- etwas Anderes“, sagt Reinhard Karger, der Medizin. „KI lässt uns medizinische fall für diesen Prozess war die künstliche Unternehmenssprecher des Deutschen Daten aus verschiedenen Quellen auf neue Intelligenz „Watson“. Forschungszentrums für Künstliche Intelli- Weise miteinander verknüpfen, so dass genz (DFKI). „Das Beispiel Watson war ein ganz andere Sichten auf Diagnose und Lernprozess. Man erfährt, dass es Aspekte Behandlung möglich werden. Das bietet gibt, die man nicht bedacht hat. Für die unglaubliche Chancen sowohl für neue Forschung ist jeder dieser Fälle Gelegen- Behandlungsansätze aber auch für die Qualität statt Quantität heit zur Weiterentwicklung“. Qualitätssicherung aktueller Behandlun- gen“, erklärt Hufnagl. Das Deutsche Krebsforschungszentrum Eine künstliche Intelligenz wird zwar (DKFZ) in Heidelberg und der US-amerika- durch menschliche Programmierung Die Medizin entdeckt immer komplexere nische IT-Konzern IBM wollten in einem und Rohdaten angelernt, im Verlauf der Krankheitsbilder und Behandlungsmög- internationalen Forschungsverbund nach Nutzung trifft es seine Entscheidungen lichkeiten. Die Herausforderung an Ärzte, entscheidenden Mutationen im Erbgut von dann aber selbstständig. Die ursprünglich immer mehr Details und Fakten im Kopf Patienten forschen. Geeignete Therapien eingegebenen Daten werden um selbst zu behalten, steigt rapide an. Angesichts aus weltweiten Datenbanken sollten zu- geknüpfte Parameter erweitert. Am Ende solcher Tatsachen könnte die KI in der sammengeführt werden. IBM stellte dafür kann sogar der Programmierer nicht mehr Medizin entscheidende Lücken schließen. sein Wunderkind „Watson“ zur Verfügung: alle Entscheidungsketten nachvollziehen. Und die Branche boomt. Jährlich verdop- in der Quiz-Show Jeopardy demonstrierte Zusätzlich geht der Bedarf an Informatio- > KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020 5
TITEL nen für die sogenannte Big Data über rein medizinische Fakten hinaus. Neben Stamm- daten braucht es klinische Informationen, wie Labordaten, Vitaldaten, genetische Daten, um für die künstliche Intelligenz verwertbar zu sein. Bisher entscheidet jeder Entwickler selbst, welche Zusammen- setzung hier die richtige ist. Werden solche asymmetrischen Daten in KI-Systeme eingespeist, steigt die Wahrscheinlichkeit für falsche Ergebnisse. Wie an der Stanford Universität im Silicon Valley. Dort lernte die KI, dass bei einem Tumor immer auch ein Lineal im Bild zu sehen sein muss. Die Forscher nutzten das Messgerät auf Tumor-positiven Aufnahmen, um deren Größe zu bestimmen. Statt an den Hautzellen orientierte sich das Programm nur noch an dem Lineal. Oder wie bei Googles KI-Projekt „DeepMind“, die KI sagte nur jedes dritte Nierenversagen richtig vorher. Es wurde mit Daten von männlichen Patienten angelernt, die Nieren-Werte von Frauen konnte es nicht korrekt einordnen. Je mehr Krankheiten, Verläufe und Symptome das Programm vergleichen kann, desto höher ist die Wahr- scheinlichkeit für eine korrekte Analyse. In Ländern wie China oder Brasilien kommen Firmen vergleichsweise leichter an Daten: In China werden Patientendaten Roboter, wie dieser aus dem Futurium Berlin, sind bisher noch als Unterhaltungsroboter an der schneller weitergegeben, wenn neue Pro- Berliner Charité im Einsatz – bald auch als Pfleger? dukte für den Weltmarkt entstehen sollen, in Brasilien gibt es lockere Datenschutz- bestimmungen. Auch in Großbritannien bundeseigenen Big Data lösen. Insgesamt für eine bessere Gesundheitsversorgung sammelt „DeepMind“ mit der Gesundheits- 34 Krankenhäuser und Unikliniken sind nutzen können. Zugleich muss ein hohes App „Streams“ Millionen von Patientenin- in verschiedenen Konsortien zusammen- Maß an Datenschutz gewährleistet wer- formationen. Alles mit Einverständnis des geschlossen um Patientendaten vergleich- den. Hierfür setzt sich das BMBF bei der britischen National Health Service (NHS) bar und klinikübergreifend nutzbar zu Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedin- und ohne Wissen der Patienten. Als der machen. Jedes dieser Konsortien verfolgt gungen auf Grundlage der Europäischen Skandal aufflog, konnten die Betroffenen dabei ein Schwerpunktthema, beispiels- Datenschutz-Grundverordnung wie auch der Nutzung nicht einmal mehr widerspre- weise für die Krebs- oder Sepsisforschung. im Rahmen seiner Forschungsförderung chen. In Deutschland und europaweit gibt ein“, sagt Svenja Jambo, Pressesprecherin jedoch die Datenschutzgrundverordnung Mit einem neu eingeführten „Broad- beim Bundesministerium für Bildung und (DSGVO) einen engen Rahmen für die Consent-Formular“ kann der Patient Forschung. Datensammlung von Patienten vor. seine Zustimmung zur kompletten Datensammlung direkt zu Behandlungs- Damit die Rohdaten nutzbar und vergleich- beginn geben. Alle diese Daten stehen bar sind, werden Regularien geschaffen, dann der Forschung zur Verfügung. „Für die sich an internationalen Standards wie KI-Anwendungen in der Medizin ist die etwa LOINC und SNOMED CT orientieren. Hohe Datenschutzbestim- Verfügbarkeit von qualitativ guten Daten Mitte 2021 sollen die Ergebnisse in soge- mungen in Deutschland essentiell. In jedem Fall muss aber die nannten Datenintegrationszentren zur Ver- Datennutzung in verantwortungsvol- fügung gestellt werden und können dann Die Bundesregierung will „Deutschland ler Weise erfolgen. Das ist auch für die von Wissenschaft, Forschung und Medizin und Europa zu einem führenden KI- Akzeptanz in der Bevölkerung elemen- genutzt werden. Diese Basis sei gut, um Standort machen“, auch um die künftige tar. Die Rahmenbedingungen für KI mit IT-gestützte Diagnosen zu ermöglichen, Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Im Gesundheitsdaten, etwa im Hinblick auf seltene Krankheiten effektiver zu behan- Rahmen einer 160 Millionen Euro schwe- Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten, deln und den Datenaustausch zwischen ren „Medizininformatik-Initiative“ will sollten daher zum einen KI-Anwendungen Medizinern zu verbessern. Reinhard Karger Deutschland das Problem der mangelnden ermöglichen, damit wir die Potentiale vom DFKI spricht sich für einen Wandel 6 KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020
TITEL aus: „Die Diskussion um die Datensicher- heit müssen wir so diskutieren, dass wir unsere Datenkultur nicht gefährden, aber eben auch nicht die Qualität der Medizin.“ Mit zu geringen Datenmengen laufe man Gefahr, abhängig von anderswo erhobenen medizinischen Daten zu werden. Gegebe- nenfalls träfen diese nicht auf europäische Patienten zu. China investiert In China wurden in den vergangenen zwölf Jahren hunderttausende Patien- tenakten gesammelt und in intelligente Software integriert. Bis 2030 investiert die Regierung 150 Milliarden US-Dollar Prof. Dr. Peter Hufnagl in seinem KI-Forschungslabor. in Künstliche Intelligenz (im Vergleich: Deutschland drei Milliarden bis 2025). Und auch Chinas IT-Branche floriert, Technolo- App verbunden. Auch die chinesische erläutert der Berliner KI-Forscher Peter giefirmen wie Alibaba, Tencent und iFly- Gesundheitsbranche kämpft mit Proble- Hufnagl. Wer vorne mitschwimmen wolle, tek investieren riesige Summen in neue men wie überalternder Gesellschaft und müsse Geld vor allem in Forschung und Projekte. Und so kann sich das Second ansteigendem Ärztemangel, künstliche Bildung investieren. „Künstliche Intelli- Provincial General Hospital in Guangzhou Intelligenz soll diese Probleme kompen- genz ist eine enorm wachsende Technolo- bereits jetzt auf seinen „AI Doctor“ verlas- sieren. gie mit Breitenwirkung, das haben auch die sen. Er legt Patientenakten selbstständig Firmen erkannt. Allein im Jahr 2018 haben an, stellt Diagnosen und empfiehlt Be- Probleme, die auch in Deutschland allzu die fünf größten IT-Plattformen, darunter handlungen. Die Firma PingAn stellte mit bekannt sind. Hinzu kommt hier: be- Google und Alibaba, 600 Patente mit medi- „PingAn Good Doctor“ ein bereits von 300 reits die Universitäten stehen in Sachen zinischen Fokus angemeldet. Deutschland Millionen Patienten genutztes Netzwerk Förderung hinten an. In den USA habe die muss da aufpassen, dass es den Anschluss auf. Mithilfe intelligenter Software werden Stanford Universität allein ein größeres an die KI-Entwicklungen nicht verliert.“ Gesundheitsprofile für Familien, Diagno- Budget und wissenschaftlichen Output, als sen und medizinische Einkäufe in einer die drei Berliner Universitäten zusammen, Miriam Borchert und Birte Christophers „PATIENTENDATEN-SCHUTZGESETZ SCHAFFT KEIN VERTRAUEN IN DIE DIGITALISIERUNG“ Der Referentenentwurf zum Patientendaten-Schutzgesetz sierung im Gesundheitswesen erfolgreich voranzubringen, (PDSG) ist aus Sicht der KBV in dieser Form für die niederge- ist die Akzeptanz, bei Ärztinnen und Ärzten entscheidend. lassenen Ärzte eher eine Belastung. Sie haben schließlich rund einer Milliarde Patientenkontak- ten jedes Jahr. Hierbei sind Vorstellungen, die Arztpraxen Die KBV setze sich mit aller Kraft für die Digitalisierung und als „Lesestube“ für elektronische Patientenakten nutzen deren Akzeptanz ein und treibe deshalb „die Entwicklung der zu wollen, kontraproduktiv. Der erforderliche Aufwand ist ersten echten elektronisch nutzbaren Medizinischen Infor- angesichts der ohnehin schon am Limit arbeitenden Praxen mationsobjekte (MIO) wie Impfpass, Mutterpass und U-Heft nicht zu rechtfertigen.“ mit Hochdruck voran“, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen und fügte hinzu: „Aber Digitalisierung Vorstandmitglied Dr. Thomas Kriedel ergänzte: „Die Verant- ist kein Selbstzweck.“ Wichtig sei, wie sie die Versorgung wortung für die IT-Sicherheit der Komponenten darf nicht der Patienten verbessere und Praxen entlaste – ohne dabei auf die Arztpraxen abgewälzt werden. Das gilt auch für die zusätzliche Kosten zu verursachen. Kosten, die ihnen im Zuge der mit der Digitalisierung ver- bundenen strukturellen Veränderungen entstehen werden. Deutlich wurde auch Dr. Stephan Hofmeister, stellvertre- Hier ist der Gesetzgeber aufgefordert, klare Vorgaben zur tender Vorstandsvorsitzender. Er erklärte: „Um die Digitali- Finanzierung der Strukturkosten zu setzen.“ KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020 7
TITEL Digitalisierung in Praxen schreitet voran Ärzte und Psychotherapeuten nutzen vermehrt digitale Anwendungen im Praxisalltag: 91 Prozent der Vertragsarztpraxen mit digitalen medizinischen Geräten haben diese zumindest teilweise an das Praxisverwaltungssystem angebunden, 67 Prozent der Hausärzte nutzen eine digitale Anwendung zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Z um zweiten Mal zeigt die vom IGES Institut im Auftrag der KBV durch- geführte repräsentative Studie, wie weit die Digitalisierung in den Praxen vorangeschritten ist. Dazu wurden circa vorangeschritten ist. Dies gilt vor allem für die Bereiche Praxisorganisation und -management sowie Dokumentation. Tat- sächlich sind das die Bereiche, in denen Ärzte die Digitalisierung am ehesten als Versorgung-Gesetzes ist vorgesehen, dass die KBV die Möglichkeit zur Erstellung einer Richtlinie zur IT-Sicherheit erhält. Diese soll Praxen dann unterstützen und Sicherheit geben“, ergänzte Kriedel. 8.900 Praxen kontaktiert, etwa 2.100 Da- Fortschritt wahrnehmen“, sagte Dr. Andre- tensätze von Vertragsärzten und -psycho- as Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV therapeuten konnten ausgewertet werden. bei der Präsentation der Ergebnisse. „Dort, Rund Dreiviertel der Vertragsarztpraxen wo die Anwendungen weiterhelfen und (76 Prozent) nutzen mehrheitlich oder auch durchdacht sind, macht die Digitali- Befürchtungen und Hoffnungen vollständig die digitalisierte Patienten- sierung Sinn“, so Gassen weiter. dokumentation (2018: 73 Prozent), 59 Pro- Ärzte und Psychotherapeuten sorgen sich zent managen die Terminplanung und zudem um den direkten Kontakt zum Wartezeiten über digitale Anwendungen. Patienten. So befürchten 43 Prozent eine Bei den psychotherapeutischen Praxen Verschlechterung der Arzt-Patienten- läuft bei 44 Prozent die Patientendoku- Noch viel ungenutztes Potenzial Beziehung. Eine Fernbehandlung lehnen mentation mindestens zur Hälfte digital. die meisten ohne vorherigen persönlichen „Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass die Doch in vielen Bereichen ist das Potenzial Erstkontakt ab, im Vergleich zum Vorjahr Digitalisierung in den Praxen schon weit noch nicht ausgeschöpft: Bei 85 Prozent ist jedoch bei den Psychotherapeuten die findet die schriftliche Kommunikation Bereitschaft für allgemeine Online- und mit anderen Ärzten/Psychotherapeuten Videosprechstunden um 10 Punkte auf komplett in Papierform statt, bei der 25 Prozent gestiegen. Rund 50 Prozent der Kommunikation mit Krankenhäusern liegt Praxen erhoffen sich durch die Digitali- der Wert sogar bei 93 Prozent. Viele Ärzte sierung weitere Verbesserungen in den und Psychotherapeuten geben Sicherheits- Bereichen Kommunikation und Praxisma- lücken im EDV-System als Grund für die nagement. „Die Mehrheit der Praxen ist Zurückhaltung bei der Digitalisierung an. bereit für mehr Digitalisierung und erhofft Statt 54 Prozent (2018) nennen dies mitt- sich davon einen Nutzen. Solange aber kei- lerweile 60 Prozent der Befragten als stark ne Verlässliche und nachhaltige Verbesse- hemmenden Faktor. „Die Zahlen zeigen, rung im Praxisalltag spürbar ist, hält sich dass viele Ärzte und Psychotherapeuten der Enthusiasmus noch in Grenzen. Auch unsicher sind“, so KBV-Vorstandsmitglied wir wollen Tempo machen bei der Digita- Dr. Thomas Kriedel. „Wir als KBV – und lisierung. Aber mit Augenmaß. Und mit das KV-System insgesamt – nehmen Mehrwert – vor allem aber mit Sicherheit“, die Sorgen der Praxen ernst. Wir setzen so Kriedel. uns ein für eine sensible Gestaltung der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Es Birte Christophers bedarf sinnvoller politischer Regelungen. Im Gesetzgebungsverfahren des Digitale- Dr. Andreas Gassen, KBV-Vorstandsvorsitzender und Dr. Thomas Kriedel, KBV-Vorstandsmitglied, bei der Präsentation des PraxisBarometer Digitalisierung 2019. 8 KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020
91% der Vertragsarztpraxen mit digitalen medizinischen Geräten haben diese mindestens teilweise an ihr PVS angebunden. 76% 67% der Vertragsarztpraxen haben die der Hausärzte nutzen eine Patientendokumentation mehrheit- digitale Anwendung zur Arznei- lich oder vollständig digitalisiert. mitteltherapiesicherheit. staNd dEr digitalisiEruNg iN PraxEN 46% 47% der Praxen sind bereit, ihre der Vertragsärzte und -psycho- Patientendokumentation auf ein- therapeuten haben in den letzten heitliche Standards umzustellen. 3 Jahren an einer Fortbildung zur Digitalisierung teilgenommen. ErwartEtEr NutzEN dEr digitalisiEruNg: HEmmNissE dEr digitalisiEruNg: .............................................................................. .................................................................................. 59% elektronischer Medikationsplan 85% Sicherheitslücken in der IT .............................................................................. .................................................................................. 56% Notfalldatensatz 81% Umstellungsaufwand .............................................................................. .................................................................................. 51% digitale Verordnungen 79% ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis .............................................................................. .................................................................................. 46% digitale Pässe (z.B. Mutterpass, Impfpass etc.) 77% Fehleranfälligkeit der IT-Systeme .............................................................................. .................................................................................. 43% arztverwaltete Patientenakte 69% fehlende Nutzerfreundlichkeit der Anwendungen .............................................................................. .................................................................................. ≥50% 43% dEr PraxEN ErwartEN VErbEssEruNgEN bEi: dEr PraxEN bEfürcHtEN EiNE VErscHlEcHtEruNg dEr > Kommunikation mit Krankenhäusern arzt-PatiENtEN-bEziEHuNg > Kommunikation mit Niedergelassenen > Praxismanagement QuEllE: PraxisBarometer Digitalisierung 2019 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung; repräsentative Befragung von 2.099 vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Praxen im April und Mai 2019 durch das IGES Institut KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020 9
THEMA Bürokratieaufwand in Praxen: Leichter Rückgang auf hohem Niveau Erstmals seit 2016 sinkt die Zeit, die Ärzte für Bürokratieaufgaben aufwenden müssen, im Vergleich zum Vorjahr um knapp zwei Prozent. Doch noch immer benötigen Praxen im Schnitt rund 60 Tage im Jahr für Dokumentationsaufgaben. Das ergab der Bürokratieindex 2019. Bereits zum vierten Mal veröffentlichte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Studie. Ä rzte und Psychotherapeuten muss- ten rund eine Million Stunden weniger für Verwaltungstätigkei- ten aufwenden als 2018. Das bedeute etwa einen Tag weniger Bürokratie pro Praxis, Bürokratieaufwand in den Praxen spürbar zu senken,“ so Kriedel weiter. Das Kern- problem sei, dass die Politik die Digitali- sierung bislang nur halbherzig umsetze. Denn bisher verursachten viele Gesetze Viel Bürokratie durch wenige Pflichten Zeit, die den Patienten zugutekomme, noch mehr Bürokratie. Als Beispiel nannte Der von der Fachhochschule des Mittel- sagte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas er die elektronische Arbeitsunfähigkeits- stands (FHM) erstellte Bürokratieindex Kriedel, bei der Vorstellung des Bürokra- bescheinigung. Bei dieser sei, so Kriedel, für die vertragsärztliche Versorgung zeigt tieindex (BIX). neben der digitalen Variante vom Gesetz- auf, wieviel Zeit die niedergelassenen geber zusätzlich noch ein Papierausdruck Ärzte und Psychotherapeuten im Jahr für Kriedel zufolge könnte in Zukunft die vorgesehen. „Diese unvollständige hybri- die Erfüllung bürokratischer Pflichten Digitalisierung helfen, Bürokratie weiter de Lösung macht es schwierig, die notwen- aufbringen müssen. Untersucht wurde abzubauen. Darin liege „ein enormes Ent- dige Akzeptanz für den gesamten Prozess der Aufwand durch Verwaltungsaufga- lastungspotenzial“, betonte er. „Wir haben der Digitalisierung in den Arztpraxen zu ben, die durch Vorgaben der Selbstver- aber noch viel Wegstrecke vor uns, um den erreichen“, betonte Kriedel. waltung auf Bundesebene entstehen. 10 KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020
Gesetzliche Regelungen fallen nicht der Archivierung des Berichtsvordrucks darunter, da diese durch das Statisti- Gesundheitsuntersuchung (Muster 30) auf- sche Bundesamt in einem eigenen Index grund der Änderung der Gesundheitsun- Bürokratie ist Niederlassungs- geführt werden. tersuchungs-Richtlinie. Dadurch entfielen hemmnis pro Jahr etwa 500.000 Stunden. Wie auch in den Vorjahren machten we- Die Ergebnisse des Berufsmonitorings nige Informationspflichten einen Großteil Zu mehr Aufwand von rund 32.000 Stun- Medizinstudierende machen regelmäßig der Belastung aus, sagte Prof. Dr. Volker den führte wiederum die Dokumentation deutlich, dass der bürokratische Aufwand Wittberg von der FHM und Leiter des beim Hautkrebsscreening. Durch einen von Medizinstudierenden als wesentli- Nationalen Zentrums für Bürokratiekos- entsprechenden Beschluss des Gemeinsa- ches Argument gegen eine Niederlassung tenabbau. In Zahlen bedeute das, „dass men Bundesausschusses müssen insbe- gesehen wird. Im Rahmen von Fokus- 91 Prozent aller bürokratischen Belastun- sondere Dermatologen mehr Parameter als gruppeninterviews wurden daher für den gen durch nur sechs Prozent der Pflichten früher dokumentieren. aktuellen BIX neu Niedergelassene zu ausgelöst werden“. Davon müssten im- ihren Erfahrungen befragt. Als wesent- merhin knapp zwei Drittel von den Ärzten Die KBV empfiehlt verschiedene Lösungs- liche Hemmnisse wurden hier unter und Psychotherapeuten selbst abgearbei- strategien für einen weiteren Bürokratie- anderem bürokratische Hürden beim tet werden, fügte Kriedel hinzu. abbau. Dazu zählen eine praxistaugliche Zulassungsverfahren und die Komplexität Lösung für die digitale Arztsignatur, die der Regelungen bei der Abrechnung und Abschaffung des doppelten Antrags für bei Verordnungen genannt. die Kurzzeittherapie, die Verschlankung des Verfahrens zur Arztzulassung, der Tom Funke 500.000 Stunden gespart Verzicht auf die AU-Bescheinigung in Bagatellfällen sowie eine einfache und Die größte Erleichterung beim Verwal- praxistaugliche Umsetzung der elektroni- Mehr zum Thema Bürokratieindex fin- tungsaufwand entstand durch den schen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Sie hier: www.kbv.de/630204 Wegfall sowohl des Ausfüllens als auch und des elektronischen Rezeptes. DREI FRAGEN AN ... DR. JOHANNES LUDEWIG, VORSITZENDER DES NATIONALEN NORMENKONTROLLRATES Kritik muss festgehalten werden, dass die In welchen Bereichen ist die Belastung Bundesregierung ein in sich konsistentes besonders hoch? und schlüssiges Konzept zum Abbau von Bürokratie und für Bessere Rechtsetzung Der jährliche Erfüllungsaufwand – Zeitauf- entwickelt und umgesetzt hat. Ich möchte wand und Kosten eines Gesetzes – ist seit zwei Punkte nennen: Um gesetzliche Folge- seiner Schätzung im Jahr 2011 im Saldo um Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) kosten effektiv zu begrenzen wurde ein rund 6,6 Milliarden Euro gestiegen. Der hat den gesetzlichen Auftrag, die Bun- 25 Prozent-Bürokratie-Abbauziel zwischen mit Abstand größte Anteil, rund 4,9 Milliar- desregierung bei der Umsetzung ihrer 2006 und 2011 vereinbart. Zudem wurde den Euro (74 Prozent des Anstiegs), entfällt Maßnahmen zu Bürokratieabbau und 2015 eine sogenannte „One in one out“- auf die Wirtschaft. Der Erfüllungsaufwand besserer Rechtsetzung zu unterstützen. Regel eingeführt. für die Verwaltung ist in diesem Zeitraum Wo steht Deutschland in Sachen Bürokra- um rund 1,5 Milliarden Euro gestiegen. tieabbau? Jedes Gesetz weist heute die entstehen- Die Bürgerinnen und Bürger wurden mit den Kosten für Bürger, Unternehmen und rund 221 Millionen Euro (drei Prozent) am Die Bundesregierung hat mit der Einrich- Verwaltung transparent und nachvollzieh- wenigsten zusätzlich belastet. tung des Nationalen Normenkontrollrates bar aus. Trotz beachtlicher Erfolge zeigt (NKR) im internationalen Vergleich ein sich aber: Neue Gesetze sind oft nicht pra- Wo sehen Sie Verbesserungs- Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Nie- xistauglich, weil die Perspektive von Bür- möglichkeiten? mand sonst beschäftigt sich intensiv und gern und Unternehmen nicht ausreichend systematisch mit dem Thema. berücksichtigt wird. In der Folge entstehen Die Digitalisierung eröffnet bisher nicht Regelungen, deren Vollzug schwierig bis genutzte Möglichkeiten, Dienstleistungen In der öffentlichen Wahrnehmung entsteht unmöglich ist. Dadurch ist die Akzeptanz im Gesundheitsbereich anzubieten und gelegentlich der Eindruck, es würden kei- neuer Regelungen bei den Betroffenen Bürokratie effizient und wirksam abzu- ne Fortschritte erzielt. Quantitative Ergeb- niedrig. Politik muss wesentlich mehr tun, bauen. Man muss sie nur endlich richtig nisse der letzten Jahre sagen jedoch etwas damit staatliche Regulierung und Lebens- nutzen. Deutschland liegt hier im europäi- Anderes. Denn bei aller verständlicher wirklichkeit produktiv ineinandergreifen. schen Vergleich noch weit zurück. KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020 11
INTERVIEW „Viele haben unnötige Angst“ Dr. Irmgard Landgraf ist Hausärztin und Fachärztin für Innere Medizin. In ihrer Praxis setzt sie voll auf Digitalisierung. Im Klartext-Interview spricht sie über die Veränderung im Praxisalltag, mögli- che Hemmnisse zweifelnder Kollegen und ungenutzte Möglichkeiten der Digitalisierung. Frau Dr. Landgraf, Sie halten Vorträge bei eine Entlastung nicht erkennen können. Befunde meiner Patienten zur Verfügung. Fachtagungen darüber, wie Digitalisie- Und genau das sollte sich ändern. Ich Ich muss mir dazu nicht zeitaufwendig die rung den Praxisalltag verändern kann. finde die Digitalstrategie, wie sie nun von Akte herausgeben lassen, um darin nach Warum liegt Ihnen das Thema so am der Politik gefördert wird, richtig und un- den Daten zu suchen – und sie vielleicht Herzen? verzichtbar, aber sie muss auch wirklich gar nicht mehr zu finden. Und ich kann anwenderorientiert sein. Patienten auch von zuhause beraten oder Ich erlebe täglich wie uns die Digitali- im Notfall Ärzten im Krankenhaus alle sierung den Arbeitsalltag erleichtert, die Wo sehen Sie konkret die größte Verän- notwendigen Befunde per Knopfdruck aus Versorgungsqualität verbessert und unse- derung im Praxisalltag zu „früher“, zur meiner digitalen Patientenakte schicken. re Arbeitszufriedenheit erhöht. Wenn sie analogen Zeit? Außerdem sieht jeder, der im PC die Kar- richtig eingesetzt und an unseren Bedarf teikarte öffnet, sofort alle wichtigen Hin- orientiert genutzt werden kann. Viele kla- Da kann ich viele Beispiele nennen. In weise zu notwendigen Untersuchungen, gen, weil sie durch digitale Anwendungen meiner Praxis stehen mir immer sehr Impfungen, erforderlichen Medikamenten mehr Arbeit haben und den Nutzen sowie schnell alle wichtigen Informationen und oder Allergien. 12 KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020
„Ich bin total froh, solche Möglichkeiten zu haben.“ In der Pflegeheimversorgung sind die Kommunikation über den PC praktizie- sind sehr wichtige Instrumente, um die Vorteile ebenfalls nicht zu übersehen. ren wir auch in der Praxis während der Behandlungs- und Patientensicherheit zu Ich arbeite mit den Pflegekräften digital Sprechstunde. Keine Mitarbeiterin muss verbessern. vernetzt über die elektronische Patien- in meine Sprechstunde „platzen“, um eine tenakte zusammen. Das führt zu einem wichtige Frage zu stellen. Das kann sie In eingangs erwähnten Vorträgen hatten kontinuierlichen, niedrigschwelligen und über den Rechner machen und bekommt Sie unter anderem auch über die Trans- zeitnahen Informationsaustausch. Alle von mir die digitale Antwort, sobald mir parenz bei Diagnostik, Therapie und sind gut informiert über die schriftliche dies möglich ist. Der Patient, der vor mir Medikamentencontrolling gesprochen. Kommunikation zwischen uns, es muss im Sprechzimmer sitzt, merkt das gar Inwiefern ist der Patient darin eingebun- nicht mehrmals zum gleichen Thema zwi- nicht, denn ich antworte zum Beispiel in den? schen mir und verschiedenen Pflegekräf- der Zeit, in der er sich nach einer Untersu- ten gesprochen werden. Ich erhalte immer chung wieder anzieht. Meine Patienten können nicht nur von Informationen aus erster Hand von der mir, sondern auch von jeder Praxismit- Pflegekraft, der gesundheitliche Probleme Insbesondere das Medikamentencon- arbeiterin alle Informationen zu Befun- beim Heimbewohner aufgefallen sind. Sie trolling schätze ich sehr. Meine Praxis- den, geplanter Diagnostik und Therapie erreicht damit auch wirklich mich, zeitnah mitarbeiterinnen stellen beispielsweise erfahren, sich alles ausdrucken lassen, innerhalb weniger Stunden, und bekommt Wiederholungsrezepte nur aus dem bei je- alles einsehen. Das fördert nicht nur das von mir, schriftlich fixiert, eine Antwort dem Sprechstundenbesuch aktualisierten Vertrauen der Patienten in unsere Arbeit, oder Handlungsanweisung. Vieles kann Medikationsplan aus. Da sehen sie sofort, sondern auch die Kompetenz der Patienten ich zunächst digital und online lösen, welche Medikamente gebraucht werden in Bezug auf ihre Gesundheit und den Um- bevor ich ins Heim fahren muss. Dadurch und welche noch ausreichend vorhanden gang mit ihrer Krankheit sowie ihre Com- gelingt uns hochgradig präventives sein müssten, oder ob Unverträglichkeiten pliance. Meine Patienten sind in der Regel Arbeiten. Und die schnelle Umsetzung aufgefallen sind – alles unter der Vorga- gut aufgeklärt über ihre gesundheitliche notwendiger diagnostischer und thera- be, dass die Einnahme wie verabredet er- Situation und übernehmen entsprechend peutischer Maßnahmen mit dem Resultat, folgt. Das erhöht die Behandlungssicher- auch viel Verantwortung für sich. Für dass Beschwerden schnell beseitigt und heit ganz enorm und ist sehr entlastend. mich als Ärztin ist es sehr befriedigend, dramatische Krankheitsentwicklungen Unser Impfmanagement ist ebenfalls mit meinen Patienten auf Augenhöhe Dia- deutlich reduziert werden. digitalisiert und unterstützt hervorra- gnostik- und Behandlungsentscheidungen gend. Mir werden auf Knopfdruck nicht treffen zu können und wertschätzend Unsere Patienten sind relativ selten im nur der aktuelle Impfplan, sondern auch miteinander zu agieren. Krankenhaus. Die Pflegekräfte haben auf alle erforderlichen Impfungen mit dem ihre Fragen immer sehr schnell eine ärzt- Datum des erforderlichen Impfzeitraumes Und wie sieht es mit der intersektoralen liche Reaktion, müssen nicht aufwendig angezeigt. Und wenn ich noch Reisepläne Zusammenarbeit aus? hinter mir her telefonieren und immer wie- der Patienten eintrage, sehe ich in der Soft- der versuchen, Kontakt zu mir aufzuneh- ware auch, welche Reiseimpfungen wann Die intersektorale Zusammenarbeit pro- men, um ärztliche Hilfe zu bekommen. Ich am besten durchgeführt werden. fitiert von guter digitaler Unterstützung habe deutlich weniger unerwartete Anrufe der Patientenversorgung schon heute. – und vor allem auch weniger ungeplante Eine enorme Arbeitserleichterung und Wenn ich dem Facharzt sehr schnell auf Hausbesuche. Qualitätsverbesserung haben wir auch Knopfdruck alle benötigten Informationen durch die Vernetzung mit dem Labor, in geben kann, wenn ich seine Anregungen Nennen Sie bitte Beispiele, wo bei der dem die Blutuntersuchungen durchgeführt zuverlässig und rasch umsetze und ihn Behandlung digitale Anwendungen (in werden. Sobald von uns ein Laborauftrag digital an dem weiteren Versorgungspro- Ihrer Praxis) zum Einsatz kommen. ausgestellt wird, erfährt das Labor online zess beteilige, indem ich beispielsweise davon und kann schon alles für die Un- alle von mir erhobenen Laborwerte auch Ganz entscheidend sind für mich die sehr tersuchung vorbereiten. In meiner Praxis umgehend vom Labor an ihn weiterleiten effiziente und zeitsparende Zusammenar- werden dann die Klebezettel mit Patien- lasse, dann entlaste ich ihn erheblich. beit mit meinen Praxismitarbeiterinnen tenname und dem Hinweis auf das benö- Das führt dann dazu, dass er für meine und den Pflegekräften sowie die sehr tigte Blutabnahmesystem ausgedruckt, in Patienten im Bedarfsfall auch eher einen hochwertige Versorgungsqualität. Digital der Reihenfolge, in der die verschiedenen Termin zur Verfügung stellen kann. Diese vernetzt zu arbeiten bedeutet, wir müssen Blutröhrchen befüllt werden sollen. Und digital schon verbesserte Zusammenarbeit uns nicht gegenseitig bei der Arbeit stören, wenige Stunden nach Eintreffen im Labor ist aber natürlich noch optimierbar. um Informationen auszutauschen. Das kann ich online schon alle fertiggestellten geht sowohl im Heim als auch in der Ergebnisse einsehen. Ich bin total froh, Wo sehen Sie da Chancen? Praxis asynchron über die Patientenakte. solche Möglichkeiten zu haben. Für mich Ich lese die Informationen der Pflegekraft sind diese verschiedenen digitalen An- Wenn wir demnächst alle wichtigen Be- oder der Praxismitarbeiterin, wenn ich mir wendungen nicht nur arbeitserleichternd funde über die ePA zur Verfügung gestellt die Zeit dafür nehmen kann. Diese digitale und qualitätsunterstützend, sondern sie bekommen und nicht mehr einander hin- > KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020 13
terher telefonieren oder Befunde per Fax Viele haben unnötige Angst, was das können uns alle nicht mehr vorstellen, zeitaufwendig anfordern müssen, wird betrifft. Manches kann ich aber sehr gut herkömmlich papierbasiert zu arbeiten. uns das alle sehr entlasten. Wenn wir verstehen. Viele Praxis-, Pflegeheim- oder zusätzlich noch schnell über das sichere Krankenhausverwaltungssysteme sind Und wie gehen Sie mit technischen Netz der KV miteinander kommunizieren häufig viel zu kompliziert und nicht anwen- Problemen um? oder uns in Online-Konsilen zu Patienten derorientiert. Wenn ich fünfmal klicken beraten können, wird das die Versorgung muss, um einen Eintrag an eine Stelle zu Wir lösen sie. Wenn sie auftreten, versu- erheblich verbessern. Vor allem profitieren bekommen, dann kann ich nur ablehnend chen wir alle, erst einmal das Problem davon immobile multimorbide Patienten, sein. Denn die Digitalisierung soll uns die selbst zu beheben. Das gelingt uns immer die nicht zum Facharzt gehen können. Arbeit erleichtern und nicht verkompli- häufiger. Nur selten brauchen wir zusätzli- Wenn ich demnächst den Dermatologen, zieren. ITler müssten verpflichtend mehr che Hilfe, in der Regel dann von unserem Chirurgen, Kardiologen oder Geriater darüber wissen, was wir digital unterstützt Software-Betreuer. mit dem Tablett-PC mit ins Heim nehmen brauchen. Sie müssten unsere Arbeitspro- und dort vor Ort mit ihm den Patienten zesse kennen, damit sie sinnvolle Pro- Warum glauben Sie, hängt Deutschland anschauen und über das weitere ärztliche grammanwendungen produzieren. im internationalen Vergleich zurück? Handeln beraten kann, ist das ein enormer Fortschritt, von dem nicht nur der Patient, Ein weiterer Punkt sind die enormen Sicher spielt eine große Rolle, dass wir sondern wir alle profitieren werden. Kosten, die die Digitalisierung auch ver- Deutschen Vieles perfekt machen wollen ursacht. Aktuell müssen alle Praxen die und deshalb Probleme identifizieren, Aber es gibt auch Zweifler: Inwiefern kön- Umstellung auf Windows 10 realisieren, deren Lösung vorab viel Zeit kostet und nen Sie Bedenken von Digitalisierungs- für viel Geld – 20.000 Euro sollen ganz manchmal auch gar nicht gelingt. Außer- gegnern in Bezug auf digitale Abhängig- üblich sein – und mit hohem zeitlichem dem verlangen wir Qualitätsnachweise keit nachvollziehen? Aufwand, in dem die Praxis geschlossen für digitale Anwendungen, die zum Teil bleiben muss. Ein weiterer Faktor sind die nur mit hohem Zeit- und Geldaufwand sehr vielen verschiedenen PVS-Lösungen. erbracht werden können. Ganz wichtig ist Wir haben in Deutschland circa 180 ver- aber auch, dass wir eine solche Vielfalt schiedene zertifizierte PVS-Systeme mit an digitalen Lösungen haben, die nicht unterschiedlichsten Leistungsangeboten, miteinander kompatibel sind, sodass wir die wegen fehlender Schnittstellen nicht uns auch damit die gemeinsame Entwick- miteinander Daten austauschen können, lung erschweren. Nicht vergessen sollten es fehlt die Interoperabilität. Vieles würde wir auch die mangelnde Netzabdeckung leichter werden, wenn IT-Lösungen in der in unserem Land, die uns sogar in einer Gesundheitsversorgung von Leistungs- Großstadt wie Berlin immer wieder durch erbringern und ITlern gemeinsam entwi- fehlenden Internetzugang oder fehlendes ckelt würden. WLAN die digitale Arbeit erschweren. Ein weiteres Thema, das viele Ärzte Gibt es für Sie ethische Grenzen bei der und Psychotherapeuten hemmt, ist der Digitalisierung? Datenschutz. Können Sie Zweifel vieler Kollegen und vor allem der Patienten ver- Wir sollten bei den vielen digitalen und stehen, die Daten seien nicht sicher? telemedizinischen Lösungen immer die Dr. Irmgard Landgraf (Jahrgang 1952) Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte ist niedergelassene Hausärztin und Wenn man ganz einfache Regeln einhält, des Patienten beachten. Die digitale Über- Fachärztin für Innere Medizin. Seit wie beispielsweise mit Praxis-Rechnern wachung eines Patienten, selbst wenn sie 1993 führt sie ihre Praxis in Berlin. Sie nicht im Internet surft, keine unbekann- gut gemeint ist, darf die Intimsphäre eines ist außerdem Lehrärztin der Charité für ten USB-Sticks an die Praxissoftware Menschen nicht verletzen. Ein Mensch das Fach Allgemeinmedizin und Mit- anschließt und keine Anhänge öffnet, muss auch das Recht haben, dass Daten glied in zahlreichen Fachgesellschaf- kann eigentlich bei den üblichen Sicher- von ihm wieder gelöscht werden – zum ten und Verbänden, unter anderem ist heitsmaßnahmen in der Praxis nichts Beispiel ein Alkoholexzess oder Drogen- sie Vorstandsmitglied der Deutschen passieren. Ich arbeite bereits seit 1993 mit problem in jungen Jahren. Jeder Mensch Gesellschaft für Telemedizin. Für ihre digitalen Akten – ich hatte noch nie ein muss das Recht über seine Daten haben telemedizinische Betreuung eines Sicherheitsproblem. und selbst bestimmen können, welche Pflegeheims wurde sie mehrfach Daten wem zur Verfügung gestellt werden. ausgezeichnet, unter anderem 2011 Wie geht denn ihr Praxispersonal mit den mit dem Innovationspreis von Springer technischen Anforderungen um, wie lief Medizin und dem Telemedizinpreis die technische Umstellung? Die Fragen stellte Birte Christophers. 2014 der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin. Für die Evaluation der Meine Praxismitarbeiterinnen hatten kei- von ihr praktizierten digital vernetz- ne Probleme, sich in die Softwarenutzung ten Pflegeheimversorgung erhielt sie einzuarbeiten. Wir haben uns mit den vergangenes Jahr den Deutschen Preis Jahren eine große Professionalität mit den für Patientensicherheit. digitalen Anwendungen erarbeitet, freuen uns über jede hilfreiche Innovation und 14 KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020
MELDUNGEN AUS DEM BUND Organspende neu geregelt Der Bundestag hat die Organspende in Deutschland neu geregelt. Bei der Abstimmung votierten 432 Abgeordnete für den Vorschlag der erweiterten Entscheidungslösung, 200 dagegen, 20 Abgeordnete enthielten sich. Organ- spenden sind auch zukünftig nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Neu hingegen ist ein Online-Regis- ter zur schnellen Feststellung der Spendenbereitschaft. Videosprechstunden öfter Zudem soll mindestens alle zehn Jahre beim Abholen eines Ausweises auf das Thema Organspende hingewie- möglich sen werden. Außerdem sollen Hausärzte künftig dafür bezahlt werden, dass sie Patienten beraten. Eingebracht Die Spitzen von Kassenärztlicher Bundesvereinigung hat den Entwurf eine Gruppe um Grünen-Chefin Annalena (KBV) und GKV-Spitzenverband einigten sich auf eine Baerbock. Bei den Abgeordneten keine Mehrheit erhielt Anpassung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes die doppelte Widerspruchslösung von Gesundheitsminis- (EBM) im Bereich der Videosprechstunde. Die neuen ter Jens Spahn. Diese Lösung sah vor, dass zunächst alle Regelungen traten am 1. Oktober 2019 in Kraft. Patienten Bundesbürger potentielle Organspender sein sollten, es können Ärzte auch dann per Video konsultieren, wenn sei denn, sie hätten einer Spende widersprochen. (fun) sie noch nie in deren Praxis in Behandlung waren. Video- sprechstunden sind somit auch bei „neuen“ Patienten abrechenbar und damit öfter möglich. Neu ist auch, dass Psychotherapeuten Videosprechstunden anbieten dür- fen. Sie können diese nun einfacher in den Praxisalltag integrieren. Ebenfalls seit vergangenem Oktober zahlen die gesetz- lichen Krankenkassen eine Anschubfinanzierung an Ärzte und Psychotherapeuten, die Videosprechstunden durchführen. Für bis zu 50 elektronische Visiten im Quartal gibt es zehn Euro je Sprechstunde zusätzlich – insgesamt bis zu 500 Euro. Die Fördermöglichkeit gilt zunächst für zwei Jahre. Voraussetzung für den Zuschlag ist, dass die Praxis mindestens 15 Videosprechstunden im Quartal durchführt. (fun) Kommentierungsphase hat begonnen Seit dem 16. Januar kann als erstes medizinische Informa- tionsobjekt (MIO) der elektronische Impfpass kommen- tiert werden. Jeder Interessierte hat die Möglichkeit, seine Anmerkungen auf einer extra für dieses Verfahren ein- gerichteten Webseite einzureichen. In der ersten Woche waren bereits 48 Kommentare zur Definition eingegan- gen. Ziel ist es, verfügbare Expertisen und Kompetenzen möglichst breit und transparent in den Entstehungspro- zess des jeweiligen MIOs einzubinden, bereits vor dem Verfahren zur Benehmensherstellung und damit einer abschließenden Definition. Nach dem elektronischen Impfpass werden im Verlauf dieses Jahres weitere MIOs in die Kommentierungsphase starten. Diese ist zunächst für jeweils sechs Wochen angesetzt. Die KBV ist gesetzlich dafür zuständig, die notwendigen Festlegungen für die Inhalte der elektronischen Patientenakte zu erarbeiten, muss jedoch mit allen relevanten Akteuren im deutschen Gesundheitssystem das Benehmen herstellen. (fun) KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020 15
THEMA 116117 rund um die Uhr 24 Stunden erreichbar sein – das ist eine der Neuerungen der 116117. Unter der Nummer erhalten Patienten nun außerdem eine Ersteinschätzung zu ihren Beschwerden. Die Elfen-Kampagne geht im Frühling in die nächste Runde. D ie wachsende Popularität der Service-Nummer 116117 zeigt sich an zwei Zahlen: Kannten im Jahr 2013 erst vier Prozent die Nummer, sind es im Jahr 2019 schon 20 Prozent. zu niedergelassenen Ärzten umgeleitet, die Notrufstellen damit deutlich entlastet. Ob die KVen der jeweiligen Bundeslän- der die Terminservicestelle selbst, wie in Langzeitanalyse, um die künftige Nut- zungsintensität genau abschätzen zu kön- nen. Aktuell rechnen die Kassenärztlichen Vereinigungen mit Ausgaben zwischen einer halben und drei Millionen Euro für Die Kassenärztliche Bundesvereinigung Schleswig-Holstein, oder durch externe das laufende Jahr. (KBV) folgt mit dem Ausbau dem Termin- Dienstleister verwalten lassen, wie etwa service- und Versorgungsgesetzes (TSVG), die KV Bayerns, bleibt ihnen überlassen. Zu Jahresbeginn brachte die Einführung das im Mai 2019 in Kraft getreten ist, den Die Verfügbarkeit der 116117 liegt bereits des standardisierten Ersteinschätzungs- Forderungen von Gesundheitsminister bei 99,97%. Dies bedeutet eine Erreichbar- verfahrens (SmED) noch kleinere tech- Jens Spahn. keit, die der Notrufnummer 110 in nichts nische Herausforderungen mit sich, was nachsteht. „Die KVen haben die Anforde- auch an der Umsetzung innerhalb kür- Der erweiterte Patientenservice stellt die rungen von Minister Spahn gut gelöst. Das zester Zeit gelegen hat. Diese sind mittler- Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) System ist durchdacht und vorbildlich um- weile behoben. Die nächsten Schritte sind jedoch auch vor große Herausforderun- gesetzt“, so der KBV-Vorstandsvorsitzende die Weiterentwicklung des SmED-Systems gen: Ihre Leitstellen müssen dauerhaft Dr. Andreas Gassen. für Rettungsdienstmitarbeiter im mobilen erreichbar sein und geschultes Personal Einsatz und eine App für Patienten zur beschäftigen. Zu den neuen Services Durchschnittlich arbeiten zwischen 30 digitalen Selbsteinschätzung. gehören neben einer Ersteinschätzung, und 100 Angestellte in den Call-Centern, medizinische Handlungsempfehlungen je nach Größe und Bedarf. Die KV Bay- In einer zweiten Kampagnen-Runde oder Weiterleitung zu einer geöffneten erns unterhält, in Zusammenarbeit mit werden die zwei Elfen in diesem Jahr die Praxis, auch Terminvereinbarungen. Die Kommunikationsdienstleister Gedikom, neuen Dienste bewerben. Terminvermittlung ist telefonisch oder mit 300 Mitarbeitern die größte Leitstelle. online über den eTerminservice möglich. Auch die zu erwartenden Unterhaltskosten Birte Christophers Bereits drei Viertel aller Anrufer werden fallen unterschiedlich aus. Noch fehle eine Im August 2019 startete die bundesweite Kampagne mit den Elfen. 16 KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020
Reform der Notfallversorgung: KBV begrüßt Referentenentwurf Der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgelegte Entwurf zur Notfallgesetzgebung wird von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) grundsätzlich begrüßt. Auch wenn „einzelne Regelungen einer Überarbeitung“ bedürfen, gehe der Entwurf „in die richtige Richtung“, betont die KBV in ihrer Stellungnahme. I nsbesondere die weiterhin starke Rolle des KV-Systems bei der notdienstlichen Versorgung der gesetzlich Krankenver- sicherten in Deutschland, stößt bei der KBV auf Zustimmung. So bleibt vor allem der Sicherstellungsauftrag der Kassen- ärztlichen Vereinigungen (KVen) für die ambulante notdienstliche Versorgung erhalten. Eine neue Struktur – mit damit notwendigerweise verbundenen Schnitt- stellenproblematiken – werde vermieden. Die KBV unterstützt zudem das Ziel, die unterschiedlichen Angebote der Akut- und Notfallversorgung zu verbinden. Versi- cherte würden durch die gemeinsamen Notfallleitsysteme (116117 und 112) und die integrierten Notfallzentren (INZ) sofort in die richtige Versorgungsebene gelenkt, heißt es in der Stellungnahme. Regionale Angebote erhalten Stellung bezieht die KBV auch zu mögli- Gesetzentwurf könnte der KBV zufolge so Einige Klarstellungen fordert die KBV chen Einsatzzeiten. Aus Sicht der Körper- interpretiert werden, dass die notdienstli- bezüglich des geplanten Versorgungsan- schaft muss in dem Gesetz klar geregelt che Versorgung auch durch die Haushalte gebotes. So müsse es den KVen weiterhin sein, dass der aufsuchende Bereitschafts- der KVen und damit über die Verwaltungs- möglich sein, fachspezifische Leistungen, dienst nur zu den sprechstundenfreien kostenbeiträge der Vertragsärzte finanziert zum Beispiel einen augenärztlichen Bereit- Zeiten verpflichtend vorzuhalten ist. werden sollen. schaftsdienst, anzubieten. Das INZ werde Vertragsärzte könnten tagsüber nicht in solche Leistungen nicht erbringen, heißt ihrer Praxis und in einem INZ tätig sein, Spahn hatte 2019 einen Diskussionsent- es in der Stellungnahme weiter. Zudem zumal Patienten mit akuten Erkrankungen wurf zur Notfallversorgung präsentiert. müssten auch Portal- oder Notdienstpra- zu den Sprechstundenzeiten primär eine Mit dem Referentenentwurf soll jetzt die xen weiterbetrieben werden dürfen. Vertragsarztpraxis aufsuchen sollten. Umsetzung folgen. Das Gesetz soll bis Ende 2020 verabschiedet werden. Danach „Wenn wir eine KV haben, die großstädti- regelt der Gemeinsame Bundesausschuss sche Bezirke und ländliche Bereiche hat, die Details. dann werden die eine andere Lösungsop- tion für den ländlichen Raum anbieten Vollständige Finanzierung noch Tom Funke müssen als für die Großstadt, und ich ungeklärt glaube, dafür muss der Gesetzesentwurf dann auch die notwendige Beinfreiheit in Klärungsbedarf besteht aus Sicht der Ärz- Die Stellungnahme der KBV finden der Ausgestaltung auch der INZs geben“, tevertretung vor allem noch im Hinblick Sie hier: www.kbv.de/462156 sagte der Vorstandsvorsitzende der KBV „auf eine vollständige Finanzierung der Dr. Andreas Gassen. Leistungsangebote“. Die Formulierung im KBV KLARTEXT > 1. AUSGABE 2020 17
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