Die Zeit verrinnt Warum die ärztliche Arbeitszeit weniger wird
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
1. QUARTAL DAS MAGAZIN DER 2019 KASSENÄRZTLICHEN BUNDESVEREINIGUNG Die Zeit verrinnt Warum die ärztliche Arbeitszeit weniger wird KBV-Vors positionie tand rt sic zum TSVG h Medizinstudierende gematik Gesundheit anderswo Allgemeinmedizin wieder Geschäftsführer Alexander Schweden: Warten auf beliebter Beyer im Interview den Facharzt
Editorial KBV Klartext Das Magazin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Erscheinungsweise: Liebe Leserin, lieber Leser, vierteljährlich Herausgeber: nach monatelanger Debatte ist es nun beschlossene Sache: Kassenärztliche Bundesvereinigung Der Bundestag hat am 14. März das Terminservice- und Ver- Dr. Andreas Gassen (Vorstandsvor- sitzender der KBV, V.i.S.d.P.) sorgungsgesetz (TSVG) verabschiedet. Gesundheitsminister Spahn hat mit diesem legislativen Koloss seinen Ehrgeiz unter Redaktion: Alexandra Bodemer (Chefredakteurin), Beweis gestellt. Immerhin: Er ist der erste Minister, der den Birte Christophers, Tabea Breidenbach, Tom Funke, Filip Lassahn Grundsatz „mehr Geld für mehr ärztliche Leistungen“ in einem Gesetz verankert und sogar mit konkreten Zahlen hinterlegt. Abgesehen davon liegen jedoch Redaktionsbeirat: Dr. Roland Stahl – wie so oft – Licht und Schatten eng beieinander, wie Sie ab Seite 8 lesen können. Redaktionsanschrift: Kassenärztliche Bundesvereinigung Redaktion Klartext Eine Tatsache kann auch das TSVG nicht ändern: Die Zeit, die Ärzten insgesamt Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin Tel.: 030 4005-2205 für ihre Arbeit zur Verfügung steht, nimmt stetig ab – wie auch die Arztzeituhr Fax: 030 4005-2290 der KBV zeigt. Warum das so ist und was dagegen unternommen werden müss- E-Mail: redaktion@kbv.de www.kbv.de te, lesen Sie in unserem Titelthema (ab Seite 4). Gestaltung: KloseDetering, Hamburg Ein Grund für die schwindende Arztzeit ist, dass immer mehr Ärzte in einem zeitlich geregelten Anstellungsverhältnis arbeiten wollen, statt 50 Stunden und Druck: Druckerei Kohlhammer, Stuttgart mehr, wie es insbesondere ältere Praxisinhaber und -inhaberinnen noch tun. Die kommende Ärztegeneration legt Wert auf Work-Life-Balance, wie unser ak- Fotos: Titel: © shutterstock/koya979/LightField tuelles Berufsmonitoring Medizinstudierende einmal mehr zeigt. Erfreulich ist: Studios/KloseDetering > S. 2: © Lopata/ Das Interesse an der Allgemeinmedizin steigt wieder (ab Seite 12). axentis.de > S. 3: © shutterstock/Evellean/ KloseDetering; Tabea Breidenbach/KBV > S. 4: © shutterstock/Evellean/KloseDete- ring > S. 7: © Tabea Breidenbach/KBV > S. 8: Schweden gilt für viele Ärzte gerade in Bezug auf die Arbeitszeiten als Schla- © Amber Media > S. 9: © picture alliance/ raffenland. Dass in einem der Pionierländer der Telemedizin jedoch nicht alles Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa > S. 10: © Tabea Breidenbach/KBV > S. 11: © rosig ist, lesen Sie in unserer Rubrik „Gesundheit anderswo“ (ab Seite 24). BMG/Schinkel > S. 13: © rogerphoto/stock. Wartezeiten auf einen Facharzttermin von drei Monaten bis zu einem halben adobe.com > S. 14: © Tabea Breidenbach/ KBV > S. 16: © gematik > S. 17: © KVWL > Jahr sind im hohen Norden völlig normal! S. 18: © iStock.com/iMrSquid > S. 19: © iStock.com/KatarzynaBialasiewicz > S. 20: © iStock.com/SeventyFour > S. 21: © Ich wünsche Ihnen eine informative und anregende Lektüre. picture alliance/Waltraud Grubitzsch/dpa- Zentralbild/ZB > S. 22: © Liese; Häusling > S. 23: © Wölken; Montag > S. 24: © iStock. Ihr Dr. Stephan Hofmeister, com/Rawf8 > S. 25: © KloseDetering > S. 26: Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes © picture alliance/TT NEWS AGENCY; iStock. com/Alexander Farnsworth > S. 27: © KBV www.twitter.com/kbv4u KBV Klartext Die App KBV2GO! kostenlos abonnieren www.youtube.com/kbv4u kostenlos downloaden: und downloaden: www.kbv.de/klartext www.kbv.de/kbv2go www.kbv.de/praxisnachrichten 2 KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019
Inhalt Titel Themen Interview 8 TSVG: Neues Gesetz kommt als 14 Alexander Beyer: 4 Die Zeit verrinnt: „Omnibus mit Anhänger“ „Wir leisten Pionierarbeit“ Warum die ärztliche 12 Studierendenbefragung: Arbeitszeit weniger Medizinischer Nachwuchs weiß, was er will wird Gesundheit anderswo 18 Neue Reform: Psychotherapie wird Studienfach 24 Schweden: Lange Wege zum Spezialisten 21 Masterplan Medizinstudium 2020: KBV fordert schnelle Umsetzung 22 Bericht aus Brüssel: Positionen vor der Europawahl Kurz gefasst 11 Meldungen aus dem Bund 17 Meldungen aus den Ländern 27 Angeklickt und Aufgeblättert KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen (links) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei einer Veranstaltung zum TSVG. KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019 3
TITEL Die Zeit wird knapp Eine der großen Herausforderungen in der gesundheitlichen Versorgung ist der Fachkräftemangel. Doch nicht nur das medizinische Fachpersonal fehlt, vor allem die Zeit, die ein Arzt für seine Patienten zur Verfügung hat, wird weniger. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) will der Gesetzgeber Lösungen schaffen. Doch das Vorhaben könnte die Lage zusätzlich verschlimmern. 4 KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019
S eit Jahren nimmt die Arztzeit, also die Stunden, die niedergelassenen Ärzten für ihre Arbeit zur Verfü- gung stehen, ab. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Neben der wachsenden Bürokra- hestand gehen. Die Nachfolge für die Praxen gestaltet sich oft schwierig. Gerade die ältere Generation der Nieder- gelassenen arbeitet mehr Stunden als ihre insbesondere die Tätigkeit in eigener Praxis zu fördern. „Ein Problem bleibt jedoch bestehen: Selbst wenn wir ab sofort die Zahl der Studienplätze in der Humanmedizin signifikant erhöhen, kommen die jungen tie in den Praxen spielen auch veränderte jüngeren Kollegen. Scheiden die Älteren Ärzte frühestens in zwölf Jahren in den Arbeitszeitmodelle eine entscheidende aus der Versorgung aus, gehen dem System Praxen an“, betont Dr. Stephan Hofmeister, Rolle. Die Work-Life-Balance gewinnt auch vor allem jene Ärzte verloren, die deutlich stellvertretender Vorsitzender der KBV. bei Ärzten zunehmend an Bedeutung – über 50 Stunden pro Woche arbeiten. Die Die aktuelle Studierendenbefragung (siehe immer mehr Mediziner arbeiten angestellt nachfolgende Generation kann nur einen auch Seite 12/13) zeigt, dass viele junge Me- und in Teilzeit. Und auch der demogra- Teil der bisherigen Ärzteschaft ersetzen – diziner durch – tatsächliche oder vermeint- fische Wandel schließt die Ärzte mit ein: das Versorgungsangebot nimmt insgesamt liche – negative Rahmenbedingungen von Der Anteil der Niedergelassenen über 65 ab. Die Absolventenzahl in der Medizin einer Niederlassung abgeschreckt werden. Jahre steigt – und hat zur Folge, dass in steigt zwar seit Jahren, neue Studienplätze Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und den kommenden Jahren zahlreiche Praxen kommen hinzu – vor allem durch private eine Tätigkeit als Angestellte stehen hinge- einen Nachfolger suchen werden. Hochschulgründungen. Das Studienplatzan- gen hoch im Kurs. „Diese gesellschaftlichen gebot kann aber mit der oben beschriebenen Trends machen auch vor den jungen Medizi- Die Versorgung müsse deshalb so orga- Entwicklung nicht mithalten. Hier bedarf es nern nicht halt. Wir müssen alles dafür tun, nisiert werden, dass die verbleibenden weitreichender Maßnahmen in der medizi- ihnen attraktive Rahmenbedingungen auch Kräfte und deren Zeit so effizient wie mög- nischen Aus- und Weiterbildung sowie in und gerade als potenzielle Praxisinhaber zu lich eingesetzt werden können, sagt Dr. der späteren Berufsausübung mit dem Ziel, schaffen“, betont Hofmeister. > Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). „Wir sehen heute schon, dass der ENTWICKLUNG DER ANZAHL ANGESTELLTER ÄRZTE Fachkräftemangel auch in der ambulanten Versorgung voll durchschlägt. Und das be- trifft nicht nur die Ärzte, sondern ebenso 35.000 alle anderen Fachberufe: Praxispersonal, 31.477 Kranken- und Altenpflege, Rettungssanitä- 30.000 ter, Dispatcher in den Notrufzentralen und so weiter. Wir müssen mit den personellen 25.000 Ressourcen sehr bewusst umgehen“, so Gassen. 20.000 Die Vorgaben des TSVG in der bisherigen 15.000 Form würden dieses Ziel aber nur mit 10.000 einem erheblichen Kollateralschaden erreichen, mahnt der KBV-Vorstand. Es 5.000 werde die Rahmenbedingungen für nie- 5.623 dergelassene Ärzte immer unattraktiver 0 machen, weil es massiv in Praxisabläufe 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 eingreift und damit in die freiheitliche Be- rufsausübung der niedergelassenen selbst- ständigen Ärzte. Das Gesetz werde keine zusätzliche Arbeitszeit schaffen, sondern ENTWICKLUNG DER ANZAHL DER PRAXEN (EINZEL- UND GEMEINSCHAFTSPRAXEN) – auch durch mehr Bürokratie – die Zeit sogar weiter künstlich verknappen. Im schlimmsten Falle könnte es dazu führen, dass sich ältere Praxisinhaber früher als 95.000 geplant aus der Versorgung zurückziehen. 92.213 90.000 85.000 Alternde Ärzteschaft 80.000 In den vergangenen Jahren wuchs der Anteil 79.049 der Ärzte über 65 stetig an, 2017 lag er bei 10,3 Prozent. Vor allem ländliche Regionen 75.000 sind stark von der Entwicklung betroffen: In über der Hälfte der Planungsbereiche ist 70.000 bereits mehr als jeder dritte Hausarzt über 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 60 Jahre alt. Ein Großteil der Ärzteschaft wird in den kommenden Jahren in den Ru- KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019 5
TITEL psychotherapeuten sind das Rückgrat der Versorgung. Denn sie sind es, die Mehr angestellte Ärzte als Selbstständige auch dann noch eine Digitalisierung ist nicht die Schippe mehr drauflegen, wenn sie längst Lösung Der Trend zur Anstellung gerade bei am Limit arbeiten. Sie sind diejenigen, die jüngeren Ärzten ist offensichtlich: Waren auch noch die letzten Effizienzreserven Oft sind es die Rahmenbedingungen, die im Jahr 2017 nur rund 5.600 Ärzte in der des Systems aktivieren können. Und sie Ärzte von einer Niederlassung abhalten: vertragsärztlichen Versorgung angestellt, sind vor allem diejenigen, an denen jede Bürokratielast, Angst vor drohenden so waren es zehn Jahre später fast sechs Änderung des Sozialgesetzbuches ansetzt. Regressforderungen oder finanzielle Mal so viele, nämlich 31.477. „Für junge Nur sie können die Vorgaben des Gesetzge- Unsicherheit. Vor allem die steigende Mediziner, die frisch von der Uni kommen, bers überhaupt adäquat umsetzen. Ohne Bürokratie kostet die Ärzte viel Zeit. Laut ist die Anstellung ein guter Einstieg. Und die selbstständigen Vertragsärzte geht es Bürokratieindex 2018 bringen Ärzte und wir brauchen angestellte Ärzte auch drin- nicht. Wer sie vergrault, führt die Versor- Psychotherapeuten in der Woche 7,4 gend. Aber wir sollten schauen, dass wir gung in den Kollaps“, warnt Hofmeister. Stunden für Verwaltungstätigkeiten auf. die Selbstständigkeit wieder als attraktives Zeit, die für die Behandlung der Patienten Ziel ausgestalten und den Nachwuchs wie- Die jüngste Erhebung des ZI-Praxis-Panels wegfällt. Potenzial, um die Bürokratielast der mehr für die Niederlassung gewinnen“, unterstreicht dies. So lag im Jahr 2017 die zu verringern, liegt in der Digitalisierung. so Gassen. Die Zahl der Arztpraxen ist durchschnittliche Arbeitszeit der angestell- „Doch Digitalisierung allein kann das Pro- in den vergangenen zehn Jahren um 14,3 ten Ärzte bei rund 23 Stunden pro Woche blem der zurückgehenden Arztzeit nicht Prozent zurückgegangen. Dies führt dazu, – etwas weniger als die Hälfte der durch- lösen und den Mangel an Ärzten nicht dass an weniger Standorten eine ambulan- schnittlichen Arbeitszeit eines selbststän- auffangen“, betont Dr. Thomas Kriedel, te Versorgung angeboten wird. Im Bereich digen Arztes (siehe Grafik unten). Selbst Vorstandsmitglied der KBV. Für Menschen der hausärztlichen Versorgung ist die Zahl in Vollzeit angestellte Ärzte erbringen nur mit komplexen chronischen Erkrankun- der Niederlassungen in den vergangenen etwa 80 Prozent der Leistung eines selbst- gen sei das persönliche Gespräch mit dem zehn Jahren um etwa acht Prozent zurück- ständigen Vertragsarztes. Im Klartext: Die Arzt sowieso weitaus wichtiger als jede gegangen. derzeit rund 31.500 Angestellten können schicke App auf dem Smartphone. maximal 25.000 Vertragsärzte mit einem Dabei sind es gerade die Selbstständigen, vollen Versorgungsauftrag ersetzen. Durch Birte Christophers die in der medizinischen Versorgung den Trend zur Anstellung – vor allem auch fehlen: „Die in eigener Praxis niederge- in Teilzeit – verringert sich die Arztzeit lassenen Vertragsärzte und Vertrags- rapide. ARBEITSZEIT: DEUTLICHE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN ANGESTELLTEN UND SELBSTSTÄNDIGEN ÄRZTEN 25% angestellte Ärzte Inhaber 20% 15% Anteil 10% 5% 0% Stunden pro Woche 5 10 5 0 5 0 5 0 5 0 5 0 5 5 0- -1 -2 -3 -4 -5 -6 >6 -2 -3 -4 -5 -6 5- 10 50 30 40 20 45 25 60 35 15 55 Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi): Verteilung der ärztlichen Tätigkeiten (Wochenarbeitsstunden) von Inhabern und angestellten Ärzten im Jahr 2016. Quelle: Zi-Praxis-Panel 2017, ungewichtete Ergebnisse. 6 KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019
DIE UHR TICKT … Seit Ende Januar steht die Arztzeituhr im Foyer des KBV- Zwischen 2010 bis 2017 lag der Rückgang der Arztzeit bei Gebäudes in Berlin. Die 3 x 2,5 Meter große Uhr veranschau- 11,8 Prozent. Wenn sich diese Entwicklung von 2017 auf 2025 licht das Problem der sinkenden verfügbaren jährlichen linear fortsetzt, führt das zu einer Jahresarbeitszeit von Arztzeit. Sie ist auch ein deutliches Zeichen Richtung Politik: 16.763.822.912 Minuten im Jahr 2025. Das ist ein Minus von Die Zeit läuft langsam, aber stetig ab. Diese Botschaft möch- 2.243.865.898 Minuten und entspricht einem Verlust von te die KBV durch den Countdown veranschaulichen und zu- 21.249 VZÄ. gleich vor der anhaltenden negativen Entwicklung warnen. Das heißt: Pro Sekunde gehen 7,9 Minuten Arztzeit auf der So funktioniert die Arztzeituhr Arztzeituhr verloren. Jede Minute verschwinden somit 474 Minuten auf der Uhr, die ein Arzt an Arbeitszeit aufbringt. 2017 gab es 162.878 niedergelassene Ärzte und Psycho- Etwa alle 4 Stunden verliert die Versorgung somit ein VZÄ therapeuten (ohne für die ambulante Versorgung ermächtig- eines Arztes oder Psychotherapeuten. te sowie sonstige Ärzte und Psychotherapeuten) in Teil- und Vollzeit. Selbstständig tätige Ärzte in Vollzeit arbeiten im Wie tickt die Arztzeituhr? Schnitt 52 Stunden pro Woche, bei angestellten geht die KBV von 38,5 Stunden pro Woche aus. Annahme: › Die Arztzahlen (Köpfe) von 2025 entsprechen Beruhend auf der Annahme, dass eine Person 40 Stunden in denen von 2017. der Woche arbeitet (Vollzeitäquivalent, VZÄ), lag die Anzahl der VZÄ Anfang 2017 bei 179.997. › Die Entwicklung des Teilnahmeumfangs von 2017 auf 2025 entspricht der Entwicklung von 2010 auf 2017 2017 lag damit die verfügbare Jahresarbeitszeit der in Prozentpunkten (hier Rückgang um 11,8 %; niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten bei konservative Rechnung). 19.007.688.810 Minuten. Die Entwicklung geht in eine Rich- tung: Der Zuwachs an teilzeittätigen Ärzten und die Abnah- › Der mögliche Ruhestand von Ärzten über 65 Jahren und me der selbstständigen Ärzte führen zu einer sinkenden Mehrbedarf durch demografische Veränderung der Produktivität. Diesen Rückgang zeigt die Arztzeituhr auf. Bevölkerung sind nicht einbezogen. KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019 7
TITEL INFO-AKTION ZUM TSVG Anlässlich der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Ge- sundheit zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) am 16. Januar hatte die KBV eine Informationsaktion gestar- tet. Diese sollte im Vorfeld der Anhörung über die Probleme informieren, die das neue Gesetz mit sich bringen würde. Zwei Trucks mit LED-Leinwänden, auf denen unterschiedliche Botschaften aufleuchteten, fuhren durch das Regierungsviertel. Hintergrund der Aktion: Die immer unattraktiver werdenden Rahmenbedingungen für niedergelassene Ärzte und die Eingriffe in die Praxisabläufe. Mit dem TSVG greift die Politik massiv in die Praxisstrukturen und -abläufe ein – und damit in die freiheitliche Berufsausübung der niedergelassenen selbstständigen Ärzte. Durch das Gesetz wird keine zusätz- liche Arbeitszeit geschaffen, sondern es verknappt diese künstlich, auch durch mehr Bürokratie. Schon jetzt zeigen verschiedene Studien, dass Ärztinnen und Ärzte im Durch- schnitt 60 Tage pro Jahr für Bürokratie aufbringen müssen. Zeit, die für die Patientenbehandlung fehlt. Omnibus mit Anhänger Nun ist es da: Das Terminservice- und Versorgungsgesetz, kurz TSVG. Das Prestigeprojekt von Bundesgesundheitsminister Spahn war lange umstritten – und ist es teilweise immer noch. Am Tag nach der Verabschiedung durch den Bundestag zog der KBV-Vorstand auf der Vertreterversammlung seiner Organisation ein Fazit zu dem monatelangen Ringen. A m 14. März um etwa 10:15 Uhr war es vollbracht. Aus dem Plenarsaal des Deutschen Bundestages stieg sprichwörtlich weißer Rauch: Die Ab- geordneten hatten mit der Mehrheit der Minister Jens Spahn in den vergangenen Monaten nicht müde wurde zu behaupten, wird sich erst noch zeigen müssen. Am Ende jedenfalls war das Werk so umfang- reich und kleinteilig, dass Dr. Andreas Jugendärzten vermitteln. Ebenfalls mit Inkrafttreten des TSVG wird die Mindest- sprechstundenzeit für gesetzlich Versi- cherte von 20 auf 25 Stunden angehoben. Hausbesuche werden angerechnet. Regierungskoalition das TSVG in zweiter Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, es Spätestens zum 1. Januar 2020 soll die und dritter Lesung verabschiedet. Dem als „Omnibus mit Anhänger“ bezeichnete. heutige bundesweite Rufnummer des ärzt- Beschluss vorausgegangen waren mona- lichen Bereitschaftsdienstes, 116117, rund telange, teils hitzige Debatten in Politik, um die Uhr erreichbar sein. Patienten mit Ärzteverbänden und Selbstverwaltung. akuten Beschwerden sollen mithilfe eines In Rom verkündet der weiße Rauch die Was passiert wann? standardisierten Ersteinschätzungsver- erfolgreiche Wahl eines neuen Papstes, fahrens in die richtige Versorgungsebene begleitet von dem lateinischen Ausruf Ende April soll das Gesetz in Kraft treten, vermittelt werden. Also entweder in eine „habemus Papam“ – wir haben einen Papst. für bestimmte Regelungen in Bezug auf Praxis, zum Bereitschaftsdienst, in eine Nun also „habemus TSVG“. Der offizielle die ambulante Versorgung gelten spezielle Notfallambulanz im Krankenhaus oder an Name des Gesetzes lautet „Gesetz für Fristen. So sollen etwa die Terminservice- den Rettungsdienst. Unter der 116117 sollen schnellere Termine und bessere Ver- stellen der Kassenärztlichen Vereinigun- auch die Terminservicestellen erreichbar sorgung“. Ob es allerdings wirklich so gen (KVen) bereits ab Inkrafttreten des sein und Arzttermine innerhalb von vier segensreich für die Gesundheitsver- Gesetzes neben fachärztlichen Terminen Wochen vermitteln. sorgung in Deutschland sein wird, wie auch solche bei Haus- sowie Kinder- und 8 KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019
Alle Behandlungsfälle, welche über die Terminservicestelle zustande kommen, erhalten die Ärzte künftig extrabudgetär vergütet. Dies gilt ab Ende April. Zusätz- lich erhalten die Ärzte für entsprechend vermittelte Patienten Zuschläge, gestaffelt je nach Wartezeit. Diese Regelung soll ab August gelten. Ebenfalls ab August wird die „offene Sprechstunde“ bei grund- versorgenden Fachärzten verpflichtend eingeführt. Welche Fachgruppen genau dies betrifft, müssen die KBV und der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- versicherung noch festlegen. Für Patienten, die erstmalig in eine Praxis kommen be- ziehungsweise zwei Jahre lang nicht dort waren, werden die Leistungen ebenfalls extrabudgetär bezahlt. Auch das wird jedoch nur für bestimmte Arztgruppen gelten. Am 14. März und damit später als geplant stimmte der Bundestag für das Terminservice- und Versorgungsgesetz (Archivbild). Legislativer Kraftakt Ursprünglich sollte das Gesetz bereits im In den folgenden Wochen zeigte sich, dass echte Entbudgetierung. „Bisher waren die März 2019 in Kraft treten. Doch der Gegen- nicht nur die niedergelassenen Ärzte und Budgets und die Leistungsbegrenzung wind, vor allem aus der Ärzteschaft, gegen Psychotherapeuten Diskussionsbedarf siamesische Zwillinge. Jetzt sind mehr den Referentenentwurf war so groß, dass hatten. Allein in den Gesetzesentwürfen Leistungen ausdrücklich gewünscht, aber der Minister schließlich ein Angebot vom 25. auf den 28. Februar gab es mehr das Budget bleibt“, monierte Gassen. machte. Ende Januar fand in Berlin eine als 850 Einzeländerungen. Am 14. März Dialogveranstaltung statt, bei der Spahn fand der legislative Kraftakt nun sein Der KBV-Chef betonte jedoch auch, dass den Vertretern der KVen, Ärzte und Psy- vorläufiges Ende. das Gesetz durchaus Möglichkeiten biete. chotherapeuten Rede und Antwort stand. So sei die geplante Koordinierung der Ruf- Die rund zweistündige Veranstaltung, nummer 116117 mit den Terminservicestel- organisiert von der KBV, stieß auf reges len und einem System zur medizinischen Interesse. In einer lebhaften Diskussion Weichenstellung für die Zukunft Ersteinschätzung die Chance, in einem ging es um Themen wie Budgetierung und ersten Bereich eine medizinisch sachge- Regulierung, aber auch Digitalisierung und Einen Tag nach der Verabschiedung durch rechte Patientensteuerung zu etablieren. die Telematikinfrastruktur. Die Eingriffe das Parlament tagte die Vertreterver- Auch gebe das TSVG dem KV-System in den Praxisalltag und die gesetzlichen sammlung der KBV. Dort zog der KBV- Mittel an die Hand, „einen innovativen Vorgaben, wie Ärzte zu arbeiten hätten, Vorstand sein Fazit zum TSVG. Vorstands- Gegenentwurf zu schaffen zu global beschäftigten die Teilnehmer sehr. Auch vorsitzender Dr. Andreas Gassen stellte agierenden Digitalkonzernen“. Es werde die Sorge um den Ärztemangel und die fest, die KBV habe in vielen Gesprächen sich in den nächsten Jahren entscheiden, zurückgehende Zahl der Praxen wurde erreichen können, dass manche „Chaos- wohin die Versorgung sich entwickelt: ob thematisiert. Der Beruf des Arztes müsse regel“ wieder gestrichen wurde. Der es bei einer zuwendungsintensiven Versor- attraktiver gestaltet werden, zudem die größte Aufreger des Gesetzes aus Sicht der gung durch inhabergeführte Praxen blei- sogenannte offene Sprechstunde freiwillig niedergelassenen Ärzte seien nach wie vor be oder ob es zu einer „kapitalgesteuerten sein und nicht erzwungen werden, hieß es die 25 Stunden verbindliche Sprechstun- Versorgung mit Fokus auf ertragsgünstige aus dem Plenum. denzeit statt wie bisher 20: „Das ist eine Bereiche“ käme und damit zu einem ebenso übergriffige wie blödsinnige Rege- Wegbrechen der Versorgung sogenannter Der Gesundheitsminister zeigte sich offen lung. Würden die Kollegen wirklich nur 20 schlechter Risiken. Letzteres könne nur für Anregungen aus der Basis, machte aber oder 25 Stunden Sprechstunden anbieten, vermieden werden, wenn das Modell der auch Grenzen deutlich. Ärzte träfen eine dann gäbe es ein echtes Terminproblem inhabergeführten Praxis auch für die bewusste Entscheidung, wenn sie sich für und nicht nur ein gefühltes.“ Immerhin: kommende Ärztegeneration attraktiver sei die Versorgung gesetzlich Versicherter ent- Minister Spahn habe mit dem Gesetz als die Anstellung in einem Konzern-MVZ. schieden, die nun einmal gewissen Regulie- dafür gesorgt, dass mehr Leistungen auch „Das ist kein Prestigeprojekt der KBV, son- rungen unterliege, erklärte Spahn, gestand mehr Geld für die Ärzte bringen müssen. dern eine entscheidende Weichenstellung, aber zu: „Wir müssen die Anforderungen so Leider sei der nächste logische Schritt wer in Zukunft die Versorgung organi- gestalten, dass die Lust dazu bleibt.“ nicht erfolgt, nämlich der Einstieg in eine siert“, betonte Gassen. > KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019 9
THEMA sichtigt worden: „Das große Thema der „Mit den MIOs setzen wir einen Standard Versorgung, die unabdingbar notwendige für den strukturierten Datentransfer Bankrotterklärung der Politik Steuerung unter verantwortlicher Beteili- unserer Mitglieder untereinander sowie zu gung der Patientinnen und Patienten, wird Kliniken, zu Apotheken oder zu anderen Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender ignoriert! Eine Bankrotterklärung!“ Die medizinischen Fachberufen. Allein diese Vorstandsvorsitzender der KBV, ging in Devise „schneller, mehr und immer“ sei Aufzählung gibt einen Eindruck vom seiner Analyse an den Anfang des TSVG auf Dauer nicht durchzuhalten, auch nicht Umfang der Aufgabe. Das ist Grundlagen- zurück. Dessen Genese, nämlich die mit mehr Geld, betonte Hofmeister. Das arbeit für das gesamte Gesundheitswesen. Absicht, dass jeder Bürger in diesem Land Verhältnis von angestellten zu selbststän- Und ja – die KBV stellt sich dieser Aufga- so schnell wie möglich einen Arzttermin digen Ärzten – und damit die zur Verfü- be!“, betonte Kriedel. Diese Entscheidung erhalten soll, sei aus dem Versuch der gung stehende Arbeitszeit – verschiebe sei auch folgerichtig: „Im ambulanten Unionsparteien entstanden, die Bürger- sich täglich: „Ein dramatischer Struktur- Bereich haben wir pro Jahr mehr als 650 versicherung abzuwehren. Es handele wandel steht uns bevor. Darauf müssen Millionen Behandlungsfälle. Eine Milli- sich also um ein klassisches politisches wir reagieren – und zwar als Gesellschaft arde Arzt-Patienten-Kontakte resultieren Kompromissprodukt. „Das Problem ist: insgesamt.“ daraus – und damit die meisten Daten im Auf eine Fehldiagnose folgt zwangsläufig Gesundheitssystem." eine falsche Therapie!“, so Hofmeister. Nicht mangelnde Servicebereitschaft der Kriedel ergänzte, die KBV werde dieses Ärzte, sondern eine steigende und unge- Große Aufgabe für die KBV Vorhaben nicht als Closed Shop betreiben: steuerte Inanspruchnahme medizinischer „Im Gegenteil, wir beziehen selbstver- Leistungen, die wachsende Morbidität, die KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas ständlich die maßgeblichen Akteure mit abnehmende ärztliche Arbeitszeit und der Kriedel hob in seiner Rede die Bedeutung ein und suchen mit ihnen das Benehmen. Fachkräftemangel sowie eine leistungs- der elektronischen Patientenakte hervor, Es wäre widersinnig, wenn wir die vorhan- feindliche Budgetierung seien die größten welche die Krankenkassen nun bis 2021 dene Kompetenz nicht einbinden wollten. Herausforderungen in der Versorgung. ihren Versicherten zur Verfügung stellen Aber irgendwann muss einer die Entschei- müssen. Wesentlich dafür sei die Standar- dung treffen. Dafür hat die KBV jetzt das Eine Kernforderung der KBV, nämlich disierung der medizinischen Inhalte (der Mandat.“ ein einheitlicher hausarztzentrierter sogenannten medizinischen Informati- Alexandra Bodemer Steuerungstarif auch im Kollektivvertrag, onsobjekte, kurz MIOs), eine Aufgabe, die sei leider nicht von der Politik berück- der Gesetzgeber der KBV übertragen hat. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (links) bei der Dialogveranstaltung der KBV zum TSVG mit Moderator Wolfgang van den Bergh 10 KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019
MELDUNGEN AUS DEM BUND Information über Schwangerschaftsabbrüche neu geregelt Ärzte dürfen künftig öffentlich darauf hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Das hat der Bundestag am 21. Februar in namentlicher Abstimmung Sachverständigenrat nimmt beschlossen. Das Parlament stimmte mehrheitlich für eine entsprechende Ergänzung des Paragrafen 219a Arbeit auf Strafgesetzbuch. Danach dürfen Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen zukünftig ohne Risiko Ende Februar hat der neu zusammengesetzte „Sach- der Strafverfolgung darüber informieren, dass sie ent- verständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im sprechende Eingriffe durchführen. Neutrale Stellen, die Gesundheitswesen“ (SVR) seine Arbeit aufgenommen. im Gesetz benannt werden, sollen weitere Informationen Der Allgemeinmediziner Prof. Ferdinand Gerlach von der über das Thema Schwangerschaftsabbruch anbieten. Universität Frankfurt (Main) wurde erneut zum Vorsit- Ärzte dürfen auf diese Informationsangebote verweisen, zenden gewählt, zu seinem Stellvertreter wählten die etwa durch eine Verlinkung auf der Praxiswebsite. Die Ratsmitglieder erstmals den Bielefelder Gesundheits- Bundesärztekammer (BÄK) soll künftig eine Liste mit ökonomen Prof. Wolfgang Greiner. Bereits am 1. Februar Praxen und Einrichtungen führen, die Schwangerschafts- hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zwei neue abbrüche vornehmen. Dort sollen auch die jeweils Mitglieder in den Rat berufen: die Berliner Ökonomin Prof. angewendeten Methoden verzeichnet sein. Die BÄK soll Beate Jochimsen und den Heidelberger Mediziner Prof. die Liste monatlich aktualisieren und im Internet veröf- Christof von Kalle. Sie lösen die Medizinerin Prof. Marion fentlichen. (abo) Haubitz und den Ökonomen Prof. Eberhard Wille ab, der langjährig den Vorsitz des Rates innehatte. Weitere Mitglieder des SVR sind Prof. Gabriele Meyer von der Universität Halle (Saale), Prof. Jonas Schreyögg von der Universität Hamburg und Prof. Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke. Die Amtszeit beträgt vier Influenza bremst höhere Jahre. In seinem nächsten Gutachten will sich der Rat Lebenserwartung aus dem Thema Digitalisierung widmen. (tab) Das Robert-Koch-Institut (RKI) kommt in neuen Analysen zu dem Schluss, dass schwere Grippewellen mögli- cherweise einen Einfluss auf den Anstieg der Lebens- erwartung haben. In den vergangenen Grippe-Saisons Neue Regeln zur Zweitmeinung 2012/2013, 2014/2015 und 2016/2017 gab es jeweils mehr als 20.000 geschätzte Todesfälle, das entspricht Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat neue gut zwei Prozent der jährlichen Todesfälle. Die Todesfälle Verfahrensregeln zur ärztlichen Zweitmeinung be- treten dabei jeweils nach der Jahreswende auf, bei diesen schlossen. Bei Eingriffen an den Gaumen- und/oder Grippewellen also in den Jahren 2013, 2015 und 2017 – Rachenmandeln (Tonsillektomie, Tonsillotomie) sowie das waren exakt die Jahre, in denen sich der Anstieg der bei Gebärmutterentfernungen (Hysterektomien) ha- Lebenserwartung verlangsamt hat. Das RKI veröffent- ben Patientinnen und Patienten nun einen rechtlichen lichte die Ergebnisse im „Journal of Health Monitoring“. Zweitmeinungsanspruch. Er gilt unabhängig davon, bei Ein Grund für die hohen Todesraten sind die teilweise welcher gesetzlichen Krankenkasse die Patientin oder niedrigen Impfraten. Untersuchungen aus den vergange- der Patient versichert ist. Ärztinnen und Ärzte können bei nen Jahren ergaben, dass die Influenzaimpfbereitschaft ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eine Genehmi- regional stark schwankt. Auswertungen des Versor- gung beantragen, Zweitmeinungsleistungen abrechnen gungsatlas' des Zentralinstituts für die kassenärztliche zu dürfen. Dazu müssen sie die vom G-BA festgelegten Versorgung ergaben, dass 2013/14 waren in den östli- Anforderungen an die besondere, eingriffsspezifische chen Bundesländern durchschnittlich knapp 53,8 Prozent Qualifikation erfüllen. Die KVen sollen Patienten auf der über 60- jährigen geimpft, im Westen lag die Quote ihren Internetseiten informieren, welche Ärzte Zweitmei- lediglich bei 32,8 Prozent. Aufklärungskampagnen, auch nungen anbieten. (fun) von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, versuchen die Impfquote zu erhöhen. (fun) KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019 11
THEMA „Junge Ärztinnen und Ärzte wissen, was sie wert sind“ Angehende Ärztinnen und Ärzte wissen genau, was sie wollen: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht für sie an erster Stelle. Die hausärztliche Tätigkeit hat für Studierende an Attraktivität gewonnen. Das ergab die Umfrage „Berufsmonitoring Medizinstudierende“. D er ambulante Sektor hat an Attraktivität gewonnen“, diag- nostiziert Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV. Das zeigen die Ergebnisse des Berufsmonitorings Die meisten Nachwuchsmediziner wün- schen sich nach wie vor, in Anstellung zu arbeiten (90,2 Prozent). Doch mehr als die Hälfte der Befragten kann sich ebenfalls vorstellen, sich niederzulassen. lung, Job-Sharing, Einzel- oder Gemein- schaftspraxis, Stadt oder Land, lokal oder standortübergreifend – kein anderer Bereich bietet so viele Möglichkeiten für Ärzte, sich beruflich zu verwirklichen und Medizinstudierende 2018, einer bundes- Dies passe gut zum Wunsch nach Verein- gleichzeitig private Bedürfnisse, je nach weiten Online-Umfrage unter fast 14.000 barkeit von Familie und Beruf, machte Lebensabschnitt, zu berücksichtigen.“ Studierenden. Diese hat die Universität Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Flexible Arbeitszeitmodelle ließen sich in Trier im Juni und Juli vergangenen Jahres Vorstandsvorsitzender der KBV, deutlich: der ambulanten Versorgung gut umsetzen. zum dritten Mal im Auftrag der KBV „Der ambulante Sektor bietet alle Optio- Diese Erkenntnis sei mittlerweile auch durchgeführt. nen, welche die Studierenden sich für ihre bei den Studierenden angekommen, so berufliche Zukunft wünschen. Ob Anstel- Hofmeister. Die Gründe, die von einer Niederlassung abhalten, sind hingegen weiterhin konstant: Neben einer großen ERWARTUNGEN AN DEN BERUF: WICHTIGKEIT VERSCHIEDENER FAKTOREN Bürokratielast und einem hohen finan- ziellen Risiko ist es auch die Angst vor drohenden Regressforderungen. „Hier müssen wir aufpassen: Die Politik sollte Vereinbarkeit von Familie und Beruf den Nachwuchs nicht mit immer neuen Geregelte Arbeitszeiten gesetzlichen Vorgaben und Eingriffen von einer Niederlassung abschrecken“, warnt Flexible Arbeitszeiten Gassen. „Die jungen Ärztinnen und Ärzte Eigene Praxis wissen, was sie wert sind“, betont auch Prof. Rüdiger Jacob von der Universität Trier. FÜR WELCHE FACHARZTWEITERBILDUNG WÜRDEN SIE SICH JETZT ENTSCHEIDEN? 20% Innere Medizin 15% 1o% Allgemeinmedizin Ortho/Unfall 5% Chirurgie Psychiatrie 0% Psychosomatik Vorklinik Klinik PJ Einfachauswahl – Basis: 13.295 Antworten Die Vorliebe für ein Fach ändert sich im Lauf der Ausbildung. (Quelle: Berufsmonitoring Medizinstudierende 2018) 12 KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019
Allgemeinmedizin: Beliebtheit steigt Ein weiteres Ergebnis: Das Interesse an der Allgemeinmedizin steigt, je weiter die Aus- bildung voranschreitet. Dies gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Dagegen haben die Fachrichtungen Chirurgie und Orthopä- die an Popularität eingebüßt, obwohl sie im Studium dominieren. „Hier sind wir offen für einen Dialog mit den Fachgesellschaften, denn es zeigt sich: Die Quantität von Fächern im Studium sagt nichts darüber aus, welche Richtung Studierende anschließend ein- schlagen“, so Peter Jan Chabiera, Vizepräsi- dent 2018 der Bundesvertretung der Medizin- studierenden in Deutschland (bvmd). Entscheidend für die Berufswahl sei die qualitative Vermittlung von Inhalten, sagt der stellvertretende KBV-Chef Hofmeis- ter. Das sehe man gerade im Bereich der Insgesamt hat die Mobilität der Studieren- Die Delegation ärztlicher Aufgaben an nicht- hausärztlichen Tätigkeit. „Der persönliche den innerhalb Deutschlands, der Europä- ärztliches Personal spielt zunehmend eine Kontakt mit den Ausbildern sowie prakti- ischen Union und weltweit abgenommen. Rolle im Arbeitsalltag. Rund 77,2 Prozent der sche Erfahrungen mit dem großen Aufga- „Die Bedingungen hierzulande sind Befragten im Praktischen Jahr befürworten ben- und Patientenspektrum tragen dazu besser geworden. Ins Ausland wollen nur eine verstärkte Aufgabenübertragung an bei, dass die Studierenden ihr Fach in der noch 43,6 Prozent der Studierenden – das entsprechend qualifiziertes medizinisches ambulanten Versorgung als das erleben sind 20 Prozent weniger als bei der ersten Personal. Das stellt eine Zunahme um 17,6 können, was es tatsächlich ist, nämlich Befragung 2010“, so Gassen. Prozentpunkte im Vergleich zur vorher- vielseitig, spannend und sehr erfüllend. gehenden Befragung von 2014 dar. Die Die Patienten haben nicht nur Schnupfen, Studierenden selbst wünschen sich schon Husten, Heiserkeit!“ Auch Kampagnen wie während des Studiums mehr interprofes- „Lass dich nieder“ (siehe Kasten) hätten sionelle Zusammenarbeit und Ausbildung. zu einem besseren Bild der Allgemeinme- Manko Digitalisierung Jana Aulenkamp, Präsidentin 2018 des dizin beigetragen , so Hofmeister. bvmd, sagte dazu: „Wir machen später Erstmalig wurden die Studierenden 2018 zusammen die Versorgung, dann sollten wir auch zum Thema Digitalisierung befragt. auch zusammen lernen.“ Einen guten subjektiven Kenntnisstand zur Digitalisierung geben gut zehn Prozent Tabea Breidenbach Arbeitsplatz? der Studierenden an, im Hinblick auf die Am liebsten in der Heimat Telemedizin attestieren sich nur knapp vier Prozent gute Kenntnisse. Mit „Informations- LASS DICH NIEDER Die Studie gibt auch Auskunft, wo die und Wissensmanagement“ fühlen sich 11,5 angehenden Ärztinnen und Ärzte bevor- Prozent der Studierenden vertraut, die Zahl zugt arbeiten möchten. Heimatbundesland liegt im Praktischen Jahr bei 12,7 Prozent. 2014 startete die KBV gemeinsam und -region stehen hoch im Kurs. In dem „Hier müssen wir besser werden“, äußert mit den Kassenärztlichen Vereini- Wunsch nach Heimatnähe liegen auch sich Dr. Frank Wissing, Generalsekretär gungen die Kampagne „Lass dich Chancen für die Versorgung im ländlichen des Medizinischen Fakultätentags (MFT). nieder“. Bereich. Der Landarztmangel ist dadurch „Wir sehen den Auftrag, die Ergebnisse der allerdings nicht zu beheben, denn: „Land Studie einzubringen: Zurzeit arbeiten wir Auf der Website können sich ist nicht gleich Land“, meint Jacob. Dem an der Weiterentwicklung des Nationalen interessierte Medizinstudierende stimmt Gassen zu: „Am Starnberger See Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs in der sowie junge Ärztinnen und Ärzte werden Sie immer jemanden finden, der sich Medizin. Dabei stellen wir die Frage: Was über die Arbeit im ambulanten dort niederlassen möchte, aber es gibt auch bedeutet Digitalisierung für die Rolle und Bereich informieren. Ob Weiter- unattraktive ländliche Regionen. Nicht nur das Selbstverständnis des Arztes?“ Es sei bildung, Niederlassungsoptionen Ärzte wollen da nicht hin, die Bevölkerung jedoch schwierig, klare Inhalte für das Curri- oder Förderungen – viele Fragen verlässt diese Gegenden ja selbst.“ Auch culum festzulegen. Flexibilität im Lehrplan werden direkt online beantwortet spielen Familie und der Beruf des Partners sei wichtig, um dem Thema Digitalisierung unter eine Rolle. „Wenn der Partner Physiker ist, mit all seiner Dynamik gerecht werden zu www.lass-dich-nieder.de/home.html. findet er auf dem Land keine Anstellung, können. Dies ginge am ehesten, wenn Ziele anders als seine Frau, die als Hausärztin definiert, Inhalte aber nicht zu kleinteilig arbeiten möchte“, veranschaulicht Jacob. geregelt würden. KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019 13
INTERVIEW „Wir leisten Pionierarbeit“ Alexander Beyer ist Geschäftsführer der gematik, der Betreibergesellschaft der Telematikinfra- struktur im Gesundheitswesen. Im Klartext-Interview spricht er über die Erfolgsaussichten der digitalen Vernetzung, Eingriffe der Politik und über Vergleiche mit dem Berliner Flughafen BER. Herr Beyer, würden Sie bitte kurz skiz- Wie ist Ihre Einschätzung: Gelingt die ren an. Die Industrie muss jetzt „rund um zieren, wie der aktuelle Stand in Sachen Ausstattung der Praxen bis zur gesetz- die Uhr“ im Rahmen ihrer Kapazitäten Telematikinfrastruktur (TI) ist, etwa lichen Frist am 30. Juni 2019? anbinden. Ich glaube, wenn alle zusam- bei der Anbindung der Praxen und dem menwirken, dann ist es möglich, die Frist Versichertenstammdaten-Management Das kann klappen, aber es bestehen na- einzuhalten. (VSDM)? türlich Risiken. Wenn wir uns anschauen, in welchem Tempo die Anbindungen in Es gibt viele Ärzte, die das Verhältnis Im Jahr 2018 wurde angefangen, die den letzten Monaten erfolgt sind und das von Aufwand und Nutzen der TI für ihre Arztpraxen anzubinden. Zuständig dafür hochrechnen bis zum Ende der Frist, dann Praxis kritisch sehen. Wie überzeugen sind die Hersteller der technischen Kom- wird es nicht gelingen. Das liegt auch dar- sie diese? ponenten, etwa der Konnektoren, welche an, dass es Ärzte gibt, die das Thema noch die Zulassung für die TI von uns bekom- nicht auf der Agenda haben, die aber jetzt Ich verstehe, dass das kritisch gesehen men haben. Es sind jetzt etwas mehr als (bis Ende März, Anm. d. Red.) die techni- wird, weil dies einen Eingriff in den Pra- 50.000 angebundene Praxen (Stand Feb- schen Komponenten bestellen müssen. Die xisablauf bedeutet. Wir wissen aber auch, ruar 2019, Anm. d. Red.). Dort wird auch Praxen müssen außerdem Termine finden, dass sowohl die Versicherten als auch die das VSDM genutzt, also die Versicherten- an denen ein Servicetechniker verfügbar Ärzte die Idee, die hinter der Vernetzung stammdaten werden abgefragt und ist, der den Anschluss vornimmt. Vier steht, sinnvoll finden. Nämlich, dass medi- aktualisiert. Hersteller bieten mittlerweile Konnekto- zinische Daten und Informationen immer 14 KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019
„Minister Spahn würde nicht die Verantwortung für das Projekt übernehmen, wenn er an dessen Erfolg zweifeln würde.“ dann auf Wunsch des Patienten bereitge- Versorgungsgesetz werden die Kranken- Ja, ich komme gerne ins Büro (lacht). Ich stellt werden können, wenn sie benötigt kassen verpflichtet, ab dem 1. Dezember finde die Aufgabe nach wie vor spannend. werden. Ich kenne es von meiner Oma, die 2019 solche Karten auszugeben. Daneben Das Ziel, dem Patienten seine medizini- sehr viele verschiedene Medikamente von wird die gematik Festlegungen für Au- schen Daten digital an die Hand zu geben, unterschiedlichen Ärzten genommen hat. thentisierungsverfahren ohne eGK bis Mai ist immer noch so sinnvoll wie vor 15 Jah- Wenn das irgendwo zusammengetragen 2019 treffen. Allerdings sind diese Authen- ren. Wir haben alle Fristen eingehalten, wir wird und bewertet werden kann, sei es tisierungsverfahren heute noch nicht so haben ein super Team. Ich bin überzeugt vom Hausarzt oder in einer Notfallsitua- sicher wie andere. Die Krankenkassen sind von der Leistungsfähigkeit der gematik. tion, dann überzeugt das alle. Oder auch, aufgefordert, die Versicherten darüber zu dass Ärzte sicher miteinander kommu- informieren. Am Ende muss der Patient die Gesundheitsminister Spahn will die ge- nizieren können. Es gab gute Gründe, Entscheidung treffen, ob er die Funktion matik umbauen und sein Ministerium zum weshalb wir mit dem VSDM angefangen nutzen möchte. Mehrheitsgesellschafter machen. Damit haben, um überhaupt technisch in die hätte die Politik die direkte Entschei- Breite zu vernetzen. Aber es ist natürlich Wird es diese Möglichkeit auch für Ärzte dungsgewalt, nicht mehr die Selbstver- keine Anwendung, welche die Ärzte davon geben? waltung. Wie finden Sie das? überzeugt, dass ihnen diese Infrastruktur auch wirklich bei ihrer Arbeit hilft. Natürlich müssen wir vorsehen, dass auch Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, Ärzte mit mobilen Endgeräten auf Daten dass wir sehr gut mit den Gesellschaftern Wie geht es weiter mit den medizinischen zugreifen können, etwa bei einem Hausbe- zusammenarbeiten. Ich verstehe aber, Anwendungen? such. Da sind wir in Abstimmung mit dem dass die Ergebnisse in der Praxis noch Bundesamt für Sicherheit in der Informati- nicht spürbar sind und dass eine gewisse In der nächsten Stufe soll es das Not- onstechnik. Weil es um die medizinischen Ungeduld herrscht bei den Versicherten, falldaten-Management geben und den Daten des Patienten geht, muss ein hohes weshalb das Ministerium die Verantwor- elektronischen Medikationsplan. Die Sicherheitsniveau beim Zugriff des Arztes tung übernehmen möchte. Ich sehe das entsprechenden Spezifikationen liegen vor, gewährleistet werden. Die Entscheidung erst mal als Kompliment. Ich gehe nicht wir haben die Festlegungen getroffen für über das Sicherheitsniveau kann der Pati- davon aus, dass Minister Spahn die Verant- die Sicherheit und für die Interoperabilität. ent treffen, wie gesagt, nicht aber der Arzt. wortung für zwei Jahre – wenn man bis Diese Anwendungen müssen nun von den zum Ende der Legislaturperiode denkt Herstellern erprobt und dann von uns final Die aktuelle eGK hat landläufig einen – für dieses Projekt übernehmen würde, zugelassen werden. Wir gehen davon aus, ähnlichen sprichwörtlichen Status wie der wenn er nicht an einen nachweisbaren dass die Versicherten noch im laufenden Berliner Flughafen BER, wenn es um Zeit, Erfolg dieses Projekts glauben würde. Auf Jahr diese Anwendungen nutzen können. Kosten und technologischen Stand geht. der anderen Seite klingt ein achter Gesell- Der nächste Schritt ist dann die elektroni- Regt Sie das auf oder perlt das an Ihnen schafter für mich zunächst einmal nicht sche Patientenakte (ePA). Auch da haben ab? nach Beschleunigung. Da habe ich noch wir Ende letzten Jahres die Festlegung einen weiteren Gesellschafter abzuholen. getroffen, wie wir uns eine ePA im ersten Bei unserem „Flughafen“ Telematikinf- Deshalb müssen wir bei der konkreten Schritt vorstellen. Laut Gesetz müssen die rastruktur heben ja tagtäglich schon jetzt Ausgestaltung sehen, dass wir tatsächlich Krankenkassen als Anbieter der ePA diese 50.000 Maschinen ab. Ich glaube, dass schneller werden. Wobei ich auch daran bis Ende nächsten Jahres umsetzen. dieser Vergleich hinkt und der Komple- erinnern muss, dass wir sehr viele Festle- xität, die hinter den einzelnen Aufgaben gungen schon getroffen haben, die jetzt in Gesundheitsminister Spahn will, dass steckt, nicht gerecht wird. Von daher gibt der Umsetzung sind. Diesen Prozess kann Versicherte auch mobil, etwa mit dem es schon Momente, wo mich das emotional ich nicht dadurch beschleunigen, dass ich Smartphone und gegebenenfalls ohne anfasst oder peinlich berührt, wenn ich immer mehr Festlegungen treffe. elektronische Gesundheitskarte (eGK) auf merke, dass man versucht, mit solchen ihre Daten zugreifen können. Wie sieht es Stammtischparolen das Projekt zu diskre- Sehen Sie denn reelle Chancen schneller damit aus? ditieren. Es ist ein Pionierprojekt, das wir zu werden ohne Qualität zu verlieren? da machen, mit speziellen Anforderungen. Theoretisch ist es heute schon möglich, Das kann man meiner Ansicht nach nicht Die TI ist da, erste Festlegungen für die kontaktlos mit einem mobilen Endgerät auf mit einem Flughafen vergleichen. Inhalte sind getroffen. Jetzt können wir Daten zuzugreifen. Die Spezifikationen der als gematik mit allen Beteiligten in die eGK sehen Kontaktlos-Schnittstellen vor, Die gematik musste in den letzten Mona- Diskussion gehen. Ich glaube, das hilft so dass man kein Kartenterminal braucht, ten viel Kritik einstecken, etwa bezüglich uns, Lösungen, die mit der Industrie, sondern sich gegenüber dem mobilen ihrer Geschwindigkeit. Kommen Sie aber auch mit den Nutzern abgestimmt Endgerät authentisiert. Solche Karten gibt morgens noch gerne ins Büro? sind, schnell umzusetzen. Ob das durch es aber noch nicht. Im Terminservice- und eine Änderung der Governance der > KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019 15
gematik erfolgt, wird die Zukunft Daten überwachen. Das wäre ein konkre- gen mehr werden, dadurch gewinnen zeigen. tes Beispiel, wie die Infrastruktur selbst wir wieder neue Teilnehmer. Das ist ein als Plattform fungieren kann. Prozess, der nie so richtig zu Ende sein Einige Krankenkassen sind schon sehr Im November haben wir die Verfahrens- wird. Wir werden uns immer damit aus- weit bei der Installation eigener elektro- beschreibungen für die Bestätigung einandersetzen müssen, wie man diese nischer Akten und Anwendungen. Helfen „weiterer Anwendungen“ veröffentlicht, Plattform weiterentwickeln kann. Es gibt Ihnen diese Parallelentwicklungen oder wodurch jeder, der etwas mit Gesundheit viele potenzielle Nutzer, die bislang nicht verkomplizieren sie die Sache? oder Gesundheitsforschung zu tun hat, eingebunden sind, etwa die Pflege oder Anträge stellen kann, um die TI zu nutzen. der Reha-Bereich. Ein weiteres Thema ist, Es ist auf jeden Fall gut, Erfahrungen Je nachdem, welche Leistungsmerkmale wie man die Forschung sinnvoll integrie- zu sammeln, was die Kommunikation derjenige nutzen möchte, muss er be- ren kann. Auch Europa wird ein Thema zwischen Arzt und Patient angeht. Das stimmte Kriterien erfüllen. Wir prüfen al- sein, also die Frage, wie man eine solche sind wir in der Form ja bislang nicht ge- lerdings nicht, ob das jeweilige Vorhaben Infrastruktur grenzüberschreitend nutzen wohnt, dass der Arzt dem Patienten seine Sinn macht oder ob die entsprechenden kann. Ich gehe davon aus, dass wir noch medizinischen Daten gibt. Ich glaube, da Anwendungen funktionieren, sondern wir viele Jahre über das Thema TI, ihre An- muss auch „kulturell“ noch ein Umdenken überprüfen, dass die Sicherheit der Infra- wendungen und ihre Teilnehmer diskutie- stattfinden. Durch Gesundheitsakten wie struktur als solcher nicht gefährdet ist. ren werden. von der Techniker Krankenkasse oder von Vivy fangen wir damit an, solche Dis- Auch die ePA selbst wird eine Art Platt- Die Fragen stellte Alexandra Bodemer. kussionen zu führen. Das hilft uns. Uns form werden, in die strukturierte Daten hilft auch, dass die Krankenkassen große hochgeladen werden können. Strukturiert Begeisterung für das Thema ePA haben. Es heißt in einem festgelegten Format, das ist nicht mehr so wie vor vier, fünf Jahren, andere Teilnehmer im System, in diesem als wir sehr viele Beteiligte noch davon Fall die Ärzte, weiterverarbeiten können. überzeugen mussten, dass das Ganze Sinn Das betrifft bislang den Notfalldatensatz macht und dass es Geld kostet. Wir sind und den elektronischen Medikationsplan. dabei, mit den Krankenkassen in einem Das kann man aber auch für Mutterpässe, geregelten Prozess in Form einer Arbeits- Röntgenpässe, Bonushefte und derglei- gruppe alles zusammenzuführen. Das Ziel chen machen. Die KBV hat jetzt den ist, dass wir Akten haben, die sicher und Auftrag, die semantische und syntaktische interoperabel sind, in dem Sinne, dass Interoperabilität der Inhalte der ePA zu Ärzte mehrere Akten mit einem System gewährleisten. bedienen können. Ich denke, es haben alle verstanden, wie wichtig es ist, dass An dieser Aufgabenübertragung auf die alle miteinander kommunizieren können KBV gab es ja auch Kritik, etwa seitens auf Basis einheitlicher Regelungen. Diese der Industrie. Können Sie diese nachvoll- Regelungen hat die gematik zur Patienten- ziehen? akte getroffen, die Kassen müssen sie jetzt Alexander Beyer (Jahrgang 1973) ist umsetzen. Ich verstehe, was die Vertreter der Indus- seit 1. Juli 2015 Geschäftsführer der trie meinen. Sie fürchten, dass die KBV gematik Gesellschaft für Telematik- Die TI soll in der Zukunft nicht nur als Festlegungen trifft, ohne auf die Vorarbei- anwendungen der Gesundheitskarte Datenautobahn fungieren, auf der Infor- ten der Hersteller, der Fachgesellschaften mbH. Zuvor leitete der Volljurist mationen von A nach B fließen, sondern oder der Standardisierungsorganisatio- und Rechtsanwalt dort zehn Jahre sie soll eine Plattform für den generellen nen zurückzugreifen. Aber wenn ich die lang den Bereich Recht. Der gebür- Austausch von Daten im Gesundheits- Aussagen der KBV richtig verstehe, will tige Hamburger hat neben seinem wesen werden. Wie könnte das konkret sie sehr wohl auf das Knowhow dieser Staatsexamen einen Master of Law in aussehen? Interessengruppen aufsetzen. Was in der Rechtsinformatik und einen Master of Vergangenheit gefehlt hat, ist jemand, der Arts in Ökonomie & Management. Die jetzige Infrastruktur zeichnet sich am Ende eine Entscheidung trifft. Mir ist unter anderem dadurch aus, dass alle es letztendlich egal, wer die Entscheidun- Beteiligten registriert und bekannt sind, gen trifft, Hauptsache, es macht jemand. von daher ist diese Kommunikation Deshalb begrüße ich, dass die KBV hier untereinander vertrauenswürdig. Dieses die Hand gehoben hat. Leistungsmerkmal macht die TI für den Austausch vieler Daten im Gesundheits- Noch mal zurück zur TI als Plattform für wesen interessant. Nehmen wir etwa das den generellen Datenaustausch: Wann Implantateregister. Dieses soll nach Plä- wird dieses Ziel erreicht sein? nen des Bundesgesundheitsministeriums vom Deutschen Institut für Medizinische Wir sind jetzt in der spannenden Phase, in Dokumentation und Information errichtet der diese Plattform entsteht. Das betrifft ja und betrieben werden. Eine beim Robert- zwei Seiten: Einerseits müssen Sie sehen, Koch-Institut angesiedelte Vertrauensstel- dass die Teilnehmerzahl wächst. Auf der le soll die Nutzung der pseudonymisierten anderen Seite müssen die Anwendun- 16 KBV KLARTEXT > 1. QUARTAL 2019
Sie können auch lesen