Forum Sicherheit s - Unfallkasse Sachsen-Anhalt
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Sicherheits 2 . 2018 forum Mitteilungsblatt der Unfallkasse Sachsen-Anhalt Vertrauen und Respekt sind Erfolgsfaktoren für gutes Führungsverhalten MUT ZUM RISIKO – Wozu brauchen Kinder Wagnisse? Hinweise zum Beitrag 2019
Sicherheits forum Inhalt Prävention Vertrauen und Respekt sind Erfolgsfaktoren für gutes Führungsverhalten 4 Materialien zur Präventionskampagne „kommmitmensch“ 7 Gewaltprävention – Schutz vor Übergriffen bei Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr 8 Flyer und Broschüren zur Gewaltprävention 10 Schwerer Unfall durch Verwendung von Modellgips beim Abformen von Körperteilen 11 MUT ZUM RISIKO – Wozu brauchen Kinder Wagnisse? 12 Schwere Unfälle mit nicht bruchsicheren Verglasungen 15 Strangulationsgefahr durch Schlüsselbänder 18 Hinweise zum Beitrag 2019 19 Beitrag Für die Umlage 2018 den digitalen Lohnnachweis nutzen 21 Informationen für Kita und Schule 22 Mitteilungen Gefahrstoffe im Schulunterricht mit DEGINTU verwalten 24 Neues aus dem staatlichen Arbeitsschutzrecht 25 Fachkräfte für Arbeitssicherheit im Erfahrungsaustausch 27 Aktuelles zu Sicherheit und Gesundheit 29 Neue Druckschriften 33 Impressum 39
Liebe Leserinnen und Leser! Eine gute und gesundheitsförderliche Führung ist eine der wichtigsten Ressourcen, um die Gesundheit und Produktivität der Beschäftigten zu erhalten. Daher sind Anforderungen an Führungskräfte und ihre Fähigkeiten auch recht anspruchsvoll. Neben einer Vielzahl von Aufgaben haben sie vor allem die Arbeitsbedingungen optimal zu gestalten, klare Festlegungen der beruflichen Rollen zu treffen, realisti- sche Anforderungen an die Beschäftigten zu formulieren und das soziale Miteinan- der ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Blick zu behalten. Die Verantwortung für Führungskräfte und deren Erfolg tragen aber vor allem die Leitungen der Be- triebe und Unternehmen. Sie schaffen die entsprechenden Strukturen und Rah- menbedingungen und legen so die Grundsteine für gesunde Führung im betriebli- chen Alltag. Erster Schritt dabei ist das klare Bekenntnis, gesundes und sicheres Führen zu unterstützen und den Führungskräften „Rückendeckung“ auf allen Hierarchieebenen und im anstrengenden Alltag zu geben. Unsere Kinder brauchen Wagnisse und Situationen um zu lernen und sich zu be- währen! Deshalb ist es ein großes Anliegen der Unfallkasse Sachsen-Anhalt, dass Kinder in Kitas, Horten und Schulen viele Möglichkeiten bekommen, individuelle Wagnisse einzugehen. Durch diese eigenen Erfahrungen entwickeln sie selbst per- sönliche Sicherheitsstrategien, gewinnen Selbstvertrauen, erfahren die Notwen- digkeit von Sicherheitsmaßnahmen am eigenen Körper und erweitern so ihre für das Leben so wichtige Risikokompetenz. Deshalb sagen wir, insbesondere bei Be- wegungsangeboten in Kita und Schule: Mut zum Risiko – natürlich aber in einem vernünftigen und überschaubaren Rahmen. Ihre Redaktion
Prävention Vertrauen und Respekt sind Erfolgsfaktoren für gutes Führungsverhalten Im letzten „Sicherheitsforum“ informierten wir über den Start und die Inhalte der bundesweiten Präventionskampagne kommmitmensch. Dabei orientieren sich die präventiven Angebote der Kampagne an sechs Handlungsfeldern, u.a. einer guten und gesunden Führung. Sie ist eine der wichtigsten Ressourcen, um die Gesundheit und Produktivität der Beschäftigten zu erhalten. Eine de- struktive Führung hingegen kann zu hohen psychischen Belastungen führen. ungünstige Umgebungsfaktoren (z.B. Lärm, räumliche Enge, unangenehme Rolle des Gerüche, Hitze oder Kälte). Gelingt es Führungskräften nicht, zwischen den Führungsstils widerstreitenden Interessen verschie- dener Beschäftigter zu vermitteln, als Mit welchem persönlichen Stil die Füh- fair empfundene Lösungen zu finden rungskraft die genannten Erwartungen und insbesondere schwächere Be- erfüllt, hängt von ihr selbst und natür- schäftigte und Außenseiter zu schüt- lich von der Arbeitsaufgabe und den zen, können Mobbing und Konflikte Beschäftigten ab. Für die Erfüllung mi- zwischen Gruppen gedeihen. Es geht litärischer Aufgaben ist ein anderer hierbei nicht darum, alle Beschäftigten Führungsstil erforderlich als für die gegenseitig zu Freunden zu machen. Durchführung eines wissenschaftli- Vielmehr soll die Trennung von dienst- chen oder künstlerischen Projekts. licher Zusammenarbeit und privater Beide, mitarbeiterorientierte und eher Vielseitige Er- Beziehung am Arbeitsplatz und die aufgabenorientierte Führung, haben Durchsetzung von Mindeststandards ihre Berechtigung und sind nicht per wartungen an im respektvollen und wertschätzenden se positiv oder negativ zu bewerten. Umgang miteinander durch alle Be- die Führungs- schäftigten sichergestellt werden. In dem Projekt „Psychische Gesund- heit in der Arbeitswelt“ der Bundesan- kräfte Für viele Beschäftigte wird die Mög- stalt für Arbeitsschutz und Arbeitsme- lichkeit, Beruf und Privatleben zu ver- dizin (BAuA) wurde unter anderem der M öchte man die Rolle einer Füh- rungskraft beschreiben, sollte man zunächst überlegen, was diese binden, immer wichtiger. Auch Arbeit- geberinnen und Arbeitgeber sehen die Vorteile flexibler Arbeitszeiten und -orte. Einfluss des Führungsstils auf die psy- chische Belastung der Beschäftigten erhoben. Destruktives Führungsver- bewirkt und wie die Zusammenarbeit Berufs- und Privatleben vermischen halten, wie autokratische, verantwor- mit ihren Mitarbeitern aussehen soll. sich daher zunehmend. Ein Symbol tungslose, autoritäre und bestrafende Insbesondere die Gesundheit am Ar- dafür ist die viel zitierte ständige Er- Führung, aggressive oder psychopa- beitsplatz und das Ausmaß der sub- reichbarkeit. Von den Führungkräften thische Verhaltensweisen sowie unan- jektiv wahrgenommenen psychischen wird nun erwartet, die Arbeitszeitre- gemessene Kritik, wies einen deutli- Belastungen hängen eng mit der er- gelungen so zu gestalten, dass sich chen Zusammenhang mit einem An- folgreichen Erledigung der Aufgaben deren Vorteile (aber auch die Nachtei- stieg affektiver Symptome, Burnout, zusammen. le) gerecht auf Arbeitgeberinnen und Stress und Gesundheitsbeschwerden, Arbeitgeber sowie Beschäftigte vertei- aber auch eine Reduktion des Wohl- Weil mangelnde Kommunikation und len. befindens und der psychischen Funk- Partizipation psychisch belastend tionsfähigkeit auf. Bei den übrigen sind, werden auch diese beiden Fak- Schließlich sind Führungskräfte auch Führungsstilen hingegen konnte kein toren zu Handlungsfeldern der Kam- eine wichtige Institution bei der Karrie- eindeutiger Zusammenhang mit pagne kommmitmensch. Für die Be- regestaltung: Sie sollen realistische Belastungsfolgen festgestellt werden. schäftigten ist ein selbst wahrgenom- Rückmeldungen geben, Kritik sachlich mener Mangel an eigener Kompetenz äußern, Fortbildungsbedarf erkennen Optimal ist es natürlich, wenn eine und Fachwissen ebenso belastend wie und den Beschäftigten realistische Ar- Führungskraft sowohl mitarbeiter- als beitsaufgaben zuweisen. 4 Sicherheitsforum 2 . 2018
Prävention ne mit negativen Folgen rechnen zu müssen. Gleiches gilt auch für ge- machte Fehler (Fehlerkultur) und Bei- nahunfälle. Denken Sie auch an die Gesund- heit Ihrer Führungskräfte! Die Glaubwürdigkeit vieler Maßnahmen hängt auch von der Vorbildfunktion der Führungskräfte ab – etwa vom ei- genen Umgang mit Gesundheit und stressauslösenden Faktoren. So wir- ken beispielsweise Aussagen zur De- legation von Aufgaben, Pausengestal- tung oder Erreichbarkeit außerhalb der auch aufgabenorientiert agieren kann. tigten bietet, diese über die wichtig- Arbeitszeiten wenig glaubhaft, wenn In der Praxis dürfte eine solch ausge- sten Entwicklungen im Zusammen- die Führungskraft diese selbst anders wogene Person selten zu finden sein. hang mit ihrer Arbeit informiert werden Daher bietet sich der Einsatz von Füh- und so an Veränderungen partizipieren Gestaltungsempfehlungen der rungsteams, in denen Repräsentanten können. Dies ist auch im Interesse der Bundesanstalt für Arbeitsschutz beider Führungsstile vereint sind, an. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, da und Arbeitsmedizin niemand die einzelnen Arbeitsplätze so gut kennt, wie die dort Beschäftig- Als positiv erwies sich: Gesundes ten. Ein weiterer Aspekt gesunden • eine mitarbeiter- bzw. gesund- heitsorientierte Führung (die rein Führens ist es, sich frühzeitig Gedanken Führen über Konflikte im Team zu machen aufgabenorientierte Führung hat hingegen keine maximal positive und vorsorgliche Regelungen zum Gesundheitsförderliches Führen redu- Schutz vor Mobbing oder aber zum Wirkung auf die Mitarbeitergesund- heit) ziert die Risikofaktoren am Arbeitsplatz Umgang mit suchtkranken Beschäftig- und fördert die Ressourcen der Be- ten zu treffen. Häufig werden zu die- • eine transparente und respekt- schäftigten. Sie trägt damit wesentlich sen Themen Betriebsvereinbarungen volle Kommunikation zwischen zur Erhaltung der Gesundheit der Be- mit präventiven Maßnahmen abge- Fühungskräften und Geführten schäftigten bei. Zur gesundheitsför- schlossen. • eine klare Vermittlung der für die derlichen Führung gehört zunächst die einzelnen Mitarbeiter relevanten Gestaltung der Arbeitsbedingungen. All diese Faktoren sind wichtige Vo- Informationen bzw. Regelungen Diese beinhaltet mehr als die „Basics“, raussetzungen für eine gute und ge- • ein ermunternder, Kreativität för- also die Reduktion von Lärm, Hitze sundheitsförderliche Führung. Diese dernder Führungsstil und Kälte sowie Gefahrstoffen am Ar- umfasst aber noch mehr: Führungs- beits- und Ausbildungsplatz, die Sicher- kräfte müssen ein echtes Interesse am • der Vorrang eines partizipativen, stellung von genügend Raum für die Wohlergehen ihrer Mitarbeiterinnen auf Dialog und Handlungsspielraum Arbeit, eine ausreichende ergonomi- und Mitarbeiter entwickeln. Dazu ge- basierenden Führungsstils vor ei- sche Ausstattung und eine als fair em- hört beispielsweise, frühzeitig Über- nem autoritären, auf Befehl und Ge- pfundene Arbeitszeitregelung. lastungssymptome zu erkennen, um horsam ausgerichteten Führungsstil zu verhindern, dass sich diese zu einer • die Berücksichtigung der Gerech- Für die Gesundheit der Beschäftigten manifesten Störung entwickeln. Auch tigkeitserwartungen der Geführten förderlich sind auch günstig gestaltete die Vereinbarkeit von Familie und Be- • die Berücksichtigung sozial-emo- psychosoziale Arbeitsbedingungen. ruf ist wichtig. Ein gutes Privatleben ist tionaler Bedürfnisse der Organisa- Dazu gehört zunächst eine klare Fest- eine wichtige Ressource, um kurzfri- tionsmitglieder wie Anerkennung, legung der beruflichen Rollen oder stige Belastungen folgenlos zu mei- Selbstwirksamkeit und Lebenszu- realistischer quantitativer und qualitati- stern. Vorgesetzte müssen von den friedenheit und ver Anforderungen an die Beschäftig- Beschäftigten als vertrauenswürdige ten. Psychologisch wichtig ist weiter- Personen wahrgenommen werden, • die strikte Vermeidung bzw. Sanktionierung sämtlicher Formen hin, dass die Arbeit möglichst viele denen gegenüber man auch psychi- destruktiver Führung Handlungsspielräume für die Beschäf- sche Probleme ansprechen kann, oh- Sicherheitsforum 2 . 2018 5
Prävention vorlebt. Daher ist auch auf die Gesund- den Regeln des respektvollen und Führung zahlen sich erfahrungsgemäß heit der Führungskräfte zu achten: wertschätzenden Umgangs miteinan- mehrfach aus und stellen einen echten Führungskräfte sind keine Übermen- der müssen natürlich auch für den Erfolgsfaktor für Unternehmen dar. schen, sondern selbst auch Beschäf- Umgang mit der Führungskraft gelten. tigte. Interne Regelungen zum Schutz Eine Führungskraft kann nur so gut Dr. Torsten Kunz, der Gesundheit der Beschäftigten sein, wie das Team dies zulässt. Unfallkasse Hessen müssen daher auch uneingeschränkt für sie gelten. Optimierung Gerade Führungskräfte der mittleren Ebene befinden sich in einer aufrei- der Führung als benden „Sandwichposition“ zwischen starkem Erfolgs- und Zeitdruck von- Basis seiten der nächsten Hierarchieebene und gleichzeitig bestehenden Wün- Gerade bei der Auswahl der Führungs- schen der Beschäftigten (z. B. nach kräfte ist darauf zu achten, dass diese Primäre Aufgaben der Führungs- der Vereinbarkeit von Beruf und Fami- in der Lage sind, gut und gesund zu kräfte im heutigen Arbeitsalltag: lie), die das zeitgerechte Erfüllen der führen und sich selbst auch danach zu • den Beschäftigten Ziel und Sinn Arbeitsaufgabe erschweren können. verhalten. Viele der Kompetenzen sind für ihre Arbeit bieten Die Balance zwischen diesen beiden zudem durch Fortbildungen, Coaching • sie befähigen und motivieren, ihre Polen kann daher für die Führungs- oder andere Qualifizierungen erwerb- Arbeit optimal zu erledigen kraft eine starke psychische Belastung bar. • gewährleisten, dass die Beschäf- darstellen. Es verwundert nicht, dass tigten angstfrei neue Lösungen es in einigen Branchen inzwischen Erfolgreiche Teams sind immer ein erproben können schwer ist, Interessenten für Führungs- Produkt einer guten Führung – und • das Zusammenspiel unterschiedli- positionen zu finden. umgekehrt. Möchte man die Kultur der cher Vorstellungen moderieren Prävention und damit auch Sicherheit • die Vereinbarkeit von Berufs- und Die psychischen Belastungen ihrer und Gesundheit im Betrieb verbes- Privatleben ermöglichen Führungskräfte zu minimieren, ist auch sern, ist eine Optimierung der Führung • Sicherheit und Gesundheit sicher- eine Aufgabe der Beschäftigten: Die der erste notwendige Schritt. Die In- stellen unter Kollegen oft unbewusst gelten- vestitionen in eine gute und gesunde
Prävention Materialien zur Präventions- kampagne „kommmitmensch“ Unter dem Slogan kommmitmensch widmet sich die ak- tuelle Präventionskampagne der Berufsgenossenschaf- ten und Unfallkassen dem Thema „Kultur der Präven- tion“. Sie thematisiert damit die Bedeutung eines ganz- heitlichen Präventionsansatzes für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten in Unternehmen und Einrichtungen. D er im Rahmen der Kampagne ent- wickelte KulturCheck ist ein Ins- trument zur Reflektion und Analyse der eigenen Kultur der Prävention. Darin werden die Verhältnisse aus einer ganzheitlichen Perspektive be- trachtet: Der Führungsstil, die Kom- munikation im Unternehmen, der Um- gang mit Fehlern, das Ausmaß der Einbindung von Beschäftigten und nicht zuletzt das Betriebsklima – all diese Bereiche prägen die Kultur im Unternehmen und beeinflussen die Sicherheit und Gesundheit. Im Kultur- Check werden diese Themenfelder er- Sicher. Gesund. Miteinander. fasst. er. nand Sich . Ges und. Mitei Kommunikation Füh er. G esu nd. Sicher Durch eine gute Kommunikation Sicherheit S rung Mit eina nde r. und Gesundheit voranbringen icher u hen kult ur umge uror nd ges rkult esun d ient u ierte nd dur Fehlehlern sicher und g c Füh rung h e Mit F Kom g mu un nik hr at Fü io n eit eit und Gesundh Beteiligung Kultur der Prävention herh für konkrete Maßnahmen im Betrieb Darüber hinaus können zu den Hand- Sic Be tri eb skl ima l erk ult ur vorgestellt. Der Report richtet sich so- lungsfeldern Führung, Kommunikation, Feh mit an Unternehmen und Einrichtungen, Beteiligung, Fehlerkultur, Betriebsklima die ihre eigene Kultur der Prävention sowie Sicherheit und Gesundheit je analysieren und weiterentwickeln weils verschiedene Broschüren und IAG Report 2/2018 Der KulturCheck möchten, um die Sicherheit und Ge- Praxishilfen heruntergeladen werden. sundheit der Beschäftigten zu erhal- Eine direkte Zuordnung der Medien er- Ein Analysetool für Unternehmen zur Erfassung der eigenen Kultur der Prävention ten. Auf der Homepage der kommmit- folgte innerhalb der verschiedenen mensch-Kampagne finden sich auch Handlungsfelder (www.kommmit- Auswertehilfen zum KulturCheck. mensch.de, Handlungsfelder). Ein (www.kommmitmensch.de, Toolbox, Kurz-Check zu den Handlungsfeldern, Der IAG Report 2/2018 stellt das Ana- Kulturcheck) eine Reihe Kommmitmensch-Dialoge lyseinstrument „Der KulturCheck“ sowie verschiedene Videos innerhalb vor. Dazu wird zunächst beschrieben, der Toolbox vervollständigen das Me- was eine Kultur der Prävention im Un- dienangebot. ternehmen ausmacht. Anschließend (www.kommmitmensch.de, Toolbox, wird das Vorgehen bei der Planung, Broschüren) Durchführung und Auswertung des Instruments dargestellt. Schließlich werden Vorschläge und Anregungen Sicherheitsforum 2 . 2018 7
Prävention Gewaltprävention – Schutz vor Übergriffen bei Arbeits- plätzen mit Publikumsverkehr Übergriffe auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst und auf Einsatzkräfte kom- men erschreckend häufig vor, kaum eine Woche vergeht ohne entsprechende Medienberichte. Wir stellen u.a. Informationsmaterialien vor, die dabei helfen, der Gefahr vorzubeugen und Beschäftigte zu schützen. Übergriffe können kontroverse Ge- und/oder zu leichten bis bleibenden Arbeitgeber in sprächssituationen, Beleidigungen körperlichen Schäden reichen. oder körperliche Gewalt sein. Folgende Oftmals werden Gewaltvorkommnisse der Pflicht Tatbestände zählen dazu: (verbale oder physische) von Verant- wortlichen unterschätzt. Werden diese Die Verantwortung im Arbeitsschutz • Beleidigungen (§ 185 StGB) Vorkommnisse nicht beachtet und ver- liegt bei dem Unternehmer bzw. Arbeit- • Körperverletzung (§§ 223 ff StGB) arbeitet, kann für den betroffenen Be- geber. Gemäß § 3 Arbeitsschutzgesetz • Nötigung (§ 240 StGB) schäftigten ein jahrelanger Leidens- (ArbSchG) ist der Arbeitgeber verpflich- • Bedrohung (§ 241 StGB) weg beginnen. tet, die erforderlichen Maßnahmen des • Sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) Arbeitsschutzes unter Berücksichti- • Nachstellung (§ 238 StGB) Für den Arbeitgeber bzw. auf das Un- gung der Umstände zu treffen, die ternehmen kann es Auswirkungen ha- Sicherheit und Gesundheit der Be- Zum Schutz der Beschäftigten am Ar- ben, wie abfallende Produktivität, schäftigten bei der Arbeit beeinflus- beitsplatz sollte im ersten Schritt eine schlechtes Betriebsklima bis hin zu sen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Grundsatzerklärung vom Unternehmer höheren Krankheitsraten. Die Pflicht Wirksamkeit zu überprüfen und erfor- gegen Gewalt am Arbeitsplatz formu- des Vorgesetzen bzw. des Unterneh- derlichenfalls sich ändernden Gegeben- liert werden. mers muss sein, bei Gewalt (verbal heiten anzupassen. Der Arbeitgeber und/oder körperlich) bedingungslos muss Arbeitsstätten, Arbeitsmittel und hinter den Mitarbeiterinnen und Mit- Maschinen durch technische, organi- Folgen von arbeitern zu stehen! Kommt es zur ver- satorische und personelle Maßnahmen balen und physischen Gewalt gegen- so gestalten, dass seine Mitarbeiter Gewalt über den Beschäftigten, muss eine vor Gefahren an Leib und Leben ge- konsequente Ahndung durch Vorge- schützt sind. Folglich heißt das, es Die Folgen von verbaler und physi- setzte bzw. das Unternehmen erfol- müssen die Mitarbeiter vor Übergriffen scher Gewalt können von kurzfristiger gen, indem sie unter anderem: durch Kunden geschützt werden. Verunsicherung bis hin zur Posttrauma- tischen Belastungsstörung (PTBS) 8 Sicherheitsforum 2 . 2018
Prävention • Kommunikationsseminar • Deeskalationsseminar bzw. Verhaltenstrainings • Ggf. Selbstverteidigungstraining Sicherheitskonzept für den Außendienst Besonders zu betrachten ist die Tätig- keit von Beschäftigen im Außendienst. • stellvertretend Strafantrag (§ 230 Raumkonzept Wartebereich Technische Maßnahmen zur Gewalt- StGB) oder Strafanzeige stellen, prävention sind hier schwer umsetz- • Hausverbot erteilen bzw. Amtsbe- • Wartezonen müssen bei der Neupla- bar, deshalb müssen besonders orga- suche von auffällig gewordenen nung oder beim Umbau ausreichend nisatorische und personelle Maßnah- Kundinnen und Kunden nur nach groß und hell geplant werden. men Beachtung finden: Voranmeldung zulassen. Technische Alarmierung • Termine immer mindestens zu zweit Soweit sollte es gar nicht erst kom- wahrnehmen men! Ein Gewaltpräventionskonzept in • Alarmierung nach Eskalationsstufen • Alarmierungsmöglichkeiten vorsehen den Einrichtungen muss als Ergebnis • Leicht zu bedienendes Alarmsystem • Verhaltenstraining (vor Ort Gefahren der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 erkennen) Arbeitsschutzgesetz umgesetzt wer- • Ggf. Vorabinformationen über den. Das Gewaltpräventionskonzept Kundinnen und Kunden – Rückspra- muss geeignete Maßnahmen („T-O-P Organisatorische che mit der Polizei Prinzip“) auf technischer, organisatori- scher und personeller Ebene enthal- Maßnahmen Diese Hinweise und das Informations- ten. Einige Maßnahmen werden nach- material auf der folgenden Seite sollen folgend beschrieben. Innerhalb der Organisation gibt es eine dazu beitragen, Verantwortliche und Vielzahl von Ansatzpunkten, wie: andere Akteure im Arbeitsschutz staat- licher und kommunaler Einrichtungen • Keine Alleinarbeit! Im Büro mindes- für das Thema Gewalt an Arbeitsplät- Technische tens zu zweit arbeiten. zen mit Publikumsverkehr zu sensibili- • Bei längeren Wartezeiten Transparenz sieren, rechtliche Informationen zu Maßnahmen gegenüber den Kundinnen und geben sowie Maßnahmen für die Um- Kunden herstellen – Wartezeiten op- setzung vor Ort aufzuzeigen. Die Ver- Die bauliche und räumliche Gestaltung timal verkürzen. antwortlichen und Arbeitsschutz- von Büros, Informations- und Warte- • Für eine gute Beschilderung sorgen, koordinatoren sollen anhand dieser bereichen, Flucht- und Rettungsmög- so dass Auskunfts- und Informa- Informationen ein eigenes Notfall- und lichkeiten sowie geeignete Alarmie- tionsstellen schnell gefunden werden Sicherheitskonzept für ihren Arbeits- rungssysteme, Zugangskontrollen und können. bereich und ihre Einrichtungen erar- Leitsysteme stellen einen wichtigen beiten und umsetzen können. Ansatzpunkt dar. Eine absolute Sicherheit wird es auch Raumkonzept Personen- in Zukunft nicht geben, jeder Betrieb für Büro und Infobereiche muss sein eigenes Konzept erarbeiten. bezogene Die Häufung der Übergriffe zeigt je- • Büroeinrichtung muss so geplant doch, dass dringender Handlungsbe- sein, dass ein ungehinderter Flucht- Maßnahmen darf besteht und Gewaltprävention weg aus dem Büro möglich ist. oberste Priorität hat. • Verbindungstüren zwischen Büros Hierbei handelt es sich um eine ausrei- dienen als weitere Fluchtmöglichkeit chende Qualifizierung des Personals in Susanne Johannknecht und sowie zur schnellen Alarmierung der Kommunikations- und Deeskalations- Antonella Springer, Kollegen. strategien. Speziell Führungskräfte Kommunale Unfallversicherung Bayern • Trennung zwischen Beschäftigten müssen auf diesem Themengebiet (KUVB) und Kundinnen und Kunden, z. B. ausreichend geschult werden, damit durch geeignete Möblierung sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter entsprechend unterweisen kön- nen. In Frage dafür kommen: Sicherheitsforum 2 . 2018 9
Prävention Flyer und Broschüren zur Gewaltprävention beitsplätzen und Geldtransporten an- streben. Die Broschüre kann als PDF unter www.kuvb.de, Webcode: 243 herun- tergeladen werden. Gewalt an Arbeitsplätzen mit Kundenverkehr Beschäftigte vor Übergriffen 205-027 schützen DGUV Inform Eine Handreichung für Behördenleiter, Geschäftsführer sowie Personalverantwortliche ation 205-0 27 in kommunalen Kassen Arbeitssicherheit Gewalt scher und körperlicher Schutz vor psychi berfall Schutz vor Raubü dienste und der Feuerwehr“. Denn für GUV-X 99964 den Fall, dass Einsatzkräfte beschimpft, bedroht oder gar körperlich angegrif- Arbeitssicherheit in kommunalen fen werden, muss der verantwortliche Prävention Kassen mit Überg von und Umgang riff Unternehmer bereits im Vorfeld ent- der Rettung en auf Einsatzkräf te Die Broschüre „Arbeitssicherheit in der Feuerw sdienste und ehr sprechende Maßnahmen festgelegt kommunalen Kassen“ liefert Kommu- und organisiert haben. Den Einsatzkräf- September 2017 nen die Informationen zur Überprüfung ten soll dadurch ermöglicht werden, der Arbeitssicherheit in ihren Kassen. diese Gefährdungen körperlich und Sie beschreibt Gefährdungen durch Publikationen der Polizei seelisch unbeschadet zu meistern. psychische und körperliche Gewalt Mit einer Handreichung für Behörden- Was das richtige Vorgehen dabei ist, einschließlich eines Raubüberfalls und leiter, Geschäftsführer sowie Personal- zeigt diese Broschüre. zeigt auf, wie Kommunen ihre Kassen- verantwortliche möchte die Polizei Ge- (https://publikationen.dguv.de, Suche: beschäftigten durch wirksame Maßnah- walt an Arbeitsplätzen mit Kundenver- 205-027) men schützen können. Grundlage die- kehr vorbeugen. „Beschäftigte vor ser Broschüre war ein Projekt „Arbeits- Übergriffen schützen“ lautet der Titel sicherheit in kommunalen Kassen“ der der Publikation. Die in der Handrei- KUVB. Dabei besichtigten Präventions- chung vorgestellten Maßnahmen kön- fachkräfte der KUVB eine Vielzahl von nen helfen, Übergriffe am Arbeitsplatz kommunalen Kassen in bayerischen zu reduzieren, die Intensität der Gewalt Gemeinden, Städten und Landkreisen zu mindern und im besten Fall zu ver- und befragten mehr als 200 Personen, hindern. Sie können die Publikation im insbesondere Kassenverwalterinnen Internet unter http://bit.ly/2sjlDRU her- und -verwalter sowie Kassenmitarbei- unterladen. Über diese Seite finden Sie terinnen und -mitarbeiter, zur Arbeits- auch Beratungsstellen, in denen Sie Aktuelle Zahlen sicherheit. Dadurch konnten Gefähr- die Publikation erhalten. Zahlen zu Übergriffen gegen Rettungs- dungen durch psychische und körper- kräfte liefert eine Studie aus Nordrhein- liche Gewalt bei Kassentätigkeiten und Beschäftigte vor Übergriffen von Kun- Westfalen (NRW). Kriminologen der kommunalen Geldtransporten umfas- den zu schützen ist auch das Ziel des Ruhr-Universität Bochum (RUB) haben send ermittelt werden. Faltblatts „Gewalt am Arbeitsplatz – im Jahr 2017 Rettungskräfte in NRW Wie Sie sich vor Übergriffen Ihrer Kun- zu ihren Gewalterfahrungen befragt. Diese Broschüre enthält neben einer den schützen“, das Sie über diesen Der Studie zufolge wurden 92 Prozent Anleitung zur Erstellung einer Gefähr- Kurzlink finden: http://bit.ly/2s6q801 der Rettungskräfte wie Notärzte, Not- dungsbeurteilung auch geeignete Maß- Tipps für ein sicheres Auftreten in der fallsanitäter und Rettungsassistenten nahmen zur Reduzierung von Gefähr- Öffentlichkeit gibt das Informationsblatt im zurückliegenden Jahr im Dienst an- dungen und Risiken sowie eine Muster- „Sicher in der Öffentlichkeit auftreten“. gepöbelt, 26 Prozent wurden Opfer Betriebsanweisung. Sie richtet sich an Download unter: http://bit.ly/2AHq5e4 körperlicher Übergriffe. Befragt wur- Verantwortliche im Kassenbereich, den 4.500 Rettungskräfte. Mehr Infor- Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Be- Gewalt gegen Einsatzkräfte mationen sowie den Abschlussbericht triebsärzte, Personalräte und weitere Übergriffe gegen Einsatzkräfte thema- finden Sie auf: www.unfallkasse- interessierte Personen, die eine Über- tisiert die DGUV-Information 205-027 nrw.de, Webcode N1254. prüfung und Verbesserung der Arbeits- „Prävention von und Umgang mit Über- sicherheit von kommunalen Kassenar- griffen auf Einsatzkräfte der Rettungs- 10 Sicherheitsforum 2 . 2018
Prävention Schwerer Unfall durch Verwendung von Modellgips beim Abformen von Körperteilen Im Kunststudium, aber auch im Kunstunterricht an Schulen, bei Projekten in Kitas oder Museen werden immer wieder Hände oder Füße abgeformt. Dazu wird häufig Gips verwendet. Aber nicht jede Art von Gips ist hierfür geeignet. An einer Kunsthochschule ereignete sich bei der Verwendung eines Gipspro- duktes – Alabaster-Modellgips – ein schwerer Unfall, bei dem die Verunfallte zwei Finger verlor. Weder das freiwillig erstellte Sicherheitsdatenblatt noch das technische Merkblatt des Herstellers enthielten Informationen über erhöhte Temperaturen während des Abbindens von Modellgips. E ine Studierende des Fachs Bilden- de Kunst hat zur Abformung ihrer Hand einen Alabaster-Modellgips in ei- nem größeren Volumen (ca. 5 l) verwen- det und dabei die Hand vollständig in die Gipsmasse eingetaucht. Während der Hydratation, dem Abbinden des Gipses, stieg die Temperatur auf ca. 48–50°C. Als die Versicherte die Wär- meentwicklung bemerkte, war der Gips bereits so weit ausgehärtet, dass sie ihre Hand nicht mehr aus eigener Kraft herausziehen konnte. Dies ge- lang erst dem Rettungsdienst. Die Ver- sicherte zog sich so schwere Verbren- nungen der Hand zu, dass zwei Finger amputiert werden mussten. Im vorliegenden Fall, war der einge- setzte Gips für den Baubereich sowie von mehreren Vergleichsprodukten Baugipsen, Gipsse für die Zahnmedi- für den Modell- und Formenbau be- während des Abbindens aufgezeich- zin) umfasst, sind vor Beginn der Tä- stimmt. Er ist nicht als Gefahrstoff im net und festgestellt, dass die Gips- tigkeiten immer die technischen Merk- Sinne der europäischen Verordnung massen alle eine ähnlich hohe Tempe- blätter oder Sicherheitsdatenblätter zu (EG) Nr. 1272/2008, der sogenannten ratur von bis zu 50°C entwickeln. beachten. Die Produkte dürfen nur ent- CLP-Verordnung, eingestuft. Der Her- Diese Temperatur reicht aus, um nach sprechend den Herstellerangaben und steller des Produktes erteilte im Sicher- wenigen Minuten zu einer irreversiblen für den vorgesehenen Verwendungs- heitsdatenblatt bzw. im Technischen Schädigung der Haut zu führen. zweck eingesetzt werden. Merkblatt zur Verwendung keine Infor- mation zur Abbindetemperatur, so Gips ist chemisch gesehen Calcium- Zur Abformung von Körperteilen sind dass keine Gefährdung vermutet wur- sulfat-Dihydrat. Bei der Herstellung ausschließlich Alginat, Silikon oder de. Auch wurde nirgends erwähnt von Gipsprodukten können unterschied- Gipse für medizinische Anwendungs- (auch nicht auf der Kennzeichnung liche Modifikationen des Materials ent- zwecke geeignet. Die im Bildungsbe- des Gebindes), dass der Gips nicht stehen, wie Halbhydrat oder Anhydrit, reich tätigen Aufsichtsdienste der Un- zur Abformung von Körperteilen ver- die jeweils unterschiedliche physika- fallkassen werden im Rahmen ihrer wendet werden soll. lisch-chemische Eigenschaften auf- Überwachungstätigkeit ihre Mitglieds- weisen. betriebe entsprechend dazu informieren. Die Unfallsituation wurde im IFA nach- gestellt, um den Hergang zu rekon- Da der Begriff „Gips“ ein weites Spek- Quelle: DGUV struieren. Es wurden Temperaturkurven trum von Stoffen und Gemischen (z.B. Sicherheitsforum 2 . 2018 11
Prävention MUT ZUM RISIKO – Wozu brauchen Kinder Wagnisse? Nun hat es endlich doch noch geschneit! Ich gehe mit meinen vier- und knapp dreijährigen Kindern auf einen kleinen, aber tat- sächlich auch steilen Hügel rodeln. Eine Freundin mit ihrer dreijährigen Tochter kommt mit. Meine beiden sind sehr entzückt und können nicht genug bekommen. Ich frage das Kind meiner Freundin, ob es nicht auch mal rodeln will – es nickt schüchtern und läuft langsam zum Schlitten. Die Mama druckst herum: „Ohhh, wirklich? Dort hinunter? Möchtest du das wirklich? Ach, ich bin doch so ein Angsthase! Sie ist doch noch nie gerodelt!“ Die Kleine zögert. Ich frage die Mutter: „Wovor hast du denn Angst?“ Sie: „Na, das ist doch so steil!“ Ich: „Ja, stimmt. Und was, meinst du, passiert?“ Sie: „Na, wenn der Schlitten umkippt?“ Ich: „Dann kippt er um, deine kleine Maus landet im Schnee und wir lachen alle.“ Sie: „Hast ja eigentlich recht. Na gut. Dann mach das ruhig.“ ABER nun wollte die kleine Maus nicht mehr. Sie war nicht mehr dazu zu überreden, sich nochmal auf den Schlitten zu setzen. Schade, diese Wagniserfahrung ist ihr entgangen. Warum mir das nicht egal ist? Weil ich weiß, dass Kinder für ihre Entwicklung Risiko und Wagnis brauchen! D enn Wagnisse sind hervorragende Chancen zur Persönlichkeitsent- wicklung. Immer, wenn Kinder mit Wagnissen konfrontiert werden, üben sie – sie lernen verschiedene Dinge für sich realistisch einzuschätzen: • die Schwierigkeiten einer „Bewe- gungsaufgabe“, • ihre eigenen Fähigkeiten zu deren Bewältigung sowie • die Folgen ihres Bewegungshandelns. Jedes Kind hat ein individuelles Be- dürfnis nach Nervenkitzel und muss verantwortungsvolles Sicherheitsden- ken lernen. Bei Wagnissen erfährt es die Notwendigkeit von Sicherheitsmaß- nahmen am eigenen Körper. Falsche Einschätzungen holen das Kind auf den Boden der Tatsachen zurück. Definition Wagnis: Je höher die Kenntnisse von Siche- Ein Wagnis ist eine bewusst getrof- rungsstrategien und je höher das reali- fene Entscheidung des Kindes, sich stische Vertrauen in sich selbst und einer herausfordernden Bewegungs- entwickeln konnten, neigen auch noch die Sicherungsmaßnahmen sind, de- aufgabe in einer spezifischen Hand- als Erwachsene entweder dazu, nicht lungssituation zu stellen (Prozess des das kleinste Risiko einzugehen, aus Wagens) und den unsicheren Aus- Angst vor schlimmen Folgen. Sie sind gang der Aufgabe, trotz einer subjek- in ihrer Entwicklung immer gehemmt. tiven Bedrohungswahrnehmung im Oder sie neigen dazu, sich und ihre Rückgriff auf das eigene Können si- Fähigkeiten zu hoch einzuschätzen, cher zu bewältigen (Prozess des Be- nehmen Risiken unüberlegt in Kauf währens). (vgl. Neumann/Katzer 2011) und verunfallen häufiger schwer bzw. verlieren bei riskanten Handlungen im Beruf Geld etc. sto eher kann ein Wagnis eingegangen werden. Kinder erweitern somit also Wenn Kinder bewusst abwägen und ihre Risikokompetenz. entscheiden, entspricht das sicher- heitsrelevanten Überlegungen. Menschen mit hoher Risikokompetenz Deshalb weisen kontrolliert eingegan- sind im Beruf und Leben erfolgreicher gene Wagnisse nach bisherigen Erkennt- als Menschen mit geringer Risikokom- nissen eine recht geringe Unfallwahr- petenz. Menschen, die als Kind nur scheinlichkeit auf. unzureichend ihre Risikokompetenz 12 Sicherheitsforum 2 . 2018
Die besten Lehrer für das körperli- che Selbstbewusstsein sind Frau Beule und Herr Blauer Fleck! Das heißt, Kinder brauchen Heraus- forderungen und Fast-Unfälle. Sie müssen lernen, was sie mit ihrem Körper bewerkstelligen können und was nicht geht. Das darf weh tun, sollte aber keine schwerwiegenden Verletzungen zur Folge haben. Wo geht das besser, als im Kinder- garten? Hier herrscht durch geprüfte Klettergeräte, ordentlichen Fallschutz, freien Fallraum, und durch geeignete „sichere“ Fallhöhe ein weitgehend si- cherer Rahmen. Die Kinder brauchen Wagnisse und Situationen um zu lernen und sich zu bewähren! Nicht die Kita ist uns (der Unfallkasse Sachsen-Anhalt) die lieb- ste, die keinen Unfall zu verzeichnen hat! Es ist uns diejenige Kita die lieb- ste, die Unfälle mit maximal leichten Verletzungen hat. Denn deren Kinder haben vielfältige Möglichkeiten gehabt zu lernen, mit Risiken umzugehen und werden als Schulkinder dann auch au- ßerhalb des geschützten Rahmens si- cher ihren Weg gehen können. Fehlen Möglichkeiten die eigenen Grenzen zu erfahren, suchen sich Kinder oft an- dere und dann meist gefährliche Situationen um Erfahrungen zu sam- meln. Außerdem besteht die Gefahr, dass Kinder auch gar kein Risikobe- wusstsein entwickeln und dann wäre ein wichtiges Bildungsziel der Kita nicht erreicht. zu erweitern, sondern auch um sich Wie weit ist das Kind in seiner geisti- gegenüber anderen Kindern darzustel- gen Entwicklung? Über welche Erfah- Deshalb ist es ein großes Anliegen der len, sich mit ihnen zu messen. Wenn rungen verfügt es? Zum anderen müs- Unfallkasse Sachsen-Anhalt, dass sie sich motorisch/sportlich miteinan- sen Sie auch die mögliche Gefährdung Kinder in Kitas, Horten und Schulen der messen können, müssen sie nicht einschätzen. Hier kann Ihnen z.B. eine viele Möglichkeiten bekommen, indivi- miteinander raufen! Risikomatrix helfen, die so auch im duelle Wagnisse einzugehen. Leider Arbeitsschutz genutzt wird (siehe Abb. entwickelt sich der Trend aus überstei- auf folgender Seite): Zuerst betrachten gertem Sicherheitsempfinden und Wann ist ein Sie dafür die Schadensschwere eines Unfalls. Welche Verletzungen würden auch aus Kostengründen eher dahin, Kindern z.B. Klettermöglichkeiten zu Risiko zu hoch? im Fall eines Unfalls hier eintreten? Ist schlimmstens mit einem blauen Fleck nehmen, da die Fallschutzpflege zu und einer Beule zu rechnen oder aufwendig und kostenintensiv er- Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Ja, könnte es zu schweren Verletzungen scheint. Aber je mehr dort gespart aber manche Dinge sind doch auch kommen? Dann überlegen Sie, wie wird, desto mehr Kosten entstehen an wirklich gefährlich? Was kann und wahrscheinlich es ist, dass dieser anderer Stelle. Kinder müssen sich be- sollte ich erlauben und was nicht Unfall eintreten wird. Ist es eigentlich weisen. Sie benötigen dafür am be- mehr? Wie soll ich denn entscheiden? fast nicht vorstellbar oder ist es fast sten Klettermöglichkeiten, die eine gewiss, dass so etwas passiert? Das motorische Herausforderung darstel- Hier hilft eine Situationsanalyse. Dazu führen Sie dann zusammen und leiten len. Kinder nutzen motorische Heraus- müssen Sie zum einen schauen: Um dann das bestehende Risiko ab. forderungen nicht nur um die eigenen welches Kind handelt es sich? Welche körperlichen Grenzen zu erfahren und Fähigkeiten / Fertigkeiten hat es bereits? Sicherheitsforum 2 . 2018 13
Prävention Schadensschwere Keine Mäßig Eintrittswahr- Bagatellfolgen Schwere Folgen gesundheitlichen schwere Folgen Tödliche Folgen (die Arbeit kann (irreparaple scheinlichkeit (Arbeitsausfall Folgen fortgesetzt werden) ohne Dauerschäden) Dauerschäden) Sehr extrem gering extrem gering sehr gering eher gering mittel unwahrscheinlich Gering extrem gering sehr gering eher gering mittel hoch Mittel sehr gering eher gering mittel hoch sehr hoch ´ Hoch sehr gering mittel hoch sehr hoch extrem hoch Sehr hoch sehr gering mittel sehr hoch extrem hoch extrem hoch Abbildung: Risikomatrix in Anlehnung an Lehrgangsmaterialien der DGUV zum Fernlehrgang „Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit“ KINDER … • brauchen Nervenkitzel, • müssen eigene Grenzen auste- sten und verschieben, • müssen lernen ihre Fähigkeiten realistisch einzuschätzen, • müssen lernen mit Scheitern um- zugehen und wieder aufzustehen, • müssen lernen zu fallen und zu stolpern bzw. sich dabei abzufan- gen, • brauchen herausfordernde Situ- ationen mit unsicherem Ausgang, in denen sie sich darstellen und bewähren können. Sicherlich schätzt auch mit Hilfe einer Ich wünsche mir für unsere Kinder, solchen Risikomatrix jeder einzelne ein dass alle Erzieherinnen und Eltern erst Risiko zuweilen recht unterschiedlich kurz überlegen, was wirklich für ein ein. Dennoch hilft Ihnen diese Überle- Risiko besteht, bevor sie aus übertrie- Literatur / Quelle: gung erst mal, sich das bestehende benem Sicherheitsempfinden oder Neumann, P. & Katzer, D. (2011): Risiko ganz bewusst zu machen. Das vielleicht auch einfach nur aus Ge- Etwas wagen und verantworten im kann Ihnen dann helfen, sich zu beru- wohnheit erst einmal NEIN rufen. Das Schulsport, Meyer & Meyer Verlag, higen und die Kinder etwas entspann- größere Risiko für unsere Kinder be- Aachen ter zu beobachten. Oder andererseits steht darin, ihnen vertretbare Risiken eben auch zu entscheiden, dass diese nicht zu erlauben, denn das ist im Aktion in der geplanten Art jetzt nicht Ergebnis sehr viel gefährlicher für un- durchgeführt werden kann, weil es zu sere Kinder – es wird nur leider erst gefährlich ist. Hier müssen dann erst viel später sichtbar. z.B. ein angemessener Fallraum oder zusätzliche Sicherungsmaßnahmen Deshalb rate ich Ihnen: geschaffen werden. Nur Mut zum (überlegten) Risiko! Christiana Trebus Diplom-Sportlehrerin 14 Sicherheitsforum 2 . 2018
Prävention Schwere Unfälle mit nicht bruchsicheren Verglasungen Selten, aber heftig – so können Unfälle mit nicht zulässigen, unsicheren Vergla- sungen beschrieben werden. Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen, wenn solche Gläser in Aufenthaltsbereichen verbaut sind und brechen. Dabei ist die Rechtslage eindeutig. V erschiedene Regelwerke geben den erforderlichen Mindestsicher- heitsstandard von Verglasungen vor. rungen ist dies allerdings glücklicher- weise nur selten der Fall. Bei der Unfalluntersuchung durch die KUVB (Kommunale Unfallversicherung Bayern) hat sich herausgestellt, dass Die Technische Regel für Arbeitsstät- die Verglasung bereits vor 30 Jahren ten ASR A 1.6 „Fenster, Oberlichter, Besonderes Pro- eingebaut wurde. Es handelte sich um lichtdurchlässige Wände“ enthält z. B. eine ca. 1,5 cm starke 4-fach-Vergla- klare Angaben zu Auswahl und Einsatz- blem: gefährliche sung aus Normal- bzw. sog. Float-Glä- gebieten von Sicherheitsverglasungen sern mit einer speziellen Geleinlage, oder Alternativmaßnahmen wie z. B. Verglasungen in die aus Brandschutzgründen gefordert die Abschirmung von nicht bruchsi- wurde. Bei der Planung wurde offen- cheren Verglasungen mit Splitterschutz- Bestandsgebäu- sichtlich nicht darauf geachtet, dass folie. neben Brandschutzanforderungen den auch sicherheitstechnische Belange beachtet und erfüllt sein müssen. Die Es ticken noch viele „Zeitbomben“ in Lösung wäre hier bereits bei der Pla- älteren Gebäuden, wie ein aktueller nung einfach gewesen: Die Gläser der Unfall in einer schwäbischen Sporthal- Brandschutzverglasung hätten zusätz- le zeigte. Beim Fußballspielen im Schul- lich aus Sicherheitsgläsern zusam- sport ist ein Berufsschüler mit dem mengesetzt sein müssen. Bein voran mit voller Wucht in eine obere Tür-Verglasung (s. Abb. 1) an Im Rahmen der erforderlichen regel- der Hallenstirnseite gestürzt. Er wollte mäßigen Sicherheitsbegehungen des einen Ball annehmen, übersah im akti- Gebäudes hätte es auffallen können, ven Spieltrieb offensichtlich die Ver- dass die Bestands-Verglasung keiner- Auch das DGUV Regelwerk enthält glasung und konnte nicht mehr recht- lei Prüfsiegel oder sonstige Kennzeich- viele Vorgaben: In der Unfallverhütungs- zeitig abstoppen. Das Glas ist beim nungen (s. Abb. 4) enthielt, dies hätte vorschrift „Schulen“ (DGUV Vorschrift Aufprall „stufig“ in sehr scharfe Glas- genauer überprüft werden müssen 81) ist dies beispielsweise unter § 8 teile zerbrochen (s. Abb. 2) und führte (siehe unten). Als Sicherheitsmaßnah- „Verglasungen“ eindeutig geregelt. Für an der Wade zu schweren Schnittver- me wurden daher (nach dem Unfall!) Kindertageseinrichtungen sind in der letzungen mit großem Blutverlust. Zum sämtliche zugänglichen Verglasungen DGUV Regel 102-002 „Kindertages- Glück wurde sofort Erste Hilfe gelei- der Sporthalle umgehend mit einer ge- einrichtungen“ ebenso relevante Vor- stet und damit Schlimmeres verhin- normten Splitterschutzfolie sicher ab- gaben zu finden. In Abschnitt 3.3.7 dert. geschirmt. Erst danach wurde die „Verglasungen“ sind die Schutzziele Sporthalle zur Nutzung wieder freige- und Details aufgeführt. Die o. g. Re- geben. gelwerke fordern alle in Aufenthalts- bereichen von Personen „Sicherheits- gläser“ oder andere bruchsichere Werkstoffe und zwar bis mindestens 2,0 m Höhe ab Oberkante Fußbo- den / Standfläche. Alternativ ist auch eine wirksame Abschirmung möglich. Von daher ist es unverständlich, dass es selbst bei Neubauten oder General- sanierungen immer noch vorkommt, dass unsichere Verglasungen verbaut Abb. 1 u. 2: Unfallsituation – komplett zerstörte obere Türverglasung und Bruch- werden. Bei Neubauten oder Sanie- bild der nicht sicheren Verglasung. Mit Sicherheitsglas wären die Verletzungs- folgen gering gewesen. Sicherheitsforum 2 . 2018 15
Prävention schwerpunkten, die eine Gefahr für Leib und Leben darstellen“ gibt es kei- nen Bestandsschutz (s. § 29 Abs. 2 DGUV Vorschrift 81). Eine unsichere, unzulässige Verglasung muss entwe- der gegen Sicherheitsglas ausge- tauscht oder sicher abgeschirmt wer- den. Eine wirksame Abschirmung (z. B. durch Splitterschutzfolien oder durch ausreichend hohe und tiefe Brüstungen) ist ebenso möglich. Abb. 4: ESG – Kennzeichnungsbei- spiel: hier DIN 12150; Weitere Erken- nungsmerkmale von Sicherheitsglas sind Aufdrucke mit „DIN 1249“ sowie von Herstellern wie z. B. „Sekurit“. Wie ist erkenn- bar, ob sichere Wer ist ver- Gläser vorhan- Abb. 6: ESG-Bruchbild – es zerfällt bei Glasbruch meistens vollflächig in antwortlich? den sind? viele kleine, stumpfe Teile. Hier ist eine WC-Glastür zerbrochen. Im Rahmen der Verkehrssicherungs- Bei alten Gläsern ist oft nicht erkenn- pflicht ist immer der Unternehmer bzw. bar, ob Sicherheitsglas verbaut wurde. Betreiber (s. §§ 2, 3 u. 5 DGUV Vor- Fehlen z. B. der Aufdruck/Stempel schrift 1 bzw. § 823 BGB) verantwort- oder Zertifikate / Nachweise / Bauunter- lich. Aber auch ein externer Vermieter lagen muss die Glasart/der Aufbau der (z. B. Investor, Sportverein, Kommune) Scheibe mit speziellen Laser-Messge- kann mit in der Verantwortung stehen, räten bestimmt werden. wenn er bestimmte bauliche Sicher- Glasfachbetriebe verfügen meistens heitsstandards nicht einhält. über solche Messgeräte und können somit schnell und sicher feststellen, Den Betreibern von Arbeitsstätten, wie ob Handlungsbedarf besteht. z. B. Schulgebäuden oder Kinderta- geseinrichtungen, ist oft nicht bewusst, dass in der Vergangenheit unsichere Verglasungen (auch sog. Drahtgläser Welche Arten gehören dazu! s. Abb. 5) verbaut wur- den. Häufig werden mögliche schwere von Sicherheits- Unfallverletzungen unterschätzt. Hier hört man oft Argumente wie: „das war gläsern gibt es? Abb. 7: VSG-Bruchbild – es ist split- terbindend und durchbruchhem- uns nicht bekannt“ oder „die alte Ver- glasung hat doch Bestandsschutz“. Einscheiben-Sicherheitsglas – ESG mend. Dabei ist die Rechtslage eindeutig: (s. Abb. 6) zerspringt beim Bruch in „Bei konkreten schulischen Unfall- viele kleine und stumpfe Glasstücke. Verbund-Sicherheitsglas – VSG (s. ESG besteht aus einer einzigen, spe- Abb. 7) besteht mindestens aus zwei ziell wärmebehandelten Scheibe, die einzelnen Glasscheiben und kann nach EN 12150-1 oder DIN 1249 ge- durchaus auch aus formal unsicheren fertigt wird. Das Verfahren verleiht dem Normalgläsern (Floatglas) bestehen. Glas eine erhöhte Stoß- und Schlag- Die Sicherheitswirkung wird durch festigkeit im Vergleich zu normalen, eine oder mehrere reißfeste, transpa- nicht bruchsicheren Flach-, Float- oder rente und zähelastische Polymer-Fo- Normalglas-Scheiben. ESG ist kenn- lien zwischen den einzelnen Gläsern zeichnungspflichtig und daher anhand gewährleistet. Es weist daher mehrere des Aufdruckes gut zu erkennen. Sicherheitsmerkmale (durchschlag-/ Problematisch sind „Altbestände“ – die- durchbruchhemmend, splitterbindend, …) se können aus ESG bestehen, sind gegenüber einer einfachen Floatglas- Abb. 5: Drahtglas ist kein Sicherheits- aber oft nicht gekennzeichnet. Dann scheibe auf. VSG bindet im Falle eines glas und nicht ausreichend bruchsi- heißt es: Überprüfen, ob Sicherheits- Bruches Splitter und bewirkt damit ei- cher! Beim Durchbrechen ist die glas vorhanden ist! ne erhebliche Reduzierung der Ver- Verletzungsgefahr extrem. letzungsgefahr. Außerdem erschwert 16 Sicherheitsforum 2 . 2018
Prävention Die einfachste Maßnahme wäre, die betroffenen Flächen beidseitig mit ei- ner zugelassenen Splitterschutzfolie abzuschirmen. Bei der Auswahl von genormten Splitterschutzfolien muss auf eine ausreichende Mindest-Stärke (i. d. Regel ≥ 150 μm) geachtet wer- den. Der Einbau sollte nur durch Fach- firmen erfolgen. Dabei muss zwingend die Montageanleitung des Herstellers beachtet werden. Nur wenn die Folie z. B. vollflächig verklebt und eine aus- reichende Randeinbindung vorhanden ist, ist die volle Sicherheitswirkung ge- währleistet. Abb. 8: VSG in absturzsichernder Ausführung (siehe auch Detailaufnahme der Achten Sie bitte auch bei Schaukästen Folie) als Tribünenverglasung in einer Sporthalle. Die Glaskonstruktion ist gem. und Vitrinen auf die Glasart. Beson- DIN 18008 zu bemessen. ders in Gängen und Laufbereichen können nicht bruchsichere Vergla- die Folie ein Durchdringen des Glases. das mangelnde Risikobewusstsein ver- sungen auch hier zu schweren Verlet- Oft ist es gar nicht so einfach zu erken- stärkt. In stark frequentierten Durch- zungen führen. Vor kurzem gab es bei nen, ob es sich um VSG-Gläser han- gangsbereichen / Verkehrswegen, auf einer Ausstellung mit diversen Tier- delt. VSG ist nicht zwingend kenn- Schulhöfen oder wie beim Unfallbei- Exponaten einen weiteren schweren zeichnungspflichtig, da die mit der Fo- spiel bei bewegungsintensiven Ball- Glasunfall. Ein Schüler stürzte beim lie zusammengesetzten Einzel-Gläser sportarten kommt es daher öfter zu Raufen gegen die unsichere Floatglas- oft aus großen Glasflächen (insbeson- Glasbrüchen. Wenn Sicherheitsglas scheibe und zog sich dabei erhebliche dere Floatgläsern) herausgeschnitten verbaut wurde, ist das Verletzungsrisiko Schnittverletzungen am Arm zu. Der werden. Im Zweifelsfall gilt auch hier: minimiert. Aussteller hatte die unsicheren Glas- Nachprüfen oder recherieren, ob noch vitrinen selbst mitgebracht und in der alte Nachweise wie z. B. Bau- und Schule aufgestellt. Wenn – wie hier – Herstellerunterlagen oder Zertifikate Ausstattungen temporär von externen dies bescheinigen. Auf Grund der gro- Achtung – „alte“ Organisationen zur Verfügung gestellt ßen Festigkeit und Durchbruchsicher- werden, muss sich allerdings die heit werden VSG-Verglasungen auch Drahtgläser Schule bzw. der Sachaufwandsträger häufig als transparente Absturzsiche- über die Einhaltung der Sicherheitsan- rungen in „absturzgefährdeten“ Berei- In Gebäuden aus den 60er/70er-Jah- forderungen informieren und darauf chen eingesetzt (s. Abb. 8). ren gibt es im Bestand jedoch noch hinweisen. Die o. g. unsicheren Vitri- häufig unsichere „Drahtgläser“ – dies nen wurden nach dem Unfall natürlich sind keine Sicherheitsgläser. Ohne zu- sofort aus den Verkehrsbereichen ent- sätzliche Maßnahmen sind sie in fernt. Unfallschwer- Aufenthaltsbereichen von Personen grundsätzlich unzulässig. Wenn Draht- Holger Baumann, punkt Schulen – gläser brechen, kommt es oft zu sehr KUVB München schweren Schnittverletzungen, da Bewegungsdrang beim Bruch die Stahl-Drahteinlage die gesplitterten Gläser/Scherben nur lose und fehlende zusammenhält. Beim intuitiven Ver- Die Unfallkasse Sachsen-Anhalt appelliert daher an alle Betrei- such, z. B. die Hand oder das Bein Risikoeinschät- schnell aus der Bruchstelle herauszu- ber / Sachkostenträger: Im Rah- men der Verkehrssicherungspflicht ziehen, kommt es oft zum „Widerhaken- zung sind Effekt“, d. h. die Splitter bohren sich müssen Verglasungen auf unsi- chere oder unklare Bestandsver- besonders tief in Haut oder Körperteile Unfall-Ursachen und können dabei auch Hauptschlag- glasungen überprüft werden. Bei Neubauten und Generalsanierungen adern verletzen. muss natürlich bereits bei der Pla- Ein erhöhtes Unfallgeschehen mit Ver- nung vorab festgelegt werden, wo glasungen tritt insbesondere bei allen Auch wenn Drahtgläser aus Brand- der Einsatz von Sicherheitsglas er- Schularten ab der Jahrgangsstufe 5 schutzgründen noch zugelassen forderlich ist. Im Zweifelsfall müs- auf. Besonders oft trifft es dabei Ju- oder von den Bauaufsichtsbehörden sen Verglasungen ersetzt, ausge- gendliche und junge Erwachsene. Dies nicht bemängelt oder toleriert wer- tauscht oder sicher abgeschirmt wird durch den altersbedingten, akti- den, sind diese aus sicherheitstech- werden. ven Bewegungsdrang, Mutproben und nischer Sicht unzulässig! Sicherheitsforum 2 . 2018 17
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