Le geste héroïque à la portée de tous ?1 - Über die historische Semantik des Heldenbegriffs in Frankreich, 1750-1800 - FreiDok plus

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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2015/03/03

Maximilian Höhn                                                                                            31

Le geste héroïque à la portée de tous ?1
Über die historische Semantik des Heldenbegriffs in Frankreich, 1750-1800

Einleitung                                             Mitte des 18. Jahrhunderts – Wandel in der
                                                       Heldensemantik
In diesem Aufsatz geht es darum, den Verände­
rungen nachzuspüren, die der Heldenbegriff in          Laut Konersmann findet sich Mitte des 18. Jahr­
Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahr­         hunderts ein „Kontinuitätsbruch in der Semantik
hunderts erfahren hat. Diese Veränderungen             des Heroischen“ (Konersmann, Geburt Abs. 8),
sind von beachtlicher Tragweite, da sie auf            wobei die bereits im Jahrhundert zuvor begonne­
gesellschaftliche Umbrüche, politische Groß­           ne Krise4 weiter und verschärft fortbestand – al­
ereignisse, Machtfragen und mentalen Wan­              lerdings aus zum Teil anderen Gründen: Der Jan­
del hinweisen. Neben dem innovativen Wandel            senismus, eine quasi puritanische katholische
bestimmter Bedeutungsaspekte auf der einen             Reformbewegung, deren moralischer Pessimis­
Seite wird auch deren Beharrungsvermögen               mus wenig Platz für Helden einräumte, spielte
andererseits berücksichtigt. Leitfragen dieser         nun keine besondere Rolle mehr, sondern die
Untersuchung sind: Wer konnte nach zeitgenös­          Ideen der Aufklärung. Die Aufklärer forderten
sischer Auffassung Held sein? Wie war er be­           den zivilisierten, verständigen und sozialfähigen
schaffen, welche Tugenden zeichneten ihn aus?          Menschen, bisweilen auch eine egalitäre Gesell­
Wie traten diese Fragen in den Definitionen auf?       schaftsordnung. Das vertrug sich nicht mit dem
Ein wichtiger Aspekt ist in dieser Hinsicht auch       herkömmlichen Heldenbild des aristokratischen
die Frage nach weiblichem Heldentum. War dies          Kriegers. Überhaupt erschien der exzentrische,
unter den damaligen Bedingungen überhaupt              gesellschaftliche Normen sprengende Charak­
denkbar? Dabei sollen generelle Konjunkturen           ter immer mehr Zeitgenossen als obsolet, so
der Semantik ausfindig gemacht, jedoch vor al­         dass der Held nicht bloß umdefiniert, sondern
lem auch Deutungskämpfe erörtert werden; denn          zuweilen verworfen und ihm stattdessen polemi­
der Heldenbegriff war keineswegs nur eine neu­         sierend der maßvolle, besonnene und nützliche
trale Beschreibungskategorie, sondern immer            grand homme entgegengesetzt wurde (Ritter 2;
auch ein soziales Ordnungs- und Gestaltungs­           Roger 181). Gaehtgens zufolge ersetzte diese
mittel (Walther 364). Die Untersuchung setzt           Figur den früheren homme illustre, dessen Kult
1750 ein, weil für jene Zeit in der Forschung eine     vor allem der Verherrlichung des Königs ge­
Krise des Helden angenommen wird, wofür sich           dient hatte, wohingegen im grand homme dem
Bénichou, Ritter und Roger aussprechen.2 Die           Genie und der Individualität gehuldigt wurde
Untersuchung endet 1800, weil mit ­      Napoleon      (Gaethgens 164-165). Hinsichtlich dieses Er­
                                                       ­
das revolutionäre Heldentum zurückgedrängt             satzes spricht Roger auch von einer „kulturellen
und der Heldenbegriff wieder konventioneller           Revolution“ (Roger 191). Denn im Gegensatz
gebraucht wurde. Der Untersuchungszeitraum             zum herkömmlichen Heldenkonzept zeichne
stellt jedoch ausdrücklich keine Sattelzeit3 im        den grand homme Vernunft, Entmythisierung, zi­
Sinne Kosellecks dar, weil der Heldenbegriff sich      vilisiertes Kriegertum, gesellschaftlicher Nutzen
darin nicht radikal wandelt und keine bestimmte        und Menschlichkeit aus (ebd. 191-197). Heyer
moderne Bedeutung annimmt, sondern über die            spricht hierbei von einer „anthropologischen
Zeiten hinweg im Kern seine Bedeutung beibe­           Wende“ – ein weiterer Grund übrigens, die Unter­
hält und verständlich bleibt. Damit ist er ein „Tra­   suchung um 1750 zu beginnen: Rationalität und
ditionsbegriff“ (Koselleck, Begriffsgeschichte         Leidenschaft wurden nun zusammengedacht,
27); diese Bezeichnung verdeutlicht, dass sich         um einen ganzen Menschen zu formen (Heyer
bei allen Veränderungen dennoch sehr ähnliche,         69-70). Für den Heldenbegriff bedeutet das eine
oft sogar gleiche Ideen und Vorstellungen mit          Humanisierung; der Held wird nun zunehmend
ihm verbinden.                                         weniger als entrücktes Wesen begriffen denn

helden. heroes. héros.
Maximilian Höhn

32   als Mensch mit Schwächen und Leidenschaften.          wird, dass für Rousseau wohl kein Gegensatz
     Entsprechend kommen statt der bisher üblichen         zwischen ‚groß‘ und ‚heroisch‘ besteht, es sich
     mythologischen Gestalten öfter zeitgenössi­           hierbei vielmehr um Synonyme handelt:
     sche und historische Heldenfiguren in den Blick
     ­(Gaethgens 163). In diesem Zusammenhang ist             Pour être grand il ne faut que se rendre
      auch auf eine Veränderung des Heldendiskurses           maître de soi. C’est au-dedans de nous
      durch die wachsende Bedeutung insbesondere              mêmes que sont nos plus redoutables
      der Zeitschriften hinzuweisen: Der Heldentypus          ennemis ; & quiconque aura su les com­
      der medial gefeierten Persönlichkeit, gleichsam         battre & les vaincre aura plus fait pour la
      des Stars, kommt auf, Lilti spricht von einer „Me­      gloire, au jugement des Sages, que s’il
      dienrevolution“ (Lilti, ­Figures publiques).            eût conquis l’Univers. (ebd. 20-21)
           Die Untersuchung kann einsetzen bei ei­
      ner Abhandlung von Rousseau aus dem Jahre            Abermals grenzt er hier seinen Heldenbegriff
      1751, welche Tugend wohl am nötigsten für den        vom Kriegs- beziehungsweise Erobererhelden
      Helden sei.5 Im Jahr zuvor hatte er mit seinem       ab. Indes bleibt ‚Ruhm‘ als Lohn des Helden
      Discours sur les Sciences et les Arts bereits für    erhalten; das Streben danach wird weiterhin
      Furore gesorgt. Er vertrat eine hochkulturfeindli­   als legitim angesehen, solange seine Grundla­
      che Dekadenztheorie, daher war von ihm auch          ge in der Selbstüberwindung liegt. Hier kommt
      in Hinblick auf die Heldensemantik eine Betrach­     ein neues, aufklärerisch geprägtes Selbstver­
      tung gegen den Strich zu erwarten. Dieser neue       ständnis zum Ausdruck, dessen Fokus auf der
      Text markierte exemplarisch den semantischen         Selbst­optimierung kraft Vernunft liegt. Dabei
      Umbruch zum ‚humanisierten‘ Helden (Koners­          muss der Held keineswegs lasterfrei sein; auch
      mann, Geburt Abs. 3). In gut aufklärerischer Ma­     wenn Rousseau seinen Helden durch die Ver­
      nier erteilte Rousseau dem landläufigen Vorur­       wendung einer Tempelmetapher in eine göttliche
      teil, wonach kriegerische Tugend für den Helden      Sphäre zu rücken scheint, behält er am Ende
      notwendig sei, eine Absage:                          doch Bodenhaftung, bleibt ausdrücklich Mensch
                                                           ­(Konersmann, Geburt Abs. 6):
        Il y a long-tems que le préjugé vulgaire a
        prononcé sur la question que nous agi­                Parmi les hommes célèbres, dont les
        tons aujourd’hui, & que la valeur guerrière           noms sont inscrits au Temple de la
        passe chez la plupart des hommes pour                 Gloire, les uns ont manqué de sagesse,
        la première vertu des Héros. (Rousseau                les autres de modération ; il y en a eu de
        9-10)                                                 cruels, d’injustes, d’imprudens, de per­
                                                              fides ; tous ont eu des foiblesses ; nul
     Für ihn konnte dies schon deswegen nicht zu­             d’entr’eux n’a été un homme foible. En un
     treffen, da das Kriegertum letztlich nur destruktiv      mot, toutes les autres vertus ont pu man­
     sei (ebd.).6 Die wesentliche Tugend des Helden           quer à quelques grands hommes ; mais,
     hingegen liege in der Charakter- beziehungswei­          sans la force de l’âme, il n’y eut jamais de
     se Seelenstärke. Andere Tugenden seien dage­             Héros. ­(Rousseau 22)
     gen entweder nur nebensächlich oder definier­
     ten andere Typen, die vom Helden im engeren           Aus dieser Betonung der Menschlichkeit des
     Sinne unterschieden werden sollten:                   Helden ergibt sich allerdings eine Spannung:
                                                           Während der Held einerseits zunehmend in der
        S’il falloit distribuer les vertus à ceux à qui    Sphäre der Normalität verortet wird – und damit
        elles conviennent le mieux, j’assignerois à        seine Distanz zum normal-bürgerlichen Subjekt
        l’homme d’Etat la prudence ; au Citoyen            verringert –, bleibt andererseits doch eine Spur
        la justice ; au Philosophe la modération ;         der Erhabenheit erhalten. Auch der humanisierte
        pour la force de l’âme, je la donnerois au         Held, dessen Gestalt Rousseau hier in exemp­
        Héros, & il n’auroit pas à se plaindre de          larischer Weise zum Ausdruck bringt, verliert
        son partage. (ebd. 19)                             nicht ganz die Aura des Erhabenen, die ihm
                                                           traditionell zugesprochen wurde. Somit wird der
     Was zunächst wie eine etwas diffuse Tugend er­        Heldenbegriff zwar in die moderne Gesellschaft
     scheint, wird von Rousseau im Folgenden aus­          integriert, der Humanität und insbesondere ei­
     führlich erläutert: Die Seelenstärke hänge we­        nem bürgerlichen Nützlichkeitsideal verpflichtet
     sentlich mit der Selbstbeherrschung zusammen          (ebd. 8); zugleich haftet ihm jedoch etwas Frem­
     und sei eine innere Haltung. Auch die Gegner          des, Archaisch-Anachronistisches an (Koners­
     des so verstandenen Helden lägen nicht primär         mann, Geburt Abs. 8).
     außerhalb, sondern innerhalb seiner selbst, wie           Während Rousseau die inhärente Spannung
     folgende Stelle erläutert, wobei auch deutlich        im humanisierten Heldenbegriff zum Kernpunkt

                                                                                        helden. heroes. héros.
Über die historische Semantik des Heldenbegriffs in Frankreich, 1750–1800

seiner Neudefinition macht, verabschieden                la capacité, & à toute la valeur d’un grand capi­    33
sich andere Zeitgenossen gleich gänzlich von             taine, un amour & un desir sincere de la félicité
dem Begriff, um sich stattdessen auf den grand           publique.“ (ebd.). Wie brüchig der Heldenbegriff
homme als Alternative zum Helden zu konzen­              in dieser Phase durch die verschiedenen Infra­
trieren (Bonnet, Naissance 10). Auch hier zeigt          gestellungen, Differenzierungen und Neudefiniti­
sich jedoch, dass ein Loskommen vom über­                onen geworden war, zeigt sich auch darin, dass
lieferten Heldenglanz nur schwer möglich war;            sein Gebrauch auch innerhalb der Encyclopédie
letztlich lag es für die Zeitgenossen offenbar           selbst keineswegs einheitlich war. Im Gegensatz
meistens näher, den Heldenbegriff neu zu defi­           zu Jaucourt verzichtete Diderot in dem von ihm
nieren, als ihn ganz ad acta zu legen. Ein Para­         verfassten Artikel „héroïsme“ auf das Lavieren
debeispiel hierfür findet sich in der E
                                      ­ ncyclopédie,     zwischen grand homme und héros. Für ihn blieb
deren Wirkmächtigkeit als Diffusionsquelle auf­          Held durchweg ein positiver Begriff, sofern er mit
geklärten Gedankenguts immens war. Wenn­                 ‚echter Größe‘ zusammenhing (ebd. 181). Indes
gleich es sich bei diesem Werk formal um eine            forderte auch er einen überlegteren Umgang mit
bloß deskriptive Wissenssammlung zu handeln              dem Begriff ein, der nicht, wie im Volk üblich,
schien, so besaßen die Artikel tatsächlich eine          leichtfertig gebraucht werden dürfe:
pädagogische, oftmals politische, bisweilen po­
lemische Stoßrichtung. Die Autoren bemühten                  Mais le peuple est toûjours peuple ; &
sich deshalb meist um eine Neudefinition der                 comme il n’a point d’idée de la véritable
Begriffe, wovon sie sich positive Konsequenzen               grandeur, souvent tel lui paroît un héros,
für die Gesellschaft erhofften. Der Verfasser des            qui réduit à sa juste valeur, est la honte &
Artikels „héros“, Louis de Jaucourt,7 versteht un­           le fléau du genre humain. (ebd.)
ter ‚Held‘ zunächst ganz traditionell den Kriegs­
helden. Mit Bezug auf die Antike grenzt er sich          Der reine Eroberer kann demzufolge nicht mehr
dabei allerdings von der landläufigen, zu einsei­        Held sein; überhaupt ist der Vorbehalt gegen
tigen Sicht auf diese Figur ab. Für ihn ergibt sich      martialisch gefasstes Heldentum spürbar, und
die eigentliche Identität des Helden erst aus der        anders als bei Jaucourt wird der Held kaum krie­
Gegenüberstellung zum grand homme, dessen                gerisch definiert. Bemerkenswert ist zweierlei:
Gestalt nicht durch den kriegerischen Erfolg,            Erstens übernimmt er ein Stück weit die Helden­
sondern durch innere Tugend bestimmt ist:                kritik aus der Epoche zuvor, in der Heldentum im
                                                         Zeichen von Neostoizismus und Jansenismus
   L’héroïsme supposoit le grand homme                   skeptisch gesehen und eher bezweifelt worden
   […]. Dans la signification qu’on donne à              war; doch statt den Begriff deshalb zu verwerfen,
   ce mot aujourd’hui, il semble n’être uni­             empfiehlt er eine strenge Auslese, wählt lieber
   quement consacré qu’aux guerriers, qui                die Verengung des Begriffs auf Figuren ‚echter
   portent au plus haut degré les talens &               Größe‘, die jedoch vom Volk offenbar nur selten
   les vertus militaires ; vertus qui souvent            erkannt werde (ebd.). Zu dieser Skepsis gegen­
   aux yeux de la sagesse, ne sont que des               über der populären Anerkennung des wahren
   crimes heureux qui ont usurpé le nom                  Helden passt zweitens, dass Diderot zwar das
   de vertus, au lieu de celui de qualités,              kriegerische Element des Begriffs zurückweist,
   qu’elles doivent avoir. (Jaucourt 182-183)            nicht aber das aristokratische: Alle angeführten
                                                         Beispiele sind Könige (ebd.). Für ihn scheint
Während er im Artikel die moralische Überle­             es natürlich, dass Helden von Geblüt sind und
genheit des grand homme über den Helden klar             dass die Masse echte Helden gar nicht erken­
unterstreicht, wird der Held als Identifikations­        nen kann, was folglich nach dem verständigen
figur dabei dennoch nicht gänzlich verabschie­           Mittler und Deuter verlangt, der erklärt, wer denn
det. Vielmehr wird auch hier der Versuch einer           ein Held sein könne. Worauf er hiermit abzielen
Moralisierung des überkommenen Helden und                könnte, ist möglicherweise ein neues Fürsten­
damit eine Neudefinition des Begriffs sichtbar,          verständnis – ein Fürst, der sich tugendhaft ver­
die sich von seiner überlieferten semantischen           halten und damit zum Helden werden solle.
Strahlkraft nicht ganz lösen kann (ebd.). In präzi­          Ein signifikantes Beispiel für den gewaltigen
sierenden Formulierungen wie parfait héros wird          Einfluss der Encyclopédie ist die Tatsache, dass
somit der Versuch sichtbar, den Heldenbegriff            das Dictionnaire de Trévoux, dessen Neuaufla­
von überlieferten Konnotationen zu lösen, um             ge – zugleich die letzte dieses Wörterbuchs – ge­
ihn für neue Argumentationskontexte nutzbar              rade einmal sechs Jahre darauf (1771) erschien,8
zu machen. Zentrales Kriterium ist dabei stets,          die Diktion der Encyclopédie im entsprechenden
dass der humanisierte Held nicht sich selbst,            Artikel teilweise wörtlich übernahm (Dict. Tré­
sondern dem öffentlichen Wohl verpflichtet ist:          voux 808) und die aufklärerisch-humanistische
„[M]ais le parfait héros, est celui qui joint à toute    Stoßrichtung dabei sogar noch verschärfte:

helden. heroes. héros.
Maximilian Höhn

34      Cependant le Héros a plus de droit qu’un            angedichtet; er hatte aber Erfahrung als Artillerie­
        autre au titre de Grand-homme. Il n’a plus          offizier gesammelt und war selbst als Erzieher in
        qu’un pas à faire. Le parfait Héros réu­            der Familie eines Generals tätig gewesen. Dabei
        nit les qualités qui excitent l’admiration,         scheint Adel Voraussetzung einer Heroisierung
        & celles qui attirent les hommages & les            zu sein beziehungsweise Heldentum die eigent­
        respects. (ebd.)                                    liche Bestimmung des guten Adligen. Der Hel­
                                                            denruhm muss jedoch durch Verdienst erwor­
     Dies ist insofern überraschend, als es sich um         ben werden. Hier könnte sich das traditionelle
     ein von Jesuiten herausgegebenes Lexikon han­          Heldenbild mit rational-aufklärerischen Ideen,
     delte, das zwar auch ein Konkurrenzunterneh­           vielleicht sogar mit bürgerlichen Vorstellungen
     men zur Encyclopédie war, die liberalen Ansich­        verbunden haben, wobei das meritokratische
     ten darin aber mitunter aus religiösen Gründen         Heldenverständnis wohl kein genuin bürgerli­
     bekämpfte, wenn sie sich zu weit von der Deu­          ches Phänomen war, sondern maßgeblich vom
     tung der Orthodoxie und dem Machtanspruch              Adel getragen wurde, wie sich mit Chaussinand-
     der Kirche entfernten. Neben der ­Encyclopédie         Nogaret erkennen lässt ­(Chaussinand-Nogaret
     und dem Wörterbuch der Akademie ist jenes von          222-223; 232). Die ­adlige Geburt verleiht gleich­
     Trévoux mithin das bedeutendste Lexikon seiner         sam einen Ehrkredit, dessen sich jede Genera­
     Zeit. Das Wörterbuch der Akademie bleibt im Üb­        tion aber aufs Neue würdig zu erweisen, ihn mit
     rigen von derlei Reflexionen unberührt, definiert      eigenen Ruhmestaten zu begleichen hat. Somit
     den Begriff sehr neutral und konserviert diese         ist die adlige Herkunft vielmehr Last oder Ver­
     Definition sehr lange (Dict. Acad., 1762 874);         pflichtung:
     erst 1835 wird dort der Heldenbegriff etwas wei­
     ter und moralischer gefasst (Dict. Acad., 1835            Plus vos proches vous transmettent d’hon­
     888). Das zeigt noch einmal den Unterschied               neur, Mon Enfant, plus ils vous rendent
     zwischen der Begriffsdefinition in einem wissen­          penible la carriere, qu’ils vous ouvrent. Si
     schaftlich-akademischen Werk, die tatsächlich             vous ne les surpassés pas, vous êtes in­
     deskriptiv war, und dem Charakter der Encyc-              digne d’eux. […] Votre destinée, Mon Ne­
     lopédie als politisches Pamphlet in der Tarnung           veu, porte que vous ne pouvez être qu’un
     eines Lexikons, das mit seiner Definition in die          Héros ou un lâche : il n’y a point de milieu.
     Debatte über Helden einzugreifen suchte, um               (Maubert VII-VIII)
     damit gesellschaftliche Strukturen zu verändern.
         Während situative Neudefinitionen des Hel­         Eindeutig ist hier die kriegerische Definition des
     denbegriffs im Kontext verschiedener politischer       Helden, wobei das Nützlichkeitsideal aufscheint,
     Argumentationen für den Begriffsgebrauch der           wenn der adlige Kriegsheld vom nutzlosen Höf­
     50er und 60er Jahre des 18. Jahrhunderts wich­         ling abgegrenzt wird:
     tig waren, darf andererseits auch nicht über­
     sehen werden, dass bei aller Arbeit am Begriff            Vous n’êtes point né pour figurer parmi les
     die überkommenen, militärischen Heldenkon­                faineans de Cour. Laissés à ces Inutiles,
     zeptionen keineswegs verschwanden. In ver­                qui font leur principal titre de la qualité de
     schiedenen Kontexten, beispielsweise im Lob               Courtisan, l’émulation pour la bagatelle, &
     fürstlicher Heldenfiguren und vor allem in der            l’étude de l’art de ramper. Votre métier est
     Erziehungsliteratur, blieben die traditionellen           la Guerre. (ebd. IX)
     Vorstellungen vom Helden sogar dominant. Für
     eine Dominanz des Kriegshelden sprechen sich           Heldentum ist dabei dezidiert über Tugend de­
     besonders Menant und Morrissey aus (Menant             finiert. Wenngleich nun diese vom Autor nicht
     92-94; ­Morrissey 8). Dabei konnte sich das tra­       genauer konkretisierte Tugend ein allgemein
     ditionelle aristokratische Bild des Kriegshelden       erstrebtes Gut ist, so sei Heldentum im Grunde
     zum Teil sogar mit neuen Ideen der Kultivierung,       aber nur dem Krieger möglich, da dessen Tätig­
     der Nützlichkeit und des Verdienstes verbinden.        keit ein Höchstmaß an Anstrengung verlange:
         Der pädagogische Text Ecole du ­gentilhomme
     des Abenteurers und Publizisten Maubert de                L’Heroïsme […] est le degré de perfection
     Gouvest aus dem Jahre 1754 ist hierfür ein gutes          le plus haut, auquel l’homme puisse at­
     Beispiel. Darin unterweist ein alter Ritter in zwölf      teindre : c’est le complément de la vertu.
     Lektionen seinen Neffen, einen jungen Grafen,             Comme la vertu est un but également à
     in Sachen Heroismus, erklärt ihm, was heroisch            portée de tous les hommes : il n’est au­
     und wie Heldentum zu erlangen sei. Allerdings             cune profession […] dans laquelle on ne
     entstammte Maubert nicht dem Adel, sein Titel             puisse prétendre à l’Heroïsme. Cepen­
     war wahrscheinlich aus Karrieregründen selbst             dant la prééminence a toujours été don­

                                                                                          helden. heroes. héros.
Über die historische Semantik des Heldenbegriffs in Frankreich, 1750–1800

   née à la profession militaire ; & […] nos             Diskurs Standard (Papenheim 241), um beste­         35
   Ecrivains n’honorent que des Guerriers                hende Verhältnisse mit der Autorität des alten
   du nom de Heros. […] Quelle profession                Rom und Griechenland zu kritisieren. Mit deren
   a des sentiers aussi rudes que celle des              republikanischer Tradition ließ sich sogar gegen
   Armes ? (ebd. 2)                                      den Absolutismus oder generell gegen die Mo­
                                                         narchie argumentieren. Und damit vollzog sich
Mauberts Konzept ist schließlich klar der Auf­           allmählich eine Abkehr vom monarchisch und
klärung zuzuordnen, denn neben Verdienst und             auch aristokratisch geprägten Heldenkonzept
Nützlichkeit wird auch die Universalität von Tu­         hin zu einem Heldentum, das theoretisch allen
gend und Heldentum angesprochen (ebd. 30).               Bürgern offenstehen könnte, wofür sich im sel­
Den adligen Nachwuchs auf die Wehrtätigkeit              ben Text auch ein Beleg findet:
einzuschwören, gehörte zum Selbstverständnis
des Standes, wurde aber im Zuge des militäri­                Telle fut autrefois l’éducation des Grecs &
schen beziehungsweise außenpolitischen Miss­                 des Romains, dont nous admirons encore
erfolgs Frankreichs in der ersten Hälfte des 18.             avec plaisir les belles actions. On voyoit
Jahrhunderts und darüber hinaus – der Text ent­              alors se transmettre de siècles en siècles,
stand kurz vor dem Siebenjährigen Krieg – im­                cette force d’esprit, cette magnanimité,
mer wichtiger, um die nationale Ehre und die Le­             cette grandeur d’ame, ce courage intré­
gitimation als gesellschaftliche Elite zu sichern.           pide, cette résolution constante, qui fai­
                                                             soient autant de Héros de chaque citoyen.
                                                             (Briquet 13)
Ausdifferenzierung des
Bedeutungsspektrums                                      Ganz wichtig hinsichtlich der Heroisierung war
                                                         die Auseinandersetzung um Verdienst versus
Nachdem der Heldenbegriff in den 1750er Jah­             Geburtsvorrecht, das heißt, ob Heldentum durch
ren in vielerlei Hinsicht problematisiert worden         Geburt oder durch Verdienst erworben wird.
war, zeichnen sich die folgenden Jahrzehnte              Während etliche Stimmen, vor allem in offiziel­
durch eine zunehmende Ausdifferenzierung des             len Publikationsorganen wie dem Mercure de
Bedeutungsspektrums aus. Dabei lassen sich               France, sich noch immer für den Vorzug der Ge­
vier zentrale Tendenzen der Begriffsentwicklung          burt aussprachen und damit Adel und Erbmon­
ausmachen: die weiter sich verstärkende Ver­             archie rechtfertigten – zum Beispiel Meslé 1751
bürgerlichung, die Pazifizierung, die Zivilisierung      anlässlich der Geburt des potenziellen Thronfol­
sowie schließlich die patriotische Aufladung. Bell       gers (Meslé 174) –, was bis zum naturwissen­
und Dziembowski sehen diese Aufladung vor                schaftlich auftretenden genetischen Heldenkon­
allem im Kontext des Siebenjährigen Krieges              zept reichte – so in der medizinischen These von
(Bell 11-12); aber auch der Freiheitskampf der           Fumée de Bayeux, der für eine Vererbung des
USA dürfte eine gewisse Rolle gespielt haben.            Heldentums argumentierte –, wurde die Bedeu­
Vor diesem Hintergrund rückte der Heldenbegriff          tung des Verdienstes jedoch immer größer, was
oftmals in die Nähe des Patrioten, so dass von           dazu führte, dass nun auch adlige Helden öfter
ihm zum einen ein glühender, aufopferungsvol­            meritokratisch legitimiert wurden (Maza 30). So
ler Kampf fürs Vaterland verlangt wurde, zum             heißt es in einem Aufsatz über einen ruhmrei­
anderen ein Kampf für die Freiheit, was auch             chen Admiral des 17. Jahrhunderts, erschienen
Godechot behauptet. Folgende Stelle zeigt das            1763 im Mercure de France:
ganz markant; es handelt sich um eine Passage
aus der Eloge de Pierre Pithou, eines Renais­                Qu’est-ce en effet qu’un grand nom sans
sancegelehrten, die ein Anwalt namens Briquet                vertus ? Un héros, le premier de sa race,
de Lavaux 1778 verfasst hat:                                 sera toujours préféré au Noble fastueux,
                                                             qui ne fonde illustration que sur ces titres.
   […] parce que la Nation Françoise ne dé­                  La naissance est un effet du hasard ; mais
   rogea point de cet esprit de franchise & de               la vertu, jointe à la valeur, distingue & ca­
   liberté, vrai caractere du Patriotisme […].               ractérise le vrai Noble, le Citoyen & tout
   Ce fut toujours cette opinion de franchise                bon François. (Dagues 81)
   & de liberté, qui fit des Héros, tant à Rome
   que dans la Grece […]. (Briquet 62)                   Diese Zeilen sind sicherlich im Kontext der mari­
                                                         timen Niederlage gegen England zu verstehen,
Freiheit ist hier Grundvoraussetzung für Helden­         weshalb auch kein gegenwärtiger Admiral ge­
tum schlechthin. Der Antikenbezug als Argument           rühmt, sondern auf die Vergangenheit zurück­
für Tugend in der Gegenwart war indes ein ver­           gegriffen wird. Dieser Kontext erklärt ebenfalls
breitetes Mittel und gerade für den patriotischen        den sehr offenen und allgemeinen Appell zum

helden. heroes. héros.
Maximilian Höhn

36   Heldentum, wie er dann auch in den Revoluti­        überwiegenden Konsens deutet, der sich dann
     onskriegen anzutreffen ist; denn nicht bloß jeder   ab der Revolution, wie sich zeigen wird, auflöst
     ‚wahre Adlige‘, sondern jeder ‚gute Franzose‘ ist   und einem Pluralismus Platz macht.
     hier angesprochen.                                      Was die Debatte um weibliches Heldentum
         Auch wenn der Kriegsheld keineswegs ver­        anbelangt, gewinnt sie in den beiden Jahrzehn­
     schwand, traten zunehmend andere Heldenty­          ten vor der Revolution an Fahrt. Der bereits zi­
     pen hinzu. Und selbst der Kriegsheld sollte kein    tierte Abbé de Lavaux nennt an anderer Stelle
     barbarischer Schlächter sein, sondern ein Hu­       seines Textes eine Reihe historischer Frauen­
     manist, gebildet und empfindsam – wie folgende      figuren, wobei es sich durchweg um Fürstinnen
     Stelle prägnant nahelegt, aus einem Aufsatz des     handelt – Königin Elisabeth, Königin Christine,
     Dramaturgen und Moralisten Moissy von 1773          die Zarin Katharina und Maria-Theresia –, die
     über Erziehung, der hier stellvertretend für eine   sich stark und tugendhaft Ruhm erwarben
     allgemein verbreitete Ansicht stehen mag:           (Briquet 149-150), als Beweis dafür, dass Hel­
                                                         dinnen sehr wohl möglich sind, bereits vorkom­
        Toujours un vrai héros a l’ame tendre,           men und viel häufiger vorkommen sollten, wie er
             humaine […].                                sozialkritisch postuliert und dabei die miserable
        Voilà comme un héros se conduit à la             conditio feminae seiner Zeit anprangert:
             Gloire,
        Il est compatissant au sein de la Victoire ;        Ces exemples nous convainquent qu’il est
        Il traitte avec bonté ses ennemis battus,           des héroïnes […] ; […] rien de plus né­
        Et sçait verser des pleurs sur les morts            gligé aujourd’hui, que leur éducation : les
             des vaincus. (Moissy 23-24)                    peuples semblent s’être concertés pour
                                                            les réduire à l’inaction ; ceux de l’Asie les
     Ein neuer Heldentypus ist hingegen der Lebens­         séquestrent de la société, ceux de l’Eu­
     retter. Er entspricht dem damaligen Zeitgeist,         rope les entretiennent dans une espece
     weil er erstens ganz Philanthrop ist, zweitens         d’enfance perpétuelle […]. (ebd. 150)
     ein Alternativmodell zum Kriegshelden, drittens
     durch seine beispielhafte Zivilcourage den bür­     Für Lavaux ist der Ansatzpunkt eine gute Er­
     gerlichen Tugendkanon bestätigt, und zwar           ziehung, welche die Frauen leider nicht erhal­
     ohne dabei transgressiv zu werden. Prominen­        ten. Doch nimmt er seine Kritik auch ein Stück
     tes Beispiel einer solchen neuen Heldenfigur ist    zurück, vielleicht weil er vor der Konsequenz des
     der Herzog Leopold von Braunschweig: Zwar           Gedankens zurückschreckt oder die Ablehnung
     war dieser Herzog im preußischen Heer tätig,        seiner Zuhörer fürchtet:
     befehligte eine Truppe, doch rührt seine Vereh­
     rung als Held nicht primär von seinen Kriegsta­        Mais nous n’entendons point ici critiquer
     ten her. Er ertrank 1785 bei einem Oderhoch­           la politique des Hommes dans ce genre
     wasser, angeblich um einige Bürger aus den             d’éducation, peut-être y auroit-il beaucoup
     Fluten zu retten, was sowohl in Deutschland            d’inconvénients à la changer pour le sexe
     als auch in Frankreich begeistert aufgenommen          qui n’est point du premier rang ; […] quant
     wurde. Es liegen mehrere Texte vor, die ihn als        aux personnes du premier rang, […] nous
     ‚wohltätigen‘ Helden preisen; dabei handelt es         n’entrevoyons aucun inconvénient à les
     sich hauptsächlich um Oden, weil die ­Académie         rendre dignes de marcher sur les traces
     française 1787 über diese Heldentat einen Wett­        des Femmes illustres. (ebd.)
     bewerb veranstaltete, was die Bedeutung des
     Fallbeispiels verdeutlicht.9 Bei der entscheiden­   Er sprach vor einer Versammlung von Anwälten
     den Heldentat mag es sich indes um eine Le­         und war selbst als ein solcher beim Parlament
     gende handeln.10 Doch wichtiger als die histo­      tätig, wie das Titelblatt informiert (ebd. 1); eine
     rische Wahrheit ist die Stilisierung zum Helden,    Stände und Konventionen sprengende, allzu
     die Frage, wer zum Helden gemacht wird und          umstürzlerische Forderung hätte für ihn womög­
     warum. Der Patriotismus ist dabei noch kein Na­     lich gesellschaftliche Ächtung bedeutet. Wahr­
     tionalismus, der eine Verehrung ausländischer       scheinlich hatte diese Zurücknahme also eher
     Heldenfiguren unterbinden würde. Vielmehr ist       taktische Gründe. Da er also letztlich vorder­
     für den Heldenbegriff im Ancien Régime der Uni­     gründig nur den Frauen ‚ersten Ranges‘ Helden­
     versalismus kennzeichnend, wie das beispiels­       tum empfiehlt, wird jetzt auch klar, weshalb er
     weise im Extrait de l’Eloge du Maréchal de Saxe     zuvor als Exempel bloß heldenhafte Fürstinnen
     1759 im Mercure de France expliziert wird (ebd.     anführte.
     79).11 Demnach ‚gehören‘ Helden ‚der ganzen             Ein Gegentrend lässt sich in den Nouvelles
     Welt‘, wie noch 1789 in den konservativen Actes     réflexions d’un jeune homme des Chevalier Feu­
     des Apôtres zu lesen ist (ebd. 8), was auf einen    cher d’Artaize von 1787 erkennen. Darin wird die

                                                                                       helden. heroes. héros.
Über die historische Semantik des Heldenbegriffs in Frankreich, 1750–1800

eigene Zeit als unheroisch und dekadent, ver­                truire la regle, l’affirment au contraire […].      37
weichlicht, gekünstelt, ja geradezu ‚weibisch‘               (Feucher, Lettre 3-4)
abqualifiziert und einer verklärten Vorzeit gegen­
übergestellt. Das ist im Kontext eines von Rous­         Der Ritter liefert nun auch eine Begründung für
seau inspirierten und sich auf die Antike bezie­         diese Behauptung. Er leitet mit einer irrationalen
henden republikanisch-patriotischen Diskurses            Naturschwärmerei die Dekadenz aller früheren
zu verstehen, in dem die öffentliche Rolle der           und aktuellen Gesellschaften von der Überhe­
Frau laut Lilti abgelehnt wurde (Lilti, Sociabilité      bung der Frauen über die ihnen von der Natur
441). Der Ritter vertritt ein archaisch-martialisch-     zugemessene Rolle her:
vitalistisches Heldenkonzept. An einer Stelle ver­
gleicht er die ‚heroische‘ Epoche unter Franz I.             Chez tous les Peuples robustes & ver­
mit dem eigenen Jahrhundert und schließt, dass               tueux, chez les Sauvages, […] je voyois
selbst die damaligen Frauen den aktuellen Män­               la femme comptée presque pour rien ;
nern überlegen gewesen seien – so tief sei man               tandis que je la trouvois au contraire tou­
nun im 18. Jahrhundert ‚abgesunken‘:                         jours figurante dans les malheurs, & la dé­
                                                             cadence des empires ; & le malheur, l’avi­
   Toute la France fourmilloit d’hommes ro­                  lissement & la corruption, croître toujours
   bustes, de guerriers intrépides, dont la                  en raison de son pouvoir. […] Il existe des
   force & les prodiges nous paroissent im­                  vertus, des qualités relatives à chaque
   possibles. Les femmes même, dans ces                      sexe, qui deviennent défauts, dès qu’elles
   beaux jours de ma patrie, valoient mieux                  n’appartiennent plus à celui qu’elles de­
   que les hommes de ce siècle, tant nous                    voient décorer. (ebd. 5-6)
   sommes déchus. (Feucher, Nouvelles
   ­réflexions 81)                                       Weibliches Heldentum blieb also umstritten,
                                                         wurde im Sinne der aufgeklärten und fortschritt­
Der Ritter repräsentiert offenbar eine Gruppe,           lichen Kritik und der Kultiviertheit teils anerkannt,
die ihre Privilegien des Standes, Geschlechtes           teils abgelehnt, wenn sich die Autoren auf archa­
beziehungsweise Weltbildes bedroht sah; in               ische Idealzustände beriefen, meistens in der
seinem Lebensbericht von 1800 spricht er wie­            Folge von Rousseau; jedenfalls lässt sich für
derholt von der Korruption und Dekadenz sei­             dieses Thema eine lebhafte Debatte im vorrevo­
ner Zeit und stellt sich dementsprechend in die          lutionären Frankreich konstatieren.
Tradition Rousseaus (Feucher, Ma vie 2-7). In
einem Brief des folgenden Jahres weist der Rit­
ter die modernen Ansichten der Literatin, Agro­          Demokratisierung und Politisierung des
nomin und Feministin Marie Gacon-Dufour über             Begriffs in der Revolution
die Möglichkeiten ihres Geschlechtes galant,
doch sehr bestimmt zurück; sie hatte in ihrem            Hinsichtlich der bisherigen Begriffsentwicklung
Mémoire pour le sexe féminin contre le sexe              und Tendenzen ist die Revolution ein Kataly­
masculin gegen den Ritter und dessen Haltung             sator. Ihre drei Hauptmerkmale sind: Politisie­
polemisiert und an einer Stelle Heldentum expli­         rung, Demokratisierung12 und Remilitarisierung
zit auch für das weibliche Geschlecht reklamiert:        des Heldenbegriffs. Dabei ist zu unterscheiden
„Je ne parlerai ni de notre enthousiasme pour            zwischen einer bürgerlich-gemäßigten Anfangs­
l’héroïsme, que nous sentons autant que les              phase der Revolution und einer Radikalisierung
hommes, ni de notre amour pour la gloire […].“           während der jakobinischen Terrorherrschaft; die
(Gacon-Dufour 41). Nach Ansicht des Ritters              Merkmale sind dieselben, aber die Akzente ver­
waren Frauen eben grundsätzlich nicht zum Hel­           schieben sich. Was die Demokratisierung an­
dentum befähigt, was er in folgender Passage             belangt, lohnt es sich, thematisch bei der Frau­
ausführt, in der er zwar weibliches Heldentum            enfrage zu bleiben und einen politischen Aufruf
zugesteht, aber lediglich als Ausnahme von ei­           der Dramaturgin und Frauenrechtlerin Olympe
nem Naturgesetz:                                         de Gouges zu betrachten,13 die 1789 von den
                                                         Pariserinnen forderte, zur Linderung der staatli­
   J’ai trop bonne opinion de votre esprit,              chen Finanzkrise einem römischen Fallbeispiel
   pour soupçonner que ce soit faute de meil­            folgend ihren Schmuck zu spenden. Der Text
   leur moyen, ou que vous croyiez m’avoir               ist beispielhaft für die Debatte um weibliches
   bien réfuté, par des traits pris au hasard            Heldentum und die Demokratisierung des Hel­
   dans les Mercures, & qui prouvent, tout au            denbegriffs. Sie packt die Frauen bei der Ehre,
   plus, de la générosité, de la vertu, de l’hé­         verspricht ihnen Ruhm und appelliert an ihren
   roïsme dans quelques femmes […]. Vous                 Gemeinsinn:
   savez […] que les exceptions, loin de dé­

helden. heroes. héros.
Maximilian Höhn

38      Aujourd’hui donc, mes Concitoyennes,              Beispiel in der Eloge des héros de la France, ei­
        que sa voix [=de la Patrie] commence à se         ner anonymen, patriotischen Lobschrift auf die
        faire entendre parmi nous, y serez-vous           Helden der Revolution. Das darin gerühmte Hel­
        insensibles ? […] & vos noms transmis             denkollektiv ist die gesamte Nation – ein fran­
        jusqu’à la postérité la plus reculée, seront      zösisches Volksheldentum, vom König bis zum
        placés dans l’Histoire […]. Hâtez-vous            Arbeiterjungen:
        donc de vous acquitter d’un si beau sacri­
        fice. (Gouges 5-7)                                   Tout homme est citoyen, chacun devient
                                                                 guerrier,
     Das ist ein Novum im Heldendiskurs; während             Le riche, l’indigent, le prêtre et l’ouvrier
     in der vorangegangenen Zeit trotz Verbürger­                […].
     lichung zumeist eben doch fürstliche Einzelfigu­        Les femmes, les enfans, et nombre de
     ren heroisiert wurden, so wird nun ein Kollektiv        prêtres qui ont quitté l’habit ecclésiastique,
     namenloser Bürgerinnen zu heroischem Einsatz            ont pris les armes, remplis de l’amour de
     aufgerufen. Und prinzipiell gibt es keine stän­         la patrie ; toutes les classes, tous les âges
     dische Zulassungsbeschränkung. Diese hero­              et tous les états ont donné des preuves de
     ische Kollektivierung dürfte ihren Grund in der         valeur. (Eloge des héros 22)
     Staatskrise gehabt haben; denn im Falle einer
     Bedrohung des Staats, ob von außen oder von          Dieses Heldentum ist kämpferisch und patri­
     innen, besteht oftmals die Neigung, vom gesam­       otisch definiert; Alter, Stand und Geschlecht
     ten Volk eine besondere Kraftanstrengung zu          spielen dabei keine Rolle. Mit derlei Heldenkol­
     fordern, wie das auch schon im Siebenjährigen        lektiven, in denen der namenlose Massenheld
     Krieg zu beobachten war (vgl. Dagues 81). Voll­      vorherrscht, ging nicht immer, aber zuweilen
     ständig demokratisiert findet sich der Heldenbe­     eine Anonymisierung des Helden einher, wie
     griff indes wenig später bezüglich des Zuges der     auch Vovelle behauptet (Vovelle 102). Allerdings
     Frauen auf Versailles, die den König zum Um­         werden in diesem Text auch einige Einzelfiguren
     zug nach Paris und zur Respektierung der Na­         hervorgehoben: der König, Minister Necker, Bür­
     tionalversammlung zwangen. Hierbei handelte          germeister Bailly, der Herzog von Orléans sowie
     es sich um einfache Frauen aus dem Volk, die         der Soldat Harné, der sich um die Erstürmung
     als Retterinnen der Freiheit beziehungsweise         der Bastille verdient gemacht hat.14 Der Begriff
     der Revolution heroisiert wurden, wie in diesem      ‚Held‘ fällt explizit in Bezug auf diese Kriegs­
     anonym verfassten Text Les héroïnes de Paris:        helden (Eloge des héros 13). Der patriotische
                                                          Kriegsheld hatte Konjunktur, war der Idealtypus
        Nous pouvons nous flatter que voilà notre         dieser Zeit. So wurde 1790 ein weiterer Bastil­
        liberté raffermie […]. Et ce sont les femmes      lestürmer, ein Offizier namens Elie, mit einem
        qui nous l’ont rendue! De quelle gloire im­       Ehrenschwert im Pariser Stadtparlament aus­
        mortelle elles viennent de s’environner !         gezeichnet und als ‚französischer Achill, Held
        Dans quel ordre, & avec quel courage              der Bastille‘ heroisiert, wie der Graf Lacépède
        elles sont allées au nombre de près de dix        berichtet, ein berühmter Naturforscher, der da­
        mille, demander raison aux dignes Sup­            mals im Verwaltungsrat der Stadt saß. Mit einer
        pôts du despotisme […]. (Les ­héroïnes 2)         solchen offiziellen Auszeichnung war Heldentum
                                                          sinnbildlich zu einem Politikum gemacht; man
     Im Unterschied zum Text von Gouges wird hier         könnte mit Popkin und Burstin gleichsam von ei­
     nicht etwas bloß gefordert, sondern ein Faktum       nem Monopolisierungsversuch des Heroischen
     interpretiert, eine tatsächliche Aktion von Frau­    durch den revolutionären Staat, durch National­
     en heroisiert. Für den Untersuchungszeitraum         versammlung und Wohlfahrtsausschuss spre­
     stellt dies den Gipfelpunkt der Auseinanderset­      chen (Popkin 38; Burstin 263). Und vor allem
     zung um weibliches Heldentum dar; danach             in der jakobinischen Schreckensherrschaft wur­
     werden Heldinnen wieder seltener, wahrschein­        de dann der Heldendiskurs instrumentalisiert,
     lich wegen der spätestens ab 1792 einsetzen­         um das Volk umzuerziehen (Fabre 244). Denn
     den ­vehementen Remilitarisierung des Begriffs       1792/93 ereignete sich mit der Verurteilung und
     infolge der Koalitionskriege. Da der Kriegsheld      Hinrichtung des Königs ein bedeutender Wan­
     wieder Oberhand gewinnt, und der Krieg Män­          del: Der König hatte traditionell an der Spitze der
     nerdomäne bleibt, sieht Frevert hierin einen         aristokratischen Heldenhierarchie gestanden.
     Hauptgrund für die Verdrängung von Frauen aus        Also musste das Vakuum, das er nun hinterließ,
     der Heldenrolle, bis weit ins 20. Jahrhundert hin­   gefüllt beziehungsweise ein völlig neues Hel­
     ein (Frevert 337-339). Auch in anderen Schriften     denkonzept bestimmt werden, nicht zuletzt, um
     lässt sich die Demokratisierung und die Bildung      im Volk für die durch den Krieg notwendig ge­
     von Heldenkollektiven 1789 nachweisen, zum           wordene Massenrekrutierung zu werben.

                                                                                        helden. heroes. héros.
Über die historische Semantik des Heldenbegriffs in Frankreich, 1750–1800

Der Nationalkonvent ließ deshalb eine Samm­              männliche Tugend, mâle contenance etwa (ebd.,          39
lung von revolutionären Heldentaten in Auf­              Bd. 3, 19), definiert wird.
trag geben und genau überprüfen; das ­Comité                 Drittens kommt im Recueil die Remilitarisie­
d’instruction publique war eigens mit der Redak­         rung deutlich zum Ausdruck; die meisten der
tion dieses Werkes betraut. Die beschriebenen            beschriebenen Heldentaten spielen im militäri­
Heldentaten sollten den Leser zum glühenden              schen Kontext. Sie erscheint indes nicht gänzlich
Patrioten machen, zur Nachahmung reizen                  unerwartet, weil dafür schon in den Jahrzehnten
und die Bereitschaft stärken, Leib und Leben             zuvor, wegen der ausbleibenden militärischen
für die Republik freudig dahinzugeben. Für die­          Erfolge, durch Debatten um die Heeresreform
sen Zweck war eine psychologisch geschick­               und den Nationskult beziehungsweise verstärk­
te Schreibweise erforderlich, welche die Taten           ten Patriotismus der Boden bereitet war. Neu war
derart anschaulich und mitreißend erzählte,              allerdings die Radikalität, da der Krieg zuvor kul­
dass der Leser darauf brennt, dem Vorbild der            tiviert worden war, also gesittet abzulaufen hat­
Helden nachzueifern (Thibaudeau v. a. 2). Der            te. Der neue, revolutionäre Kriegsheld aber war
1793 dann erstmals erschienene und laut ­Clarke          in vielen Fällen roh und unmenschlich, nahm zur
stark und lange rezipierte Recueil des ­actions          Durchsetzung der revolutionären Ideen keinerlei
héroïques von Bourdon zeigt in vier­facher Hin­          Rücksicht. Mit Roger gesprochen war damit die
sicht die neuen Tendenzen im revolutionären              Entwicklung hin zum kultivierten Kriegshelden
Gebrauch des Heldenbegriffs (Clarke 52, 61):             wie zu einer Pazifizierung des Heldenbegriffs
Erstens wird die Demokratisierung offenkundig,           erst einmal beendet:
jeder kann und soll nun zum Helden werden
(Bourdon, Bd. 1, 5; vgl. Burstin 182), wobei an­             C’en est fini du pacifisme foncier des
onyme Massenhelden wohl nicht gewollt sind,                  premières Lumières ; c’en est fait aussi
denn stets sollte, sofern zu ermitteln, der Name             du « militaire philosophe » prôné dans
des heldenhaften Individuums mit auftauchen,                 les deux décennies précédentes. À une
wie es einleitend heißt. War früher zum Beispiel             exigence de « mesure », même dans la
nur der Name des Offiziers anlässlich einer her­             guerre, se substitue une rhétorique de
ausragenden Tat erwähnenswert, solle nun auch                la barbarie « sublime ». À l’apologie de
derjenige des einfachen Soldaten auftauchen:                 « l’humanité » succède l’éloge de l’in­
                                                             humanité politiquement nécessaire […].
   […] on a eu soin de nous transmettre le                   (Roger 199)
   nom de l’officier, et que souvent on a lais­
   sé dans l’oubli celui des soldats ; nous              Viertens ist schließlich die Politisierung und In­
   prendrons les mesures nécessaires pour                strumentalisierung des Heldenbegriffs von gro­
   réparer cet oubli qui semble tenir aux in­            ßer Bedeutung. Die Absicht, für die Massenre­
   justices de l’ancien régime, et qui est si            krutierung zu werben, ist dabei zuweilen völlig
   opposé aux principes de la révolution.                offensichtlich. Bourdon berichtet zum Beispiel
   (Bourdon, Bd. 1, 5-6)                                 von einem Bauern, der darauf brennt, sich den
                                                         Truppen anzuschließen, nur noch nicht wisse,
Dieser durchaus individualistische Zug steht             wer bei seiner Abwesenheit für die Familie sor­
im Gegensatz zu jener Demokratisierung des               ge, woraufhin sich ein älterer Mann meldet und
Helden, die eben über die Anonymisierung                 die Aufgabe übernimmt – eine Frage, mit der
funktioniert, wofür etwa Marat mit seinem Ami            sich viele potenzielle Freiwillige beschäftigt ha­
du ­Peuple ein prominentes Beispiel ist. Durch           ben dürften (Bourdon, Bd. 3, 5-6). Das Eingehen
anonyme Veröffentlichung und Verkörperung                auf die Situation der Angesprochenen verdeut­
des durchschnittlichen Bürgers gerate dessen             licht, wie das Programm des Recueil zielführend
Heldenkonzept laut Mazeau nicht in Konflikt zur          umgesetzt wurde. Da nun jeder einfache Bürger
Egalität (Mazeau 97).                                    zu Heldenruhm gelangen konnte, sollte die re­
    Zweitens sind in diesem Volksheldentum               volutionäre Heldenpolitik zudem eine Begeiste­
auch fast gleichwertig Heldinnen inbegriffen.            rung für und eine Anhänglichkeit an das neue
Mögen sie in der Heldensammlung auch nicht so            System bewirken, wie Burstin folgert (Burstin
oft auftauchen wie heroische Männer, so ist ihre         183-184). Gleichem Zweck diente 1794 auch
Zahl doch nicht zu vernachlässigen, und sie sind         das jakobinisch-republikanische Lehrstück Agri-
mit respektvollen Bezeichnungen wie Citoyenne            col Viala von Philipon de la Madelaine, worin
oder femme vertueuse ausgestattet (Bourdon,              die Auf­opferung des jugendlichen Titelhelden im
Bd. 1, 14). Dabei bleibt zumindest kämpferi­             Kampf gegen die aufständischen Royalisten und
sches Heldentum gleichwohl leicht männlich               Föderalisten in der Provence im Vorjahr themati­
konnotiert, wenn manchmal eine Heldin über               siert wird. Der zwölfjährige Agricol Viala, der sich

helden. heroes. héros.
Maximilian Höhn

40   den Nationalgardisten angeschlossen hatte, hin­      Begriff dennoch in den meisten Fällen der favo­
     derte laut Überlieferung die Konterrevolutionäre     risierte Begriff blieb. Im Kontext der Aufklärung
     am Überschreiten der Durance, ein Fluss süd­         wurde allmählich eine Pazifizierung und Zivili­
     lich von Avignon, indem er im Zuge einer Auf­        sierung des Helden bemerkbar. In den Fällen, in
     klärungsmission die Seile einer Fähre kappte,        denen der Kriegsheld aber weiterhin dominier­
     wofür er sich aber zu sehr aus der Deckung be­       te, etwa im Kontext des Siebenjährigen Krie­
     geben musste und erschossen wurde. Wohl erst         ges, wurde der kultivierte Kriegsheld gefordert.
     nach einer Rede Robespierres im Nationalkon­         Außerdem erfuhr der Begriff eine tendenzielle
     vent vom Mai 1794 stieg die Bekanntheit Vialas,      Verbürgerlichung. Auch wenn die Heldenfigur
     woraufhin seine Pantheonisierung beschlossen,        zunächst überwiegend immer noch ein Adliger
     aber dann nicht mehr durchgeführt wurde, weil        blieb, wurde dessen Tugendkanon zunehmend
     der Thermidorputsch, der Sturz Robespierres,         bürgerlich definiert, gleichsam ein Bürger in der
     dazwischenkam – einen Tag, bevor die Zeremo­         Hülle eines Aristokraten: Leistungsethos, Nütz­
     nie stattfinden sollte. Den Figuren des Stücks ist   lichkeitsideal und Konformität drängten Geburts­
     jedes Recht auf Privatinteresse genommen; die        vorrecht, Exaltiertheit und Transgression in den
     Republik soll ihnen die einzige Familie, deren       Hintergrund. Überdies wurde der Begriff, bedingt
     Mehrung und Verteidigung ganzer Lebenssinn           durch die Auseinandersetzung mit England, die
     sein, was den politischen Fanatismus zeigt, mit      damit einhergehenden militärischen Misserfolge
     dem das radikal-revolutionäre Heldentum ein­         und die allmähliche Sakralisierung der Nation,
     herging. Selbst die Mutter des Helden schärft        stark patriotisch aufgeladen. Diese Entwicklung
     diesem ein:                                          geschah maßgeblich in Rückbesinnung auf die
                                                          römische republikanische Antike, mit der sich
        Ne nous occupons que de la République,            Veränderungen des Heldenkonzepts legitimie­
        mon cher Agricol : voilà ta véritable mère ;      ren ließen, weil deren Autorität weitgehend an­
        et, si l’ennemi vient, ne songe qu’à elle ;       erkannt war. Auch wurde debattiert, ob Frauen
        oublie ton âge ; sois un homme! il faut           Helden sein können, was äußerst kontrovers
        qu’aujourd’hui le laurier de la victoire cei­     war, aber gerade zum Ende der Untersuchungs­
        gne ton front, ou que la palme civique            periode durchaus möglich schien.
        couvre ton cercueil. (Philipon 22)                Die Revolution beschleunigte die genannten
                                                          Entwicklungen; nun war die Heldenfigur auch
     Ein weiteres Beispiel für diese Ideologie ist der    äußerlich verbürgerlicht, wurde der Begriff sogar
     vielgerühmte und im Wohlfahrtsausschuss erör­        demokratisiert und traten neben dem individuel­
     terte Untergang des Schiffes Vengeur im selben       len Helden mehr und mehr auch Heldenkollekti­
     Jahr. Dessen Mannschaft sei eher bereit gewe­        ve auf. Dabei ist im Kontext der zunehmenden
     sen, für die Revolutionsideale zu sterben, als       Radikalisierung der Revolution ebenfalls ein
     sich dem Feinde zu ergeben, wie es im Bericht        deutlicher Wandel in der Heldensemantik zu er­
     von Barère dazu heißt (Barère de Vieuzac). Fa­       kennen. Während der König vor 1792 weiterhin
     natismus ist dabei eine Frage der Perspektive;       eine primäre Heldenfigur blieb, konnte davon
     für Bourdon etwa waren die katholischen Konter­      später keine Rede mehr sein. Das offengelasse­
     revolutionäre der Vendée ‚Fanatiker‘ (Bourdon,       ne Vakuum forderte eine Reihe von begrifflichen
     Bd. 4, 14). Weitere bedeutsame Gegenspieler          Neubestimmungen heraus, die darum bemüht
     der Jakobiner im Inland waren außerdem die           waren, neue republikanische Heldentypen zu
     Girondisten, deren Heroisierung aber scheiterte,     definieren. Dadurch wurde der Begriff endgültig
     weil es ihnen an Tatkraft fehlte, sie keinen Er­     zum politischen Schlagwort, in dem der revolu­
     folg hatten und außerdem keine überzeugenden         tionäre Staat die neue Ordnung symbolisch zu
     Fürsprecher ihres Nachruhms fanden (Mathan           verankern suchte. Mittels der Veröffentlichung
     72-74).                                              und massenhaften Verbreitung von Heldener­
                                                          zählungen in entsprechenden Sammlungen
                                                          wurde beabsichtigt, Bürgersinn und Opferbe­
     Zusammenfassung                                      reitschaft zu fördern. Während dabei einerseits
                                                          die Notwendigkeit einer Massenrekrutierung in
     Zu Beginn des Untersuchungszeitraums galt als        Folge des Krieges im Hintergrund stand, nutzten
     Held immer noch hauptsächlich der adlige Krie­       die Revolutionäre den Heldenbegriff anderer­
     ger. Doch war dieses überkommene Konzept be­         seits auch dafür, einen neuen Menschentypus
     reits angefochten und wurde zunehmend durch          und neue Gemeinschaft hervorzurufen. Gerade
     einen friedlichen Heldentypus, zuweilen auch         auch der Bezug auf ein kollektives Heldentum
     gänzlich durch das Gegenmodell des grand             des gesamten französischen Volkes wurde in
     homme ersetzt, wobei ‚Held‘ aufgrund seiner          diesem Sinne verwendet – ein starker Bruch
     Strahlkraft als mythisch-auratisch aufgeladener      mit der bisher üblichen Fokussierung auf das

                                                                                      helden. heroes. héros.
Über die historische Semantik des Heldenbegriffs in Frankreich, 1750–1800

außergewöhnliche Individuum. So ging mit der                     Literatur                                                           41
Revolution gleichzeitig auch eine Remilitarisie­
                                                                 Quellen
rung des Begriffs einher, die der vorangegange­
nen semantischen Tendenz entgegenlief. Waren                     Barère de Vieuzac, Bertrand. Rapport fait au nom du Comité
in den letzten Jahrzehnten vor der Revolution                     de salut public, sur l’héroïsme des Républicains montant le
sowie in deren Anfangsphase immer wieder                          vaisseau ‚le Vengeur‘. Paris: Impr. nouvelle, 1794.
Stimmen laut geworden, die für eine Aufwei­                      Bourdon, Léonard. Recueil des actions héroïques et c­ iviques
                                                                  des républicains français. Présenté à la Convention
chung der exklusiv männlichen Zuordnung des
                                                                  ­Nationale, au nom de son Comité d’Instruction Publique.
Heldenbegriffs plädiert hatten, verstummten die­                   Paris: Domergue, 1793.
se angesichts der Remilitarisierung wieder. Fer­                 Briquet de Lavaux, Abbé. Eloge de Pierre Pithou. Paris 1778.
ner schwand mit der Revolution die universale
                                                                 Chaussard, Pierre-Jean-Baptiste. Ode envoyée à l’Académie
Heldenkonzeption; der Held wurde nationalisiert.                  française sur le dévouement du duc de Brunswick, qui
                                                                  mourut dans l’Oder le 27 avril 1785, en secourant des
                                                                  ­malheureux. Paris: Royez, 1787.
Maximilian Höhn hat Romanistik, Alte und Neue Geschich­
                                                                 Chénier, Maire-Joseph de. La mort du duc de Brunswick.
te in Freiburg und Paris studiert. Seine Interessenschwer­
                                                                  Ode qui n’a pas concouru pour le prix extraordinaire de
punkte sind die Literatur der Aufklärung und die Kultur des
                                                                  l’Académie françoise. Paris: de Monsieur, 1787.
18. Jahrhunderts. Seit 2014 ist er Wissenschaftlicher Mitar­
beiter im Teilprojekt „Das Außeralltägliche als Faszinosum       Dagues de Clairfontaine, Simon André Charles. „Essai
und Provokation. Komparative historische Semantik des He­         historique sur Abraham Duquesne, Lieutenant Général
roischen zwischen 1780 und 1850“ des Sonderforschungs­            des Armées Navales de France.“ Mercure de France, Bd. 1
bereichs 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen.                (Januar 1763): 80-109.
Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur         Diderot, Denis. „Héroïsme.“ Encyclopédie ou Dictionnaire
Moderne“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.              raisonné des sciences, des arts et des métiers. Bd. 8. Paris
                                                                  1765.
Anmerkungen                                                      Eloge des héros de la France, en vers, & enrichi de notes.
                                                                  Dédié à la Nation. [Paris:] Cellot, 1789.
1   Burstin 182.                                                 „Extrait de l‘Eloge [par Thomas] du Maréchal de Saxe,
2 Bénichou; Ritter; Roger 179-180. M
                                   ­ enant und Morrissey          qui vient de remporter le Prix d’Eloquence à l’Académie
sehen dagegen keine solche Krise.                                 Françoise.“ Mercure de France (September 1759): 79-100.
3 Zur Sattelzeitthese siehe bsispielsweise Koselleck, Ge-        Feucher d’Artaize, Henri de. Nouvelles réflexions d’un jeune
schichtliche Grundbegriffe XIII- XV.                              homme, ou Suite à l’essai sur la dégradation de l’homme
                                                                  en société. Paris: Royez, 1787.
4   Bannister 216.
                                                                 ---. Lettre à Mme D***, auteur du mémoire pour le sexe fémi-
5 Allerdings erschien diese Schrift erst 1768, siehe               nin, contre le sexe masculin. Paris: Tous les marchands de
­ onersmann, Rousseaus dritte Abhandlung 129. Da sie au­
 K                                                                 nouveautés, 1788.
 ßerdem vermutlich wenig rezipiert worden sein dürfte, ist der
 Hinweis wichtig, dass auch in der Nouvelle Héloïse von 1761     ---. Ma vie, par le Cit. Dartaize. Bd. 1. Paris 1800.
 Rousseaus Heldenkonzept thematisiert wurde, vgl. Bonnet,        Fumée de Bayeux, Guillaume. L’héroïsme se transmet-il des
 Naissance 30.                                                    Peres aux Enfans? Question de médecine. Nancy: Antoine,
6 Rousseau ist bezüglich der Pazifizierung des Heldenbe­          1757.
griffs nicht ganz innovativ, denn bereits Fénelon hatte Ende     [Gacon-Dufour, Marie Armande Jeanne.] Mémoire pour le
des 17. Jahrhunderts eine Etablierung des friedlichen Hel­        sexe féminin contre le sexe masculin. Paris: Royez, 1787.
den in Gang gesetzt, vgl. Bonnet, En guise de conclusion
252.                                                             [Gouges, Olympe de.] Action héroïque d’une Françoise, ou la
                                                                  France sauvée par les femmes. Paris: Guillaume junior, 1789.
7   Zum Hintergrund von Jaucourt siehe Morris.
                                                                 „Héros.“ Dictionnaire de l’Académie françoise. Bd. 1. Paris 1762.
8   Siehe Albertan.
                                                                 „Héros.“ Dictionnaire de l’Académie françoise. Bd. 1. Paris 1835.
9 Siehe die Oden von Chaussard, Chénier und Terrasse-
Desmareilles.                                                    „Héros.“ Dictionnaire de Trévoux. Bd. 4. Paris 1771.

10 Vgl. Pumpe.                                                   Jaucourt, Louis de. „Héros.“ Encyclopédie ou Dictionnaire
                                                                  raisonné des sciences, des arts et des métiers. Bd. 8. Paris
11 Ganz prägnant, wenn auch früher: Pleuvri 2-3.                  1765.
12 Zu den Begriffen ‚Demokratisierung‘ und ‚Politisie­           Lacépède, Etienne de. L’Achille français, le héros de la Bas-
rung‘ siehe auch Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe          tille, ou le brave Elie récompensé. [Paris:] Momoro, 1790.
­XVI-XVIII.
                                                                 Les héroïnes de Paris, ou l’entiere liberté de la France par
13 Sie verfasste 1791 analog zu den Menschen- und Bür-            les femmes, police qu’elles doivent exercer de leur propre
gerrechten eine Déclaration des droits de la femme et de          autorité, expulsion des charlatans etc., etc. Le 5 octobre
la citoyenne. Zur Wiederentdeckung und Bedeutung dieser           1789. Paris: Knapen, 1789.
Erklärung siehe Schröder.
                                                                 Maubert de Gouvest, Jean Henri. Ecole du gentilhomme, ou
14 Zur Bedeutung der Bastille-Stürmer und ihrer Heroisie­         Entretiens de feu Mr. le Chevalier de B… avec le Comte
rung siehe Lüsebrink 100-122.                                     son neveu sur l’héroïsme et le héros. Lausanne: Verney,
                                                                  1754.
                                                                 Meslé. „Vaudeville sur la Naissance de Monseigneur le
                                                                  Duc de Bourgogne.“ Mercure de France (Oktober 1751):
                                                                  ­173-175.

helden. heroes. héros.
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