LebensZeiten - Von der Kunst weiterzuleben - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
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LebensZeiten Ausgabe 22 Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach Von der Kunst weiterzuleben
Gedicht Erste Worte Inhalt Liebe Leserinnen und Leser, Von der Kunst weiterzuleben Zwei Frauen erzählen 6 in dieser Ausgabe steckt viel Leben. Wie man es gut macht − trotz Krankheit, trotz Kunst, Kultur und Historisches Verlusten. Wie man gut weiterlebt und was Leben ist Bewegung: Frühling dabei helfen kann. Ich wünsche Ihnen viel die Malerin Charlotte Strohmaier 4 Freude beim Lesen und beim Leben! In guter Gesellschaft: Eduard von Paulus 19 Nun ist er endlich kommen doch In grünem Knospenschuh; Rituale in der Trauer „Er kam, er kam ja immer noch“, Der Wunschbaum 25 Die Bäume nicken sich’s zu. Lebensgeschichten Funker, Bastler, Schalk: Sie konnten ihn all erwarten kaum, Achim Herzig 14 Nun treiben sie Schuss auf Schuss; Voller Einsatz fürs Leben: Im Garten der alte Apfelbaum, André Wurtz 16 Er sträubt sich, aber er muss. Veranstaltungen und Tipps Trauergruppen und Begleitung 24 Wohl zögert auch das alte Herz Und atmet noch nicht frei, Leben vor dem Tod Es bangt und sorgt: „Es ist erst März, Ihre Frau Müller spricht: Andrea Maria Haller Die letzten Tage bewusst gestalten 10 Und März ist noch nicht Mai.“ lebenszeiten@bestattungshaus-haller.de Ein letztes Bild: Kunsttherapie im Hospiz 12 O schüttle ab den schweren Traum Vom Heil des Lachens 22 Und die lange Winterruh: Es wagt es der alte Apfelbaum, Steuern und Recht Der vererbbare Urlaub 18 Herze, wag’s auch du. Buchbesprechung Theodor Fontane Was man von hier aus sehen kann 20 Gedicht Frühling 2 Bildquellenangaben 24 Impressum 28 LebensZeiten erscheint vierteljährlich. Mit LebensZeiten wollen wir die Angst vor dem Tod und vor Trauer nehmen und uns für einen offenen Umgang mit diesen Themen einsetzen. LebensZeiten soll helfen, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten, und Mut machen für das Leben danach. Hier erzählen wir die Geschichten der Menschen, die uns in 2unserer Arbeit als Bestatter begegnen. LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 3
Kunst Kunst Alles ist Bewegung In dieser Serie stellen wir Künstler aus der Region vor. Diesmal: die Malerin Charlotte Strohmaier Wenn Charlotte Strohmaier sich austoben wollte, ging sie entwe- der in den Turnverein, zum Inline-Skaten oder zum Joggen. Oder sie hat gemalt. Malen war bei ihr körperliche Arbeit. Sie arbeitete gerne mit großen Flächen, mit Öl und Acryl. Wechselte Stile und Motive. Experimentierte mit Farben und Materialen: Stoff und Sand, Kratzen und Reiben, Pinsel, Spachtel oder Scheckkarte. Beim Malen war „Charlie“ immer im Vollpower-Modus. Wenn sie mit Acryl-Farben arbeitete, musste sie schnell sein. Agieren, bevor die Farbe trocknet. Blitzschnell Entscheidungen treffen und sich mutig auf das Werk einlassen, das unter ihren Händen entstehen wollte. Malen ist wie so manches im Leben. Charlotte Strohmaier starb im Januar 2019 im Alter von 76 Jahren. Ihr Grab ist auf dem Ostfilderfriedhof in Stuttgart · Sillenbuch.
Lebenswege Von der Kunst weiterzuleben Manches ist tief in unserer Persönlichkeit verwurzelt und begleitet uns das ganze Leben. Wieviel Kontakt mit anderen Menschen wir brauchen und wollen, gehört wohl dazu. Anderes kommt unerwartet in unser Leben und will erst noch entfaltet werden: so etwas wie plötzlich erwachende Interessen und Fähigkeiten. Hier erzählen zwei Frauen, wie sie es geschafft haben, neue Strukturen aus ihrem Inneren zu entfalten. C A hristl und Schorle Schaal zuvor noch nie gehabt. Etwas in zuvor hat sie das ganz anders er- Für Margrit Manz war die Zeit baut sie ihre ganze Küche um in ein uch Christl will eine neue haben gemeinsam ein ihr glaubt, es habe mit dem Verlust lebt, als ihr Bruder im Alter von 60 schrecklich, in der ihr Mann pfle- Atelier. Wo in anderen Wohnungen Struktur in ihr Leben sehr aktives Leben ge- zu tun. Danach will sie keine weite- starb, völlig unerwartet. Der Tod gebedürftig war. Das hätte er nie das Besteck gelagert wird, sind bei bringen. Ein paar Mona- lebt. 40 Jahre waren die ren Anfälle auslösen und versucht, ihres Bruders hatte sie damals ins gewollt. Niemals. Doch der Arzt ihr nun Pinsel. Wo man Töpfe und te nach Schorles Tod mel- beiden verheiratet. Tennis-Club. besonders sorgsam mit sich selbst Mark getroffen. Die Trauer um ih- tat sich schwer damit, die Anwei- Pfannen vermutet, Farbtöpfe. Sie det sich Christl bei der Frauen-Akade- Faschingsverein. Viel Familie, gro- umzugehen. Auch deswegen hat ren Mann fühlt sich anders an. Viel- sungen der Patientenverfügung kocht nur noch selten. Die Wände mie der Volkshochschule an. Ihr Hirn ßer Freundeskreis. Schorle war ein Christl Angst, sich ganz auf ihren leicht ist es ja einfach anders, wenn umzusetzen. Als Günther endlich sind voll mit ihren Bildern, voll von neu zu aktivieren tut ihr gut. Jetzt geht großer Organisator, aber Bewegung man älter ist? Trotzdem braucht es gehen darf, ist sie erleichtert. Für den kräftigen Farben. Sie experi- sie schon seit vier Jahren in die VHS, war eher nicht so seins. Beim Ten- auch bei Schorles Tod eine Weile, ihn. Traurig, dass er nicht mehr da immer dienstags und donnerstags. Sie nisspielen hat er stets nur einen Arm bis sie wirklich begreift, dass er ge- ist, aber erleichtert, dass er nicht freut sich auf die Kurse, auf die Begeg- bewegt, während Christl tatsäch- Sie hat Angst, storben ist. mehr leiden muss. nungen mit den anderen Frauen, auf lich Tennis gespielt hat, Turniere, das Lernen und das neue Wissen, die sich ganz auf den Mannschaften. Die beiden waren Plötzlich G In der ersten Zeit fühlt sie sich Erweiterung ihres Horizonts. Lernen ein unterhaltsames Paar. Voller Le- Schmerz einzulassen. ünther, der Ehemann orientierungslos. Leer. Nach sechs wird ein neuer Ankerpunkt in ihrem benslust, Freude an anderen Men- von Margrit Manz, Monaten kommt sie plötzlich auf kommt sie auf die Leben. schen und mit viel Humor. starb ebenfalls im Ja- die Idee zu malen. Sie fährt mit Idee zu malen. nuar 2015. Er war im dem Taxi ins Fachgeschäft nach Sie malt und malt Auch Familie ist wichtig. Die Tochter Christl Schaal ist heute 72 Jahre alt. Schmerz einzulassen. Gleichzeitig September 2012 gestürzt, musste Leinfelden-Echterdingen und kauft ihres Mannes kümmert sich rührend. Ihr Mann Schorle starb im Januar fühlt sie sich auch ein wenig schul- operiert werden, darauf folgte eine ein: Leinwand, Pinsel, Farben. und malt. Ruft an und kommt alle zwei Wochen 2015. Vor Schorles Tod hat Christl dig, weil sie gar nicht so „richtig kurze Zeit der Demenz. Auch sie Und dann fängt sie an zu malen. vorbei. Die beiden gehen gemeinsam ihn zuhause gepflegt. Wenige Mo- trauert“. Sie erwartet von sich, dass pflegte ihn zuhause. Margrit Manz Sie malt und malt. Sie malt mit ans Grab. Auch die Enkel und Uren- nate, aber es war eine extrem an- sie trauert wie alle anderen. Aber ir- lernte ihren Mann 1961 kennen, da starken Farben. Lila. Rot. Blau. kel halten den Kontakt. spruchsvolle Aufgabe. Seelisch und gendwie ist bei ihr alles anders. war sie 21 Jahre alt. Die beiden wa- Fast alle Bilder sind quadratisch. körperlich. ren 25 Jahre miteinander liiert, be- mentiert mit verschiedenen Mate- Zusätzlich gibt es einen kleinen Kreis Sie glaubt, es habe ihr geholfen, vor sie zusammenzogen und in Las Sie mag Quadrate: Fast ihr ganzer rialien, mit Steinen, mit Strass. Es an Witwen, mit denen sie sich trifft. 12 Tage nach Schorles Trauerfeier dass Schorle nicht plötzlich gestor- Vegas heirateten. Er im weißen Lei- Schmuck ist quadratisch. Ihr Mann ist der kreative Prozess an sich, der Sie sprechen über ihre Männer. Sie hat Christl plötzlich einen epilep- ben ist. Dass sie etwas Zeit hatte, nenanzug, sie im lila Kleid. Heute und sie hatten schon immer ein Fai- ihr Kraft gibt. Hinterher ist sie auch gehen gemeinsam gut essen, nähren tischen Anfall. So etwas hatte sie sich zu verabschieden. Einige Jahre ist Margrit Manz 79. ble für Quadrate. Nach einer Weile meistens ein bisschen stolz. ihre Körper und reden viel über die 6 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 7
Lebenswege Vergangenheit. Oft nur das Gute. Beides auf einmal zu verlieren, war zess, wie aus einem Wunsch ein Kleid Wichtig ist ihr außerdem, regelmä- hart. Die Freundschaften und Ver- entsteht, sie mochte die Begegnungen ßig Skat zu spielen. Sie geht gerne bindungen im Club sind ihr immer mit ihren Kundinnen. Sie liebte die mit Freundinnen ins Museum, ins noch wichtig. Es ist aber nicht mehr schönen, hochwertigen Stoffe. Freun- Literaturhaus oder in Konzerte. Die ganz so einfach, sie aufrechtzuerhal- de hatte sie kaum, aber viel Freude an Regelmäßigkeit der Verabredungen ten. ihrer Arbeit. Dennoch entschied sie hilft. Dann hat sie immer etwas, wo- sich, mit dieser Arbeit früher aufzu- rauf sie sich freuen kann. I hören. Danach sind die beiden viel n Margrit Manz‘ Wohnung verreist. Über diese Entscheidung ist Überdies führt Christl Schaals bes- stehen an strategischen Plätzen sie heute so froh. te Freundin ein strenges Regiment. Bilder ihres Mannes. Es ist oft Fährt mit ihr in den Urlaub. Bringt dasselbe Motiv. Er lächelt gut- Manchmal, wenn der Schmerz hoch- sie dazu, jeden Tag ins Fitness- mütig und freundlich. Gelegentlich kommen will, fängt sie an zu malen. Studio zu gehen. Christl fühlt sich spricht sie mit einem der Bilder, Sie malt und malt und verliert sich in umsorgt und ist dankbar, auch wenn wenn sie etwas gemalt hat „Gell, der Kraft der Farben. sie gelegentlich in sich einen Wi- da gucksch“, sagt sie. Oder „gut‘s derstand spürt. Die Dynamik der Nächtle“. Oder sie stößt mit ihm an. Für Margrit Manz ist Günther Freundschaft verändert sich. Ihre Sie erinnert sich gerne an die Rei- immer noch da. Überall. Auch Freundin ist der Kümmerer, Christl sen, vor allem an die nach Amerika, wenn sie nicht glaubt, dass es nach ist eher die Empfängerin. Aber es ist als sie auf dem Highway One unter- dem Tod weitergeht. Wenn sie ihn in Ordnung so, beide schätzen und wegs waren. Ihre Augen strahlen, sonntags auf dem Friedhof besucht, respektieren einander. Christl geht wenn sie davon erzählt. Sie haben schaut sie nach dem Grab. Mit ihm tatsächlich mehrmals wöchentlich alles zusammen gelebt. sprechen, das macht sie eher selten. ins Fitness-Studio. Diese Struktur Und dennoch, sagt sie, ist er überall. ihm, was sie erlebt. Wenn sie mit ihm Wenn sie zu Nachbarn oder zu Computer. Fernsehen gibt es so tut ihr gut. Dort gibt es Menschen, gesprochen hat, fühlt sie sich erleich- Freunden geht, steht auch dort oft gut wie nie – sie hat zu viel zu die sie kennen, mit denen sie in Ver- A tert. Er ist da. Wenn sie mit Schorle ein Bild von Schorle. Das freut sie tun. bindung ist. „Gell, da gucksch“, uch Christl spricht am redet, dann meist Heiteres. In ihrem jedes Mal. Wenn Sportkollegen Grab nicht mit ihrem Kopf hört sie ihn manchmal antwor- reden und „unser Schorle“ sagen, Ihre Hoffnung für die Zukunft ist Sport war schon immer wichtig in sagt sie zu dem Bild Schorle. Da kümmert ten. Das bringt sie oft zum Lachen. reagiert ihr ganzer Körper. Dann es, auch weiterhin niemanden zu Christls Schaals Leben. Aber seit sie sich um die Pflege, Im Wohnzimmer ist ein Bild von merkt sie, wie dankbar sie sein kann, brauchen, nicht zur Last zu fal- dem epileptischen Anfall kann sie ihres Mannes. weil es ihre Aufgabe ist. Wenn sie ihm. Natürlich ein heiteres. Christl dass sie einen Mann gehabt hat, den len. Ansonsten darf alles so blei- nicht mehr Tennis spielen, kann ans Grab geht, fühlt sie sich auch glaubt zutiefst, dass sie Schorle alle geliebt haben. ben, wie es ist. nicht mehr so gut laufen, hat Ko- oft irgendwie enttäuscht: Dort ist erneut begegnen wird. „Selbstver- ordinationsschwierigkeiten. Früher Früher war ihre Arbeit für sie das er nicht. Schorle ist für sie zuhau- ständlich seh‘ ich den wieder!“, sagt N war Tennis das Allerwichtigste. Wichtigste. Sie hatte von ihrem Va- se. Sie spürt ihn, wenn sie wieder sie. Schorle war der einzige Mann in ach zwei Jahren findet es Sie will nochmal raus Auch Schorle war immer da, immer ter in den 1960er-Jahren das Mode- nach Hause kommt. Immer wenn sie ihrem Leben. Das soll auch so blei- Margrit Manz eindeutig mit dabei, hat sie unterstützt. Er Atelier am Marktplatz übernommen. heimkommt, begrüßt sie ihn: „Ich ben. Eine neue Beziehung kann sie zu still in der Wohnung. in die Welt. selbst war eine Institution im Club. Jahrelang hat sie dort bis spät in die bin wieder da.“ Wenn sie das Haus sich nicht vorstellen. Und das ist ein Kein Geräusch, wenn Reisen. Das war ihr gemeinsames Leben. Nacht gearbeitet. Sie liebte den Pro- verlässt, sagt sie: „Ade.“ Sie erzählt gutes Gefühl. Es gibt ihr Klarheit. sie heimkommt. Kein Leben im Haus. Sie entscheidet sich für Tiere Christl bedauert nichts im gemeinsa- und kauft zwei Vögel. Sie fühlt sich C men Leben. Sie nährt sich von den wohl in deren Gesellschaft. Liebt es, hristl will noch ein- guten Erinnerungen, ist unglaublich die beiden zu beobachten. Mag den mal raus in die Welt. dankbar für all das Gute. Wenn sie Krach, den sie machen. Reisen, und zwar al- sich an Schorle erinnert, fallen ihr lein. Sich auf dieses immer nur schöne Sachen ein, und Enge Beziehungen sind ihr nicht Abenteuer einlassen. Das ist eine ihre Augen strahlen, wenn sie davon wichtig. Sie ist sich selbst genug. Erfahrung, die sie gerne noch ma- erzählt: die Reisen, die Urlaube. Sie ist immer in Bewegung. Wuselt chen würde. Ganz allein wäre sie Die gemeinsamen Begegnungen mit im Haus herum, räumt etwas um ja auch gar nicht. Schorle ist im- anderen. oder auf. Näht, malt, arbeitet am mer dabei. 8 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 9
Leben vor dem Tod Leben vor dem Tod Frau Müller E Ihre Trauerfeier hat sie längst ge- sich bald in der Begegnungsstätte und s überrascht sie, wie schnell jetzt plant. Sie will eine große Trauer- fand auch Freundinnen im Trauercafé alles geht. Um den Jahreswech- feier. Alle sollen kommen. Danach des Hauses Haller. Freundinnen, mit sel ahnte sie, dass etwas nicht stimmt. gibt’s Maultaschen und später Hefe- denen sie seither verreist ist und viel un- Jetzt weiß sie nicht mal, ob sie es noch zopf und Kaffee. Und ja, sie glaubt, ternommen hat. zum 75. Geburtstag ihrer Schwester spricht dass sie das noch mitbekommt. schaffen wird, Anfang April ist das, Vor einigen Jahren – noch vor ihrer in Leipzig. Gerade wird sie jeden Marianne und ihr Mann waren Be- ersten Krebs-Diagnose – hat sie für Tag ein klein wenig schwächer. Das sengänger. Sie waren beide immer sich selbst eine Bestattungsvorsorge ge- wäre ihr letzter Wunsch: nochmal gerne unter Leuten, lernten gerne macht. Dabei fiel ihr auf, dass sich ihre alle sehen, am Geburtstag. Auf Wie- neue Menschen kennen und kamen Freundeskreise gar nicht untereinander dersehen sagen. leicht mit anderen ins Gespräch. kennen. „Das geht nicht. Dann tref- Eine Fähigkeit, die Marianne fen die sich ja an der Trauerfeier zum Ich verabschiede mich von Frau Mül- Die letzten Tage bewusst gestalten brauchte, nachdem ihr Mann damals gestorben war. ersten Mal. Das ist ja blöd!“ Also lud sie alle zusammen ein, für eine Probe- ler mit einer kleinen Träne in den Augen. Als ich unten vorm Haus Feier. Sie gingen schön gemeinsam es- angekommen bin, ruft Frau Mül- E igentlich wollten sie ja gemein- sen. Sie nannte es von Anfang an ihre ler plötzlich von oben „Huhu“ und V sam in die neue Wohnung in Trauerfeier. Vier Mal haben sie seither winkt aus dem siebten Stock. Mitten or einigen Jahren hat- ihrer engsten Freunde beiseite und Spalten entdecke im Bericht mit den Heumaden ziehen, doch ein paar schon gefeiert. Die nächste Feier wird in den wilden Frühlingsstürmen sehe te Marianne Müller berichtet ihnen, was los ist. Tränen Kontrolluntersuchungen, sage aber Tage vor dem Umzug starb Eugen die letzte sein. ich ihr lachendes Gesicht vor einem Schwierigkeiten mit ih- fließen. Nicht bei ihr, es sind die nichts. Und merke schnell, dass sie plötzlich. Marianne musste sich al- strahlend blauen Himmel. rem Darm. Ein Kran- Tränen der Freunde, „ich musste die es sowieso weiß. „Ist das nicht geni- lein ein neues Umfeld aufbauen. Das Marianne redet über den Tod, als wäre kenhausaufenthalt. Eine Operation. anderen trösten“, sagt sie. Auch dem al?“, fragt sie. „Das wurde einfach war nicht leicht. Aber sie wusste, wie er ein Zug, der sie nun endlich zu ih- Manche Menschen gehen einem un- Eine Diagnose. Chemo. Leiter der Begegnungsstätte wischt vergessen. Zwei Jahre lang. Ich hätte wichtig das für sie ist. Sie engagierte rem Eugen bringt. ter die Haut. sie die Tränen ab. mir solche Sorge gemacht. Stattdes- Die Chemo vertrug sie nicht und sen hatte ich zwei unbekümmerte, sagte, lieber würde sie sterben, als Frau Müllers Ehemann Eugen ist gute Jahre.“ so leben. Sie wurde operiert, kam in vor 12 Jahren gestorben. Seither Reha. In der Reha riet man ihr zu wohnt sie allein in einer Wohnung in reden. Über ihre Krankheit zu spre- Heumaden, im siebten Stock. Mor- chen. Reden hilft. – Das ist jetzt vier gens begrüßt sie die Sonne auf der Frau Müller findet es Jahr her. Vier gute Jahre. einen Seite der Wohnung, abends entspannend, dass man verabschiedet sie die Sonne auf der Bei einer Kontrolluntersuchung anderen Seite der Wohnung. nicht weiß, was nach Ende Februar 2019 wird festge- diesem Leben kommt. stellt, dass ein Tumormarker viel zu Wenn Frau Müller über ihren Eugen hoch ist. Eine weitere Untersuchung redet, dann strahlt sie. „Ich bin so bestätigt es dann: Der Krebs ist zu- froh, dass es so gut war mit uns. Wir rück. Der Arzt bittet sie um ein Ge- haben nichts zu bedauern. Jetzt hat Ihre Haltung: „Ich habe ein tolles spräch und rät ihr, sich im Hospiz er einen Platz für mich vorbereitet Leben gehabt, und das Ende wird anzumelden. und holt mich bald. Und alle wer- jetzt auch noch gut. Ich freu mich den Spalier stehen, wenn ich kom- aufs Hospiz und bin gespannt, wie Eigentlich sollte sie ja ein paar Tage me. Ja!“, sagt sie. Und lacht. es da ist.“ Sie ist ein bisschen aufge- im Krankenhaus bleiben, für die regt bei der Überlegung, wie wohl geplanten Untersuchungen, aber Das Schlimmste war, es ihren ihr letztes Zimmer aussehen wird. die haben sich jetzt erübrigt. Frau Schwestern zu sagen. Sie bekam am Müller isst in der Klinik noch et- Telefon kein Wort raus, eine Freun- Frau Müller findet es entspannend, was zu Mittag und geht dann, wie din musste es für sie übernehmen. dass man nicht weiß, was nach die- so oft, zu einem Vortrag in der Be- Das geht schon wirklich nah. Frau sem Leben kommt. Also braucht gegnungsstätte in Heumaden. Nach Müller zeigt mir ihren Arztbericht. man sich deswegen keine Sorgen ma- dem Vortrag nimmt sie dort ein paar Ich erschrecke, als ich ein paar leere chen und auch keine Angst haben. 10 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 11
Leben vor dem Tod Ein letztes Bild Kunsttherapie im Hospiz V era von Harrach ist zum Ausdruck kommt, nämlich der nicht mehr gemalt und sind dement- eine feinfühlige Frau. bevorstehende Abschied, zeigt sich sprechend erst einmal vorsichtig. Eine Frau der leisen auch in den gemalten Bildern.“ Deswegen gibt es in ihrem Wagen Töne, aber mit einer auch kleine Papierformate, zum Ex- klaren Ausstrahlung. Sie arbeitet als Wenn sie im Hospiz ist, hat sie einen perimentieren und Mutmachen. Kunsttherapeutin in verschiedenen kleinen Wagen dabei. Er ist ange- Hospizen und begleitet Menschen dabei, in der Zeit des Übergangs einen bildnerischen Ausdruck zu füllt mit verschiedenen Materialien wie Pastell- und Ölkreiden, Aqua- rell- und Gouachefarben, Farbstiften F ür Vera von Harrach ist diese Form der künstlerischen Be- gleitung ein Weg, den Malenden finden. Das folgende Zitat drückt wahrzunehmen mit seinen Gefüh- aus, was ihr daran wichtig ist: „Wir len, manchmal mit seiner Wut, sei- Ein wirklich letztes Bild, mit letzter Kraft gemalt und doch so voller Lebendigkeit. armen Menschen müssen nun ein- nem Schmerz, seinen Hoffnungen. mal in den fünf Sinnen leben und Die Bilder haben oft Ohne dabei Worte zu gebrauchen, alles neben den Worten in Zeichen etwas zutiefst ohne Diskussionen, ob etwas viel- fassen, weil wir nichts ohne Bild ver- stehen noch denken können.“ Lebensbejahendes und Stimmiges. leicht anders dargestellt werden müsste, ohne Widerspruch. Alles darf genau so sein, darf so ausge- In vielen Bildern tauchen ähnliche Symbole auf. Das Licht für die Hoff- nung auf ein Danach. Auch Boote, von schweren Gedanken. Es kann ein Auslöser sein für tiefgehende Ge- spräche, für Fragen und gegen die M anchmal gibt es auch lebens- werte Überraschungen,sowie damals, als ein Mann sein erstes Bild Sie erlebt es so: „Die Sprache ver- drückt werden. Darf Raum haben. Brücken, Wege, Engel als Begleiter, Unruhe. Für die Angehörigen kann malte, es verkaufte und von dem Ho- ändert sich in dieser letzten Zeit der Häuser im Sinne von Behausung, es eine besondere Erinnerung werden norar einen ganzen Kasten Bier er- Menschen – hin zu symbolischen und Papieren unterschiedlicher Grö- Es geht ihr an diesem Ort nicht um Schalen, in denen etwas gehalten – vielleicht bekommen sie das letzte stehen konnte. Ein anderer malte wie Sprachbildern oder Wortbildern oder ßen. So besucht sie die Zimmer der den rein äußerlichen künstlerischen wird, Kugeln, Bögen, die Wertvolles Bild geschenkt. besessen. Am Schluss sagte er, dass Bilderworten. Sie tauchen auf an Gäste und findet heraus, ob und wo- Ausdruck – sondern es geht ihr da- schützen. er damit seine Angst vor dem der Grenze, vor dem bevorstehenden mit sich jemand beschäftigen möch- rum, dass der Malende im Dialog Sterben bearbeiten konnte. Sein Übergang. Und was in der Sprache te. Manche haben seit ihrer Kindheit mit seinem Bild etwas ganz Eige- nes schafft. Dass das Bild einen stimmigen Ausdruck des Gefühls M eistens geben die Malenden ihren Bildern auch Namen. So kommt es zu Titeln wie „En- letzter großer Wunsch war eine Ausstellung seiner Bilder – das wurde ihm ermöglicht. wiedergibt. Hinzu kommen das be- gel der Freude“, „Leerer Strand“, stätigende Lächeln, wenn das Bild „meine Arche“. Einmal nannte fertig ist, die Freude über ein Gelin- jemand sein Bild „Ente im Nest“, gen, Zufriedenheit, manchmal auch oder meinte er vielleicht „Ende im Stolz. Auch Menschen, die nicht Nest“? Manches lässt die Kunst- mehr sprechen können, finden mit therapeutin stehen, ohne nachzu- dem Malen noch einen Ausdruck, fragen. Es reicht, wenn der Ma- Vera von Harrach selbst begann der mehr sagen kann, als Worte es lende selbst seine Erklärung hat. erst mit 50 Jahren zu malen, mach- können. te eine Ausbildung zur ambulanten Die Bilder lässt die Kunstthe- hospizlichen Begleiterin und kurz Überraschenderweise gibt es wenig rapeutin immer im Zimmer, danach ein Studium der Kunst- Schwarz in Bildern aus dem Hospiz, rahmt sie häufig noch mit einem therapie. Seit 2001 arbeitet sie als eher haben sie etwas zutiefst Lebens- Passepartout ein und stellt sie Kunsttherapeutin, seit 2012 auch bejahendes, auch etwas Fließendes, gut sichtbar auf. Das Malen ist im Hospiz in der Region Stuttgart Helles, oft eine tiefe Stimmigkeit. für viele auch eine Ablenkung Glücklicher Schutzengel und Reutlingen. Arche mit allem, was im Leben wichtig ist. 12 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 13
Lebensgeschichten · Stuttgart-Bad Cannstatt Lebensgeschichten · Stuttgart-Bad Cannstatt Funker, Bastler, Schalk Achim Herzig S eine Frau Brigit lern- pfeifen aus Dubai und und mal Er war gutmütig, großzügig, und er te Achim kennen, als er Riesen-Funkgeräte von der interna- konnte zuhören. (Das hatte er von 16 Jahre alt war. Bei der tionalen Amateurfunk-Ausstellung seinem Vater.) Schülerzeitung. Birgit war „HAM RADIO“. Er konnte sich 15, und Achim war schon nach vier stundenlang in Elektroläden verlieren Er war ein Papa mit Leib und Seele Wochen klar, dass es ernst war. Dich und ebenso endlose Tage damit ver- und vielen kreativen Ideen. So fand heirate ich, hat er gesagt. Acht Jahre bringen, einen Käfer oder ein Motor- er Handys für seine beiden Töchter später, nach dem Studienabschluss, rad auseinanderzunehmen und wieder schon in den 1990er-Jahren nütz- Achim ist immer gern gereist, beruflich und privat. heirateten die beiden tatsächlich. Sie zusammenzubauen. lich. Da waren die Mädchen noch zogen miteinander zwei Mädchen klein und die Handys riesengroß. groß, Jaqueline und Marie. Seine Flohmärkte hatten es ihm angetan, Er hatte Freude an seiner Arbeit gutes Hotel. Jedes Jahr im Juni und Currywurst. Salat bitte ohne Gur- Familie war Achims Ein und Alles. Danach kam das Funken. Achim Märkte in aller Welt eigentlich. Er lieb- te es, zu verhandeln und zu schachern. (Das hatte er von seiner Mutter.) D er Schalk saß ihm im Nacken, er hatte seinen ganz eigenen Sinn für Humor. Unvergesslich und den vielen Reisen. Achim ver- kaufte Großmaschinen für die Tex- til-Industrie. In vielen Jahren reiste immer nach Weihnachten war er mit Birgit dort. ken. Bier mit Eiswürfeln. Achim war ein liebevoller Chaot, der schon mal mit dem falschen Koffer nach war leidenschaftlicher Funker. Er ver- brachte Stunden damit, Worte wie „Roger“ und „over and out“ in ein Er war fasziniert vom Weltall, der Mondlandung und außerirdischem wird bleiben, wie er bei einer Flug- linie seinen 25. Hochzeitstag insze- nierte. Es gab eine Ansage und Sekt er drei Mal um die Welt. Der Flug- hafen in Dubai war wie sein zweites Zuhause. Er war gern dort, liebte S ein Zuhause war ihm ein wich- tiger Ort. Er musste sich wohl fühlen. Das Haus war voller Tep- Hause kommen konnte. An seiner Trauerfeier auf dem Gerät im obersten Stock des Hau- Leben. Er hatte Freude an Modell- zu Ehren des Paares. Das Ganze das Gewusel, den Markt und die piche, guter Möbel und angesam- Hauptfriedhof in Bad Cannstatt lie- ses zu rufen. Das Leben mit Achim flugzeugen, Flugplätzen und Zeppe- kam zwar zwei Jahre zu früh, aber Wüste. Er war auch gerne in China meltem Nippes. Auch Essen spielte ßen Freunde und Familie Zeppeline war immer irgendwie interessant. Mal linen. Luftfahrt faszinierte ihn. Als er genoss es mit einem schelmischen und Vietnam unterwegs. Indien for- eine wichtige Rolle in seinem Leben. und Herzen in die Luft steigen. Es verkabelte er das ganze Haus und er zu seinem 50. Geburtstag einen Glimmen in den Augen. Unver- derte und faszinierte ihn. Achim aß alles. Aber wenn er zu- war sehr bewegend. Als die wilden den Garten. Mal kam er aus Asien Zeppelinflug über den Bodensee ge- gesslich auch, wie er seinem Vater hause war, hatte er es am liebsten Winde einen Hundebeutel auf sei- zurück mit einem 40 Kilo schweren schenkt bekam, hat er sich gefreut wie einen Knallforsch in die Zigarette In Deutschland liebte er den Boden- bodenständig: Haribo und Milch- nen Baum wehten, sorgte das für viel Holzhund. Mal brachte er Wasser- in Kind. bastelte. see. Die Messe, das Wasser und ein schokolade, Vanillepudding und Erheiterung. Achim hätte gelacht. Achim Herzig bei der Arbeit und mit seinen Töchtern. Achim mit Ehefrau Birgit, Kindern und Hund. 14 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 15
Lebensgeschichten · Leonberg Lebensgeschichten · Leonberg Voller Einsatz fürs Leben ins Musical oder in die Wilhelma Aber anders als beim Fußball spielte Seine Krankheit hat er nie gezeigt. gehen, mit Gabriel stundenlang die er da auch selbst mit. Er war aktives Viele Kollegen und Freunde wuss- 3-D-Brille ausprobieren, die Ge- Mitglied bei den Freien Wählern ten gar nicht davon. Er hatte das burtstags-Geschenke wochenlang im und engagierte sich für Themen, die Marfan-Syndrom: eine Krankheit, Voraus planen, das war ihm wichtig. ihm wichtig waren. die für die Blindheit seines Auges und für seine Größe verantwortlich André Wurtz André liebte Sauerbraten und Knö- del. Auch „baked beans“, aber nur die von Heinz. Den McRösti von Ein besonderes Talent bewies er da- rin, Dialekte und Personen zu imi- tieren. So mancher Politiker bekam war und die auch Operationen not- wendig machte. McDonalds fand er ganz toll. Und was ab. Auch am allzu Schwäbi- Dem Tod war er schon einmal von A beim Inder das Mango-Lassi. Auch schen konnte er die humorvolle Seite der Schippe gesprungen, als er 32 ndré Wurtz war Archi- Die schönste Phase der Arbeit war nen, wenn die Formen der Land- an einem anständigen Käsefondue sehen. war. Die 18 Jahre seither waren tekt mit Leib und See- für André immer die Zeit des Ent- schaft auch seinen architektonischen oder Raclette konn- ein Geschenk, dessen le. Er konnte außerdem werfens. Er war glücklich, wenn es Ansprüchen genügten. Plattes Land te er sich erfreuen – war er sich bewusst. Akzente und Personen darum ging, Ideen zu generieren und entsprach generell nicht seinen Vor- aber der Käse muss- Vor seiner Operati- perfekt nachahmen, kuriose Spitz- auf Papier zu bringen. Er liebte die stellungen von Ästhetik. Am liebsten te gut sein. Kochen on machte er vieles namen für Menschen in seiner Um- Magie der ersten Striche. Am bes- hätte er in Österreich gewohnt, in der konnte er nicht, essen fertig – als hätte er gebung finden, sich enorm aufregen, ten entwarf es sich mit der Musik Nähe der Karawanken, im Grenzge- war ihm immer viel geahnt, dass er da- wenn der VfB nicht so spielte, wie des Radiosenders „Sunshine Live“ biet zu Slowenien. lieber. Er konnte die nach nicht mehr da er sollte. Er konnte sich bei Filmen im Hintergrund. Dann konnte alles Kochkunst der ande- sein würde. Trotz- kaputtlachen, Erbsen genießen und fließen. Er mochte es offen und frei, Seine Lebensgefährtin Gabriele hat ren bewundern und dem stand Sterben sich an Lateinvokabeln und Gram- mit klaren Linien und viel Licht. er auf einer Feier kennengelernt, auf das Ergebnis wert- eigentlich noch nicht matik aus der Schulzeit erinnern. der sie beide eigentlich gar nicht sein schätzen. auf seinem Plan. Als Und er konnte Häuser bauen. wollten. Stundenlang haben sie sich er sich verabschiede- Dass André einmal Architekt wer- Wenn der VfB damals unterhalten und bald mehr Zeit füreinander gefunden. Ihr erstes A ndré konnte andere unter- te, war das mit einer klaren Hoffnung auf den würde, war ihm selbst schon von verlor, war alles Treffen war in Stuttgart am Schloss- halten. Allein schon ein Wiedersehen. Kindesbeinen an klar. Stundenlang platz, bei der Siegessäule. Dummer- wenn er einen Film verloren. hat er ganz Städte aus Bauklötzen gebaut und war fasziniert von Bau- stellen. Mit zwölf Jahren zeichnete weise war an diesem Tag auch eine Großveranstaltung, und es war am Ende seine Körpergröße, die Gab- ansah, hatte man Freude daran, ihm zuzuschauen. Er kon- A ndré Wurtz ist 50 Jahre alt geworden. Er starb er endlose Pläne von Hochhäusern. Das Bauen lag ihm im Blut. Aber dass er dann wirklich Architekt wur- E r hatte ein unglaubliches Wissen um Geografie und Geschichte angesammelt. Las viel und gerne. riele half, ihn zu finden. Dass er ihr die Erdbeeren von seinem Kuchen anbot, war dann wohl der erste Lie- nte sich wegwerfen vor Lachen. an den Folgen einer extrem komplexen, aber lebensnotwendi- de, war keine Selbstverständlichkeit. Ging oft in Museen und Galerien. besbeweis. 14 Jahre ist das her. Richtig hitzig konn- gen Operation. 250 Seine Augen machten ihm zu schaf- Hatte Freude an Kunst. Städte fand te es werden, wenn Freunde, Bekannte fen, vor allem das eine, auf dem er er spannend. Natur konnte seine André war ein fantastischer, ext- der VfB nicht die und Verwandte sind fast blind war. Aufmerksamkeit nur dann gewin- rem geduldiger Onkel. Mit Klara Leistung brachte, die zu Andrés Abschied André sich so vor- auf dem Waldfriedhof stellte. Dann rief er in Leonberg gekom- seine taktischen An- André Wurtz mit seiner Nichte Klara. men. Als seine zwölf weisungen lauthals Jahre alte Nichte Kla- gen Fernseher oder ra an der Trauerfeier schlug mit der Faust auf den Boden. André war voller Leben, Humor, darüber sprach, wie sie beim Essen Wenn der VfB verlor, war alles ver- Kraft und Entschiedenheit. Er war André heimlich den Rosenkohl zu- loren. Ähnlich engagiert war André, klar in dem, was ihm wichtig war. geschoben hatte und er ihn aß, ob- wenn es um Politik und gesellschaft- André hat vieles mit sich selbst aus- wohl er ihn gar nicht mochte, gab liche Themen ging. Manches konnte gemacht. Wenn es ihm nicht gut es kein trockenes Auge mehr in der die ganze Klaviatur seines emotiona- ging, hat er nie darüber gesprochen. Feierhalle. len Spektrums zum Klingen bringen. Er war nicht wehleidig. André Wurtz im Lauf der Jahre. 16 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 17
Recht Kultur und Historisches In guter Gesellschaft · Fangelsbachfriedhof Stuttgart Eduard von Paulus (der Jüngere) Ein schwäbischer „Allrounder“: Architekt, Archäologe, Kunsthistoriker, Schriftsteller und Dichter geboren 1837 in Stuttgart, gestorben 1907 in Stuttgart Der vererbbare Urlaub E duard Paulus war der Sohn des württembergi- schen Altertumsforschers Eduard Paulus (der Wenn jemand stirbt, was passiert eigentlich mit Urlaubsansprüchen aus seiner Arbeit, Ältere). Er studierte zunächst Architektur an die nicht verbraucht wurden? Dieser Urlaub wird tatsächlich vererbt. der Polytechnischen Hochschule in Stuttgart und anschließend Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität in München. Danach arbeitete er als Ar- W chitekt. ie funktioniert das, Urlaub zu vererben? Der verbliebene An- stelle dies einen Vermögenswert dar, welcher nach den allgemeinen Vorschriften vererbbar sei. Dies B islang war die Rechtslage noch etwas anders: Mit einem Urteil vom 12. März 2013 (AZ 9 AZTR Wenige Jahre später wurde er ein Mitarbeiter seines Va- ters im „Statistisch-Topographischen Bureau des König- spruch auf Urlaub gelte auch dann, wenn das Arbeits- 532/11) hatte das Bundesarbeitsge- reichs Württemberg“. Gemeinsam arbeiteten sie an der wandelt sich in einen Anspruch auf verhältnis des Erblassers erst mit richt entschieden, ein Urlaubsan- allgemeinen Landesbeschreibung für Württemberg, den so Urlaubsabgeltung. Sprich: Die Er- dessen Tod beendet worden ist, ein spruch sei nur dann vererbbar, wenn genannten Oberamtsbeschreibungen. Nach und nach stieg ben können vom Arbeitgeber des Urlaubsabgeltungsanspruch also das Arbeitsverhältnis des Erblassers er innerhalb des Bureaus auf. 1873 wurde er nebenamt- Verstorbenen verlangen, dass man nicht schon zu Lebzeiten entstan- bereits vor dessen Tod beendet wor- lich Landeskonservator und bekam in dieser Rolle auch ihnen den nicht genommenen Ur- den ist. den ist. Voraussetzung für ein Ver- den Titel eines Professors verliehen. Ab 1893 stand er der laub auszahlt. Dies hat das Bundes- erben von Ansprüchen war seither, Staatssammlung der vaterländischen Kunst- und Alter- arbeitsgericht vor wenigen Wochen dass der Urlaubsabgeltungsanspruch tumsdenkmale in Stuttgart vor, aus der das Landesmuseum entschieden (Urteil vom 22. Januar Resturlaub bereits zu Lebzeiten des Erblassers Württemberg hervorging. 2019, AZ 9 AZR 45/19). Mit sei- entstanden war. Der Europäische stellt einen nem Urteil schloss sich das Bundes- arbeitsgericht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an. Vermögenswert Gerichtshof sah das anders: Jene bisherige Rechtsprechung des Bun- desarbeitsgerichts sei unionswidrig, P aulus der Jüngere kümmerte sich intensiv um Kir- chenrestaurierungen. Die Erforschung des Limes war ihm eine Herzensangelegenheit, auch bei der Aus- dar. hatte der Europäische Gerichtshof grabung der keltischen Heuneburg in Oberschwaben hat Diese Entscheidung gilt nicht nur im November 2018 erklärt. Nun gibt er viel erreicht. Insgesamt hat er sich in der Landesfor- für „normalen“ Erholungsurlaub, der es auch für Deutschland eine neue schung und Landesbeschreibung einen großen Namen noch nicht genommen wurde. Sie gilt Das Gericht hat mit seiner Ent- Rechtslage. gemacht. auch für Sonderurlaub, wie er Men- scheidung einer Witwe Recht ge- schen mit einer Schwerbehinderung geben. Sie hatte den Arbeitgeber Von Paulus stammt der viel zitierte Reim: zusteht. Ebenso auch für Urlaub ihres verstorbenen Ehemannes ver- nach Tarifvertrag, der den Mindest- klagt: Der Resturlaub ihres Man- Wir sind das Volk der Dichter, Das Grab von Eduard von Paulus auf dem ein jeder dichten kann. Fangelsbachfriedhof in Abteilung 11. urlaub übersteigt. nes solle ausgezahlt werden. Ihrem Man seh' nur die Gesichter Mann wären zum Zeitpunkt seines von unser einem an. Das Bundesarbeitsgericht hat das Todes noch 25 Urlaubstage zuge- so begründet: Jeder Arbeitnehmer standen, ebenso Sonderurlaub auf- Der Schelling und der Hegel, hat gegenüber seinem Arbeitge- grund seiner Schwerbehinderung. Kerstin Herr der Schiller und der Hauff, ber einen Anspruch auf bezahlten Das Gericht entschied im Sinne der Rechtsanwältin das ist bei uns die Regel, Nach ihm wurden in Stuttgart-West die „Obere das fällt uns gar nicht auf. Paulusstraße“ und auch die „Paulusstraße“ benannt. Urlaub. Wenn zum Zeitpunkt des Witwe und sprach ihr den Abgel- Kanzlei Königstraße, Todes noch Resturlaub übrig ist, tungsanspruch zu. Stuttgart In dieser Serie schreibt Werner Koch, der ehemalige Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes der Stadt Stuttgart. Er ist zusammen mit seinem Sohn, dem Fotografen Christopher Koch, Autor des Stuttgarter Friedhofsführers. 18 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 19
Buchbesprechung Buchbesprechung Eine Geschichte wie eine warme Decke Eine Buchbesprechung: „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky W E enn das, was man lange angeschaut hat, fen Tatsachen. War Selma im Traum ein Okapi erschie- in besonderer Leuchtturm in der Geschichte ist Geschichte legt sich wie eine warme Decke um einen, etwas Bedeutsames war, etwas, das das nen, erschien im Leben der Tod; und alle taten, als würde Selma, deren Ähnlichkeit mit Rudi Carrell erstaun- berührt und begeistert von der ersten bis zur letzten Seite ganze großfläche Leben in einer einzigen er wirklich erst jetzt erscheinen. Als sei er nicht schon von licherweise erst Jahre später jemandem „von außen“ und nimmt ein gutes, offenes Ende. Wie im Märchen. Bewegung umdreht, dann taucht dieses Anfang an mit von der Partie, immer in der erweiterten auffällt. In ihrer schiefen Küche laufen die Fäden zu- Nachbild immer wieder auf. Auch Jahrzehnte später ist es Nähe, wie ein Tauftante, die das Leben lang kleine und sammen, sie ist da, ein klarer, gerader Mensch mit ei- plötzlich wieder da, ganz egal, was man eigentlich gerade große Aufmerksamkeiten vorbeischickt. nem sehr eigenen Willen, der sich kümmert. Um die angesehen hat, bevor man die Augen schloss. Es taucht Enkelin, deren Eltern zu sehr beschäftigt sind mit den auf, wenn man die Augen kurz ausruhen will. Wenn man auf dem Waldboden liegt, auf einer Untersuchungsliege, in einem fremden Bett, im eigenen. Wenn man die Au- J ede und jeder im Dorf versucht auf eigene Weise, einen Umgang mit dem Unvermeidlichen zu fin- den: Manche wollen sich so wenig wie möglich bewe- eigenen Leben. Um Elsbeth, die für oder auch gegen alles ein magisches Mittelchen zu haben scheint (außer gegen das Sterben!). Um die traurige Marlies und den gen schließt, weil jemand vor der Tür steht, den man kei- gen, sich vor allem hüten. Einige fanden, dass es jetzt im Schmerz verwilderten Nachbarn. Um den Optiker nesfalls hereinlassen will. Wenn man die Augen schließt, unbedingt Zeit sei, mit einer verschwiegenen Wahrheit mit seinen Stimmen im Kopf. Und später auch um die weil gerade eine große Sorge von einem abgefallen ist, herauszurücken. Bevor man stirbt, fanden sie, sollte man Liebesnöte der Ich-Erzählerin mit einem Buddhisten im man jemanden oder etwas wiederge- wenigstens auf den letzten Drücker fernen Japan. funden hat, einen Brief, eine Zuver- Wahrhaftigkeit ins Leben bringen. sicht, einen Ohrring, einen entlaufenen Nur der alte Bauer Häubel, der so In all diesen menschlichen Landschaften des Ver- Hund, die Sprache. Immer wieder Nur der alte Bauer Häubel lange gelebt hatte, dass er beinahe geblichen, der Versuche und der verpassten Chancen taucht plötzlich dieses Nachbild auf, es öffnet freudig die Dachluke durchsichtig war, öffnet freudig macht Selma einfach weiter, brät nachts Bratkartoffeln taucht auf wie ein Bildschirmschoner die Dachluke in seinem Zimmer, und sitzt an Bettkanten, isst Mon Chéri, schont weder des Lebens, und oft dann, wenn man in seinem Zimmer, auf dass auf dass nachher seine Seele um- sich noch die anderen. Und lässt ihre Artgenossen vor überhaupt nicht damit rechnet. seine Seele umstandslos standslos hinausfliegen könne. allem in Ruhe. Man kommt ihr nur langsam auf die Schliche, ahnt erst allmählich ihre Biografie, die sie zu Mit diesen Bildern als Prolog fängt hinausfliegen könne. Aber es kommt anders, als man einer Expertin des Verlierens und Nichtaufgebens ge- eine Geschichte an, die einen wirklich denkt. Auch wenn ein angekün- macht hat. Und man ist bis zum Ende dabei, als Selma überraschen kann. Es ist ein wunder- digter Tod wie ein Paukenschlag stirbt und hinübergeht in die andere Wirklichkeit, von sames Porträt eines Dorfs im Wester- in das Leben der Dorfbewohner der das Okapi bereits herübergegrüßt hatte. wald. Im Mittelpunkt stehen Luise, die am Anfang erst und vor allem der Ich-Erzählerin fährt und alles verän- Mariana Leky: zehn Jahre alt ist, und ihre Oma Selma, die über die ungewöhnliche Gabe verfügt, manchmal von einem selt- samen Tier zu träumen. Wann immer Selma von einem dert. Und gleichzeitig das Leben der anderen scheinbar wie gewohnt weitergeht, mit seinen aus Briefkasten wie- der herausgeholten Wahrheiten, der Erleichterung dar- D er Roman ist eine skurrile und poetische Geschich- te von der Liebe zum Leben und zum Tod. Dem Tod, jener Tauftante, die das Leben lang kleine und große Was man von hier aus sehen kann. Dumont. 20 Euro Okapi träumt, wissen alle im Dorf, dass jemand von ih- über, davongekommen zu sein und weiterzumachen bis Aufmerksamkeiten vorbeischickt. Die Geschichte han- nen in den nächsten 24 Stunden sterben muss. zum nächsten Traum. delt außerdem von all den menschlichen Versuchen, sich mit dieser Präsenz zu arrangieren: Ob in Wut, Flucht Das Okapi ist ein abwegiges Tier, viel abwegiger als der Mariana Lekys Roman ist eine Überraschung mit mär- oder versteinertem Schmerz, ob mit Wehmut, Apfelkorn Tod. Und tatsächlich sind es vor allem die Auswirkun- chenhaftem, leicht übersinnlichem Einschlag. Schon oder Ironie, jeder sucht seinen eigenen Weg. Voll kleiner gen dieser Träume auf die Lebenden, von denen dieser nach wenigen Seiten steckt man ganz drinnen in der und großer Weisheiten steckt diese ganz besondere Ge- Ulrika Bohnet hat Ethno- Roman behutsam erzählt – liebevoll, dem Menschlichen kleinen Dorfgemeinschaft mit all ihren schrulligen Prot- schichte über Verlust und Ankommen. Mariana Leky logie studiert und betreut mit all seinen Bruchstellen zugewandt, in unerwarteten agonisten, die so liebevoll geschildert werden, dass man webt sie mit einer außergewöhnlichen Sprachkunst. Das die Haller-Filiale im Wendungen und leisem Humor. Selmas Träume schaf- sie sofort ins Herz schließt. zu lesen macht zugleich sehr glücklich und traurig. Die Stuttgarter Süden. 20 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 21
Leben vor dem Tod Leben vor dem Tod wenn sie gerade trauern. Am ehesten gelingt es vielen, wenn sie einen Film A ber Vorsicht. Niemand darf je- mand anderem sagen, sie oder Manche Menschen machen sich Sorgen: Was werden die Leute über Vom Heil des Lachens schauen oder ein Buch lesen. Denn er solle halt mal mehr lachen. Trauer mich denken, wenn ich kurz nach zum Lachen braucht es oftmals einen kann man nicht weglachen. Aber man einem persönlichen Verlust schon Anstupser von außen. kann sich selbst bewusst fürs Lachen lache? Dabei haben sie entfernte Verwandte im Sinn, Nachbarn, D ennoch, auch das kann man än- dern: Lachen kann man auch üben! Kein Witz. Lach-Yoga bei- Denn Trauer um Freunde oder Arbeitskollegen. Und ja, es gibt Menschen, die so etwas durchaus kritisch sehen, darin viel- spielsweise kann helfen. So verrückt Geliebtes gehört ebenso leicht die Pietät bedroht sehen. es sich anhören mag – dabei tut man zum Menschsein wie Dann suchen Sie am besten das Ein paar Gedanken zum Thema Humor einfach so, als würde man lachen, und der Körper kann das nicht unterschei- Lachen über das Weite! Gerade in der Trauer haben Sie das Recht, sich mit Menschen den. Weil der Körper nicht weiß, dass Allzumenschliche. zu umgeben, die Ihnen guttun. man gar nicht wirklich erheitert ist, schüttet er all die wunderbaren Dinge aus, die man so gut brauchen kann. S chon der persische Sufi-Dichter Rumi aus dem 12. Jahrhundert N Body-to-mind heißt dieses wissen- öffnen. Man kann sich stärken, indem ist dem Tod und den existentiel- atürlich wird bei uns te der Rede im Drucker hat liegen schwieriger, wenn man Spannun- schaftlich gut erforschte Phänomen. man lacht und dadurch auch Trauer len Fragen des Lebens immer mit im Bestattungshaus ge- lassen und die Mutter das ungemein gen mit dem Verstorbenen hatte. Das funktioniert auch schon mit einem besser integriert. Und man kann sich einem gewissen Humor begegnet. lacht. Wenn wir einen lustig gefunden hätte. Lächeln. In dem Moment, in dem Sie selbst die Freiheit geben, sich erlau- Auf die Frage, was nach dem Tod verzeihlichen Fehler ma- Lachen schafft Distanz zu dem, wo- die Mundwinkel nach oben ziehen, ben, die ganze Klaviatur der Gefühle geschehe, antwortete er: Wer im- chen, der idealerweise noch nicht bis Wir lachen auch im Trauer-Café, rüber gelacht wird, und es verbindet entspannt sich die Gesichtsmuskulatur zu spielen. Denn Trauer um Geliebtes mer mich hierher gebracht hat, wird zur Außenwelt durchgedrungen ist. ziemlich ausgiebig sogar. Oder an die Lachenden miteinander. Es und schickt kleine Entspannungsbot- gehört ebenso zum Menschsein wie mich auch wieder mit nach Hause Einmal wollte ich auf eine Trauer- der jährlichen Weihnachtsfeier für nimmt allem anderen ein klein we- schaften an den Körper. Lachen über das Allzumenschliche. nehmen müssen. karte „Domine, adsum“ schreiben, Angehörige. nig von seiner Macht oder Sogkraft. das ist Latein für „Herr, ich komme“. Geschrieben habe ich aber „Domi- na, adsum“. Einmal druckten wir anstelle von Lapidarium fast das W o Menschen zusammenkom- men, wird gelacht. Oftmals beim Essen nach der Trauerfeier, Lachen ist gesund: Lachen stärkt die körpereigenen Abwehrkräfte, senkt den Blutdruck und reduziert Wort Ladidarium auf unseren Kul- wenn sich die Anspannung ein biss- Stresshormone. Lachen kann auch turkalender. Und in dieser Ausgabe chen löst und man realisiert, dass dabei helfen, schwierige, unwill- von LebensZeiten hatte ich in einem man einen wichtigen Schritt bewäl- kommene Informationen in die See- ersten Entwurf etwas über epilepti- tigt hat. Dieses Lachen ist ein gesun- le zu integrieren. sche Anschläge formuliert anstelle von Anfällen. Nur – wie? Lachen schafft Distanz Wir lachen auch mit Angehörigen. Das gibt es verschiedene Wege: Wenn sie beginnen, Geschichten zu dem, worüber Schöne Erinnerungen sind häufig zu erzählen von den Menschen, die gelacht wird, und ein Quell von Heiterkeit, vor allem, nicht mehr da sind: Das sind nicht wenn man sie teilt und die alten selten heitere, lebensbejahende Ge- verbindet die Lachenden. Geschichten erzählt. Über den Ver- schichten. Über die liebenswerten storbenen zu lachen stärkt auch die Schwächen und Begrenzungen oder Bindung zum Verstorbenen und gibt auch über die Lieblingswitze der des und sehr wichtiges Element, das ihm nochmal einen anderen Platz in Toten. Wir lachen mit ihnen, wenn auch dabei helfen kann, wieder ins unserer Seele. Denken Sie ganz be- Dinge passieren, die perfekt zu dem Leben zu kommen. Nur ganz selten wusst an Heiteres, das Sie miteinan- Verstorbenen passen. Wenn sich bedeutet ein Lachen, dass man ei- der erlebt haben, und vergessen Sie während einer Beisetzung ein Vogel nen Menschen nicht geliebt hat. Es nicht, anderen davon zu erzählen. an den Rand des Grabes setzt oder ist wohl eher das Gegenteil der Fall: Alleine zu lachen fällt den meisten die Rednerin die letzten paar Sei- Ein aufrichtiges, freies Lachen ist Menschen etwas schwer, nicht nur 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 23
Trauergruppen und Begleitung, Quellenangaben Rituale in der Trauer Trauergruppen und Begleitung Trauerrituale sind Rituale des Übergangs. Sie machen das einschneidende Erlebnis begreifbarer und kennzeichnen den Abschluss eines wichtigen Kapitels im eigenen Leben. Sie unterstützen Trauernde darin, mit ihren Gefühlen in Kontakt zu kommen und diese auszuleben. Trauer muss gelebt werden, denn sie ist heilsam. In unserer Serie stellen wir Ihnen nach und nach einige dieser Trauerrituale vor. Hospiz St. Martin · Jahnstraße 44-46 · 70597 Stuttgart Tel.: 0711 · 652 90 70 · www.hospiz-st-martin.de Hospiz Stuttgart · Stafflenbergstraße 22 · 70184 Stuttgart Tel.: 0711 · 237 41 50 · www.hospiz-stuttgart.de Einzelgespräche und -begleitung, Gesprächsgruppen Der Wunschbaum W W unschbäume gibt es in vielen Kulturen. enn all Ihre Wünsche notiert sind, rollen Sie die Zet- Hospizgruppe Leinfelden-Echterdingen Oft sind sie Bestandteile alter Traditionen: tel oder Blätter zu kleinen Röllchen zusammen. An- Barbara Stumpf-Rühle Tel.: 754 17 33 ∙ Gudrun Erchinger Tel.: 756 05 14 ∙ Elfriede Wieland Tel.: 754 13 41 Menschen suchen solche Bäume regelmä- schließend verschließen Sie die einzelnen Röllchen mit einer ßig auf, um dort einen Wunsch rituell auf Schnur. Bitte achten Sie darauf, eine biologisch abbaubare den Weg zu bringen oder um die Erfüllung von bestehenden Schnur zu verwenden, kein Plastikgeschenkband oder ähn- Hospizdienst Leonberg · Seestraße 84 · 71229 Leonberg Wünschen voranzubringen. liches. Schneiden Sie die Enden der Schnur nicht zu kurz Tel.: 07152 · 335 52 04 · www.hospiz-leonberg.de ab: Sie brauchen diese, um die Röllchen später an Ihren Was diese Traditionen gemeinsam haben: einen großen Wunschbaum zu binden. Respekt vor der Magie der Bäume. Bäume werden als Hospizdienst Ostfildern · Café für Trauernde Treffpunkt Ruit · Scharnhauser Straße 14 · 73760 Ostfildern-Ruit Vermittler zwischen Himmel und Erde, zwischen der See- Vielleicht kennen Sie „Ihren“ Baum schon eine Weile. Tel.: 0711 · 341 53 36 oder Tel.: 0711 · 616 099 Gesprächskreis & Gesprächsgruppe für Trauernde le der Menschen und ihrem göttlichen Ursprung gesehen. Vielleicht suchen Sie sich jetzt erst einen aus. Hospiz Esslingen · Keplerstraße 40 · 73730 Esslingen · Tel.: 0711 · 13 63 20 12 · www.hospiz-esslingen.de Das Wünschen wiederum Worauf Sie achten sollten: Einzelbegleitung, Trauergruppen (donnerstags), Trauercafé (einmal im Monat, sonntags) gehört zu unserem Leben, es Geschickt ist es, wenn der ist ein kaum wegzudenkender Baum Äste hat, die Richtung Begleiter. Wir wünschen uns Boden wachsen oder die Sie Verwaiste Eltern · Hubertus Busch · Seelsorger im Olgäle · Tel.: 0711 · 278 73 860 für uns selbst und für andere, zumindest vom Boden aus gut Vermittlung, Trauergruppen für Eltern, die ein Kind verloren haben dass sich Dinge gut entwi- erreichen können. Denn die ckeln, dass wir von Schmerz wenigsten Leute können sich und Leid verschont bleiben auf Trauerrituale gut einlassen, Arbeitskreis Leben · Römerstraße 32 · 70180 Stuttgart Tel.: 0711 · 60 06 20 · www.ak-leben.de und dass Herbeigesehntes während sie sich gerade an ei- Einzel-, Paar- und Familiengespräche für Menschen, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben eintreten möge. nem Stamm festklammern. Wunschbäume lassen sich auch für Rituale des Trauerns Nur wenn Sie entspannt sind, sind Sie ganz bei Ihrem Quellenangaben nutzen. Dann geht es in erster Linie um Wünsche, die in Thema, bei Ihren Wünschen. Trauerweiden an Flüssen irgendeiner Verbindung mit diesem Tod stehen. Vielleicht oder Bachläufen sind gut geeignet. Dann befestigen Sie die wünscht man sich etwas für sich selbst oder für andere Röllchen am Baum: Sie schmücken ihn mit ihren Wün- Menschen, die mit dem Verstorbenen in Verbindung ste- schen für sich und für andere. Die Quellen der Bilder werden seitenweise angegeben, innerhalb der Seite jeweils von links nach rechts und von oben nach unten. hen. Sie können beispielsweise den Trauernden oder sich selbst ein Lächeln wünschen, einen Sonnentag, eine schö- Umschlag: alles Adobe Stock / Fotolia ne Begegnung mit anderen Menschen. Wünsche sind so Seite 3: Lange Photography Seite 16 & 17: alles privat vielfältig! Seite 4 & 5: alles privat Seite 18: Fotolia, privat Seite 7: Adobe Stock Seite 19: Christopher Koch Natürlich dürfen Sie auf diesem Weg auch dem Verstorbe- Seite 8 & 9: Adobe Stock, Adobe Stock Seite 20 & 21: Dumont, Lange Photography nen selbst Wünsche zukommen lassen. Notieren Sie Ihren Patricia Bäuerle hat Seite 11: Adobe Stock Seite 23: Adobe Stock Wunsch oder die Wünsche auf Zetteln. Sie können auch eine Ausbildung als Seite 12 & 13: alles privat Seite 25: Adobe Stock, Lange Photography größere Laubblätter verwenden, die Sie in der Natur ge- Trauerbegleiterin Seite 14 & 15: alles privat Seite 26 & 27: Adobe Stock sammelt haben. Die sollten dann allerdings nicht zu trocken und betreut die Haller- sein, weil sie später noch gerollt werde. Solche Laubblätter Filiale in Stuttgart- lassen sich mit einem wasserfesten Stift gut beschriften. Rot. Inhaltliche Beratung: Heiko Hauger · Texte, falls nicht anders angegeben: Andrea Maria Haller 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 25
Die Kunst des Hoffens Hoffnung jenseits der Grenzen Hoffnung für die Seele Veranstaltungskalender für Trauernde Donnerstag, 11. April 2019, 16 Uhr Donnerstag, 26. September 2019, 17:30 Uhr Stay Stiftung, Stuttgart-West Vortrag im Bestattungshaus Haller, Kosten: Eine Spende wird zwar nicht erwartet, Stuttgart-Degerloch Kosten: 12 Euro ermöglicht aber die Arbeit. Nanni Glück, Coach und Referentin zum Thema Diese Worte von Hilde Domin laden ein zur Hoffnung. Nicht zur Hoff- Benjamin Wolf berichtet über die von ihm gegründete Humor in der Trauer, gibt Einblicke in die moderne Nicht müde werden nung, dass sich eine Vorstellung erfüllt oder dass etwas Vertrautes wieder- kehrt. Sondern dazu, sich mit Hoffnung für Neues und Unerwartbares zu Stay Stiftung. Forschung der Positiven Psychologie und erzählt, Die Stay Stiftung fördert soziale Unternehmer in wie Humor und Lachen auch in der Trauer helfen sondern dem Wunder öffnen. Afrika. Sie schickt keine Entwicklungshelfer oder können. Ärzte in arme Länder, sondern ermöglicht Hilfe leise wie einem Vogel Mit unserem Kulturprogramm für 2019 möchten wir gemeinsam mit Ihnen zur Selbsthilfe. Sie gibt ortsansässigen, motivierten unsere Hände den Wundern hinhalten, die im Verborgenen liegen. Sozialunternehmern all das an die Hand, was diese die Hand hinhalten brauchen, um erfolgreich zu sein. Die Veranstaltungen sind offen für alle, die ein Säckchen Tränen in ihrer Hilde Domin Seele tragen. Hoffnung in der Literatur Mittwoch, 23. Oktober 2019, 15 Uhr Lesung im Bestattungshaus Haller, Hoffnung in der Politik Stuttgart-Degerloch Donnerstag, 9. Mai 2019, 17 Uhr Ein Spaziergang durch eine Vielfalt von Texten, die Landtag, Stuttgart-Mitte helfen können, verborgene Freude zu entdecken. Anmeldung Bitte senden Sie diese Anmeldung an: Landtagsdirektor Berthold Frieß führt uns durch den Mit Ulrika Bohnet, Edith Hämmerlin, Andrea Haller und Dr. Axel Schwaigert. Bestattungshaus Haller Landtag und erzählt, wo er Samen der Hoffnung im Hoffnung jenseits der Grenzen Hoffnung für die Seele politischen Leben sieht. Obere Weinsteige 23, 70597 Stuttgart Hoffnung in der Politik Hoffnung in der Literatur oder per Fax: 0711 · 72 20 95 22 Hoffnung in der Kunst Hoffnung und Spiritualität oder an kultur@bestattungshaus-haller.de Name: Hoffnung und Spiritualität Vorname: Hoffnung in der Kunst Dienstag, 19. November 2019, 15 Uhr Mittwoch, 19. Juni 2019, 17 Uhr Russisch-Orthodoxe Kirche auf dem Pragfriedhof Straße: Staatsgalerie Stuttgart, Kosten: 12 Euro Kosten: Eine Spende wird zwar nicht erwartet, erfreut Postleitzahl: Der Kunsthistoriker Markus Golser spricht über bild- aber die Seele. liche Darstellungen der Hoffnung in der Kunst und Der Priester Johannes Kaßberger spricht über die Ort: hilft uns, Verborgenes zu entdecken. Quellen der Hoffnung in der östlichen Spiritualität. Telefon: 26 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 22 27
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