Liberalisierung des Agrarhandels - Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Devinder Sharma - Forum Umwelt ...

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Liberalisierung des Agrarhandels - Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Devinder Sharma - Forum Umwelt ...
Globale Gerechtigkeit ökologisch gestalten

             Liberalisierung des
                Agrarhandels
      Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO
                   Devinder Sharma
Liberalisierung des Agrarhandels - Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Devinder Sharma - Forum Umwelt ...
Liberalisierung des Agrarhandels

 Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

                  Studie in Auftrag gegeben von: APRODEV, Brüssel
                                  Forum Umwelt & Entwicklung, Bonn

               Autor: Devinder Sharma, Forum for Biotechnolgy &
                                  Food Security, Neu-Delhi/Indien

  Kernteam für Recherchen und Erstellung der Studie:
                   Bhaskar Goswami
                      T.N. Prakash
                    Abigail Dymond
                   Raghav Narsalay
                   Devinder Sharma
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Impressum

            Herausgeber:
            Forum für Umwelt & Entwicklung
            Am Michaelshof 8-10
            D-53177 Bonn
            Telefon:    0228-359704
            Fax:        0228-92399356
            E-Mail:     info@forumue.de
            Internet:   www.forumue.de

            Mitherausgeber:
            APRODEV                                      Forum for Biotechnology & Food Security
            Boulevard Charlemagne 28                     G-3/F, DDA Flats, Munirka
            B-1000 Brussels                              Neu-Delhi-110067 - Indien
            Telefon:     +32-2234-5660                   +91-11-2617-6343
            Fax:         +32-2234-5669
            E-Mail:      aprodev@aprodev.net             fighting_hunger@yahoo.co.in
            Internet:    www.aprodev.net

            Finanziert von:
            Evangelischer Entwicklungsdienst EED
            Church of Sweden
            ICCO, Niederlande
            Norwegian Church Aid
            Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BMZ/GTZ (“Aktionsprogramm
            Welternährung”)

            Die hier vertretenen Meinungen/Inhalte entsprechen nicht immer denen der Geldgebern.

            Verantwortlich:
            Rob van Drimmelen, Aprodev
            Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung

            Autor:
            Devinder Sharma, Forum for Biotechnology & Food Security, Neu-Delhi/Indien

            Redaktion:
            Rudolf Buntzel, Ev. Entwicklungsdienst EED

            Layout:
            Bettina Oehmen

            Druck:
            Knotenpunkt, Buch

            Titelfotos:
            re - epd-bild/version/Ralf Marco
            li - DEUFA/K.-J. Högerl

            Februar 2006

2
Inhalt

                                                                                        Inhalt

Einleitung ........................................................................................ 4
Zusammenfassung ........................................................................... 6
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO .......................... 8
Afrika ............................................................................................. 19
Lateinamerika und Karibik .......................................................... 26
Asien .............................................................................................. 32
Schlussfolgerung ........................................................................... 38
Anhang I: Länderfallstudien ........................................................ 44
Anhang II: Internationaler Agrarhandel ist
kein Selbstzweck ........................................................................... 67
Abkürzungen ................................................................................. 74
Glossar ........................................................................................... 75

                                                                                                               3
Einleitung

Einleitung

                     Die Hungersnot war so schlimm, dass es im ganzen Lande kein Brot gab, und
                  Ägypten und Kanaan lagen dar nieder. Joseph sammelte das ganze Silber in
                  Ägypten und Kanaan ein als Preis für das Korn, das die Menschen aufkauften,
                  und legte es zum Schatz des Pharaos. Als das ganze Silber Ägyptens und Kanaans
                  aufgebraucht war, kamen die Ägypter zu Joseph und sagten: ‘Gebt uns Brot,
                  sonst sterben wir vor deinen Augen. Wir haben alles Silber ausgegeben’. Joseph
                  sagte: ‘Ist euer Silber aufgebraucht, so gebt mir eure Herden, und ich werde
                  euch dafür Brot geben’. Also brachten sie Joseph ihre Herden, der ihnen für ihre
                  Pferde sowie Schafs- und Rinderherden und ihre Maultiere Brot gab. In jenem
                  Jahr versorgte er sie mit Brot im Austausch für ihre Herden. Das Jahr ging zuende,
                  und im folgenden Jahr kamen sie wieder zu ihm und sagten: ‘O Herr, wir können
                  es nicht vor Euch verbergen: Unser Silber ist aufgebraucht, und unsere Rinder-
                  herden gehören Euch. Nun bleibt nichts für Euch, O Herr, übrig außer unseren
                  Körpern und unserem Land. Warum sollten wir vor Euren Augen eingehen, wir
                  und auch unser Land? Nehmt uns und unser Land im Austausch für Brot, und wir
                  begeben uns mit unserem Land in die Leibeigenschaft des Pharaos. Gebet uns
                  Kornsamen, um uns am Leben zu erhalten, da wir sonst sterben und unser Land
                  eine Wüste wird’. So kaufte Joseph alles Land in Ägypten für den Pharao auf, da
                  die Ägypter alle ihre Felder verkauften - so schwer war die Hungersnot; das
                  Land wurde Eigentum des Pharaos. Was die Menschen betraf, so hielt der Pharao
                  sie von einem Ende des Gebietes von Ägypten zum anderen zum Arbeiten an.
                  Allerdings kaufte Joseph nicht das Land, das den Priestern gehörte; sie bekamen
                  ein festes Einkommen vom Pharao, von dem sie auch lebten, sodass sie keinen
                  Grund hatten, ihr Land zu verkaufen.
                      Joseph sagte den Menschen: ‘Hört: heute habe ich euch und euer Land für
                  den Pharao gekauft. Hier sind Kornsamen für euch. Sät das Korn aus, und gebt
                  dem Pharao ein Fünftel der Ernte. Vier Fünftel werden euer sein damit ihr Samen
                  für eure Felder und Essen für euch, eure Haushalte und diejenigen, die von euch
                  abhängen, habt’. Die Menschen sagten: ‘Ihr habt unser Leben gerettet. Falls es
                  Euch, O Herr, gefällt, werden wir Sklaven des Pharaos’. Joseph machte es zum
                  Gesetz in Ägypten, dass ein Fünftel dem Pharao gehören sollte, und dieses Gesetz
                  ist noch immer gültig. Nur das Land der Priester gelangte nicht in die Hände des
                  Pharaos. (Genesis 47:13-26, NEB)

                ‘Unser täglich Brot’ ist nicht bloß irgend-   benutzt. Zur Absicherung menschlicher
             eine Ware, die den Kräften des Marktes           Grundbedürfnisse sowie der Rechte aller
             überlassen werden kann. Auch sollte es nicht     sind ausgewogene politische Ansätze ge-
             durch eine Politik regiert werden, die sich      fragt. Ein derartig ausgewogener Ansatz mit
             eng auf den Schutz der Interessen von klei-      Bezug auf die Ökonomie der Lebensmit-
             nen Gruppen von Akteuren beschränkt oder         telherstellung sowie der Verteilung und
             die Nahrungsmittel als politisches Werkzeug      Konsumierung der Lebensmittel sollte

4
Einleitung

systematisch die Muster der Verfügung über      ler politischer Ansätze in der Landwirtschaft
Ressourcen sowie des Zugangs zu ihnen und       unter dem derzeitigen Regime darstellt.
ihrer Verwendung ansprechen mit dem end-        Hiervon könnten wichtige Lehren für notwen-
gültigen Ziel der Beseitigung von Armut,        dige Schritte in der Zukunft gezogen werden.
Hunger und Ungerechtigkeit.
                                                   Bei der Zusammenstellung dieses Be-
    Die Geschichte Genesis 47 wurde vor         richtes arbeitete Devinder Sharma mit
vielen Jahrhunderten geschrieben. Den-          einem Team vier weiterer Forscher zusam-
noch kommt sie uns nur allzu vertraut vor,      men: Herrn Dr. T.N. Prakash, Herrn Bhaskar
wenn wir uns die Lage der Welt von heute        Goswami, Herrn Raghav Narsalay und
vor Augen führen. Sie erzählt von der un-       Frau Abigail Dymond. Devinder Sharma
geheueren Macht, die mit der Kontrolle über     wurde nicht darum gebeten, den Stand-
Lebensmittel und Landwirtschaft verbunden       punkt Aprodevs und seiner Mitgliedsorga-
ist. Auch heute wird der Landbesitz immer       nisationen wiederzugeben, sondern er sollte
mehr in den Händen einiger Weniger kon-         seinen Bericht aus der Perspektive von je-
zentriert. Viele Kleinbauern sind de facto      mandem schreiben, der im Süden lebt und
“Leibabhängige” des agroindustriellen           arbeitet. Das Ergebnis ist eine teilweise
Komplexes, und viele Regierungen ver-           provokative Analyse, die, so hoffen wir, Dis-
treten und verteidigen die Interessen mäch-     kussionen anregen wird über die ernsten
tiger Gruppen in unserer Gesellschaft. Des-     Probleme, mit denen wir konfrontiert sind.
halb kann durchaus die Frage gestellt wer-
den, wer die Pharaos, die Josephs, die             Auf der Grundlage dieser Analyse, und
Ägypter und die Priester der heutigen Welt      auch als komplementärer Ansatz, verfasste
sind.                                           die Arbeitsgruppe Landwirtschaft und Er-
                                                nährung des Forums Umwelt & Entwick-
    Ohne Zweifel ist die Welt von heute sehr    lung eine Stellungnahme, in der sie ihre
viel komplexer als die Situation, in der sich   Ansichten über die Hauptthemen, die in
die Ägypter vor vielen Jahrhunderten            den derzeitigen WTO-Verhandlungen über
befanden. Mehr denn je zuvor haben poli-        landwirtschaftliche Fragen diskutiert
tische Ansätze und Ereignisse in einem Teil     werden, darstellt. Diese Stellungnahme ist
der Welt im wörtlichen Sinne weitreichende      als Anhang in dieser Publikation enthalten.
Auswirkungen auf Menschen in Ländern,
die auf der anderen Seite des Globus lie-           Wir sind Devinder Sharma und seinem
gen, gehabt. Die Liberalisierung des Agrar-     Team sehr dankbar für die Zusammen-
handels so, wie sie im Kontext der Welt-        stellung dieses Berichtes und wir hoffen, dass
handelsorganisation (WTO) verhandelt            die Ergebnisse die Leser überzeugen wer-
wird, ist ein wichtiger Faktor - wenn auch      den, dass mit Blick auf heutige und künftige
nicht der einzige -, der zu einer verstärkten   Generationen grundlegende Veränderun-
Marginalisierung vieler armer Menschen in       gen der nationalen, regionalen und interna-
der Welt führt.                                 tionalen Ansätze der Agrarpolitik notwendig
                                                sind.
   Fragen der Landwirtschaft standen hoch
auf der Tagesordnung des WTO-Minis-             Rudolf Buntzel, Vorsitzender der Arbeitsgruppe
tertreffens in Hongkong im Dezember             Aprodev zu Handel, Ernährungssicherheit und
2005. Um das komplizierte globale Bild          Gender.
zu entwirren, bat Aprodev und das Forum         Rob van Drimmelen, Generalsekretär
Umwelt & Entwicklung den bekannten indi-        Aprodev
schen Journalisten und Forscher Devinder
                                                Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung
Sharma, einen Bericht zu schreiben, der die
Auswirkungen internationaler und nationa-                   Bonn und Brüssel, November 2005

                                                                                                          5
Zusammenfassung

Zusammenfassung
         A
                 ngebliche Zusammenhänge zwischen           lungsprogramm der Vereinten Nationen
                  der Liberalisierung des Handels und       (UNDP) stellte jedoch später fest, dass solche
                  der menschlichen Entwicklung sind         Studien fehlerhaft sind.1
         vielfach konstatiert worden. So trüge der Handel
         zum Wachstum bei, ermögliche höhere                    Bei solchen theoretischen Überlegungen und
         Einkommen und eröffne enorme Beschäfti-            bei der Anwendung derartiger Computermo-
         gungspotenziale, das wiederum die Minderung        delle wird vergessen, dass es bei Entwicklung
         der Armut unterstützen soll. Sofern das Umfeld     nicht um Wachstumszahlen, sondern um Men-
         stimmig sei, schaffe der internationale Handel     schen geht. Der Zusammenhang zwischen der
         engere Bindungen der Länder untereinander          Liberalisierung des Agrarhandels und der Ar-
         und verringere so wirtschaftliche Disparitäten.    mutsminderung muss gemessen werden an-
                                                            hand der konkreten Auswirkungen, die sie auf
             In den letzten Jahren ist dem Agrarhandel      die Existenzbedingungen in der Landwirtschaft
         zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt                sowie auf die nationale Ernährungssouveränität
         worden. Auch wird er als Vehikel eines welt-       hat. Rein empirische ökonomische Impulse für
         weiten Wachstums und als Förderer der Gleich-      Wachstum sind für sich allein genommen noch
         heit angesehen. Die Liberalisierung würde die      kein Maß für menschliche Entwicklung. Solche
         Märkte ausweiten und Verzerrungen, die aus         Betrachtungen laufen Gefahr, den Menschen
         dem hohen Schutzniveau für den Landwirt-           selbst aus der Diskussionen über Entwicklung
         schaftssektor resultieren, abbauen. Dadurch        zu verdrängen. Eine genauere Betrachtung der
         schaffe der globale Agrarhandel nicht nur          Auswirkungen des freien Agrarhandels auf
         Erleichterungen für den Wettbewerb, sondern        menschliche Lebensbedingungen könnte diesen
         unterstütze auch das Wachstum in einem             Trend sogar umkehren.
         Bereich, der direkt mit Armut und Hunger zu-
         sammenhängt. Das Hauptziel des Agrarhandels            Armutsverringerung hängt nicht einfach von
         bestehe darin, so wird behauptet, ein Umfeld       Ertragssteigerung und mehr internationalem
         für die Ärmsten der Welt zu schaffen, das sie in   Handel in der Landwirtschaft ab. Das WTO-Ab-
         die Lage versetzen würde, enorme Einkom-           kommen zur Landwirtschaft zielte auf multila-
         mensverbesserung zu erzielen und ein gelin-        terale Regeln ab, die den dringend benötigten
         gendes Leben zu realisieren.                       Ansporn zu Wachstum und Effizienz liefern wür-
                                                            den. Diese Regeln waren wesentlich darauf ge-
             Laut Schätzungen der Weltbank könnte           richtet, gleiche Ausgangsbedingungen für alle
         höheres Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger     Betroffenen zu schaffen. Es stellte sich im Nach-
         globaler Verringerung von Schutzmaßnahmen          hinein heraus, dass sie den Schutz der Agrar-
         im Handel die Anzahl der Menschen, die in          interessen der Industrieländer bewirken. Sie
         Armut leben, bis zum Jahre 2015 sogar um 13        geben vor, der Armutsbeseitigung und der Hilfe
         Prozent reduzieren. Konkret bedeutet dies, dass    für kleine und marginalisierte Bauern in den Ent-
         300 Millionen Menschen von der Armut befreit       wicklungsländern zu dienen. Tatsächlich aber
         würden. William Cline (2003) schätzte aufgrund     konnten die reichen und mächtigen Länder da-
         eines Computermodels, dass der freie Handel        mit fortfahren, eine noch höhere Schutzmauer
         75 Millionen Menschen in Indien aus der Armut      um ihren Landwirtschaftssektor zu erreichen.
         entlassen könnte. Eine Vielzahl anderer Studien
         verwies auf den direkten Zusammenhang                  Dieser Bericht macht den Versuch, das brei-
         zwischen “offenen” Volkswirtschaften und           te Spektrum der Fragestellungen zu umreißen,
         schnellerem Wachstum. Jeffrey Sachs und An-        die derzeit den Kern der laufenden Verhand-
         drew Warner (1995) zogen den Schluss, dass         lungen bei der WTO über die Landwirtschaft
         sich der Wirtschaftsumfang offener Volkswirt-      ausmachen. Er will auch die Auswirkungen
         schaften innerhalb von 16 Jahren verdoppele,       zurückverfolgen, die die handelspolitischen Rege-
         während geschlossene Volkswirtschaften hier-       lungen auf die Agrarsysteme in den Entwick-
         für einhundert Jahre benötigen. Das Entwick-       lungsländern gehabt haben. Ungeachtet der

6
Zusammenfassung

Theorie muss die Realität bestätigen, ob die un-      Unterhändler bei den WTO betrachten solche
terstellten Zusammenhänge zwischen Agrar-             Trends als kurzfristige Störungen, die der Handel
handel und Entwicklung wirklich bestehen. Es          langfristig angeblich ausgleicht. Jedenfalls werden
gibt zwar umfangreiche empirische Literatur, in       deshalb die ‚Spielregeln' im Handel nicht extra
der diesen Zusammenhängen nachgegangen                geändert, etwa um eine Minimierung der
wird; kommen wir jedoch zu den Lebensreali-           negativen Auswirkungen zu erreichen. Wie der
täten der Betroffenen, erleben wir die Realität       Bericht zeigt, steht ein Großteil der Entwick-
noch anders.                                          lungsländer - in Asien, Lateinamerika und Afrika
                                                      - vor einer ernsten Krise ihrer Landwirtschaften.
   Angesichts der Vielfalt der Regionen und der       Dies ergibt sich aus den kumulativen Effekten ver-
sozioökonomischen Bedingungen wurde davon             schiedener Politiken der Wirtschaftsliberalisierung.
ausgegangen, dass die Auswirkungen der Han-           Eine davon ist das WTO-Agrarabkommen.
delsliberalisierung uneinheitlich sein würden.
Dieser Bericht versucht, über die übliche Dis-            Vier Jahre nach dem Beginn der Doha-Ent-
kussion zu Handel und Entwicklung hinauszu-           wicklungsrunde, die 2001 gestartet wurde, ist es
gehen. Er wirft einen Blick darauf, wie die Ent-      den Industrieländern noch immer nicht gelun-
wicklungsländer in einer Ära des freien Marktes       gen, ihr Versprechen zu erfüllen, dass der inter-
zurechtkommen. Die vorhandene Literatur zur           nationale Handel Entwicklung begünstige. Keine
Liberalisierung des Agrarhandels sowie ihren          hinreichend gewichtige Regel ist seitdem in die
Auswirkungen wurde gesichtet. Dabei wird sehr         Verpflichtungen der WTO aufgenommen wor-
deutlich, dass die Auswirkungen des Agrarab-          den, die es geschafft hätte, eine positive Wende
kommens nicht isoliert betrachtet werden kön-         herbeizuführen. Das Rahmenabkommen von Juli
nen. Für eine große Anzahl von Entwicklungs-          2004 mag zwar als “historisch” bezeichnet
ländern war für die Agrarliberalisierung nicht die    werden; doch zeigt unsere Analyse, dass es die
WTO ausschlaggebend, sondern der Prozess der          vorhandenen Handelshemmnisse sogar noch
Liberalisierung, der von den in den achtziger         stärkt. Zudem bietet es den Industrieländern noch
Jahren durchgeführten Strukturanpassungspro-          weitere Puffer, um die Subventionen in der
grammen ausging. Die Weltbank und der Inter-          Landwirtschaft weiter zu steigern. Wie überhaupt
nationale Währungsfonds waren hierfür die             in Bezug auf das ganze WTO-Paket, so wird auch
Auslöser.                                             für das WTO-Agrar-Rahmenabkommen vom Juli
                                                      2004 viel zu kräftig die Werbetrommel gerührt.
    Der Bericht kommt jetzt, zehn Jahre nach der
Gründung der WTO, zu der Schlussfolgerung,                 Unabhängig davon ob wir den Bericht nun
dass sich die Liberalisierung des Agrarhandels        als “journalistisch” oder gar “emotional” be-
katastrophal auf die bäuerlichen Gemeinschaf-         zeichnen, hat er doch eine ganze Reihe von Stu-
ten und landlosen Arbeiter, insbesondere Frau-        dien und Literatur aus den verschiedensten Kon-
en, auswirkte. Im vergangenen Jahrzehnt sind          tinenten gesichtet. Neben dem regionalen Über-
ländliche Existenzen in den Entwicklungsländern       blick legt der Bericht auch einige nationale Fall-
im großen Ausmaß zusammengebrochen, was               studien vor. Dadurch wird sowohl statisch als
zu mehr Arbeitslosigkeit auf dem Lande und            auch dynamisch der negative Effekt der Libera-
stärkerer Landflucht geführt hat. Auch zeigt dieser   lisierungspolitiken offenbar.
Bericht, wie Agrarexporte von Entwicklungslän-
dern weiterhin eingeschränkt bleiben und wie              Wir hoffen, dass der Bericht den Politikern,
Importfluten in vielen Entwicklungsländern Han-       Aktivisten, Betroffenen, Forschern und Akade-
delsbedingungen verändert und ländliche Ge-           mikern, Organisationen der Zivilgesellschaft und
meinwesen weiter marginalisiert haben.                den politischen Herrschenden die Augen öffnen
                                                      wird. Wir sind zuversichtlich, dass - zusammen
   Aus der ganzen Welt erreichen uns Berichte         mit einer kleinen Anzahl von Vorschlägen zum
zu folgenden Trends: rasant ansteigende Im-           Abschluss, wie sich Handel fair und gerecht ge-
portfluten, Preisdruck, Verlust von Lebensgrund-      stalten lässt - der Bericht dazu beitragen wird,
lagen, Aufgabe heimischer Unternehmen, einer          den Schwerpunkt des internationalen Agrarhan-
Verschiebung von Anbaumustern hin zu einer            dels wieder dorthin zu verlagern, wo er von
exportorientierten “Cash-Crop”-Landwirtschaft,        Rechts wegen hingehört: den Kleinbauern
Kontrolle der Landwirtschaft durch Konzerne. Die      wieder Grund zur Hoffnung zu geben.

                                                                                                               7
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

Liberalisierung des Agrarhan-
dels: Erfahrungen mit den
ersten 10 Jahren der WTO

                 “Würden jene hohen Zölle auf einen Schlag entfernt, so könnten billigere ausländische
                  Waren derselben Sorte derart schnell in den einheimischen Markt strömen, dass viele
                    Tausende unserer Menschen sofort ihrer üblichen Beschäftigung und Subsistenz-
                  grundlage beraubt wären. Das Durcheinander, das solch ein Vorkommnis (darstellen)
                                  könnte, (wird) zweifelsohne sehr erheblich sein.”
                                          Adam Smith in Wealth of Nations2

           Hintergrund                                        wenn arme Menschen zu Nutznießern der
                                                              Globalisierung werden sollten. Heute
                                                              ahnen wir: Der Prozess der Wirtschaftsli-
               Vor über 200 Jahren malte der Haupt-           beralisierung könnte viele arme Gemein-
           architekt des Freihandels-Paradigmas,              schaften um eine Generation zurückge-
           der Ökonom Adam Smith, die verheeren-              worfen haben.3
           den Folgen eines unausgeglichenen Han-
           delsregimes aus. Seine Warnungen blie-                In den neunziger Jahre hat eine große
           ben unbeachtet. Hätte man seine Lehre              Anzahl von (oftmals wiederholten) Bekun-
           ernst genommen, hätten diejenigen, die             digungen der internationalen Völkerge-
           heute unter Hunger leiden und in erbärm-           meinschaft mehr Hilfe für die arme Land-
           licher Armut leben, vom raschen Wirt-              bevölkerung versprochen: z.B. die UN-
           schaftswachstum viel eher profitierten             Resolution zum Recht auf Entwicklung, der
           können.                                            “Menschenrechtspakt zu den wirtschaftli-
                                                              chen, sozialen und kulturellen Menschen-
              Es herrscht weitgehende Einigkeit               rechten”, der Welternährungsgipfel, Welt-
           darüber, dass Handelsliberalisierung               sozialgipfel und die Millenniumserklä-
           einen signifikanten Beitrag zum globalen           rung der UN-Vollversammlung. Globali-
           Wirtschaftswachstum leisten und auf die-           sierung wurde zum Schlüsselbegriff. War
           se Weise die Armut reduzieren kann. Aller-         1960 das reichste Fünftel der Weltbevöl-
           dings ist das Ausmaß ihrer Auswirkung              kerung 30-mal wohlhabender als das
           auf die Armen nicht hinreichend unter-             ärmste Fünftel, stieg diese Zahl auf 74 bis
           sucht worden. Vor zehn Jahren wurde die            1997 an. Während die Globalisierung
           Welthandelsorganisation (WTO) gegrün-              fortschreitet, häufen die 500 reichsten Per-
           det, und vor rund 20 Jahren gingen die             sonen der Welt enorme Reichtümer an.
           Verfechter einer radikalen Wirtschafts-            Ihr Gesamteinkommen ist größer als das,
           liberalisierung zur erzwungenen Öffnung            was den 416 Millionen Ärmsten zur Ver-
           der Märkte und Abbau der staatlichen               fügung steht.
           Interventionen in den Entwicklungslän-
           dern über. Dabei gingen sie davon aus,                 Jenseits dieser Extreme verfügen 40
           dass Volkswirtschaften wachsen müssten,            Prozent der Ärmsten der Welt über ganze

8
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

5 Prozent des globalen Einkommens; sie          Die Aufhebung von Schutzbe-
machen rund 2,5 Milliarden Menschen aus,
die mit weniger als $ 2 pro Tag auskommen
                                                stimmungn in der Landwirt-
müssen. Die reichsten 10 Prozent, von           schaft
denen fast alle in Ländern mit hohem Ein-
kommen leben, verfügen über 54 Prozent.4           In den Volkswirtschaften der Länder mit
Im Großen und Ganzen sind die Armen von         niedrigem Einkommen spielt die Landwirt-
den Vorteilen der wirtschaftlicher Entwick-     schaft eine zentrale Rolle. Sie schafft mehr
lung ausgeschlossen geblieben.                  als 70 Prozent der Arbeitsplätze - zum Ver-
    Kein Wunder, wenn das derzeit vor-          gleich sind dies 30 Prozent in Ländern mit
                                                mittlerem und ganze 4 Prozent in den Län-
herrschende Paradigma der Marktwirt-
schaft das Elend der ländlichen Armen           dern mit hohem Einkommen.5 Mehr als 3,1
ignoriert. Diesem Paradigma haben sich          Milliarden Menschen in den Entwicklungs-
                                                ländern sind direkt oder indirekt von der
z.B. beherzt die Stabilisierungsprogram-
me der Bretton-Woods-Organisationen             Landwirtschaft als Existenzgrundlage abhän-
verschrieben (Weltbank, Internationaler         gig. Für die Mehrheit von ihnen bedeutet
Währungsfond), jetzt flankiert durch die        die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte
Verträge der WTO. Mark Malloch Brown,           oder die Weiterverarbeitung und der Han-
ehemaliger Generalsekretär des UN-Ent-          del mit Agrarprodukten die einzige Ein-
wicklungsprogramms, verwarf diese wirt-         kommensquelle.
schaftlichen Rezepte, die zur Verringerung         Lange bevor die WTO entstand, hatten
globaler wirtschaftlicher Ungleichheit ver-     eine ganze Reihe von Entwicklungsländer-
teilt wurden. Bei der Veröffentlichung des      Regierungen starke Strukturveränderungen
Berichts über die Menschliche Entwicklung       bei ihrer Agrarpolitik durchgeführt. Diese
2003 konstatierte er: “Im sogenannten           Prozesse waren gestützt auf den Rat der
großartigen Jahrzehnt fiel ein sehr be-         Weltbank/IWF. Unter dem Deckmantel der
achtlicher harter Kern von Ländern mit          Verringerung des Staatsdefizits sowie einer
mehr armen Menschen noch weiter zu-             besseren Lenkung der Staatsausgaben re-
rück”. Bei der Erläuterung dieses sozio-        duzierten Regierungen den Umfang und
ökonomischen Debakels sagte er, dass            die Qualität von Ressourcenflüssen. Das
54 Länder, von denen fast die Hälfte            schloss die Subventionen, die für kleine und
afrikanische Länder sind, ärmer seien als       marginalisierte Bauern vorgesehen waren,
in den neunziger Jahren. Er prognosti-          mit ein. In den zehn Jahren von 1986 bis
zierte, dass einige von ihnen auch in 50        1996 waren die Haushaltszuwendungen für
Jahren die Entwicklungsziele nicht errei-       die Landwirtschaft in den Entwicklungslän-
chen würden.                                    dern um rund 50 Prozent gefallen.
    Wirtschaftliche Liberalisierung und frei-      Um Haushaltsdefizite zu überbrücken,
er Handel, wie sie von der WTO verfolgt         fingen die Regierungen an, in rücksichts-
werden, haben die Kluft noch mehr erwei-        loser Weise und oftmals bar jeglicher wirt-
tert. Nirgendwo sonst war mit stärkeren Aus-    schaftlicher Logik die öffentliche Versor-
wirkungen zu rechnen als in der Landwirt-       gung in den Bereichen Wasser, Strom und
schaft - der ersten Verteidigungslinie gegen    Kredite für die Landwirtschaft zu privati-
die Armut. Die Landwirtschaft spielt eine       sieren. Das führte zu einem Anstieg der
zentrale Rolle in der Beseitigung von Armut     Kosten für Betriebsmittel für kleine land-
und bei der Abschaffung des Hungers.            wirtschaftliche Betriebe. Gleichzeitig wur-
Außerdem bildet sie die Grundlage der           den die Staatszuschüsse für Konzerne zur
nachhaltigen Entwicklung. Damit steuert         Entwicklung von Technologien, die die
ländliche Entwicklung auch wesentlich zur       landwirtschaftliche Produktivität steigern
Sicherung des Weltfriedens und der poli-        sollen, erhöht. Beide Trends, Rückzug des
tischen Stabilität bei.                         Staates und die wachsende Abhängigkeit

                                                                                                 9
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

          von Konzernen, veränderte die politische          wurden in großer Zahl an die Handels-
          Ökonomie der Landwirtschaft weltweit.             ketten für Lebensmittel gebunden.
              Die großen Konzerne wurden zu natür-             Zwar gestehen viele Ökonomen inzwi-
          lichen Verbündeten in diesem Verschlan-           schen ein, dass die Beziehung zwischen
          kungsprozess. Die Regierungen wurden              der Liberalisierung der Wirtschaft und
          durch das Versprechen höherer Steuerein-          Wachstum bestenfalls ungewiss ist6; je-
          nahmen gelockt. Die Privatunternehmen             doch hat die Fachwelt keine brauchbaren
          verschlangen zur Verwendung der neues-            Lehren aus der auf den Ebenen der Wirt-
          ten Technologien - gentechnisch veränder-         schaft und der politischen Planung nach
          te Kulturpflanzen eingeschlossen - die            wie vor bestehenden unethischen Dicho-
          eigentlich für die Bauern vorgesehenen            tomie gezogen. Die wachsende Kontrolle
          Ressourcen und Subventionen. Sie konn-            der Konzerne über Lebensmittel und
          ten selbst in Ländern mit vielfältig struk-       Landwirtschaft bedeutet, dass die Zuge-
          turierter Landwirtschaft ihre Kontrolle über      winne zwischen den Händlern, Verarbei-
          Kulturpflanzen wie Getreide, Sojabohnen,          tern, Großhändlern und Einzelhändlern
          Mais, Reis, Kaffee usw. konsolidieren.            aufgeteilt werden. Der Prozess beschränkt
          Supermarktketten folgten dem Trend und            sich nicht nur auf die Entwicklungsländer.
          dominierten zusehends die Lebensmittel-           Doch hier neigen die Politiker blind dazu,
          märkte in den Entwicklungsländern.                das Farmmodell der industrialisierten
                                                            Länder nachzuahmen. Was bedeutet dies
             Zurecht stellt die Welternährungsorga-
                                                            im Klartext? Z.B. erhielt in den USA noch
          nisation der UN (FAO) fest: “Over recent
                                                            1990 ein Farmer etwa 70 Prozent von
          decades, a handful of vertically inte-
                                                            jedem Dollar, der für Lebensmittel aus-
          grated, transnational corporations have
                                                            gegeben wurde; heute sind dies nicht
          gained increasing control over the glo-
                                                            mehr als 3 bis 4 Prozent.
          bal trade, processing and sale of food.
          The 30 largest supermarket chains now                Das WTO-Agrarabkommen kam zu
          account for about one third of food sales         einem Zeitpunkt, als das Augenmerk
          worldwide. In South America and East              darauf gerichtet war, die noch bestehen-
          Asia, the supermarket share of retail food        den Verzerrungen im internationalen
          sales has ballooned from less than 20 per         Agrarhandel zu beseitigen. Das sollte
          cent to more than 50 per cent over the            dem internationalen Agrarhandel neue
          past decade. And the biggest chains,              Impulse geben. Die Agrarhandelsregeln
          most of them owned by multinational gi-           sollten an diejenigen, die für den allge-
          ants, now control 65 to 95 per cent of su-        meinen Handel gelten, angepasst wer-
          permarket sales in Latin America.” (Ref:          den. Erstmals in der Uruguay-Runde
          FAO 2004, State of Food Insecurity 2004)          (1986-1994) wurde Landwirtschaft in die
                                                            multinationalen Verhandlungen über den
              Entscheidungen zur Ernährungspolitik
                                                            Handel einbezogen. Seitdem sind Agrar-
          sind stark politisch gefärbt. Im Zeitalter
                                                            handelsfragen die umstrittensten und am
          der Globalisierung wird Agrar- und Ernäh-
                                                            schärfsten debattierten Fragen der inter-
          rungspolitik zunehmend zu Handelspoli-
                                                            nationalen Handelspolitik.
          tik, statt nationaler Strukturpolitik. Der Bei-
          trag von internationalem Handel und aus-             Es ist allgemein bekannt, dass das
          ländischen Direktinvestitionen wächst be-         WTO-Agrarabkommen sich auf drei Säu-
          ständig. Sie bestimmen die Art des Be-            len stützt: interne Stützung, Exportwett-
          triebsmitteleinsatzes, die Struktur der           bewerb und Marktzugang. Es sah für In-
          Lebensmittelmärkte. Die Globalisierung            dustrie- und Entwicklungsländer unter-
          der Ernährungswirtschaft hat sich auf alle        schiedliche Zollsenkungssätze, Obergren-
          Aspekte der Ernährungssicherheit aus-             zen für interne Stützungsmaßnahmen und
          gewirkt. Noch wichtiger: Einzelhändler            Exportsubventionen vor. Die Industrielän-

10
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

der sollten ihre Zölle um durchschnittlich       sie sicher, dass die Entwicklungsländer ihre
36 Prozent, mindestens aber um 15 Pro-           WTO-Verpflichtungen des allmählichen
zent, innerhalb von sechs Jahren redu-           Abbaus bzw. der Aufhebung quantitativer
zieren. Für die Entwicklungsländer war die       Beschränkungen einhalten. Dann berei-
angestrebte Zollreduktion mit 20 Prozent         teten sie den endgültigen Anschlag vor.
über einen Zeitraum von zehn Jahren nie-         Das Ziel war die Durchdringung der
driger angesetzt. Subventionen wurden            Agrarmärkte der Entwicklungsländer mit
nach dem Grad der Handelsverzerrung              amerikanischen Agrarerzeugnissen und
klassifiziert und in die “Gelbe Box”, “Blaue     Lebensmitteln. Das neue politische Vor-
Box” und “Grüne Box” eingeordnet.                gehen zielte auf die 600 Millionen “neu-
                                                 en Konsumenten” in Asien und Südost-
    Verschiedenste Kritiker hatten davor ge-     asien sowie auf weitere 400 Millionen in
warnt, dass die Umsetzung des Abkom-             Latein- und Mittelamerika ab.7
mens eine Spur der Verwüstung auf dem
Lande nach sich ziehen und Hunger und                Durch die Liberalisierung des Handels
Armut verschlimmern würde. Die Freihan-          und Veränderungen der globalen Markt-
delsadvokaten wischten diese Argumente           strukturen steigerten die USA in den letzten
beiseite. Ihnen zu folge würden alle ihre        15 Jahre ihre Agrarexporte zwar auf ge-
Wohlfahrt verbessern können. Schließlich         schätzte $53,5 Milliarden im Jahr 2002, ihr
schaffe der Handel enge Verbindungen             Marktanteil fiel jedoch gleichzeitig von 24
zwischen den Ländern der Welt und könnte         Prozent des globalen Agrarhandels 1981
eine potenziell starke Kraft bei der Ar-         auf 18 Prozent 2001. Dagegen hatte im
mutsverringerung entwickeln. Nichtsdesto-        gleichen Zeitraum die EU ihren Marktanteil
trotz sei ein kurzfristiger Anstieg der Armut    von 13,5 Prozent auf 17 Prozent steigern
ein Preis, den die Entwicklungsländer für        können. 1980-81 war die EU der größte
langfristiges Wirtschaftswachstum und            Agrarimporteur der Welt und verbuchte 32
Entwicklung werden zahlen müssen.                Prozent aller Weltimporte. 2000/01 war ihr
                                                 Importanteil auf 23 Prozent gefallen, wäh-
                                                 rend ihr Exportanteil auf 16 Prozent ange-
                                                 stiegen war.8 Im Zeitraum 1995 bis 2005
Die Politik des Agrarhandels                     stiegen die Agrarexporte der EU um den
                                                 phänomenalen Prozentsatz von 26%.9
    Kein Jahr war vergangen, nachdem die
“Doha-Runde” im November 2001 ein-                   Die Absichten der USA waren eindeutig.
geleitet wurde, in der sich die entwickelten     “Es klingt vielleicht nicht nach viel, wenn
Länder zu einer 'Entwicklungsrunde' multi-       sechs Prozentpunkte im Zeitraum von 20
lateraler Verhandlungen über den Handel          Jahren verloren werden. Allerdings be-
verpflichteten, dass die beiden größten          deutet jeder verlorene Prozentpunkt am
Agrarexporteure - die Vereinigten Staaten        Marktanteil einen Verlust an Exportver-
und die Europäische Union - damit fortfuh-       käufen in Höhe von $3 Milliarden und eine
ren, während sie den freien Handel pre-          Verminderung des Agrareinkommens in
digten gleichzeitig die Mauern ihres Agrar-      Höhe von $750 Millionen. Die gute Nach-
protektionismus zu erhöhen. Die wahre Ab-        richt wäre jedoch gleichzeitig, dass jeder
sicht, die sich hinter der aggressiven Libe-     Prozentpunkt, den wir wieder hereinholen
ralisierungshaltung verbirgt, wird anhand        können, jährlich $3 Milliarden Exportein-
der folgenden Ausführungen offensichtlich:       nahmen sowie $750 Millionen Einkom-
                                                 men für unsere Landwirtschaft bedeuten
    So ging zum Beispiel die USA - in einem      wird”, teilte Mattie Sharpless, der damalig
Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Europäi-             amtierende Administrator des “Foreign
schen Union um die Beibehaltung der Vor-         Agriculture Service” des US-Landwirt-
herrschaft im internationalen Agrarhandel        schaftsministeriums, dem Landwirtschafts-
- zu einer neuen Offensive über. Erst stellten   ausschuss des Senats 2002 mit.

                                                                                                11
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

                     Die Konzentration der Konzerne auf nationalen und globalen
                                            Agrarmärkten

            Saatgut und Agrarchemikalien
            • Sechs multinationale Konzerne – BASF, Bayer, Dow, DuPont, Monsanto und Syngenta –
               beherrschen jetzt 75-80% des globalen Pestizidmarktes. Im Jahr 1994 waren es noch 12
               Konzerne.
            • Zusammen beherrschen DuPont u. Monsanto die Weltmärkte für Saatgut für Mais (65%) u.
               Soja (44%)
            • Monsanto beherrschte 91% des globalen Marktes für genmanipuliertes (GM) Saatgut im
               Jahr 2001 und übernahm mehr als 60% des brasilianischen Saatgutmarktes für Nicht-GM-
               Mais im Zeitraum von zwei Jahren (1997-1999).
            • Bayer beherrscht 22% des indischen Pestizidmarktes.

            Handel mit Massengütern
            • Zwei US-amerikanische multinationale Konzerne - Chiquita und Dole Foods - beherrschen
               fast 50% des Weltbananenhandels.
            • Die kakaoverarbeitende Industrie der Elfenbeinküste ist in den Händen von Archer Daniels
               Midland (ADM), Barry Callebaut und Cargill. In diesem Land werden 95% der
               Weiterverarbeitungskapazitäten von multinationalen Konzernen beherrscht.
            • Fyffes, der wichtigste Großhändler von frischen Lebensmitteln in Europa, ist der einzige
               Exporteur von Bananen aus Belize & Surinam.
            • Drei Firmen – ADM, Cargill und Zen Noh – vermarkten mehr als 80% der US-
               amerikanischen Maisexporte.

            Lebensmittelherstellung und -verarbeitung
            • Die 10 größten lebensmittelverarbeitenden Firmen machen 37% der Verkäufe der 100
               größten Firmen in der Branche aus.
            • 3 Firmen beherrschen 85% des Weltmarktes für Tee und Unilever ist der weltgrößte
               Teelieferant.
            • Nestlé hat den Markt für H-Milch in Pakistan praktisch monopolisiert und beherrscht rund
               80% von Perus Milchproduktion.
            • 4 Firmen, darunter Cargill und Tyson, beherrschen 81% der US-amerikanischen
               Rindfleischverarbeitung.
            • Die 6 größten Schokoladenverarbeitungsfirmen beherrschen 50% des Weltmarktes.
            • Drei globale Unternehmen beherrschen 80% des Marktes für Sojabohnenschrot in Europa
               und mehr als 70% in den USA.
            • 3 oder 4 Firmen verfügen über 60% der Anlagen zur Endverarbeitung von Getreide, 61%
               der Anlagen zur Mehlproduktion, 81% des Maisexportes sowie 49% der Ethanolherstellung
               in den USA.

            Der Lebensmitteleinzelhandel
            • Die 30 größten Einzelhandelskonzerne für Lebensmittel tätigen etwa ein Drittel aller
               Lebensmittelverkäufe weltweit, wobei die 10 größten Konzerne Gesamtverkäufe von US$
               649 Milliarden im Jahre 2002 verbuchten.
            • Wal-Mart beherrscht 40% von Mexikos Einzelhandelssektor.
            • 36% aller Lebensmittelverkäufe in Thailand verlaufen jetzt über multinationale
               Einzelhandelskonzerne, wobei Tesco im Jahr 2003framework        agreement
                                                                 48 Verkaufsstellen  hatte undstates:
                                                                                               Verkäufe“Any
               im Wert von etwa US$ 1,2 verbuchen konnte.    new   criteria to  be  agreed   will not have
                                                             the  perverse   effect of  undoing
            • Asda-Walmart, Safeway, Sainsbury und Tesco tätigen 75% aller Lebensmittelverkäufe    ongoing
                                                                                                    in
               Großbritannien.                               reforms.”  10

                                                                        Before
            Quelle: Action Aid (2005) Power Hungry: six reasons to regulate     wefood
                                                                            global  trycorporations.
                                                                                        to understandActionthe
                                                                                                            Aidimpli-
            International, Johannesburg. Januar 2005. S. 13; * FAO cations
                                                                     (2004)    of CAP reform on developing
                                                                   country agriculture, it is important to see

12
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

   Die Industrieländer waren eigentlich                        2004 ausdrücklich erklärt: “In den Fällen,
nicht gewillt, irgendwelche bedeutsamen                        in denen ein Mitglied einen außerge-
Reformen einzuleiten, um die handelsver-                       wöhnlich hohen Prozentsatz seiner han-
zerrende Wirkung ihrer Subventionen                            delsverzerrenden Unterstützung in der
wirklich zu vermindern. Die Reformschritte                     Blauen Box abgestellt hat, wird auf einer
der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der                         Grundlage, die noch auszuhandeln ist,
EU, die 2003 initiiert wurden und deren                        ein gewisses Maß an Flexibilität gewähr-
Umsetzung 2005 begann, haben die Ge-                           leistet. Es soll sichergestellt werden, dass
samthöhe der Subventionen für Europas                          ein solches Mitglied nicht aufgefordert
Agrarproduzenten nicht geändert. Die                           wird, eine gänzlich unverhältnismäßige
Höhe an Subventionsgeldern, die ein                            Kürzung vorzunehmen”.
Landwirt im Bezugszeitraum 2000/2002
                                                                   Als wäre dies nicht genug, wurde der
erhielt, wird Anspruchsbasis für die ihm
                                                               EU eine weitere Aussetzung von Vertrags-
persönlich zustehenden Subventionen bis
                                                               pflichten zugesprochen. Bei der Ausfor-
2013; das war die ganze Änderung.
                                                               mulierung der Kriterien für Direktzahlungen
   Falls die WTO überhaupt Kontrolle                           an Landwirte besagt Artikel 14 des WTO-
über diese Subventionen ausüben kann,                          Rahmenübereinkommens vom Juli (An-
dürfte diese minimal sein. Die Entkop-                         hang A: ‚Framework for Establishing Mo-
pelung der Subventionen von der Produk-                        dalities in Agriculture'): “Jegliche neuen
tion und die Zahlung einer einheitlichen                       Kriterien, die noch zu verhandeln sind,
Betriebsprämie bedeuten für die EU nur,                        sollen keine verkehrten ('perverse') Auswir-
dass die Subventionen von der “Blauen                          kungen im Sinne einer Umkehrung von lau-
Box” zur “Grünen Box” verschoben sind.                         fenden Reformen” haben müssen.10
Um sicherzustellen, dass die EU nicht                             Bevor wir versuchen, die Auswirkungen
wirklich irgendwelche Verpflichtungen zu                       der GAP-Reform auf die Landwirtschaft
drastischen Kürzungen eingehen muss,                           der Entwicklungsländer zu verstehen, ist
wird im Rahmenabkommen vom Juli                                es wichtig, ihre Bedeutung für kleineren

                   Auszüge zum Thema EU-Agrarsubventionen an die dänische
                                  Landwirtschaft (Juni 2004)1
 [...] Zu den größten Nutznießern 2003 zählten: Arla Foods (DKK 1,3 Milliarden)2; die dänische Krone (DKK 119,6
 Millionen); und das “Danish Institute of Agricultural Sciences” (DKK 111,1 Millionen). 2003 erhielt das “Danish Agricul-
 tural Centre for Advisory Services” DKK 29,9 Millionen - und seine Vorstandsmitglieder (unter ihnen Peter Gæmelke,
 Henrik Høegh und Vorstandsvorsitzender Gert Karkov) erhielten im selben Jahr zusammen Subventionen in Höhe von
 DKK 8,9 Millionen.
 Politiker zählen auch zu den Nutznießern. Vier von 18 Ministern (oder ihre Ehegatten) erhielten jährliche Zahlungen von
 der EU: Mariann Fischer Boel, Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei (DKK 389,702); Ulla Tørnæs, Bildungs-
 ministerin (DKK 487.490); Thor Petersen, Finanzminister (DKK 139.799); und Bent Bendtsen, Wirtschafts- und Handelsmi-
 nister (DKK 1.841) [...]
 Eine Reihe der derzeitigen Mitglieder des Dänischen Parlamentes erhielten im Jahre 2003 Agrarsubventionen - insbesondere
 die Mitglieder, die die Dänische Liberaldemokratische Partei (Venstre) vertraten, wie zum Beispiel: Jens Vibjerg (DKK
 74.396) und Jens Kirk (DKK 241.871). Niels Busk Simonsen, ein altgedientes liberaldemokratisches Mitglied des EU-
 Parlaments, erhielt 2003 eine großzügige Zuzahlung zu seinem EU-Salär als Subvention von DKK 295.837 [...]
 Produzenten von Kartoffelstärke werden besonders bevorzugt: 4 Fabriken erhielten 2003 insgesamt DKK 184 Millionen,
 die an die Produzenten verteilt wurden; in ähnlicher Weise stellt die private Lagerung von Schweinefleisch eine bevorzugte
 Branche dar, denn 5 Schweinespeckfabriken teilten sich DKK 114 Millionen. Die wichtigsten Subventionsprogramme,
 von denen Arla profitiert, sind Exportsubventionen sowie Subventionen für Produkte in der Produktion, die sich jeweils
 auf DKK 1,0 Milliarden und DKK 286 Millionen beliefen.3
 1
  Siehe http://www.dicar.dk/research/databank/EUsupport.htm - 2 1 dänische Krone = 0,13435 Euro am 31. Dezember
 2003; d.h., dass "Arla Foods" 2003 174.658.761 Euro erhielt. - 3 Eine hervorragende Studie über EU-Subventionen für die
 Landwirtschaft enthält Marita Wiggerthale's Aufsatz: "What's wrong with EU agricultural subsidies?". Siehe www.fairer-agrarhandel.de.

                                                                                                                                    13
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

          Landwirte in Europa zu betrachten. Im              Es wundert nicht, dass der Vorschlag
          Jahr 1999 machten Direktzahlungen an           der Europäischen Kommission, die jähr-
          Landwirte 56 Prozent aller EU-Agraraus-        lichen Direktzahlungen an einzelne Land-
          gaben aus. Genau wie anderswo bezie-           wirtschaftsbetriebe bei 300.000 Euro zu
          hen landwirtschaftliche Grossbetriebe wei-     deckeln, auf derart harten Widerstand
          terhin den Löwenanteil der Direktzahlun-       stieß, dass er zurückgezogen werden
          gen. Ganze 2,2 Prozent der 4,5 Millio-         musste. In vielen OECD-Ländern mit ho-
          nen landwirtschaftlichen Betriebe Europas      hem Pro-Kopf-Einkommen ist wegen die-
          erhalten 40 Prozent der Gesamtzahlun-          ser Agrarsubventionen das durchschnitt-
          gen. Diese kleine, aber einflussreiche         liche Einkommen der landwirtschaftlichen
          Gruppe von Landwirten erhält jedes Jahr        Erwerbstätigen höher als das eines Durch-
          mehr als 50.000 Euro pro Betrieb. Fast         schnittsbürgers. In den Niederlanden be-
          80 Prozent der Subventionen werden an          trägt das durchschnittliche Einkommen
          nur 20 Prozent der Landwirte gezahlt. Die      einer Familie in der Landwirtschaft fast
          restliche Unterstützung geht an größere        275 Prozent des durchschnittlichen Haus-
          landwirtschaftliche Betriebe, insbesonde-      haltseinkommens in der Gesamtgesell-
          re an die reicheren.11                         schaft, während es 175 Prozent in Däne-
                                                         mark, 160 Prozent in Frankreich und 110
             Als Folge hiervon verlieren kleinere        Prozent in den Vereinigten Staaten und
          Landwirte in Europa ihre Wettbewerbsfä-        Japan beträgt.16
          higkeit und scheiden aus der Landwirt-
          schaft aus. So gaben im Vereinigten Kö-           Im Jahr 2005 gaben die USA mehr als
          nigreich beispielsweise 17.000 Landwirte       $50 Milliarden an “Grüne Box”-Zahlungen
          und Landarbeiter 2003 die Landwirtschaft       aus. Zu den Empfängern zählen Ted Turner
          auf. Derzeit verliert die EU einen landwirt-   und David Rockefeller. 2001 erhielten die
          schaftlichen Betrieb pro Minute.12             20.000 Baumwollpflanzer der USA etwa
                                                         $3,9 Milliarden Subventionszahlungen.
              Dem reichsten Mann des Vereinigten         Der Wert der Baumwollernte auf dem
          Königreiches, dem Herzog von Westmins-         Weltmarkt betrug nur US $3 Milliarden. Ein
          ter, gehören rund 55.000 Hektar an land-       Baumwollpflanzer aus Arkansas erhielt z.B.
          wirtschaftlicher Nutzfläche. Er erhält Sub-    US $6 Millionen, was dem jährlichen Ein-
          ventionen in Höhe von durchschnittlich         kommen von 25.000 Baumwollpflanzern
          £300.000 als Direktzahlung und zusätzl-        in Mali entspräche. 2005 dürften die Sub-
          ich £350.000 pro Jahr für die 1200             ventionen für die Baumwolle in den USA
          Milchkühe, die ihm gehören.13                  auf $4,7 Milliarden ansteigen. Dies ist
             In Großbritannien gehört die Königliche     mehr als das Bruttoinlandsprodukt mehre-
          Familie zu den größten Nutznießern. Köni-      rer afrikanischer Länder und dreimal soviel
          gin Elisabeth die Zweite erhielt 2003-04       wie die Entwicklungshilfe, die die USA für
          mehr als £769.000 an landwirtschaftlichen      eine halbe Milliarde Afrikaner ausgibt, die
          Subventionen. Prinz Charles z.B. kommt in      in Armut leben.
          den Genuss von rund £300.000 an Zahlun-            Von 2000 bis 2003 kostete es durch-
          gen für die Landwirtschaft für seine per-      schnittlich $415 eine Tonne weißen Reis in
          sönlichen Güter im Herzogtum Cornwall          den USA anzubauen und zu verarbeiten.
          sowie für die Heimatfarm des Herzogtums.14     Allerdings wurde dieser Reis für nur $274
          In Dänemark gibt es 109 Empfänger, denen       pro Tonne exportiert, hauptsächlich in
          jährlich mehr als 134.353 Euro zugutekom-      Entwicklungsländer. Die Dumpingpreise
          men. Die Königliche Familie Dänemarks          liegen rd. 34 % unter den Selbstkosten.17
          gehört zu den größten Empfänger. 2003
          erhielt z.B. Prince Joakim Subventionen in
          Höhe von DKK 1,4 Millionen für die laufen-
          den Kosten seines Schackenborg-Gutes in
          Süd-Jütland.15

14
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

Fehlerhafte Rahmenbedingun-                    2003 erlangt hatten (gemäß derer die
gen                                            Entwicklungsländer Agrarsubventionen in
                                               den reichen Ländern nicht hatten anfech-
                                               ten können), ist annulliert worden. Nun
    Nach dem Scheitern des Treffens in
                                               werden die Entwicklungsländer mit einer
Cancún im September 2003 traten die
                                               mindestens genauso abträglichen neuen
Verhandlungen über ein neues Abkom-
                                               “Blauen Box” konfrontiert, gegen deren
men über die Landwirtschaft in eine kri-
                                               schädigende Wirkung sie nicht angehen
tische Phase. Es wurde deutlich, dass ein
                                               können.
Scheitern weiterer WTO-Ministerratstreffen
dem internationalen Handelsabkommen                Tatsächlich liefert das Rahmenabkom-
den Todesstoß versetzen würde. Deshalb         men den USA und der EU ein Polster, das
verlegte man sich darauf, die Entschei-        es ihnen erlaubt, vorhandene Agrarsub-
dungsebene auf den Allgemeinen Rat der         ventionen über das derzeitige Maß hinaus
WTO zu verlagern. Ergebnis ist das in          anzuheben. Bei genauer Durchsicht des
Genf hastig unterzeichnete Rahmenab-           Entwurfs stellt sich heraus, dass die erste
kommen vom Juli 2004. Es hat zwar nicht        Rate einer Kürzung von Subventionen um
sonderlich rechtliches Gewicht, genießt        20 Prozent nich von der derzeitigen wirk-
aber eine breite politische Unterstützung,     lichen Höhe der Subventionen ausgeht,
was in dieser Phase der Verhandlungen          sondern von einem theoretischen, sehr
noch wichtiger ist.                            viel höheren Betrag. Das wurde jetzt au-
                                               torisiert. Im Falle der EU dürfte sich die
    Das Rahmenabkommen enthält leere
                                               Ausgangsbasis auf 101,6 Milliarden Euro
Versprechungen zur Reduzierung umstri-
                                               erlaubte Subventionen belaufen. Nach
ttener Agrarsubventionen. Tatsächlich bie-
                                               der ersten Kürzung würden die erlaubten
tet es das Zugeständnis zur Erhöhung von
                                               Subventionen bei 81,3 Milliarden Euro
Agrarsubventionen für die Industrieländer
                                               liegen.18 In ähnlicher Weise erlaubt das
und ersucht gleichzeitig offeneren Zugang
                                               Rahmenabkommen den USA Subven-
zu den Märkten der Entwicklungsländer.
                                               tionen von derzeit US $ 19,1 Milliarden
    Der Teufel steckt im Detail. In Para-      auf US $ 48,8 Milliarden zu erhöhen.
graph 7 des Rahmenübereinkommens für           Selbst nach den 20 Prozent Kürzungen des
die Landwirtschaft (endgültiger Entwurf        ersten Jahres der Umsetzung lägen diese
vom 31. Juli) steht: “Als erste Rate der Ge-   handelsverzerrenden Subventionen
samtkürzungen wird die Summe aller han-        immer noch 100 Prozent höher als bisher
delsverzerrenden Unterstützungen im ers-       erlaubt - und zwar bei US $39,1 Milli-
ten Jahr der Umsetzungsperiode 80 Pro-         arden.
zent der Gesamtsumme der gebundenen
                                                  Andererseits wollen die USA die US $
AMS, plus der erlaubten de minimis Sub-
                                               180 Milliarden in die Blaue Box verla-
ventionen und plus der Blauen Box gemäß
                                               gern, die sie ihren Landwirten gemäß der
dem in §15 vorgeschriebenen Niveau
                                               berüchtigten “Farm Bill” 2002 über zehn
nicht überschreiten”. Was bedeutet dieser
                                               Jahre zukommen lassen wollen (70 Pro-
Satz? Er sagt, dass alle politischen An-
                                               zent dieser Summe sollten über die ersten
strengungen der Entwicklungsländer, die
                                               drei Jahre ausgegeben werden). Seit
handelsverzerrenden “Blaue Box-Maß-
                                               Beginn der Doha-Runde haben die USA
nahmen” zu beseitigen, gescheitert sind.
                                               die Unterstützung für die Landwirtschaft
Man hat sich diesem Ziel sogar entfernt.
                                               um US $ 7 Milliarden pro Jahr ange-
Der Satz ermöglicht es den Industrielän-
                                               hoben.19
dern, einen großen Teil ihrer Agrarsubven-
tionen von der “Gelben Box” in die “Blaue         Das Rahmenabkommen erlaubt auch
Box” zu verlagern. Den Vorteil, den die        mehr Schutzmaßnahmen für die Industrie-
Entwicklungsländer mit der Beendigung          länder. Es ist sogar so, dass sie die
der Friedensklausel am 31. Dezember            eigentlichen Nutznießer der “Sonder- und

                                                                                              15
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

          Vorzugsbehandlung” sind und nicht die         gebrochen. Der Umfang der zur Verfügung
          Entwicklungsländer. Sie können z.B. die       gestellten Subventionen ermöglicht es den
          “spezielle Schutzklausel” für sich in An-     Industrieländern, ihre Produkte zu Preisen
          spruch nehmen. Obendrein sorgen die           zu verkaufen, die niedriger liegen als die
          Bestimmungen zur Auszeichnung einiger         Produktionskosten. Als Folge werden die
          Produkte als “sensitive Produkte” dafür,      Weltmarktpreise für die meisten Grund-
          dass Schlüsselprodukte aus Reduktions-        nahrungsmittel gedrückt. Das wiederum
          verpflichtungen ausgenommen werden            verdrängt die Landwirte in den Entwick-
          können. Die Absicherung der Binnen-           lungsländern aus den Märkten.
          märkte ist für die Industrieländer massiver
          geworden. Würden die Schutzwirkungen             Was die Industrieländer predigen steht
          von heimischer Unterstützung gemessen,        im Gegensatz zu dem, was sie praktizie-
          so stiege der Zollschutz in der EU und den    ren. Hier sind einige der erstaunlichen
          USA insgesamt kräftig an.20 Sie können        Methoden, derer sie sich bedienen, um
          die für ihre Landwirtschaft durch die Li-     ihre Landwirtschaft zu schützen.
          beralisierung verursachten Preissenkungs-        Vor allem die USA haben strenge und
          effekte mittels direkter Zahlungen kom-       ausgeklügelte Anti-Dumping-Gesetze, um
          pensieren und alle "nicht-handelsbezoge-      ihre eigenen Märkte zu schützen und sie
          nen Anliegen" in bar bezahlen. Die Ent-       haben keine Bedenken, ihre Anti-Dump-
          wicklungsländer stehen bloß da.               ing-Maßnahmen auch voll gegen andere
                                                        Länder einzusetzen. Das US-amerikani-
          Mit zweierlei Maß                             sche Gesetz “Abschnitt 301 des Handels-
                                                        gesetzes von 1974” definiert rein unila-
                                                        teralen, was die USA als unfaire Handels-
             Das hohe Niveau der Unterstützung für      praktiken betrachten. Dieses Gesetz gibt
          die Landwirtschaft in den Industrieländern,   dem US-amerikanischen Handelsbeauf-
          das über US $ 350 Milliarden pro Jahr         tragten weitreichende Befugnisse bei der
          liegt21, regt die Überproduktion an und       Bestimmung dessen, was Dumping ist.
          drückt die Weltmarktpreise, wodurch Pro-      Das US-amerikanische Anti-Dumping-
          duzenten in den Entwicklungsländern vom       Gesetz wurde wirkungsvoll eingesetzt, z.B.
          Markt gedrängt werden. Zugleich haben         gegen Pilze und Lachs aus Chile, gefrore-
          die Exportsubventionen weitreichende          nen brasilianischen Orangensaft, frische
          Handelsverzerrungen zur Folge. Werden         Blumen aus Kolumbien, Chile, Ekuador
          die technischen Handelsbarrieren für          und Mexiko, Tomaten aus Mexiko und
          Agrarimporte, die wie selbstverständlich      Honig aus Argentinien.
          von Europa, Japan und den Vereinigten
          Staaten den Exporteuren auferlegt wer-           Kein Entwicklungsland hat vergleich-
          den, hinzugenommen, so verwandelt sich        bare Maßnahmen gegen US-Agrarexpor-
          der internationale Agrarhandel in eine Ein-   te angewendet. Die Erfahrung vieler la-
          bahnstraße - die Warenströme fließen nur      teinamerikanischer und karibischer Län-
          von den Industrieländern in die Entwick-      der mit der Anwendung von Abschnitt 301
          lungsländer.                                  hat sie extrem misstrauisch gemacht ge-
                                                        genüber den US Standards zu Anti-Dum-
             Während die Entwicklungsländer ihre        ping-Maßnahmen. Allein schon die
          Märkte geöffnet, quantitative Beschrän-       Drohung der US-Regierung, sich auf Ab-
          kungen entfernt und ihre Kleinproduzen-       schnitt 301 zu berufen, hat dazu geführt,
          ten dem Wettbewerb mit den subventio-         dass Entwicklungsländer ihre Exporte be-
          nierten Exporten aus den industrialisierten   schränkten.
          Ländern ausgesetzt haben, haben die rei-
          chen und entwickelten Länder eine weitere        Zolleskalation, d.h. Zölle, die mit jeder
          Stärkung des Protektionismus vorgenom-        Stufe der Verarbeitung ansteigen, ist ein
          men. Damit haben sie das Vertrauen in         Standardmerkmal des Protektionismus in
          das Argument des freien Handels selbst        den Industrieländern. In der EU unterliegen

16
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO

vollständig verarbeitete Produkte Zöllen,           lungsländer stetig angestiegen ist. Men-
die fast zweimal so hoch sind wie die Zölle         genmäßig stiegen die Bruttolebensmittel-
im ersten Stadium der Produktion, sofern            importe jährlich um 5,6 Prozent an - viel
es sich um tropische Waren handelt. Zum             mehr als das jährliche Importwachstum
Beispiel müssen lateinamerikanische Ex-             der Industrieländer von 1,9 Prozent.22 Der
porteure die EU Zölle einkalkulieren, die           Anstieg ist in den am wenigsten entwickel-
für Tomatensoße fünfmal höher sind als              ten Ländern am stärksten. Hier stieg der
für frische Tomaten. Gleichzeitig werden            Wert der Lebensmitteleinfuhren von 1 Pro-
frischen Tomaten in der EU während der              zent ihres BIP auf mehr als 4 Prozent. Dies
Saison in Europa exorbitante Zölle auf-             bedeutet, dass die Steigerung der Aus-
erlegt. Sie dienen hauptsächlich dem                gaben für Lebensmittelimporte höher ist
Schutz der italienischen und spanischen             als die des Wirtschaftswachstums. Ebenso
Produzenten gegen ihre Konkurrenten in              bliebt ihre Einnahmensteigerung aus
Lateinamerika sowie, in geringerem Ma-              Agrarexporten hinter den entsprechenden
ße, in Afrika. Ganz Westafrika wird gleich-         Importzahlen zurück. Ein derartiger Wirt-
zeitig von europäischen Tomatenmark und             schaftstrend verschärft noch einmal die
anderen Verarbeitungsprodukten über-                Armutstrends in diesen Ländern.
schwemmt.
                                                       Das WTO-Abkommen über die Land-
   Es ist somit nicht verwunderlich, dass           wirtschaft kam zu einem Zeitpunkt, als die
seit den siebziger Jahren der Anteil im-            Preise der meisten Exporte aus den Ent-
portierter Lebensmittel im durchschnittli-          wicklungsländern ihren tiefsten Stand seit
chen Warenkorb der allermeisten Entwick-            der Großen Depression der dreißiger
                                                    Jahre erreicht hatten. In den vergangenen
                                                    zwei Jahrzehnten sind die Preise für Agrar-
            Nicht-tarifäre
                                                    produkte um etwa 50 Prozent gefallen,
          Handelshemmnisse
                                                    wenn sich auch die Preise während der
 Tiviski, ein erfolgreiches mauretanisches          vergangenen zwei Jahre aufgrund der
 Unternehmen, ist jahrelang daran ge-               wachsenden Nachfrage in China margi-
 hindert worden, seinen pasteurisierten             nal wieder ein wenig erholt haben.
 Kamelkäse an die EU zu verkaufen.                  Daraus errechnet sich ein Nettoverlust von
 Obwohl in Deutschland ein Käufer                   US$60 Milliarden pro Jahr an Einnah-
 gefunden wurde, sind Tiviskis Bemühun-             menverluste aus den Agrarexporten der
 gen durch EU-Handelsbestimmungen                   Entwicklungsländer.23
 vereitelt worden - oder vielmehr durch
                                                        Angesichts der langfristigen Trends und
 das Fehlen solcher Bestimmungen! Die
                                                    der kurzfristigen Schocks auf den Waren-
 EU hat keine besonderen Regelungen
                                                    märkten für Agrarprodukte stellt sich
 für Kamele, und die Verabschiedung
                                                    deutlich heraus, dass die direkten Auswir-
 einer besonderen Richtlinie wäre nötig,
                                                    kungen weit über Haushalte und Gemein-
 um Tiviski die Erlaubnis zu erteilen, sei-
                                                    den hinaus die ganze Volkswirtschaft
 nen Kamelkäse zu exportieren. Die Firma
                                                    betreffen. Der freie Handel wirkt sich u.a.
 ist also nicht in der Lage, Zugang zu
                                                    negativ auf das Durchschnittseinkommen
 lukrativen EU-Märkten zu erhalten. Dies
                                                    der ländlichen Haushalte und demzufolge
 bedeutet versäumte Gelegenheiten für
                                                    den Lebensstil aus, indem er Löhne auf
 die 800 nomadischen Herdentreiber,
                                                    dem Lande untergräbt und Arbeitslosig-
 die von höheren Einkommen aufgrund
                                                    keit verschärft. Was allerdings zwischen
 ihrer Milchverkäufe an die Firma profi-
                                                    den empirischen Belegen, Computersi-
 tiert hätten.
                                                    mulationen und den linearen Modellen
 Quelle: Oxfam (2002) Milking The CAP: How          verloren geht, ist das menschliche Gesicht,
 Europe's dairy regime is devastating livelihoods   ist der verheerende Schaden, den die
 in the developing world. Oxfam Briefing Paper
                                                    unfairen Handelsregeln für die Lebens-
 # 34 Oxfam Dezember 2002.
                                                    grundlagen von Bauern in Entwicklungs-

                                                                                                    17
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