Liberalisierung des Agrarhandels - Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Devinder Sharma - Forum Umwelt ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Globale Gerechtigkeit ökologisch gestalten Liberalisierung des Agrarhandels Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Devinder Sharma
Liberalisierung des Agrarhandels Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Studie in Auftrag gegeben von: APRODEV, Brüssel Forum Umwelt & Entwicklung, Bonn Autor: Devinder Sharma, Forum for Biotechnolgy & Food Security, Neu-Delhi/Indien Kernteam für Recherchen und Erstellung der Studie: Bhaskar Goswami T.N. Prakash Abigail Dymond Raghav Narsalay Devinder Sharma
Impressum Herausgeber: Forum für Umwelt & Entwicklung Am Michaelshof 8-10 D-53177 Bonn Telefon: 0228-359704 Fax: 0228-92399356 E-Mail: info@forumue.de Internet: www.forumue.de Mitherausgeber: APRODEV Forum for Biotechnology & Food Security Boulevard Charlemagne 28 G-3/F, DDA Flats, Munirka B-1000 Brussels Neu-Delhi-110067 - Indien Telefon: +32-2234-5660 +91-11-2617-6343 Fax: +32-2234-5669 E-Mail: aprodev@aprodev.net fighting_hunger@yahoo.co.in Internet: www.aprodev.net Finanziert von: Evangelischer Entwicklungsdienst EED Church of Sweden ICCO, Niederlande Norwegian Church Aid Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BMZ/GTZ (“Aktionsprogramm Welternährung”) Die hier vertretenen Meinungen/Inhalte entsprechen nicht immer denen der Geldgebern. Verantwortlich: Rob van Drimmelen, Aprodev Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung Autor: Devinder Sharma, Forum for Biotechnology & Food Security, Neu-Delhi/Indien Redaktion: Rudolf Buntzel, Ev. Entwicklungsdienst EED Layout: Bettina Oehmen Druck: Knotenpunkt, Buch Titelfotos: re - epd-bild/version/Ralf Marco li - DEUFA/K.-J. Högerl Februar 2006 2
Inhalt Inhalt Einleitung ........................................................................................ 4 Zusammenfassung ........................................................................... 6 Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO .......................... 8 Afrika ............................................................................................. 19 Lateinamerika und Karibik .......................................................... 26 Asien .............................................................................................. 32 Schlussfolgerung ........................................................................... 38 Anhang I: Länderfallstudien ........................................................ 44 Anhang II: Internationaler Agrarhandel ist kein Selbstzweck ........................................................................... 67 Abkürzungen ................................................................................. 74 Glossar ........................................................................................... 75 3
Einleitung Einleitung Die Hungersnot war so schlimm, dass es im ganzen Lande kein Brot gab, und Ägypten und Kanaan lagen dar nieder. Joseph sammelte das ganze Silber in Ägypten und Kanaan ein als Preis für das Korn, das die Menschen aufkauften, und legte es zum Schatz des Pharaos. Als das ganze Silber Ägyptens und Kanaans aufgebraucht war, kamen die Ägypter zu Joseph und sagten: ‘Gebt uns Brot, sonst sterben wir vor deinen Augen. Wir haben alles Silber ausgegeben’. Joseph sagte: ‘Ist euer Silber aufgebraucht, so gebt mir eure Herden, und ich werde euch dafür Brot geben’. Also brachten sie Joseph ihre Herden, der ihnen für ihre Pferde sowie Schafs- und Rinderherden und ihre Maultiere Brot gab. In jenem Jahr versorgte er sie mit Brot im Austausch für ihre Herden. Das Jahr ging zuende, und im folgenden Jahr kamen sie wieder zu ihm und sagten: ‘O Herr, wir können es nicht vor Euch verbergen: Unser Silber ist aufgebraucht, und unsere Rinder- herden gehören Euch. Nun bleibt nichts für Euch, O Herr, übrig außer unseren Körpern und unserem Land. Warum sollten wir vor Euren Augen eingehen, wir und auch unser Land? Nehmt uns und unser Land im Austausch für Brot, und wir begeben uns mit unserem Land in die Leibeigenschaft des Pharaos. Gebet uns Kornsamen, um uns am Leben zu erhalten, da wir sonst sterben und unser Land eine Wüste wird’. So kaufte Joseph alles Land in Ägypten für den Pharao auf, da die Ägypter alle ihre Felder verkauften - so schwer war die Hungersnot; das Land wurde Eigentum des Pharaos. Was die Menschen betraf, so hielt der Pharao sie von einem Ende des Gebietes von Ägypten zum anderen zum Arbeiten an. Allerdings kaufte Joseph nicht das Land, das den Priestern gehörte; sie bekamen ein festes Einkommen vom Pharao, von dem sie auch lebten, sodass sie keinen Grund hatten, ihr Land zu verkaufen. Joseph sagte den Menschen: ‘Hört: heute habe ich euch und euer Land für den Pharao gekauft. Hier sind Kornsamen für euch. Sät das Korn aus, und gebt dem Pharao ein Fünftel der Ernte. Vier Fünftel werden euer sein damit ihr Samen für eure Felder und Essen für euch, eure Haushalte und diejenigen, die von euch abhängen, habt’. Die Menschen sagten: ‘Ihr habt unser Leben gerettet. Falls es Euch, O Herr, gefällt, werden wir Sklaven des Pharaos’. Joseph machte es zum Gesetz in Ägypten, dass ein Fünftel dem Pharao gehören sollte, und dieses Gesetz ist noch immer gültig. Nur das Land der Priester gelangte nicht in die Hände des Pharaos. (Genesis 47:13-26, NEB) ‘Unser täglich Brot’ ist nicht bloß irgend- benutzt. Zur Absicherung menschlicher eine Ware, die den Kräften des Marktes Grundbedürfnisse sowie der Rechte aller überlassen werden kann. Auch sollte es nicht sind ausgewogene politische Ansätze ge- durch eine Politik regiert werden, die sich fragt. Ein derartig ausgewogener Ansatz mit eng auf den Schutz der Interessen von klei- Bezug auf die Ökonomie der Lebensmit- nen Gruppen von Akteuren beschränkt oder telherstellung sowie der Verteilung und die Nahrungsmittel als politisches Werkzeug Konsumierung der Lebensmittel sollte 4
Einleitung systematisch die Muster der Verfügung über ler politischer Ansätze in der Landwirtschaft Ressourcen sowie des Zugangs zu ihnen und unter dem derzeitigen Regime darstellt. ihrer Verwendung ansprechen mit dem end- Hiervon könnten wichtige Lehren für notwen- gültigen Ziel der Beseitigung von Armut, dige Schritte in der Zukunft gezogen werden. Hunger und Ungerechtigkeit. Bei der Zusammenstellung dieses Be- Die Geschichte Genesis 47 wurde vor richtes arbeitete Devinder Sharma mit vielen Jahrhunderten geschrieben. Den- einem Team vier weiterer Forscher zusam- noch kommt sie uns nur allzu vertraut vor, men: Herrn Dr. T.N. Prakash, Herrn Bhaskar wenn wir uns die Lage der Welt von heute Goswami, Herrn Raghav Narsalay und vor Augen führen. Sie erzählt von der un- Frau Abigail Dymond. Devinder Sharma geheueren Macht, die mit der Kontrolle über wurde nicht darum gebeten, den Stand- Lebensmittel und Landwirtschaft verbunden punkt Aprodevs und seiner Mitgliedsorga- ist. Auch heute wird der Landbesitz immer nisationen wiederzugeben, sondern er sollte mehr in den Händen einiger Weniger kon- seinen Bericht aus der Perspektive von je- zentriert. Viele Kleinbauern sind de facto mandem schreiben, der im Süden lebt und “Leibabhängige” des agroindustriellen arbeitet. Das Ergebnis ist eine teilweise Komplexes, und viele Regierungen ver- provokative Analyse, die, so hoffen wir, Dis- treten und verteidigen die Interessen mäch- kussionen anregen wird über die ernsten tiger Gruppen in unserer Gesellschaft. Des- Probleme, mit denen wir konfrontiert sind. halb kann durchaus die Frage gestellt wer- den, wer die Pharaos, die Josephs, die Auf der Grundlage dieser Analyse, und Ägypter und die Priester der heutigen Welt auch als komplementärer Ansatz, verfasste sind. die Arbeitsgruppe Landwirtschaft und Er- nährung des Forums Umwelt & Entwick- Ohne Zweifel ist die Welt von heute sehr lung eine Stellungnahme, in der sie ihre viel komplexer als die Situation, in der sich Ansichten über die Hauptthemen, die in die Ägypter vor vielen Jahrhunderten den derzeitigen WTO-Verhandlungen über befanden. Mehr denn je zuvor haben poli- landwirtschaftliche Fragen diskutiert tische Ansätze und Ereignisse in einem Teil werden, darstellt. Diese Stellungnahme ist der Welt im wörtlichen Sinne weitreichende als Anhang in dieser Publikation enthalten. Auswirkungen auf Menschen in Ländern, die auf der anderen Seite des Globus lie- Wir sind Devinder Sharma und seinem gen, gehabt. Die Liberalisierung des Agrar- Team sehr dankbar für die Zusammen- handels so, wie sie im Kontext der Welt- stellung dieses Berichtes und wir hoffen, dass handelsorganisation (WTO) verhandelt die Ergebnisse die Leser überzeugen wer- wird, ist ein wichtiger Faktor - wenn auch den, dass mit Blick auf heutige und künftige nicht der einzige -, der zu einer verstärkten Generationen grundlegende Veränderun- Marginalisierung vieler armer Menschen in gen der nationalen, regionalen und interna- der Welt führt. tionalen Ansätze der Agrarpolitik notwendig sind. Fragen der Landwirtschaft standen hoch auf der Tagesordnung des WTO-Minis- Rudolf Buntzel, Vorsitzender der Arbeitsgruppe tertreffens in Hongkong im Dezember Aprodev zu Handel, Ernährungssicherheit und 2005. Um das komplizierte globale Bild Gender. zu entwirren, bat Aprodev und das Forum Rob van Drimmelen, Generalsekretär Umwelt & Entwicklung den bekannten indi- Aprodev schen Journalisten und Forscher Devinder Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung Sharma, einen Bericht zu schreiben, der die Auswirkungen internationaler und nationa- Bonn und Brüssel, November 2005 5
Zusammenfassung Zusammenfassung A ngebliche Zusammenhänge zwischen lungsprogramm der Vereinten Nationen der Liberalisierung des Handels und (UNDP) stellte jedoch später fest, dass solche der menschlichen Entwicklung sind Studien fehlerhaft sind.1 vielfach konstatiert worden. So trüge der Handel zum Wachstum bei, ermögliche höhere Bei solchen theoretischen Überlegungen und Einkommen und eröffne enorme Beschäfti- bei der Anwendung derartiger Computermo- gungspotenziale, das wiederum die Minderung delle wird vergessen, dass es bei Entwicklung der Armut unterstützen soll. Sofern das Umfeld nicht um Wachstumszahlen, sondern um Men- stimmig sei, schaffe der internationale Handel schen geht. Der Zusammenhang zwischen der engere Bindungen der Länder untereinander Liberalisierung des Agrarhandels und der Ar- und verringere so wirtschaftliche Disparitäten. mutsminderung muss gemessen werden an- hand der konkreten Auswirkungen, die sie auf In den letzten Jahren ist dem Agrarhandel die Existenzbedingungen in der Landwirtschaft zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt sowie auf die nationale Ernährungssouveränität worden. Auch wird er als Vehikel eines welt- hat. Rein empirische ökonomische Impulse für weiten Wachstums und als Förderer der Gleich- Wachstum sind für sich allein genommen noch heit angesehen. Die Liberalisierung würde die kein Maß für menschliche Entwicklung. Solche Märkte ausweiten und Verzerrungen, die aus Betrachtungen laufen Gefahr, den Menschen dem hohen Schutzniveau für den Landwirt- selbst aus der Diskussionen über Entwicklung schaftssektor resultieren, abbauen. Dadurch zu verdrängen. Eine genauere Betrachtung der schaffe der globale Agrarhandel nicht nur Auswirkungen des freien Agrarhandels auf Erleichterungen für den Wettbewerb, sondern menschliche Lebensbedingungen könnte diesen unterstütze auch das Wachstum in einem Trend sogar umkehren. Bereich, der direkt mit Armut und Hunger zu- sammenhängt. Das Hauptziel des Agrarhandels Armutsverringerung hängt nicht einfach von bestehe darin, so wird behauptet, ein Umfeld Ertragssteigerung und mehr internationalem für die Ärmsten der Welt zu schaffen, das sie in Handel in der Landwirtschaft ab. Das WTO-Ab- die Lage versetzen würde, enorme Einkom- kommen zur Landwirtschaft zielte auf multila- mensverbesserung zu erzielen und ein gelin- terale Regeln ab, die den dringend benötigten gendes Leben zu realisieren. Ansporn zu Wachstum und Effizienz liefern wür- den. Diese Regeln waren wesentlich darauf ge- Laut Schätzungen der Weltbank könnte richtet, gleiche Ausgangsbedingungen für alle höheres Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Betroffenen zu schaffen. Es stellte sich im Nach- globaler Verringerung von Schutzmaßnahmen hinein heraus, dass sie den Schutz der Agrar- im Handel die Anzahl der Menschen, die in interessen der Industrieländer bewirken. Sie Armut leben, bis zum Jahre 2015 sogar um 13 geben vor, der Armutsbeseitigung und der Hilfe Prozent reduzieren. Konkret bedeutet dies, dass für kleine und marginalisierte Bauern in den Ent- 300 Millionen Menschen von der Armut befreit wicklungsländern zu dienen. Tatsächlich aber würden. William Cline (2003) schätzte aufgrund konnten die reichen und mächtigen Länder da- eines Computermodels, dass der freie Handel mit fortfahren, eine noch höhere Schutzmauer 75 Millionen Menschen in Indien aus der Armut um ihren Landwirtschaftssektor zu erreichen. entlassen könnte. Eine Vielzahl anderer Studien verwies auf den direkten Zusammenhang Dieser Bericht macht den Versuch, das brei- zwischen “offenen” Volkswirtschaften und te Spektrum der Fragestellungen zu umreißen, schnellerem Wachstum. Jeffrey Sachs und An- die derzeit den Kern der laufenden Verhand- drew Warner (1995) zogen den Schluss, dass lungen bei der WTO über die Landwirtschaft sich der Wirtschaftsumfang offener Volkswirt- ausmachen. Er will auch die Auswirkungen schaften innerhalb von 16 Jahren verdoppele, zurückverfolgen, die die handelspolitischen Rege- während geschlossene Volkswirtschaften hier- lungen auf die Agrarsysteme in den Entwick- für einhundert Jahre benötigen. Das Entwick- lungsländern gehabt haben. Ungeachtet der 6
Zusammenfassung Theorie muss die Realität bestätigen, ob die un- Unterhändler bei den WTO betrachten solche terstellten Zusammenhänge zwischen Agrar- Trends als kurzfristige Störungen, die der Handel handel und Entwicklung wirklich bestehen. Es langfristig angeblich ausgleicht. Jedenfalls werden gibt zwar umfangreiche empirische Literatur, in deshalb die ‚Spielregeln' im Handel nicht extra der diesen Zusammenhängen nachgegangen geändert, etwa um eine Minimierung der wird; kommen wir jedoch zu den Lebensreali- negativen Auswirkungen zu erreichen. Wie der täten der Betroffenen, erleben wir die Realität Bericht zeigt, steht ein Großteil der Entwick- noch anders. lungsländer - in Asien, Lateinamerika und Afrika - vor einer ernsten Krise ihrer Landwirtschaften. Angesichts der Vielfalt der Regionen und der Dies ergibt sich aus den kumulativen Effekten ver- sozioökonomischen Bedingungen wurde davon schiedener Politiken der Wirtschaftsliberalisierung. ausgegangen, dass die Auswirkungen der Han- Eine davon ist das WTO-Agrarabkommen. delsliberalisierung uneinheitlich sein würden. Dieser Bericht versucht, über die übliche Dis- Vier Jahre nach dem Beginn der Doha-Ent- kussion zu Handel und Entwicklung hinauszu- wicklungsrunde, die 2001 gestartet wurde, ist es gehen. Er wirft einen Blick darauf, wie die Ent- den Industrieländern noch immer nicht gelun- wicklungsländer in einer Ära des freien Marktes gen, ihr Versprechen zu erfüllen, dass der inter- zurechtkommen. Die vorhandene Literatur zur nationale Handel Entwicklung begünstige. Keine Liberalisierung des Agrarhandels sowie ihren hinreichend gewichtige Regel ist seitdem in die Auswirkungen wurde gesichtet. Dabei wird sehr Verpflichtungen der WTO aufgenommen wor- deutlich, dass die Auswirkungen des Agrarab- den, die es geschafft hätte, eine positive Wende kommens nicht isoliert betrachtet werden kön- herbeizuführen. Das Rahmenabkommen von Juli nen. Für eine große Anzahl von Entwicklungs- 2004 mag zwar als “historisch” bezeichnet ländern war für die Agrarliberalisierung nicht die werden; doch zeigt unsere Analyse, dass es die WTO ausschlaggebend, sondern der Prozess der vorhandenen Handelshemmnisse sogar noch Liberalisierung, der von den in den achtziger stärkt. Zudem bietet es den Industrieländern noch Jahren durchgeführten Strukturanpassungspro- weitere Puffer, um die Subventionen in der grammen ausging. Die Weltbank und der Inter- Landwirtschaft weiter zu steigern. Wie überhaupt nationale Währungsfonds waren hierfür die in Bezug auf das ganze WTO-Paket, so wird auch Auslöser. für das WTO-Agrar-Rahmenabkommen vom Juli 2004 viel zu kräftig die Werbetrommel gerührt. Der Bericht kommt jetzt, zehn Jahre nach der Gründung der WTO, zu der Schlussfolgerung, Unabhängig davon ob wir den Bericht nun dass sich die Liberalisierung des Agrarhandels als “journalistisch” oder gar “emotional” be- katastrophal auf die bäuerlichen Gemeinschaf- zeichnen, hat er doch eine ganze Reihe von Stu- ten und landlosen Arbeiter, insbesondere Frau- dien und Literatur aus den verschiedensten Kon- en, auswirkte. Im vergangenen Jahrzehnt sind tinenten gesichtet. Neben dem regionalen Über- ländliche Existenzen in den Entwicklungsländern blick legt der Bericht auch einige nationale Fall- im großen Ausmaß zusammengebrochen, was studien vor. Dadurch wird sowohl statisch als zu mehr Arbeitslosigkeit auf dem Lande und auch dynamisch der negative Effekt der Libera- stärkerer Landflucht geführt hat. Auch zeigt dieser lisierungspolitiken offenbar. Bericht, wie Agrarexporte von Entwicklungslän- dern weiterhin eingeschränkt bleiben und wie Wir hoffen, dass der Bericht den Politikern, Importfluten in vielen Entwicklungsländern Han- Aktivisten, Betroffenen, Forschern und Akade- delsbedingungen verändert und ländliche Ge- mikern, Organisationen der Zivilgesellschaft und meinwesen weiter marginalisiert haben. den politischen Herrschenden die Augen öffnen wird. Wir sind zuversichtlich, dass - zusammen Aus der ganzen Welt erreichen uns Berichte mit einer kleinen Anzahl von Vorschlägen zum zu folgenden Trends: rasant ansteigende Im- Abschluss, wie sich Handel fair und gerecht ge- portfluten, Preisdruck, Verlust von Lebensgrund- stalten lässt - der Bericht dazu beitragen wird, lagen, Aufgabe heimischer Unternehmen, einer den Schwerpunkt des internationalen Agrarhan- Verschiebung von Anbaumustern hin zu einer dels wieder dorthin zu verlagern, wo er von exportorientierten “Cash-Crop”-Landwirtschaft, Rechts wegen hingehört: den Kleinbauern Kontrolle der Landwirtschaft durch Konzerne. Die wieder Grund zur Hoffnung zu geben. 7
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Liberalisierung des Agrarhan- dels: Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO “Würden jene hohen Zölle auf einen Schlag entfernt, so könnten billigere ausländische Waren derselben Sorte derart schnell in den einheimischen Markt strömen, dass viele Tausende unserer Menschen sofort ihrer üblichen Beschäftigung und Subsistenz- grundlage beraubt wären. Das Durcheinander, das solch ein Vorkommnis (darstellen) könnte, (wird) zweifelsohne sehr erheblich sein.” Adam Smith in Wealth of Nations2 Hintergrund wenn arme Menschen zu Nutznießern der Globalisierung werden sollten. Heute ahnen wir: Der Prozess der Wirtschaftsli- Vor über 200 Jahren malte der Haupt- beralisierung könnte viele arme Gemein- architekt des Freihandels-Paradigmas, schaften um eine Generation zurückge- der Ökonom Adam Smith, die verheeren- worfen haben.3 den Folgen eines unausgeglichenen Han- delsregimes aus. Seine Warnungen blie- In den neunziger Jahre hat eine große ben unbeachtet. Hätte man seine Lehre Anzahl von (oftmals wiederholten) Bekun- ernst genommen, hätten diejenigen, die digungen der internationalen Völkerge- heute unter Hunger leiden und in erbärm- meinschaft mehr Hilfe für die arme Land- licher Armut leben, vom raschen Wirt- bevölkerung versprochen: z.B. die UN- schaftswachstum viel eher profitierten Resolution zum Recht auf Entwicklung, der können. “Menschenrechtspakt zu den wirtschaftli- chen, sozialen und kulturellen Menschen- Es herrscht weitgehende Einigkeit rechten”, der Welternährungsgipfel, Welt- darüber, dass Handelsliberalisierung sozialgipfel und die Millenniumserklä- einen signifikanten Beitrag zum globalen rung der UN-Vollversammlung. Globali- Wirtschaftswachstum leisten und auf die- sierung wurde zum Schlüsselbegriff. War se Weise die Armut reduzieren kann. Aller- 1960 das reichste Fünftel der Weltbevöl- dings ist das Ausmaß ihrer Auswirkung kerung 30-mal wohlhabender als das auf die Armen nicht hinreichend unter- ärmste Fünftel, stieg diese Zahl auf 74 bis sucht worden. Vor zehn Jahren wurde die 1997 an. Während die Globalisierung Welthandelsorganisation (WTO) gegrün- fortschreitet, häufen die 500 reichsten Per- det, und vor rund 20 Jahren gingen die sonen der Welt enorme Reichtümer an. Verfechter einer radikalen Wirtschafts- Ihr Gesamteinkommen ist größer als das, liberalisierung zur erzwungenen Öffnung was den 416 Millionen Ärmsten zur Ver- der Märkte und Abbau der staatlichen fügung steht. Interventionen in den Entwicklungslän- dern über. Dabei gingen sie davon aus, Jenseits dieser Extreme verfügen 40 dass Volkswirtschaften wachsen müssten, Prozent der Ärmsten der Welt über ganze 8
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO 5 Prozent des globalen Einkommens; sie Die Aufhebung von Schutzbe- machen rund 2,5 Milliarden Menschen aus, die mit weniger als $ 2 pro Tag auskommen stimmungn in der Landwirt- müssen. Die reichsten 10 Prozent, von schaft denen fast alle in Ländern mit hohem Ein- kommen leben, verfügen über 54 Prozent.4 In den Volkswirtschaften der Länder mit Im Großen und Ganzen sind die Armen von niedrigem Einkommen spielt die Landwirt- den Vorteilen der wirtschaftlicher Entwick- schaft eine zentrale Rolle. Sie schafft mehr lung ausgeschlossen geblieben. als 70 Prozent der Arbeitsplätze - zum Ver- Kein Wunder, wenn das derzeit vor- gleich sind dies 30 Prozent in Ländern mit mittlerem und ganze 4 Prozent in den Län- herrschende Paradigma der Marktwirt- schaft das Elend der ländlichen Armen dern mit hohem Einkommen.5 Mehr als 3,1 ignoriert. Diesem Paradigma haben sich Milliarden Menschen in den Entwicklungs- ländern sind direkt oder indirekt von der z.B. beherzt die Stabilisierungsprogram- me der Bretton-Woods-Organisationen Landwirtschaft als Existenzgrundlage abhän- verschrieben (Weltbank, Internationaler gig. Für die Mehrheit von ihnen bedeutet Währungsfond), jetzt flankiert durch die die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte Verträge der WTO. Mark Malloch Brown, oder die Weiterverarbeitung und der Han- ehemaliger Generalsekretär des UN-Ent- del mit Agrarprodukten die einzige Ein- wicklungsprogramms, verwarf diese wirt- kommensquelle. schaftlichen Rezepte, die zur Verringerung Lange bevor die WTO entstand, hatten globaler wirtschaftlicher Ungleichheit ver- eine ganze Reihe von Entwicklungsländer- teilt wurden. Bei der Veröffentlichung des Regierungen starke Strukturveränderungen Berichts über die Menschliche Entwicklung bei ihrer Agrarpolitik durchgeführt. Diese 2003 konstatierte er: “Im sogenannten Prozesse waren gestützt auf den Rat der großartigen Jahrzehnt fiel ein sehr be- Weltbank/IWF. Unter dem Deckmantel der achtlicher harter Kern von Ländern mit Verringerung des Staatsdefizits sowie einer mehr armen Menschen noch weiter zu- besseren Lenkung der Staatsausgaben re- rück”. Bei der Erläuterung dieses sozio- duzierten Regierungen den Umfang und ökonomischen Debakels sagte er, dass die Qualität von Ressourcenflüssen. Das 54 Länder, von denen fast die Hälfte schloss die Subventionen, die für kleine und afrikanische Länder sind, ärmer seien als marginalisierte Bauern vorgesehen waren, in den neunziger Jahren. Er prognosti- mit ein. In den zehn Jahren von 1986 bis zierte, dass einige von ihnen auch in 50 1996 waren die Haushaltszuwendungen für Jahren die Entwicklungsziele nicht errei- die Landwirtschaft in den Entwicklungslän- chen würden. dern um rund 50 Prozent gefallen. Wirtschaftliche Liberalisierung und frei- Um Haushaltsdefizite zu überbrücken, er Handel, wie sie von der WTO verfolgt fingen die Regierungen an, in rücksichts- werden, haben die Kluft noch mehr erwei- loser Weise und oftmals bar jeglicher wirt- tert. Nirgendwo sonst war mit stärkeren Aus- schaftlicher Logik die öffentliche Versor- wirkungen zu rechnen als in der Landwirt- gung in den Bereichen Wasser, Strom und schaft - der ersten Verteidigungslinie gegen Kredite für die Landwirtschaft zu privati- die Armut. Die Landwirtschaft spielt eine sieren. Das führte zu einem Anstieg der zentrale Rolle in der Beseitigung von Armut Kosten für Betriebsmittel für kleine land- und bei der Abschaffung des Hungers. wirtschaftliche Betriebe. Gleichzeitig wur- Außerdem bildet sie die Grundlage der den die Staatszuschüsse für Konzerne zur nachhaltigen Entwicklung. Damit steuert Entwicklung von Technologien, die die ländliche Entwicklung auch wesentlich zur landwirtschaftliche Produktivität steigern Sicherung des Weltfriedens und der poli- sollen, erhöht. Beide Trends, Rückzug des tischen Stabilität bei. Staates und die wachsende Abhängigkeit 9
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO von Konzernen, veränderte die politische wurden in großer Zahl an die Handels- Ökonomie der Landwirtschaft weltweit. ketten für Lebensmittel gebunden. Die großen Konzerne wurden zu natür- Zwar gestehen viele Ökonomen inzwi- lichen Verbündeten in diesem Verschlan- schen ein, dass die Beziehung zwischen kungsprozess. Die Regierungen wurden der Liberalisierung der Wirtschaft und durch das Versprechen höherer Steuerein- Wachstum bestenfalls ungewiss ist6; je- nahmen gelockt. Die Privatunternehmen doch hat die Fachwelt keine brauchbaren verschlangen zur Verwendung der neues- Lehren aus der auf den Ebenen der Wirt- ten Technologien - gentechnisch veränder- schaft und der politischen Planung nach te Kulturpflanzen eingeschlossen - die wie vor bestehenden unethischen Dicho- eigentlich für die Bauern vorgesehenen tomie gezogen. Die wachsende Kontrolle Ressourcen und Subventionen. Sie konn- der Konzerne über Lebensmittel und ten selbst in Ländern mit vielfältig struk- Landwirtschaft bedeutet, dass die Zuge- turierter Landwirtschaft ihre Kontrolle über winne zwischen den Händlern, Verarbei- Kulturpflanzen wie Getreide, Sojabohnen, tern, Großhändlern und Einzelhändlern Mais, Reis, Kaffee usw. konsolidieren. aufgeteilt werden. Der Prozess beschränkt Supermarktketten folgten dem Trend und sich nicht nur auf die Entwicklungsländer. dominierten zusehends die Lebensmittel- Doch hier neigen die Politiker blind dazu, märkte in den Entwicklungsländern. das Farmmodell der industrialisierten Länder nachzuahmen. Was bedeutet dies Zurecht stellt die Welternährungsorga- im Klartext? Z.B. erhielt in den USA noch nisation der UN (FAO) fest: “Over recent 1990 ein Farmer etwa 70 Prozent von decades, a handful of vertically inte- jedem Dollar, der für Lebensmittel aus- grated, transnational corporations have gegeben wurde; heute sind dies nicht gained increasing control over the glo- mehr als 3 bis 4 Prozent. bal trade, processing and sale of food. The 30 largest supermarket chains now Das WTO-Agrarabkommen kam zu account for about one third of food sales einem Zeitpunkt, als das Augenmerk worldwide. In South America and East darauf gerichtet war, die noch bestehen- Asia, the supermarket share of retail food den Verzerrungen im internationalen sales has ballooned from less than 20 per Agrarhandel zu beseitigen. Das sollte cent to more than 50 per cent over the dem internationalen Agrarhandel neue past decade. And the biggest chains, Impulse geben. Die Agrarhandelsregeln most of them owned by multinational gi- sollten an diejenigen, die für den allge- ants, now control 65 to 95 per cent of su- meinen Handel gelten, angepasst wer- permarket sales in Latin America.” (Ref: den. Erstmals in der Uruguay-Runde FAO 2004, State of Food Insecurity 2004) (1986-1994) wurde Landwirtschaft in die multinationalen Verhandlungen über den Entscheidungen zur Ernährungspolitik Handel einbezogen. Seitdem sind Agrar- sind stark politisch gefärbt. Im Zeitalter handelsfragen die umstrittensten und am der Globalisierung wird Agrar- und Ernäh- schärfsten debattierten Fragen der inter- rungspolitik zunehmend zu Handelspoli- nationalen Handelspolitik. tik, statt nationaler Strukturpolitik. Der Bei- trag von internationalem Handel und aus- Es ist allgemein bekannt, dass das ländischen Direktinvestitionen wächst be- WTO-Agrarabkommen sich auf drei Säu- ständig. Sie bestimmen die Art des Be- len stützt: interne Stützung, Exportwett- triebsmitteleinsatzes, die Struktur der bewerb und Marktzugang. Es sah für In- Lebensmittelmärkte. Die Globalisierung dustrie- und Entwicklungsländer unter- der Ernährungswirtschaft hat sich auf alle schiedliche Zollsenkungssätze, Obergren- Aspekte der Ernährungssicherheit aus- zen für interne Stützungsmaßnahmen und gewirkt. Noch wichtiger: Einzelhändler Exportsubventionen vor. Die Industrielän- 10
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO der sollten ihre Zölle um durchschnittlich sie sicher, dass die Entwicklungsländer ihre 36 Prozent, mindestens aber um 15 Pro- WTO-Verpflichtungen des allmählichen zent, innerhalb von sechs Jahren redu- Abbaus bzw. der Aufhebung quantitativer zieren. Für die Entwicklungsländer war die Beschränkungen einhalten. Dann berei- angestrebte Zollreduktion mit 20 Prozent teten sie den endgültigen Anschlag vor. über einen Zeitraum von zehn Jahren nie- Das Ziel war die Durchdringung der driger angesetzt. Subventionen wurden Agrarmärkte der Entwicklungsländer mit nach dem Grad der Handelsverzerrung amerikanischen Agrarerzeugnissen und klassifiziert und in die “Gelbe Box”, “Blaue Lebensmitteln. Das neue politische Vor- Box” und “Grüne Box” eingeordnet. gehen zielte auf die 600 Millionen “neu- en Konsumenten” in Asien und Südost- Verschiedenste Kritiker hatten davor ge- asien sowie auf weitere 400 Millionen in warnt, dass die Umsetzung des Abkom- Latein- und Mittelamerika ab.7 mens eine Spur der Verwüstung auf dem Lande nach sich ziehen und Hunger und Durch die Liberalisierung des Handels Armut verschlimmern würde. Die Freihan- und Veränderungen der globalen Markt- delsadvokaten wischten diese Argumente strukturen steigerten die USA in den letzten beiseite. Ihnen zu folge würden alle ihre 15 Jahre ihre Agrarexporte zwar auf ge- Wohlfahrt verbessern können. Schließlich schätzte $53,5 Milliarden im Jahr 2002, ihr schaffe der Handel enge Verbindungen Marktanteil fiel jedoch gleichzeitig von 24 zwischen den Ländern der Welt und könnte Prozent des globalen Agrarhandels 1981 eine potenziell starke Kraft bei der Ar- auf 18 Prozent 2001. Dagegen hatte im mutsverringerung entwickeln. Nichtsdesto- gleichen Zeitraum die EU ihren Marktanteil trotz sei ein kurzfristiger Anstieg der Armut von 13,5 Prozent auf 17 Prozent steigern ein Preis, den die Entwicklungsländer für können. 1980-81 war die EU der größte langfristiges Wirtschaftswachstum und Agrarimporteur der Welt und verbuchte 32 Entwicklung werden zahlen müssen. Prozent aller Weltimporte. 2000/01 war ihr Importanteil auf 23 Prozent gefallen, wäh- rend ihr Exportanteil auf 16 Prozent ange- stiegen war.8 Im Zeitraum 1995 bis 2005 Die Politik des Agrarhandels stiegen die Agrarexporte der EU um den phänomenalen Prozentsatz von 26%.9 Kein Jahr war vergangen, nachdem die “Doha-Runde” im November 2001 ein- Die Absichten der USA waren eindeutig. geleitet wurde, in der sich die entwickelten “Es klingt vielleicht nicht nach viel, wenn Länder zu einer 'Entwicklungsrunde' multi- sechs Prozentpunkte im Zeitraum von 20 lateraler Verhandlungen über den Handel Jahren verloren werden. Allerdings be- verpflichteten, dass die beiden größten deutet jeder verlorene Prozentpunkt am Agrarexporteure - die Vereinigten Staaten Marktanteil einen Verlust an Exportver- und die Europäische Union - damit fortfuh- käufen in Höhe von $3 Milliarden und eine ren, während sie den freien Handel pre- Verminderung des Agrareinkommens in digten gleichzeitig die Mauern ihres Agrar- Höhe von $750 Millionen. Die gute Nach- protektionismus zu erhöhen. Die wahre Ab- richt wäre jedoch gleichzeitig, dass jeder sicht, die sich hinter der aggressiven Libe- Prozentpunkt, den wir wieder hereinholen ralisierungshaltung verbirgt, wird anhand können, jährlich $3 Milliarden Exportein- der folgenden Ausführungen offensichtlich: nahmen sowie $750 Millionen Einkom- men für unsere Landwirtschaft bedeuten So ging zum Beispiel die USA - in einem wird”, teilte Mattie Sharpless, der damalig Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Europäi- amtierende Administrator des “Foreign schen Union um die Beibehaltung der Vor- Agriculture Service” des US-Landwirt- herrschaft im internationalen Agrarhandel schaftsministeriums, dem Landwirtschafts- - zu einer neuen Offensive über. Erst stellten ausschuss des Senats 2002 mit. 11
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Die Konzentration der Konzerne auf nationalen und globalen Agrarmärkten Saatgut und Agrarchemikalien • Sechs multinationale Konzerne – BASF, Bayer, Dow, DuPont, Monsanto und Syngenta – beherrschen jetzt 75-80% des globalen Pestizidmarktes. Im Jahr 1994 waren es noch 12 Konzerne. • Zusammen beherrschen DuPont u. Monsanto die Weltmärkte für Saatgut für Mais (65%) u. Soja (44%) • Monsanto beherrschte 91% des globalen Marktes für genmanipuliertes (GM) Saatgut im Jahr 2001 und übernahm mehr als 60% des brasilianischen Saatgutmarktes für Nicht-GM- Mais im Zeitraum von zwei Jahren (1997-1999). • Bayer beherrscht 22% des indischen Pestizidmarktes. Handel mit Massengütern • Zwei US-amerikanische multinationale Konzerne - Chiquita und Dole Foods - beherrschen fast 50% des Weltbananenhandels. • Die kakaoverarbeitende Industrie der Elfenbeinküste ist in den Händen von Archer Daniels Midland (ADM), Barry Callebaut und Cargill. In diesem Land werden 95% der Weiterverarbeitungskapazitäten von multinationalen Konzernen beherrscht. • Fyffes, der wichtigste Großhändler von frischen Lebensmitteln in Europa, ist der einzige Exporteur von Bananen aus Belize & Surinam. • Drei Firmen – ADM, Cargill und Zen Noh – vermarkten mehr als 80% der US- amerikanischen Maisexporte. Lebensmittelherstellung und -verarbeitung • Die 10 größten lebensmittelverarbeitenden Firmen machen 37% der Verkäufe der 100 größten Firmen in der Branche aus. • 3 Firmen beherrschen 85% des Weltmarktes für Tee und Unilever ist der weltgrößte Teelieferant. • Nestlé hat den Markt für H-Milch in Pakistan praktisch monopolisiert und beherrscht rund 80% von Perus Milchproduktion. • 4 Firmen, darunter Cargill und Tyson, beherrschen 81% der US-amerikanischen Rindfleischverarbeitung. • Die 6 größten Schokoladenverarbeitungsfirmen beherrschen 50% des Weltmarktes. • Drei globale Unternehmen beherrschen 80% des Marktes für Sojabohnenschrot in Europa und mehr als 70% in den USA. • 3 oder 4 Firmen verfügen über 60% der Anlagen zur Endverarbeitung von Getreide, 61% der Anlagen zur Mehlproduktion, 81% des Maisexportes sowie 49% der Ethanolherstellung in den USA. Der Lebensmitteleinzelhandel • Die 30 größten Einzelhandelskonzerne für Lebensmittel tätigen etwa ein Drittel aller Lebensmittelverkäufe weltweit, wobei die 10 größten Konzerne Gesamtverkäufe von US$ 649 Milliarden im Jahre 2002 verbuchten. • Wal-Mart beherrscht 40% von Mexikos Einzelhandelssektor. • 36% aller Lebensmittelverkäufe in Thailand verlaufen jetzt über multinationale Einzelhandelskonzerne, wobei Tesco im Jahr 2003framework agreement 48 Verkaufsstellen hatte undstates: Verkäufe“Any im Wert von etwa US$ 1,2 verbuchen konnte. new criteria to be agreed will not have the perverse effect of undoing • Asda-Walmart, Safeway, Sainsbury und Tesco tätigen 75% aller Lebensmittelverkäufe ongoing in Großbritannien. reforms.” 10 Before Quelle: Action Aid (2005) Power Hungry: six reasons to regulate wefood global trycorporations. to understandActionthe Aidimpli- International, Johannesburg. Januar 2005. S. 13; * FAO cations (2004) of CAP reform on developing country agriculture, it is important to see 12
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Die Industrieländer waren eigentlich 2004 ausdrücklich erklärt: “In den Fällen, nicht gewillt, irgendwelche bedeutsamen in denen ein Mitglied einen außerge- Reformen einzuleiten, um die handelsver- wöhnlich hohen Prozentsatz seiner han- zerrende Wirkung ihrer Subventionen delsverzerrenden Unterstützung in der wirklich zu vermindern. Die Reformschritte Blauen Box abgestellt hat, wird auf einer der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Grundlage, die noch auszuhandeln ist, EU, die 2003 initiiert wurden und deren ein gewisses Maß an Flexibilität gewähr- Umsetzung 2005 begann, haben die Ge- leistet. Es soll sichergestellt werden, dass samthöhe der Subventionen für Europas ein solches Mitglied nicht aufgefordert Agrarproduzenten nicht geändert. Die wird, eine gänzlich unverhältnismäßige Höhe an Subventionsgeldern, die ein Kürzung vorzunehmen”. Landwirt im Bezugszeitraum 2000/2002 Als wäre dies nicht genug, wurde der erhielt, wird Anspruchsbasis für die ihm EU eine weitere Aussetzung von Vertrags- persönlich zustehenden Subventionen bis pflichten zugesprochen. Bei der Ausfor- 2013; das war die ganze Änderung. mulierung der Kriterien für Direktzahlungen Falls die WTO überhaupt Kontrolle an Landwirte besagt Artikel 14 des WTO- über diese Subventionen ausüben kann, Rahmenübereinkommens vom Juli (An- dürfte diese minimal sein. Die Entkop- hang A: ‚Framework for Establishing Mo- pelung der Subventionen von der Produk- dalities in Agriculture'): “Jegliche neuen tion und die Zahlung einer einheitlichen Kriterien, die noch zu verhandeln sind, Betriebsprämie bedeuten für die EU nur, sollen keine verkehrten ('perverse') Auswir- dass die Subventionen von der “Blauen kungen im Sinne einer Umkehrung von lau- Box” zur “Grünen Box” verschoben sind. fenden Reformen” haben müssen.10 Um sicherzustellen, dass die EU nicht Bevor wir versuchen, die Auswirkungen wirklich irgendwelche Verpflichtungen zu der GAP-Reform auf die Landwirtschaft drastischen Kürzungen eingehen muss, der Entwicklungsländer zu verstehen, ist wird im Rahmenabkommen vom Juli es wichtig, ihre Bedeutung für kleineren Auszüge zum Thema EU-Agrarsubventionen an die dänische Landwirtschaft (Juni 2004)1 [...] Zu den größten Nutznießern 2003 zählten: Arla Foods (DKK 1,3 Milliarden)2; die dänische Krone (DKK 119,6 Millionen); und das “Danish Institute of Agricultural Sciences” (DKK 111,1 Millionen). 2003 erhielt das “Danish Agricul- tural Centre for Advisory Services” DKK 29,9 Millionen - und seine Vorstandsmitglieder (unter ihnen Peter Gæmelke, Henrik Høegh und Vorstandsvorsitzender Gert Karkov) erhielten im selben Jahr zusammen Subventionen in Höhe von DKK 8,9 Millionen. Politiker zählen auch zu den Nutznießern. Vier von 18 Ministern (oder ihre Ehegatten) erhielten jährliche Zahlungen von der EU: Mariann Fischer Boel, Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei (DKK 389,702); Ulla Tørnæs, Bildungs- ministerin (DKK 487.490); Thor Petersen, Finanzminister (DKK 139.799); und Bent Bendtsen, Wirtschafts- und Handelsmi- nister (DKK 1.841) [...] Eine Reihe der derzeitigen Mitglieder des Dänischen Parlamentes erhielten im Jahre 2003 Agrarsubventionen - insbesondere die Mitglieder, die die Dänische Liberaldemokratische Partei (Venstre) vertraten, wie zum Beispiel: Jens Vibjerg (DKK 74.396) und Jens Kirk (DKK 241.871). Niels Busk Simonsen, ein altgedientes liberaldemokratisches Mitglied des EU- Parlaments, erhielt 2003 eine großzügige Zuzahlung zu seinem EU-Salär als Subvention von DKK 295.837 [...] Produzenten von Kartoffelstärke werden besonders bevorzugt: 4 Fabriken erhielten 2003 insgesamt DKK 184 Millionen, die an die Produzenten verteilt wurden; in ähnlicher Weise stellt die private Lagerung von Schweinefleisch eine bevorzugte Branche dar, denn 5 Schweinespeckfabriken teilten sich DKK 114 Millionen. Die wichtigsten Subventionsprogramme, von denen Arla profitiert, sind Exportsubventionen sowie Subventionen für Produkte in der Produktion, die sich jeweils auf DKK 1,0 Milliarden und DKK 286 Millionen beliefen.3 1 Siehe http://www.dicar.dk/research/databank/EUsupport.htm - 2 1 dänische Krone = 0,13435 Euro am 31. Dezember 2003; d.h., dass "Arla Foods" 2003 174.658.761 Euro erhielt. - 3 Eine hervorragende Studie über EU-Subventionen für die Landwirtschaft enthält Marita Wiggerthale's Aufsatz: "What's wrong with EU agricultural subsidies?". Siehe www.fairer-agrarhandel.de. 13
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Landwirte in Europa zu betrachten. Im Es wundert nicht, dass der Vorschlag Jahr 1999 machten Direktzahlungen an der Europäischen Kommission, die jähr- Landwirte 56 Prozent aller EU-Agraraus- lichen Direktzahlungen an einzelne Land- gaben aus. Genau wie anderswo bezie- wirtschaftsbetriebe bei 300.000 Euro zu hen landwirtschaftliche Grossbetriebe wei- deckeln, auf derart harten Widerstand terhin den Löwenanteil der Direktzahlun- stieß, dass er zurückgezogen werden gen. Ganze 2,2 Prozent der 4,5 Millio- musste. In vielen OECD-Ländern mit ho- nen landwirtschaftlichen Betriebe Europas hem Pro-Kopf-Einkommen ist wegen die- erhalten 40 Prozent der Gesamtzahlun- ser Agrarsubventionen das durchschnitt- gen. Diese kleine, aber einflussreiche liche Einkommen der landwirtschaftlichen Gruppe von Landwirten erhält jedes Jahr Erwerbstätigen höher als das eines Durch- mehr als 50.000 Euro pro Betrieb. Fast schnittsbürgers. In den Niederlanden be- 80 Prozent der Subventionen werden an trägt das durchschnittliche Einkommen nur 20 Prozent der Landwirte gezahlt. Die einer Familie in der Landwirtschaft fast restliche Unterstützung geht an größere 275 Prozent des durchschnittlichen Haus- landwirtschaftliche Betriebe, insbesonde- haltseinkommens in der Gesamtgesell- re an die reicheren.11 schaft, während es 175 Prozent in Däne- mark, 160 Prozent in Frankreich und 110 Als Folge hiervon verlieren kleinere Prozent in den Vereinigten Staaten und Landwirte in Europa ihre Wettbewerbsfä- Japan beträgt.16 higkeit und scheiden aus der Landwirt- schaft aus. So gaben im Vereinigten Kö- Im Jahr 2005 gaben die USA mehr als nigreich beispielsweise 17.000 Landwirte $50 Milliarden an “Grüne Box”-Zahlungen und Landarbeiter 2003 die Landwirtschaft aus. Zu den Empfängern zählen Ted Turner auf. Derzeit verliert die EU einen landwirt- und David Rockefeller. 2001 erhielten die schaftlichen Betrieb pro Minute.12 20.000 Baumwollpflanzer der USA etwa $3,9 Milliarden Subventionszahlungen. Dem reichsten Mann des Vereinigten Der Wert der Baumwollernte auf dem Königreiches, dem Herzog von Westmins- Weltmarkt betrug nur US $3 Milliarden. Ein ter, gehören rund 55.000 Hektar an land- Baumwollpflanzer aus Arkansas erhielt z.B. wirtschaftlicher Nutzfläche. Er erhält Sub- US $6 Millionen, was dem jährlichen Ein- ventionen in Höhe von durchschnittlich kommen von 25.000 Baumwollpflanzern £300.000 als Direktzahlung und zusätzl- in Mali entspräche. 2005 dürften die Sub- ich £350.000 pro Jahr für die 1200 ventionen für die Baumwolle in den USA Milchkühe, die ihm gehören.13 auf $4,7 Milliarden ansteigen. Dies ist In Großbritannien gehört die Königliche mehr als das Bruttoinlandsprodukt mehre- Familie zu den größten Nutznießern. Köni- rer afrikanischer Länder und dreimal soviel gin Elisabeth die Zweite erhielt 2003-04 wie die Entwicklungshilfe, die die USA für mehr als £769.000 an landwirtschaftlichen eine halbe Milliarde Afrikaner ausgibt, die Subventionen. Prinz Charles z.B. kommt in in Armut leben. den Genuss von rund £300.000 an Zahlun- Von 2000 bis 2003 kostete es durch- gen für die Landwirtschaft für seine per- schnittlich $415 eine Tonne weißen Reis in sönlichen Güter im Herzogtum Cornwall den USA anzubauen und zu verarbeiten. sowie für die Heimatfarm des Herzogtums.14 Allerdings wurde dieser Reis für nur $274 In Dänemark gibt es 109 Empfänger, denen pro Tonne exportiert, hauptsächlich in jährlich mehr als 134.353 Euro zugutekom- Entwicklungsländer. Die Dumpingpreise men. Die Königliche Familie Dänemarks liegen rd. 34 % unter den Selbstkosten.17 gehört zu den größten Empfänger. 2003 erhielt z.B. Prince Joakim Subventionen in Höhe von DKK 1,4 Millionen für die laufen- den Kosten seines Schackenborg-Gutes in Süd-Jütland.15 14
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Fehlerhafte Rahmenbedingun- 2003 erlangt hatten (gemäß derer die gen Entwicklungsländer Agrarsubventionen in den reichen Ländern nicht hatten anfech- ten können), ist annulliert worden. Nun Nach dem Scheitern des Treffens in werden die Entwicklungsländer mit einer Cancún im September 2003 traten die mindestens genauso abträglichen neuen Verhandlungen über ein neues Abkom- “Blauen Box” konfrontiert, gegen deren men über die Landwirtschaft in eine kri- schädigende Wirkung sie nicht angehen tische Phase. Es wurde deutlich, dass ein können. Scheitern weiterer WTO-Ministerratstreffen dem internationalen Handelsabkommen Tatsächlich liefert das Rahmenabkom- den Todesstoß versetzen würde. Deshalb men den USA und der EU ein Polster, das verlegte man sich darauf, die Entschei- es ihnen erlaubt, vorhandene Agrarsub- dungsebene auf den Allgemeinen Rat der ventionen über das derzeitige Maß hinaus WTO zu verlagern. Ergebnis ist das in anzuheben. Bei genauer Durchsicht des Genf hastig unterzeichnete Rahmenab- Entwurfs stellt sich heraus, dass die erste kommen vom Juli 2004. Es hat zwar nicht Rate einer Kürzung von Subventionen um sonderlich rechtliches Gewicht, genießt 20 Prozent nich von der derzeitigen wirk- aber eine breite politische Unterstützung, lichen Höhe der Subventionen ausgeht, was in dieser Phase der Verhandlungen sondern von einem theoretischen, sehr noch wichtiger ist. viel höheren Betrag. Das wurde jetzt au- torisiert. Im Falle der EU dürfte sich die Das Rahmenabkommen enthält leere Ausgangsbasis auf 101,6 Milliarden Euro Versprechungen zur Reduzierung umstri- erlaubte Subventionen belaufen. Nach ttener Agrarsubventionen. Tatsächlich bie- der ersten Kürzung würden die erlaubten tet es das Zugeständnis zur Erhöhung von Subventionen bei 81,3 Milliarden Euro Agrarsubventionen für die Industrieländer liegen.18 In ähnlicher Weise erlaubt das und ersucht gleichzeitig offeneren Zugang Rahmenabkommen den USA Subven- zu den Märkten der Entwicklungsländer. tionen von derzeit US $ 19,1 Milliarden Der Teufel steckt im Detail. In Para- auf US $ 48,8 Milliarden zu erhöhen. graph 7 des Rahmenübereinkommens für Selbst nach den 20 Prozent Kürzungen des die Landwirtschaft (endgültiger Entwurf ersten Jahres der Umsetzung lägen diese vom 31. Juli) steht: “Als erste Rate der Ge- handelsverzerrenden Subventionen samtkürzungen wird die Summe aller han- immer noch 100 Prozent höher als bisher delsverzerrenden Unterstützungen im ers- erlaubt - und zwar bei US $39,1 Milli- ten Jahr der Umsetzungsperiode 80 Pro- arden. zent der Gesamtsumme der gebundenen Andererseits wollen die USA die US $ AMS, plus der erlaubten de minimis Sub- 180 Milliarden in die Blaue Box verla- ventionen und plus der Blauen Box gemäß gern, die sie ihren Landwirten gemäß der dem in §15 vorgeschriebenen Niveau berüchtigten “Farm Bill” 2002 über zehn nicht überschreiten”. Was bedeutet dieser Jahre zukommen lassen wollen (70 Pro- Satz? Er sagt, dass alle politischen An- zent dieser Summe sollten über die ersten strengungen der Entwicklungsländer, die drei Jahre ausgegeben werden). Seit handelsverzerrenden “Blaue Box-Maß- Beginn der Doha-Runde haben die USA nahmen” zu beseitigen, gescheitert sind. die Unterstützung für die Landwirtschaft Man hat sich diesem Ziel sogar entfernt. um US $ 7 Milliarden pro Jahr ange- Der Satz ermöglicht es den Industrielän- hoben.19 dern, einen großen Teil ihrer Agrarsubven- tionen von der “Gelben Box” in die “Blaue Das Rahmenabkommen erlaubt auch Box” zu verlagern. Den Vorteil, den die mehr Schutzmaßnahmen für die Industrie- Entwicklungsländer mit der Beendigung länder. Es ist sogar so, dass sie die der Friedensklausel am 31. Dezember eigentlichen Nutznießer der “Sonder- und 15
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO Vorzugsbehandlung” sind und nicht die gebrochen. Der Umfang der zur Verfügung Entwicklungsländer. Sie können z.B. die gestellten Subventionen ermöglicht es den “spezielle Schutzklausel” für sich in An- Industrieländern, ihre Produkte zu Preisen spruch nehmen. Obendrein sorgen die zu verkaufen, die niedriger liegen als die Bestimmungen zur Auszeichnung einiger Produktionskosten. Als Folge werden die Produkte als “sensitive Produkte” dafür, Weltmarktpreise für die meisten Grund- dass Schlüsselprodukte aus Reduktions- nahrungsmittel gedrückt. Das wiederum verpflichtungen ausgenommen werden verdrängt die Landwirte in den Entwick- können. Die Absicherung der Binnen- lungsländern aus den Märkten. märkte ist für die Industrieländer massiver geworden. Würden die Schutzwirkungen Was die Industrieländer predigen steht von heimischer Unterstützung gemessen, im Gegensatz zu dem, was sie praktizie- so stiege der Zollschutz in der EU und den ren. Hier sind einige der erstaunlichen USA insgesamt kräftig an.20 Sie können Methoden, derer sie sich bedienen, um die für ihre Landwirtschaft durch die Li- ihre Landwirtschaft zu schützen. beralisierung verursachten Preissenkungs- Vor allem die USA haben strenge und effekte mittels direkter Zahlungen kom- ausgeklügelte Anti-Dumping-Gesetze, um pensieren und alle "nicht-handelsbezoge- ihre eigenen Märkte zu schützen und sie nen Anliegen" in bar bezahlen. Die Ent- haben keine Bedenken, ihre Anti-Dump- wicklungsländer stehen bloß da. ing-Maßnahmen auch voll gegen andere Länder einzusetzen. Das US-amerikani- Mit zweierlei Maß sche Gesetz “Abschnitt 301 des Handels- gesetzes von 1974” definiert rein unila- teralen, was die USA als unfaire Handels- Das hohe Niveau der Unterstützung für praktiken betrachten. Dieses Gesetz gibt die Landwirtschaft in den Industrieländern, dem US-amerikanischen Handelsbeauf- das über US $ 350 Milliarden pro Jahr tragten weitreichende Befugnisse bei der liegt21, regt die Überproduktion an und Bestimmung dessen, was Dumping ist. drückt die Weltmarktpreise, wodurch Pro- Das US-amerikanische Anti-Dumping- duzenten in den Entwicklungsländern vom Gesetz wurde wirkungsvoll eingesetzt, z.B. Markt gedrängt werden. Zugleich haben gegen Pilze und Lachs aus Chile, gefrore- die Exportsubventionen weitreichende nen brasilianischen Orangensaft, frische Handelsverzerrungen zur Folge. Werden Blumen aus Kolumbien, Chile, Ekuador die technischen Handelsbarrieren für und Mexiko, Tomaten aus Mexiko und Agrarimporte, die wie selbstverständlich Honig aus Argentinien. von Europa, Japan und den Vereinigten Staaten den Exporteuren auferlegt wer- Kein Entwicklungsland hat vergleich- den, hinzugenommen, so verwandelt sich bare Maßnahmen gegen US-Agrarexpor- der internationale Agrarhandel in eine Ein- te angewendet. Die Erfahrung vieler la- bahnstraße - die Warenströme fließen nur teinamerikanischer und karibischer Län- von den Industrieländern in die Entwick- der mit der Anwendung von Abschnitt 301 lungsländer. hat sie extrem misstrauisch gemacht ge- genüber den US Standards zu Anti-Dum- Während die Entwicklungsländer ihre ping-Maßnahmen. Allein schon die Märkte geöffnet, quantitative Beschrän- Drohung der US-Regierung, sich auf Ab- kungen entfernt und ihre Kleinproduzen- schnitt 301 zu berufen, hat dazu geführt, ten dem Wettbewerb mit den subventio- dass Entwicklungsländer ihre Exporte be- nierten Exporten aus den industrialisierten schränkten. Ländern ausgesetzt haben, haben die rei- chen und entwickelten Länder eine weitere Zolleskalation, d.h. Zölle, die mit jeder Stärkung des Protektionismus vorgenom- Stufe der Verarbeitung ansteigen, ist ein men. Damit haben sie das Vertrauen in Standardmerkmal des Protektionismus in das Argument des freien Handels selbst den Industrieländern. In der EU unterliegen 16
Erfahrungen mit den ersten 10 Jahren der WTO vollständig verarbeitete Produkte Zöllen, lungsländer stetig angestiegen ist. Men- die fast zweimal so hoch sind wie die Zölle genmäßig stiegen die Bruttolebensmittel- im ersten Stadium der Produktion, sofern importe jährlich um 5,6 Prozent an - viel es sich um tropische Waren handelt. Zum mehr als das jährliche Importwachstum Beispiel müssen lateinamerikanische Ex- der Industrieländer von 1,9 Prozent.22 Der porteure die EU Zölle einkalkulieren, die Anstieg ist in den am wenigsten entwickel- für Tomatensoße fünfmal höher sind als ten Ländern am stärksten. Hier stieg der für frische Tomaten. Gleichzeitig werden Wert der Lebensmitteleinfuhren von 1 Pro- frischen Tomaten in der EU während der zent ihres BIP auf mehr als 4 Prozent. Dies Saison in Europa exorbitante Zölle auf- bedeutet, dass die Steigerung der Aus- erlegt. Sie dienen hauptsächlich dem gaben für Lebensmittelimporte höher ist Schutz der italienischen und spanischen als die des Wirtschaftswachstums. Ebenso Produzenten gegen ihre Konkurrenten in bliebt ihre Einnahmensteigerung aus Lateinamerika sowie, in geringerem Ma- Agrarexporten hinter den entsprechenden ße, in Afrika. Ganz Westafrika wird gleich- Importzahlen zurück. Ein derartiger Wirt- zeitig von europäischen Tomatenmark und schaftstrend verschärft noch einmal die anderen Verarbeitungsprodukten über- Armutstrends in diesen Ländern. schwemmt. Das WTO-Abkommen über die Land- Es ist somit nicht verwunderlich, dass wirtschaft kam zu einem Zeitpunkt, als die seit den siebziger Jahren der Anteil im- Preise der meisten Exporte aus den Ent- portierter Lebensmittel im durchschnittli- wicklungsländern ihren tiefsten Stand seit chen Warenkorb der allermeisten Entwick- der Großen Depression der dreißiger Jahre erreicht hatten. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die Preise für Agrar- Nicht-tarifäre produkte um etwa 50 Prozent gefallen, Handelshemmnisse wenn sich auch die Preise während der Tiviski, ein erfolgreiches mauretanisches vergangenen zwei Jahre aufgrund der Unternehmen, ist jahrelang daran ge- wachsenden Nachfrage in China margi- hindert worden, seinen pasteurisierten nal wieder ein wenig erholt haben. Kamelkäse an die EU zu verkaufen. Daraus errechnet sich ein Nettoverlust von Obwohl in Deutschland ein Käufer US$60 Milliarden pro Jahr an Einnah- gefunden wurde, sind Tiviskis Bemühun- menverluste aus den Agrarexporten der gen durch EU-Handelsbestimmungen Entwicklungsländer.23 vereitelt worden - oder vielmehr durch Angesichts der langfristigen Trends und das Fehlen solcher Bestimmungen! Die der kurzfristigen Schocks auf den Waren- EU hat keine besonderen Regelungen märkten für Agrarprodukte stellt sich für Kamele, und die Verabschiedung deutlich heraus, dass die direkten Auswir- einer besonderen Richtlinie wäre nötig, kungen weit über Haushalte und Gemein- um Tiviski die Erlaubnis zu erteilen, sei- den hinaus die ganze Volkswirtschaft nen Kamelkäse zu exportieren. Die Firma betreffen. Der freie Handel wirkt sich u.a. ist also nicht in der Lage, Zugang zu negativ auf das Durchschnittseinkommen lukrativen EU-Märkten zu erhalten. Dies der ländlichen Haushalte und demzufolge bedeutet versäumte Gelegenheiten für den Lebensstil aus, indem er Löhne auf die 800 nomadischen Herdentreiber, dem Lande untergräbt und Arbeitslosig- die von höheren Einkommen aufgrund keit verschärft. Was allerdings zwischen ihrer Milchverkäufe an die Firma profi- den empirischen Belegen, Computersi- tiert hätten. mulationen und den linearen Modellen Quelle: Oxfam (2002) Milking The CAP: How verloren geht, ist das menschliche Gesicht, Europe's dairy regime is devastating livelihoods ist der verheerende Schaden, den die in the developing world. Oxfam Briefing Paper unfairen Handelsregeln für die Lebens- # 34 Oxfam Dezember 2002. grundlagen von Bauern in Entwicklungs- 17
Sie können auch lesen