Soziale Sicherheit 1/2009 - CHSS - BSV

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Schwerpunkt
IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

Sozialpolitik
System der sozialen Sicherheit auf dem Prüfstand?

Familienfragen
Betreuungsgutscheine – Pilotversuch in der
Stadt Luzern

                         Soziale Sicherheit
                                                    CHSS   1/2009
inhalt                         Inhalt   CHSS                                     1/2009 Januar/Februar

       Inhaltsverzeichnis Soziale Sicherheit CHSS 1/2009

       Editorial                                                           1    Aus der Praxis eines Regionalen Ärztlichen Dienstes
                                                                                (R. Kösel, RAD beider Basel)                                   26
       Chronik Dezember 2008/Januar 2009                                   2
                                                                                Integrationsmassnahmen: erste Erkenntnisse
       Rundschau                                                           3
                                                                                (Ch. Michaud-Schaub, CIS Freiburg)                             28
                                                                                Umsetzung der 5. IV-Revision auf gutem Weg
                                                                                (M. Werthmüller, Helsana Versicherungen AG)                    31
       Schwerpunkt                                                              Gemeinsam zum Ziel (N. Wayland, BSV)                           33
       IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»                                          Welches sind die nächsten Herausforderungen? (R. Aiello, BSV) 36
       Die gesteckten Ziele erreichen                                      4
       Keine Lösungen von gestern für Probleme von heute                        Sozialpolitik
       (A. Bigovic-Balzardi, BSV)                                          5
                                                                                Das System der sozialen Sicherheit auf dem Prüfstand?
       Die neuen Leistungen der 5. IV-Revision: erster statistischer            (B. Seebeck, P. Coullery, Gesundheits- und Fürsorgedirektion
       Schnappschuss (M. Buri, B. Schmid, BSV)                             8    des Kantons Bern)                                              40
       Umsetzung der 5. IV-Revision bei der IV-Stelle Jura
       (Ch. Eray, IV-Stelle des Kantons Jura)                             11    Familienfragen
       In zwei Anläufen zum Ziel (R. Ludwig, IV-Stelle St.Gallen)         14    Betreuungsgutscheine – Pilotversuch in der Stadt Luzern
       Neue Massnahmen der 5. IV-Revision: erste positive Bilanz                (R. Feller-Länzlinger, A. Balthasar, Interface Luzern)         46
       (M. Krasniqi, J.-M. Limat, BSV)                                    16
       Pilotversuche zum Zweck der Eingliederung (R. Hartmann, BSV) 19          Vorsorge
       Die 5. IV-Revision aus der Sicht eines betroffenen Versicherten          Stärkung der paritätischen Verwaltung: die Richtung stimmt
       (B. Huber, IV-Stelle Solothurn)                                 21       (Ch. Bolliger, Ch. Rüefli, Büro Vatter Bern)                   52
       Vom Umgang mit Akten zum Umgang mit Menschen
       (U. Studer, R. Oeschger, SBB)                                      23
                                                                                Parlament
                                                                                Parlamentarische Vorstösse                                     58
                                                                                Gesetzgebung: Vorlagen des Bundesrats                          60

                                         min.ch
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Besuch
                                                                                Agenda (Tagungen, Seminare, Lehrgänge)                         61
                                                                                Sozialversicherungsstatistik                                   62
                                                                                Literatur                                                      64
editorial                              Editorial

Die finanzielle Schieflage der IV wieder ins Lot
bringen

                                                                  derschwellige Integrationsmassnahmen unterstützen v.a.
                                                                  psychisch angeschlagene Menschen, wieder so weit zu
                                                                  gesunden, dass sie den Weg zurück ins Erwerbsleben be­
                                                                  schreiten können.
                                                                     Ein gut ausgerüsteter Werkzeugkoffer allein genügt
                                                                  aber noch nicht, bedingt eine erfolgreiche Eingliederungs­
                                                                  arbeit doch vor allem eine kompetente Handhabung der
                                                                  zur Verfügung stehenden Eingliederungsinstrumente.
                                                                  Die neue Ausrichtung der IV auf Kommunikation und
                                                                  Dialog läutete einen bedeutenden Wandel ein, der sich
                           Yves Rossier                           nicht ohne Anstrengung realisieren lässt: Die Mitarbei­
                           Direktor Bundesamt für Sozial­         tenden der kantonalen IV-Stellen sind aufgefordert, di­
                           versicherungen                         rekt mit den versicherten Personen und dem sie unterstüt­
                                                                  zenden Umfeld (Arbeitgebende, ÄrztInnen, andere Versi­
                                                                  chernde) in Kontakt zu treten und die Lösungs­suche ge­
   Langwierige Abklärungsprozesse, unzureichende Ein­             meinsam anzugehen. Die klare Gesprächsorientierung
   gliederungsinstrumente und seit Ende der 1990er Jahre          stellt den Menschen mit seinen individuellen Bedürfnis­
   stark ansteigende Rentenzahlen haben die Invaliden­            sen ins Zentrum und basiert auf der festen Überzeugung,
   versicherung (IV) zunehmend in finanzielle Bedrängnis          dass die (Re-)Integration von gesundheitlich beeinträch­
   gebracht. Um weiterhin als tragendes Sozialwerk für            tigten Personen nur gelingt, wenn alle am Eingliede­
   ­gesundheitlich beeinträchtigte Personen zu fungieren,         rungsprozess Beteiligten ihre Energien bündeln und am
    musste ein Kurswechsel eingeleitet werden: Die 5. Revi­       selben Strick ziehen.
   sion konzipierte die IV gemäss ihrer ursprünglichen Be­           Nach dem ersten Umsetzungsjahr lässt sich bilanzie­
   stimmung wieder klar als Eingliederungsversicherung,           ren: Die 5. IV-Revision hat das Ruder herumreissen
   deren zentralstes Anliegen die Wiederherstellung der ge­       können und stellt einen wichtigen Schritt dar, die finan­
   sellschaftlichen Partizipationsfähigkeit gesundheitlich        zielle Schieflage der IV wieder ins Lot zu bringen. Die
   beeinträchtigter Menschen ist. Durch die verbesserte be­       deut­liche Senkung der Neurentenquote sowie der stark
   rufliche Eingliederung sollte die Anzahl Neurenten ge­         verbesserte Schutz vor Arbeitsplatzverlust durch Früh­
   senkt und die finanzielle Schieflage der Versicherung          erfassung und Frühintervention veranschaulichen, dass
   korrigiert werden, ganz gemäss dem Grundsatz «Sanie­           die notwendige Regulierung der Zugänge gelingt. Das
   ren durch Eingliedern».                                        Setzen auf Dialog trägt dazu bei, unterstützende Netz­
      Ein Jahr nach In-Kraft-Treten der 5. IV-Revision ist        werke von gesundheitlich beeinträchtigten Personen
   nun Zeit, eine erste Zwischenbilanz dieser Neuausrich­         frühzeitig zu aktivieren und erhöht das Eingliederungs­
   tung der IV als Eingliederungsversicherung vorzuneh­           potenzial der IV in hohem Masse, weil die IV rascher
   men. Obwohl es noch verfrüht ist, die Wirkungen ab­            zur Stelle tritt.
   schliessend festzustellen, hat das erste Umsetzungsjahr           Trotz überzeugender Zwischenresultate sind zusätz­
   gezeigt, dass die Rückbesinnung auf die berufliche Ein­        liche Verbesserungen erforderlich, um das Sozialwerk
   gliederung richtig und die neu eingeführten Prozesse und       der IV längerfristig zu sichern: Der Eingliederungsge­
   Massnahmen vielversprechende Eingliederungsoptionen            danke sollte weiter gesponnen und durch zusätzliche Un­
   eröffnet haben.                                                terstützungsangebote gefördert werden. Die Etablierung
      Früherfassung und Frühintervention erlauben es, Ar­         der IV als Eingliederungsversicherung gelingt nur, wenn
   beitsunfähigkeiten mit drohender Invalidisierung früh­         zusätzliche finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt
   zeitig zu erkennen und durch rasche, situativ angepasste       und weitere gesetzliche Anpassungen eingeleitet werden,
   Unterstützungsleistungen an die betroffenen Personen           wie den letzten beiden Artikeln des Schwerpunktes zu
   wie auch Arbeitgebende erfolgreich zu entschärfen. Nie­        entnehmen ist.

                                                                                         Soziale Sicherheit CHSS 1/2009    1
chronik                            Chronik       Dezember 2008/Januar 2009

                                                                                                       auf die neuen bundesrechtlichen
                                                                                                       Mindestleistungen herabgesetzt. Das
         Umsetzung der Motion Hubmann «Vorschriften über den Jugend-                                   neue Gesetz hält eine klare bundes-
         schutz. Bessere Übersicht»                                                                    rechtliche Prioritätenordnung auf
                                                                                                       nationaler Ebene fest, falls mehrere
         Die am 21. März 2007 von Nationalrätin Vreni Hubmann eingereichte Motion «Vorschriften        Personen für das gleiche Kind An-
         über den Jugendschutz. Bessere Übersicht (07.3119)» verlangt eine stets aktualisierte Über-   spruch auf eine Familienzulage ha-
         sicht über die geltenden kantonalen Vorschriften betreffend Jugendschutz (Alkohol und Ta-     ben.
         bakverkauf, Verkauf und Ausleihe von DVD). Der Bundesrat hat das Anliegen als sinnvoll und
         nötig beurteilt und sich bereit erklärt, bei den Kantonen eine Umfrage zu den bestehenden
         Regelungen in den angesprochenen Bereichen durchzuführen und eine entsprechende Über-
         sicht auf dem Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.                           Berufliche Vorsorge:
         Die im Rahmen der Umsetzungsarbeiten durchgeführten Abklärungen beim Bundesamt für            finanzielle Lage der
         Gesundheit BAG, der Kantonalen Konferenz der Justiz- und Polizeidirektoren KKJPD und          Vorsorgeeinrichtungen im
         dem Schweizerischen Videoverband SVV haben ergeben, dass Online-Übersichten über kan-         Jahr 2007
         tonale Regelungen in den Bereichen Tabak- und Alkoholverkauf bereits bestehen. Bezüglich         Der Bundesrat hat den jährlichen
         des Verkaufs und Verleihs von DVDs hat der Schweizerische Videoverband einen Verhaltens-      Bericht des Bundesamts für Sozial-
         kodex erarbeitet, um schweizweit einheitliche Alterskennzeichnung von Videos und DVDs zu      versicherungen über die finanzielle
         gewährleisten. Hierzu bietet das Webportal des SVV die entsprechenden Informationen. Das      Lage der Vorsorgeeinrichtungen und
         BSV hat seinerseits auf der Eingangsseite des eigenen Webportals eine Verlinkung zu den       der Lebensversicherer in der beruf­
         bestehenden Übersichten unter dem Stichwort «Jugendschutz» vorgenommen.                       lichen Vorsorge zur Kenntnis ge-
         Innerhalb des Bundesamts für Sozialversicherungen war der Bereich Kinder-, Jugend- und        nommen. Im Jahr 2007 hat sich die
         Altersfragen (KJA) des Geschäftsfeldes Familie, Generationen und Gesellschaft FGG mit der     finanzielle Lage der Vorsorgeein-
         Ausführung der Projektarbeiten beauftragt. Der zuhanden des EDI erstellte Schlussbericht      richtungen aufgrund der Eintrübung
         kann auf www.bsv.admin.ch eingesehen werden.                                                  an den Finanzmärkten leicht ver-
                                                                                                       schlechtert. Die Zahl der Kassen in
                                                                                                       Unterdeckung ist leicht angestiegen.

                                                        dahin mussten die Kantone ihre                 Aktualisierte Finanz­
Mehr Wettbewerb in der                                  diesbezüglichen Gesetzgebungen an              perspektiven für die AHV
Hörgeräteversorgung                                     den vom FamZG vorgegebenen                       Der Bundesrat hat am 28. Januar
  Der Bundesrat hat auf den 1.1.2009 die An-            Rahmen anpassen. Alle Kantone ha-              2009 den Bericht «Aktualisierung
passungen der IV- und AHV-Verordnung vor-               ben die Gesetzgebungsarbeiten ab-              der Berechnungsgrundlagen zur Er-
genommen, die es für die weitere Umsetzung              geschlossen und ihre Regelungen                stellung von Perspektivrechnungen
des neuen Hörgeräte-Versorgungssystems                  angepasst.                                     in der AHV» verabschiedet. Damit
braucht. Dieses bringt echten Wettbewerb in                Nach dem neuen Familienzula-                erfüllt er ein Postulat von National-
die Hörgeräteversorgung und ermöglicht we-              gengesetz steht Arbeitnehmenden                rat Louis Schelbert aus dem Jahr
sentliche Einsparungen für die Sozialversiche-          sowie Nichterwerbstätigen mit be-              2007. Die neuen AHV-Perspektiven
rungen AHV und IV sowie für die Hörbehin-               scheidenem Einkommen in allen                  basieren auf einem verfeinerten Be-
derten.                                                 Kantonen eine Kinderzulage von                 rechnungsmodell, das die Erfahrun-
                                                        mindestens 200 Franken für jedes               gen der letzten Jahre berücksichtigt,
                                                        Kind bis 16 Jahre und eine Ausbil-             und auf den neuesten Annahmen
                                                        dungszulage von mindestens 250                 zur Entwicklung der Wirtschaft. Sie
Inkrafttreten des                                       Franken für Kinder von 16 bis 25               bestätigen: Auch im optimistischeren
Familienzulagengesetzes                                 Jahren zu. Auch bei Teilzeitarbeit             von drei Szenarien ändert sich nichts
am 1. Januar 2009                                       werden die vollen Zulagen ausge-               daran, dass die mittel- und langfristi-
  Das Bundesgesetz über die Familienzulagen             richtet. Keiner der Kantone mit hö-            ge Finanzierung der AHV nicht gesi-
(FamZG) trat per 1. Januar 2009 in Kraft. Bis           heren Beträgen hat seine Zulagen               chert ist.

         2     Soziale Sicherheit CHSS 1/2009
rundschau                                         Rundschau

                                               schränkt. Dies sei der Sinn dieser                      Grosseltern und Grosskindern be-
SKOS beschränkt die                            Revision gewesen, betonte Walter                        schränkt.
Verwandtenunterstützung                        Schmid, Präsident der SKOS, anläss-
auf Grossverdienende und                       lich einer Medienkonferenz. Das Zi-
Wohlhabende                                    vilgesetzbuch, welches die Verwand-
  Die Schweizerische Konferenz für             tenunterstützung regelt, spreche von                    Die Lage auf dem Arbeits­
Sozialhilfe SKOS hat ihre neuen                «günstigen Verhältnissen», in denen                     markt – Dezember 2008
Richtlinien im Zusammenhang mit                jemand leben müsse, der zur Ver-                           Gemäss den Erhebungen des
der Verwandtenunterstützung be-                wandtenunterstützung verpflichtet                       Staatssekretariats für Wirtschaft
kannt gegeben. Neu soll die Unter-             werde. In der uneinheitlichen Praxis                    ­SECO waren Ende Dezember 2008
stützungspflicht nur mehr bei Perso-           in der Schweiz sei aber oft auch der                     118 762 Arbeitslose bei den Regio-
nen abgeklärt werden, welche ein               ohnehin schon belastete untere Mit-                      nalen Arbeitsvermittlungszentren
steuerbares Einkommen von mehr                 telstand für Zahlungen in die Pflicht                    (RAV) eingeschrieben, 11 110 mehr
als 120 000 Franken bei Einzelperso-           genommen worden. Mit der neuen                           als im Vormonat. Die Arbeitslosen-
nen bzw. 180 000 bei Ehepaaren er-             Praxis will die SKOS dem ursprüng-                       quote stieg damit von 2,7 Prozent im
zielen. Bisher galten als Limiten              lichen Sinn des Gesetzes Nachach-                        November 2008 auf 3,0 Prozent im
60 000 bzw. 80 000 Franken. Mit der            tung verschaffen. Von Gesetzes we-                       Berichtsmonat. Gegenüber dem
neuen Praxis wird die Verwandten-              gen bleibt die Verwandtenunterstüt-                      Vorjahresmonat erhöhte sich die Ar-
unterstützung faktisch auf Grossver-           zung überdies auf das Verhältnis                         beitslosigkeit um 9750 Personen
dienende und Wohlhabende einge-                zwischen Eltern, Kindern sowie                           (+8,9 Prozent).

         CHSS-Einbinde-Aktion: Lassen Sie Ihre «Soziale Sicherheit» einbinden!

         Das Atelier du livre in Bern führt erneut eine Einbindeaktion für die CHSS zu günstigen Konditionen durch
         (Einband in rotem Leinen mit schwarzer Rückenprägung).
         Die Preise
         • Einband für Jahrgänge 2007/2008                                                • Einbinden älterer Jahrgänge
           (Doppelband) inkl. Einbinden                           Fr. 29.70                 (1 oder 2 Jahrgänge) pro Einband        Fr. 31.35
         • Einband für 1 Jahrgang (2007, 2008)                                            • Einbanddecke ohne Binden
           inkl. Einbinden                                        Fr. 27.60                 für 1 oder 2 Jahrgänge                  Fr. 16.80
         Die Preise verstehen sich ohne MWST, Porto und Verpackung. Für die Einbindeaktion sollten die kompletten Jahrgänge der Zeit­
         schrift bis Ende Mai 2009 an die Buchbinderei gesandt werden. Die gebundenen Hefte werden Ende Juli 2009 zurückgeschickt.
         Verwenden Sie bitte für Ihren Auftrag eine Kopie dieses Talons.
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         Wir senden Ihnen die Hefte folgender Jahrgänge
         Ältere Jahrgänge			                       c 2006 c 2007 c 2008

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         Datum/Unterschrift
         Einsenden an: Schumacher AG, Atelier du livre, Dorngasse 12, 3007 Bern, Telefon 031 371 44 44

                                                                                                          Soziale Sicherheit CHSS 1/2009       3
schwerpunkt                              Schwerpunkt   IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

Die gesteckten Ziele erreichen

                                                                                         Foto: Christoph Wider

   Ist es mit der 5. IV-Revision gelungen, den stetigen Anstieg der Ausgaben zu stoppen und damit
   den vorgezeichneten Weg in die immer tiefere Verschuldung der Invalidenversicherung zu ver­
   lassen? Ein Jahr nach dem In-Kraft-Treten dieser bedeutenden Gesetzesrevision ist es noch zu
   früh, um von einem sicheren Erfolg derselben zu sprechen; immerhin deuten mehrere Anzeichen
   darauf hin, dass die gesteckten Ziele erreicht werden können. Damit dies möglich ist, war
   und ist die Mitarbeit aller beteiligter Partner unabdingbar. Wie IV-Stellen, Regionale Ärztliche
   ­Dienste und Anbieter von neuen Integrationsmassnahmen, versicherte Personen, Arbeitgebende
    und Krankentaggeldversicherer mit den Herausforderungen der 5. IV-Revision umgehen und
    wie das BSV die Situation der Invalidenversicherung einschätzt, zeigen die folgenden Beiträge.

   4   Soziale Sicherheit CHSS 1/2009
schwerpunkt                                         Schwerpunkt     IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

Keine Lösungen von gestern für Probleme
von heute
Bei der vor einem Jahr in Kraft getretenen 5. IV-Revi­              bestehende Lücke im Sozialversicherungssystem unse-
sion handelt es sich nicht bloss um eine technische                 res Landes geschlossen».1 Mit dem neuen Bundesgesetz
                                                                    konnte die kantonal geregelte Invalidenfürsorge abge-
oder massnahmenzentrierte Überarbeitung des Regel­
                                                                    löst werden. Allerdings war sich der Gesetzgeber durch-
werkes. Notwendig war angesichts der technischen,                   aus bewusst, dass «die Invalidenversicherung auf dem
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen,              Gebiet der Eingliederung sowie der Invaliditätsbemes-
nach neuen Antworten auf die drängendsten Fragen                    sung weitgehend Neuland betrete, so dass die Durch­
der Invalidenversicherung zu suchen und einen ent­                  führung noch erhebliche Schwierigkeiten bieten und
                                                                    manche Fragen erst in der Praxis eine Antwort finden
sprechenden Kulturwandel bei den Mitarbeitenden,
                                                                    würden.»2
den Partnern und der Gesellschaft zu initiieren. Der                   Was mit der Versicherung anzustreben sei, wurde in
folgende Artikel schildert den Weg und die gefunde­                 der Debatte mehrmals genannt und prägte die Vorlage
nen Lösungsvorschläge.                                              in entscheidenden Punkten: So wurde im Ständerat fest-
                                                                    gehalten, das wichtigste Ziel der Versicherung bestehe
                                                                    in der Wiedereingliederung der Invaliden ins Erwerbs-
                                                                    leben, soweit dies noch möglich sei, und die ständerät­
                                                                    liche Kommission hielt es für angezeigt, die Bedeutung
                                                                    der Eingliederung zu unterstreichen: Sie wollte nicht
                                                                    nur den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen im
                                                                    Gesetz verankert wissen, sondern auch die Verpflich-
                                                                    tung des Anspruchsberechtigten, «die Durchführung
                                                                    aller Massnahmen, die zu seiner Eingliederung ins Er-
                                                                    werbsleben getroffen werden, zu erleichtern».3
                                                                       Auch der Bundesrat war dagegen, mit der Rente je-
                                                                    dem Versicherten die Existenz sicherzustellen, was nur
                                                                    «zur Lähmung der persönlichen Widerstandskraft des
                               Adelaide Bigovic-Balzardi            Einzelnen führen» würde,4 womit mehr verloren ginge
                               Bundesamt für Sozialversicherungen   als mit der Versicherung gewonnen werde. Der Slogan
                                                                    Eingliederung vor Rente sollte also nicht bloss Slogan
                                                                    bleiben, sondern – immer bezogen auf die sich einer
                                                                    prosperierenden Wirtschaft erfreuenden Zeit – auch
                                                                    tatsächlich in Gesetz und Durchführung der neuen In-
       1960: Eingliederung vor Rente                                validenversicherung manifest werden.
                                                                       Gut anderthalb Jahre nach der Einführung der Invali-
         Am 19. Juni 1959 hiessen die eidgenössischen Räte          denversicherung sind denn folgerichtig im Jahresbericht
       nach endgültiger Bereinigung der Vorlage das Bundes-         einer Regionalstelle folgende Grundsätze zu lesen:
       gesetz über die Invalidenversicherung (IVG) mit 188          1. Berufliche Eingliederung von Invaliden muss unbe-
       gegen 0 Stimmen gut. Nachdem die Referendumsfrist               dingt sorgfältige Massarbeit sein. […]
       am 23. September 1959 unbenutzt abgelaufen war, setz-        2. Die charakterlichen Voraussetzungen eines Versi-
       te der Bundesrat das Datum des In-Kraft-Tretens auf             cherten sind in der Regel für den Erfolg der Einglie-
       den 1. Januar 1960 fest. Mit der Einführung der Invali-         derung viel entscheidender als die effektive Invalidi-
       denversicherung wurde nach Ansicht der vorberaten-              tät.
       den Kommission des Nationalrates die «grösste noch           3. Die Pflege eines guten Kontaktes mit allen beteiligten
                                                                       Institutionen und den Arbeitgebern ist für den Erfolg
                                                                       von ausschlaggebender Wichtigkeit.5
       1   ZAK 1959, S. 146
       2   ZAK 1959, S. 110
       3   ZAK 1959, S. 148                                         Sowohl bei der Konzipierung als auch bei der Einfüh-
       4   ZAK 1959, S. 146                                         rung der Invalidenversicherung hatte man sich auf die
       5   ZAK 1961, S. 335                                         Fahnen geschrieben, «für die Invaliden zu sorgen und

                                                                                            Soziale Sicherheit CHSS 1/2009    5
Schwerpunkt      IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

ihnen […] ihr Los [dadurch] zu erleichtern»,6 dass ge-      den. In der Tat zeigten die Auswertungen, dass die Zahl
sellschaftliche Teilhabe trotz Behinderung als oberstes     der Neuberentungen seither zwar rückläufig ist, die
Ziel definiert wurde. Die Zeit ist nicht stehen geblieben   Massnahmen der 4. IV-Revision allein jedoch die Situa-
und technische, gesellschaftliche und wirtschaftliche       tion der IV nicht ins Lot brachten.
Veränderungen mit schwerwiegenden finanziellen Aus-
wirkungen für die IV haben im Verlauf der Jahre meh-
rere Revisionen dieses Sozialwerks nötig gemacht.           2003: Eingliederung statt Rente
   Die Kernaufgabe der IV ist zwar heute immer noch
die Gleiche wie vor 50 Jahren: erstens Ausgleich der           Als im Jahr 2003 der Auftrag zur Erarbeitung der
ökonomischen Folgen einer Krankheit oder eines Un-          5. IV-Revision erging, sahen sich die Verantwortlichen
falls primär mittels Verhinderung, Verminderung oder        der IV mit der Situation konfrontiert, dass die Zunah-
Behebung der Invalidität durch geeignete Eingliede-         me junger Versicherter und von Personen, die wegen
rungsmassnahmen, und wenn das nicht möglich ist, mit-       einer psychischen Behinderung eine IV-Rente bezie-
tels einer Rente; zweitens Leisten eines Beitrags zu ei-    hen, seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts stetig
nem eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Le-          zunahm, aber nicht durch entsprechende Abgänge kom-
ben. Indessen zeigen sich die konkreten Problematiken       pensiert wurde. Das führte zu einer immer bedrohliche-
und Herausforderungen anders als zur Zeit der Einfüh-       ren finanziellen Schieflage, so dass entweder massiv
rung der Versicherung und riefen nach neuen Strate­         Leistungen gekürzt (sprich, Renten aufgehoben wer-
gien, Handlungsansätzen und Lösungen. Obwohl jede           den) oder extrem strenge Anspruchskriterien hätten
Revision versucht hat, auf die sich stellenden Aufgaben     definiert werden müssen, was schon aus sozialpoliti-
richtig zu reagieren und vorauszusehen, wie der unter-      schen Gründen nicht in Frage kommen konnte. Bildlich
schiedlichen Schwierigkeiten Herr zu werden wäre,           gesprochen konnte vorerst nur eine Verminderung des
machten gerade die Jahre der Wirtschaftskrise und die       Zuflusses die Überschwemmung des Sees verhindern.
darauf folgende Rezession gesetzliche Anpassungen in           So gesehen hatte das ursprüngliche Motto «Einglie-
hoher Kadenz nötig, um auch unter sich immer rascher        derung vor Rente» nichts von seiner Gültigkeit verlo-
ändernden Bedingungen des Arbeitsmarktes (neue Be-          ren, im Gegenteil: mehr denn je ging und geht es darum,
rufe), des Arbeitstempos (neue Technologien) und der        ein Ausscheiden aus dem ersten Arbeitsmarkt wenn im-
zunehmenden Flexibilität und Unverbindlichkeit die          mer möglich zu verhindern und der Invalidenversiche-
entsprechenden Instrumente bereit zu haben.                 rung die nötigen Instrumente zu geben, bereits bei ers-
                                                            ten Anzeichen einer Entwicklung Richtung Invalidität
                                                            rasch und effizient reagieren zu können. Das heisst, bei
Die Situation um die Jahrtausendwende                       Erkrankung oder Unfall muss einer der ersten Gedan-
                                                            ken die Organisation der Rückkehr an den Arbeitsplatz
  Die Situation, in welcher sich die Versicherung vor       sein; es ist nicht dienlich, den Fokus auf Auszeit und
einigen Jahren befand, lässt sich mit einem grossen See     Rückzug zu richten. Wenn Schonung nötig ist, so muss
vergleichen, der von verschiedenen Bächen gespiesen         diese am Arbeitsplatz, im Arbeitsumfeld eingebaut wer-
wird und über entsprechende Abflussmöglichkeiten            den können und darf nicht in wochen- oder monatelan-
verfügt. Lange Zeit unbemerkt oder zu wenig bemerkt         ges (Ab)warten umdefiniert werden. Soll dieser Gedan-
blieb leider, dass sich das Ökosystem um den IV-See zu-     ke konkret umgesetzt werden, so steht nicht mehr der
erst langsam, dann immer schneller zu verändern be-         Fall (das Problem) oder das Dossier im Zentrum der
gann: Die Zuläufe brachten mehr Wasser, d.h. die Zahl       Bemühungen der Invalidenversicherung, sondern der
der Personen, die von der IV Leistungen erhielten,          Mensch: in erster Linie die betroffene versicherte Per-
nahm zu. Gleichzeitig wurde es schwieriger, behinderte      son selbst, aber auch ihre Familienangehörigen, ihr Ar-
Personen in die Arbeitswelt einzugliedern, weil bei-        beitgeber, ihre behandelnde Ärztin, ihr soziales Umfeld.
spielsweise Arbeitsplätze aufgehoben oder ausgelagert       Entscheidend wird damit das Gespräch, der direkte, un-
wurden, oder auch immer höhere Ansprüche an medizi-         komplizierte Kontakt und erst in zweiter Linie kommt
nische Abklärungen gestellt wurden.                         der Blick auf die Randziffer.
  Kurz: Das heikle Gleichgewicht war empfindlich ge-           Das schreibt sich leicht, verlangt aber von den Mit­
stört, was sich in den jährlich grösseren Defiziten der     arbeitenden der Invalidenversicherung die Bereitschaft,
Versicherung niederschlug. Der unguten Situation            sich auf diesen bedeutenden Kulturwandel, der mit dem
musste Abhilfe geschaffen werden: Am 1. Januar 2004         In-Kraft-Treten der 5. IV-Revision umgesetzt werden
trat die 4. IV-Revision in Kraft. Mit der Schaffung der     musste, einzulassen. Es versteht sich von selbst, dass
Regionalen Ärztlichen Dienste, der Einführung der
¾-Rente und der Umgestaltung der Hilflosenentschädi-
gung sollte das Gleichgewicht wieder hergestellt wer-       6 ZAK 1959, S. 111

6    Soziale Sicherheit CHSS 1/2009
Schwerpunkt       IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

­ iese Haltungsänderung nicht einfach per Knopfdruck
d                                                              individuellen Situation angepasste Unterstützung, die
vonstatten geht. Vielmehr handelt es sich um einen Pro-        als solche nicht detailliert im IVG ausformuliert ist. Die
zess, der sicher voll guten Mutes gestartet worden ist,        beherzte Zusprache solcher Massnahmen wäre ein Hin-
von dem sich aber nach einem Jahr noch nicht behaup-           weis darauf, dass die zu stark am medizi­nischen Sach-
ten lässt, er sei in allen Fällen erfolgreich oder gar abge-   verhalt ausgerichtete und oftmals defizit­orientierte Ab-
schlossen. Die weiteren Artikel dieses Schwerpunkts            klärungskultur der IV im Wandel ist.
lassen vielleicht erahnen, wie viel «vom neuen Wein in            Die 5. IV-Revision hat aber nicht nur Neuerungen in
den (alten) IV-Schläuchen» schon zu spüren ist.                der Frühphase des IV-Verfahrens gebracht. Neu kann
                                                               auch eine Eingliederung ins Auge gefasst werden, ob-
                                                               wohl eine Person (noch) nicht in der Lage ist, eine ent-
Bekannte Probleme – Andere Lösungen:                           sprechende Eingliederungsmassnahme anzutreten, weil
die neuen Instrumente der IV                                   sie vielleicht wegen zu langem Fehlen einer geordneten
                                                               Tagesstruktur es noch nicht schafft, sich über eine ge-
   Welches waren nun die konkreten Möglichkeiten, das          wisse Zeit (pro Tag und später auch pro Woche) zu kon-
ursprüngliche Motto «Eingliederung vor Rente» auch             zentrieren. Sie muss sich erst wieder an einen regelmäs­
angesichts der veränderten gesellschaftlichen Bedin-           sigen Belastungsrhythmus gewöhnen, und muss allen-
gungen und mit dem Kulturwandel im Kopf in die Tat             falls auch mangelnde soziale Fähigkeiten (wieder) ein-
umzusetzen? Das «Übel an der Wurzel zu packen»                 üben. Die sehr niederschwelligen Integrationsmassnah-
heisst, Personen, die Anzeichen einer sich anbahnenden         men (tiefste Stufe: 2 Stunden Präsenszeit pro Tag, wäh-
Invalidität zeigen, so früh als möglich zu erfassen und        rend 4 Tagen pro Woche) kennen verschiedene Belas-
wenn nötig als IV aktiv zu werden. Mit diesen Personen         tungsintensitätsstufen und können entweder in einer
ist im Gespräch die Grundlage für den Entscheid zu             Institution oder bei einem Arbeitgeber durchgeführt
schaffen, ob eine IV-Anmeldung der richtige Weg ist,           werden. Damit es nicht zu einer Endlosschlaufe kommt,
die Mangelsituation zu beheben oder ob allenfalls an-          sind sie auf maximal ein Jahr beschränkt, können jeder-
dere Lösungsmöglichkeiten offen stehen. Oftmals wird           zeit unterbrochen und nur ausnahmsweise um ein wei-
es so sein, dass in beiden Fällen (mit und ohne IV-An-         teres Jahr verlängert werden. Sie unterteilen den steilen
meldung) weitere Personen und/oder Organisationen              Weg zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt in et-
(Krankentaggeldversicherung, Arbeitsumfeld, Familie,           was flachere Abschnitte, machen ihn dadurch allenfalls
Beratungsstellen etc.) im Lösungsprozess eine Rolle            etwas länger, aber für viele versicherte Personen eben
übernehmen müssen. Genau auf dieser in der Früher-             überhaupt erst begehbar.
fassung angefangenen Vernetzung und Zusammen­                     Früherfassung, Frühintervention und Integrations-
arbeit mit mehreren Partnern baut die Frühintervention         massnahmen sind ein sehr wesentlicher Teil der 5. IV-
auf.                                                           Revision und setzen beim «Zufluss» an, bzw. versuchen
   Wie der Name sagt, hat die Versicherung mit der             mit geeigneten Angeboten mehr Leute – mindest teil-
5. IV-Revision die Möglichkeit erhalten, in einem frü-         weise – wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückzu-
hen Zeitpunkt zu intervenieren und unkomplizierte,             bringen. Das grössere Angebot an Massnahmen hat
­rasche und nicht teure Massnahmen einzuleiten, wo das         aber auch den Zugang zur Rente enger gemacht. Es gilt
 ganz konkrete Ausmass der Invalidität noch gar nicht          alle Möglichkeiten auszuschöpfen und sowohl von der
 abgeklärt ist. Primäres Ziel der Frühintervention ist, die    Versicherung als auch von der versicherten Person zu
 «Abwärts-Bewegung» mit einfachen Mitteln zu stop-             verlangen, sich auf die Eingliederung auszurichten, ganz
 pen. Eine möglicherweise zur Invalidität führende Pro-        im Sinn von neuen Lösungen für Probleme von gestern
 blematik soll sich erst gar nicht so weit entwickeln, dass    und heute.
 nur noch teure und langwierige Massnahmen vielleicht
 helfen können, vielleicht aber auch nur noch die Rente
 möglich ist. Als Instrumentarium der Frühintervention         Adelaide Bigovic-Balzardi, lic. phil., wissenschaftliche
 kommen einerseits die bekannten Eingliederungsmass-           ­Mitarbeiterin, Geschäftsfeld Invalidenversicherung, BSV.
 nahmen der IV in Frage, andrerseits aber auch eine der         E-Mail: adelaide.bigovic@bsv.admin.ch

                                                                                          Soziale Sicherheit CHSS 1/2009    7
schwerpunkt                                                Schwerpunkt         IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

Die neuen Leistungen der 5. IV-Revision:
erster statistischer Schnappschuss
Es ist noch zu früh, um die Wirkung der 5. IV-Revision                         sensstand erreicht ist. Zudem gilt für die Leistungszu-
beurteilen zu können. Ein erster zahlenmässiger                                sprechung, dass zuerst überdurchschnittlich viele klare
                                                                               oder eindeutige Fälle erledigt werden, während es bei
Überblick über die Meldungen, die Massnahmen der
                                                                               komplexen Fällen länger dauert. Eine effektive Null-
Frühintervention und die Integrationsmassnahmen                                messung mit einer ausgeglichenen Verteilung zwischen
zeigt, dass diese neuen Instrumente intensiv einge­                            komplexen und einfachen Fällen kann wohl erst 2010
setzt werden: Im ersten Jahr nach dem In-Kraft-Treten                          erfolgen. Es liegen zwar auch Daten zum neu eingeführ-
wurden über 10 000 von Invalidität bedrohte Personen                           ten Grundsatzentscheid und zu den geforderten Ein-
                                                                               gliederungsplänen sowie über die bezahlten Rechnun-
gemeldet, 8000 Personen wurden Massnahmen der
                                                                               gen bezüglich der neuen Instrumente vor. Diese Daten
Frühintervention und knapp 1000 Personen Integra­                              sind jedoch noch so instabil, dass auf eine Darstellung
tionsmassnahmen zugesprochen. Insgesamt sind                                   der Ergebnisse verzichtet wird. Aus den gleichen Grün-
16 000 Menschen1 betroffen, was ungefähr der Anzahl                            den werden keine Daten nach Kantonen und komple-
Personen entspricht, die im Jahr vor der Einführung                            xen Kriterien wie beispielsweise die Kombination der
                                                                               Merkmale «Alter», «Geschlecht» und «Gebrechen» pu-
der 5. IV-Revision berufliche Massnahmen in Anspruch                           bliziert.
nahmen.                                                                           Die Grafik G1 zeigt, dass sich die Zahl der Meldun-
                                                                               gen2 bereits seit dem 2. Quartal auf einem Wert zwischen
                                                                               2500 und 3000 eingependelt hat. Bei den «Massnahmen

                                                                               Anzahl Meldungen/Leistungen der 5. IV-Revision                               G1
                                                                               nach Quartalen 2008

                                                                               3500

                                                                               3000

                                                                               2500

                                                                               2000

                                                                               1500

       Markus Buri                        Beat Schmid                          1000
       Bundesamt für Sozialversicherungen Bundesamt für Sozialversicherungen
                                                                                 500

                                                                                    0
                                                                                             1. Quartal     2. Quartal        3. Quartal        4. Quartal

       Die neuen Instrumente im Überblick                                                    Meldungen        Massnahmen der             Integrationsmass-
                                                                                                              Frühintervention           nahmen

          Im vorliegenden Artikel werden die Meldungen im
                                                                               Quelle: BSV
       Rahmen der Früherfassung, die Massnahmen der Früh-
       intervention und die Integrationsmassnahmen statis-
       tisch beleuchtet. Auf differenzierte Analysen muss vor-
       erst verzichtet werden, weil die Fallzahlen zum Teil noch
                                                                               1 Für einige Personen liegen sowohl Meldungen wie auch Leistungen vor.
       sehr klein und die Daten mit «Einführungsartefakten»                      Deshalb ist das Total der betroffenen Personen kleiner als die Summe
       belastet sind: Es dauert eine gewisse Zeit, bis sowohl bei                der Meldungen und Leistungen.
       den versicherten Personen als auch bei den Beratungs-                   2 Für einige Personen liegen mehrere Meldungen vor. In diesen Fällen
                                                                                 wird nur die erste Meldung berücksichtigt. Bei den Leistungen wird
       diensten und weiteren Kreisen in etwa der gleiche Wis-                    analog gezählt.

       8     Soziale Sicherheit CHSS 1/2009
Schwerpunkt         IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

der Frühintervention» und den Integrationsmassnah-
men ist seit dem 3. Quartal eine Stabilisierung zu beob-               Meldungen/Leistungen der 5. IV-Revision und                           G2
achten (bei Ersteren: 2000–2500, bei Letzteren: 300). In               Erwerbstätige nach Geschlecht 20084
der Botschaft zur 5. IV-Revision wurde von 20 000 Mel-
dungen, 10 000 Massnahmen der Frühintervention und
5000 Integrationsmassnahmen pro Jahr ausgegangen3.                        Erwerbstätige
Die Schätzung der Meldungen beruhte auf der Annah-
me, dass rund 10 Prozent der Personen, die einen Monat                     Integrations-
oder länger krank sind, gemeldet werden. Dieser Anteil                     massnahmen
ist überschätzt worden, wenn sich die Zahl der Meldun-
gen ein Jahr nach Einführung tatsächlich stabilisiert hat.             Massnahmen der
                                                                       Frühintervention
Hingegen liegt die Zahl der Personen, die eine Mass-
nahme der Frühintervention zugesprochen erhielten,
mit 8000 recht nahe bei der Schätzung in der Botschaft.                       Meldungen
Bei den Integrationsmassnahmen, die im Eingliede-
rungsprozess zeitlich erst zu einem späteren Zeitpunkt                                  0%         20%       40%       60%          80%    100%
zum Zuge kommen, kann noch kein Vergleich mit der
damaligen Schätzung gemacht werden.                                                                          Männer        Frauen

                                                                       Quelle: BSV

Die neuen Instrumente nach Geschlecht und
Alter                                                                  spiegeln: zum einen steigt die Invalidisierungswahr-
                                                                       scheinlichkeit mit zunehmendem Alter. Zum anderen
   Die neuen Instrumente der 5. IV-Revision sollen vor                 schätzen die IV-Stellen die Chancen einer erfolgreichen
allem Personen, die noch im Arbeitsprozess integriert                  (Wieder)eingliederung ins Arbeitsleben bei jüngeren
sind, vor einem Arbeitsplatzverlust schützen. Ein Ver-                 Versicherten höher ein als bei älteren Versicherten.
gleich mit den Erwerbstätigen kann Hinweise darauf
geben, wo die Instrumente schwerpunktmässig einge-
setzt werden.                                                          Meldungen/Leistungen der 5. IV-Revision und                           G3
   Bezüglich der Meldungen und der Integrationsmass-                   Erwerbstätige nach Alter 20085
nahmen sind die beiden Geschlechter ungefähr entspre-
chend ihrem Anteil an den Erwerbstätigen vertreten.                         Erwerbstätige
Im Unterschied dazu sind bei den Massnahmen der
Frühintervention die Männer leicht übervertreten.
   Ein Vergleich des Anteils verschiedener Altersgrup-
pen am Total der Meldungen mit deren Anteil am Total                        Integrations-
der Erwerbstätigen zeigt ein differenziertes Bild:                          massnahmen
   In den Altersklassen der bis 39-Jährigen werden im                  Massnahmen der
Vergleich zum Anteil der Erwerbstätigen relativ wenig                  Frühintervention
Personen für eine Früherfassung gemeldet. In der Kate-
                                                                               Meldungen
gorie der 40- bis 44-Jährigen entspricht der Anteil der
Früherfassungsmeldungen dem der Erwerbstätigen.
                                                                                           0%      20%       40%       60%          80%    100%
Besonders auffällig ist die Situation bei den 45- bis
60-Jährigen: Hier werden anteilsmässig am meisten Per-
sonen für eine Früherfassung gemeldet. Diese Tendenz                                            15–19    20–24     25–29      30–34       35–39
verkehrt sich bei der Gruppe der über 60-Jährigen ins                                           40–44    45–49     50–54      55–59       60+
Gegenteil. Bei dieser Gruppe stellen wir nur noch sehr
                                                                       Quelle: BSV
wenige Früherfassungsmeldungen fest. In diesen Befun-
den dürften sich zwei gegenläufige Tendenzen wider-
                                                                       Die Meldungen nach Instanzen
3 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversi-
  cherung (5. Revision) vom 22.6.2005 S. 4586.                           Die Meldeinstanzen «Arbeitgeber» mit 31 Prozent
4 Erwerbstätige nach Geschlecht gemäss BFS, Schweizerische Arbeits-    und «Versicherte Person sowie deren gesetzliche Vertre-
  kräfteerhebung 2008.
5 Erwerbstätige nach Alter gemäss Schweizerischer Arbeitskräfteerhe-
                                                                       tung» mit 25 Prozent erbringen zusammen über die
  bung 2007.                                                           Hälfte der Meldungen. Die «behandelnden ÄrztInnen»

                                                                                                 Soziale Sicherheit CHSS 1/2009      9
Schwerpunkt      IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

              melden 12 Prozent, alle Versicherungen zusammen 23
              Prozent und die «Sozialhilfe» 5 Prozent.                        Neue Leistungen der 5. IV-Revision 2008                                      G6

                                                                              Massnahmen der Frühintervention
              Die neuen Leistungen
                                                                                                  Beschäftigungsmassnahmen;
                                                                                                               3%
                Die Analyse, wegen welchen Gebrechen eine der                                                     Anpassungen des
              neuen Leistungen zugesprochen wurde, zeigt, dass über                                               Arbeitsplatzes; 3%
                                                                              sozialberufliche Rehabilitation;
                                                                                            5%                             Ausbildungskurse; 11%
              die Hälfte der Leistungen wegen «psychischen Gebre-
              chen» und «Gebrechen des Knochen- und Bewegungs-                                                                            Arbeits-
              apparates» zugesprochen worden sind. Diese beiden                                                                           vermittlung; 17%
              Gebrechensgruppen «dominieren» auch bei den Beren-
                                                                                                  Berufsberatung; 60%
              tungen der IV. Interessant ist, dass bei den Massnahmen
              der Frühintervention 37 Prozent wegen «Gebrechen
              des Knochen- und Bewegungsapparates» und 29 Pro-
                                                                              Integrationsmassnahmen
              zent wegen «psychischen Gebrechen» zugesprochen
              worden sind. Bei den Integrationsmassnahmen hinge-                                                     Beitrag bei Weiterbeschäftigung
              gen waren in 63 Prozent der Fälle «psychische Gebre-                 Arbeit zur Zeitüberbrückung;               im Betrieb; 4%
                                                                                                5%
              chen» und nur in 15 Prozent «Gebrechen des Knochen-             Wirtschaftsnahe Integration
              und Bewegungsapparates» Auslöser der Leistung. Bei                   mit Support am
              den Integrationsmassnahmen zeigt der sehr hohe Anteil                  Arbeitsplatz
                                                                                                                                                 Belastbarkeits-
                                                                                     (WISA); 6%
                                                                                                                                                 training; 51%

                                                                                                  Aufbau-
Meldungen nach Instanz 2008                                             G4                    training; 33%

                                         Andere         vP oder gesetzliche   Quelle: BSV
                              Sozialhilfe
                                          4%                Vertretung
         Unfallversicherer 6%    5%
                                                               25%
Private Versicherung 7%
                                                                              von Personen mit psychischen Gebrechen, dass diese
    Krankentaggeld-
                                                                              Massnahmen effektiv zur Verbesserung der Eingliede-
       versicherer
          10%                                                                 rung von psychisch Kranken eingesetzt werden, so wie
                                                                              das seinerzeit in der Botschaft zur 5. IV-Revision6 dar-
                             Arzt                                             gestellt wurde.
                             12%                        Arbeitgeber
                                                           31%                   Bei den Massnahmen der Frühintervention dominiert
Quelle: BSV
                                                                              die Berufsberatung mit 60 Prozent der zugesprochenen
                                                                              Massnahmen, gefolgt von den Arbeitsvermittlungen mit
                                                                              17 Prozent und den Ausbildungskursen mit 11 Prozent.
                                                                              Alle andern Massnahmen liegen unter 10 Prozent. Bei
Neue Leistungen der 5. IV-Revision nach Gebrechen 2008G5                     den Integrationsmassnahmen liegen das Belastbarkeits-
                                                                              training (51 Prozent) und das Aufbautraining (33 Prozent)
Integrations-                                                                 mit zusammen über 80 Prozent der Zusprachen klar vor-
massnahmen                                                                    ne. Alle andern Massnahmen liegen unter 10 Prozent.

                                                                              Markus Buri, lic. phil. hist., wissenschaftlicher Mitarbeiter,
Massnahmen                                                                    Bereich Statistik, Abteilung Mathematik, Analysen, Statistik, BSV.
der Früh-
                                                                              E-Mail: markus.buri@bsv.admin.ch
intervention
                    0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%100%

                                                                              Beat Schmid, lic. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Bereich
                       Geburtsgebrechen      Psychische Erkrankungen          ­Statistik, Abteilung Mathematik, Analysen, Statistik, BSV.
                       Nervensystem     Knochen- und Bewegungsorgane           E-Mail: beat.schmid@bsv.admin.ch
                       Andere Krankheiten     Unfälle

Quelle: BSV                                                                   6 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversi-
                                                                                cherung (5. Revision) vom 22.6.2005 S. 4523.

              10     Soziale Sicherheit CHSS 1/2009
schwerpunkt                                            Schwerpunkt   IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

Umsetzung der 5. IV-Revision bei der
IV-Stelle Jura
Ab Herbst 2006 befasste sich unsere IV-Stelle mit der                Stelle von der Notwendigkeit eines Beziehungsausbaus
Umsetzung der 5. IV-Revision und ernannte eine                       für die Zukunft.
                                                                       Immer noch mit dem Ziel, möglichst viele Arbeitge-
Projektleiterin, um diese wichtige Änderung erfolg­
                                                                     ber zu erreichen, und im Wissen, dass manche von ihnen
reich vollziehen zu können. Die Projektleiterin plante               keinem Berufsverband angehören, veröffentlichte die
in Zusammenarbeit mit den Direktionsmitgliedern                      IV-Stelle Jura zweimal Einladungen zur Teilnahme an
die verschiedenen zu erledigenden Aufgaben, im                       Informationsveranstaltungen in der Presse. Auch diese
Besonderen interne Organisation, Fristenverwaltung,                  Aufrufe stiessen auf grosses Interesse.
externe Information, interne Schulung, Erarbeitung
der Dokumentation für unsere Gesprächspartner                        Gestiegenes Interesse
sowie Vorbereitung von verschiedenen Konferenzen.
                                                                        Um mit noch mehr Arbeitgebern in Kontakt zu kom-
                                                                     men, erhielten wir die Möglichkeit, die Neuerungen in
                                                                     der Invalidenversicherung verschiedenen Serviceclubs,
                                                                     die uns einen Abend widmeten, zu präsentieren. Auch
                                                                     hier war der Austausch offen und konstruktiv, was na-
                                                                     mentlich dem Umstand zu verdanken ist, dass die Mit-
                                                                     glieder dieser Serviceclubs einen bedeutenden Teil der
                                                                     Regionalwirtschaft ausmachen.
                                                                        Ein weiterer sehr wichtiger Akteur im Eingliede-
                                                                     rungsprozess ist der/die behandelnde ÄrztIn. Über die
                                                                     kantonale Ärztegesellschaft konnte die IV-Stelle Jura
                                                                     entsprechende Kontakte knüpfen, zunächst durch eine
                                                                     schriftliche Information über die wichtigsten Neuerun-
                                Christèle Eray                       gen, die im Falle einer Annahme des neuen Gesetzes
                                Invalidenversicherungsstelle des     eintreten würden. Eine zweite Information wurde im
                                Kantons Jura                         Juli 2007 an alle Ärztinnen und Ärzte dieser Gesell-
                                                                     schaft gerichtet. Das Schreiben enthielt die Aufforde-
                                                                     rung, sich zu einer Ende Oktober 2007 angesetzten In-
                                                                     formationsveranstaltung anzumelden. Alle praktizie-
        Nach der Annahme des neuen Gesetzes durch das                renden Ärzte und Ärztinnen hatten Gelegenheit, vor
        Volk am 17. Juni 2007 war die Anstellung des erforder-       der Veranstaltung Fragen zur 5. IV-Revision im Beson-
        lichen Personals am 4. Juli 2007 abgeschlossen. Danach       deren oder zur Invalidenversicherung im Allgemeinen
        wurde die Information durch zahlreiche Veranstaltun-         zu stellen. So beteiligten sich fast 60 Prozent der auf
        gen für Arbeitgeber verstärkt. Die IV-Stelle handelte        dem Kantonsgebiet praktizierenden Ärzte und Ärztin-
        rasch, um möglichst viele Arbeitgeber zu erreichen, da       nen aktiv an den Debatten, die somit ermöglichten, die
        diese für erfolgreiche berufliche Wiedereingliederun-        Ärzteschaft von der Daseinsberechtigung der künftigen
        gen unumgängliche Akteure sind. Zunächst nahmen              Änderungen im IVG zu überzeugen. Wir stellen mit
        wir Kontakt zu allen Berufsverbänden auf, die sich in        grosser Befriedigung fest, dass die Ärzteschaft des Kan-
        den meisten Fällen offen und interessiert an einer Zu-       tons Jura als Ganzes und die Arbeitgeber eng und effi­
        sammenkunft mit ihren Mitgliedern zeigten. So konn-          zient im Interesse der Versicherten zusammenarbeiten.
        ten Referate über die 5. IV-Revision im Rahmen von           Vereinbarungsgemäss kontaktiert unsere Stelle die Ärz-
        Generalversammlungen oder sogar speziell diesem              tinnen und Ärzte Anfang 2009 noch einmal, um eine
        Thema gewidmeten Abenden organisiert werden. Die-            erste Bilanz aus der 5. Revision zu ziehen. So können
        se Anlässe boten allen Beteiligten auch die Gelegen-         wir die Leistungen jedes einzelnen noch weiter verbes-
        heit, einen offenen Dialog zu führen und ihre Bezie-         sern und auf gewisse Anliegen eingehen.
        hungen untereinander zu vertiefen. Das von den Ar-              Sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Ärzt­
        beitgebern bekundete Interesse überzeugte die IV-            Innen ist ein gestiegenes Interesse zu beobachten. Man

                                                                                             Soziale Sicherheit CHSS 1/2009    11
Schwerpunkt      IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

ist von der Effizienz der Früherfassung überzeugt, mit     formieren zu können, dies vor allem über die AHV/IV-
der Versicherte, die wegen ihres Gesundheitsschadens       Gemeindezweigstellen.
Massnahmen beruflicher Art benötigen, rasch erkannt
werden können, so dass die Gewährung von Neurenten
vermieden wird. Aufgrund dieser Feststellung hat die       Verbesserte Zusammenarbeit
IV-Stelle Vorkehrungen getroffen, um ihr Netzwerk
auszubauen und ihre Präsenz vor Ort zu erhöhen.               Wir erachteten auch ein Treffen mit den verschiede-
                                                           nen Gewerkschaften unseres Kantons für notwendig.
                                                           Bei dieser Gelegenheit konnten zahlreiche Punkte be-
Breit gestreute Information                                sprochen werden – nicht nur in Bezug auf die 5. IV-Re-
                                                           vision, sondern auch hinsichtlich der Invalidenversiche-
   Auf den von der Direktion gutgeheissenen Vorschlag      rung im Allgemeinen. Die GewerkschaftsvertreterIn-
der Projektleiterin hin wurde im März 2007 das gesamte     nen konnten die Gesetzesänderungen und das damit
Personal über die Organisation der Stelle im Falle einer   verfolgte Ziel gut nachvollziehen, auch wenn die Aus-
Annahme des neuen Gesetzes informiert. Anschlies­          wirkungen des neuen Gesetzes nicht ganz ihren zentra-
send wurden die Mitarbeitenden bis zum Inkrafttreten       len Anliegen entsprechen. Mit diesem Austausch soll
des Gesetzes je nach den ihnen übertragenen spezifi-       auch die Zusammenarbeit zwischen unserer Stelle und
schen Aufgaben geschult. Das Konzept des «Case Ma-         den Gewerkschaften, die immer häufiger die Versicher-
nagements», das bei unserer Stelle bereits bekannt war,    ten vertreten, erleichtert und verbessert werden.
wurde weiterentwickelt und auf die Anforderungen des          Anlässlich des jährlichen Kolloquiums des jurassischen
neuen Gesetzes abgestimmt. Die für die berufliche Ein-     Verbands der Sozialversicherungs-Fachleute (AJEAS)
gliederung zuständigen Personen führen das Dossier         hielt unsere Projektleiterin einen Vortrag, um die Mit-
von der Einreichung der Anmeldung bis zur Wiederein-       glieder über die neuen gesetzlichen Bestimmungen zu
gliederung in den Arbeitsmarkt. Das Personal des Ab-       informieren.
klärungsdienstes ist für die Einholung der sachdienli-        In Anbetracht der zunehmenden Bedeutung der Zu-
chen, für den Grundsatzentscheid erforderlichen Infor-     sammenarbeit zwischen den verschiedenen sozialen
mationen verantwortlich. Zu den Aufgaben dieser Mit-       Einrichtungen und besonders zwischen der kantonalen
arbeitenden, die entsprechend geschult wurden, gehört      Sozialhilfe und dem Regionalen Arbeitsvermittlungs-
auch die Früherfassung. Zur Bewältigung der neuen          zentrum organisierten wir eine ganztägige Zusammen-
Aufgaben wurden spezifische Abläufe eingeführt, er-        kunft mit allen Mitarbeitenden dieser Institutionen.
klärt, verarbeitet und schliesslich vom gesamten Perso-    Nach einem Vortrag über die 5. IV-Revision befassten
nal angewendet. Dazu absolvierten die Mitarbeitenden       sich die Teilnehmenden im Rahmen von Workshops mit
einen Kurs über die Änderungen, der sich als sehr effi­    konkreten Situationen. Dabei wurden im Besonderen
zient erwies. Auch der Umgang mit der an die 5. IV-Re-     die Konzepte Früherfassung, Frühintervention, Integra-
vision angepassten IT setzte eine Personalschulung vor-    tionsmassnahmen und Interinstitutionelle Zusammen-
aus, die mit entsprechenden Fachleuten erfolgte. Aus­      arbeit behandelt. Dieser Tag war eine Premiere in unse-
serdem konnten alle von der Durchführung der neuen         rem Kanton; noch nie zuvor kamen alle Fachleute der
Leistungen betroffenen Mitarbeitenden an den verschie­     beruflichen Eingliederung zusammen. Es wurde eine
denen vom IV-Bildungszentrum angebotenen Kursen            sehr positive Bilanz aus diesem Anlass gezogen. Auf-
teilnehmen.                                                grund der von den Teilnehmenden ausgefüllten Bewer-
   Im Bewusstsein um die Bedeutung der von der Ge-         tungen wurde vereinbart, im ersten Quartal 2009 mit
setzesrevision herbeigeführten Veränderung war unsere      denselben Akteuren eine Situationsanalyse zur 5. IV-
Stelle bestrebt, möglichst viele Akteure über verschie-    Revision zu organisieren.
dene Kanäle zu informieren. Eine breit gestreute Infor-       Im Rahmen der IIZ+ setzt sich unsere Stelle zweimal
mation erschien uns immer entscheidend für den Erfolg      pro Jahr mit den VertreterInnen von etwa fünfzehn ver-
der Früherfassung. Je rascher uns Personen in schwieri-    schiedenen Versicherungen an einen Tisch. Auch bei
ger Lage gemeldet werden, desto grösser ist ihre Chan-     dieser Gelegenheit stellten wir die neuen Gesetzes-
ce auf erfolgreiche berufliche Eingliederung.              grundlagen vor und legten einen gemeinsamen Ablauf
   Im Bemühen um eine möglichst vollständige Infor-        bezüglich der Früherfassung sowie der Einreichung von
mationskampagne trafen wir auch mehrmals mit den           Anträgen auf IV-Leistungen fest, und zwar zusätzlich
Gemeindepräsidenten unseres Kantons zusammen.              zur Zusammenarbeit, die wir bereits vorher pflegten.
Diese beteiligten sich aktiv am Austausch; die Begeg-      Auf unseren von manchen Gesellschaften angenomme-
nungen waren bereichernd und fanden mit dem Ziel           nen Vorschlag hin suchten wir deren Mitarbeitende auf,
statt, die Bürgerinnen und Bürger zu gegebener Zeit in-    um sie über die Änderungen in der IV zu unterrichten.

12   Soziale Sicherheit CHSS 1/2009
Schwerpunkt      IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

   Wir legten auch Wert auf eine spezifische Information      An jeder Informationsveranstaltung gab die IV-Stelle
an unsere wichtigsten in der beruflichen Eingliederung     eine vollständige Dokumentation über die 5. IV-Revi­
tätigen Leistungserbringer. Bei dieser Gelegenheit wur-    sion ab.
den ausserdem die spezifischen Abläufe für die Zukunft        Der gesamte der Umsetzung der 5. IV-Revision ge-
festgelegt sowie die ersten Schritte zur Umsetzung der     widmete Zeitraum war bezüglich Austausch mit unse-
Integrationsmassnahmen unternommen.                        ren Partnern sehr bereichernd. Die Revision ermöglich-
   Unsere Information bezog auch die Vereinigungen im      te uns, auf sie zuzugehen, ihnen zu erklären, warum wir
Dienste behinderter Menschen ein, namentlich Pro In-       sie brauchen, und vor allem, das Know-how eines Teams
firmis, den Schweizerischen Blinden- und Sehbehinder-      von Mitarbeitenden, die dank neuer Leistungen ihre
tenverband, die Vereinigung Cerebral, die Krebsliga        Aufgaben noch besser wahrnehmen können, ins Feld zu
usw.                                                       führen.
   Dasselbe gilt für den Vorstand und die Delegierten-
versammlung der Pensionskasse des Kantons Jura so-
wie für das gesamte kantonale Sozialversicherungsamt,      Christèle Eray, Spezialistin für Sozialversicherungen, stellvertreten-
das die Ausgleichskasse, die öffentliche Arbeitslosen-     de Dienstchefin, Invalidenversicherungsstelle des Kantons Jura.
kasse und die Familienausgleichskasse umfasst.             E-Mail: christele.eray@ju.oai.ch

                                                                                       Soziale Sicherheit CHSS 1/2009        13
schwerpunkt                                             Schwerpunkt   IV: ein Jahr Umsetzung «Fünfte»

In zwei Anläufen zum Ziel

Ein 47-jähriger Kältemonteur erlitt im November 2007                    Zu dieser Zeit stand der Versicherte in der Erho-
seinen zweiten Herzinfarkt und gleichzeitig einen                     lungsphase und wollte baldmöglichst wieder zu arbeiten
                                                                      beginnen. Seine bisherige, körperlich schwere Tätigkeit
Hirnschlag. Mitte Februar 2008 reichte sein Hausarzt
                                                                      konnte er nicht mehr ausführen. Sein Arbeitgeber war
bei der IV-Stelle St.Gallen eine Früherfassungs-                      aber bereit, ihn betriebsintern in eine andere Tätigkeit
­Meldung ein. Mit dem Versicherten wurde ein erstes                   umzuschulen. Es drängte sich eine möglichst rasche Lö-
 Gespräch bei ihm zuhause vereinbart. Dieses Früh­                    sung auf, zumal der Versicherte und der Arbeitgeber
 erfassungsgepräch fand zehn Tage später statt. Fazit                 grosses Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit
                                                                      zeigten. Die IV-Stelle St.Gallen empfahl Peter Muster
 dieses Gesprächs: Eine Wiedereingliederung in die
                                                                      eine möglichst rasche IV-Anmeldung. Diese ging am
 bisherige, körperlich schwere Tätigkeit ist nicht mehr               29. Februar 2008 ein.
 möglich. Danach entwickelte sich eine Fallgeschichte                   Dank der neuen Möglichkeiten seit der Einführung
 mit Erfolgen und Rückschlägen, die exemplarischen                    der 5. IV-Revision konnten innert kürzester Zeit die
 Wert hat.                                                            notwendigen Abklärungen getroffen werden. Auf das
                                                                      Einholen von Arztzeugnissen mit teils längeren Warte-
                                                                      zeiten konnte vorerst verzichtet werden. Die IV-Stelle
                                                                      wurde parallel auf mehreren Schienen aktiv:
                                                                      • Innert weniger Tage klärte der Arzt des Regionalen
                                                                        Ärztlichen Dienstes (RAD) in einer telefonischen
                                                                        Vortriage mit den behandelnden Ärzten die medizini-
                                                                        schen Fakten ab. Insbesondere die Frage nach dem
                                                                        Eingliederungspotenzial stand zu jenem Zeitpunkt
                                                                        im Vordergrund.
                                                                      • Weitere benötigte Unterlagen wurden durch die
                                                                        Sachbearbeitung verlangt. Auch die definitive Prü-
                                                                        fung der versicherungsmässigen Voraussetzungen
                                                                        konnte in der Zwischenzeit erfolgen.
                                  Reto Ludwig                         • Die Eingliederungsberatung machte sich bereits Ge-
                                  IV-Stelle St.Gallen                   danken über Eingliederungsmöglichkeiten.

                                                                      Für das Triagegespräch mit dem RAD-Arzt, der Einglie-
                                                                      derungsberatung und der zuständigen Sachbearbeiterin
                                                                      lagen innert drei Wochen ausführliche Informationen
        Wiedereingliederung setzt ein                                 vor. Von medizinischer Seite lautete der Befund: Der
                                                                      Versicherte erlitt am 21. November 2007 seinen zweiten
                                                                      Herzinfarkt und gleichzeitig eine Hirnblutung. Aktuell
           Die versicherte Person – nennen wir sie Peter Muster       – rund drei Monate nach dem Ereignis – geht es ihm gut,
        – mit Jahrgang 1960 ist verheiratet und Vater von zwei        und er ist weitgehend beschwerdefrei. Festzustellen sind
        Kindern (1993 und 96). Sein schulischer und beruflicher       gewisse kognitive Beeinträchtigungen. Mittelschwere
        Hintergrund: sechs Jahre Primarschule, drei Jahre Real-       bis schwere Tätigkeiten sind dem Versicherten aus medi-
        schule, Abschluss einer vierjährigen Berufslehre als Me-      zinischer Sicht nicht mehr zumutbar. In einer leidensad-
        chaniker und danach eine einjährige Betriebsführungs-         aptierten Arbeit kann in Kürze wieder mit einer vollen
        schule mit Diplom. Seit 1980 ist er beim selben Arbeit-       Arbeitsfähigkeit gerechnet werden. Der Wiedereinstieg
        geber als Kältemonteur zu einem Jahreslohn von 78 000         ins Erwerbsleben soll aber zeitlich abgestuft erfolgen.
        Franken angestellt. Zum Zeitpunkt des Gespräches be-             Auf dieser Basis wurden das weitere Vorgehen und
        zog Peter Muster Krankentaggeld bei einer 100-prozen-         die Eingliederungsstrategie festgelegt. Diese sah vor,
        tigen Arbeitsunfähigkeit. So präsentierte sich die Aus-       dass eine Wiedereingliederung beim bisherigen Arbeit-
        gangslage knapp drei Monate nach dem gleichzeitigen           geber, allerdings in einer anderen, dem Leiden ange-
        Herzinfarkt und Hirnschlag des Mannes.                        passten Tätigkeit, angestrebt werden soll.

        14   Soziale Sicherheit CHSS 1/2009
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