Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE

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Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
04/2019

DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN
                          dialog

                     Energiewende
                            Ist das Klima
                           noch zu retten?
Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
Theoretisch
ist die Energiewende
eine Jahrhundert-
aufgabe.

     Praktisch
     lernen Sie bei uns
        jeden Tag dazu.

Gemeinsam bringen wir die Dinge voran: Wir von der EnBW entwickeln intelligente
Energieprodukte, machen unsere Städte nachhaltiger und setzen uns für den Ausbau
erneuerbarer Energien ein. Und dafür benötigen wir tatkräftige Unterstützung.

Deshalb suchen wir echte Macher (w/m/d), die mit viel Engagement, Einfallsreichtum und
Know-how mutig die Herausforderungen unserer Zeit anpacken und mit uns zusammen
die Energiezukunft gestalten.
Im Gegenzug bieten wir abwechslungsreiche Aufgaben und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten.

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Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
EDITORIAL

                                                                Unbequeme Fakten
                                                                Am 20. August 2018 erklärte Greta Thunberg vor dem schwedischen Reichstag den Schul-
                                                                streik. Über Europa lag eine Hitze- und Dürrewelle. Seitdem ist aus der einzelnen Schülerin
                                                                die weltweite Bewegung „Fridays for Future“ geworden, Europa ächzt unter Hitzerekorden
                                                                und in Deutschland gab es ein Video des Youtubers Rezo, das – vorsichtig ausgedrückt –
                                                                interessante Reaktionen hervorgerufen hat.
                                                                   Die Freitags-Demonstranten und Rezo fordern Ernsthaftigkeit – das sollte nicht zu viel
                                                                verlangt sein. Seit über zwanzig Jahren ist die umweltfreundliche Energieversorgung ein
                                                                zentrales politisches Thema. Unsummen sind dafür in der Gesellschaft umverteilt worden,
                                                                Industrien wurden aufgebaut, der Niedergang anderer akzeptiert. Deutschland hat sich ger-
                                                                ne als grüner Musterschüler gegeben. Herausgekommen ist,
                                                                dass wir die Ziele für 2020 verfehlen. Effektive Politik sieht
                                                                wohl anders aus – und glaubwürdige auch.                         »Deutschland hat sich gern als grüner
                                                                   Was muss sich ändern, damit wir nicht im Jahr 2028, kurz Musterschüler gegeben – und ver­fehlt
                                                                vor dem nächsten Etappenziel, feststellen müssen, dass es lei-
                                                                                                                                 nun die Ziele für das Jahr 2020.«
                                                                der wieder nicht gereicht hat? Orientierung an Fakten und am
                                                                Gesamtziel statt an Symbolik würde sicher helfen. Ein jünge-
                                                                res Beispiel für Symbolik ist der Kohleausstieg. Ein solcher Ausstiegsbeschluss wäre mit
                                                                großer Wahrscheinlichkeit gar nicht nötig, wenn wir uns stattdessen mit der Beseitigung
                                                                von Barrieren für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien befassen würden (und da-
                                                                bei nebenbei von deren mittlerweile - auf­grund unserer Anschub­finanzierung! – erreichten
                                                                Wettbewerbsfähigkeit profitieren). Und wenn uns der Kohlendioxidausstoß wirklich wichtig
                                                                gewesen wäre, hätten wir uns im Frühjahr 2011 wohl für eine andere, zugegebener­maßen
FOTOS: TITELSEITE: PHOTOBANK / STOCK.ADOBE.COM; SEITE 03: ABB

                                                                nicht sehr populäre Brückentechnologie entscheiden müssen als ausgerechnet für Kohle.
                                                                Fakten können unbequem sein.
                                                                   Faktenbasierte und zielorientierte Diskussionen und Entscheidungen sind also gefragt.
                                                                Der VDE kann nicht entscheiden. Aber er kann Fakten liefern. Und seit 2003 tun wir das
                                                                mit zahlreichen Studien und Positionspapieren. Dieses Engagement setzen wir fort, zum
                                                                Beispiel mit diesem Heft. Ich wünsche Ihnen eine bereichernde Lektüre.

                                                                Ihr

                                                                Prof. Dr. Jochen Kreusel, Market Innovation Manager Power Grids Division, ABB
                                                                und Mitglied des VDE-Präsidiums

                                                                                                                                                                         03
Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
INHALT

                                                                                                                                                                     12

Spätestens seit sich die „Scientists for Future“-Wissenschaftler mit den Schülern der „Fridays for Future“-Bewegung solidarisch erklärt haben, ist Bewegung in die Debatte
um die Klimapolitik gekommen. Bei allen jetzigen Bekenntnissen zu den Zielen des Pariser Abkommens, die zentrale Frage lautet: Ist das Klima noch zu retten?

                                                                               36                                                                                     30

Kleiner(er) Antrieb mit großer Wirkung: Der Trend zu elektrischen Antrieben und       Die Zahl an Plagiaten, die auf den europäischen Markt strömen, steigt weiter an. Vor
Hybrid-Fahrzeugen beinflusst die Fahrzeugproduktion und das Design der Autos.         allem Fälschungen aus China machen Maschinen- und Anlagenbauern zu schaffen.

04
Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
TITEL

                                                                                                                                                                   12		 ENERGIEWENDE
                                                                                                                                                                          Bloßes Lippenbekenntnis oder
                                                                                                                                                                          ernstzunehmende Anstrengung?           THEMEN
                                                                                                                                                                          Die Redaktion fragte zwei Ex-

                                                                                                                        SPEKTRUM
                                                                                                                                                                          perten für erneuerbare Energien,
                                                                                                                                                                          ob und wie das Bekenntnis der
                                                                                                                                                                          Politik zur Einhaltung der Pariser

                                                                                                                                                                                                                 30 PLAGIATE
                                                                                                                                                                                                                        Global Player im Plagiate-­
                                                                                                                                                                          Klimaziele noch umzusetzen ist.               Business: In großer Zahl kommen

                                                                                                                        06 MELDUNGEN
                                                                                                                              Mikrobots / Batterie-Recycling /
                                                                                                                                                                   18 START-UPS
                                                                                                                                                                                                                        Produktfälschungen auf den
                                                                                                                                                                                                                        deutschen Markt. Der überwie-
                                                                                                                                                                                                                        gende Teil stammt aus China.
                                                                                                                              Cyberkriminalität / Autonomes               Auf dem Weg zu sauberem
                                                                                                                              Fahren / 5G / Künstliche Intelli-
                                                                                                                              genz / Solarenergie / Transistor-
                                                                                                                              technik / Online-Identifizierung
                                                                                                                                                                          Strom: Mit innovativen techni-
                                                                                                                                                                          schen Ideen entwickeln Start-ups
                                                                                                                                                                          Konzepte zur Umsetzung der

                                                                                                                                                                                                                 32 CARBON CAPTURING
                                                                                                                                                                                                                        Negative Emissionstechnologie:
                                                                                                                                                                          Energiewende. Ein Überblick.                  Das Einsammeln und Umwan-

                                                                                                                                                                                                                        deln von CO2 aus der Luft kann
                                                                                                                        07 PERSONALIA
                                                                                                                              Wolfgang Niedziella / Dr. Kurt
                                                                                                                              Bettenhausen / Wolf-Dieter Lukas /

                                                                                                                                                                   20 WÄRMESEKTOR
                                                                                                                                                                          Keine Energiewende ohne Wärme­
                                                                                                                                                                                                                        eine Strategie sein, die Klima­
                                                                                                                                                                                                                        erwärmung aufzuhalten.

                                                                                                                              Prof. Dr. Ina Schiefer­decker /
                                                                                                                              Kerstin Andreae
                                                                                                                                                                          wende: Rund die Hälfte der ver­
                                                                                                                                                                          brauchten Energie entfällt auf den
                                                                                                                                                                          Wärmesektor – nicht nur in

                                                                                                                                                                                                                 36 ELEKTROMOBILITÄT
                                                                                                                                                                                                                        Branche im Umbruch: Der Trend
                                                                                                                                                                          Deutschland, sondern weltweit.                zu elektrischen Antrieben und
                                                                                                                        08 RUNDRUF                                                                                      Hybrid-Fahrzeugen ändert nicht
                                                                                                                              Überschätzter Hype oder viel­-                                                            nur die Art der Fortbewegung,
                                                                                                                              versprechende Technologie?           24 VERKEHRSSEKTOR                                    sondern auch die Fahrzeugpro-
                                                                                                                              Die Blockchain, ihre Potenziale             Die Mischung macht‘s: Die Bat-                duktion.
                                                                                                                              und möglichen Einsatzgebiete.               terie allein reicht für ein nachhal-
FOTOS: SEITE 04: © FRIDAYS FOR FUTURE DEUTSCHLAND (O.), VOLKSWAGEN AG (U. L.), VITALIJ SOVA / ISTOCKPHOTO.COM (U. R.)

                                                                                                                                                                          tigeres Verkehrskonzept nicht aus.
                                                                                                                                                                          Auch die Brennstoffzelle kann
                                                                                                                        11 INTERVIEW                                      einen bedeutenden Beitrag zur          KOMPAKT
                                                                                                                              Im Ausland gut gerüstet:                    Reduktion von Treibhausgasen
                                                                                                                              mybacs-Gründer Carl-Philipp
                                                                                                                              von Polheim erläutert die
                                                                                                                              Vorteile von Synbiotika, die er
                                                                                                                                                                          leisten.

                                                                                                                                                                                                                 38 VDE-GRUPPE

                                                                                                                                                                                                                 42		 AUS DEN REGIONEN
                                                                                                                              mit seinem Start-up vermarktet.      27 STROMSEKTOR
                                                                                                                                                                          Der Klimaschutzplan 2050 gibt
                                                                                                                                                                          die Richtung vor: Trotz des bisher

                                                                                                                                                                                                                 44		 VDE YOUNG NET
                                                                                                                                                                          erreichten Anteils der erneuer­
                                                                                                                                                                          baren Energien an der Netto­
                                                                                                                                                                          stromerzeugung muss die Energie-

                                                                                                                                                                                                                 46		 TERMINE
                                                                                                                                                                          wirtschaft die CO2-­Emissionen
                                                                                                                                                                          weiter deutlich reduzieren.

                                                                                                                                                                                                                 48		 SERVICE /IMPRESSUM

                                                                                                                                                                                                                 50		 DEBATTE

                                                                                                                                                                                                                                                      05
Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
SPEKTRUM

                                                            BATTERIE-RECYCLING

                                              Zweites Leben in China
                                                   Mercedes-Benz Energy will in China
                                            Energiespeicher auf Basis gebrauchter E-Fahrzeug-­
                                                  Akkus entwickeln – statt in Autos sollen
                                              sie künftig im Stromnetz zum Einsatz kommen.

                                         Die Daimler-Tochter Mercedes-Benz Energy und der chinesische
                                         E-Fahrzeug-Hersteller Beijing Electric Vehicle (BJEV) haben eine
                                         Entwicklungspartnerschaft zum Aufbau von 2nd-Life-Energie-
           MIKROBOTS                     speichersystemen in China geschlossen. Die Unternehmen wol-
                                         len gemeinsam den ersten 2nd-Life-Energiespeicher am Standort
       Ameisen-­                         Peking errichten und greifen dabei auf ausgediente Elektrofahr-
                                         zeugbatterien von BJEV zurück. Mit Tests und Simulationen sol-
        Roboter                          len die Ingenieure von Mercedes-Benz Energy in den kommen-
                                         den Monaten aufzeigen, wie elektroautomobile Energiespeicher
Sie sind nur zwei Millimeter groß        das chinesische Stromnetz hinsichtlich Schwankungs- und Strom-
 und werden durch Schwingun-             ausfallmanagement unterstützen können. Dem Projekt sollen wei-
gen fortbewegt – Wissenschaftler         tere Kooperationen folgen.
 arbeiten an Mikro-Robotern, die            Mercedes-Benz Energy entwickelt bereits seit 2016 Energie-
vielleicht einmal im menschlichen        speicherlösungen, die auf Batterietechnik aus Elektro- und Hy­
    Körper eingesetzt werden.            bridfahrzeugen von Mercedes-Benz und Smart basieren. Die Ko-
                                         operation mit BJEV soll nun den Weg ins Ausland ebnen.
Sie sind zwei Millimeter lang – etwa        Das Potenzial gebrauchter Akkus bestätigt die Studie „Se-
so groß wie die kleinste Ameise der      cond-Life-Konzepte für Lithium-Ionen-Batterien aus Elektro-
Welt – und können in einer Sekun-        fahrzeugen“, die unter der Federführung des VDE entstanden ist.
de das Vierfache ihrer eigenen Länge     Demnach besteht ein großes Potenzial für Second-Life-Konzep-
zurücklegen: Sogenannte Mikrobors-       te, wenn der Markt für Elektromobilität und Batteriespeicher wie
ten-Bots, die Forscher des entwickelt    vorgesehen wächst. Zwei vielversprechende Anwendungen sind
haben. Die winzigen Roboter bewegen      die Bereitstellung von Regelleistung für Stromnetzbetreiber und
sich, indem sie Vibrationen von piezo-   der Einsatz als Hausspeicher, die an Photovoltaikanlagen gekop-
elektrischen Aktoren, Ultraschallquel-   pelt sind. Die Studie ist kostenlos erhältlich unter www.vde.com
len oder sogar kleinen Lautsprechern
nutzen. Der piezoelektrische Aktua-
tor ist auf einem per 3D-Druck her-
gestellten Polymerkörper aufgeklebt
und reagiert je nach Konfiguration
auf unterschiedliche Schwingungs-
frequenzen.
   Die Entwickler haben viele po-
tenzielle Anwendungen im Blick, so
könnten die Bots künftig etwa Um-
weltveränderungen erfassen oder ei-
nes Tages Verletzungen im Innern des
menschlichen Körpers beheben.

06
Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
PERSONALIA

                                                                                                             +++ 1 WOLFGANG NIEDZIELLA, Geschäftsführer in               Forschung (BMBF). Seine Nachfolge als Leiterin der Ab-
                                                                                                             der VDE-Gruppe, ist seit August für das neu geschaffene     teilung „Forschung für Digitalisierung und Innovationen” im
                                                                                                             Kompetenzcenter „Digitale Sicherheit“ im VDE verantwort-    (BMBF) tritt 4 PROF. DR. INA SCHIEFERDECKER an.
                                                                                                             lich, das die in der VDE-Gruppe verteilten Kernkompe-       +++ Die Grünen-Politikerin 5 KERSTIN ANDREAE wur-
                                                                                                             tenzen – CERT@VDE von VDE|DKE, Smart Technologies           de vom Vorstand des Bundesverbandes der Energie- und
                                                                                                             vom VDE-Institut sowie Corporate Security vom VDE – zu      Wasserwirtschaft zur neuen Vorsitzenden der Haupt­
                                                                                                             einem organisationsübergreifenden Geschäftsfeld zu-         geschäftsführung berufen. Die Diplom-Volkswirtin wird den
                                                                                                             sammenführt. Niedziella baute zuvor im VDE-Institut die     Vorsitz des Branchenverbandes zum 1. November 2019
                                                                                                             Dienstleistungen rund um die Interoperabilität und Infor-   übernehmen.
                                                                                                             mationssicherheit für Smarte Produkte und Sys-
                                                                                                             teme auf. +++ 2 DR. KURT BETTENHAUSEN               1                                   2                    3
                                                                                                             ist neuer CTO (Chief Technology Officer) und
                                                                                                             CDO (Chief Digital Officer) beim Spann- und
                                                                                                             Greiftechnik-Spezialisten Schunk. Er wechselte
                                                                                                             von Siemens, wo er als Senior Vice President of
                                                                                                             Corporate Technology in den USA tätig war. Von
                                                                                                             2010 bis 2016 war Bettenhausen Vorstandsvor-
                                                                                                             sitzender der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und                                            4                    5
                                                                                                             Automatisierungstechnik. +++ Seit September
                                                                                                             ist 3 WOLF-DIETER LUKAS neuer Staats­
                                                                                                             sekretär im Bundesministerium für Bildung und

                                                                                                                                                          CYBERKRIMINALITÄT

                                                                                                                                                   Bei Anruf Angriff
FOTOS: SEITE 06: ALLISON CARTER (O.), DAIMLER AG (U.); SEITE 07: VDE / UWE NÖLKE (1), PRIVAT (2), BMBF

                                                                                                                             Was harmlos klingelt, kann zum Einfallstor für Cyberkriminelle werden:
                                                                                                                             Fraunhofer-Experten haben eine große Zahl von Sicherheitslücken auf
                                                                                                                                            Voice-over-IP-Telefongeräten entdeckt.
(3), BS/PHILIPP PLUM, FRAUNHOFER FOKUS (4), DBT/INGA HAAR (5), FRAUNHOFER SIT (U.)

                                                                                                         Das Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechno-         Firmennetzwerk verschaffen können. „Wir hatten nicht er-
                                                                                                         logie (SIT) hat 33 Voice-over-IP-Telefongeräte von 25              wartet, dass wir so viele derart kritische Lücken finden,
                                                                                                         Herstellern auf Schwachstellen geprüft. Un-                                 da diese Geräte schon lange auf dem Markt sind
                                                                                                         tersucht wurden die webbasierten Nutzer-                                         und dementsprechend getestet und sicher
                                                                                                         oberflächen, über die Administratoren                                               sein müssten“, sagt Stephan Huber, der
                                                                                                         die Telefone konfigurieren.                                                           an der Untersuchung beteiligt war.
                                                                                                            Das Ergebnis wurde auf der                                                           Mittlerweile haben die Hersteller die
                                                                                                         Hackerkonferenz Defcon vorge-                                                            Lücken geschlossen. Die Fraunho-
                                                                                                         stellt: Insgesamt fanden die Wis-                                                         fer-Experten raten allen Nutzern,
                                                                                                         senschaftler 40 teils gravierende                                                          die eigenen Geräte aktuell zu hal-
                                                                                                         Schwachstellen. Angreifer hätten                                                           ten und auf Updates für die Ge-
                                                                                                         über diese Lücken Gespräche ab-                                                            räte-Firmware zu achten. De-
                                                                                                         hören, das Telefon außer Betrieb                                                          tails zur Untersuchung: www.sit.
                                                                                                         setzen oder sich Zugriff auf das                                                         fraunhofer.de/cve

                                                                                                                                                                                                                                       07
Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
SPEKTRUM

     BLOCKCHAIN

     Dezentral und viel Potenzial
     Die Blockchain und ihr möglicher Einsatz in vielen verschiede-                  AUTONOMES FAHREN
     nen Bereichen werden derzeit heiß diskutiert. Aber ist ihr Poten-
     zial tatsächlich so groß oder handelt es sich nur um ein über-
     schätztes Hype-Thema?                                                            Fahrerlos
                                                                                      einparken
                       ELKE KUNDE, Solution Architect, IBM
                       „Tatsächlich ist Blockchain schon im Begriff, Main-       In Stuttgart können Besucher
                       stream zu werden. Unsere Projekte zeigen, dass die       des Mercedes-Benz-Museums
                       Technologie Marktreife hat und in verschiedensten        das automatisierte Parken eines
                       Branchen bereits genutzt wird – die Plattform Tra-           Mercedes ausprobieren.
                       deLens zum Beispiel verarbeitet Daten von circa
                       60 Prozent der weltweiten See-Containerladung.          Automated Valet Parking: Dahinter
                       Das „A und O“ für den erfolgreichen Einsatz einer       verbirgt sich ein neuer Service von
                       Technologie ist aber die Frage nach dem zu lösen-       Bosch und Daimler, mit dem sich Au-
     den Business-Problem. Viele Projekte scheitern, wenn die Problem-         tos künftig komplett ohne menschli-
     stellung auch anderweitig gelöst werden kann oder es im Ökosystem         che Überwachung im Parkhaus des
     nicht genügend Mitstreiter gibt. Daher ist es wichtig, von Beginn an      Mercedes-Benz-Museums in Stutt-
     die richtigen Fragen zu stellen und früh in interdisziplinären Teams zu   gart ein- und ausparken lassen. Der-
     arbeiten.“                                                                zeit lässt sich das System zwar nur mit
                                                                               speziellen E-Klasse-Fahrzeugen von
     THOMAS HOLZNER, Programmleiter Digitalisie-                               AMG nutzen, die im Parkhaus stati-
     rung SCM, Siemens                                                         oniert sind. Laut Daimler soll die ent-
     „Ich glaube, dass die Blockchain vor allem im                             sprechende Funktion aber in kom-
     Supply-Chain-Management-Bereich ein riesiger                              mende Serienfahrzeuge integriert
     Game-Changer wird. Zum Beispiel können die                                werden. Ihr vor zwei Jahren vorgestell-
     Prozesse in der Logistik dadurch viel schlanker,                          tes Pilotprojekt hat nun die Zulassung
     transparenter und nachvollziehbarer werden. Und                           der Verkehrsbehörden erhalten.
     auch das Risiko der Kinderarbeit lässt sich erheb-                           Der Vorfahr- und Einparkservice
     lich reduzieren, wenn man auf Blockchain-Basis                            wird per Smartphone-App abgeru-
     mit Lieferanten international zusammenarbeitet.                           fen und kommt ohne Sicherheitsfah-
     Man braucht natürlich nicht für alles die Blockchain. Aber manchmal ist   rer aus. Er ist damit laut beider Unter-
     es einfacher, eine Lösung dezentral und transparent umzusetzen, statt     nehmen die weltweit erste behördlich
     eine herkömmliche Datenbanklösung zu nutzen, die viel Geld kostet.“       für den Alltagsbetrieb zugelasse-
                                                                               ne vollautomatisierte und fahrerlose
                      AVIVAH LITAN, Vice President und Analystin, Gart-        Parkfunktion nach SAE Level 4. Das
                      ner Research                                             Projekt wurde von Beginn an vom
                      „Das Potenzial der Blockchain ist enorm, da sie ein      Regierungspräsidium Stuttgart und
                      grundlegendes Protokoll für die nächste Generation       dem Landesverkehrsministerium Ba-
                      von Web-Technologien sein wird – dem Web 3.0.            den-Württemberg begleitet.
                      Dieses wird Peer-to-Peer-Kommunikation unterstüt-           Bosch-Sensoren im Parkhaus über-
                      zen, die den Bedarf an zentralen Web-2.0-Autori-         wachen den Fahrkorridor sowie dessen
                      täten und Gatekeepern wie große Suchmaschinen            Umfeld. Die Technik im Auto setzt die
                      und Social-Media-Seiten beseitigt. Der Big Bang der      Befehle der Infrastruktur in Fahrmanö-
                      Blockchain wird jedoch erst dann kommen, wenn            ver um, das Auto fährt selbstständig zu
     Unternehmen lernen, an einem wirklich dezentralen Modell teilzuneh-       seinem Parkplatz.
     men. Das wird nicht geschehen, bis wir zum Web 3.0 übergehen.“

08
Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

                                                                                                                                                                Schlauer
                                                                                                                                                               unterwegs
                                                                                                                                                           Weniger Staus, Unfälle und
                                                                                                                                                         Emissionen: Künstliche Intelligenz
                                                                                                                                                         kann einen wichtigen Beitrag zur
                                                                                                                                                             Verkehrswende leisten.

                                                                                                                                                         Christoph Peylo, Leiter des Bosch
                                                                                                                                                         Center for Artificial Intelligence und
                                                                                                                                                         Co-Leiter der Plattform „Lernende
                                                                                                                                                         Systeme“, ist überzeugt: Künstliche
                                                                                                                                                         Intelligenz kann einen wichtigen Bei-
                                                                                                                   5G                                    trag zur Verkehrswende leisten. Die
                                                                                                                                                         Plattform beschäftigt sich mit der Mo-
                                                                                                      Baggern 4.0                                        bilität der Zukunft und vereint Fach-
                                                                                                                                                         leute aus Wissenschaft, Wirtschaft
                                                                                    Auch auf Baustellen hält der neue Mobilfunkstandard Ein-             und Gesellschaft.
                                                                                    zug. Auf der ersten 5G-Baustelle Deutschlands soll in den               In einem jetzt veröffentlichten Be-
                                                                                    kommenden drei Jahren die Vernetzung und Automatisie-                richt kommen die Experten zu dem
                                                                                            rung von Baumaschinen getestet werden.                       Ergebnis, dass für die Mobilität der
                                                                                                                                                         Zukunft Transportmittel und Ver-
                                                                                    Selbstfahrende Bagger, ein kabelloses 5G-Netzwerk mit Baustel-       kehrsinfrastrukturen intelligent ver-
                                                                                    len-Cloud und intelligente Werkzeuge – die Digitalisierung macht     netzt werden müssten. Über Sensoren
                                                                                    auch vor Baustellen nicht halt. In den kommenden drei Jahren sol-    und Kameras erfasste Daten müssten
                                                                                    len neue Maschinen- und Kommunikationstechnologien auf der           dann mit Verfahren des maschinel-
                                                                                    ersten realen 5G-Testbaustelle in einem Projekt mit mehr als 20      len Lernens verarbeitet werden. Ein
                                                                                    Partnern erprobt werden. Ihre Vision: eine vollständig vernetzte     Meilenstein und gleichzeitig die He-
                                                                                    Baustelle. Baumaschinen werden dort ihre Aufgaben automati-          rausforderung auf dem Weg zur ver-
                                                                                    siert oder teilautomatisiert ausführen können. Die große Heraus-     netzten Mobilität seien gut gestaltete
                                                                                    forderung bestehe darin, manuell steuerbare Baumaschinen durch       Schnittstellen für die Interaktion zwi-
                                                                                    zusätzliche elektronische Ansteuerungen zu erweitern, so Prof. Dr.   schen Mensch und Maschine. Um
FOTOS: SEITE 08: IBM, SIEMENS, GARTNER (V.O.N.U.); SEITE 09: TUD/OLIVER KOCH (O.)

                                                                                    Jürgen Weber, Koordinator des Verbundprojektes „Bauen 4.0. Ef-       die Verkehrswende zu verwirklichen,
                                                                                    fizienz und Produktivitätssteigerung von Bauprozessen durch Ver-     schlägt die Arbeits-
                                                                                    netzung und Kommunikation mobiler Arbeitsmaschinen“.                 gruppe eine über-
                                                                                       Wichtige Komponenten werden ein Connectivity-Modul und            greifende Mobili-
                                                                                    eine Baustellen-Cloud sein. Die Cloud übernimmt recheninten-         tätsplattform vor,
                                                                                    sive Prozesse, das Connectivity-Modul sorgt für den Datentrans-      auf der die In-
                                                                                    port zu den Maschinen. „Erst die leistungsstarke Drahtlos-Tech-      formationen von
                                                                                    nologie 5G ermöglicht eine Echtzeitkommunikation, mit der alle       Mobilitätsanbie-
                                                                                    Bauprozesse und Akteure sowie deren Interaktion digital abge-        tern, -teilnehmern
                                                                                    bildet und gestaltet werden können“, sagt Weber. In den Baustel-     und Infrastruktu-
                                                                                    lencontainern, in denen heute vor allem Fachkräfte arbeiten und      ren zusammen-
                                                                                    wohnen, würden in Zukunft Serverfarmen Einzug halten.                laufen.

                                                                                                                                                                                             09
Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
SPEKTRUM

                                                            TRANSISTORTECHNIK

                                                              Ultradünn
                                            Totgesagte leben länger: Mit der Entwicklung eines
                                           nur wenige Nanometer großen Transistors könnte das
                                           Mooresche Gesetz von der Verdopplung der Rechen-
                                                      kapazität doch wieder gelten.

                                          Für die Herstellung eines extrem kleinen Transistors muss ne-
                                          ben dem Halbleiter auch der notwendige Isolator ultradünn
                                          sein. Den Wissenschaftlern Tibor Grasser und Yury Illarionov
                                          von der TU Wien ist es nun gelungen, einen Isolator aus einer
                                          atomar dünnen Schicht aus Kalziumflourid zu entwickeln.
                                             Wenn man für den Isolator ein ultradünnes Material mit
                                          klar definierter Oberfläche wie etwa ionische Kristalle verwen-
                                          de, dann ließe sich ein Transistor mit einer Größe von nur we-
         SOLARENERGIE                     nigen Nanometern bauen, heißt es in einer Pressemitteilung der
                                          TU Wien. Die elektronischen Eigenschaften würden verbessert,
     Power-Stoff                          weil ionische Kristalle eine perfekt regelmäßige Oberfläche ha-
                                          ben – ohne einzelne, herausragende Atome, die das elektrische
 Energie könnte künftig auch aus          Feld stören könnten.
  LKW-Planen kommen. Möglich                 Mit diesem neuerlichen Miniaturisierungsschritt könnte
wird dies durch speziell entwickelte      auch das Mooresche Gesetz wieder in Kraft treten, wonach sich
      Solarzellen auf Textilien.          die Anzahl der Transistoren auf handelsüblichen Chips rund
                                          alle zwei Jahre verdoppelt. Die Faustregel stößt bisher an ihre
Forschern des Fraunhofer-Instituts        Grenzen, wenn man in Bereiche von wenigen Nanometern vor-
für Keramische Technologien und           dringt.
Systeme (IKTS) ist die Entwicklung
textiler, biegsamer Solarzellen gelun-
gen. „Über verschiedene Beschich-
tungsverfahren können wir Solarzellen
direkt auf technischen Textilien her-
stellen“, erläutert Dr. Lars Rebenklau,
Gruppenleiter für Systemintegration
und AVT am Fraunhofer IKTS. Für
die ersten nun vorgestellten Prototy-
pen verwendeten die Wissenschaftler
ein Glasfasergewebe, das die Anfor-
derungen an den Brandschutz erfüllt
und große Stabilität aufweist.
   Die textilen Solarzellen sollen in
etwa fünf Jahren auf den Markt kom-
men. Dann könnten zum Beispiel
LKW-Planen zur Energiegewinnung
genutzt oder mithilfe von Abschat-
tungstextilien auf Glasfassaden Strom
erzeugt werden.

10
NAHRUNGSERGÄNZUNG

                                                                        Darm mit Charme
                                                                        Mit mybacs will Carl-Philipp von Polheim jeden Reisenden perfekt auf seinen Zielort vorbereiten
                                                                        – mit der für die Region passenden Nahrungsergänzung. Die Idee entstand während zahlreicher
                                                                        Forschungsprojekte an der ETH Zürich und in der Biotechnologie-Hauptstadt Boston.

                                                                        Was genau ist mybacs und wer ist die Zielgruppe?                     Gibt es im Gründer-Team einen me-
                                                                        Wir verkaufen sogenannte Synbiotika – eine Mischung aus le-          dizinischen oder ernährungswissen-
                                                                        benden Bakterienkulturen und Inulin. Unsere erste Produktlinie       schaftlichen Hintergrund?                     Carl-Philipp von Polheim,
                                                                        sind regionenspezifische Synbiotika, welche Reisende dabei           Ja, mein Partner Sebastian Wahl hat phar-     Gründer und CEO von mybacs
                                                                        unterstützen, ihre Darmflora auf natürliche Weise an die regio-      mazeutische Wissenschaften studiert und
                                                                        nalen Bedingungen anzupassen. Mit klinischen Studien haben           viel im Bereich Mikrobiom geforscht. In
                                                                        wir analysiert, welche Erreger in verschiedenen Regionen vor-        dieser Zeit hat er mir von den Forschungsergebnissen und
                                                                        kommen und konnten so die Bakterienkulturen genau auf das            neuen Erkenntnissen erzählt. Wir – ich als Absolvent der EBS
                                                                        jeweilige Erregerprofil zuschneiden.                                 Business School und er mit seinem naturwissenschaftlichen
                                                                                                                                             Hintergrund – ergänzen uns perfekt und haben dann be-
                                                                        Finanzieren Sie sich rein über den Verkauf der Produkte?             schlossen, in diesem Bereich eine Firma aufzubauen.
                                                                        Wir vertreiben unsere Produkte sowohl online direkt an den
                                                                        Konsumenten als auch stationär über Apotheken. Jedoch                Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Produkt immer für den
                                                                        finanzieren wir uns aktuell nicht ausschließlich über unsere         einzelnen Kunden passt?
                                                                        Umsätze, sondern haben einen Venture-Capital-Fonds sowie             All unsere Produkte sind frei von Allergenen und tierischen Zu-
                                                                        Angel Investoren mit an Bord.                                        sätzen. Sie können also ohne Probleme von jedem eingenom-
                                                                                                                                             men werden.
                                                                        Was war die Motivation, mybacs zu gründen?
                                                                        In den letzten Jahren ist unglaublich viel Forschung in die Be-      Vor welchen Herausforderungen standen Sie beim Auf-
                                                                        reiche Darm und Mikrobiom gegangen. Gerade die Beziehung             bau Ihres Start-ups?
                                                                        zwischen dem Darm und der menschlichen Psyche konnte                 Ein gutes Produkt zu haben, den Markt richtig einzuschätzen
                                                                        immer besser erklärt werden. Wir haben also eine Dringlich-          und das nötige Kapital zu beschaffen. Es war essentiell, ein
                                                                        keit erkannt und es als idealen Zeitpunkt für einen Markteintritt    super Team aufzubauen, mit welchem man diese Herausfor-
                                                                        gesehen.                                                             derungen bewältigen kann. Das haben wir.

                                                                                                                       ONLINE-IDENTIFIZIERUNG

                                                                                                              Ohne Medienbruch
FOTOS: SEITE 10: FRAUNHOFER IKTS (O.), TU WIEN (U.); SEITE 11: MYBACS

                                                                                     Einfache Identifizierung am Point of Sale: Eine neuer Service zur elektronischen
                                                                                     Verarbeitung von Ausweisdaten macht die medienbruchfreie Erfassung möglich.

                                                                        Die Bundesdruckerei bietet gemeinsam mit dem Un-                    das Lichtbild des Ausweises mit der anwesenden Person,
                                                                        ternehmen Governikus einen neuen Service zum elek­                  liest anschließend die Daten aus dem Chip im Doku-
                                                                        tronischen Auslesen des Personalausweises am Point of               ment des Kunden mit einem NFC-fähigen Smartphone
                                                                        Sale an. Mit dem „AusweisIDent Vor-Ort“-Verfahren las-              oder einem Kartenleser aus und autorisiert anschließend
                                                                        sen sich Ausweisdaten medienbruchfrei in ein elektroni-             die Datenübermittlung mit der auf dem Ausweis aufge-
                                                                        sches Formular übernehmen. Dies soll die Vor-Ort-Iden-              druckten Card Access Number. Diese erhält dann das
                                                                        tifizierung vereinfachen, wie sie etwa beim Anmieten                Unternehmen oder die Behörde über eine standardisierte
                                                                        eines Autos oder Eröffnen eines Kontos notwendig ist.               Webschnittstelle. Das Verfahren ist laut Bundesdruckerei
                                                                        Der Kundenberater am Point of Sale vergleicht zunächst              rechtskonform nach § 18a Personalausweisgesetz.

                                                                                                                                                                                                         11
TITEL ENERGIEWENDE

           »ALLES WIRD
               GUT«
                Die „Fridays for Future“-Bewegung scheint
                 den Politikern Beine gemacht zu haben.
                Überall heißt es nun, man wolle die Pariser
                  Klimaziele doch noch erreichen und die
               Energiewende schaffen. Aber sind das mehr
                als Lippenbekenntnisse und wie ist das zu
                     schaffen? Ein Expertengespräch.

12
INTERVIEW MARTIN SCHMITZ-KUHL

                                                                     Prof. Dr. Volker Quaschning möchte sich nicht zum Inter-                                              Die Experten für erneuer­
                                                                     view treffen. Nicht grundsätzlich, aber eben nicht persön-                                            bare Energien Prof. Dr.
                                                                     lich. Er versuche immer, seinen ökologischen Fußabdruck                                               Volker Quaschning (l.) und
                                                                     zu verringern, erklärt er und rechnet vor: „Eine Video-                                               Prof. Dr. Bernd Engel (r.) in
                                                                     konferenz macht rund 1 Kilogramm CO2. Eine Zugrei-                                                    einer – nahezu – CO₂-neu-
                                                                     se Frankfurt – Berlin – Frankfurt rund 60 Kilogramm CO2,                                              tralen Videokonferenz.
                                                                     über Auto oder Flugzeug wollen wir gar nicht erst reden.“
                                                                        Das ist Quaschning, wie man ihn kennt. Und bekannt
                                                                     ist er inzwischen nicht mehr nur in Fachkreisen, die den
                                                                     Professor von der Hochschule für Technik und Wirtschaft
                                                                     in Berlin schon lange als Experten für regenerative Ener-
                                                                     gien schätzen. Denn seitdem er im März dieses Jahres als
                                                                     Sprecher der „Scientists for Future“ in der Bundespresse-     Politik effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel ein-
                                                                     konferenz die Solidarität der Wissenschaftler mit der „Fri-   zufordern, war die Reaktion erst einmal sehr frustrierend.
                                                                     days for Future“-Bewegung erklärt hat, ist er auch einem      Die Äußerung von FDP-Chef Christian Lindner, die Kids
                                                                     breiten Publikum als Vorkämpfer gegen den Klimawandel         sollten lieber in die Schule gehen und das den Profis über-
                                                                     bekannt.                                                      lassen, war von daher eine Steilvorlage, um darauf hinzu-
                                                                        Der zweite Gesprächspartner ist Prof. Dr. Bernd Engel.     weisen, dass diese Profis voll und ganz hinter den Protes-
                                                                     Er ist wie Quaschning Elektroingenieur und in der Com-        ten stehen.
                                                                     munity ebenfalls kein Unbekannter. Beim VDE war der              Engel: Rund 27.000 Wissenschaftler – darunter auch
                                                                     Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik und Elektri-    ich – haben deshalb auch nicht lange gezögert, als es dar-
                                                                     sche Energieanlagen an der TU Braunschweig schon in un-       um ging, diese Stellungnahme der „Scientists for Future“
                                                                     terschiedlichen Funktionen im Einsatz. Sei es im Vorstand     zu unterzeichnen. Schließlich gibt es da einen ganz brei-
                                                                     des Forum Netztechnik Netzbetrieb (VDE|FNN) oder in           ten Konsens und kein ernstzunehmender Wissenschaftler
                                                                     dem der Energietechnischen Gesellschaft (VDE|ETG).            wird heute noch leugnen, dass es einen menschengemach-
                                                                     Für Letztere hat er gerade federführend den Fachbereich       ten Klimawandel gibt und dass es fünf vor zwölf ist. Das
                                                                     „Erzeugung und Speicherung elektrischer Energie“ ge-          heißt, wir haben hier weniger ein Erkenntnisproblem als ein
                                                                     gründet, in dem es darum geht, die Energiewende gemein-       Umsetzungsproblem: Wir kennen das Problem, wissen so-
                                                                     sam voranzutreiben und Lösungswege für den reibungs-          gar, wie wir es lösen können, machen es aber einfach nicht.
                                                                     losen Ausstieg aus Kernenergie und Kohleversorgung zu
                                                                     erarbeiten.                                                   Bayerns Ministerpräsident Markus Söder möchte
                                                                        Während also an anderer Stelle über das neue Klima-        den Klimaschutz als verpflichtende Staatsaufgabe
                                                                     schutzgesetz gestritten und darüber debattiert wird, ob       im Grundgesetz verankern und EU-Kommissions­
                                                                     man den Klimaschutz als verpflichtende Staatsaufgabe im       präsidentin Ursula von der Leyen wird demnächst
FOTOS: SEITE 12: JEVANTO PRODUCTIONS / SHUTTERSTOCK; SEITE 13: XXX

                                                                     Grundgesetz verankern sollte, wird es in diesem Doppel­       das erste europäische Klimaschutzgesetz vorlegen.
                                                                     interview genau darum gehen: Wie ist die Energiewende         Es scheint, als würde das Problem jetzt aber endlich
                                                                     (noch) zu schaffen? In Deutschland – und darüber hinaus.      angepackt.
                                                                                                                                      Quaschning: Das klingt alles erst einmal gut. Allerdings
                                                                     Herr Quaschning, Ihr Satz auf der Bundespressekon-            zählt nicht das, was wohlmeinend angekündigt wird, son-
                                                                     ferenz „Wir sind die Profis, und wir sagen, die junge         dern nur das, was dann tatsächlich auch passiert. Und ein
                                                                     Generation hat recht“ hat Schlagzeilen gemacht. Wie           Herr Söder fordert ja auch einen schnelleren Kohleaus-
                                                                     kam es dazu?                                                  stieg – leicht, wenn es in Bayern nur sehr wenig Kohlekraft-
                                                                        Quaschning: Für mich war das in den letzten Jahren ja      werke gibt – und verhindert gleichzeitig in seinem Bun-
                                                                     wie bei Kafka: Man schreibt als Experte, was sich ändern      desland konsequent den Ausbau der Windenergie. Das ist
                                                                     muss, um das Klima noch zu retten, und die Politik macht      nicht sehr glaubwürdig.
                                                                     genau das Gegenteil. Und auch als die Schüler damit be-          Engel: Ich bin jetzt auch erst einmal sehr gespannt, was
                                                                     gannen, jeden Freitag auf die Straße zu gehen, um von der     das Klimakabinett im Herbst konkret beschließen wird.

                                                                                                                                                                                                    13
TITEL ENERGIEWENDE

Dann werden wir sehen, ob es nicht nur in die richtige          scheint und Wind weht, mit gesicherter Leistung, hochfle-
Richtung geht, sondern damit auch tatsächlich das Ziel er-      xibel und möglichst CO2-arm abzusichern. Welche Rolle
reicht werden kann.                                             spielen dort Power-to-Gas, Biogas und Batteriespeicher?
   Quaschning: Und das Ziel ist ganz klar: Wenn man den            Quaschning: Jedes Land hat unterschiedliche Vorausset-
Weltklimabericht zugrunde legt und wir versuchen wür-           zungen. In Norwegen ist die Wasserkraft die Energie der
den, die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten, müss-          Wahl, in Finnland könnte es die Biomasse sein und in Is-
ten wir weltweit spätestens 2040 klimaneutral sein. Auf         land die Geothermie. Aber hierzulande versprechen all die-
Deutschland bezogen heißt das, dass wir den Anteil von er-      se Energiearten kein sehr hohes Ausbaupotenzial.
neuerbarer Energie in den nächsten Jahren von jetzt 14 auf         Engel: Nehmen Sie zum Beispiel die Geothermie. In
dann 100 Prozent steigern müssen.                                                    Deutschland liegt die Hochtempera-
Das ist ambitioniert, aber nötig und                                                 turwärme, die man für die Stromer-
auch machbar. Allerdings werden                                                      zeugung braucht, zu tief. Das ist zu
wir das mit den bislang angekündig-                                                  teuer, um sie in größerem Ausmaß
ten Maßnahmen mit Sicherheit nicht                                                   umsetzen zu können. Allerdings ist
schaffen und mir ist auch keine Partei                                               Erdwärme trotzdem für die Energie-
im Bundestag bekannt, die dafür bis                                                  wende auch hierzulande nicht un-
heute ein schlüssiges Konzept vorge-                                                 wichtig, weil sie für Erdwärmepum-
stellt hätte.                                                                        pen genutzt werden kann. Stichwort
                                                                                     Sektorenkopplung. Dabei wird der
Dafür fordern Sie „Echte Ener-                                                       Strom genutzt, um die Wärme aus
gierevolution statt lauer Energie-                                                   der Erde aufzunehmen, zu verdich-
wende!“. Kennen Sie nicht den                                                        ten und dann für den Betrieb der
Spruch, in Deutschland könne es                                                      Heizungsanlage einzusetzen.
keine Revolution geben, weil man
dazu den Rasen betreten müsse?                                                           Allerdings sind die guten Zeiten
    Quaschning: (lacht) Naja, die „Fri-                                                  der Photovoltaik in Deutschland
days for Future“-Bewegung ist ja                                                         doch auch vorbei.
schon eine Art Revolution. Dadurch
                                            »Es war zuletzt wie bei                         Quaschning: Noch vor zehn Jah-
ist zumindest schon einmal die längst         Kafka: Man schreibt,                       ren war Deutschland das Mekka der
überfällige Diskussion über dieses         was sich ändern muss,                         Photovoltaik. Alle kamen hierher, um
Thema in Gang gekommen. Und                                                              zu sehen, wie die Produktionsstand-
                                            um das Klima noch zu
während die Politik früher vor zu viel                                                   orte wie Pilze aus dem Boden schos-
Klimaschutz zurückschreckte, weil            retten. Und die Politik                     sen. Leider wurde dieser Markt dann
man Angst hatte, dadurch Wähler zu               macht genau das                         durch die Bundesregierung jäh abge-
verlieren, musste man jetzt die Erfah-                 Gegenteil.«                       würgt – von 7 auf 1,5 Gigawatt! Was
rung machen, dass man mit zu we-                                                         wohl hier in Deutschland los wäre,
nig Klimaschutz auch Wahlen verlie-           PROF. DR. VOLKER QUASCHNING,               wenn man der Automobilbranche sa-
ren kann.                                    Professor für regenerative Energie­systeme  gen würde, dass sie nur noch 20 Pro-
                                                         an der HTW Berlin
                                                                                         zent ihrer Autos bauen dürfte? Aber
Dann werden wir mal konkre-                                                              genau das ist mit der Photovoltaik-
ter: VDE|ETG hat in diesem Jahr                                                          branche passiert. Mit der Konse-
den Fachbereich „Erzeugung und                                                           quenz, dass die Industrie heute nur
Speicherung elektrischer Ener-                                                           noch ein Schatten ihrer selbst ist und
gie“ gegründet. Sie wollen dort klären, wie der Ener- auf dem Weltmarkt keine Rolle mehr spielt.
giemix hierzulande sinnvoll entwickelt werden kann.                     Engel: Rund 80.000 Arbeitsplätze wurden dabei abge-
Kommt denn dafür etwas anderes als Sonne und Wind baut. Zum Vergleich: Bei dem Ausstieg aus der Kohle geht
infrage?                                                            es um den Verlust von 20.000 Arbeitskräften. Nur dass die
   Engel: Jein, natürlich werden Windkraft – Offshore und Arbeitnehmer in der Photovoltaik eben eher mittelstän-
Onshore – und Photovoltaik die wesentlichen Säulen des disch und über Deutschland verteilt waren und keine ent-
Energiemixes sein. Auf der anderen Seite wissen wir alle, sprechende Unterstützung durch die Gewerkschaft hatten.
dass diese Energien wetterabhängig sind. Die Herausfor-                 Quaschning: Nicht zu vergessen die Lobbyarbeit von
derung wird sein, die Zeiten, wenn nicht genügend Sonne Unternehmerseite. Es war ja abzusehen, dass, wenn der

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Ausbau der Photovoltaik damals im gleichen Tempo wei-          machen. Die setzen ja nicht auf Photovoltaik, weil sie das
                                                               tergegangen wäre, wir schon bald zumindest an sonnigen         Klima schützen wollen, sondern einfach, weil sie genau
                                                               Tagen den kompletten Energiebedarf darüber hätten de-          wissen, dass sie damit in den nächsten hundert Jahren viel
                                                               cken können. Da jedoch Braunkohlekraftwerke als Volllast-      mehr Geschäft machen können. Deshalb bin ich davon
                                                               kraftwerke konzipiert sind, die das ganze Jahr weitgehend      überzeugt, dass mit einer schnellen Energiewende eine gro-
                                                               durchlaufen sollten, wäre damit ihr Business Case weg-         ße Chance verbunden wäre. Denn irgendetwas wollen wir
                                                               gebrochen. Deshalb hat die Bundesregierung dem Druck           ja in zwanzig Jahren noch exportieren können, und das
                                                               der Lobbygruppen nachgegeben und sich für die Kohle            werden keine Braunkohlebagger sein.
                                                               und gegen die Solarenergie entschieden. Mit der Konse-
                                                               quenz, dass das Problem vertagt wur-                                                  Und die Windkraft? Auch hier ist
                                                               de und nun umso dringender gelöst                                                     schon länger von einer Krise die
                                                               werden muss. Denn dass die Kohle                                                      Rede.
                                                               keine Zukunft hat, war auch schon                                                         Quaschning: Da hat die Regierung
                                                               damals klar.                                                                          ebenfalls die Daumenschrauben an-
                                                                                                                                                     gelegt, als gemerkt wurde, dass die
                                                               Und ist der Zug für die deutsche                                                      Wind­  räder den Kohlekraftwerken
                                                               Photovoltaikindus­   trie damit ab-                                                   ebenfalls schon so viel Konkurrenz
                                                               gefahren?                                                                             machen, dass sich deren Betrieb
                                                                   Engel: Wir müssen unterscheiden                                                   an manchen Tagen schon heute gar
                                                               zwischen der Modul- und der Sys-                                                      nicht mehr lohnt. Mit absurden Ab-
                                                               temtechnikindustrie. Eine Photovol-                                                   standregeln, Naturschutzvorschrif-
                                                               taikanlage braucht ja zum Beispiel                                                    ten und Gesetzesänderungen, die
                                                               zur Umwandlung des gewonnenen                                                         den Konsens mit Anwohnern ver-
                                                               Gleichstroms auch Wechselrichter.                                                     hindern, wurde dafür gesorgt, dass
                                                               Und da ist Deutschland mit Firmen                                                     die Windkraft komplett zusammen-
                                                               wie SMA, Kostal und KACO nach                                                         bricht. Das war ganz klar Absicht,
                                                               wie vor auf dem Weltmarkt sehr gut                                                    und jetzt stellt man verwundert fest,
                                                               aufgestellt. Die Module werden in-
                                                                                                                 »Wenn wir es als                    dass das, was noch übrig ist, für die
                                                               zwischen in China einfach sehr gut             reiches Deutschland                    Rettung des Klimas nicht mehr aus-
                                                               und günstig hergestellt, aber bei der           nicht schaffen, wie                   reicht.
                                                               ganzen dahinterliegenden Technik,                                                         Engel: Es war auf jeden Fall ein
                                                               von den Transformatoren über die
                                                                                                              wollen wir dann von                    Fehler, die Bürgerbeteiligung bei
                                                               Leistungsschalter bis hin zu der gan-             anderen Ländern                     dem Bau von Windrädern zu be-
                                                               zen Speichertechnologie, ist der Zug            verlangen, dass sie                   schränken. Denn nur, wenn man
                                                               sicher noch nicht abgefahren.                        es schaffen.«                    selbst als Anwohner oder als betroffe-
                                                                   Quaschning: Selbst bei den Mo-                                                    ne Kommune von den Erträgen pro-
                                                               dulen würde ich nicht ausschließen,                 PROF. DR. BERND ENGEL,            fitiert, werden wir das Akzeptanzpro-
                                                               dass man den einen oder anderen               Professor für „Komponenten nach­haltigerblem lösen können.
                                                                                                             Energiesysteme“ und Institutsleiter elenia
                                                               Hersteller wieder reaktivieren könn-                  an der TU Braunschweig
                                                               te. Das Know-how in Deutschland                                                          Können Sie denn die Ablehnung
FOTOS: SEITE 14: HTW BERLIN/JENNIFER WEBER; SEITE 15: PRIVAT

                                                               ist schließlich noch da und es wird ja                                                   nachvollziehen?
                                                               weiter versucht, Module mit immer                                                           Quaschning: Nein. Ich kann natür-
                                                               besseren Wirkungsgraden herzustel-                                                       lich verstehen, wenn man ein Wind-
                                                               len. Dafür notwendig ist allerdings ein ganz klares Be- rad nicht vor seiner Nase mag. Aber wenn man das nicht
                                                               kenntnis der Politik, sich hinter den Standort Deutschland will, muss man eben sagen, wo der Strom sonst herkom-
                                                               zu stellen und nicht wieder die Industrie fallenzulassen.          men soll. Das Sankt-Florian-Prinzip, dass immer andere
                                                                                                                                  die Folgen der Energieerzeugung übernehmen sollen, kann
                                                               Das heißt, ein solches Bekenntnis wäre auch ein Stück ich nicht akzeptieren. Selbst wenn man Offshore-Windrä-
                                                               sinnvolle Industriepolitik?                                        der baut, kann man den Strom ja nicht in Koffer packen
                                                                   Quaschning: Unbedingt. Wenn wir schon Industriepoli- und damit in den Süden fahren. Das heißt, dafür müssten
                                                               tik machen wollen, dann doch lieber zugunsten einer Zu- wieder Stromleitungen gebaut werden, die man auch nicht
                                                               kunftstechnologie – wie es die Chinesen schließlich auch vor seiner Nase mag.

                                                                                                                                                                                         15
TITEL ENERGIEWENDE

Apropos Stromnetz. Gibt es dafür schon ein ausrei-               ren sicherlich auch noch weiter verbessern werden. Etwas
chendes Konzept?                                                 schwieriger wird es, Lösungen für saisonale Speicherungen
   Quaschning: Einen Netzentwicklungsplan, der aufzeigt,         zu finden. Hier ist es wichtig und richtig, dass die Bundes-
was wir bräuchten, wenn wir 100 Prozent erneuerbare              regierung jetzt die Reallabore fördert. Darüber hinaus sind
Energien haben wollen, gibt es nicht. Das wurde sträflich        aber nicht nur technologische, sondern auch regulatorische
versäumt. Allerdings ist es jetzt ohnehin zu spät, nur auf die   Fragen zu klären. Zum Beispiel die Frage, welche Umlagen
Leitungen zu setzen. Planung und Bau dauern in Deutsch-          zu bezahlen sind, wenn man Strom erst einmal zur Spei-
land mindestens 15 Jahre. Das heißt, um unser Ziel zu er-        cherung in Gas umwandelt.
reichen, brauchen wir vor allem eine regionale Stromer-
zeugung und mehr Speicher. Fehlende Leitungen dürfen             Und dann muss das Gas ja auch irgendwo gespeichert
kein Argument dafür sein, die Energiewende nicht zu voll-        werden.
ziehen.                                                             Engel: Speicher gibt es bereits heute in ausreichender
   Engel: Ich sehe es auch so, dass man die fehlenden Net-       Menge. Denn aus Sorge, Russland könnte uns den Gas-
ze nicht als Entschuldigung nehmen darf, den Ausbau der          hahn mal zudrehen, wurden große Speicher angelegt. Die-
erneuerbaren Energien zu begrenzen. Allerdings sehe ich          se Erdgasspeicher könnten problemlos umfunktioniert
den Netzentwicklungsplan nicht ganz so kritisch. Es gibt         werden – mit einer regenerativen Energieversorgung brau-
zumindest Szenarien, in denen die Photovoltaik 2030 mit          chen wir dann ja auch kein Erdgas aus Russland mehr.
104 Gigawatt berücksichtigt wurde. Das ist das Doppelte             Quaschning: Was wir dann noch brauchen, sind die Elek-
des Solardeckels, also der Beschränkung der Solarförde-          trolyseure, die den Strom klimaneutral in Gas umwandeln
rung auf die Marke von 52 Gigawatt installierter Photovol-       und dann natürlich auch die Rückverstromung mit Gas-
taik-Kapazität. Das zeigt, dass die Bundesnetzagentur und        kraftwerken oder Brennstoffzellen. Auch diese beiden Pos-
die Betreiber der Übertragungsnetze jetzt doch zumindest         ten sind heutzutage noch relativ teuer und wir müssen da-
etwas weitsichtiger in die Zukunft blicken.                      für sorgen, dass wir in den nächsten Jahren die Kosten
                                                                 dafür noch drücken können, sodass wir auch im Speicher-
Mit welchen technischen Weiterentwicklungen können               bereich konkurrenzfähig werden.
wir denn im Bereich erneuerbarer Energien in Zu-
kunft noch rechnen?                                              Der Konsens ist zwischen Ihnen beiden offensichtlich
   Engel: Den größten Fortschritt gab und gibt es bei der        recht groß. Wie mehrheitsfähig sind Ihre Positionen in
Photovoltaik. Wir können seit 30 Jahren beobachten, dass         der Wissenschaft insgesamt?
sich immer, wenn wir die Anzahl der installierten Modu-             Quaschning: Natürlich werden Sie immer mal ein paar
le verdoppelt haben, der Preis um 20 Prozent gefallen ist.       Lungenärzte finden, die meinen, Stickoxide wären doch
Und diese Entwicklung wird auch so weitergehen.                  gar nicht so schlimm, oder den einen oder anderen Kern-
   Quaschning: Ja, die Branche ist wirklich sehr erfinde-        physiker, der glaubt, Atomkraftwerke wären noch ein zu-
risch. Wir kitzeln die Wirkungsgrade Jahr für Jahr etwas         kunftsträchtiger Weg der Energieversorgung. Insgesamt
nach oben – und die Preise nach unten. Viel wichtiger ist        muss man aber sagen, dass der Konsens in der Wissen-
jedoch die technische Weiterentwicklung im Bereich der           schaft schon extrem groß ist. Da gibt es nur einen sehr
Speichertechnologie, die wir brauchen, um die Fluktua­tion       schmalen Korridor, in dem wir uns alle bewegen.
bei Sonne und Wind auszugleichen. Das ist der Posten,               Engel: Unterschiede sehe ich auch nur im Detail. Die
der noch relativ teuer ist und dafür sorgt, dass regenera-       einen setzen vielleicht eher auf große Photovoltaikkraft-
tiver Strom preislich insgesamt noch nicht ganz mithalten        werke auf der Freifläche und die anderen mehr auf de-
kann. Wir sehen hier allerdings ebenfalls eine große Dyna-       zentrale Anlagen auf den Dächern. Dass aber Photovoltaik
mik, sodass ich davon ausgehe, dass wir dieses Problem in-       und Windkraft in Deutschland das Mittel der Wahl sind
nerhalb weniger Jahre auch noch lösen können. Wenn wir           und sein müssen, bestreitet eigentlich kein seriöser Wis-
dann Photovoltaik-Batteriekombinationen zu einem kon-            senschaftler mehr. Nur so können die Klimaziele noch er-
kurrenzfähigen Preis anbieten können, wird gerade in son-        reicht werden.
nigen Ländern niemand mehr auf die Idee kommen, auf
fossile Energien zu setzen. Ich hoffe sehr, dass uns das so      Auf der anderen Seite: Was brächte es, die rund 150
schnell gelingt, dass wir den Klimaschutz über die Kosten        deutschen Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung
hinbekommen können und nicht nur an das ökologische              von 45 Gigawatt so schnell wie möglich abzuschalten,
Gewissen appellieren müssen.                                     wenn gleichzeitig weltweit Kohlekraftwerke mit ei-
   Engel: Da bin ich auch optimistisch. Schon heute gibt         ner Kapazität von 399 Gigawatt gebaut oder geplant
es gute Lösungen am Markt, die sich in den nächsten Jah-         ­werden?

16
Mit den Schülerprotesten unter dem Motto „Fridays for Future“ solidarisierten sich Zehntausende von Wissenschaftlern. Die Scientists for Future erklärten: Die Anliegen
                                                    der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei Weitem nicht aus.

                                                       Quaschning: Zunächst einmal würde ich diese Zahlen                                1979 gab es die erste Weltklimakonferenz in Genf, auf
                                                    infrage stellen wollen. Nur weil mal irgendwo in Bangla-                             der internationale Experten davor warnten, dass die
                                                    desch oder Südafrika ein Kohlekraftwerk geplant wurde,                               Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphä-
                                                    heißt es noch lange nicht, dass es tatsächlich gebaut wird.                          re „signifikante Änderungen“ des Klimas verursa-
                                                    Denn dort wird ja auch gerechnet und ganz oft festgestellt,                          chen könnte, die „sich negativ auf das Wohlergehen
                                                    dass die Photovoltaik unter dem Strich nicht nur ökologi-                            der Menschheit auswirken“ würden. Inzwischen sind
                                                    scher, sondern eben auch ökonomischer wird.                                          40 Jahre vergangen. Trotzdem lautet in Ihrem Buch
                                                       Engel: Deutschland hat sich in einem international bin-                           „Erneuerbare Energien und Klimaschutz“ die Über-
                                                    denden Vertrag verpflichtet, seine eigenen Klimaziele zu                             schrift des letzten Kapitels „Alles wird gut“. Woher
                                                    erreichen. Und das schaffen wir eben nur, wenn wir die                               nehmen Sie noch den Optimismus?
                                                    deutschen Braunkohlekraftwerke als schlimmste CO2-Er-                                    Quaschning: Den Optimismus nehme ich vor allem aus
                                                    zeuger so schnell wie möglich abschalten. Von daher soll-                            dem technischen Fortschritt und der Preisentwicklung. Die
                                                    te man das erst einmal tun, bevor wir auf andere schauen.                            Energiewende ist dadurch technisch machbar und zudem
                                                    Wenn wir es nicht schaffen, wie wollen wir dann von ande-                            finanzierbar. Jetzt brauchen wir nur noch den politischen
                                                    ren Ländern verlangen, dass sie es schaffen.                                         Willen dazu. Und mit der „Fridays for Future“-Bewegung
FOTOS: SEITE 17: © FRIDAYS FOR FUTURE DEUTSCHLAND

                                                       Quaschning: Richtig. Wir können immer versuchen, in                               ist da auch etwas ins Rollen gekommen, was mich ganz zu-
                                                    einem anderen Land jemanden zu finden, der irgendet-                                 versichtlich stimmt.
                                                    was machen soll. Aber globaler Klimaschutz funktioniert                                  Engel: Ich teile diese Zuversicht, selbst wenn es manch-
                                                    nur, wenn alle mitmachen. Und wir müssen dann eben un-                               mal schwerfällt. Allerdings hat die Menschheit es mit ei-
                                                    sere Hausaufgaben machen. Deutschland hat dabei sogar                                nem weltweiten Verbot von FCKW schon einmal geschafft,
                                                    eine besondere Verantwortung. Nicht nur, weil wir bei den                            eine globale Katastrophe – das Ozonloch – zu verhindern.
                                                    Klimasündern weltweit noch ganz weit vorne liegen, son-                              Warum sollte uns dies nicht noch einmal gelingen?
                                                    dern auch, weil wir jetzt eine Vorbildfunktion haben müs-
                                                    sen. Denn wenn wir es als reiches Land nicht hinbekom-                               MARTIN SCHMITZ-KUHL
                                                    men, werden andere es gar nicht erst versuchen.                                      ist freier Autor aus Frankfurt am Main und Redakteur beim VDE dialog.

                                                                                                                                                                                                                        17
TITEL
    TITEL
        ENERGIEWENDE
          XXX

                                                        Strom
                                                       ist grün
                     gridX
             Plattform für
         Energiemanagement
    Die Stromwende wird nur funktionieren, wenn
                                                        Um die Energiewende zu schaffen,
     nicht nur mehr Ressourcen aktiviert werden
                                                       bedarf es neuer Ideen und Konzepte.
  können, sondern diese dann auch so ins Strom-
  netz eingespeist werden, dass die Netzstabilität
                                                           Diese werden in zahlreichen
    gesichert ist. Ungenutztes Potenzial sieht das            innovativen Start-ups im
2016 gegründete Aachener Energie-Start-up gridX              ganzen Land entwickelt.
 in deutschlandweit rund 40 Millionen Haushalten,
die mittels Photovoltaik potenzielle Stromerzeuger
    sein könnten. Dafür wurde eine spezielle Box
   entwickelt. Über sie sollen Besitzer einer Solar­
       anlage und eines Batteriespeichers eine
    Strom-Community bilden: Wer seinen Strom
gerade nicht selbst braucht oder speichert, speist
ihn auf die gridX-Plattform ein. Eine Idee, die auch
den VDE|FNN-InnovationHub überzeugte und das
Unternehmen dafür im Mai dieses Jahres mit dem
              ersten Platz auszeichnete.

                    enyway
               Pizza Solarmi
  Der Baustart der ersten förderfreien Freiflächen-­
   Solaranlage Deutschlands, die komplett durch
    Crowdfinanzierung realisiert wurde, ist gerade
    erfolgt. Dahinter steckt das junge Hamburger
 Energieunternehmen enyway und Mitgesellschafter
  Heiko von Tschischwitz. Dieser ist in der Branche
 kein Unbekannter. So gründete er 1999 Lichtblick,
    den ersten Ökostromanbieter Deutschlands.
   Diesmal will der Öko-Pionier die Energiewende
   demokratisieren. Dazu wurden die Solar­module
   mittels Blockchain-Technologie transparent und
   fälschungssicher in virtuelle Mini-Pakete in der
  Größe von Pizzakartons aufgeteilt. Gerade einmal
39,90 Euro beträgt das Mindestinvestment, mit dem
  man zum Solarunternehmer werden kann. Schon
  mehr als 4000 Privatpersonen sollen dabei sein.

  18
GreenPocket
                                                     Mehrwerte dank Smart Energy
                                                      Das Kölner Start-up GreenPocket hilft Energiever-
                                                     sorgern und Unternehmenskunden, Mehrwerte aus
                                                      Smart-Meter-Daten zu realisieren. Denn durch die
                                                      Digitalisierung der Energiewende wird der Zugriff
                                                        auf sehr große Datenmengen möglich. Werden                           VoltStorage
                                                     diese Daten erfasst und nutzerdienlich verarbeitet,           Grüner Heimspeicher
                                                      lassen sich neue Services generieren. Durch den
                                                        Einsatz von Data-Analytics- und Data-Science-­       Die Stromspeicher üblicher Photovoltaikanlagen
                                                     Technologien ließe sich der Schritt von der Daten-        enthalten in der Regel seltene Rohstoffe wie
                                                          transparenz zu einer echten Datenintelligenz      Lithium oder Kobalt, die unter ethisch fragwürdi-
                                                          vollziehen, heißt es aus Köln. Beispielsweise    gen Zuständen gewonnen werden. Zudem ist das
                                                      könnte man auf diese Weise eine Technologie zur          Recycling der gebrauchten Zellen ökologisch
                                                      selbstoptimierenden Datendisaggregation entwi-          belastend. Das 2016 in München gegründete
                                                     ckeln. Der Vorteil für den Kunden: Die Verbrauchs­      Unternehmen VoltStorage bietet dafür jetzt eine
                                                       transparenz wird weiter erhöht und der Verbrau-      Alternative: Einen Stromspeicher mit sogenannter
                                                            cher erhält spezifische Empfehlungen zur         Vanadium-Redox-Flow-Technologie. Das Prinzip
                                                     Effizienzoptimierung und zu Einsparmöglichkeiten.     ähnelt dem einer Brennstoffzelle, bei der ebenfalls
                                                         Auch Voraussagen und Vermeidung von Last­           Elektrolyte durch Membranen fließen und Strom
                                                        spitzen zur Netzentlastung seien so vorstellbar.       produzieren. Nötig sind für diese alternative
                                                                                                           Batterie vor allem Aluminium, Grafit, Schwefelsäure
                                                                                                            und das Metall Vanadium. Sie lassen sich einiger-
                                                                                                            maßen umweltschonend gewinnen und recyceln.

                                                                      KOENA tec
                                                                Kaffee und Strom
                                                     Den Energy Award von Science4Life hat in diesem
                                                        Sommer das Stuttgarter Start-up KOENA tec
                                                      gewonnen, das innovative Energiezwischenspei-                         Bürgerwerke
                                                      cherlösungen zur Stromnetzstabilisierung entwi-
                                                     ckelt. Dafür integriert das Unternehmen Geräte wie
                                                                                                                  Von Bürgern für Bürger
                                                       Kaffeemaschinen, Backöfen oder Gefriertruhen.         Ziel der Bürgerwerke ist die Regionalisierung der
                                                      Die werden zwar für einen anderen Zweck herge-          Energieversorgung und eine Energiewende von
                                                       stellt, weisen aber laut KOENA tec die Fähigkeit         unten. Das Unternehmen wurde Ende 2013
                                                        zur Stromnetzstabilisierung dennoch auf. Dies          gegründet und gilt als „one of Europe’s most
                                                         ermögliche den Zusammenschluss zu einem           innovative electricity retail start-ups“ (one-step-off-
BILDER: SEITE 18/19: SERGEY NIVENS/ADOBE.STOCK.COM

                                                     Geräteschwarm, der als eigenständiges, virtuelles       the-grid). Mit einer Wachstumsrate von 543 Pro-
                                                     Kraftwerk intelligent und flexibel gesteuert werden   zent ist es zudem das wachstumsstärkste Start-up
                                                          kann, um die Schwankungen im Stromnetz              des Energiebereichs. Als Dachorganisation von
                                                                        auszugleichen.                      Energiegenossenschaften bündeln die Bürgerwer-
                                                                                                           ke Ökostrom aus lokaler Erzeugung und versorgen
                                                                                                                damit Haushalte und Unternehmen in ganz
                                                                                                              Deutschland. Zudem wird „BürgerÖkogas“ aus
                                                                                                                    organischen Rohstoffen angeboten.
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                                                                                                                                                            19
TITEL ENERGIEWENDE

WÄRMESEKTOR

Großes Potenzial
Der größte Energieschlucker ist der Wärmesektor. Hier sind umfassende Transformationen für die Ener-
giewende noch wichtiger als in den Bereichen Strom und Verkehr. Entscheidend für die Wärmewende:
Eine höhere Effizienz von Gebäuden und die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung. Die nötigen
Technologien stehen zur Verfügung, was fehlt, ist der Wille.

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VON KATJA DOMBROWSKI

                                                Ohne Wärmewende kann die Energiewende nicht gelingen:         richtet werden dürfen und Sanierungen von Bestandsge-
                                                Der Wärmesektor verschluckt die meiste Endenergie, sein       bäuden die gleichen Energiestandards erfüllen müssen, die
                                                Anteil liegt in Deutschland, in der Europäischen Union        heute für Neubauten gelten. Aktuell befindet sich der Re-
                                                (EU) und weltweit gleichermaßen bei rund der Hälfte des       ferentenentwurf des Gebäudeenergiegesetzes in der Res-
                                                Gesamtverbrauchs. Dazu gehören das Heizen und Küh-            sortabstimmung, bis zum Ende des Jahres soll das Gesetz-
                                                len von Gebäuden – seien es Wohnhäuser, Gewerbeimmo-          gebungsvorhaben abgeschlossen sein.
                                                bilien oder Industriebauten –, die Warmwasserbereitung           Da der Gebäudebestand den Löwenanteil ausmacht,
                                                und die Prozesswärme, die für technische Verfahren be-        liegt dort der größte Hebel. Um die Ziele zu erreichen,
                                                nötigt wird. Der mit Abstand größte Anteil des Wärmebe-       müsste möglichst flächendeckend energetisch saniert wer-
                                                darfs wird noch immer mit fossilen Brennstoffen wie Koh-      den – was aber derzeit nicht der Fall ist. Alexandra Langen­
                                                le, Öl und Erdgas gedeckt. Weltweit stammten 2017 nach        held, Projektleiterin bei Agora Energiewende, spricht sich
                                                Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) nur          für eine stärkere Förderung aus. Der Staat setzt zwar finan-
                                                10 Prozent aus erneuerbaren Energien. In der EU waren         zielle Anreize durch die KfW-Programme für energieeffizi-
                                                es im gleichen Jahr 16 Prozent und in Deutschland gut         entes Sanieren, über die es günstige Kredite und Zuschüs-
                                                13 Prozent. Der Sektor verfügt somit über großes Poten-       se gibt. Diese haben aber keinen Boom ausgelöst.
                                                zial, Treibhausgasemissionen einzusparen.                        Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag ver-
                                                    Gehandelt werden muss schon deshalb, weil sich eine       einbart, die energetische Gebäudesanierung auch steuer-
                                                deutliche Zunahme des Bedarfs abzeichnet: Die Weltbevöl-      lich zu fördern. Der Punkt ist aber noch nicht umgesetzt.
                                                kerung wächst, die Industrialisierung schreitet voran, der    Langenheld hält das für dringend erforderlich: „Wir schla-
                                                Wohlstand in bisher noch weniger entwickelten Ländern         gen vor, dass Hausbesitzerinnen und -besitzer energetische
                                                nimmt zu und die Erde wird wärmer. Das Umweltpro-             Sanierungen ab 2020 steuerlich über Gutschriften geltend
                                                gramm der Vereinten Nationen (UNEP) schätzt beispiels-        machen können. Besonders hochwertige Sanierungen kön-
                                                weise, dass allein der Energiebedarf für Kühlschränke, Kli-   nen dabei auch zusätzlich gefördert werden.“ Außerdem
                                                maanlagen und Wärmepumpen Ende dieses Jahrhunderts            müssten Zuschüsse für den Einbau neuer Ölheizungen
                                                33 Mal so hoch sein wird wie heute.                           gestrichen werden – eine Forderung, die seit Langem im
                                                    Dem gegenüber stehen nationale und internationale         Raum steht, da derartige Subventionen Anreize in die fal-
                                                Klimaschutzziele, die eine Zunahme von Treibhausgas­          sche Richtung setzen.
                                                emissionen, egal, in welchem Sektor, nicht zulassen – im         Eine andere Steuerungsmöglichkeit besteht darin, die
                                                Gegenteil. In der EU sollen beispielsweise bis Mitte des      Vermietung oder den Verkauf von Gebäuden mit schlech-
                                                Jahrhunderts fast keine Emissionen mehr von Gebäuden          ter Energiebilanz zu verbieten. Laut der Internationalen
                                                ausgehen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Bundes-        Partnerschaft für die Zusammenarbeit im Bereich der
                                                regierung in ihrem 2016 beschlossenen Klimaschutzplan         Energieeffizienz (IPEEC) gehört Großbritannien zu den
                                                2050 festgelegt, dass der Gebäudebereich bis 2030 zwei        Vorreitern dieses Ansatzes: Seit April 2018 dürfen dort kei-
                                                Drittel weniger Treibhausgase ausstoßen soll als im Re-       ne Wohn- und Gewerbeimmobilien, die in die beiden un-
                                                ferenzjahr 1990. 2018 waren knapp 44 Prozent erreicht.        tersten Effizienzklassen fallen, neu vermietet werden, ohne
                                                Seit 2012 nimmt der Anteil erneuerbarer Energien zur De-      sie vorher energetisch zu sanieren. In Singapur, wo hei-
                                                ckung des Wärmebedarfs aber nicht mehr zu.                    zen kein Thema ist, aber kühlen umso mehr, müssen Be-
                                                                                                              sitzer gewerblicher Immobilien von mehr als 500 Quadrat-
                                                Größter Hebel für die Energiewende                            metern seit 2014 bestimmte Standards einhalten, wenn sie
                                                                                                              eine Klimaanlage einbauen oder austauschen.
                                                liegt in den Gebäuden                                            Zu den staatlichen Instrumenten gehört auch die
FOTOS: SEITE 20: IVAN SMUK / SHUTTERSTOCK.COM

                                                Experten sind sich daher einig, dass im Wärmesektor deut-     CO2-Bepreisung, die derzeit in immer mehr Ländern ein-
                                                lich mehr passieren muss als bisher, um die angestrebte       geführt beziehungsweise ausgeweitet wird. Die meisten
                                                Dekarbonisierung des gesamten Wirtschaftssystems zu er-       Staaten setzen dazu auf Steuerlösungen, in Deutschland ist
                                                reichen, und dass dafür zwei Ansatzpunkte ausschlagge-        außerdem im Gespräch, den Emissionshandel auf die Sek-
                                                bend sind: Die Energieeffizienz muss gesteigert und die       toren Verkehr und Gebäude auszuweiten. Prominent dis-
                                                CO2-Intensität verringert werden. Der Thinktank Agora         kutiert wird in dem Zusammenhang eine sozialverträgliche
                                                Energiewende fordert daher von der Bundesregierung, im        Ausgestaltung der CO2-Preissysteme. Der Rat der Wirt-
                                                geplanten Gebäudeenergiegesetz festzulegen, dass neue         schaftsweisen hatte der Bundesregierung in einem Gut-
                                                Gebäude künftig nur noch in klimafreundlicher Weise er-       achten vorgeschlagen, das Geld entweder pauschal oder

                                                                                                                                                                       21
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