Energiewende - DAS TECHNOLOGIE-MAGAZIN dialog - VDE
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Theoretisch ist die Energiewende eine Jahrhundert- aufgabe. Praktisch lernen Sie bei uns jeden Tag dazu. Gemeinsam bringen wir die Dinge voran: Wir von der EnBW entwickeln intelligente Energieprodukte, machen unsere Städte nachhaltiger und setzen uns für den Ausbau erneuerbarer Energien ein. Und dafür benötigen wir tatkräftige Unterstützung. Deshalb suchen wir echte Macher (w/m/d), die mit viel Engagement, Einfallsreichtum und Know-how mutig die Herausforderungen unserer Zeit anpacken und mit uns zusammen die Energiezukunft gestalten. Im Gegenzug bieten wir abwechslungsreiche Aufgaben und vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten. Machen Sie jetzt mit: www.enbw.com/jobmarkt
EDITORIAL Unbequeme Fakten Am 20. August 2018 erklärte Greta Thunberg vor dem schwedischen Reichstag den Schul- streik. Über Europa lag eine Hitze- und Dürrewelle. Seitdem ist aus der einzelnen Schülerin die weltweite Bewegung „Fridays for Future“ geworden, Europa ächzt unter Hitzerekorden und in Deutschland gab es ein Video des Youtubers Rezo, das – vorsichtig ausgedrückt – interessante Reaktionen hervorgerufen hat. Die Freitags-Demonstranten und Rezo fordern Ernsthaftigkeit – das sollte nicht zu viel verlangt sein. Seit über zwanzig Jahren ist die umweltfreundliche Energieversorgung ein zentrales politisches Thema. Unsummen sind dafür in der Gesellschaft umverteilt worden, Industrien wurden aufgebaut, der Niedergang anderer akzeptiert. Deutschland hat sich ger- ne als grüner Musterschüler gegeben. Herausgekommen ist, dass wir die Ziele für 2020 verfehlen. Effektive Politik sieht wohl anders aus – und glaubwürdige auch. »Deutschland hat sich gern als grüner Was muss sich ändern, damit wir nicht im Jahr 2028, kurz Musterschüler gegeben – und verfehlt vor dem nächsten Etappenziel, feststellen müssen, dass es lei- nun die Ziele für das Jahr 2020.« der wieder nicht gereicht hat? Orientierung an Fakten und am Gesamtziel statt an Symbolik würde sicher helfen. Ein jünge- res Beispiel für Symbolik ist der Kohleausstieg. Ein solcher Ausstiegsbeschluss wäre mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht nötig, wenn wir uns stattdessen mit der Beseitigung von Barrieren für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien befassen würden (und da- bei nebenbei von deren mittlerweile - aufgrund unserer Anschubfinanzierung! – erreichten Wettbewerbsfähigkeit profitieren). Und wenn uns der Kohlendioxidausstoß wirklich wichtig gewesen wäre, hätten wir uns im Frühjahr 2011 wohl für eine andere, zugegebenermaßen FOTOS: TITELSEITE: PHOTOBANK / STOCK.ADOBE.COM; SEITE 03: ABB nicht sehr populäre Brückentechnologie entscheiden müssen als ausgerechnet für Kohle. Fakten können unbequem sein. Faktenbasierte und zielorientierte Diskussionen und Entscheidungen sind also gefragt. Der VDE kann nicht entscheiden. Aber er kann Fakten liefern. Und seit 2003 tun wir das mit zahlreichen Studien und Positionspapieren. Dieses Engagement setzen wir fort, zum Beispiel mit diesem Heft. Ich wünsche Ihnen eine bereichernde Lektüre. Ihr Prof. Dr. Jochen Kreusel, Market Innovation Manager Power Grids Division, ABB und Mitglied des VDE-Präsidiums 03
INHALT 12 Spätestens seit sich die „Scientists for Future“-Wissenschaftler mit den Schülern der „Fridays for Future“-Bewegung solidarisch erklärt haben, ist Bewegung in die Debatte um die Klimapolitik gekommen. Bei allen jetzigen Bekenntnissen zu den Zielen des Pariser Abkommens, die zentrale Frage lautet: Ist das Klima noch zu retten? 36 30 Kleiner(er) Antrieb mit großer Wirkung: Der Trend zu elektrischen Antrieben und Die Zahl an Plagiaten, die auf den europäischen Markt strömen, steigt weiter an. Vor Hybrid-Fahrzeugen beinflusst die Fahrzeugproduktion und das Design der Autos. allem Fälschungen aus China machen Maschinen- und Anlagenbauern zu schaffen. 04
TITEL 12 ENERGIEWENDE Bloßes Lippenbekenntnis oder ernstzunehmende Anstrengung? THEMEN Die Redaktion fragte zwei Ex- SPEKTRUM perten für erneuerbare Energien, ob und wie das Bekenntnis der Politik zur Einhaltung der Pariser 30 PLAGIATE Global Player im Plagiate- Klimaziele noch umzusetzen ist. Business: In großer Zahl kommen 06 MELDUNGEN Mikrobots / Batterie-Recycling / 18 START-UPS Produktfälschungen auf den deutschen Markt. Der überwie- gende Teil stammt aus China. Cyberkriminalität / Autonomes Auf dem Weg zu sauberem Fahren / 5G / Künstliche Intelli- genz / Solarenergie / Transistor- technik / Online-Identifizierung Strom: Mit innovativen techni- schen Ideen entwickeln Start-ups Konzepte zur Umsetzung der 32 CARBON CAPTURING Negative Emissionstechnologie: Energiewende. Ein Überblick. Das Einsammeln und Umwan- deln von CO2 aus der Luft kann 07 PERSONALIA Wolfgang Niedziella / Dr. Kurt Bettenhausen / Wolf-Dieter Lukas / 20 WÄRMESEKTOR Keine Energiewende ohne Wärme eine Strategie sein, die Klima erwärmung aufzuhalten. Prof. Dr. Ina Schieferdecker / Kerstin Andreae wende: Rund die Hälfte der ver brauchten Energie entfällt auf den Wärmesektor – nicht nur in 36 ELEKTROMOBILITÄT Branche im Umbruch: Der Trend Deutschland, sondern weltweit. zu elektrischen Antrieben und 08 RUNDRUF Hybrid-Fahrzeugen ändert nicht Überschätzter Hype oder viel- nur die Art der Fortbewegung, versprechende Technologie? 24 VERKEHRSSEKTOR sondern auch die Fahrzeugpro- Die Blockchain, ihre Potenziale Die Mischung macht‘s: Die Bat- duktion. und möglichen Einsatzgebiete. terie allein reicht für ein nachhal- FOTOS: SEITE 04: © FRIDAYS FOR FUTURE DEUTSCHLAND (O.), VOLKSWAGEN AG (U. L.), VITALIJ SOVA / ISTOCKPHOTO.COM (U. R.) tigeres Verkehrskonzept nicht aus. Auch die Brennstoffzelle kann 11 INTERVIEW einen bedeutenden Beitrag zur KOMPAKT Im Ausland gut gerüstet: Reduktion von Treibhausgasen mybacs-Gründer Carl-Philipp von Polheim erläutert die Vorteile von Synbiotika, die er leisten. 38 VDE-GRUPPE 42 AUS DEN REGIONEN mit seinem Start-up vermarktet. 27 STROMSEKTOR Der Klimaschutzplan 2050 gibt die Richtung vor: Trotz des bisher 44 VDE YOUNG NET erreichten Anteils der erneuer baren Energien an der Netto stromerzeugung muss die Energie- 46 TERMINE wirtschaft die CO2-Emissionen weiter deutlich reduzieren. 48 SERVICE /IMPRESSUM 50 DEBATTE 05
SPEKTRUM BATTERIE-RECYCLING Zweites Leben in China Mercedes-Benz Energy will in China Energiespeicher auf Basis gebrauchter E-Fahrzeug- Akkus entwickeln – statt in Autos sollen sie künftig im Stromnetz zum Einsatz kommen. Die Daimler-Tochter Mercedes-Benz Energy und der chinesische E-Fahrzeug-Hersteller Beijing Electric Vehicle (BJEV) haben eine Entwicklungspartnerschaft zum Aufbau von 2nd-Life-Energie- MIKROBOTS speichersystemen in China geschlossen. Die Unternehmen wol- len gemeinsam den ersten 2nd-Life-Energiespeicher am Standort Ameisen- Peking errichten und greifen dabei auf ausgediente Elektrofahr- zeugbatterien von BJEV zurück. Mit Tests und Simulationen sol- Roboter len die Ingenieure von Mercedes-Benz Energy in den kommen- den Monaten aufzeigen, wie elektroautomobile Energiespeicher Sie sind nur zwei Millimeter groß das chinesische Stromnetz hinsichtlich Schwankungs- und Strom- und werden durch Schwingun- ausfallmanagement unterstützen können. Dem Projekt sollen wei- gen fortbewegt – Wissenschaftler tere Kooperationen folgen. arbeiten an Mikro-Robotern, die Mercedes-Benz Energy entwickelt bereits seit 2016 Energie- vielleicht einmal im menschlichen speicherlösungen, die auf Batterietechnik aus Elektro- und Hy Körper eingesetzt werden. bridfahrzeugen von Mercedes-Benz und Smart basieren. Die Ko- operation mit BJEV soll nun den Weg ins Ausland ebnen. Sie sind zwei Millimeter lang – etwa Das Potenzial gebrauchter Akkus bestätigt die Studie „Se- so groß wie die kleinste Ameise der cond-Life-Konzepte für Lithium-Ionen-Batterien aus Elektro- Welt – und können in einer Sekun- fahrzeugen“, die unter der Federführung des VDE entstanden ist. de das Vierfache ihrer eigenen Länge Demnach besteht ein großes Potenzial für Second-Life-Konzep- zurücklegen: Sogenannte Mikrobors- te, wenn der Markt für Elektromobilität und Batteriespeicher wie ten-Bots, die Forscher des entwickelt vorgesehen wächst. Zwei vielversprechende Anwendungen sind haben. Die winzigen Roboter bewegen die Bereitstellung von Regelleistung für Stromnetzbetreiber und sich, indem sie Vibrationen von piezo- der Einsatz als Hausspeicher, die an Photovoltaikanlagen gekop- elektrischen Aktoren, Ultraschallquel- pelt sind. Die Studie ist kostenlos erhältlich unter www.vde.com len oder sogar kleinen Lautsprechern nutzen. Der piezoelektrische Aktua- tor ist auf einem per 3D-Druck her- gestellten Polymerkörper aufgeklebt und reagiert je nach Konfiguration auf unterschiedliche Schwingungs- frequenzen. Die Entwickler haben viele po- tenzielle Anwendungen im Blick, so könnten die Bots künftig etwa Um- weltveränderungen erfassen oder ei- nes Tages Verletzungen im Innern des menschlichen Körpers beheben. 06
PERSONALIA +++ 1 WOLFGANG NIEDZIELLA, Geschäftsführer in Forschung (BMBF). Seine Nachfolge als Leiterin der Ab- der VDE-Gruppe, ist seit August für das neu geschaffene teilung „Forschung für Digitalisierung und Innovationen” im Kompetenzcenter „Digitale Sicherheit“ im VDE verantwort- (BMBF) tritt 4 PROF. DR. INA SCHIEFERDECKER an. lich, das die in der VDE-Gruppe verteilten Kernkompe- +++ Die Grünen-Politikerin 5 KERSTIN ANDREAE wur- tenzen – CERT@VDE von VDE|DKE, Smart Technologies de vom Vorstand des Bundesverbandes der Energie- und vom VDE-Institut sowie Corporate Security vom VDE – zu Wasserwirtschaft zur neuen Vorsitzenden der Haupt einem organisationsübergreifenden Geschäftsfeld zu- geschäftsführung berufen. Die Diplom-Volkswirtin wird den sammenführt. Niedziella baute zuvor im VDE-Institut die Vorsitz des Branchenverbandes zum 1. November 2019 Dienstleistungen rund um die Interoperabilität und Infor- übernehmen. mationssicherheit für Smarte Produkte und Sys- teme auf. +++ 2 DR. KURT BETTENHAUSEN 1 2 3 ist neuer CTO (Chief Technology Officer) und CDO (Chief Digital Officer) beim Spann- und Greiftechnik-Spezialisten Schunk. Er wechselte von Siemens, wo er als Senior Vice President of Corporate Technology in den USA tätig war. Von 2010 bis 2016 war Bettenhausen Vorstandsvor- sitzender der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und 4 5 Automatisierungstechnik. +++ Seit September ist 3 WOLF-DIETER LUKAS neuer Staats sekretär im Bundesministerium für Bildung und CYBERKRIMINALITÄT Bei Anruf Angriff FOTOS: SEITE 06: ALLISON CARTER (O.), DAIMLER AG (U.); SEITE 07: VDE / UWE NÖLKE (1), PRIVAT (2), BMBF Was harmlos klingelt, kann zum Einfallstor für Cyberkriminelle werden: Fraunhofer-Experten haben eine große Zahl von Sicherheitslücken auf Voice-over-IP-Telefongeräten entdeckt. (3), BS/PHILIPP PLUM, FRAUNHOFER FOKUS (4), DBT/INGA HAAR (5), FRAUNHOFER SIT (U.) Das Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechno- Firmennetzwerk verschaffen können. „Wir hatten nicht er- logie (SIT) hat 33 Voice-over-IP-Telefongeräte von 25 wartet, dass wir so viele derart kritische Lücken finden, Herstellern auf Schwachstellen geprüft. Un- da diese Geräte schon lange auf dem Markt sind tersucht wurden die webbasierten Nutzer- und dementsprechend getestet und sicher oberflächen, über die Administratoren sein müssten“, sagt Stephan Huber, der die Telefone konfigurieren. an der Untersuchung beteiligt war. Das Ergebnis wurde auf der Mittlerweile haben die Hersteller die Hackerkonferenz Defcon vorge- Lücken geschlossen. Die Fraunho- stellt: Insgesamt fanden die Wis- fer-Experten raten allen Nutzern, senschaftler 40 teils gravierende die eigenen Geräte aktuell zu hal- Schwachstellen. Angreifer hätten ten und auf Updates für die Ge- über diese Lücken Gespräche ab- räte-Firmware zu achten. De- hören, das Telefon außer Betrieb tails zur Untersuchung: www.sit. setzen oder sich Zugriff auf das fraunhofer.de/cve 07
SPEKTRUM BLOCKCHAIN Dezentral und viel Potenzial Die Blockchain und ihr möglicher Einsatz in vielen verschiede- AUTONOMES FAHREN nen Bereichen werden derzeit heiß diskutiert. Aber ist ihr Poten- zial tatsächlich so groß oder handelt es sich nur um ein über- schätztes Hype-Thema? Fahrerlos einparken ELKE KUNDE, Solution Architect, IBM „Tatsächlich ist Blockchain schon im Begriff, Main- In Stuttgart können Besucher stream zu werden. Unsere Projekte zeigen, dass die des Mercedes-Benz-Museums Technologie Marktreife hat und in verschiedensten das automatisierte Parken eines Branchen bereits genutzt wird – die Plattform Tra- Mercedes ausprobieren. deLens zum Beispiel verarbeitet Daten von circa 60 Prozent der weltweiten See-Containerladung. Automated Valet Parking: Dahinter Das „A und O“ für den erfolgreichen Einsatz einer verbirgt sich ein neuer Service von Technologie ist aber die Frage nach dem zu lösen- Bosch und Daimler, mit dem sich Au- den Business-Problem. Viele Projekte scheitern, wenn die Problem- tos künftig komplett ohne menschli- stellung auch anderweitig gelöst werden kann oder es im Ökosystem che Überwachung im Parkhaus des nicht genügend Mitstreiter gibt. Daher ist es wichtig, von Beginn an Mercedes-Benz-Museums in Stutt- die richtigen Fragen zu stellen und früh in interdisziplinären Teams zu gart ein- und ausparken lassen. Der- arbeiten.“ zeit lässt sich das System zwar nur mit speziellen E-Klasse-Fahrzeugen von THOMAS HOLZNER, Programmleiter Digitalisie- AMG nutzen, die im Parkhaus stati- rung SCM, Siemens oniert sind. Laut Daimler soll die ent- „Ich glaube, dass die Blockchain vor allem im sprechende Funktion aber in kom- Supply-Chain-Management-Bereich ein riesiger mende Serienfahrzeuge integriert Game-Changer wird. Zum Beispiel können die werden. Ihr vor zwei Jahren vorgestell- Prozesse in der Logistik dadurch viel schlanker, tes Pilotprojekt hat nun die Zulassung transparenter und nachvollziehbarer werden. Und der Verkehrsbehörden erhalten. auch das Risiko der Kinderarbeit lässt sich erheb- Der Vorfahr- und Einparkservice lich reduzieren, wenn man auf Blockchain-Basis wird per Smartphone-App abgeru- mit Lieferanten international zusammenarbeitet. fen und kommt ohne Sicherheitsfah- Man braucht natürlich nicht für alles die Blockchain. Aber manchmal ist rer aus. Er ist damit laut beider Unter- es einfacher, eine Lösung dezentral und transparent umzusetzen, statt nehmen die weltweit erste behördlich eine herkömmliche Datenbanklösung zu nutzen, die viel Geld kostet.“ für den Alltagsbetrieb zugelasse- ne vollautomatisierte und fahrerlose AVIVAH LITAN, Vice President und Analystin, Gart- Parkfunktion nach SAE Level 4. Das ner Research Projekt wurde von Beginn an vom „Das Potenzial der Blockchain ist enorm, da sie ein Regierungspräsidium Stuttgart und grundlegendes Protokoll für die nächste Generation dem Landesverkehrsministerium Ba- von Web-Technologien sein wird – dem Web 3.0. den-Württemberg begleitet. Dieses wird Peer-to-Peer-Kommunikation unterstüt- Bosch-Sensoren im Parkhaus über- zen, die den Bedarf an zentralen Web-2.0-Autori- wachen den Fahrkorridor sowie dessen täten und Gatekeepern wie große Suchmaschinen Umfeld. Die Technik im Auto setzt die und Social-Media-Seiten beseitigt. Der Big Bang der Befehle der Infrastruktur in Fahrmanö- Blockchain wird jedoch erst dann kommen, wenn ver um, das Auto fährt selbstständig zu Unternehmen lernen, an einem wirklich dezentralen Modell teilzuneh- seinem Parkplatz. men. Das wird nicht geschehen, bis wir zum Web 3.0 übergehen.“ 08
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ Schlauer unterwegs Weniger Staus, Unfälle und Emissionen: Künstliche Intelligenz kann einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende leisten. Christoph Peylo, Leiter des Bosch Center for Artificial Intelligence und Co-Leiter der Plattform „Lernende Systeme“, ist überzeugt: Künstliche Intelligenz kann einen wichtigen Bei- 5G trag zur Verkehrswende leisten. Die Plattform beschäftigt sich mit der Mo- Baggern 4.0 bilität der Zukunft und vereint Fach- leute aus Wissenschaft, Wirtschaft Auch auf Baustellen hält der neue Mobilfunkstandard Ein- und Gesellschaft. zug. Auf der ersten 5G-Baustelle Deutschlands soll in den In einem jetzt veröffentlichten Be- kommenden drei Jahren die Vernetzung und Automatisie- richt kommen die Experten zu dem rung von Baumaschinen getestet werden. Ergebnis, dass für die Mobilität der Zukunft Transportmittel und Ver- Selbstfahrende Bagger, ein kabelloses 5G-Netzwerk mit Baustel- kehrsinfrastrukturen intelligent ver- len-Cloud und intelligente Werkzeuge – die Digitalisierung macht netzt werden müssten. Über Sensoren auch vor Baustellen nicht halt. In den kommenden drei Jahren sol- und Kameras erfasste Daten müssten len neue Maschinen- und Kommunikationstechnologien auf der dann mit Verfahren des maschinel- ersten realen 5G-Testbaustelle in einem Projekt mit mehr als 20 len Lernens verarbeitet werden. Ein Partnern erprobt werden. Ihre Vision: eine vollständig vernetzte Meilenstein und gleichzeitig die He- Baustelle. Baumaschinen werden dort ihre Aufgaben automati- rausforderung auf dem Weg zur ver- siert oder teilautomatisiert ausführen können. Die große Heraus- netzten Mobilität seien gut gestaltete forderung bestehe darin, manuell steuerbare Baumaschinen durch Schnittstellen für die Interaktion zwi- zusätzliche elektronische Ansteuerungen zu erweitern, so Prof. Dr. schen Mensch und Maschine. Um FOTOS: SEITE 08: IBM, SIEMENS, GARTNER (V.O.N.U.); SEITE 09: TUD/OLIVER KOCH (O.) Jürgen Weber, Koordinator des Verbundprojektes „Bauen 4.0. Ef- die Verkehrswende zu verwirklichen, fizienz und Produktivitätssteigerung von Bauprozessen durch Ver- schlägt die Arbeits- netzung und Kommunikation mobiler Arbeitsmaschinen“. gruppe eine über- Wichtige Komponenten werden ein Connectivity-Modul und greifende Mobili- eine Baustellen-Cloud sein. Die Cloud übernimmt recheninten- tätsplattform vor, sive Prozesse, das Connectivity-Modul sorgt für den Datentrans- auf der die In- port zu den Maschinen. „Erst die leistungsstarke Drahtlos-Tech- formationen von nologie 5G ermöglicht eine Echtzeitkommunikation, mit der alle Mobilitätsanbie- Bauprozesse und Akteure sowie deren Interaktion digital abge- tern, -teilnehmern bildet und gestaltet werden können“, sagt Weber. In den Baustel- und Infrastruktu- lencontainern, in denen heute vor allem Fachkräfte arbeiten und ren zusammen- wohnen, würden in Zukunft Serverfarmen Einzug halten. laufen. 09
SPEKTRUM TRANSISTORTECHNIK Ultradünn Totgesagte leben länger: Mit der Entwicklung eines nur wenige Nanometer großen Transistors könnte das Mooresche Gesetz von der Verdopplung der Rechen- kapazität doch wieder gelten. Für die Herstellung eines extrem kleinen Transistors muss ne- ben dem Halbleiter auch der notwendige Isolator ultradünn sein. Den Wissenschaftlern Tibor Grasser und Yury Illarionov von der TU Wien ist es nun gelungen, einen Isolator aus einer atomar dünnen Schicht aus Kalziumflourid zu entwickeln. Wenn man für den Isolator ein ultradünnes Material mit klar definierter Oberfläche wie etwa ionische Kristalle verwen- de, dann ließe sich ein Transistor mit einer Größe von nur we- SOLARENERGIE nigen Nanometern bauen, heißt es in einer Pressemitteilung der TU Wien. Die elektronischen Eigenschaften würden verbessert, Power-Stoff weil ionische Kristalle eine perfekt regelmäßige Oberfläche ha- ben – ohne einzelne, herausragende Atome, die das elektrische Energie könnte künftig auch aus Feld stören könnten. LKW-Planen kommen. Möglich Mit diesem neuerlichen Miniaturisierungsschritt könnte wird dies durch speziell entwickelte auch das Mooresche Gesetz wieder in Kraft treten, wonach sich Solarzellen auf Textilien. die Anzahl der Transistoren auf handelsüblichen Chips rund alle zwei Jahre verdoppelt. Die Faustregel stößt bisher an ihre Forschern des Fraunhofer-Instituts Grenzen, wenn man in Bereiche von wenigen Nanometern vor- für Keramische Technologien und dringt. Systeme (IKTS) ist die Entwicklung textiler, biegsamer Solarzellen gelun- gen. „Über verschiedene Beschich- tungsverfahren können wir Solarzellen direkt auf technischen Textilien her- stellen“, erläutert Dr. Lars Rebenklau, Gruppenleiter für Systemintegration und AVT am Fraunhofer IKTS. Für die ersten nun vorgestellten Prototy- pen verwendeten die Wissenschaftler ein Glasfasergewebe, das die Anfor- derungen an den Brandschutz erfüllt und große Stabilität aufweist. Die textilen Solarzellen sollen in etwa fünf Jahren auf den Markt kom- men. Dann könnten zum Beispiel LKW-Planen zur Energiegewinnung genutzt oder mithilfe von Abschat- tungstextilien auf Glasfassaden Strom erzeugt werden. 10
NAHRUNGSERGÄNZUNG Darm mit Charme Mit mybacs will Carl-Philipp von Polheim jeden Reisenden perfekt auf seinen Zielort vorbereiten – mit der für die Region passenden Nahrungsergänzung. Die Idee entstand während zahlreicher Forschungsprojekte an der ETH Zürich und in der Biotechnologie-Hauptstadt Boston. Was genau ist mybacs und wer ist die Zielgruppe? Gibt es im Gründer-Team einen me- Wir verkaufen sogenannte Synbiotika – eine Mischung aus le- dizinischen oder ernährungswissen- benden Bakterienkulturen und Inulin. Unsere erste Produktlinie schaftlichen Hintergrund? Carl-Philipp von Polheim, sind regionenspezifische Synbiotika, welche Reisende dabei Ja, mein Partner Sebastian Wahl hat phar- Gründer und CEO von mybacs unterstützen, ihre Darmflora auf natürliche Weise an die regio- mazeutische Wissenschaften studiert und nalen Bedingungen anzupassen. Mit klinischen Studien haben viel im Bereich Mikrobiom geforscht. In wir analysiert, welche Erreger in verschiedenen Regionen vor- dieser Zeit hat er mir von den Forschungsergebnissen und kommen und konnten so die Bakterienkulturen genau auf das neuen Erkenntnissen erzählt. Wir – ich als Absolvent der EBS jeweilige Erregerprofil zuschneiden. Business School und er mit seinem naturwissenschaftlichen Hintergrund – ergänzen uns perfekt und haben dann be- Finanzieren Sie sich rein über den Verkauf der Produkte? schlossen, in diesem Bereich eine Firma aufzubauen. Wir vertreiben unsere Produkte sowohl online direkt an den Konsumenten als auch stationär über Apotheken. Jedoch Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Produkt immer für den finanzieren wir uns aktuell nicht ausschließlich über unsere einzelnen Kunden passt? Umsätze, sondern haben einen Venture-Capital-Fonds sowie All unsere Produkte sind frei von Allergenen und tierischen Zu- Angel Investoren mit an Bord. sätzen. Sie können also ohne Probleme von jedem eingenom- men werden. Was war die Motivation, mybacs zu gründen? In den letzten Jahren ist unglaublich viel Forschung in die Be- Vor welchen Herausforderungen standen Sie beim Auf- reiche Darm und Mikrobiom gegangen. Gerade die Beziehung bau Ihres Start-ups? zwischen dem Darm und der menschlichen Psyche konnte Ein gutes Produkt zu haben, den Markt richtig einzuschätzen immer besser erklärt werden. Wir haben also eine Dringlich- und das nötige Kapital zu beschaffen. Es war essentiell, ein keit erkannt und es als idealen Zeitpunkt für einen Markteintritt super Team aufzubauen, mit welchem man diese Herausfor- gesehen. derungen bewältigen kann. Das haben wir. ONLINE-IDENTIFIZIERUNG Ohne Medienbruch FOTOS: SEITE 10: FRAUNHOFER IKTS (O.), TU WIEN (U.); SEITE 11: MYBACS Einfache Identifizierung am Point of Sale: Eine neuer Service zur elektronischen Verarbeitung von Ausweisdaten macht die medienbruchfreie Erfassung möglich. Die Bundesdruckerei bietet gemeinsam mit dem Un- das Lichtbild des Ausweises mit der anwesenden Person, ternehmen Governikus einen neuen Service zum elek liest anschließend die Daten aus dem Chip im Doku- tronischen Auslesen des Personalausweises am Point of ment des Kunden mit einem NFC-fähigen Smartphone Sale an. Mit dem „AusweisIDent Vor-Ort“-Verfahren las- oder einem Kartenleser aus und autorisiert anschließend sen sich Ausweisdaten medienbruchfrei in ein elektroni- die Datenübermittlung mit der auf dem Ausweis aufge- sches Formular übernehmen. Dies soll die Vor-Ort-Iden- druckten Card Access Number. Diese erhält dann das tifizierung vereinfachen, wie sie etwa beim Anmieten Unternehmen oder die Behörde über eine standardisierte eines Autos oder Eröffnen eines Kontos notwendig ist. Webschnittstelle. Das Verfahren ist laut Bundesdruckerei Der Kundenberater am Point of Sale vergleicht zunächst rechtskonform nach § 18a Personalausweisgesetz. 11
TITEL ENERGIEWENDE »ALLES WIRD GUT« Die „Fridays for Future“-Bewegung scheint den Politikern Beine gemacht zu haben. Überall heißt es nun, man wolle die Pariser Klimaziele doch noch erreichen und die Energiewende schaffen. Aber sind das mehr als Lippenbekenntnisse und wie ist das zu schaffen? Ein Expertengespräch. 12
INTERVIEW MARTIN SCHMITZ-KUHL Prof. Dr. Volker Quaschning möchte sich nicht zum Inter- Die Experten für erneuer view treffen. Nicht grundsätzlich, aber eben nicht persön- bare Energien Prof. Dr. lich. Er versuche immer, seinen ökologischen Fußabdruck Volker Quaschning (l.) und zu verringern, erklärt er und rechnet vor: „Eine Video- Prof. Dr. Bernd Engel (r.) in konferenz macht rund 1 Kilogramm CO2. Eine Zugrei- einer – nahezu – CO₂-neu- se Frankfurt – Berlin – Frankfurt rund 60 Kilogramm CO2, tralen Videokonferenz. über Auto oder Flugzeug wollen wir gar nicht erst reden.“ Das ist Quaschning, wie man ihn kennt. Und bekannt ist er inzwischen nicht mehr nur in Fachkreisen, die den Professor von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin schon lange als Experten für regenerative Ener- gien schätzen. Denn seitdem er im März dieses Jahres als Sprecher der „Scientists for Future“ in der Bundespresse- Politik effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel ein- konferenz die Solidarität der Wissenschaftler mit der „Fri- zufordern, war die Reaktion erst einmal sehr frustrierend. days for Future“-Bewegung erklärt hat, ist er auch einem Die Äußerung von FDP-Chef Christian Lindner, die Kids breiten Publikum als Vorkämpfer gegen den Klimawandel sollten lieber in die Schule gehen und das den Profis über- bekannt. lassen, war von daher eine Steilvorlage, um darauf hinzu- Der zweite Gesprächspartner ist Prof. Dr. Bernd Engel. weisen, dass diese Profis voll und ganz hinter den Protes- Er ist wie Quaschning Elektroingenieur und in der Com- ten stehen. munity ebenfalls kein Unbekannter. Beim VDE war der Engel: Rund 27.000 Wissenschaftler – darunter auch Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik und Elektri- ich – haben deshalb auch nicht lange gezögert, als es dar- sche Energieanlagen an der TU Braunschweig schon in un- um ging, diese Stellungnahme der „Scientists for Future“ terschiedlichen Funktionen im Einsatz. Sei es im Vorstand zu unterzeichnen. Schließlich gibt es da einen ganz brei- des Forum Netztechnik Netzbetrieb (VDE|FNN) oder in ten Konsens und kein ernstzunehmender Wissenschaftler dem der Energietechnischen Gesellschaft (VDE|ETG). wird heute noch leugnen, dass es einen menschengemach- Für Letztere hat er gerade federführend den Fachbereich ten Klimawandel gibt und dass es fünf vor zwölf ist. Das „Erzeugung und Speicherung elektrischer Energie“ ge- heißt, wir haben hier weniger ein Erkenntnisproblem als ein gründet, in dem es darum geht, die Energiewende gemein- Umsetzungsproblem: Wir kennen das Problem, wissen so- sam voranzutreiben und Lösungswege für den reibungs- gar, wie wir es lösen können, machen es aber einfach nicht. losen Ausstieg aus Kernenergie und Kohleversorgung zu erarbeiten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder möchte Während also an anderer Stelle über das neue Klima- den Klimaschutz als verpflichtende Staatsaufgabe schutzgesetz gestritten und darüber debattiert wird, ob im Grundgesetz verankern und EU-Kommissions man den Klimaschutz als verpflichtende Staatsaufgabe im präsidentin Ursula von der Leyen wird demnächst FOTOS: SEITE 12: JEVANTO PRODUCTIONS / SHUTTERSTOCK; SEITE 13: XXX Grundgesetz verankern sollte, wird es in diesem Doppel das erste europäische Klimaschutzgesetz vorlegen. interview genau darum gehen: Wie ist die Energiewende Es scheint, als würde das Problem jetzt aber endlich (noch) zu schaffen? In Deutschland – und darüber hinaus. angepackt. Quaschning: Das klingt alles erst einmal gut. Allerdings Herr Quaschning, Ihr Satz auf der Bundespressekon- zählt nicht das, was wohlmeinend angekündigt wird, son- ferenz „Wir sind die Profis, und wir sagen, die junge dern nur das, was dann tatsächlich auch passiert. Und ein Generation hat recht“ hat Schlagzeilen gemacht. Wie Herr Söder fordert ja auch einen schnelleren Kohleaus- kam es dazu? stieg – leicht, wenn es in Bayern nur sehr wenig Kohlekraft- Quaschning: Für mich war das in den letzten Jahren ja werke gibt – und verhindert gleichzeitig in seinem Bun- wie bei Kafka: Man schreibt als Experte, was sich ändern desland konsequent den Ausbau der Windenergie. Das ist muss, um das Klima noch zu retten, und die Politik macht nicht sehr glaubwürdig. genau das Gegenteil. Und auch als die Schüler damit be- Engel: Ich bin jetzt auch erst einmal sehr gespannt, was gannen, jeden Freitag auf die Straße zu gehen, um von der das Klimakabinett im Herbst konkret beschließen wird. 13
TITEL ENERGIEWENDE Dann werden wir sehen, ob es nicht nur in die richtige scheint und Wind weht, mit gesicherter Leistung, hochfle- Richtung geht, sondern damit auch tatsächlich das Ziel er- xibel und möglichst CO2-arm abzusichern. Welche Rolle reicht werden kann. spielen dort Power-to-Gas, Biogas und Batteriespeicher? Quaschning: Und das Ziel ist ganz klar: Wenn man den Quaschning: Jedes Land hat unterschiedliche Vorausset- Weltklimabericht zugrunde legt und wir versuchen wür- zungen. In Norwegen ist die Wasserkraft die Energie der den, die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten, müss- Wahl, in Finnland könnte es die Biomasse sein und in Is- ten wir weltweit spätestens 2040 klimaneutral sein. Auf land die Geothermie. Aber hierzulande versprechen all die- Deutschland bezogen heißt das, dass wir den Anteil von er- se Energiearten kein sehr hohes Ausbaupotenzial. neuerbarer Energie in den nächsten Jahren von jetzt 14 auf Engel: Nehmen Sie zum Beispiel die Geothermie. In dann 100 Prozent steigern müssen. Deutschland liegt die Hochtempera- Das ist ambitioniert, aber nötig und turwärme, die man für die Stromer- auch machbar. Allerdings werden zeugung braucht, zu tief. Das ist zu wir das mit den bislang angekündig- teuer, um sie in größerem Ausmaß ten Maßnahmen mit Sicherheit nicht umsetzen zu können. Allerdings ist schaffen und mir ist auch keine Partei Erdwärme trotzdem für die Energie- im Bundestag bekannt, die dafür bis wende auch hierzulande nicht un- heute ein schlüssiges Konzept vorge- wichtig, weil sie für Erdwärmepum- stellt hätte. pen genutzt werden kann. Stichwort Sektorenkopplung. Dabei wird der Dafür fordern Sie „Echte Ener- Strom genutzt, um die Wärme aus gierevolution statt lauer Energie- der Erde aufzunehmen, zu verdich- wende!“. Kennen Sie nicht den ten und dann für den Betrieb der Spruch, in Deutschland könne es Heizungsanlage einzusetzen. keine Revolution geben, weil man dazu den Rasen betreten müsse? Allerdings sind die guten Zeiten Quaschning: (lacht) Naja, die „Fri- der Photovoltaik in Deutschland days for Future“-Bewegung ist ja doch auch vorbei. schon eine Art Revolution. Dadurch »Es war zuletzt wie bei Quaschning: Noch vor zehn Jah- ist zumindest schon einmal die längst Kafka: Man schreibt, ren war Deutschland das Mekka der überfällige Diskussion über dieses was sich ändern muss, Photovoltaik. Alle kamen hierher, um Thema in Gang gekommen. Und zu sehen, wie die Produktionsstand- um das Klima noch zu während die Politik früher vor zu viel orte wie Pilze aus dem Boden schos- Klimaschutz zurückschreckte, weil retten. Und die Politik sen. Leider wurde dieser Markt dann man Angst hatte, dadurch Wähler zu macht genau das durch die Bundesregierung jäh abge- verlieren, musste man jetzt die Erfah- Gegenteil.« würgt – von 7 auf 1,5 Gigawatt! Was rung machen, dass man mit zu we- wohl hier in Deutschland los wäre, nig Klimaschutz auch Wahlen verlie- PROF. DR. VOLKER QUASCHNING, wenn man der Automobilbranche sa- ren kann. Professor für regenerative Energiesysteme gen würde, dass sie nur noch 20 Pro- an der HTW Berlin zent ihrer Autos bauen dürfte? Aber Dann werden wir mal konkre- genau das ist mit der Photovoltaik- ter: VDE|ETG hat in diesem Jahr branche passiert. Mit der Konse- den Fachbereich „Erzeugung und quenz, dass die Industrie heute nur Speicherung elektrischer Ener- noch ein Schatten ihrer selbst ist und gie“ gegründet. Sie wollen dort klären, wie der Ener- auf dem Weltmarkt keine Rolle mehr spielt. giemix hierzulande sinnvoll entwickelt werden kann. Engel: Rund 80.000 Arbeitsplätze wurden dabei abge- Kommt denn dafür etwas anderes als Sonne und Wind baut. Zum Vergleich: Bei dem Ausstieg aus der Kohle geht infrage? es um den Verlust von 20.000 Arbeitskräften. Nur dass die Engel: Jein, natürlich werden Windkraft – Offshore und Arbeitnehmer in der Photovoltaik eben eher mittelstän- Onshore – und Photovoltaik die wesentlichen Säulen des disch und über Deutschland verteilt waren und keine ent- Energiemixes sein. Auf der anderen Seite wissen wir alle, sprechende Unterstützung durch die Gewerkschaft hatten. dass diese Energien wetterabhängig sind. Die Herausfor- Quaschning: Nicht zu vergessen die Lobbyarbeit von derung wird sein, die Zeiten, wenn nicht genügend Sonne Unternehmerseite. Es war ja abzusehen, dass, wenn der 14
Ausbau der Photovoltaik damals im gleichen Tempo wei- machen. Die setzen ja nicht auf Photovoltaik, weil sie das tergegangen wäre, wir schon bald zumindest an sonnigen Klima schützen wollen, sondern einfach, weil sie genau Tagen den kompletten Energiebedarf darüber hätten de- wissen, dass sie damit in den nächsten hundert Jahren viel cken können. Da jedoch Braunkohlekraftwerke als Volllast- mehr Geschäft machen können. Deshalb bin ich davon kraftwerke konzipiert sind, die das ganze Jahr weitgehend überzeugt, dass mit einer schnellen Energiewende eine gro- durchlaufen sollten, wäre damit ihr Business Case weg- ße Chance verbunden wäre. Denn irgendetwas wollen wir gebrochen. Deshalb hat die Bundesregierung dem Druck ja in zwanzig Jahren noch exportieren können, und das der Lobbygruppen nachgegeben und sich für die Kohle werden keine Braunkohlebagger sein. und gegen die Solarenergie entschieden. Mit der Konse- quenz, dass das Problem vertagt wur- Und die Windkraft? Auch hier ist de und nun umso dringender gelöst schon länger von einer Krise die werden muss. Denn dass die Kohle Rede. keine Zukunft hat, war auch schon Quaschning: Da hat die Regierung damals klar. ebenfalls die Daumenschrauben an- gelegt, als gemerkt wurde, dass die Und ist der Zug für die deutsche Wind räder den Kohlekraftwerken Photovoltaikindus trie damit ab- ebenfalls schon so viel Konkurrenz gefahren? machen, dass sich deren Betrieb Engel: Wir müssen unterscheiden an manchen Tagen schon heute gar zwischen der Modul- und der Sys- nicht mehr lohnt. Mit absurden Ab- temtechnikindustrie. Eine Photovol- standregeln, Naturschutzvorschrif- taikanlage braucht ja zum Beispiel ten und Gesetzesänderungen, die zur Umwandlung des gewonnenen den Konsens mit Anwohnern ver- Gleichstroms auch Wechselrichter. hindern, wurde dafür gesorgt, dass Und da ist Deutschland mit Firmen die Windkraft komplett zusammen- wie SMA, Kostal und KACO nach bricht. Das war ganz klar Absicht, wie vor auf dem Weltmarkt sehr gut und jetzt stellt man verwundert fest, aufgestellt. Die Module werden in- »Wenn wir es als dass das, was noch übrig ist, für die zwischen in China einfach sehr gut reiches Deutschland Rettung des Klimas nicht mehr aus- und günstig hergestellt, aber bei der nicht schaffen, wie reicht. ganzen dahinterliegenden Technik, Engel: Es war auf jeden Fall ein von den Transformatoren über die wollen wir dann von Fehler, die Bürgerbeteiligung bei Leistungsschalter bis hin zu der gan- anderen Ländern dem Bau von Windrädern zu be- zen Speichertechnologie, ist der Zug verlangen, dass sie schränken. Denn nur, wenn man sicher noch nicht abgefahren. es schaffen.« selbst als Anwohner oder als betroffe- Quaschning: Selbst bei den Mo- ne Kommune von den Erträgen pro- dulen würde ich nicht ausschließen, PROF. DR. BERND ENGEL, fitiert, werden wir das Akzeptanzpro- dass man den einen oder anderen Professor für „Komponenten nachhaltigerblem lösen können. Energiesysteme“ und Institutsleiter elenia Hersteller wieder reaktivieren könn- an der TU Braunschweig te. Das Know-how in Deutschland Können Sie denn die Ablehnung FOTOS: SEITE 14: HTW BERLIN/JENNIFER WEBER; SEITE 15: PRIVAT ist schließlich noch da und es wird ja nachvollziehen? weiter versucht, Module mit immer Quaschning: Nein. Ich kann natür- besseren Wirkungsgraden herzustel- lich verstehen, wenn man ein Wind- len. Dafür notwendig ist allerdings ein ganz klares Be- rad nicht vor seiner Nase mag. Aber wenn man das nicht kenntnis der Politik, sich hinter den Standort Deutschland will, muss man eben sagen, wo der Strom sonst herkom- zu stellen und nicht wieder die Industrie fallenzulassen. men soll. Das Sankt-Florian-Prinzip, dass immer andere die Folgen der Energieerzeugung übernehmen sollen, kann Das heißt, ein solches Bekenntnis wäre auch ein Stück ich nicht akzeptieren. Selbst wenn man Offshore-Windrä- sinnvolle Industriepolitik? der baut, kann man den Strom ja nicht in Koffer packen Quaschning: Unbedingt. Wenn wir schon Industriepoli- und damit in den Süden fahren. Das heißt, dafür müssten tik machen wollen, dann doch lieber zugunsten einer Zu- wieder Stromleitungen gebaut werden, die man auch nicht kunftstechnologie – wie es die Chinesen schließlich auch vor seiner Nase mag. 15
TITEL ENERGIEWENDE Apropos Stromnetz. Gibt es dafür schon ein ausrei- ren sicherlich auch noch weiter verbessern werden. Etwas chendes Konzept? schwieriger wird es, Lösungen für saisonale Speicherungen Quaschning: Einen Netzentwicklungsplan, der aufzeigt, zu finden. Hier ist es wichtig und richtig, dass die Bundes- was wir bräuchten, wenn wir 100 Prozent erneuerbare regierung jetzt die Reallabore fördert. Darüber hinaus sind Energien haben wollen, gibt es nicht. Das wurde sträflich aber nicht nur technologische, sondern auch regulatorische versäumt. Allerdings ist es jetzt ohnehin zu spät, nur auf die Fragen zu klären. Zum Beispiel die Frage, welche Umlagen Leitungen zu setzen. Planung und Bau dauern in Deutsch- zu bezahlen sind, wenn man Strom erst einmal zur Spei- land mindestens 15 Jahre. Das heißt, um unser Ziel zu er- cherung in Gas umwandelt. reichen, brauchen wir vor allem eine regionale Stromer- zeugung und mehr Speicher. Fehlende Leitungen dürfen Und dann muss das Gas ja auch irgendwo gespeichert kein Argument dafür sein, die Energiewende nicht zu voll- werden. ziehen. Engel: Speicher gibt es bereits heute in ausreichender Engel: Ich sehe es auch so, dass man die fehlenden Net- Menge. Denn aus Sorge, Russland könnte uns den Gas- ze nicht als Entschuldigung nehmen darf, den Ausbau der hahn mal zudrehen, wurden große Speicher angelegt. Die- erneuerbaren Energien zu begrenzen. Allerdings sehe ich se Erdgasspeicher könnten problemlos umfunktioniert den Netzentwicklungsplan nicht ganz so kritisch. Es gibt werden – mit einer regenerativen Energieversorgung brau- zumindest Szenarien, in denen die Photovoltaik 2030 mit chen wir dann ja auch kein Erdgas aus Russland mehr. 104 Gigawatt berücksichtigt wurde. Das ist das Doppelte Quaschning: Was wir dann noch brauchen, sind die Elek- des Solardeckels, also der Beschränkung der Solarförde- trolyseure, die den Strom klimaneutral in Gas umwandeln rung auf die Marke von 52 Gigawatt installierter Photovol- und dann natürlich auch die Rückverstromung mit Gas- taik-Kapazität. Das zeigt, dass die Bundesnetzagentur und kraftwerken oder Brennstoffzellen. Auch diese beiden Pos- die Betreiber der Übertragungsnetze jetzt doch zumindest ten sind heutzutage noch relativ teuer und wir müssen da- etwas weitsichtiger in die Zukunft blicken. für sorgen, dass wir in den nächsten Jahren die Kosten dafür noch drücken können, sodass wir auch im Speicher- Mit welchen technischen Weiterentwicklungen können bereich konkurrenzfähig werden. wir denn im Bereich erneuerbarer Energien in Zu- kunft noch rechnen? Der Konsens ist zwischen Ihnen beiden offensichtlich Engel: Den größten Fortschritt gab und gibt es bei der recht groß. Wie mehrheitsfähig sind Ihre Positionen in Photovoltaik. Wir können seit 30 Jahren beobachten, dass der Wissenschaft insgesamt? sich immer, wenn wir die Anzahl der installierten Modu- Quaschning: Natürlich werden Sie immer mal ein paar le verdoppelt haben, der Preis um 20 Prozent gefallen ist. Lungenärzte finden, die meinen, Stickoxide wären doch Und diese Entwicklung wird auch so weitergehen. gar nicht so schlimm, oder den einen oder anderen Kern- Quaschning: Ja, die Branche ist wirklich sehr erfinde- physiker, der glaubt, Atomkraftwerke wären noch ein zu- risch. Wir kitzeln die Wirkungsgrade Jahr für Jahr etwas kunftsträchtiger Weg der Energieversorgung. Insgesamt nach oben – und die Preise nach unten. Viel wichtiger ist muss man aber sagen, dass der Konsens in der Wissen- jedoch die technische Weiterentwicklung im Bereich der schaft schon extrem groß ist. Da gibt es nur einen sehr Speichertechnologie, die wir brauchen, um die Fluktuation schmalen Korridor, in dem wir uns alle bewegen. bei Sonne und Wind auszugleichen. Das ist der Posten, Engel: Unterschiede sehe ich auch nur im Detail. Die der noch relativ teuer ist und dafür sorgt, dass regenera- einen setzen vielleicht eher auf große Photovoltaikkraft- tiver Strom preislich insgesamt noch nicht ganz mithalten werke auf der Freifläche und die anderen mehr auf de- kann. Wir sehen hier allerdings ebenfalls eine große Dyna- zentrale Anlagen auf den Dächern. Dass aber Photovoltaik mik, sodass ich davon ausgehe, dass wir dieses Problem in- und Windkraft in Deutschland das Mittel der Wahl sind nerhalb weniger Jahre auch noch lösen können. Wenn wir und sein müssen, bestreitet eigentlich kein seriöser Wis- dann Photovoltaik-Batteriekombinationen zu einem kon- senschaftler mehr. Nur so können die Klimaziele noch er- kurrenzfähigen Preis anbieten können, wird gerade in son- reicht werden. nigen Ländern niemand mehr auf die Idee kommen, auf fossile Energien zu setzen. Ich hoffe sehr, dass uns das so Auf der anderen Seite: Was brächte es, die rund 150 schnell gelingt, dass wir den Klimaschutz über die Kosten deutschen Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung hinbekommen können und nicht nur an das ökologische von 45 Gigawatt so schnell wie möglich abzuschalten, Gewissen appellieren müssen. wenn gleichzeitig weltweit Kohlekraftwerke mit ei- Engel: Da bin ich auch optimistisch. Schon heute gibt ner Kapazität von 399 Gigawatt gebaut oder geplant es gute Lösungen am Markt, die sich in den nächsten Jah- werden? 16
Mit den Schülerprotesten unter dem Motto „Fridays for Future“ solidarisierten sich Zehntausende von Wissenschaftlern. Die Scientists for Future erklärten: Die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei Weitem nicht aus. Quaschning: Zunächst einmal würde ich diese Zahlen 1979 gab es die erste Weltklimakonferenz in Genf, auf infrage stellen wollen. Nur weil mal irgendwo in Bangla- der internationale Experten davor warnten, dass die desch oder Südafrika ein Kohlekraftwerk geplant wurde, Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphä- heißt es noch lange nicht, dass es tatsächlich gebaut wird. re „signifikante Änderungen“ des Klimas verursa- Denn dort wird ja auch gerechnet und ganz oft festgestellt, chen könnte, die „sich negativ auf das Wohlergehen dass die Photovoltaik unter dem Strich nicht nur ökologi- der Menschheit auswirken“ würden. Inzwischen sind scher, sondern eben auch ökonomischer wird. 40 Jahre vergangen. Trotzdem lautet in Ihrem Buch Engel: Deutschland hat sich in einem international bin- „Erneuerbare Energien und Klimaschutz“ die Über- denden Vertrag verpflichtet, seine eigenen Klimaziele zu schrift des letzten Kapitels „Alles wird gut“. Woher erreichen. Und das schaffen wir eben nur, wenn wir die nehmen Sie noch den Optimismus? deutschen Braunkohlekraftwerke als schlimmste CO2-Er- Quaschning: Den Optimismus nehme ich vor allem aus zeuger so schnell wie möglich abschalten. Von daher soll- dem technischen Fortschritt und der Preisentwicklung. Die te man das erst einmal tun, bevor wir auf andere schauen. Energiewende ist dadurch technisch machbar und zudem Wenn wir es nicht schaffen, wie wollen wir dann von ande- finanzierbar. Jetzt brauchen wir nur noch den politischen ren Ländern verlangen, dass sie es schaffen. Willen dazu. Und mit der „Fridays for Future“-Bewegung FOTOS: SEITE 17: © FRIDAYS FOR FUTURE DEUTSCHLAND Quaschning: Richtig. Wir können immer versuchen, in ist da auch etwas ins Rollen gekommen, was mich ganz zu- einem anderen Land jemanden zu finden, der irgendet- versichtlich stimmt. was machen soll. Aber globaler Klimaschutz funktioniert Engel: Ich teile diese Zuversicht, selbst wenn es manch- nur, wenn alle mitmachen. Und wir müssen dann eben un- mal schwerfällt. Allerdings hat die Menschheit es mit ei- sere Hausaufgaben machen. Deutschland hat dabei sogar nem weltweiten Verbot von FCKW schon einmal geschafft, eine besondere Verantwortung. Nicht nur, weil wir bei den eine globale Katastrophe – das Ozonloch – zu verhindern. Klimasündern weltweit noch ganz weit vorne liegen, son- Warum sollte uns dies nicht noch einmal gelingen? dern auch, weil wir jetzt eine Vorbildfunktion haben müs- sen. Denn wenn wir es als reiches Land nicht hinbekom- MARTIN SCHMITZ-KUHL men, werden andere es gar nicht erst versuchen. ist freier Autor aus Frankfurt am Main und Redakteur beim VDE dialog. 17
TITEL TITEL ENERGIEWENDE XXX Strom ist grün gridX Plattform für Energiemanagement Die Stromwende wird nur funktionieren, wenn Um die Energiewende zu schaffen, nicht nur mehr Ressourcen aktiviert werden bedarf es neuer Ideen und Konzepte. können, sondern diese dann auch so ins Strom- netz eingespeist werden, dass die Netzstabilität Diese werden in zahlreichen gesichert ist. Ungenutztes Potenzial sieht das innovativen Start-ups im 2016 gegründete Aachener Energie-Start-up gridX ganzen Land entwickelt. in deutschlandweit rund 40 Millionen Haushalten, die mittels Photovoltaik potenzielle Stromerzeuger sein könnten. Dafür wurde eine spezielle Box entwickelt. Über sie sollen Besitzer einer Solar anlage und eines Batteriespeichers eine Strom-Community bilden: Wer seinen Strom gerade nicht selbst braucht oder speichert, speist ihn auf die gridX-Plattform ein. Eine Idee, die auch den VDE|FNN-InnovationHub überzeugte und das Unternehmen dafür im Mai dieses Jahres mit dem ersten Platz auszeichnete. enyway Pizza Solarmi Der Baustart der ersten förderfreien Freiflächen- Solaranlage Deutschlands, die komplett durch Crowdfinanzierung realisiert wurde, ist gerade erfolgt. Dahinter steckt das junge Hamburger Energieunternehmen enyway und Mitgesellschafter Heiko von Tschischwitz. Dieser ist in der Branche kein Unbekannter. So gründete er 1999 Lichtblick, den ersten Ökostromanbieter Deutschlands. Diesmal will der Öko-Pionier die Energiewende demokratisieren. Dazu wurden die Solarmodule mittels Blockchain-Technologie transparent und fälschungssicher in virtuelle Mini-Pakete in der Größe von Pizzakartons aufgeteilt. Gerade einmal 39,90 Euro beträgt das Mindestinvestment, mit dem man zum Solarunternehmer werden kann. Schon mehr als 4000 Privatpersonen sollen dabei sein. 18
GreenPocket Mehrwerte dank Smart Energy Das Kölner Start-up GreenPocket hilft Energiever- sorgern und Unternehmenskunden, Mehrwerte aus Smart-Meter-Daten zu realisieren. Denn durch die Digitalisierung der Energiewende wird der Zugriff auf sehr große Datenmengen möglich. Werden VoltStorage diese Daten erfasst und nutzerdienlich verarbeitet, Grüner Heimspeicher lassen sich neue Services generieren. Durch den Einsatz von Data-Analytics- und Data-Science- Die Stromspeicher üblicher Photovoltaikanlagen Technologien ließe sich der Schritt von der Daten- enthalten in der Regel seltene Rohstoffe wie transparenz zu einer echten Datenintelligenz Lithium oder Kobalt, die unter ethisch fragwürdi- vollziehen, heißt es aus Köln. Beispielsweise gen Zuständen gewonnen werden. Zudem ist das könnte man auf diese Weise eine Technologie zur Recycling der gebrauchten Zellen ökologisch selbstoptimierenden Datendisaggregation entwi- belastend. Das 2016 in München gegründete ckeln. Der Vorteil für den Kunden: Die Verbrauchs Unternehmen VoltStorage bietet dafür jetzt eine transparenz wird weiter erhöht und der Verbrau- Alternative: Einen Stromspeicher mit sogenannter cher erhält spezifische Empfehlungen zur Vanadium-Redox-Flow-Technologie. Das Prinzip Effizienzoptimierung und zu Einsparmöglichkeiten. ähnelt dem einer Brennstoffzelle, bei der ebenfalls Auch Voraussagen und Vermeidung von Last Elektrolyte durch Membranen fließen und Strom spitzen zur Netzentlastung seien so vorstellbar. produzieren. Nötig sind für diese alternative Batterie vor allem Aluminium, Grafit, Schwefelsäure und das Metall Vanadium. Sie lassen sich einiger- maßen umweltschonend gewinnen und recyceln. KOENA tec Kaffee und Strom Den Energy Award von Science4Life hat in diesem Sommer das Stuttgarter Start-up KOENA tec gewonnen, das innovative Energiezwischenspei- Bürgerwerke cherlösungen zur Stromnetzstabilisierung entwi- ckelt. Dafür integriert das Unternehmen Geräte wie Von Bürgern für Bürger Kaffeemaschinen, Backöfen oder Gefriertruhen. Ziel der Bürgerwerke ist die Regionalisierung der Die werden zwar für einen anderen Zweck herge- Energieversorgung und eine Energiewende von stellt, weisen aber laut KOENA tec die Fähigkeit unten. Das Unternehmen wurde Ende 2013 zur Stromnetzstabilisierung dennoch auf. Dies gegründet und gilt als „one of Europe’s most ermögliche den Zusammenschluss zu einem innovative electricity retail start-ups“ (one-step-off- BILDER: SEITE 18/19: SERGEY NIVENS/ADOBE.STOCK.COM Geräteschwarm, der als eigenständiges, virtuelles the-grid). Mit einer Wachstumsrate von 543 Pro- Kraftwerk intelligent und flexibel gesteuert werden zent ist es zudem das wachstumsstärkste Start-up kann, um die Schwankungen im Stromnetz des Energiebereichs. Als Dachorganisation von auszugleichen. Energiegenossenschaften bündeln die Bürgerwer- ke Ökostrom aus lokaler Erzeugung und versorgen damit Haushalte und Unternehmen in ganz Deutschland. Zudem wird „BürgerÖkogas“ aus organischen Rohstoffen angeboten. FOTOS: XXX 19
TITEL ENERGIEWENDE WÄRMESEKTOR Großes Potenzial Der größte Energieschlucker ist der Wärmesektor. Hier sind umfassende Transformationen für die Ener- giewende noch wichtiger als in den Bereichen Strom und Verkehr. Entscheidend für die Wärmewende: Eine höhere Effizienz von Gebäuden und die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung. Die nötigen Technologien stehen zur Verfügung, was fehlt, ist der Wille. 20
VON KATJA DOMBROWSKI Ohne Wärmewende kann die Energiewende nicht gelingen: richtet werden dürfen und Sanierungen von Bestandsge- Der Wärmesektor verschluckt die meiste Endenergie, sein bäuden die gleichen Energiestandards erfüllen müssen, die Anteil liegt in Deutschland, in der Europäischen Union heute für Neubauten gelten. Aktuell befindet sich der Re- (EU) und weltweit gleichermaßen bei rund der Hälfte des ferentenentwurf des Gebäudeenergiegesetzes in der Res- Gesamtverbrauchs. Dazu gehören das Heizen und Küh- sortabstimmung, bis zum Ende des Jahres soll das Gesetz- len von Gebäuden – seien es Wohnhäuser, Gewerbeimmo- gebungsvorhaben abgeschlossen sein. bilien oder Industriebauten –, die Warmwasserbereitung Da der Gebäudebestand den Löwenanteil ausmacht, und die Prozesswärme, die für technische Verfahren be- liegt dort der größte Hebel. Um die Ziele zu erreichen, nötigt wird. Der mit Abstand größte Anteil des Wärmebe- müsste möglichst flächendeckend energetisch saniert wer- darfs wird noch immer mit fossilen Brennstoffen wie Koh- den – was aber derzeit nicht der Fall ist. Alexandra Langen le, Öl und Erdgas gedeckt. Weltweit stammten 2017 nach held, Projektleiterin bei Agora Energiewende, spricht sich Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) nur für eine stärkere Förderung aus. Der Staat setzt zwar finan- 10 Prozent aus erneuerbaren Energien. In der EU waren zielle Anreize durch die KfW-Programme für energieeffizi- es im gleichen Jahr 16 Prozent und in Deutschland gut entes Sanieren, über die es günstige Kredite und Zuschüs- 13 Prozent. Der Sektor verfügt somit über großes Poten- se gibt. Diese haben aber keinen Boom ausgelöst. zial, Treibhausgasemissionen einzusparen. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag ver- Gehandelt werden muss schon deshalb, weil sich eine einbart, die energetische Gebäudesanierung auch steuer- deutliche Zunahme des Bedarfs abzeichnet: Die Weltbevöl- lich zu fördern. Der Punkt ist aber noch nicht umgesetzt. kerung wächst, die Industrialisierung schreitet voran, der Langenheld hält das für dringend erforderlich: „Wir schla- Wohlstand in bisher noch weniger entwickelten Ländern gen vor, dass Hausbesitzerinnen und -besitzer energetische nimmt zu und die Erde wird wärmer. Das Umweltpro- Sanierungen ab 2020 steuerlich über Gutschriften geltend gramm der Vereinten Nationen (UNEP) schätzt beispiels- machen können. Besonders hochwertige Sanierungen kön- weise, dass allein der Energiebedarf für Kühlschränke, Kli- nen dabei auch zusätzlich gefördert werden.“ Außerdem maanlagen und Wärmepumpen Ende dieses Jahrhunderts müssten Zuschüsse für den Einbau neuer Ölheizungen 33 Mal so hoch sein wird wie heute. gestrichen werden – eine Forderung, die seit Langem im Dem gegenüber stehen nationale und internationale Raum steht, da derartige Subventionen Anreize in die fal- Klimaschutzziele, die eine Zunahme von Treibhausgas sche Richtung setzen. emissionen, egal, in welchem Sektor, nicht zulassen – im Eine andere Steuerungsmöglichkeit besteht darin, die Gegenteil. In der EU sollen beispielsweise bis Mitte des Vermietung oder den Verkauf von Gebäuden mit schlech- Jahrhunderts fast keine Emissionen mehr von Gebäuden ter Energiebilanz zu verbieten. Laut der Internationalen ausgehen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Bundes- Partnerschaft für die Zusammenarbeit im Bereich der regierung in ihrem 2016 beschlossenen Klimaschutzplan Energieeffizienz (IPEEC) gehört Großbritannien zu den 2050 festgelegt, dass der Gebäudebereich bis 2030 zwei Vorreitern dieses Ansatzes: Seit April 2018 dürfen dort kei- Drittel weniger Treibhausgase ausstoßen soll als im Re- ne Wohn- und Gewerbeimmobilien, die in die beiden un- ferenzjahr 1990. 2018 waren knapp 44 Prozent erreicht. tersten Effizienzklassen fallen, neu vermietet werden, ohne Seit 2012 nimmt der Anteil erneuerbarer Energien zur De- sie vorher energetisch zu sanieren. In Singapur, wo hei- ckung des Wärmebedarfs aber nicht mehr zu. zen kein Thema ist, aber kühlen umso mehr, müssen Be- sitzer gewerblicher Immobilien von mehr als 500 Quadrat- Größter Hebel für die Energiewende metern seit 2014 bestimmte Standards einhalten, wenn sie eine Klimaanlage einbauen oder austauschen. liegt in den Gebäuden Zu den staatlichen Instrumenten gehört auch die FOTOS: SEITE 20: IVAN SMUK / SHUTTERSTOCK.COM Experten sind sich daher einig, dass im Wärmesektor deut- CO2-Bepreisung, die derzeit in immer mehr Ländern ein- lich mehr passieren muss als bisher, um die angestrebte geführt beziehungsweise ausgeweitet wird. Die meisten Dekarbonisierung des gesamten Wirtschaftssystems zu er- Staaten setzen dazu auf Steuerlösungen, in Deutschland ist reichen, und dass dafür zwei Ansatzpunkte ausschlagge- außerdem im Gespräch, den Emissionshandel auf die Sek- bend sind: Die Energieeffizienz muss gesteigert und die toren Verkehr und Gebäude auszuweiten. Prominent dis- CO2-Intensität verringert werden. Der Thinktank Agora kutiert wird in dem Zusammenhang eine sozialverträgliche Energiewende fordert daher von der Bundesregierung, im Ausgestaltung der CO2-Preissysteme. Der Rat der Wirt- geplanten Gebäudeenergiegesetz festzulegen, dass neue schaftsweisen hatte der Bundesregierung in einem Gut- Gebäude künftig nur noch in klimafreundlicher Weise er- achten vorgeschlagen, das Geld entweder pauschal oder 21
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