Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG

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Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
1/2020

                                                                  Bringt Ärzte weiter

Hausarzt und Medikamente:         Medikamenten­   HepCare hilft Hausärzten,
eine ambivalente Wechselwirkung   interaktionen   Hepatitis C zu heilen

Medikamenten-
Cocktails

                                                              www.argomed.ch
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
Impressum                       Inhalt sver zeichnis                                        02

                                Editorial von Dr. med. Gregor Dufner                        03

                                DEFACTO | Fokus
                                Hausarzt und Medikamente: Eine ambivalente Wechselwirkung   04
                                Dr. med. Gregor Dufner

                                «mediplus» – Projekt zur Verbesserung                       06
                                des Medikationsprozesses
                                Roger Tschumi

                                «Grundsätzlich hat bei der Medikationsverordnung            11
                                der Arzt oder die Ärztin den Lead»
                                Fragen an Dr. med. Simone Fischer

                                «Auch der Patient muss seinen Beitrag                       13
                                zur Medikationssicherheit leisten»
                                Interview mit Prof. Dr. med. Michael Bodmer

                                Medikamentenabfälle in Millionenhöhe                        16
Bringt Ärzte weiter             Bernhard Stricker

Argomed Ärzte AG
Bahnhofstrasse 24
                                DEFACTO | Medizin
CH-5600 Lenzburg
T +41 56 483 03 33              Von Interaktionen und Medikationssoftwares                  17
argomed@argomed.ch
                                Dr. med. Corina Omlin
www.argomed.ch

Redaktionelle und               eMediplan – Der Schweizer Medikationsplan                   20
inhaltliche Ver­ant­wortung     Roger Tschumi
Dr. med. Gregor Dufner
Dr. med. Corina Omlin
Dr. sc. nat. Claudine Blaser
Bernhard Stricker, lic. phil.   DEFACTO | Argomed
Michelle Stettler
                                «Diabetes-Cockpit» –                                        21
Gestaltungskonzept
Stier Communications AG         Chronic Care Management in der Hausarztpraxis
www.stier.ch                    Lukas Wenger, Nina Grütter

                                HepCare hilft Hausärzten, Hepatitis C zu heilen             22
                                Dr. med. Urs Hürlimann

                                Zur Verabschiedung von Claudine Blaser                      24
                                Bernhard Stricker, Dr. med. Wolfgang Czerwenka
in guter Partnerschaft
                                Erfolgreicher 3C-Workshop auf dem Stoos                     26
                                Bernhard Stricker

                                DEFACTO | Persönlich
                                Wenn sich Arzt und Patient als Experten treffen             27
                                Bernhard Stricker
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
Editorial                                                                                                                  03

                                       Corona verändert unser Leben

                                       Liebe Leserin, lieber Leser

                                       Gerade eben erleben wir mit der Corona-Pandemie, was wir wohl kaum für möglich
                                       gehalten hätten. Wie komplex verwoben und gleichzeitig labil ist unser Weltgefüge?
                                       Die Finanzkrise ist überwunden. Nun tobt die Gesundheitskrise COVID-19 auf der gan-
                                       zen Welt. Neue Wertschöpfungen wie social distancing, Lockout von Betrieben und
                                       der halben Industrie erinnern ans Grounding der Swissair. Nun ist es aber nicht mehr
                                       nur ein Betrieb. Es sind ganze Länder und Kontinente, schliesslich unser ganzer Globus.
            Dr. med. Gregor Dufner
            Redaktionsleiter DEFACTO   Solidarität, Respekt, Verantwortungsbewusstsein, Gemeinschaftssinn und Nachbar-
                                       schaftshilfe erhalten in dieser schweren Zeit plötzlich neue Inhalte. Auf der anderen
                                       Seite auch Egoismus, Angst und Selbsterhaltungstrieb.

                                       Es wird uns vor Augen geführt, was es bedeutet, wenn ganze Lieferketten ausfal-
                                       len. Unser reichlich verwöhntes Leben und unsere täglichen Selbstverständlichkeiten
                                       basieren auf einem hochkomplexen Zusammenspiel. Sie werden durch COVID-19
                                       massiv und nachhaltig durchgerüttelt.

                                       Und mit COVID-19 hat die Welt wohl noch nicht die letzte Herausforderung zu
                                       ­meistern. Trotz ausgedehnter allgemeiner Restriktionen geht der Alltag – so gut wie
                                        möglich – weiter. In diesem DEFACTO widmen wir uns einem im medizinischen Alltag
                                        sehr zentralen Problem: den Medikamenten.

                                       Die Bedeutung der Lieferketten hatten wir unlängst beim Valsartan eindrücklich
                                       erfahren. Sobald ein wesentlicher Baustein der Produktionskette ausfällt, drohen Ver-
                                       sorgungslücken. Beim Valsartan waren dies gesundheitsrelevante Qualitätsmängel.

                                       Die Anzahl der Medikamente und die Anzahl beteiligter Player erhöhen aus meiner
                                       Erfahrung die Komplikationsquote. Nicht nur das 4-Augen-Prinzip der Medikation im
                                       Kanton Aargau nehme ich daher etwas genauer unter die Lupe. Im Projekt «Progress»
                                       der Patientensicherheit beschreibt Frau Dr. Fischer Medikationsprobleme in Pflege-
                                       heimen. Gerade dort ist die Fehlerquote durch unterschiedliche Player besonders
                                       problematisch.

                                       Über die Medikamentensicherheit am Spital hat sich unser Redaktor Bernhard Stricker
                                       mit Prof. Bodmer, Chefarzt Medizin am Kantonsspital Zug, unterhalten. Die Projekte
                                       «mediplus», «eMediplan» und schliesslich auch das EPD müssen zur Entwirrung der
                                       Medikation beitragen. Die Medikation ist ein Dauerbrenner.

                                       Komplexe Interaktionen sind nur eine Schwierigkeit bei Polymorbiden. Diese können
                                       aber zu erheblichen Konsequenzen führen. Grund genug daher, dass Frau Dr. Corina
                                       Omlin im medizinischen Teil einige elementare Interaktionen als Überblick zusammen-
                                       fassend darstellt und geeignete Interaktionsadressen im Netz auflistet.

                                       Überraschend beendet unsere Geschäftsführerin Dr. Claudine Blaser Ihre Tätigkeit bei
                                       der Argomed per Ende April 2020. Auch wenn dieser Abgang sehr schmerzt, so tut es
                                       gut zu wissen, dass ihr Know-how andernorts im Gesundheitswesen Früchte tragen
                                       wird. Herzlichen Dank für das Engagement in den vergangenen drei Jahren und alles
                                       Gute im neuen Aufgabenbereich – im Namen der ganzen Redaktion.

                                       Dr. med. Gregor Dufner
                                       Redaktionsleiter DEFACTO

DEFACTO 1/2020
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                      04

Hausarzt und Medikamente:
Eine ambivalente Wechselwirkung
Medikamente, deren Wirkungen, Nebenwirkungen und Interaktionen begleiten uns in jeder
Sprechstunde. Ein Interaktionspanel dürfte in jeder Praxissoftware zum Standard gehören.
Die Pflege der Medikamentenliste nimmt immer breiteren Raum ein. Besonders schwierig
und aufwändig wird dies zum Beispiel nach einer Hospitalisation, wenn nebst dem Spital
andere Beteiligte wie Angehörige, Spitex, Alters- und Pflegeheime oder die Apotheke hin-
zukommen und dadurch die Liste potenzieller Fehlerquellen länger und länger wird.

                                                                             DEFACTO 1/2020
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                                     05

Damals auf der Inneren lernte ich von       blau-weissen Tablettli (wie bitte?)        Aus Norvasc wird Amlodipin 2 … und
meinem Chef, dass kein Patient bei          mässig erfolgreich behandelt. Ausser       der Patient kommt zur nächsten Kon-
Austritt mehr als fünf Medikamente          Müdigkeit keine Nebenwirkungen.            trolle… und schluckt ganz zufrieden
verordnet haben sollte. Die Compliance      Oder war es eine Kapsel? Kenne spon-       beides. Kommt halt drauf an, wo die
der Einnahme sinkt drastisch, während       tan keine blau-weissen Tabletten,          vier Augen hinschauen.
die Gefahr von Interaktionen drastisch      bekomme sie als Nicht-SD-Arzt ohnehin
zunimmt.                                    nicht zu Gesicht.                          Unglücklich ist unser Patient nur, dass
                                                                                       er jetzt – wie im Spital – wieder unter
Das war damals. Heute muss der              Klar doch, kann ja alle Medis im Com-      Herzstolpern leidet. Klar doch. Ursa-
Mensch widerstandsfähiger geworden          pendium nachklicken. Wohl am besten        chen sind Vorhofflimmern oder Amio-
sein. Die fünf Medikamente sind nach        in Anwesenheit des Patienten, falls ich    daron!
einem Koronarsyndrom schon fast ver-        auf die kühne Idee käme, diese äusserst
geben (ASS, duale Tc-Hemmung, Statin,       ärztliche Aufgabe auch noch verrech-       Nach Grapefruit-Saft hat heute leider
ACE-Hemmer, ggf. Betablocker, Nitro iR.).   nen zu wollen. Klar doch. Kann auch        NIEMAND gefragt.
Don’t worry! Brilique nur ein Jahr, also    darauf verzichten, vielen Dank!
sind es ja nur noch drei bis vier Medis…                                               Dr. med. Gregor Dufner
                                                                                       Redaktionsleiter DEFACTO
davon lediglich zwei auf (Lebens-)Dauer.    Die Citalopram-Tröpfli wurden zu mei-
Klar doch.                                  ner Freude (?) aber nicht abgesetzt.
                                            Wir hatten schon mal auszuschleichen
Pech halt, wenn sich das Vorhofflim-        versucht… mit unangenehmem psy-
mern nur mit Amiodaron ausreichend          chischem Rebound. Wie ist die QT-Zeit
behandeln liess und eine Dysthyreose        aktuell? Natrium?
im Anmarsch ist. Klar doch, das kriegen
wir in den Griff.                           Vom Nachbar empfohlen wird nun
                                            auch noch Q10 geschluckt, gewünscht
Unangenehm die vorbestehende rheu-          ein Vitamin-B12- und Eisenspiegel. Jetzt
matoide Arthritis: Methotrexat, tief        langt’s!
dosierte Steroide, Vit. D, NSAR und – um
eben diese einzusparen – das modische       Wir alle kennen Dutzende solcher Pati-
Paracetamol in noch modischerer Kom-        enten.
bination mit Metamizol (geht das mit
MTX?). Langsam wird es beklemmend.          Im Aargau zusätzlich pikant kommt das –
                                            zumindest im Wahlkampf propagierte
Übelkeit? Kein Wunder! Gastroskopie?        und von der Politik als «bewährt» titu-
Das steht nun – trotz einem Sprützli        lierte– 4-Augen-Prinzip1 hinzu. Ist ja
Prednison + COX2-Hemmer – wirklich          eigentlich ungeheuerlich, hier unter
nicht im Vordergrund. Daher wurde am        dem Strich von einer Qualitätsverbesse-
Spital einfach mal probatorisch etwas       rung zu sprechen. Wenn dann noch ein
Pantoprazol dazugegeben. In der Mei-        Altersheim oder die Spitex dazukommt,
nung, dass dies auch mal wieder abge-       wird’s richtig bunt. Soll doch jeder
setzt (oder weiter abgeklärt) werden        machen, was er am besten kann. Der
könnte. Wenn die Übelkeit mal weg-          eine schluckt, was der andere richtet,
ginge. Hoffentlich erinnern Sie sich in     was wiederum der andere verkaufte
einem Jahr noch daran. Klar doch?           und (vielleicht?) substituierte. Und wir   1
                                                                                           Hier wird suggeriert, dass die zusätzliche
                                            Hausärzte übernehmen mit der Unter-            Apotheken-Kontrolle der ärztlichen Verord-
Der Neurologe hatte die Polyneuro-          schrift unters Rezept die Verantwor-           nung generell qualitätssteigernd wirken
pathie letztes Jahr mit den kleinen         tung. Klar doch!                           2
                                                                                           Norvasc ® enthält Amlodipin als Wirkstoff

DEFACTO 1/2020
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                            06

«mediplus» – Projekt für höhere
Sicherheit, Effizienz und Qualität
im Medikationsprozess
Wenn Patienten viele Medikamente einnehmen müssen, ist es gerade in Hausarzt-
praxen eine grosse Herausforderung, den Überblick zu behalten. Selbst wenn sich
die Hausärztin oder der Hausarzt genügend Zeit für detaillierte Abklärungen und
Instruktionen nehmen kann – die Vielzahl der beteiligten Personen und Stellen macht
den Prozess sehr aufwändig und birgt immer das Risiko, dass wichtige Informationen
nicht bei allen Beteiligten ankommen – mit negativen Folgen für die Patienten. Mit
dem Projekt «mediplus» wollen wir mit unseren Projektpartnern eastcare, Zur Rose
und BlueCare den Medikationsprozess über den gesamten Behandlungspfad des
Patienten vernetzen und damit sicherer machen.

Komplexes Zusammenspiel                    plexen Medikation überfordert sind und        die Patienten dabei unterstützen,
der Beteiligten                            ihre Medikamente falsch oder gar nicht        ihre medikamentöse Therapie besser
Menschen ab 65 Jahre nehmen in der         einnehmen.                                    zu verstehen und zu befolgen. So ist
Schweiz im Durchschnitt 5,6 Medika-                                                      beispielsweise jedes Medikament in
mente ein. Bei dieser Patientengruppe      Das Projekt «mediplus» geht mit mehre-        seiner Darreichungsform als Bild dar-
treten unerwünschte Arzneimittel-          ren Interventionen auf diese Probleme         gestellt und enthält einen (in pa­­tien­
wirkungen, Medikationsfehler und           ein, verbindet die Beteiligten und unter-     tenverständlicher Form verfassten)
mangelnde Therapietreue häufig auf.        stützt Hausärztinnen und Hausärzte mit        Beschrieb, weshalb ein Medikament
Gründe dafür sind fehlende oder fal-       innovativen digitalen Werkzeugen.             eingenommen werden muss.
sche Informationen, nicht nachgeführte
Medikationslisten (z. B. nach Spital­      1. Intervention: «eMediplan» – der            Der im «eMediplan» enthaltene
aufenthalten) sowie ein unvollständi-         Schweizer Medikationsplan                  QR-Code enthält sämtliche Informa-
ger oder verzögerter Informationsfluss        Im Schweizer Gesundheitswesen              tionen des Medikationsplans auch
zwischen den Behandelnden.                    zirkulieren unzählige unterschiedlich      als strukturierte, digitale Daten und
                                              gestaltete Medikationspläne, was für       kann von allen Behandelnden in ihre
Die Koordination der Informationen            alle Beteiligten eine grosse Heraus-       IT-Systeme eingelesen werden. Damit
über den gesamten Behandlungspfad             forderung darstellt, insbesondere für      werden die Medienbrüche zwischen
ist bei diesen Patienten besonders            die Patienten. Ein allgemein verbrei-      den Behandelnden umgangen und
anspruchsvoll und aufwändig. Im               teter Standard fehlt bisher.               der Datenaustausch wird endlich
Durchschnitt sind 4,3 Leistungserbrin-                                                   möglich.
ger und 2,4 Abgabestellen involviert.         Die national breit abgestützte Interes-
Medikations­i nformationen werden             sengemeinschaft IG «eMediplan» hat         Jeder Behandelnde kann den «eMedi­
hierbei aufgrund inkompatibler IT-Sys-        vor rund fünf Jahren den standardi-        plan» einlesen, anpassen, ergänzen
teme kaum digital ausgetauscht ­– man         sierten «eMediplan» e­ ntwickelt. Der      und wieder als neue Version ausge-
erfasst sie jeweils ineffizient und feh-      Medikationsplan umfasst eine ein-          ben. So reichert sich der Plan auf sei-
leranfällig von Hand.                         heitliche, übersichtliche und verständ-    nem Weg im Behandlungspfad an.
                                              liche Darstellung der Medikation eines
Erschwerend kommt hinzu, dass die             Patienten. Er erleichtert die Arbeit der   Die einzige, aber grosse Hürde: Der
betroffenen Patienten oft mit ihrer kom-      Behandelnden und soll insbesondere         offene «eMediplan»-Standard muss

                                                                                                                  DEFACTO 1/2020
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                                                                 07

   2) Interventionen/Elemente in "mediplus"
                                                                                             Qualitätsmodul «mediplus»

                                        BlueMedication                                                    Identifizieren und
                                                                                                       einschliessen geeignete
                                                                                                              Patienten

                                                                                                        Bestandesaufnahme

                                                                                                                                  Koordination, Qualitätsprozess
                                                                                                        Medikation, Abgleich
             eMediplan und eMediplan-App (für Patienten)                                                  Medikationslisten

                                                                                                       Medikamenten-Review
                                                                                                           Arzt - Patient

                                                                                                        Erstellen und Ausgabe
                                                                                                              eMediplan

                                                                                                           Instruktion und
                                                                                                      Nachinstruktion eMediplan
                                                                                                         und eMediplan-App

                                                                                                      Regelmässiges Nachführen
                                                                                                      eMediplan bei Änderungen

                                                                                                         Services Zur Rose
                                                                                                         AMTS/eMedikation
                                                                                                         Adhärenzbegleitung

   Abbildung 1: Interventionen/Elemente in «mediplus»

   1     19.12.2019

   von den Herstellern der Praxis-, Kli-            Rückenwind erhalten wir dabei von       «BlueMedication» entwickelt, welche
   nik- und Apotheken-Informationssys-              Behörden und der Politik: eHealth       die Behandelnden bei diesem sehr
   teme unterstützt werden. Von allen               Suisse hat den «eMediplan» als          wichtigen Abgleich digital unterstützt.
   führenden Herstellern sind Absichts-             kompatiblen Standard zum elekt-
   erklärungen vorhanden, einige arbei-             ronischen Patientendossier (EPD)        Die Software liest die Medikamente
   ten bereits an der konkreten Umset-              anerkannt und empfiehlt ihn in der      aus Berichten und Listen automatisch
   zung des Standards.                              Einführungsphase des EPD als For-       aus (PDF oder Scan von Papier) und
                                                    mat zur Darstellung der aktuellen       vergleicht diese mit der bestehenden
   Die betroffenen Institutionen wie Spi-           Medikation. Ausserdem hat der           Medikation im Praxisinformationssys-
   täler, Spitex, Heime und Apotheken               Berner Ständerat Hans Stöckli 2018      tem (PIS). «BlueMedication» erkennt
   spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit           eine Motion mit dem Titel «Recht auf    Unterschiede in der Medikation (Pro-
   ihnen stehen wir ebenfalls im Dialog,            einen Medikationsplan zur Stärkung      dukt, Wirkstoff, Dosierung, Einnah-
   erste Vereinbarungen sind in Arbeit.             der Patientensicherheit» eingereicht,   meschema) und stellt diese in einer
                                                    die derzeit im Nationalrat zur weite-   Übersicht dar.
   Die Patienten und/oder ihre mit-                 ren Beratung ansteht.
   betreuenden Angehörigen können                                                           Der Arzt wählt daraus die gewünsch-
   den «eMediplan» bereits heute in                 Wie wichtig ein aktueller und voll-     ten Medikamente und erstellt mit
   eine «eMediplan»-App einlesen. Die               ständiger Medikationsplan ist, zeigt    wenigen Klicks eine neue, konsoli-
   App stellt die Medikation geordnet               eine aktuelle Studie der Pharmaceuti-   dierte Liste. Diese wird von Docume-
   nach Einnahmezeitpunkt dar und                   cal Reseach Group der Uni Basel, an     dis CDS.CE-Checks (Clinical Decision
   erinnert an deren Einnahme, wenn                 der Argomed mit weiteren Beteilig-      support Checks) von HCI Solutions AG
   gewünscht. Ausserdem hat die App                 ten mitgewirkt hat (siehe Box am        auf Wechselwirkungen geprüft: Inter-
   den Vorteil, dass der Medikationsplan            Ende des Beitrages).                    aktionen, Kontraindikationen, Über-
   immer präsent ist, auch beim Gang in                                                     dosierungen, Unverträglichkeiten etc.
   die Apotheke oder beim Besuch eines
   Arztes. Die App kann den QR-Code             2. Intervention: Die Software «Blue­        Die fertig überarbeitete Medikati-
   anzeigen, was das Einscannen direkt             Medication»                              onsliste wird als «eMediplan» aus-
   vom Bildschirm ermöglicht.                      Der Abgleich der Austrittsmedikation     gegeben und gleichzeitig als Daten
                                                   nach einem Spitalaufenthalt mit der      im Praxisinformationssystem (PIS)
   Der «eMediplan» hat sich in kleineren           Medikationsliste der Praxis ist auf-     gespeichert (PIS bleibt das füh-
   Projekten bereits bewährt. Im Projekt           grund fehlender IT-Integration der       rende System). Die Patientendaten
   «mediplus» wollen wir den «eMedi­               Systeme sehr zeitaufwändig. Unser        und «eMedipläne» werden nicht
   plan» als einheitlichen Standard über-          Projektpartner BlueCare hat daher für    in einem zentralen Dossier gespei-
   regional etablieren.                            «mediplus» die webbasierte Software      chert.

DEFACTO 1/2020
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                             08

  Die Funktionalitäten von «BlueMe-               • Überarbeiten der Medikation            eine angemessene Vergütung für die
  dication» sind in der Schweiz bisher              auf aktuelle Indikationen              zusätzliche Koordinationsleistung der
  einzigartig. Uns ist kein vergleichba-          • Nachführen und Abgabe                  Hausarztpraxis gehört. Mit mehreren
  res Produkt mit solchem Praxisnut-                eines aktuellen «eMediplans»           grossen Krankenversicherern laufen
  zen bekannt. Dieser neue, innovative              an den Patienten                       derzeit Gespräche über eine Beteili-
  Lösungsansatz adressiert ein aufwän-            • Ausführliche Instruktion des           gung am Projekt.
  diges Alltagsproblem in Arztpraxen.               Patienten (als Repetition zusätzlich
                                                    auch durch MPA und MPK)                Stand des Projekts und weiteres
3. Intervention: Das Qualitätsmodul                                                        Vorgehen
   «mediplus»                                     Die Empfehlungen für die einzelnen       Das Projekt ist auf mehrere Jahre ange-
   Die technischen Hilfsmittel «eMedi­            Prozess-Schritte basieren auf eta-       legt. Derzeit wird «BlueMedication» in
   plan», die «eMediplan»-App und                 blierten Guidelines. Sie haben das       einem Pilotprojekt von rund 20 Ärzten
   «BlueMedication» erhöhen als Ein-              Ziel, die Medikation eines Patien­       getestet. Die Pilotanwender setzen
   zelmassnahmen die Qualität bereits             ten möglichst korrekt und aktuell        die Praxissoftware Elexis ein, mit der
   erheblich. Der volle Nutzen ent-               abzubilden, inadäquate Medikation        eine erste Schnittstelle zwischen der
   steht jedoch erst, wenn sie in den             zu vermeiden und allen Behandeln-        Praxissoftware und «BlueMedication»
   Gesamtprozess der Medikation ein-              den zur Verfügung zu stellen. Die        realisiert werden konnte.
   gebettet sind.                                 Prozesse werden von der Versand-
                                                  apotheke Zur Rose mit qualitätsstei-     Die ersten Rückmeldungen der
  Gemeinsam mit Ärzten wurden Leis-               gernden Services unterstützt.            Anwender sind sehr positiv und
  tungen und Prozesse entwickelt, wel-                                                     es gehen viele Anregungen für die
  che eine hohe Qualität und Sicherheit           Der Patient soll seine Medikation        Weiterentwicklung des Systems
  der Medikation über den gesamten                durch gezielte Nachinstruktionen         ein. Es zeigt sich aber auch, wie
  Behandlungspfad des Patienten                   besser verstehen und sich so – mit       wichtig eine Schnittstelle zu «Blue-
  sicherstellen sollen – koordiniert              Unterstützung durch den «eMedip-         Medication» ist. Die Projektgruppe
  durch die Grundversorger.                       lan» und allenfalls durch die zugehö-    steht mit den führenden Herstellern
                                                  rige App – besser an seine verordnete    von Praxisinformationssystemen im
  Dazu gehören folgende, mindestens               Therapie halten.                         Dialog und hat bereits verbindliche
  einmal jährlich wiederkehrende Leis-                                                     Zusagen für die Umsetzung erhal-
  tungen:                                         Die Leistungen in «mediplus» sind so     ten. Es ist unser Ziel, auf Ende die-
  • Medikamenten-Review mit                       aufgebaut, dass sie als Qualitätsmo-     ses Jahres eine weiterentwickelte
    dem Patienten über seine                      dul in Managed Care-Modelle einge-       Marktversion von «BlueMedication»
    Gesamtmedikation                              bunden werden können, wozu auch          gemeinsam mit Schnittstellen zu
  4) "BlueMedication" – Prozessunterstützung für Behandelnde ‚

  Abbildung 2: «BlueMedication» – Prozessunterstützung für Behandelnde

  2     19.12.2019
                                                                                                                   DEFACTO 1/2020
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                                       09

   mehreren Praxisinformationssyste-             und Regionen für eine Umsetzung
   men zu lancieren.                             gewonnen werden sollen.                         Weitere Infos
                                                                                                 Wollen Sie «mediplus» und
   Ab 2021 soll «mediplus» den Ärztin-           Roger Tschumi                                   «Blue­Medication» ebenfalls
                                                 Argomed, Leiter Entwicklungsprojekte            ­kennenlernen? Wenn Sie weitere
   nen und Ärzten in den Ärztenetzwer-
                                                                                                  Informationen wünschen, wenden
   ken der Argomed und der eastcare
                                                                                                  Sie sich bitte an:
   zur Verfügung gestellt werden. Für
                                                                                                  Roger Tschumi, Tel. 056 483 03 38
   die Ausbreitung des Konzepts sind                                                              oder roger.tschumi@argomed.ch
   mehrere Jahre vorgesehen, in deren
   Verlauf auch weitere Organisationen

   Aktuelle und vollständige Medikationspläne sind nützlich

   Medikationspläne haben einen deutlichen Nutzen, sowohl für Patientinnen und Patienten als auch das Gesundheitsfachpersonal.
   Dies geht aus einer neuen systematischen Literatursuche hervor, welche von der Doktorandin Fine Dietrich (Pharmaceutical Care
   Research Group, Universität Basel) durchgeführt wurde. Die Arbeit wurde finanziell unterstützt durch HCI Solutions AG, Argomed
   sowie den Aargauischen Apothekerverband. Die Literatursuche fasst die Resultate von 30 Originalartikeln aus dem englisch- und
   deutschsprachigen Raum zusammen.

   Patientinnen und Patienten, die einen Medikationsplan verwenden, haben ein deutlich besseres Verständnis ihrer Medikation ver-
   glichen mit jenen ohne einen solchen Plan. Sie können häufiger ihre Arzneimittel korrekt benennen und die richtige Dosierung
   angeben. Bei ihnen besteht ausserdem eine höhere Therapietreue, und eine Verbesserung in der Arzneimittel- und Patienten­
   sicherheit konnte festgestellt werden. Konkret geht es dabei um eine Reduktion von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und
   die Detektion von Medikationsfehlern und Kontraindikationen.

   Für Gesundheitsfachpersonen stellt der Medikationsplan ein wichtiges Hilfsmittel zur Kommunikation mit den Patientinnen und
   Patienten dar. Während des ärztlichen Beratungsgesprächs erhalten sie deutlich mehr Informationen zu ihren Medikamenten –
   neu verordnete sowie bekannte –, wenn der Arzt oder die Ärztin einen Medikationsplan zu Hand hat. Weiterhin wird mit einem
   solchen Plan die interprofessionelle Zusammenarbeit gestärkt. Hausärztinnen und Hausärzte erfahren von Diagnosen und verord-
   neten Arzneimitteln durch Fachärztinnen und Fachärzte oder aus dem Spital. Die Arzneimittel-Kontinuität ist durch den Einsatz
   von Medikationsplänen ebenfalls erhöht.

   Eine weitere wichtige Erkenntnis aus dieser Literatursuche ist, dass ein Medikationsplan nur dann seine Vorteile offenbaren kann,
   wenn er aktuell, vollständig und für Patientinnen und Patienten verständlich ist. Eine wissenschaftliche Publikation der Arbeit
   wurde in einer Fachzeitschrift (mit Peer-review) eingereicht.

   Fine Dietrich, Pharmaceutical Care Research Group, Universität Basel, Doktorandin
   Lukas Wenger, Argomed, Leiter eHealth

   Aufruf: Medikationslisten von polypharmazierten Patienten jetzt aktualisieren

   Aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie ist zu erwarten, dass in den kommenden Monaten die Spitalaufenthalte von poly-
   pharmazierten Patienten zunehmen. Für diesen Fall ist es wichtig, dass die Behandelnden im Spital eine aktuelle Übersicht über
   die Medikation der Patienten haben. Es lohnt sich, freie Kapazitäten in der Arztpraxis dafür einzusetzen, die Medikationslisten von
   polypharmazierten Patienten zu kontrollieren, zu aktualisieren und den Patienten zuzustellen.

   Argomed, BlueCare und HCI Solutions unterstützen Sie dabei. Falls Sie den «eMediplan» als übersichtliches Standard-Format nut-
   zen wollen, instruieren wir Sie gerne per Fernwartung in der Anwendung des eMediplan-Editors von Documedis (HCI Solutions).
   Wenn Sie Spitalberichte digital unterstützt abgleichen möchten, stellen wir Ihnen die Pilotversion von «BlueMedication» (BlueCare)
   kostenfrei zur Verfügung und instruieren Sie in der Anwendung.

   Ihre Kontaktperson bei Argomed ist Roger Tschumi, Leiter Entwicklungsprojekte
   (Tel. +41 56 483 03 38 oder roger.tschumi@argomed.ch).

DEFACTO 1/2020
Medikamenten-Cocktails 1/2020 - Argomed Ärzte AG
Therapieerfolg ist Teamerfolg
             Optimale Betreuung gemeinsamer Patienten durch
             direkten Medikamentenversand

             Dank dem Patientenreport haben Sie die aktuelle Übersicht über die Bezüge Ihrer Patienten. Damit erhöhen wir gemeinsam die Ad-
             härenz und Arzneimitteltherapie-Sicherheit und Ihre Patienten profitieren von mehr Komfort.

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                                      UNTERSTÜTZUNG                              BERATUNG                      BETREUUNG
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DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                         11

«Grundsätzlich hat bei der
Medi­kationsverordnung der Arzt
oder die Ärztin den Lead»
FR AGEN AN DR. MED. SIMONE FISCHER ÜBER DAS NATIONALE PROGR AMM «PROGRESS! SICHERE MEDIK ATION IN PFLEGEHEIMEN»

                                           DEFAC TO: Welches Ziel hat «progress!      und Hausärztinnen und Hausärzten, die
                                           Sichere Medikation in Pflegeheimen»?       Analyse und Auswertung von einschlä-
                                           Dr. med. Simone Fischer: Das überge-       giger internationaler Fachliteratur und
                                           ordnete Programmziel ist die Reduktion     Forschungsprojekten sowie der konti-
                                           von sog. unerwünschten Arzneimittel­       nuierliche Austausch mit Experten.
                                           ereignissen (UAE) in Schweizer Alters-
                                           und Pflegeheimen. Zu diesem Zweck          Basierend auf diesen Erkenntnissen
                                           soll die verordnete Medikation siche-      wurden im Rahmen des aktuell lau-
                                           rerer und auf jeden einzelnen Bewoh-       fenden Vertiefungsprojekts die fünf
                                           ner und jede Bewohnerin abgestimmt         Qualitätsstandards für eine verbesserte
                                           werden. Dies gelingt jedoch nur dann,      Medikationssicherheit in Pflegeheimen
                                           wenn Polypharmazie und PIP (engl. für      entwickelt und anschliessend Massnah-
Dr. med. Simone Fischer                    potentially inappropriate prescribing,     men zur Einführung und Umsetzung
                                           = inadäquate Verschreibung) identifi-      dieser erarbeitet. Es sind schweizweit
                                           ziert und die Medikation fachkompe-        die ersten nationalen Qualitätsstan-
                                           tent und bewohnerorientiert angepasst      dards zum Thema Medikationssicher-
                                           werden. Hierfür hat Patientensicherheit    heit in Pflegeheimen. Daraus wurde
                                           Schweiz fünf Qualitätsstandards für        ein «best-practice model» konzipiert.
                                           alle am Medikationsprozess beteiligten     Ein Teamcoaching, Fortbildungen für
                                           Fachpersonen entwickelt. Diese wur-        alle am Medikationsprozess beteiligten
                                           den anschliessend mittels eines Kon-       Fachpersonen sowie Tools wie z. B. PIP-­
                                           sens-Verfahrens mit 25 Expertinnen         Listen für Apothekerinnen und Ärzte
                                           und Experten aus den Bereichen Pflege,     und Hilfsmittel zur Beobachtung allfälli-
                                           Ärzteschaft und Pharmazie, die jeweils     ger Nebenwirkungen für das Pflegeper-
                                           einen wissenschaftlichen oder praxis-      sonal stellen weitere unterstützende und
                                           nahen Hintergrund haben, validiert.        nachhaltig umsetzbare Massnahmen zur
                                           Sie beschreiben Minimalanforderungen       Umsetzung der Qualitätsstandards dar.
                                           an den Medikationsprozess und an die
                                           Zusammenarbeit der am Medikations-         Wie geht es nun weiter?
                                           prozess beteiligten Fachpersonen.          Die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit der
                                                                                      empfohlenen Qualitätsstandards soll-
                                           Wie ist der aktuelle Zwischenstand         ten zwischen Frühling und Winter 2020
                                           beim Programm «progress»?                  getestet werden. Der Programmstart
                                           Das 2018 abgeschlossene Grundlagen-        musste jedoch aufgrund der aktuellen
                                           projekt diente der Bestandesaufnahme       COVID-19-Pandemie auf unbestimmte
                                           und Analyse von Medikationsprozessen       Zeit verschoben werden. Hierfür wur-
                                           in Schweizer Pflegeheimen sowie der        den fünf Pflegeheime im Kanton Wallis
                                           Identifizierung primärer Handlungs-        und vier im Kanton Zürich rekrutiert.
                                           felder. Die wissenschaftliche Evidenz      Diese Pilotpflegeheime integrieren die
                                           dazu lieferten eine Online-Befragung       standardisierten Prozesse in ihre täg-
                                           von Pflegedienstleitungen in Heimen,       liche Versorgung der Heimbewohne-
                                           explorative Interviews mit zwölf Heim-     rinnen und -bewohner. Die Evaluation

DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                                     12

der Wirksamkeit und Umsetzbarkeit der        Zeitressourcen von Ärztinnen und Ärz-
Qualitätsstandards erfolgt anhand von        ten erfordern jedoch klar strukturierte
Wirkungs- und Prozessindikatoren.            Abläufe und eine Verteilung, ggf. auch
                                             Umverteilung der Aufgaben auf meh-
Warum ist dieses Projekt auf Pfle-           rere Fachpersonen. Nur so kann lang-
geheime beschränkt? Kann man die             fristig eine hohe Versorgungsqualität
Erkenntnisse und Standards nicht auch        gewährleistet werden.
auf Spitäler übertragen?
Polypharmazie ist primär ein Problem         Können künftig Medikationsfehler mit
in der Langzeitbetreuung von Seniorin-       den neuen Sicherheitsstandards aus-
nen und Senioren und im Speziellen bei       geschlossen werden?
Bewohnern in Einrichtungen der Lang-         Medikationsfehler können vermutlich
zeitpflege. Das Programm wurde daher         nie gänzlich ausgeschlossen werden.
speziell für Pflegeheimbewohnerinnen         Aber mit dem Programm «progress!
und -bewohner konzipiert. Eine Über-         Sichere Medikation in Pflegeheimen»
tragung auf Spitäler ist aufgrund der        soll die Medikationssicherheit von
unterschiedlichen Versorgungsschwer-         Bewohnerinnen und Bewohnern in der
punkte und Prozesse von Einrichtungen        stationären Langzeitpflege substan­
der Langzeitpflege und Akutbehand-           ziell verbessert werden. Damit wird die
lung nicht möglich. Ausserdem laufen         medikamentenbezogene Versorgungs-
im Spitalbereich schon viele Aktivitäten     qualität in den Pflegeheimen erhöht
zur Förderung der Patientensicherheit.       und gesichert.
Mit «progress! Sichere Medikation in
Pflegeheimen» werden erstmals auch           Die Fragen stellte Bernhard Stricker
                                             Redaktor DEFACTO
Institutionen der Langzeitbetreuung in
den Fokus gerückt.

Wer hat den Lead beim Programm
«progress! Sichere Medikation in Pfle-          Dr. med. Simone Fischer ist Leiterin
geheimen»?                                      nationales Pilotprogramm progress!
Grundsätzlich hat bei der Medikations-          der Stiftung Patientensicherheit
verordnung der Arzt oder die Ärztin den         Schweiz in Zürich
Lead. Die immer knapper werdenden

  «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» – Der Hintergrund

  In der Schweiz leben rund 120‘000 meist ältere und multimorbide Personen über längere Zeit in Pflegeheimen. Altersbedingte
  Einschränkungen und Multimorbidität führen sehr häufig zum Problem der Polypharmazie. Schweizweit erhalten Bewohnerinnen
  und Bewohner von Pflegeheimen durchschnittlich neun Medikamente, wobei 86 % der Heimbewohner von Polypharmazie (Bezug
  von mindestens fünf Medikamenten innert drei Monaten) betroffen sind. Diese Personen unterliegen einem erhöhten Risiko für
  unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE).

  Beruht die Polypharmazie auf einer potenziell inadäquaten Verordnung (engl. potentially inappropriate prescribing, kurz PIP), dann
  wird es besonders problematisch. Der Begriff PIP umfasst sowohl die Überversorgung wie auch die Unter- und Fehlversorgung.
  Unterkategorien der Fehlversorgung sind Duplikationen und eine sogenannte PIM (potenziell inadäquate Medikation). PIM wie
  z. B. antipsychotische Substanzen, Benzodiazepine oder Medikamente mit anticholinergen Nebenwirkungen weisen bei geriatri-
  schen Patienten ein schlechtes Nutzen-Risiko-Verhältnis auf. Deren Einsatz birgt ebenfalls ein erhöhtes Risiko für UAE und Spital­
  einweisungen.

  Polypharmazie und PIP stellen somit zentrale Problemfelder in der medikamentösen Behandlung von Pflegeheimbewohnerinnen
  und -bewohnern dar und gefährden deren Sicherheit. Vor diesem Hintergrund wurde 2016 das nationale Pilotprogramm «progress!
  Sichere Medikation in Pflegeheimen» lanciert. Das Programm besteht aus einem bereits erfolgreich abgeschlossenen Grundlagen-
  projekt (2016 –2018) sowie dem aktuell laufenden Vertiefungsprojekt (2019 –2021).

                                                                                                                        DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                             13

«Auch der Patient muss
seinen Beitrag zur Medikations-
sicherheit leisten»
INTERVIEW MIT PROF. DR. MED. MICHAEL BODMER, CHEFARZT MEDIZINISCHE KLINIK K ANTONSSPITAL ZUG

                                           DE FAC TO: Wie steht es grundsätzlich      gehören die regelmässigen ärztlichen
                                           um die Medikationssicherheit in den        Visiten sowie schwerpunktmässig Visi-
                                           Schweizer Spitälern?                       ten durch klinische Pharmazeuten, die
                                           Prof. Dr. Michael Bodmer: Es steht prin-   jede Medikation regelmässig überprü-
                                           zipiell gut. Wir haben standardisierte     fen. Beim Austritt des Patienten wird
                                           Prozesse in der Medikation. Dazu gehört    dann in einem letzten Schritt die Medi-
                                           die Zusammenarbeit von Pharmakolo-         kationsliste nochmals überprüft und wo
                                           gen, Spitalapothekern und Spitalärz-       notwendig korrigiert. Es ist ein interdis-
                                           ten, die Hand in Hand arbeiten und die     ziplinäres Mehraugenprinzip.
                                           Medikationen regelmässig überprüfen.
                                                                                      Können Sie damit alle Fehler aus-
                                           Welches sind heute die grössten            schliessen?
Prof. Dr. Michael Bodmer                   Gefahren, bzw. Schwachstellen bei          Nein, eine 100 %ige Sicherheit gibt
                                           der Medikation in einem Spital?            es nicht, das wird es auch nie geben,
                                           Pharmakotherapie ist ein anspruchsvol-     solange Menschen involviert sind. Aber
                                           les Fach, vor allem auch, weil ständig     wir machen alles, um einen hohen Grad
                                           neue Therapien auf den Markt kom-          an Sicherheit zu erreichen.
                                           men, die immer neue Kombinationen
                                           ermöglichen. Das erfordert eine stän-      Wie gut funktioniert heute die Schnitt-
                                           dige Weiterbildung der Fachleute. Dazu     stelle Hausarzt/Spital beim Eintritt ins
                                           kommt, dass die Patienten immer älter      Spital, bzw. beim Austritt?
                                           und polymorbider werden, wodurch           Diese Schnittstelle ist tatsächlich ein
                                           die Gefahr von Interaktionen zwischen      noch nicht ganz gelöstes Problem. Zum
                                           Medikamenten steigt.                       Teil ist es ein digitales Problem, weil nach
                                                                                      wie vor viele Hausärzte kein elektroni-
                                           Welche Patientengruppe ist in einem        sches Medikamenten-Erfassungssystem
                                           Spital am meisten gefährdet?               und ganz unterschiedliche IT-Systeme
                                           Das sind ältere, polymorbide Patientin-    haben. Es ist aber auch ein Genera­
                                           nen und Patienten, die viele Medika-       tionenproblem. Die älteren Hausärzte
                                           mente einnehmen müssen. Ausserdem          arbeiten zum Teil noch handschriftlich,
                                           haben kognitiv eingeschränkte Men-         während die jungen schon bereits voll
                                           schen ein erhöhtes Risiko, das sind zum    in der digitalen Welt zu Hause sind. Wir
                                           Beispiel Menschen mit einer Demenz.        haben Anstrengungen unternommen,
                                                                                      uns mit den Hausärzten besser elektro-
                                           Gibt es Programme oder Projekte zur        nisch zu vernetzen, aber es ist uns bis
                                           Verbesserung der Medikationssicher-        heute nicht gelungen.
                                           heit in Spitälern?
                                           Wir haben bei uns einen mehrstufigen       Was kann ein Patient zur Erhöhung
                                           Prozess auf mehreren Ebenen installiert:   seiner eigenen Medikationssicherheit
                                           Auf der Abteilung wird die Medikation      beitragen?
                                           elektronisch erfasst, worauf ein spital­   Ein Patient oder eine Patientin sollte
                                           interner Routineprozess erfolgt. Dazu      nicht nur wissen, wie die Medikamente

DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                                                       14

                                       heissen, die er einnimmt, sondern auch,        Hirnhautentzündungen. Bei den kardio-
                                       wozu er sie einnimmt. Ganz wichtig ist         vaskulären Kreislauferkrankungen oder
                                       die regelmässige Einnahme, hier braucht        Stoffwechselstörungen ist der Effekt der
                                       es viel Selbstdisziplin. Das heisst: Er oder   Medikamente geringer.
                                       sie darf nicht eigenständig ein Medika-
                                       ment absetzen, wenn er zum Beispiel            Was braucht es für eine optimale
                                       keine Symptome mehr spürt. Hier wäre           Medikation (Pharmakotherapie)?
                                       immer die Rücksprache mit dem Haus-            Es braucht erst einmal Fachleute mit
                                       arzt angezeigt.                                Fachwissen und entsprechender Aus-
                                                                                      bildung, und zwar auf Seiten der Phar-
                                       Welche Bedeutung hat die Medikation            mazeuten ebenso wie seitens der Ärzte.
                                       (Pharmakotherapie) grundsätzlich für           Dann braucht es eine technische Lösung
                                       den Heilungsprozess eines Patienten?           für eine exakte und einwandfreie Doku-
                                       Das hängt von der Indikation ab. Bei           mentation, in der sämtliche Daten ent-
                                       Infektionskrankheiten ist die Medika-          halten sind, die es für eine optimale
                                       tion – zum Beispiel über die Einnahme          Pharmakotherapie braucht. Ausserdem
                                       von Antibiotika – ganz wesentlich für          braucht es ein optimales Schnittstel-
                                       den Therapieerfolg verantwortlich.             lenmanagement und eine ebenso gute
                                       Dazu gehören etwa Nierenbeckenent-             Kommunikation zwischen allen an der
                                       zündungen, Lungenentzündungen oder             Therapie beteiligen Personen. Und nicht

Geht es dir
wieder besser?
                                                                                                                                 Stand: 01/2019

Gut für Sie. Gut für alle. Generika von Sandoz.
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                       15

zuletzt braucht es einen motivierten          ante, wenn aufgrund der klinischen
Patienten, der den Sinn der Therapie          Präsentation eine medizinisch sinnvolle
versteht und die Therapie umsetzt.            Zuordnung nicht erfolgen kann.

Ist in Zukunft mit einem Mangel von           Ist die Pharmakotherapie – gerade am
einzelnen, bestimmten Medikamenten            Beispiel von Zolgensma – nicht auch
zu rechnen?                                   Opfer des eigenen Erfolges?
Auch bei uns in der Spitalapotheke            Ja, das kann man so formulieren. Es gibt
kommt es immer wieder mal vor, dass           immer mehr Möglichkeiten, mit Medika-
gewisse Medikamente nicht lieferbar           menten Menschen zu heilen oder deren
sind. Das ist nicht neu, es kam schon frü-    Lebensqualität zu verbessern. Gleich-
her immer wieder mal zu Lieferengpäs-         wohl manövrieren uns die Erfolge in der
sen bestimmter Medikamente. Gleich-           Pharmakotherapie immer mehr in ein
wohl entsteht heute in den Medien der         Dilemma. Grössere Erfolge generieren
Eindruck, dass sich Meldungen über            grössere Kosten, die irgendwann eine
fehlende Medikamente häufen. Das hat          Grenze überschreiten, die die Kassen
auch damit zu tun, dass immer mehr            nicht mehr zahlen können oder wollen.
Medikamente in Ländern hergestellt            Dann beginnt die Frage der Verteilungs-
werden die keinen «Erstwelt-Status»           gerechtigkeit: Wer bekommt teure, und
haben. Das betrifft zum Beispiel Anti-        womöglich beschränkt lieferbare Medi-
biotika, die kaum mehr in der Schweiz         kamente? Und wer entscheidet das?
hergestellt werden. Die Schweiz und           Darauf haben wir noch keine Antwort.
andere europäische Länder sind ent-
sprechend bezüglich der Versorgungs-          Die Fragen stellte Bernhard Stricker
                                              Redaktor DEFACTO
sicherheit zunehmend von Drittländern
abhängig.

Was müsste man machen, um eine
höhere Medikamenten-Sicherheit zu                 Prof. Dr. med. Michael Bodmer ist
erreichen?                                        Chefarzt Medizinische Klinik im
Wir müssten eine nachhaltigere Bestan-           ­K antonsspital Zug.
deskontrolle einführen, damit wir eine
                                                 Ausserdem: MSc. Chemie ETH
bessere Arzneimittel-Versorgungssi-
                                                 Zürich, Klin. Pharmakologie und All-
cherheit etablieren und garantieren kön-
                                                 gemeine Innere Medizin FMH und
nen. Das ist aber primär ein politisches         SGNOR Klinische Notfallmedizin
Problem, auch weil unser Pharma-Markt
nach wie vor sehr marktwirtschaftlich
orientiert und organisiert ist. Das heisst:
Es werden primär Gelder in die Medika-
mentenentwicklung investiert, die auch
einen Gewinn versprechen.

Welches ist Ihre Ansicht über die
Anwendung von besonders teuren
und limitierten Medikamenten? (Bei-
spiel Novartis, Verlosung des Medika-
mentes Zolgensma)
Diese Therapie ist eine absolute Inno-
vation – zugunsten von schwerkranken
Kindern. Ich finde es schwierig, die-
ses Vorgehen, die Verlosung von Zol-
gensma von aussen abzuschätzen und
will es hier auch nicht kommentieren.
Die Verlosung ist keine schlechte Vari-

DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Fokus – Schwerpunktthema                                                              16

Medikamentenabfälle
in Millionenhöhe
Jedes Jahr werden tonnenweise ungebrauchte
Medikamente in den Abfall geworfen.

Doch niemand kennt die genauen Zah-          ist häufig bei schleichenden Krank-
len, wie hoch der jährliche Medikamen-       heiten wie Bluthochdruck, Diabetes
tenabfall in der Schweiz ist. Weder das      oder Nierenleiden der Fall, weil die
Bundesamt für Umwelt (BAFU), das             Folgen der Krankheiten erst in einem
Bundesamt für Statistik (BFS) noch der       sehr späten Stadium zu spüren sind –
Apothekerverband (pharmaSuisse) oder         nämlich dann, wenn bereits irrepara-
Interpharma (Verband der pharmazeu-          ble Schäden eingetreten sind.
tischen Industrie) können auf Anfrage
von DEFACTO genaue Zahlen nennen.            Konkret: In der Schweiz gibt es 2,2
                                             Millionen chronisch kranke Men-
Gleichwohl gibt es Schätzungen.              schen. Diese verursachen 80 Prozent
                                             der Kosten der OKP (obligatorische
• Das BAFU schätzt, dass in der Schweiz      Krankenpflegeversicherung). Rund
  bis zu einem Drittel der abgegebenen       die Hälfte (1,2 Mio.) nimmt die Medi-
  Medikamente ungebraucht fortge-            kamente so ein, wie es die Therapie
  worfen werden. Immerhin kann das           vorsieht, rund 1 Mio. dagegen nicht.
  BAFU bei Medikamenten, die in der          Diese nicht therapietreuen chronisch
  Kategorie « Sonderabfälle» gesammelt       kranken Menschen verursachen vier
  werden, eine Zahl nennen. Danach           Mal mehr Kosten, als Menschen, die
  waren es im Jahr 2018 5‘685 Tonnen         ihre Therapie einhalten.
  «Altmedikamente und feste pharma-
  zeutische Abfälle». In dieser Zahl nicht   Bernhard Stricker
                                             Redaktor DEFACTO
  enthalten sind Medikamente, die über
  den normalen Hauskehricht entsorgt
  werden.

• Und pharmaSuisse geht davon aus,
  dass jährlich in der Schweiz Medika-
  mente im Wert von ca. 500 Millionen
  CHF im Abfall landen.

  Ein Grund dafür ist die sog. «Therapie­
  untreue», die gemäss pharmaSuisse
  in der Schweiz jährlich 30 Milliarden
  Franken kostet. Damit sind jene Medi-
  kamente gemeint, die einem Patien­
  ten verschrieben oder zugestellt wer-
  den, die dieser aber aus verschiedenen
  Gründen nicht nimmt. Zum Beispiel
  aus Angst vor Nebenwirkungen oder
  weil der Patient nicht glaubt, dass er
  das Präparat wirklich braucht. Dies

                                                                                     DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Medizin – Wissenswertes aus der Medizin                                                                            17

Von Interaktionen und
Medikationssoftwares
Im Rahmen unseres Schwerpunktthemas Medikamente sollte auch das Thema
Medikamenteninteraktionen aufgefrischt werden. Es gibt bei der Verschreibung
von Medikamenten mehrere Umstände in Bezug auf Interaktionen zu berücksichti-
gen: Welche Medikamente nimmt der Patient bereits ein? An welchen Krankheiten
leidet er? Welche nicht verschreibungspflichtige Medikamente nimmt er ein? Und
wie werden die Medikamente eingenommen oder gibt es spezielle Einnahmeanwei-
sungen? Und zuletzt: Mit welchen Lebensmitteln sollte man vorsichtig sein? Grob
zusammengefasst gibt es Interaktionen auf verschiedenen Ebenen:

Pharmakokinetik: Resorption, Verteilung,                          Pharmakodynamik: Wechselwirkung mit
Metabolisierung und Elimination                                   Rezeptoren, Wirkung auf den Körper
Die Pharmakokinetik beginnt bereits bei der Medikations-          Medikamente können reversibel oder irreversibel an Rezep-
form: oral oder parenteral (i.v., i.m., s.c., i.o., Inhalation,   toren binden, wobei sie unabhängig davon erwünschte
über Schleim-/Haut). In welcher Form ist das Medikament?          (oder unerwünschte) Wirkungen auslösen. Abhängig davon
Prodrug, aktive Metaboliten? Manche Medikamente unter-            gibt es noch die Heilung und das Placebo, welche den Effekt
liegen dem First-Passeffekt (sog. hepatische Elimination),        des Pharmakons mitbeinflussen können.
welche die Resorption beeinflusst. Aber auch die Bindung
an Plasmaproteine und Verteilung im Körper muss berück-           Mit diesem Hintergrund lassen sich die Interaktionen von
sichtigt werden. Welche Metabolisierung erfolgt durch             Medikamenten besser verstehen und reduzieren.
den Körper? Diese ist sehr abhängig von Alter, Genetik
und Enzymaktivitäten, wobei diese häufig die Ursache              Nicht zu vergessen ist, dass andere Medikamente die Wir-
von Interaktionen von Arzneimitteln und Umweltstoffen             kung verstärken oder vermindern können. Es soll aber das
(z. B. Alkohol) sind.                                             Augenmerk auf Medikamente gelegt werden, die…

Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich über die Leber und         • eine enge therapeutische Breite oder
die Nieren, somit ist die Funktion dieser beiden Organe             starke Proteinbindung haben
individuell bei jedem Patienten zu beurteilen und in der          • Veränderung des Leber- oder
Pharmako­therapie zu berücksichtigen.                               Nierenstoffwechsels verursachen
                                                                  • Für verschiedene Erkrankungen verwendet werden

                                                                  Eine Auflistung aller Interaktionen ist aus Platzgründen nicht
                                                                  möglich, aber hier einige Beispiele. (Die Tabelle ist weder
                                                                  vollständig noch konnten alle Interaktionen des jeweiligen
                                                                  Pharmakons aufgelistet werden).

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DEFACTO | Medizin – Wissenswertes aus der Medizin                                                                 18

 Betablocker:                          bei Asthmatiker mit Vorsicht einsetzen

 ZNS-dämpfende Medikamente:            Alkohol potenziert die Wirkung!

 Orale Antikoagulantien:               • erhöhte Wirkung durch Allopurinol, Amiodaron, Simvastatin,
                                         NSAR, Carbimazol, Schilddrüsenhormone
                                       • Weniger Wirkung durch Barbiturate, Kortikoide, Rifampicin,
                                         Diuretika, Vitamin K
                                       • Chron. Alkoholkonsum: gerinnungshemmende Wirkung erniedrigt,
                                         bei Leberinsuffizienz erhöht
                                       • Frisches Gemüse (Spinat, Broccoli, Kohl) enthält Vit. K und hemmt
                                         die Wirkung

 Levothyroxin:                         Einnahme 2 h vor anderen Medikamenten insbesondere Antazida und eisenhal-
                                       tige Pharmaka, welche die Resorption hemmen. Ansonsten diverse Interaktio-
                                       nen mit z.B. Lithium, Jodid, Amiodaron, Propanolol und oralen Kontrazeptiva.

 Fluconazol:                           CYP3A4-Induktoren senken den Spiegel. Mit Antikoagulantien vermehrte Blu-
                                       tungen und mit Sulfonylharnstoffen vermehrte Hypoglykämien.

 Antibiotika:

 Aminoglykoside:                       Oto- und Nephrotoxizität, nicht mit Amphotericin (ototoxisch) oder
                                       Schleifendiuretika (nephrotoxisch) kombinieren.

 Tetracylcine/Chinolone:               Chelatbildung mit Ca2+, Mg2+, Fe2+, Al und somit nicht mit Milch oder
                                       Antazida einnehmen.

 Nitroimidazol (z. B. Metronidazol):   Führt zu Alkoholintoleranz (Antabus-ähnliche Wirkung)

 Cotrimoxazol:                         Digoxinspiegel erhöhend, verstärkte Wirkung von Methotrexat,
                                       Hemmung von oraler Kontrazeptiva

 Zolpidem:                             Mit Opiaten kombiniert vermehrte Euphorie und Abhängigkeit. Alkohol und
                                       weitere zentral-wirkende Medikamente: verstärkte ZNS-Dämpfung

 Diclofenac:                           Lithium- und Digoxinspiegelerhöhung, Diuretika-Wirksamkeit senkend, vermin-
                                       derte Wirkung von Antihypertensiva, erhöhte Nephrotoxizität bei Aminoglyko-
                                       siden und Cyclosporin, erhöhtes Blutungsrisiko bei OAK, gastrointestinale NW
                                       bei Steroiden, erhöhte Toxizität von MTX

 Koffein:                              Wirkung reduziert durch Rauchen

 ACE-Hemmer:                           zusammen mit Aldactone kann eine Hyperkaliämie auftreten

 Amiodaron:                            Zusammen mit Laxantien, Diuretika und Gluko-/Minerolkortikoide kommt es
                                       zu Hypokaliämien. Amiodaron erhöht den Spiegel oralen Antikoagulantien,
                                       Digoxin, Phenytoin, Cyclosporin. Allgemein: QT-Zeit-Verlängerung und Schild-
                                       drüsenfunktionsstörung.

 Grapefruitsaft:                       Erhöhte Konzentration von Statinen, Antiarrhythmika, Immunsuppressiva
                                       und Kalziumkanalblocker

                                                                                                       DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Medizin – Wissenswertes aus der Medizin                                                19

Medikamenteninteraktionscheck:
Einen Überblick über diese diversen
Interaktionen ist im Alltag meist nicht
möglich. Es sollte jedoch in regelmässi-
gen Abständen die Medikamentenliste
der Patienten überprüft und angepasst
werden, auch der Einbezug von nicht
verschreibungspflichtigen Präparaten
sollte nicht vergessen werden. In vie-
len Praxen ist bereits heute ein Inter-
aktionscheck in der Praxissoftware
hinterlegt (z. B. Documedis), ansons-
ten gibt es noch weitere Online-Tools,
die hilfreich sind – meist jedoch nicht
kostenfrei.

•   compendium.ch
•   mediQ.ch (kostenpflichtig)
•   Medscape (englisch)
•   Uptodate (englisch, kostenpflichtig)
•   www.hiv-druginteractions.org/
•   epha.ch (kostenlos)
•   drugs.com (englisch, kostenlos)

Dr. med. Corina Omlin

Quellenangabe:
https://www.rosenfluh.ch/media/arsmedici/2007/20/Grapefruit-Medikamenten-Wechselwirkungen.pdf
Pharmakologie: 1. Auflage April 2009, Bernd Özdemir
https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/69621/1/2011_Interactions_Medical_Tribune_Russmann_Kopie.pdf

DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Medizin – Wissenswertes aus der Medizin                                                                         20

eMediplan – Der Schweizer Medikationsplan
Der eMediplan fasst die gesamte, aktuelle Medikation eines Patienten übersichtlich zusammen.
Das nützt allen: Patienten, Angehörigen und Gesundheitsfachpersonen.

Der «eMediplan» orientiert sich an den Bedürfnissen der Patienten und Gesundheitsfachpersonen.
Er enthält viele wichtige Informationen für den Patienten:

3) Der Standard «eMediplan» 
                                                                                                        Daten können mit
                                                                                                      Scanner automatisch
                                                                                                       eingelesen werden

       Kann medizinische
        Daten enthalten
                                            Patientengerecht gestaltet
                                                                                                       Verordnender Arzt ist
                                                                                                            hinterlegt

                                          Definiert durch die breite
                                                 abgestützte
                                          «Interessengemeinschaft
                                                 eMediplan»
                                            www.emediplan.ch
                                                                                                             Format als
                                                                                                           schweizweiter
                                                                                                        Standard anerkannt
                                                                                                       (eHealthSuisse 2019)

3      19.12.2019
Die eMediplan-App für das Smartphone
Mit der eMediplan-App haben Patienten ihren Medikamentenplan stets dabei.
Die App stellt die Medikamente übersichtlich dar, erinnert an die Einnahme und hilft, den Vorrat zu verwalten.
8) Live-Demo "eMediplan-App"

1. Installieren            2. eMediplan scannen    | 3. eMediplan speichern | 4. Einnahmeschema   | 5. Plan als QR-Code

iOS:

Android:

4      19.12.2019
Scannen Sie den QR-Code (je nach Betriebssystem) ein und installieren Sie die «eMediplan»-App auf Ihrem Smartphone.

                                                                                                             DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Argomed – Interessantes aus der Argomed                                                                             21

Ihre Diabetes-Konsultationen
im Überblick
Das «Diabetes-Cockpit» entlastet und verschafft Überblick. Seit knapp drei Mona-
ten steht das praktische Hilfsmittel «Diabetes-Cockpit» nun allen Mitgliedern der
Argomed zur Verfügung. Wer bereits damit arbeitet weiss, dass die Betreuung
der Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 nach der SGED-Leitlinie dadurch um ein
Vielfaches vereinfacht wird.

Mit einer Pilotgruppe von rund 30 Argo-   Das «Diabetes-Cockpit» von Argomed
med-Praxen haben wir die Software auf     unterstützt direkt in der Konsultation,    Interessiert? Das «Diabetes-Cockpit»
Herz und Niere getestet und durch die     zeigt, wo der einzelne Patient steht,      steht unter www.my.argomed >
erhaltenen Rückmeldungen den Funkti-      was gemäss Leitlinie zu erledigen ist      Themen > Chronic Care M    ­ anagement
onsumfang geschärft. Stand heute bie-     und verschafft einen Überblick über das    für Sie bereit – inklusive kurzen
                                                                                    ­Schulungsvideos.
tet das «Diabetes-Cockpit»:               ganzen Patientenkollektiv.

• Einmalige Datenerfassung der            Nutzen auch Sie das «Diabetes-Cock-
  ­Patientinnen und Patienten, nicht      pit» und seien Sie gespannt – bereits
   auf ein einzelnes Kalenderjahr         Mitte 2020 steht eine Lösung zur Ver-
   beschränkt.                            meidung der doppelten Stammdatener-
• Während der Konsultation beim Arzt/     fassung bereit.
   bei der Ärztin oder der MPA/MPK
   einsetzbar: Darstellung der noch       Lukas Wenger
                                          Argomed, Leiter eHealth
   benötigten Werte oder Datenerfas-
   sung zur jeweiligen Konsultation.      Nina Grütter
• Anonymisierter Datenexport für          Argomed, Datenanalystin
   Argomed

DEFACTO 1/2020
DEFACTO | Argomed – Interessantes aus der Argomed                                                                                 22

HepCare hilft Hausärzten,
Hepatitis C zu heilen
Das Projekt HepCare wurde in der Schweiz gegründet mit dem Ziel,
die Hepatitis C auszurotten. Ein zentraler Pfeiler des Projekts in der
Schweiz ist die Einbindung der Grundversorger.

                                             • Die Hepatitis C ist unterdiagnos­          • Die Symptome der Hepatitis C sind
                                               tiziert: Gründe sind unter anderem           sehr vielfältig. Betroffene zeigen nach
                                               Infektionen durch Blutkonserven              der Heilung in vielen Bereichen eine
                                               zeitlich vor der diagnostischen Prü-         verbesserte Gesundheit.
                                               fungsmöglichkeit von mit Hepatitis
                                               C verseuchten Blutprodukten sowie          Das Ziel, Hepatitis C in der Schweiz aus-
                                               Infektionen durch Mehrfachimpfun-          zurotten, ist umso dringlicher, als heute
                                               gen von ganzen Dörfern mit der glei-       in der Schweiz fünfmal mehr Menschen
                                               chen Kanüle, zum Beispiel in Italien so    an Hepatitis C als an der HIV-Infektion
                                               geschehen. Dazu kommen die klassi-         sterben.
                                               schen Suchtpatienten, welche ärztlich
                                               nicht optimal betreut sind.                Bereits während des Qualitätszirkels
Dr. med. Urs Hürlimann                                                                    dachte ich an meinen Patienten A.K.,
                                             • Die Hepatitis C ist heilbar gewor­         der Hepatitis-C-positiv ist, der die neuen
                                               den: Seit wenigen Jahren ist die           Medikamente kannte und der mich auch
Die folgenden medizinischen Fakten zu          Hepatitis C durch die direkt auf den       schon darauf angesprochen hatte. Also
Hepatitis C stammen von PD Dr. med.            Lebenszyklus des Hepatitis-C-Virus         fragte ich ihn bei der nächsten Kon-
Philip Bruggmann und Bettina ­Maeschli,        einwirkenden (Direct-Acting Antiviral      sultation, ob er die Therapie machen
die uns in unserem Qualitätszirkel             Agents (DAAs)) Medikamente heilbar.        wolle. Er willigte ein. Wir vereinbarten
Ennetsee in Cham besuchten. PD Dr.             In der Schweiz zugelassen sind Mavi-       die initiale Blutentnahme und began-
med. Bruggmann hat Einsitz in die Steu-        ret ® (Glecaprevir und ­  P ibrentasvir)   nen den von HepCare vorgesehenen
ergruppe von HepCare und ist Chefarzt          und Epclusa      ®
                                                                   ( Sofosbuvir und
                                                                   ­                      Prozess sprich das Aktenkonsil beim
Innere Medizin bei Arud Zentrum für            ­Velpatasvir). Die Therapie dauert acht    Spezialisten und die Ausstellung des
Suchtmedizin in Zürich, einer Non-Pro-          bis zwölf Wochen mit der täglichen        Rezepts. Ich nahm nach zwei Wochen
fit-Organisation für die multidisziplinäre      Einnahme dreier (Maviret ®) Tabletten     und nach Abschluss der Behandlung
Therapie von Suchtkranken. Bettina              oder einer (Epclusa ®) Tablette. Die      (acht Wochen) das empfohlene Ver-
Maeschli ist die Geschäftsführerin des         Behandlung ist zwar immer noch sehr        laufslabor ab. Der Patient hatte keinerlei
Vereins Hepatitis Schweiz und leitet des-      teuer, die Preise sind jedoch in den       Nebenwirkungen. Das Hepatitis-C-Virus
sen Projekt HepCare.                           letzten ein bis zwei Jahren deutlich       RNA war nach der Behandlung nicht
                                               gesunken. Die Kosten pro Behand-           mehr nachweisbar, Herr A.K. war geheilt.
                                               lung belaufen sich aktuell auf ca.
                                               CHF 30'000. Nebenwirkungen treten          Die oben genannten Medikamente
                                               im placeboähnlichen Bereich auf, die       fliessen nicht in die Rechnungsstel-
                                               Behandlung ist gut verträglich und         ler-Statistik von santésuisse, also keine
                                               sicher. Ein erkrankter Hepatitis-C-Pa-     Hausärztin/kein Hausarzt, die/der eine
                                               tient mit Entwicklung einer Zirrhose       solche Therapie durchführt, erscheint
                                               oder eines hepatozellulären Karzi-         über diese hohen Beträge gegenüber
                                               noms dürfte dann auch bald wesent-         den Krankenversicherer als Kostenverur-
                                               lich teurer kommen.                        sacher! Die Therapiekosten erscheinen
                                                                                          in der Statistik der Spezialisten.

                                                                                          Dr. med. Urs Hürlimann
                                                                                          Argomed, Mitglied Geschäftsleitung

                                                                                                                       DEFACTO 1/2020
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