MENSCHEN RECHTS BERICHT - PHILIPPINEN aktionsbündnis menschenrechte philippinen - Aktionsbündnis Menschenrechte ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
2 | Vorwort ÜBER DAS AKTIONSBÜNDNIS MENSCHENRECHTE – PHILIPPINEN Das Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen (AMP) wirkt durch Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit auf politische Entschei- der/innen und Multiplikator/innen in Deutschland und der EU mit dem Ziel ein, zu einer Verbesserung der Menschenrechts- situation in den Philippinen beizutragen. Trägerorganisationen des Bündnisses sind Amnesty International, Brot für die Welt, das International Peace Observers Network (IPON), MISEREOR, Missio-München, das philippinenbüro e. V. im Asienhaus und die Vereinte Evangelische Mission (VEM). Thematische Schwer- punkte der Arbeit sind extralegale Hinrichtungen, Verschwin- denlassen und konstruierte Anklagen gegen politische Aktivist/ innen. Eine indigene Familie isst bei Kerzenlicht zu Abend IMPRESSUM © 2017, Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen, Köln Redaktion: Johannes Icking Texte: Johannes Icking, Robert Fahrenhorst Lektorat: SocioTrans, Marburg Gestaltung und Layout: Unikat, Wuppertal Druck: Die Umweltdruckerei Fotos: Lilli Breininger (S. 2, 4, 6, 7 o.), Jes Aznar (S. 7 u., 18) Privat (S. 11, 12, 16, 24, 31), Philippine-Misereor Partnership Inc (S. 14) United Church of Christ in the Philippines (S. 20, 27) Rolivel Elusfa (S. 22), International Peace Observers Network – IPON (S. 23, 30) Johannes Icking (S. 21, 28), Solidagro (S. 29)
|3 INHALTSVERZEICHNIS VORWORT – QUO VADIS PHILIPPINEN?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 ZUSAMMENFASSUNG – WAS WILL DIESER BERICHT?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 MANGELHAFTE UMSETZUNG WICHTIGER STAATENEMPFEHLUNGEN AUS DEM UPR 2012 . . . . . . . . . . . . . . 8 ERMORDUNG VON MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER/INNEN UND JOURNALIST/INNEN. . . . . . . . . . . . . . 10 Ermordung von Landrechtsverteidiger/innen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Ermordung von linken Aktivist/innen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Ermordung von Journalist/innen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Mutmaßliche Täter/innen und Drahtzieher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Fall: Ermordung von Romeo Capalla. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 KRIMINALISIERUNG VON MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER/INNEN UND JOURNALIST/INNEN . . . . . . . . 13 Verleumdungsklagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Fall: Verleumdungsklage gegen Mitarbeiter/innen der Philippine-Misereor Partnership Inc (PMPI). . . . . . . . . 14 Konstruierte Anklagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Fall: Konstruierte Anklage gegen Amelita Bravante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 KAMPF GEGEN DIE DROGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Extralegale Hinrichtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Wiedereinführung der Todesstrafe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Fall: Ermordung von Renato und Jaypee Bertes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 STRAFLOSIGKEIT. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Mangelhafte juristische Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Unwirksame Menschenrechtsmechanismen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Fall: Fehlende Aufarbeitung des Maguindanao Massakers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 AUFSTANDSBEKÄMPFUNG UND PARAMILITÄRISCHE GRUPPEN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Menschenrechtsverletzungen im Kontext von Aufstandsbekämpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Fall: Ermordung von Fidela Salvador . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Paramilitärische Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Fall: New Indigenous People’s Army Reformv22. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 RECHTE INDIGENER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Attacken auf indigene Gemeinschaften im Kontext der Aufstandsbekämpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Fall: Ermordung von Emerito Samarca, Dionel Campos und Bello Sinzo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Menschenrechtsverletzungen an indigenen Bergbaugegnern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Fall: Ermordung von Juvy Capion und ihrer Kinder Jordan und John. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 EMPFEHLUNGEN AN DIE PHILIPPINISCHE REGIERUNG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 EMPFEHLUNGEN AN ANDERE INTERNATIONALE AKTEURE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 LISTE GETÖTETER MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER/INNEN UND JOURNALIST/INNEN . . . . . . . . . . . . . . . 34
4 | Vorwort QUO VADIS PHILIPPINEN? Die Arbeit des Aktionsbündnisses ist darauf ausgerich- tet, schwere Menschenrechtsverletzungen an Mitglie- dern von Kirchen und Nicht-Regierungsorganisationen international bekannt zu machen, und dadurch mit dazu beizutragen, dass die philippinische Regierung wirkungsvolle Maßnahmen ergreift, um politische Morde und andere Formen von Menschenrechtsver- letzungen sowie Straflosigkeit zu beenden. Das AMP dokumentiert Menschenrechtsverletzungen und steht dabei in engem Kontakt mit philippinischen Partner- organisationen. Auf dieser Basis informiert das AMP die Öffentlichkeit über die Lage in den Philippinen und sucht den konstruktiv-kritischen Dialog mit politischen Entscheidungsträgern und Institutionen der Bundes- regierung, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen. Seit seinem Bestehen verfolgt und begleitet das Netz- werk auch intensiv die Berichterstattung der Philippi- Das „Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen“ nen gegenüber dem Menschenrechtsrat der Vereinten (AMP) wurde 2007 gegründet, nachdem die Zahl der Nationen im Rahmen der Universal Periodic Reviews politischen Morde in den Philippinen während der (UPR), welche zum ersten Mal im Jahr 2008 stattfand. Amtszeit von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyos Kurz vor der ersten Überprüfung hatte der damalige landesweit stark angestiegen war. Betroffen waren da- Sonderberichterstatter zu extralegalen, summarischen von auch viele Mitarbeitende aus Partnerorganisationen und willkürlichen Hinrichtungen, Philip Alston, die der Mitglieder des Netzwerkes. Philippinen besucht und einen aufsehenerregenden Bericht verfasst, in dem die Beteiligung von Militär und Polizei an Menschenrechtverletzungen zum ersten Mal durch ein Instrument des internationalen Men- schenrechtsschutzes explizit benannt wurde. Dieser Bericht wie auch die Stimmen der philippinischen und internationalen Zivilgesellschaft wurden dann auch im ersten UPR 2008 aufgegriffen, als die Zahl politischer Morde ihren Höhepunkt erreicht hatte.
|5 Auf die internationale Kritik reagierte die philippini- Mit Beginn der Amtszeit des neuen Präsidenten sche Regierung mit einer Anzahl von strukturellen und Rodrigo Duterte im Juni 2016 und dessen Aufruf, legislativen Reformen, u.a. durch die Verabschiedung gewaltsam gegen Drogenhändler und Konsumenten eines Gesetzes gegen Folter oder die Einrichtung von vorzugehen, kam es in wenigen Wochen zu mehreren Menschenrechtsbüros bei Militär und Polizei. Zwar tausend außergerichtlichen Morden an vermeintlichen ging die Anzahl politischer Morde unter der Präsident- Kriminellen. Grundlegende rechtsstaatliche Standards schaft Benigno Aquinos daraufhin zunächst in der Tat wie die Unschuldsvermutung und das Recht auf einen zurück. Demgegenüber kam es aber zu neuen Fällen Prozess wurden damit de facto außer Kraft gesetzt. von politisch motivierten Anklagen, sogenannten Gleichzeitig äußerte sich Duterte mehrfach abwertend ‚trumped-up charges‘, durch die politische Aktivisten über internationale und von den Philippinen aner- und Angehörige von zivilgesellschaftlichen Gruppen kannte menschenrechtliche Standards und rechts- kriminalisiert wurden und in der Folge für Jahre in staatliche Prozesse und drohte mit einem Austritt der Gefängnissen verschwanden. Philippinen aus den Vereinten Nationen. Auch änderte sich an der fast absoluten Straflosigkeit Diese besorgniserregende Situation macht deutlich, für schwerste Menschenrechtsverletzungen bis heute wie schwierig, aber auch nach vor wichtig die Do- wenig. In den letzten Jahrzehnten wurde nur eine kumentation von Menschenrechtsverletzungen und Handvoll der Verantwortlichen für tausende politische der Dialog über Maßnahmen zum Schutz der bür- Morde und Fälle von Verschwindenlassen vor Gericht gerlich-politischen, wie auch der wirtschaftlichen, gestellt und bestraft. sozialen und kulturellen Rechte der Menschen in den Philippinen sind. Am Ende der zweiten Berichtsperiode 2012 waren da- her zwar einige wenige Fortschritte, aber vor allem viel Anlässlich dieses dritten UPRs der Philippinen durch Stillstand und sogar Rückschritte zu verzeichnen. Dies den UN-Menschenrechtsrat wird in der vorliegenden gilt im Wesentlichen auch für die Folgejahre bis heute, Publikation deshalb ein Rückblick auf die Entwicklung kurz vor dem dritten UPR. Die Zahl politischer Morde der Menschenrechtssituation in den letzten vier Jahren ist dabei ähnlich hoch wie 2012. Für das Aktionsbünd- geworfen. Dabei wird deutlich, dass wichtige Empfeh- nis Menschenrechte – Philippinen und seine Partner lungen, die 2012 an die Philippinen gerichtet wurden, ist es sehr enttäuschend, dass die bisherigen Ansätze nur mangelhaft oder auch gar nicht umgesetzt wurden. politischer Reformen so gut wie keine nachhaltige Wirkung entfaltet haben. Für den Trägerkreis des Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen: Denn es zeigt sich, dass Menschenrechtsverletzungen in tieferliegenden strukturellen Defiziten in Polizei, Jochen Motte Militär und Justiz sowie staatlichem Versagen begrün- Vereinte Evangelische Mission det sind und dabei wirtschaftliche Interessenkonflikte ursächlich mit schweren Menschenrechtsverletzungen Elmar Noé zusammenhängen. MISEREOR
6 | Zusammenfassung ZUSAMMENFASSUNG Weiterhin werden auch die Mitglieder von Gruppen, die das Militär für Tarnorganisationen der kommunis- tischen Rebellen der New People’s Army (NPA) erklärt, besonders häufig Opfer von Morden. In einer Mehrheit der Fälle werden Mitglieder staatlicher Sicherheits- kräfte und mit diesen kooperierende paramilitärische Verbände für die Morde verantwortlich gemacht. Wenig internationale Aufmerksamkeit erfuhr bisher die systematische Kriminalisierung von Menschen- rechtsverteidiger/innen und Journalist/innen in den Philippinen. Als Reaktion auf kritische Berichterstat- tung werden sie häufig der Verleumdung angeklagt, ei- nes Verbrechens, das mit langen Haftstrafen geahndet wird. Noch weiter verschlechtert hat sich die Situation durch die Verabschiedung des Cybercrime Prevention Act von 2012, der bis zu 12 Jahre Haft für online ver- breitete „verunglimpfende“ Aussagen vorsieht. Hinzu Indigene hören Mit Blick auf das dritte Universelle Periodische Über- kommen konstruierte Anklagen mithilfe gefälschter sich die Wahl- prüfungsverfahren (Universal Periodic Review – UPR) Beweise, die vor allem vom Militär gegen Menschen- kampfrede ihres der Philippinen durch den UN Menschenrechtsrat rechtsverteidiger/innen angestrengt werden. Die An- Dorfvorstehers an im Mai 2017 liefert dieser Bericht eine Bestandsauf klagen führen dazu, dass unschuldige Aktivist/innen nahme der aktuellen Menschenrechtssituation im Land. zum Teil jahrelang in Untersuchungshaft verbleiben. Ausgangspunkt dafür sind wichtige Empfehlungen, die den Philippinen im Zuge des letzten UPR Verfahrens im Mit der Wahl von Rodrigo Duterte zum Präsidenten Jahr 2012 von anderen Staaten gemacht wurden. Dabei der Philippinen im Mai 2016 nahm die Zahl der lässt sich konstatieren, dass seitdem kaum Fortschritte Tötungen mutmaßlicher Drogenhändler/innen- und gemacht wurden und sich die Situation in einigen Berei- -abhängiger schlagartig massiv zu. Für die ersten sechs chen sogar massiv verschlechterte. Monate nach der Wahl wurden 5.800 solcher Tötungen dokumentiert. Duterte hatte im Wahlkampf immer So wurden zwischen Mai 2012 und September 2016 wieder gegen Menschenrechte polemisiert und ankün- mindestens 147 Menschenrechtsverteidiger/innen digt, bei der Verbrechensbekämpfung auf extralegale und 23 Journalist/innen ermordet. Damit sind die Hinrichtungen zurückgreifen zu wollen. Während sei- Philippinen für diese Gruppen nach wie vor eines der ner 22-jährigen Amtszeit als Bürgermeister von D avao gefährlichsten Länder der Welt. Besonders bedroht City hatte das sogenannte Davao Death Squad nach sind Landrechtsverteidiger/innen, die sich z.B. für die Angaben von Menschenrechtsorganisationen mehr als Umverteilung von Agrarland einsetzen oder gegen 1.400 Kleinkriminelle und Straßenkinder ermordet. Bergbauprojekte kämpfen, die in den Philippinen oft mit massiven Umweltverschmutzungen einhergehen. Weil solche Projekte besonders oft die Ahnengebie- te von Indigenen bedrohen, finden sich unter den Ermordeten besonders viele Angehörige der über 100 indigenen Bevölkerungsgruppen.
|7 Schwere Menschenrechtsverletzungen bleiben in den Zudem häuften sich Berichte über Menschenrechtsver- Philippinen auch weiterhin fast immer unbestraft. Laut letzungen, die an Mitgliedern der indigenen Gemein- Angaben der philippinischen Regierung kam es in den schaften der Philippinen und insbesondere an den letzten Jahren nur in acht Fällen extralegaler Hinrich- Lumads auf der Insel Mindanao im Süden der Philippi- tungen und in zwölf Fällen von Journalistenmorden nen begangen wurden. Indigene Lumads geraten dabei zu Verurteilungen von Tätern. Dem stehen Tausen- vor allem zwischen die Fronten des innerstaatlichen de straflos gebliebener Fälle von schwersten Men- Konflikts zwischen philippinischer Regierung und dem schrechtsverletzungen wie Folter, Verschwindenlassen Aufstand der kommunistischen New People‘s Army und extralegalen Hinrichtungen aus den letzten Jahr- (NPA). Unabhängige Indigenenschulen werden syste- zehnten gegenüber. Die Straflosigkeit liegt in einem matisch von Militär und Paramilitärs verdächtigt, als dysfunktionalen Justizsystem und einem fehlenden Ausbildungslager der NPA zu dienen, und aus diesem politischen Willen begründet, insbesondere die Täter/ Grund angegriffen. Bergbauvorhaben und Großplan- innen aus den Reihen der staatlichen Sicherheitskräfte tagen auf indigenen Gebieten sind ein weiterer Grund zur Verantwortung zu ziehen. Zahlreiche begrüßens- für Vertreibung. Paramilitärische Gruppen können werte Reforminitiativen der letzten Jahre sind hinge- hier ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen unter gen bislang wirkungslos geblieben. dem Deckmantel der Aufstandsbekämpfung ungestört durchsetzen. Viele schwere Menschenrechtsverletzungen ereignen sich in den Philippinen im Kontext der langanhal- tenden innerstaatlichen Konflikte mit der kommu- nistischen New People’s Army (NPA) und den ver- schiedenen bewaffneten Gruppen der muslimischen Unabhängigkeitsbewegung im Süden der Philippinen. Berichtet wird von gewaltsamen Vertreibungen der Zivilbevölkerung, von Folter und von extralegalen Hinrichtungen. Besonders häufig werden die Mitglie- der der Reservistenverbände, so genannte CAFGUs, und irreguläre paramilitärische Einheiten für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. oben: Traditionelle Fischerboote der Indigenen auf Samal Island links: Präsident Rodrigo Duterte
8 | Staatenempfehlungen STAATENEMPFEHLUNGEN AUS DEM UPR 2012 UND DEREN (MANGELHAFTE) UMSETZUNG Menschenrechtsverteidiger/innen und Journalist/innen Effektiven Schutz von Journalist/innen und Mindestens 147 Menschenrechtsverteidiger/innen und Menschenrechtsverteidiger/innen garantieren 23 Journalist/innen wurden zwischen Mai 2012 und Frankreich September 2016 ermordet. Beide Gruppen sind massiv von Kriminalisierung betroffen. Extralegale Hinrichtungen Extralegale Hinrichtungen beenden Nach der Wahl Rodrigo Dutertes zum Präsidenten im Südkorea, Singapur, Heiliger Stuhl, Spanien Jahr 2016 kommt es zu tausenden extralegalen Hin- richtungen von mutmaßlichen Drogenhändlern- und abhängigen. Hinzu kommen mindestens 170 Morde an Menschenrechtsverteidiger/innen und Journalist/innen seit 2012. Straflosigkeit Straflosigkeit für extralegale Hinrichtungen, Straflosigkeit bleibt weiterhin fast absolut. In tausenden Verschwindenlassen und Folter beenden Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen wurden Deutschland, Vereinigte Staaten, Schweden, nur 20 Täter verurteilt. Timor-Leste, Trinidad und Tobago Umfassende Reform des Justizsektors In den meisten Fällen wird gegen Täter/innen keine zur Bekämpfung der Straflosigkeit Anklage erhoben. Kommt es zum Verfahren, dauern Spanien, Südkorea, Niederlande diese meist jahrelang. Der Zeugenschutz ist weiterhin mangelhaft. Ratifizierung der UN-Konvention Die Konvention wurde nicht ratifiziert. Ein nationales gegen das Verschwindenlassen Gesetz gegen das Verschwindenlassen wurde erlassen, Argentinien, Belgien, Brasilien, Chile, Frankreich, das aber nicht konsequent umgesetzt wird. Japan, Irak, Spanien Ausreichende Ausstattung für die nationale Der Commission on Human Rights fehlen die Menschenrechtskommission der Philippinen finanziellen Ressourcen, um ihr Mandat zu erfüllen. Ägypten, Australien, Russland Ihre politische Unabhängigkeit ist nicht garantiert. Einladung für UN-Sonderberichterstatter Seit 2012 haben nur drei Besuche von Sonderberichter- Großbritannien, Lettland, Madagaskar, statter/innen stattgefunden. 16 Mandate versuchen zum Mexiko, Norwegen, Österreich, Portugal, Teil seit Jahren eine Einladung zu erhalten. Slowenien, Uruguay
|9 Aufstandsbekämpfung und paramilitärische Gruppen Umsetzung aller Verpflichtungen in nationales Ein eigenständiges Gesetz zur Umsetzung des Recht, die sich aus der Ratifizierung des Statuts in nationales Recht wurde nicht erlassen. Römischen Statuts des Internationalen Straf Weiterhin finden schwerste Verletzungen gegen das gerichtshofs ergeben humanitäre Kriegsvölkerrecht statt. Belgien, Lettland, Lichtenstein, Schweiz, Slowakei, Slowenien Auflösung aller Privatarmeen Über 100 Privatarmeen und paramilitärische Chile Verbände operieren weiterhin und werden für schwerste Menschenrechtsverletzungen verant wortlich gemacht. Abschaffung der Exekutivorder 546, die die Exekutivorder 546 wurde nicht abgeschafft. Schaffung paramilitärischer Einheiten im Das Militär rekrutiert weiterhin paramilitärische Rahmen der Aufstandsbekämpfung legitimiert Verbände. Niederlande, Spanien Rechte Indigener Vollständige Implementierung des Indigenous Indigene Gemeinschaften sind weiterhin besonders People’s Rights Act; Es soll sichergestellt wer- von Umweltzerstörungen und Vertreibung durch den, dass Bergbauprojekte nicht die Rechte von Bergbauprojekte bedroht. Das Erfordernis, die freie Indigenen verletzen und informierte Zustimmung indigener Gemein- Mexiko schaften für Bergbauprojekte auf ihrem Land ein- zuholen, wird häufig verletzt. Seit Mai 2012 wurden mindestens 26 indigene Bergbaugegner ermordet. Der gleiche Zugang zu sozialen Diensten und Zunehmende Anzahl von Attacken auf unabhängi- staatlichen Gesundheits- und Bildungseinrichtun- ge, indigene Schulen durch Militär und Paramilitärs gen für Minderheiten und Indigene soll sicher verletzen das Recht auf Bildung. gestellt werden Thailand Aufstellung auf Basis der Staatenempfehlugen aus dem UPR der Philippinen vor dem UN- Menschenrechtsrat im Jahr 2012, Report of the Working Group on the Universal Periodic Review, Philippines, 9. Juli 2012, A/HRC/21/12
10 | Ermordung ERMORDUNG VON MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER/INNEN UND JOURNALIST/INNEN Die Philippinen sind immer noch eines der Länder mit über fünf Hektar zugunsten der Landlosen vor. Doch den weltweit meisten Morden an Menschenrechtsvertei- Bauernorganisationen, die auf eine Verbesserung der diger/innen. In den Rankings zu getöteten Umwelt- und Situation und insbesondere auf eine Umverteilung von Landrechtsaktivist/innen und Journalist/innen nimmt Land drängen, sehen sich Drohungen, Repressionen das Land immer wieder traurige Spitzenplätze ein.1 Zwar und Gewalt ausgesetzt. haben die Philippinen während des letzten UPR im Jahr 2012 zugesagt, alle notwendigen Maßnahmen für deren So wurde beispielsweise Menelao „Boy“ Barcia am Schutz zu ergreifen,2 dennoch wurden zwischen Mai Abend des 2. Mai 2014 auf dem Heimweg von zwei 2012 und September 2016 mindestens 147 Menschen- Motorrädern überholt und durch die Scheiben seines rechtsverteidiger/innen getötet. Im selben Zeitraum Autos erschossen. Als Anführer der Bauernrechts- verloren 35 Journalist/innen gewaltsam ihr Leben, wobei gruppe Aniban hatte er zuvor in Hacienda Dolores in 23 Fällen eine Verbindung zu ihrer journalistischen den Widerstand der Kleinbauern und -bäuerinnen Tätigkeit vermutet wird.3 Diese Opferzahlen liegen gegen die Immobiliengesellschaft LLL Holdings Inc. deutlich unter denen der Jahre 2006/7, als unter dem (LLHI) organisiert. Diese will 1,125 Hektar Agrarland Vorwand der Aufstandsbekämpfung vor allem linke in Gewerbegebiete und exklusive Wohnsiedlungen Aktivist/innen systematisch von Militär und Polizei umwandeln.4 ermordet worden waren. Seit dem letzten UPR 2012 hat sich aber keine wesentliche Verbesserung eingestellt. Indigene Menschenrechtsverteidiger/innen, die ihre Von einer effektiven Umsetzung weiterer Schutzmaß- Stammesgebiete vor Landraub schützen wollen, wer- nahmen für Journalist/innen und Menschenrechtsvertei- den ebenfalls häufig Opfer von Gewalt. So waren 57 diger/innen kann daher nicht die Rede sein. der getöteten Aktivist/innen Indigene. Beispielhaft ist hier der Tod von Gilbert Paborada, einem Angehörigen des Volks der Higaonon auf Mindanao. Als Vorsitzen- der der Organisation Pangalasag hatte Paborada den ERMORDUNG VON LANDRECHTS- Widerstand gegen eine Palmölplantage angeführt, die VERTEIDIGER/INNEN auf Stammesgebiete expandieren wollte. Sicherheits- leute der Plantage hatten ihn daraufhin mehrfach be- Die Mehrzahl der ermordeten Menschenrechtsvertei- droht, bis er am 3. Oktober 2012 von zwei unbekannten diger/innen fällt Konflikten um Land zum Opfer, das Attentätern am helllichten Tage erschossen wurde.5 in den dichtbesiedelten Philippinen eine begrenzte Ressource ist. Mehr als die Hälfte der Todesfälle (83) seit 2012 lässt sich auf solche Landrechtskonflikte ERMORDUNG VON zurückzuführen. Ein Erbe der spanischen Kolonialzeit LINKEN AKTIVIST/INNEN ist die extrem ungleiche Verteilung von Agrarland. Weiterhin ist ein Großteil der landwirtschaftlichen Besonders gefährdet sind nach wie vor Menschen- Nutzfläche im Besitz einiger weniger Großgrundbe- rechtsverteidiger/innen, die für Organisationen tätig sitzer/innen. Landlose Kleinbauern und -bäuerinnen sind, denen das Militär eine Verbindung zum kommu- bewirtschaften das Land, müssen aber große Teile der nistischen Aufstand unterstellt. Die gezielte Ermor- Ernte an den Grundherren abführen, sodass vielen nur dung linker Aktivist/innen durch das Militär erreichte das Nötigste zum Überleben bleibt. Auf ihren Planta- ihren Höhepunkt, nachdem die damalige Präsidentin gen und Haciendas üben die Großgrundbesitzer/innen Arroyo 2006 einen „totalen Krieg“ gegen die kom- oft de facto ein Gewaltmonopol aus. Auch besetzen sie munistischen Rebellen der New People’s Army (NPA) und ihre Familien Ämter in der lokalen und nationalen ausrief. In dieser Zeit erstellte das Militär Ziellisten Politik, der Verwaltung und Polizei. Das 1988 einge- (sog. „order of battle“) von linken Aktivist/innen, eine führte Landreformprogramm CARP (Comprehensive Praktik, die der damalige UN-Sonderberichterstatter Agrarian Reform Program), das mehrfach verlängert für extralegale Hinrichtungen Philip Alston während wurde, sieht eigentlich eine Verteilung aller Flächen seines Besuches im Jahre 2007 als Hauptursache für
„Doc“ Gerry Ortega | 11 politische Morde scharf kritisierte.6 Obwohl diese Form MUTMASSLICHE TÄTER/INNEN der systematischen Verfolgung linker Gruppierungen UND DRAHTZIEHER/INNEN durch das Militär abgenommen hat, ist es nach wie vor üblich, die Tötung von Menschenrechtsverteidiger/ In den meisten Fällen werden solche Tötungen von innen mit einer angeblichen Verbindung zur NPA zu Menschenrechtsverteidiger/innen und Journalist/ rechtfertigen. So wurde zum Beispiel William Bugatti, innen von der Justiz allenfalls oberflächlich untersucht. ein Mitglied der Menschenrechtsorganisation Karapa- Die Attentäter/innen werden nur selten verhaftet tan, am 25. März 2014 von unbekannten Attentätern in und noch seltener verurteilt, sodass eine stichhaltige, der Provinz Ifugao erschossen. Vor seiner Ermordung lückenlose Aufarbeitung ihrer Hintergründe und Mo- hatte er wiederholt Morddrohungen erhalten und tive quasi unmöglich ist (siehe Kapitel Straflosigkeit). wurde von der 5. Infanteriedivision der philippinischen Erschwerend kommt hinzu, dass viele Übergriffe von Armee auf einer Zielliste als „UTAK NG NPA“ (Gehirn Auftragskillern verübt werden, während die Drahtzie- der NPA) geführt.7 her/innen unbekannt bleiben. Anhand von Augenzeu- genberichten und den Aussagen von Hinterbliebenen kann dennoch in 91 der 143 dokumentierten Fälle auf ERMORDUNG VON die mutmaßlichen Täter/innen geschlossen werden. In JOURNALIST/INNEN mehr als der Hälfte dieser Fälle (61) werden Mitglieder staatlicher Sicherheitskräfte für die Tötungen verant- Unter den getöteten Journalist/innen finden sich viele, wortlich gemacht, darunter 31, die dem philippinischen die zuvor über Kriminalität berichtet hatten. Mario Sy Militär direkt zugeschrieben werden. In weiteren 12 wurde beispielsweise am 1. August 2013 vor den Augen Fällen wurden die Opfer vor ihrem Tod von staatlichen seiner Frau und Tochter erschossen, nachdem er zuvor Sicherheitskräften observiert, bedroht oder als Kommu- eine Fotoreportage zu illegalem Drogenhandel in Ge- nisten gebrandmarkt. Von den übrigen Fällen können neral Santos veröffentlicht hatte.8 In 16 der 23 Fälle, in 13 mit privaten Sicherheitsunternehmen und Wachleu- denen Journalist/innen seit 2012 aufgrund ihrer Arbeit ten in Verbindung gebracht werden. getötet wurden, waren die Opfer vor ihrem Tod als Radiomoderator/innen tätig. Das liegt auch an der in 1 Global Witness, ‘On Dangerous Ground. 2015’s Deadly Environment: The Killing den Philippinen einzigartigen Praktik des sogenannten and Criminalization of Land and Environmental Defenders Worldwide’, Juni 2016, „blocktimings“. Dabei verkaufen Radiosender Blöcke www.globalwitness.org/en/reports/dangerous-ground/ von Sendezeit an freiberufliche Radiomoderator/innen. 2 Report of the Working Group on the Universal Periodic Review, Philippines, Um ihre Ausgaben wieder einzuspielen, dienen sich 9. Juli 2012, A/HRC/21/12, para 129.35 (Frankreich) diese oft als bezahlte Sprachrohre für Lokalpolitiker/ 3 Center for Media Freedom and Responsibility, ‘Database on the Killing of innen an, in deren Auftrag sie dann politische Rivalen Journalists in the Philippines since 1986’, cmfr-phil.org/mediakillings/ diffamieren. Sie werden somit in die Konflikte zwi- 4 Medical Action Group, ‘Justice for Ka Melon Barcia!‘, 7. Mai 2014, schen lokalen politischen Eliten hineingezogen, die magph.org/news/166-justice-for-ka-melon-barcia oft auch vor der Anwendung von Gewalt nicht zurück- 5 International Federation for Human Rights, ‘The Philippines: Assassination of schrecken.9 Andere Radiomoderator/innen nutzen Mr Gilbert Paborada’, 12. Oktober 2012, www.fidh.org/en/region/asia/philippines/ The-Philippines-assassination-of-12287 ihre Reichweite aber, um auf Umweltverschmutzun- 6 Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, gen, Korruption oder Menschenrechtsverletzungen Philip Alston, Mission to Philippines, 16. April 2008, A/HRC/8/3/Add.2, para 17 aufmerksam zu machen. Der prominenteste Fall ist 7 Interaksyon, ‘Rights worker in military 'target' list slain in Cordillera – Karapatan’, „Doc“ Gerry Ortega, der am 24. Januar 2011 in Palawan 25. März 2014, interaksyon.com/article/83475/rights-worker-in-military-target-list- ermordet wurde, nachdem er zuvor den regierenden slain-in-cordillera---karapatan Gouverneur der Insel, Joel Reyes, der Korruption 8 Committee to Protect Journalists, ‘Mario Sy’, cpj.org/killed/2013/mario-sy.php bezichtigt hatte. Reyes und sein Bruder Mario, der ehe- 9 Center for Media Freedom and Responsibility, ‘Blocktime Practice in the malige Bürgermeister von Coron auf der Insel Palawan Philippines’, cmfr-phil.org/blocktime-practice-in-the-philippines/ stehen seit September 2015 für den Mord an Ortega vor 10 Rappler.com, ‘Reyes brothers arrested in Thailand – DOJ’, 21. September 2015, Gericht.10 www.rappler.com/nation/106596-reyes-brothers-arrested-thailand
12 | Ermordung · Fallbeispiel ERMORDUNG ROMEO CAPALLA Am 15. März 2014 wird Romeo Capalla schließlich vor den Augen seiner 90-jährigen Schwiegermutter auf dem Marktplatz von Oton, Iloilo auf der Insel Panay, von nicht identifizierten Bewaffneten durch mehrere Schüsse ermordet. Wenige Stunden später verüben Unbekannte einen Brandanschlag auf die Zuckerrohr- mühle einer PFTC-Partnerorganisation in der Region. Am 28. Mai wird mit Dionisio Garete ein weiteres Mitglied des PFTC ermordet. Als Täter vermutet werden Mitglieder der paramilitäri- schen Gruppe Revolutionary Proletarian Army – Alex Boncayao Brigade (RPA-ABB). Diese unterzeichnete 2001 ein Friedensabkommen mit der Regierung, wel- Romeo Capalla war in den 1980er Jahren im Wider ches allerdings vorsah, dass sie ihre Waffen behalten stand gegen den damaligen Diktator Ferdinand durften. Seither operieren sie, toleriert von den staat- Marcos aktiv und wurde als politischer Gefangener lichen Sicherheitsorganen, auf den Inseln Panay und inhaftiert. Nach dem Ende der Diktatur gründete er Negros als Söldner und Auftragsmörder für lokale deshalb die Organisation SELDA, die sich für die Frei- Politiker/innen und Großgrundbesitzer/innen. Im lassung politischer Gefangener im Land einsetzt. Spä- Januar 2014 erhielt Dionisio Garete von Mitgliedern ter wurde Capalla Vorsitzender des Panay Fair T rade der RPA-ABB die Warnung, sich nicht mehr im PFTC Centers (PFTC), das Fairtrade-Produkte u. a. nach zu engagieren. Deutschland und Italien exportiert. Das PFTC arbeitet eng mit lokalen Bauern und Bäuerinnen zusammen, Wenige Tage nach dem Attentat auf Capalla identifi- berät diese bei technischen Fragen zu Anbau und ziert die Polizei anhand von Augenzeugenberichten Verarbeitung ihrer Erzeugnisse und gibt die höheren Julie Cabino, ein Mitglied der RPA-ABB, als Haupt- Erlöse für ihre Produkte an sie weiter. verdächtigen. Dieser wird in den Folgemonaten allerdings nicht verhaftet. Im August 2014 stellt die Wegen dieses Engagements verdächtigt das Militär örtliche Staatsanwaltschaft das Verfahren schließlich das PFTC, dem kommunistischen Aufstand anzuge- ganz ein, angeblich, weil die Zeugenaussagen nicht hören. Seit Jahren sehen sich die Mitarbeiter/innen glaubwürdig genug seien. Eine unabhängige Unter- deswegen Repressionen ausgesetzt. So wurde Capalla suchung durch lokale und internationale Fair Trade selbst schon 2005 Opfer einer konstruierten Anklage Organisationen ergibt indes, dass nach Ausstellung wegen Brandstiftung und verbrachte zwei Monate im des Haftbefehls gegen Cabino keine weiteren Ermitt- Gefängnis. Die gegenwärtige PFTC-Präsidentin Ruth lungen mehr stattfanden. Salditos wurde in der Vergangenheit vom Militär als Terroristin denunziert und ist aufgrund gefälschter Beweise des versuchten Mordes angeklagt.
Kriminalisierung | 13 KRIMINALISIERUNG VON MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER/INNEN UND JOURNALIST/INNEN Im Gegensatz zum Problem politischer Morde erfährt VERLEUMDUNGSKLAGEN die systematische Kriminalisierung von Menschen- rechtsverteidiger/innen weder international noch im Sowohl Menschenrechtsverteidiger/innen als auch Land selbst ausreichend Aufmerksamkeit. Viele philippi Journalist/innen sehen sich häufig mit Verleumdungs- nische Menschenrechtsorganisationen gehen davon klagen konfrontiert, wenn sie Amtsinhaber/innen, aus, dass die Zahl der Kriminalisierungsfälle zugenom- Wirtschaftsunternehmen oder andere öffentliche Per- men hat. Sicherheitskräfte, Politiker/innen und private sonen kritisieren. Verleumdung ist in den Philippinen Akteure wie Bergbaufirmen nutzen und missbrauchen eine Straftat, die mit bis zu vier Jahren Gefängnis be- gezielt das Justizsystem, um all jene mundtot zu ma- straft werden kann. Besonders problematisch ist dabei, chen, die sich ihren Interessen widersetzen. Zu diesem dass nach der Definition des philippinischen Strafge- Zweck wird gegen Menschenrechtsverteidiger/innen in setzbuchs schon „jede diffamierende Unterstellung erster Linie das Strafrecht und seltener das Zivil- oder als ehrverletzend betrachtet werden muss, selbst wenn Verwaltungsrecht eingesetzt. sie wahr ist.“11 Damit kommt es nicht nur zu einer Beweislastumkehr, bei der der/die Angeklagte darle- Anders als in manchen anderen Ländern existiert in gen muss, dass die Aussage nicht ehrverletzend war, den Philippinen kein spezifisches NGO-Gesetz, das sondern auch wahre Tatsachenbehauptungen können die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen als Verleumdung gelten. Menschenrechtsverteidiger/ behindern soll. In erster Linie sind es deswegen die innen und Journalist/innen können also dafür bestraft Mitarbeiter/innen und Mitglieder von NGOs, die von werden, auf tatsächlich stattgefundene Rechtsverlet- Klagen betroffen sind. In vielen Fällen geht es den Urhe- zungen hinzuweisen. Der UN-Menschenrechtsaus- bern/innen der Klagen gar nicht unbedingt darum, eine schuss hat bereits in einem Fall entschieden, dass die Verurteilung zu erwirken. Vielmehr machen sie es sich Kriminalisierung von Verleumdung in den Philippinen zu Nutze, dass sich Rechtsprozesse im dysfunktionalen unvereinbar mit dem Recht auf freie Meinungsäuße- und überlasteten Justizsystem der Philippinen meist rung nach Artikel 9(1) ICCPR sei.12 jahrelang hinziehen. In dieser Zeit müssen die Ange- klagten viel Zeit und Geld für ihre Verteidigung aufwen- Trotz dieser Entscheidung des Menschenrechtsaus- den, die dann ihrer eigentlichen Arbeit fehlen. schusses erließ der philippinische Kongress 2012 den Cybercrime Prevention Act, der für verleumderische Aussagen im Internet Freiheitsstrafen von bis zu 12 11 Republican Act No. 3815, An Act Revising the Penal Code and Other Penal Laws, 8. Dezember 1930, Artikel Jahren vorsieht.13 Die Tatsache, dass viele NGOs und 354 die meisten Zeitungen ihre Stellungnahmen und Arti- 12 Human Rights Committee, Communication No. kel online verbreiten, macht Menschenrechtsverteidi- 1815/2008, ‘Adonis vs. The Philippines’, 27. Januar 2011, ger/innen und Journalist/innen besonders anfällig für CCPR/C/103/D/1815/2008 Anklagen unter diesem Gesetz. 13 Republican Act No. 10175, An Act Defining Cybercrime, Providing for the Prevention, Investigation, Suppression and the Imposition of Penalties Therefor and for Other Purposes, 12. September 2012
14 | Kriminalisierung · Fallbeispiel VERLEUMDUNGSKLAGE GEGEN MITARBEITENDE DER PHILIPPINE-MISEREOR PARTNERSHIP INC (PMPI) Tochterunternehmen von Nickel Asia, begann 1992 mit dem Abbau von Nickel auf der Insel, beendete diesen aber nach ein paar Jahren wegen sinken- der Rohstoffpreise. SAMAMO befürchtet, dass der Konzern seine Bergbauarbeiten trotz eines Verbots seitens der Lokalregierung wiederaufnehmen könnte. HMC beschuldigt das PMPI wegen eines auf seiner Internetseite dokumentierten Vorfalls der verleum- derischen Aussage. Am 20. Juni 2015 hatte ein Schiff des Konzerns drei Fischerboote zerstört, die es an der Im Juni 2016 werden vier Mitarbeiter/innen der Einfahrt in den Hafen von Manicani Island hindern Philippine-Misereor Partnership Inc. (PMPI) ge- wollten. Dabei wurden zwei Fischer verletzt. Zuvor mäß dem Cybercrime Prevention Act von 2012 der hatte SAMAMO Hinweise erhalten, dass das Schiff Verleumdung angeklagt. Die Klage wurde von der schwere Baugeräte geladen habe, die für die Wieder- Hinatuan Mining Corporation (HMC) eingereicht, die aufnahme des Bergbauvorhabens gedacht seien. ein umstrittenes Bergbauprojekt auf Manicani Island, Eastern Samar verfolgt, gegen das sich das PMPI Das PMPI veröffentlichte verschiedene Erklärungen, einsetzt. in denen es den Vorfall verurteilte. Am 1. September 2015 reichte der HMC-Angestellte Arnilo Milaor eine Das PMPI ist ein Netzwerk von rund 250 Nichtre- Anzeige beim Staatsanwalte von Taguig City ein, in gierungs- und Basisorganisationen aus den ganzen der das PMPI beschuldigt wird, verleumderische Philippinen und MISEREOR, dem Entwicklungs- und Aussagen über die HMC zu verbreiten. Vier Mitarbei- Hilfswerk der Katholischen Kirche in Deutschland. ter/innen des PMPI werden namentlich als beklagte Es engagiert sich für nachhaltige Entwicklung und Personen erwähnt: Yolanda Esguerra, PMPI-Natio- sozialen Wandel und fördert den Austausch von Fach- nalkoordinatorin, und deren Stellvertreterin Candy kompetenzen und Erfahrungen unter den Mitglied- Hidalgo sowie die beiden Mitarbeiter der Anti-Ber- sorganisationen bei der Bewältigung gemeinsamer gbaukampagne Edel Garingan und Victor Morillo. entwicklungspolitischer Themen und Anliegen. Im Das PMPI hingegen bekräftigt weiterhin, dass es den Rahmen seiner Anti-Bergbaukampagne unterstützt Vorfall wahrheitsgetreu beschrieben habe und seine das PMPI u.a. die lokale Initiative Save M anicani Aussage daher keine Verleumdung darstellen könne. Movement (SAMAMO), welche sich gegen die Obwohl das PMPI im Vorfeld Beweise präsentierte, Wiederaufnahme eines großen Bergbauprojekts auf die seine Version der Ereignisse stützen, eröffnet der Insel Manicani einsetzt, das verheerende Auswir- der zuständige Staatsanwalt Anklage gegen die vier kungen auf die Umwelt und die Lebensbedingungen Beschuldigten.14 der Bevölkerung haben würde. Der Konzern HMC, ein
| 15 KONSTRUIERTE ANKLAGEN Konstruierte Anklagen basieren meist allein auf den Zeugenaussagen angeblicher ehemaliger Rebellen, die Eine besonders heimtückische Form der Kriminalisie- behaupten, das Opfer als Mitglied der NPA identifizie- rung stellen konstruierte Anklagen dar, bei denen das ren zu können. In einigen Fällen verstrickten sich diese Opfer mithilfe gefälschter Beweise eines Verbrechens Zeugen vor Gericht aber in so viele Widersprüche, dass beschuldigt wird, das es nicht begangen hat. Diese Art sie zugeben mussten, vom Militär instruiert worden zu der Klagen werden besonders häufig von Angehörigen sein, falsche Aussagen zu tätigen. Philippinische Men- des Militärs mit dem Ziel angestrengt, Menschenrechts- schenrechtsorganisationen gehen deshalb davon aus, verteidiger/innen zu diffamieren und sie für die Zeit des dass diese Personen vom Militär für ihre Falschaussa- Prozesses in Untersuchungshaft zu bringen. Oft geht gen bezahlt werden. konstruierten Anklagen eine Schmäh- und Einschüch- terungskampagne gegen das Opfer voraus, während Selbst in Fällen, in denen die Anschuldigung offen- der es öffentlich beschuldigt wird, Mitglied der kommu- sichtlich konstruiert ist, erheben Staatsanwält/innen nistischen New People’s Army (NPA) zu sein. Zudem Anklage, die dann von Richter/innen zugelassen wird. werden die Opfer oft überwacht und erhalten Drohun- Es gibt Berichte, dass das Militär offen Druck auf gen, die manchmal auch gegen Familienmitglieder Staatsanwält/innen und Richter/innen ausübt. Dabei gerichtet sind. Die öffentliche Denunzierung dient dazu, werden gezielt Informationen über ihre finanzielle und den Druck auf den/die Menschenrechtsverteidiger/in zu persönliche Lebenssituation gesammelt und es wird erhöhen. Andererseits soll aber auch in der Bevölkerung versucht, sie entweder zu bestechen oder ihre Koope- die soziale Akzeptanz von Repressionen gegen die Opfer ration durch Drohungen zu erzwingen. Auch nehmen erhöht werden. Angehörige des Militärs manchmal offen erkennbar an allen Prozessterminen teil und geben zum Teil noch Das Opfer wird in der Regel beschuldigt, als Mitglied im Gerichtssaal Anweisungen an die Staatsanwält/ der NPA an bewaffneten Auseinandersetzungen innen weiter. Der philippinische Staat verletzt somit teilgenommen zu haben. In diesem Zusammenhang seine Pflicht, die Unabhängigkeit der Justiz zu garan- wird es dann Verbrechen wie Mord, Brandstiftung tieren.15 oder illegalem Waffenbesitz angeklagt, für die nach philippinischem Recht nur in Ausnahmefällen Kaution 14 Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen, gewährt werden kann. In der Folge verbleiben viele An- ‘Libel Case against Staff M embers of the Philippine geklagte in Untersuchungshaft, bis sie freigesprochen Misereor Partnership’, 8. März 2016, amp.ngo/index. werden. Die Drahtzieher/innen müssen also keine php/en/news-reader/statement-on-the-libel-case- against-staff-members-of-the- rechtskräftige Verurteilung erwirken, um das Opfer philippine-misereor-partnership/ ins Gefängnis zu bringen, denn in vielen Fällen ziehen 15 Diese erwächst aus Artikel 14(1) des Internatio- Prozesse sich wegen der Überlastung der Gerichte und nalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte des dysfunktionalen Justizsystems über mehrere Jahre (ICCPR), der das Recht garantiert, dass strafrechtliche hin. Zudem werden die Verfahren gezielt sabotiert, Anklagen durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht verhandelt werden. z.B. indem angebliche Belastungszeug/innen nicht vor Gericht erscheinen.
16 | Kriminalisierung KONSTRUIERTE ANKLAGE GEGEN AMELITA BRAVANTE Amelita Bravante-Gamara ihren Aufenthaltsort ausgefragt werden. Schließlich ist Mitbegründerin der werden im September und Oktober 2012 zwei Haft- Organisation Defend Job befehle gegen Bravante-Gamara erlassen. Sie wird be- Philippines und hat sich schuldigt, am 25. April an einem tödlichen Hinterhalt seit den 1970er Jahren vor gegen zehn Soldaten und am 29. April an der Tötung allem für die Rechte von von vier weiteren Soldaten beteiligt gewesen zu sein. Arbeiterinnen eingesetzt. Von beiden Verfahren erfährt die Angeklagte erst, als Zudem kämpfte sie für mehrere ihrer mitangeklagten Kollegen/innen von der die von Zwangsumsied- Polizei verhaftet werden. Bravante-Gamara taucht da- lung bedrohte städtische raufhin unter und beginnt, rechtliche Schritte gegen Armutsbevölkerung in die anhängigen Haftbefehle einzuleiten. Manila. Im April 2012 wird ihr Mann, der Gewerk- Die Anklagen weisen eine Reihe von Ungereimtheiten schaftsfunktionär Renante Gamara, verhaftet. Neben auf. So liegen beispielsweise die angeblichen Tatorte seiner Arbeit für das größte Gewerkschaftsnetzwerk mehrere Hundert Kilometer auseinander und weit der P hilippinen, Kilusang Mayo Uno (KMU), hatte entfernt vom Wohnort der Angeklagten. Es ist schwer er die National Democratic Front of the Philippines vorstellbar, dass Bravante-Gamara innerhalb von (NDFP), die politische Führung des kommunisti- vier Tagen an beiden Orten gewesen ist, zumal sie schen Aufstands, in den Friedensverhandlungen mit Berichten zufolge seit längerem unter gesundheitli- der Regierung beraten. Der Haftbefehl, auf dessen chen Problemen litt. Darüber hinaus stützt sich die Grundlage die Festnahme erfolgt, ist die abgeänderte Anklage in beiden Fällen auf fragwürdige Zeugenaus- Version eines Haftbefehls vom Mai 2011, demzufolge sagen. Im Falle des Hinterhalts vom 25. April basiert insgesamt 38 Menschen wegen Entführung und Mor- die Anklage beispielsweise auf den Aussagen von nur des gesucht wurden. Viele der Gesuchten sind in der zwei Augenzeugen, die angeblich alle 20 Angeklagten Ursprungsversion des Haftbefehls nur mit ihrem ver- identifizieren konnten. Ein ordnungsgemäßes Er- meintlichen kommunistischen Tarnnamen vermerkt. mittlungsverfahren samt Vorladung der Angeklagten, So taucht Gamaras (falsch geschriebener) Name erst wie es im Vorfeld eines Haftbefehls üblich ist, gab es in der abgeänderten Version als angebliche Identität ebenfalls nicht. hinter dem Tarnnamen „Ka Mike“ auf. Es ist unklar, wie die Behörden zu der Annahme gekommen sind, Eines der Verfahren wird in der Folge vom Gericht dass es sich bei dem gesuchten Ka Mike um Renante wegen unzureichender Beweise eingestellt, während Gamara handeln müsse. Nach seiner Festnahme das andere weiterhin läuft. Wäre Bravante-Gamara wird Gamara in ein Gefängnis gebracht, wo er laut nicht untergetaucht, hätte sie wahrscheinlich meh- eigener Aussage nicht zu den ihm vorgeworfenen rere Jahre im Gefängnis verbringen müssen. Dieses Anklagepunkten, sondern zu den Aktivitäten und dem Schicksal ereilte ihren Mann, der nach seiner Verhaf- Aufenthaltsort seiner Frau befragt wird. tung über vier Jahre ohne Verurteilung im Gefängnis saß. Erst im August 2016 wird er auf Drängen der Amelita Bravante-Gamara und ihre Tochter berichten neuen Regierung aus der Haft entlassen, um im Zuge in der Folgezeit von wiederholten Belästigungen. Sie der wiederaufgenommenen Friedensverhandlungen reichen mehrere Beschwerden bei der philippinischen mit den kommunistischen Rebellen seiner Beratertä- Menschenrechtskommission ein, weil sie sich verfolgt tigkeit nachzukommen. fühlen und ihre Freund/innen von Unbekannten über
| 17 KAMPF GEGEN DROGEN EXTRALEGALE HINRICHTUNGEN Die Kampagne gegen die Drogenkriminalität umgeht rechtstaatliche Verfahren und verletzt das Recht der Seit der Wahl von Rodrigo Duterte zum philippinischen mutmaßlichen Kriminellen auf ein ordnungsgemä- Präsidenten im Mai 2016 nahmen Tötungen von mut- ßes Gerichtsverfahren. Berichten zufolge werden auf maßlichen Drogenhändlern und -nutzer/innen drama- der Ebene der Barangays20 Listen mit Verdächtigen tisch zu. Nach Angaben der Philippine National Police Drogenabhängigen und -händler/innen gesammelt. (PNP) wurden zwischen dem 1. Juli und 3. Dezember Die Barangay Anti-Drug Abuse Councils (BADAC), 2016 2.028 Menschen bei Polizeieinsätzen getötet.16 die im Juni 2015 eingerichtet wurden, sind beauftragt, Von der Mehrheit dieser Fälle behauptet die Polizei, solche geheimen Listen zu führen und an die Polizei die Opfer hätten sich gewaltsam gegen ihre Festnah- zu übergeben.21 Es scheint keine weitere Überprüfung me gewehrt. Allerdings wurde bislang in keinem Fall der Anschuldigungen stattzufinden und in einer Reihe überzeugend dargelegt, dass die beteiligten Polizist/ von Fällen wird berichtet, dass Amtsträger/innen die innen wirklich aus Gründen der Selbstverteidigung zu Listen missbrauchen, indem sie politische Konkurrent/ tödlicher Gewalt greifen mussten. Im selben Zeitraum innen als Verdächtige benennen.22 Während sogenann- dokumentierte die PNP auch 3.841 Tote, für die Bürger- ter Oplan Tokhang Operationen suchen Polizist/innen wehren verantwortlich gemacht werden. In vielen dieser Verdächtige auf und warnen sie vor Konsequenzen, Fälle wurde neben der Leiche ein Schild gefunden, sollten sie ihre illegalen Aktivitäten nicht einstellen. welches das Opfer beschuldigt, in den Drogenhandel Ein Großteil der Tötungen findet im Rahmen solcher verwickelt gewesen zu sein. Operationen statt. Vermutlich weil sie Angst haben, ge- tötet zu werden, haben sich landesweit über 700.000 Diese Welle mutmaßlich extralegaler Hinrichtungen ist Personen der Polizei gestellt, nachdem ihre Namen eindeutig auf den neuen Präsidenten Duterte zurück- auf einer solchen Verdächtigungsliste aufgetaucht zuführen. Während seiner 22-jährigen Amtszeit als waren. Über 10.000 Menschen wurden verhaftet, was Bürgermeister von Davao City hatte das sogenannte die ohnehin schon überfüllten Gefängnisse zusätzlich Davao Death Squad nach Angaben von Menschen- überlastet. rechtsorganisationen über 1.400 Kleinkriminelle und Straßenkinder ermordet.17 Und schon während des 16 Rappler.com, ‘IN NUMBERS: The Philippines’ ‘war on drugs’’, 25th Update, Wahlkampfs hatte er die Tötung Tausender mit dem 3. Dezember 2016, www.rappler.com/newsbreak/iq/145814-numbers-statistics- Ziel angekündigt, die Kriminalität im Land innerhalb philippines-war-drugs von sechs Monaten ausmerzen zu wollen. Unmittelbar 17 Basierend auf der Dokumentation durch die Coalition against Summary nachdem sein Wahlerfolg bestätigt worden war, begann Executions (CASE). die Zahl getöteter mutmaßlicher Krimineller stark an- 18 The Guardian, ‘Philippines president Rodrigo Duterte urges people to kill drug zusteigen. Duterte hatte die Polizei in mehreren öffent- addicts’, 1. Juli 2016, www.theguardian.com/world/2016/jul/01/philippines- president-rodrigo-duterte-urges-people-to-kill-drug-addicts lichen Statements aufgefordert und ermutigt, tödliche Waffengewalt gegen mutmaßliche Drogenhändler/ 19 OHCHR Press release, ‘UN experts urge the Philippines to stop unlawful killings of people suspected of drug-related offences’, 18. August 2016, www.ohchr.org/EN/ innen einzusetzen und Polizist/innen dafür Immunität NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=20388 versprochen. Beides steht in eklatantem Widerspruch 20 Barangays sind die niedrigste Regierungsebene in den Philippinen. zu den internationalen Menschenrechtsstandards, 21 Department of the Interior and Local Government, ‘Revitalization of the Barangay zu deren Einhaltung sich die Philippinen verpflichtet Anti-Drug Abuse Council (BADAC) and Their Role in Drug Clearing Operations’, haben. Duterte forderte sogar normale Bürger/innen Memorandum Circular No. 2015-63, 16. Juni 2015, www.dilg.gov.ph/PDF_File/ auf, ihnen bekannte Drogenabhängige zu ermorden.18 issuances/memo_circulars/dilg-memocircular-2015617_926a30fa0a.pdf Die UN-Sonderberichterstatterin für extralegale Hin- 22 Philippine Daily Inquirer, ‘Village politics fouling up antidrug drive’, 15. Juli 2016, richtungen, Agnes Callamard, erklärte dazu in einem newsinfo.inquirer.net/796044/village-politics-fouling-up-antidrug-drive Statement, dass solche Äußerungen nicht nur extrem verantwortungslos seien, sondern auch eine Aufstache- lung zu Gewalt und Morden darstellten, was nach dem Völkerstrafrecht einem Verbrechen gleichkäme.19
18 | Kampf gegen Drogen · Fallbeispiel Die Polizei wird beschuldigt, den Todesopfern Waffen unterzuschieben WIEDEREINFÜHRUNG im Jahr 2006 und weltweit zeigen, dass diese kaum DER TODESSTRAFE abschreckende Wirkung hat, aber oft ungerecht ange- wendet und vor allem gegen Arme verhängt wird. Die Als Teil der Anti-Drogenkampagne kündigte die neue Absenkung des Strafmündigkeitsalters würde schon Regierung an, die Todesstrafe wieder einführen zu sehr junge Kinder den katastrophalen Bedingungen wollen. Zudem gibt es Pläne, das Strafmündigkeitsalter aussetzen, die in philippinischen Gefängnissen herr- von 15 auf nur neun Jahre herabzusetzen. Zwei ent- schen und die zu den schlimmsten in Asien zählen. sprechende Gesetzentwürfe wurden im Repräsentan- Schon heute werden jugendliche Gefangene Opfer von tenhaus als die beiden ersten legislativen Akte der neu- Folter und physischem, psychischem und sexuellem en Regierung eingebracht. Die Erfahrungen mit der Missbrauch.23 Todesstrafe vor ihrer Abschaffung in den Philippinen ERMORDUNG VON RENATO UND JAYBEE BERTES Am 6. Juli 2016 dringen Polizisten in das Haus von Renato und Jaybee dann in Notwehr erschossen Jaybee Bertes in einem Armutsviertel von Pasay City worden sein. Demgegenüber steht die Aussage von ein. Jaybee und seine Lebensgefährtin Harra beteuern Jaybees Lebensgefährtin, die angibt, dass die beiden wiederholt, dass er schon lange aus dem Drogenhan- Verhafteten schon am Morgen ihres Todestages del ausgestiegen sei. Dennoch gehen die Polizisten Spuren von schwerer Misshandlung aufwiesen. Sie bei der Durchsuchung rücksichtlos vor und unterzie- vermutet, dass Jaybee und sein Vater über Nacht hen sogar die zweijährige Tochter des Verdächtigen gefoltert und dann hingerichtet wurden. einer Leibesvisitation. Jaybees Vater Renato, der später dazu stößt, protestiert gegen die Misshand- Eine Untersuchung der nationalen Menschenrechts- lung seiner Familienmitglieder. Jaybee und Renato kommission bestätigt, dass die Leichen von Jaybee werden daraufhin von den Beamten mit aufs Revier und Renato Bertes schwere Folterspuren aufweisen genommen.24 und sie zum Zeitpunkt ihres Todes wahrscheinlich gar nicht mehr in der Lage gewesen waren, sich eine Über das, was dann geschieht, gibt es abweichende körperliche Auseinandersetzung mit den Beamten zu Berichte. Laut Aussage der Polizei sollten die beiden liefern. Die beiden verantwortlichen Polizisten wurden Verhafteten am Tag darauf nach einem Bluttest wie- daraufhin vom Dienst suspendiert und des Mordes der in ihre Zelle zurückgebracht werden, als Renato angeklagt.25 Damit ist der Fall einer der wenigen, in plötzlich einem Wachmann die Waffe zu entreißen denen überhaupt Anklage gegen mutmaßliche Täter/ versucht. Im darauffolgenden Handgemenge sollen innen erhoben wurde. 23 Philippine Action for Youth Offenders (PAYO) and Child Rights Network (CRN), ‘Position Paper on the Lowering of the Minimum Age of Criminal Responsibility’, childrightscoalitionasia. org/position-paper-of-the-philippine-action-for-youth-offenders-payo-and-the-child-rights-network- crn-on-the-lowering-of-the-minimum-age-of-responsibility 24 New York Times, ‘Chilling Tale in Duterte’s Drug War: Father and Son Killed in Police Custody’, 19. August 2016, www.nytimes.com/2016/08/20/world/asia/ philippines-duterte-drug-killings.html 25 ABS-CBN News,‘Senate digs into 'police torture' of slain father, son’, 22. August 2016, news.abs-cbn.com/news/08/22/16/senate-digs-into-police-torture-of-slain-father-son
Sie können auch lesen