Metaphern und andere Probleme der literarischen Übersetzung - am Beispiel von Daniele del Giudices "Das Abheben des Schattens vom Boden"
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Metaphern und andere Probleme der literarischen Übersetzung am Beispiel von Daniele del Giudices „Das Abheben des Schattens vom Boden“ Peter Paschke
© Peter Paschke Kassel 2000 2
Inhalt 0. Vorbemerkung 5 1. Die spezifischen Merkmale der literarischen Übersetzung 7 Exkurs: Daniele del Giudice: Staccando l’ombra da terra 10 2. Die Metapher in der literarischen Übersetzung 12 2.1. Grundsätzliches zur Metaphernübersetzung 12 2.2. Lexikalisierte Metaphern 15 2.3. Okkasionelle Metaphern 18 2.4. Metaphern und Vergleiche 22 3. Weitere stilistische Probleme der literarischen Übersetzung 24 3.1. Lexemwiederholung und Polysemie 24 3.2. Thematisierung grammatischer Phänomene 31 3.3. Sprachtypologische Kontraste 33 3.4. Satzverlängerung 37 3.5. Probleme der Wortwahl 38 4. Inhaltliche Aspekte der literarischen Übersetzung 41 4.1. Logisierung von Textinhalten 41 4.2. Soziokultureller Standpunkt und inhaltliche Eingriffe 44 5. Schluss 46 Bibliographie 48 3
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0. Vorbemerkung1 „Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“2 Die von Schleiermacher formulierte Dichotomie zwischen „Eindeutschen“ und „Verfremden“ bringt die sich historisch abwechselnden Grundorientierungen der literarischen Übersetzung auf den Begriff. Im 20. Jahrhundert finden wir dieselbe Alternative – wenn auch deskriptiv gewendet – etwa bei Gideon Toury (1978) wieder, der unter dem Begriff „initial norms“ die grundlegende Entscheidung des Übersetzers wie folgt fasst: „he either subjects himself to the original text ... or to the linguistic and literary norms active in TL3 and in the target literary polysystem ...“ (Toury 1978: 88).4 Lawrence Venuti verlässt die rein deskriptive Haltung und wirft in The Translator’s Invisibility (1995) den englischsprachigen Übersetzer der letzten Jahrhunderte vor, sie hätten sich einseitig am Kriterium der Lesbarkeit („fluency“), also am literarischen Geschmack der Zielkultur orientiert. Kloepfer (1966) verfolgt den Widerstreit und die Dialektik der Ansätze durch die abendländische Geschichte, bevor er sich selbst dafür ausspricht, die Schleiermachersche Antinomie als die zwei Seiten ein und derselben Medaille zu deuten, also vom Entweder-Oder zu einem Sowohl-als-auch zu gelangen. Unter Rückgriff auf F. Rosenzweig schreibt Kloepfer (1966: 69), die eigentliche Frage sei, „an welchen Punkten des Werkes der Leser und an welchen Punkten das Original ‚bewegt’ wird“. Kloepfer nennt seinen vermittelnden Ansatz „treue“ oder – in Anlehnung an Schadewaldt – „dokumentarische“ Übersetzung, muss aber eingestehen (1966: 84f.), dass der künstlerische Prozess des Übersetzens und die damit verbundenen stilistischen Probleme durch derartige Postulate nicht erfasst werden.5 Da sich die vorliegende Arbeit mit stilistischen „Detail“problemen auseinandersetzt, werden die „großen“ Theorien und Ansätze nur am Rande gestreift, auch wenn ihr heuristischer Wert nicht bezweifelt werden soll. Im ersten Kapitel werden zunächst die Spezifika der literarischen (im Gegensatz zur Fach-/Sachtext-) Übersetzung bestimmt, d.h. 1 Der vorliegende Beitrag entstand als Hausarbeit im Rahmen des Seminars „Literarische Übersetzung“ von Sabine Krobb am University College Dublin, Studienjahr 1999/2000 2 Schleiermacher, zit nach Kloepfer 1966: 52 3 TL = target language, Zielsprache 4 Im weiteren werden die beiden Grundhaltungen als Streben nach „Adäquatheit“ oder „Akzeptabilität“ (im zielsprachlichen bzw. –kulturellen) System bezeichnet, wobei Toury anmerkt, dass in der Praxis meist eine Kombination oder ein Kompromiss dieser beiden polaren Einstellungen zu beobachten ist (Toury 1978: 88f.) 5 vgl. zu Kloepfers Ansatz auch Koller 1997: 292-294 5
es wird der Rahmen aufgezeigt, in den sich die einzelnen stilistischen Probleme einordnen. In einem Exkurs wird daraufhin der italienische Text von Daniele del Giudice vorgestellt, an dem die Problemkomplexe der literarischen Übersetzung verdeutlicht werden sollen. Das zweite Kapitel ist der Übersetzung von Metaphern gewidmet; es soll versucht werden, die in der einschlägigen Literatur aufgezeigten Probleme und Fragestellungen der Metaphernübersetzung am Text von Daniele del Giudice zu veranschaulichen. Kapitel drei beschäftigt sich mit anderen stilistischen Fragen wie Satzbau, Sprachspiel und stilistischer- lexikalischer Verflachung bzw. Verstärkung, die wiederum an der deutschen Übersetzung von Del Giudices Erzählung verdeutlicht werden. Das vierte und letzte Kapitel schließlich geht Problemen nach, die auf der inhaltlichen Ebene angesiedelt sind. Dabei versteht sich die Arbeit nicht als Kritik der deutschen Übersetzung von Del Giudices Staccando l’ombra da terra, sondern als der Versuch, Begriffe und Beobachtungen der einschlägigen Literatur in Beziehung zu einem konkreten Textbeispiel zu setzen und eine literarische Übersetzung im Detail zu analysieren. Eine Wertung übersetzerischer Lösungen ist nicht Ziel der Arbeit, soll aber auch nicht peinlich vermieden werden. Zu bedenken ist dabei, dass der Verfasser nicht selbst übersetzen musste, sondern eine in vieler Hinsicht überzeugende Übersetzung zum Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen machen konnte. Hinsichtlich der Bewertung von Übersetzungen existieren im übrigen unterschiedliche Positionen (vgl. Lorenz 1996). Im Bereich der auf Schleiermacher zurückgehenden hermeneutischen Übersetzungstheorie – z.B. vertreten durch Rudolf Kloepfer – wird bzw. wurde klar Position bezogen für eine Norm übersetzerischen Handelns, sei dies nun die „Verfremdung“ oder eine „Mittellinie“ wie bei Kloepfer. Diese Norm dient dann als Grundlage der Übersetzungskritik. Aber auch die linguistisch orientierte Übersetzungs- wissenschaft – z.B. durch Werner Koller repräsentiert – verfolgt mit ihrer Äquivalenzforderung letztlich einen normativen Ansatz, auch wenn dieser nicht von allen Autoren auf die Übersetzung literarischer Texte bezogen wird. Es geht ihr um die Frage „Wie soll/muß man Literatur übersetzen?“ (A.P. Frank zit. nach Lorenz 1996: 556). Dagegen steht die Übersetzungsforschung mit ihrem deskriptiven Ansatz, die aus Einzel- philologien und der Komparatistik hervorgegangen und etwa durch Gideon Toury und Itamar Even-Zohar vertreten wird. Sie stellt die Frage „Wie ist Literatur nun wirklich 6
übersetzt worden?“ (ebd.) und sucht nach den dafür maßgeblichen, kulturell und historisch definierten Normen.6 1. Die spezifischen Merkmale der literarischen Übersetzung Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wollten wir alle Ansätze der philologischen Beschäftigung mit Übersetzungen daraufhin befragen, worin sie die Spezifika der literarischen Übersetzung sehen. Hier soll kurz die hermeneutische Position und etwas ausführlicher diejenige der Übersetzungswissenschaft (Koller) vorgestellt werden. In der hermeneutischen Tradition wird die „Kunst der Übersetzung“ literarischer Texte oft in Anlehnung an Schleiermacher vom „Dolmetschen“ der Alltagstexte geschie- den. Kloepfer (1966: 7ff) lehnt in seinen „Vorbemerkungen“ den Anspruch linguistisch orientierter Ansätze ab, beide Arten von Übersetzungen mit derselben Theorie erfassen zu können. Nur bei Sachtexten sei eine „wissenschaftliche“ Übersetzung möglich, nur hier seien „Äquivalenz“ und (inhaltliche) „Invarianz“ sinnvoll und (prinzipiell) maschinell herstellbar. Da eine solche Theorie von den Sprachsystemen ausgehe, könne sie dem typisch literarischen, insbesondere poetischen Sprachgebrauch, der sich durch hohe Individualität – also, so möchte man hinzufügen, durch Abweichung vom Sprachsystem – auszeichnet, nicht gerecht werden. Während die nicht-literarische Übersetzung in den Zuständigkeitsbereich von strukturalistischer Sprachwissenschaft und Informationstheorie falle, werde sich die Theorie der literarischen Übersetzung nicht von der Theorie der Dichtkunst und der Hermeneutik trennen lassen, (ebd., 9f). Kloepfer ist überzeugt, „daß der künstlerische Sprachgebrauch die Übersetzung zu einer prinzipiell nur mehr oder weniger, nie vollkommen lösbaren Aufgabe macht.“ (ebd.)7 Vertreter der sprachwissenschaftlich orientierten Übersetzungswissenschaft wie Werner Koller beharren demgegenüber auf der „prinzipiellen Übersetzbarkeit“ auch von literarischen Texten, räumen allerdings ein, dass sich diese u.U. nur durch Rückgriff auf kommentierende Verfahren, also auf einer intellektuellen Ebene erreichen lasse. Die 6 Auch die Descriptive Translation Studies (DTS) (vgl. Toury 1995) dürften kaum leugnen, dass es neben kulturell definierten Normen auch mehr oder weniger geglückte Übersetzungen gibt. So ist z.B. stellenweise von „inexperienced translators“ die Rede (ebd., 270). Entscheidend ist aber dennoch der deskriptive Grundansatz. Zum Verhältnis von DTS und praktischen Anwendungen z.B. in der Übersetzungskritik vgl. ebd., 9-19. 7 Kloepfer sieht übrigens, dass sich eine Trennung von literarischer Übersetzungskunst und nicht- literarischem Dolmetschen eigentlich nicht ohne weiteres auf Schleiermacher berufen kann, weil dieser auch wissenschaftliche Texte zum Gegenstand der Übersetzungskunst rechnete, vgl. Kloepfer 1966: 10f. 7
gleichen „unmittelbaren Effekte“ ließen sich nicht in jedem Fall erzielen. (Koller 1997: 267). Für Koller stellt sich die Frage der Spezifika literarischer Übersetzung in besonderer Weise, denn er ist einer jener Vertreter der Übersetzungswissenschaft, die sich nicht auf Aussagen über Fach- und Sachtextübersetzungen beschränken, sondern auch die literarische Übersetzung theoretisch zu erfassen beanspruchen. Insbesondere fasst er den Begriff der Äquivalenz weiter als andere, d.h. er beschränkt ihn nicht auf die Invarianz des „Inhalts“ oder der „message“ (wie bei A. Nida, vgl. Lorenz 1996: 560f.), sondern kennt eine „formal-ästhetische Äquivalenz“, die er unter Berufung auf Katharina Reiß als jene Handhabung von Lexik, Syntax, Stil und Aufbau charakterisiert, welche eine dem Gestaltungswillen des Autors entsprechende und dem Charakter des AS-Textes analoge ästhetische Wirkung in der ZS erzielt.8 Ein ähnlicher funktionaler, d.h. eine vergleichbare ästhetische Wirkung in der Übersetzung anstrebender Ansatz findet sich bei J. Levy (1969: 21), einem Vertreter des Prager Strukturalismus, dessen Ansatz Koller (1997: 294-297) nicht zufällig sehr wohlwollend kommentiert.9 Bei Kollers Äquivalenzbegriff bleibt zu bestimmen, welche Stilmittel in der ZS analoge ästhetische Wirkungen hervorrufen; vermutlich müssen und können dies nicht in jedem Falle gleiche Stilmittel sein wie im AS- Text. Den grundlegenden Unterschied zwischen der Übersetzung von literarischen und Sachtexten (die ebenso manche formal-ästhetische Qualitäten aufweisen) sieht Koller (253) darin, dass die ästhetischen Werte nur für literarische Texte konstitutiv seien. Gegenüber Sachtexten verschiebt sich die Äquivalenzforderung – oder „die Hierarchie der zu erhaltenden Werte“ (266) vom Inhalt zur Form. Den ganz anderen Stellenwert des Inhalts in literarischen Texten stützt Koller (272ff) mit drei Überlegungen, die wir in der gebotenen Kürze benennen wollen: 1.) Eine (inhaltlich) falsche Übersetzung hat bei literarischen Texten kaum praktische Konsequenzen, auch wenn sie noch so bedauerlich sein mag. So kommt es z.B. bei der odontologischen Fachterminologie in Günter Grass’ örtlich betäubt letztlich nicht auf die Denotation, also eine inhaltlich 100%ig korrekte Übersetzung, sondern vor allem auf die Konnotation an. 2.) Fiktionale Texte konstruieren eine eigene Welt, die sich durch immanente Sinnhaftigkeit auszeichnet. Auch wenn diese einen Bezug zur realen Welt hat und sich als sachlich falsch erweist (z.B. hat die 8vgl. Koller 1997: 252f.; AS = Ausgangssprache, ZS = Zielsprache 9Letzlich finden sich die von Koller genannten Schlüsselbegriffe, nämlich Analogie hinsichtlich Intention des Autors und Wirkung auf den Leser, explizit oder implizit auch schon bei Kloepfer: „Es [das Übersetzen, P.P.] verwirklicht die verschiedenen kommunikativen Kräfte eines Textes und damit den originalen künstlerischen Willen mit den Mitteln einer anderen Muttersprache. Übersetzung vermag aus äquivalenten und analogen Einzellösungen ein dem Original zumindest analoges Ganzes hervorzubringen.“ (Kloepfer 1966: 84). Zur Wirkung auf den Leser vgl. Kloepfers (1966: 86ff.) Ausführungen zur Übersetzung der Plautinischen Komödie „Epidikus“. 8
amerikanische Freiheitsstatue bei Kafka statt der Fackel ein Schwert in der Hand), so ist dies – anders als bei Sachtexten – noch lange kein Grund für den Übersetzer, korrigierend einzugreifen. 3.) Literarische Texte werden ästhetisch rezipiert, d.h. auf gängige sprachlich- stilistische und ästhetische Normen bezogen. Zur Ästhetizität ist auch die von der Rezeptionsästhetik thematisierte Vieldeutigkeit literarischer Texte zu zählen; sie steht im Gegensatz zur anzustrebenden Eindeutigkeit von Sachtexten und ist in der Übersetzung so gut wie möglich zu bewahren. Zusammenfassend lässt sich sagen, das Spezifikum der literarischen Übersetzung ist – nach Koller – die Verschiebung der Äquivalenzforderung vom inhaltlichen (oder pragma- tischen und textuellen) zum ästhetischen Aspekt, also eine veränderte „Hierarchie der Äquivalenzforderungen“ (Koller 1997: 266). Es geht darum, durch die stilistische Gestaltung der Übersetzung eine dem AS-Text vergleichbare ästhetische Wirkung zu erzielen. Welche Probleme sich dabei im Einzelnen stellen, soll in den Kapiteln 2 und 3 an stilistischen Phänomenen wie Metapher, Sprachspiel, Wortwahl usw. erläutert und an Beispielen aus der deutschen Übersetzung von Staccando l’ombra da terra verdeutlicht werden. In Kapitel 4 geht es hingegen um inhaltliche Aspekte der literarischen Übersetzung, z.B. den Umgang mit Unterschieden im Weltwissen der AS- bzw. ZS-Leser oder um die Logisierung von inhaltlichen Widersprüchen und Ungereimtheiten durch den Übersetzer. Abschließend eine Bemerkung zum (vermeintlichen) Gegensatz von hermeneutischer und übersetzungswissenschaftlicher Position: Im Grunde sind sich beide einig, dass die literarische Übersetzung sich in spezifischer Weise von Fach/Sachtextübersetzungen unterscheidet und dass die Gründe hierfür in der besonderen Rolle der stilistischen Gestaltung (der sprachlichen Form) liegen. Die Lösung der damit verbundenen Probleme jedoch ist in hermeneutischer Sicht eher ein einmaliger, nicht systematisierbarer Akt des schöpferischen Nachvollzugs, für die Übersetzungwissenschaft und den Strukturalismus dagegen wissenschaftlicher Analyse zugänglich. Dennoch wollen wir wo möglich versuchen, Kloepfers (1966) an Fallbeispielen gewonnene Einsichten mit den systematischen Beobachtungen Kollers, Levys oder Kjärs in Beziehung zu setzen. Bei der Untersuchung von Beispielen aus der deutschen Übersetzung von Staccando l’ombra da terra möchte ich darüber hinaus einen Aspekt im Blick behalten, der in allen Ansätzen als dominierende Tendenz benannt wird: die stilistische „Verflachung“. In normativer Sicht erscheint sie teils als unvermeidlich, teils als Unfähigkeit des Übersetzers, in der 9
deskriptiven Übersetzungsforschung tritt sie – jenseits aller historisch und kulturell veränderlichen „Normen“ – als universelles (?) „Gesetz“ der literarischen Übersetzung auf (vgl. Toury 1995: 267ff.: „the law of growing standardization“). Exkurs: Daniele Del Giudice: Staccando l’ombra da terra Daniele Del Giudice ist 1949 in Rom geboren und lebt in Venedig. Der Erzählband Staccando l’ombra da terra von 1994 erschien in der deutschen Übersetzung von Karin Fleischanderl10 1997 im Carl Hanser Verlag unter dem Titel: Das Abheben des Schattens vom Boden.11 Del Giudice wird zusammen mit Tabucchi, Andrea de Carlo, Pier Vittorio Tondelli u.a. zu den “giovani scrittori” oder – da nicht mehr ganz so jung – zu den “nuovi narratori”, also den “neuen Erzählern” gerechnet (Kapp 1994: 382). „Fliegen“ ist das thematische Band, das die acht Erzählungen von Staccando l’ombra da terra zusammenhält und – ähnlich wie bei Saint-Exupéry – zugleich als Metapher für das Leben fungiert.12 Für den Übersetzungsvergleich habe ich die Geschichte Fino al punto di rugiada/ Bis zum Taupunkt (67-84/ 97-121)13 ausgewählt. In der Du-Form und in Vergangenheitstempora wird darin vom Piloten eines Sportflugzeugs erzählt, der sich „so wie man manchmal im Leben die Orientierung verliert“ (Abheben, 97) auf einem (Sicht)Flug über der Poebene im Nebel verirrt, bevor er – unterstützt vom Fluglotsen – den Weg zurück zum Heimatflughafen findet. Übrigens experimentiert Del Giudice in den einzelnen Kapiteln von Staccando mit verschiedenen Erzählperspektiven: neben der Du-Form, finden sich Ich- Erzähler, anonyme Erzähler sowie zahlreiche Erzählerwechsel.14 Nicht nur kann der Orientierungsverlust – wie der Autor gleich zu Beginn zu verstehen gibt – als Gleichnis gedeutet werden, sondern der Text enthält weitere z.T. mit Sprachspielen und Polysemien 10 Karin Fleischanderl, geb. 1960, lebt in Wien und ist u.a. durch die deutsche Übersetzung der Werke von Antonio Tabucchi hervorgetreten. 11 Ich zitiere nach der italienischen Original- und der deutschen Taschenbuchausgabe von dtv (Januar 2000), s. Literaturverzeichnis. 12 Anna Frabetti (o.J.) spricht von “metafora polivalente, della vita, della morte, dell’infanzia, …” 13 Bei diesen durch / getrennten Seitenangaben bezieht sich die erste Zahl stets auf die italienische Ausgabe des Erzählbandes (Staccando), die zweite auf die deutsche (Abheben). 14 In Manovre di volo/ Flugmanöver erscheint der Erzähler zunächst in der Du-Form, wechselt dann zum Ich über, während nun der Fluglehrer Bruno mit Du angeredet wird. In Doppio decollo all’alba/ Doppelter Start im Morgengrauen berichtet zunächst ein anonymer Erzähler von Saint-Exupéry, am Ende erscheint ein Wir (Ich + Bruno, der Fluglehrer). Pauci sed semper immites hat einen Ich-Erzähler, führt dann aber einen weiteren Erzähler ein, der in einer längeren, eingebetteten Geschichte das erzählende Ich mit Lei/Sie anspricht. 10
verknüpfte Makro-Metaphern, z.B. Ente (= dt. Anstalt, Einrichtung, Körperschaft, Wesen, das Seiende) als Bezeichnung für die Flugsicherung, aber auch für ein höheres Wesen oder das spanische destino mit seiner doppelten Bedeutung von Schicksal und Bestimmungsort (Ziel einer Reise). Der Text ist darüberhinaus reich an „normalen“, in ihrer textuellen Reichweite beschränkten Metaphern, von denen einige mitsamt den jeweiligen Übersetzungsproblemen in Kapitel 2 vorgestellt werden. Kennzeichnend ist im Übrigen die Schichtung und Verflechtung verschiedener Texte bzw. Textsorten: die Reflexionen des „Du-Erzählers“ verbinden sich mit Luke Howards lateinisch-englischen Beschreibungen der Wolkenformationen, mit der Geschichte von Cola Pesce (nahezu wörtliche Anleihen aus der Version von Benedetto Croce15) sowie mit den Funkdialogen zwischen Pilot und Flugsicherung (Fluglotse). Fliegerjargon erscheint freilich nicht nur im Funkverkehr, sondern auch in der Beschreibung der Flugmanöver. Obgleich es bei fachsprachlichen Termini, wie Koller anmerkt (s.o.), im Zweifelsfall eher auf die Konnotation als auf sachliche Richtigkeit im Detail ankommt, sollte der entstehende zusätzliche Zeitaufwand für die/den Übersetzer/in nicht unterschätzt werden. Der Fliegerjargon, genauer gesagt: seine international gültige „Buchstabiertafel“, wird in Bis zum Taupunkt übrigens auch selbst zum Gegenstand von Reflexionen. In der Syntax dominieren lange, parataktische Reihen von Aussagen, die durch Kommata getrennt sind; Punkte werden erst dann gesetzt, wenn ein längerer Gedankengang zu Ende geführt ist. Eine Bemerkung zum Titel der Geschichte: der Taupunkt (ital. punto di rugiada) gibt die Temperatur an, bei der sich Luftfeuchtigkeit in Tau bzw. Nebel verwandelt. - Ergänzend zu Fino al punto di rugiada werden vereinzelt zwei weitere Erzählungen aus demselben Band in den Übersetzungsver- gleich einbezogen: Tra il secondo 1423 e il secondo 1797/Zwischen der 1423. Sekunde und der 1797. Sekunde (15-22/ 21-31) lässt uns den Bericht zweier Piloten mithören, deren vollbesetztes Passagierflugzeug innerhalb weniger Minuten unrettbar verloren ist und abstürzt; Unreported inbound Palermo (97-104/ 139-148) setzt sich mit dem bis heute ungeklärten Absturz einer Linienmaschine nahe der sizilianischen Insel Ustica (27.6.1980) auseinander. 15Der Text von Croce (bei ihm: „Niccolò“ Pesce) findet sich z.B. unter: http://free.imd.it/colapesce/Cola-Chiera/Colapesce-Croce.htm Auch Schillers Gedicht „Der Taucher“ ist von dem Cola Pesce-Märchen angeregt. 11
2. Die Metapher in der literarischen Übersetzung 2.1. Grundsätzliches zur Metaphernübersetzung Metaphern können in literarischen Übersetzungen zum Problem werden, denn nicht jedes Bild, das in der AS „funktioniert“ lässt sich ohne Weiteres in die ZS übertragen. Andererseits hat es den Anschein, dass viele Übersetzer dazu neigen, stilistisch wirksame Metaphern, auch in Fällen, in denen es nicht erforderlich wäre, stilistisch abzuschwächen oder gänzlich zu neutralisieren. Bevor wir den Umgang mit Metaphern in der literarischen Übersetzung untersuchen, wollen wir eine notgedrungen knappe Begriffsklärung versuchen. (vgl. Glück 1993: 388 u. 653; Bußmann 1990: 484f; Wilpert 1989: 568f.) In der antiken Rhetorik gehört die Metapher zu den Tropen, d.h. zu den Formen „uneigentlichen“ Sprechens, bei denen ein Unterschied zwischen Gesagtem und Gemeintem besteht. Nach Quintilian sind Metaphern abgekürzte Vergleiche: Das Gesagte tritt unmittelbar an die Stelle des Gemeinten, ohne formelle Ausführung des Vergleichs. Der metaphorische Ausdruck wird „aus dem eigentlichen Bedeutungszusammenhang auf einen anderen, im entscheidenen Punkt vergleichbaren, doch ursprünglich fremden Vorstellungsbereich übertragen“ (Wilpert ebd.). Deshalb ergibt sich bei wörtlicher Lesart – z.B. von „Der Schrank seufzt“ (Titel von Kjär 1988) ein Widerspruch; ein Schrank kann nun mal nicht seufzen. Entweder hat „Schrank“ eine übertragene Bedeutung („großer, breitschultriger Mann) oder „seufzt“ ist metaphorisch gebraucht („knarrt“, „quietscht“). Aus linguistischer Sicht spricht man deshalb auch davon, dass die Metapher einen „Verstoß gegen Selektionsregeln“ bzw. eine „Verletzung der semantischen Kongruenz“ darstellt (Kjär 1988: 25). Nach Musso (1992: 38f) kann man solchen Verstößen mit einer semantischen Komponentenanalyse auf den Grund gehen. Beim obigen Beispiel ergibt sich etwa ein Widerspruch zwischen den Semen [+belebt] von „seufzen“ und [-belebt] von „Schrank“. Nicht immer aber lassen sich solche Inkongruenzen im Satz bzw. Text selbst dingfest machen.16 Musso (1992: 39) weist zutreffend darauf hin, dass sich das Phänomen der Metapher nur dann erfassen lässt, wenn man die Wortebene nicht nur nach unten (Komponentenanalyse), sondern auch in umgekehrter Richtung überschreitet, d.h. den Satz, den Text und notfalls auch den Kontext mitberücksichtigt. So könne man bei einer 16Uwe Kjär (1988) gelingt dies bei seiner umfangreichen statistischen Analyse von Metaphernübersetzungen nur, weil er sich auf einen einzigen Typ beschränkt, nämlich auf Verbalmetaphern des Typs „Der Schrank seufzt“, also: NP (Subjekt) + VP (finites Verb) (ebd., 28). 12
(isolierten) Äußerung wie „La vedi, quella è proprio un’oca!“17 u.U. erst aus der Situation entnehmen, wie sie zu interpretieren sei (Haustier/ dumme Frau). Nun sind nicht alle Metaphern in gleicher Weise stilistisch wirksam; es ist bekannt, dass ursprünglich originelle Bilder, wenn sie sich in der Sprachgemeinschaft durchsetzen, verblassen (z.B. sich zügeln). Sie werden Teil des Sprachsystems und erscheinen im Lexikon als Polysemie des jeweiligen Lexems. Solche Metaphern werfen bei der Übersetzung vermutlich andere Probleme auf als „okkasionelle“ (oder „kreative“, „kühne“, „private“) Metaphern. Van den Broeck, der sich in dem Aufsatz „The Limits of Translatability Exemplified by Metaphor Translation“ (1981) mit dem Problem auseinandergesetzt hat, unterscheidet – nach dem Grad der “Institutionalisierung” drei Kategorien: lexikalisierte, konventionelle und private Metaphern. „Konventionelle“ Metaphern (bei Kjär 1988 „usuell“, vgl. auch Koller 1997: 254ff.) stehen in der Mitte: sie sind nicht mehr „privat“, aber auch (noch) nicht lexikalisiert, sondern z.B. Teil einer literarischen Tradition (Schule, Generation). Darüber, welche Metaphern besondere Probleme bei der Übersetztung aufwerfen, gibt es verschiedene Ansichten. Ausgangspunkt ist häufig Kloepfers (1966: 116) Behauptung „je kühner und freier erfunden, je einmaliger eine Metapher ist, desto leichter läßt sie sich in anderen Sprachen wiederholen“, denn es gebe eine „Harmonie der Bildfelder zwischen den abendländischen Sprachen (H. Weinrich)“ und (universell) gültige „Strukturen der Phantasie“. Kloepfer macht diese Aussage im Zusammenhang der Übersetzung eines Rimbaud-Textes („Metropolitain“); ob sie verallgemeinert werden kann, scheint mir zweifelhaft, denn bei Rimbaud handelt es sich m.E. um für die moderne Lyrik charakteristische „absolute“ Metaphern bzw. Chiffren, „die auf das tertium comparationis verzichte[n]“ (Wilpert 1989: 569). Van den Broeck (1981: 80) stimmt Kloepfer insofern zu, als kühne Metaphern selbst Verstöße gegen das Sprachsystem seien und ihre Übersetzung daher kaum an den systematischen Sprachkontrasten scheitern dürfte.18 Auf jeden Fall stellt van den Broeck die Hypothese auf, „private“ Metaphern seien leichter übersetzbar als „konventionelle“, weil sie weniger kulturspezifisch seien (ebd.: 84) als diese. Aber auch letztere erwiesen sich als relativ gut übersetzbar, da sie oftmals dem gemeinsamen kulturellen Erbe der Weltliteratur angehörten (ebd.: 81). Lexikalisierte Metaphern stellten – so van den Broeck – überhaupt kein Problem dar, wenn sie in „non-creative language“ erschienen; auch in literarischen Texten jedoch sei nicht jeder metaphorische Ausdruck relevant für die kommunikative Funktion des Textes. Van den Broeck weist in diesem 17 Dt.: “Guck mal da! Das/die ist wirklich eine Gans!“ 18 “In so far as private metaphor is itself a violation of the rules governing the linguistic system it will be difficult to realize how mere differences between linguistic systems (natural languages) can impose serious limits on its translatability.” (Broeck 1981: 80) 13
Zusammenhang auf die „translator’s illusion“ (Jean Paulhan) hin, also auf die Gefahr, in der AS stilistisch eigentlich nicht auffällige Einheiten für eine kreative Leistung des Autors zu halten und dementsprechend durch „overtranslation“ zu verzerren. Am geringsten sei die Übersetzbarkeit – so van den Broeck – bei deautomatisierten („foregrounded“) lexikalisierten Metaphern. Ein schönes Beispiel aus Musils Mann ohne Eigenschaften bringt Isabella Musso (1992: 44): „am nächsten Morgen stand Ulrich mit dem linken Fuß auf und fischte mit dem rechten unentschlossen nach dem Morgenpantoffel“. Natürlich lässt sich „mit dem linken Fuß aufstehen“ als lexikalisierte Metapher19 problemlos übersetzen, u.U. sogar mit einer anderen lexikalisierten Metapher. Aber wenn sich die ZS-Metapher nicht des gleichen Bildes bedient, dann kann der durch den zweiten Teil des Satzes ausgelöste Effekt des „foregrounding“ nicht in die ZS hinübergerettet werden. Musso schätzt dagegen die Übersetzbarkeit von „okkasionellen“ bzw. „kühnen“ Metaphern etwas anders ein; im Gegensatz zu Kloepfer, dessen o.a. Aussage auch sie zitiert, hält sie die Übersetzung kühner Metaphern für sehr problematisch. Da kühne Metaphern nicht dem Sprachsystem (langue) zugehörten, sondern einmalige Äußerungen der parole seien, sei jeder Fall ein Fall für sich, ohne dass man allgemeine Regeln aufstellen könne (Musso 1992: 38). Musso zeigt auch an praktischen Beispielen aus der italienischen Übersetzung von Ein Mann ohne Eigenschaften, wie schwer eine angemessene Übertragung solcher Metaphern sein kann. Bevor wir uns fragen, welche empirischen Daten vorliegen, eine kurze Bemerkung zum Begriff der Übersetzbarkeit: Van den Broeck spricht von Übersetzung „sensu stricto“, wenn das der Metapher zugrunde liegende Bild auch in der ZS wiedergegeben wird, von Substitution, wenn die Übersetzung sich eines anderen Bildes bedient (aber ebenfalls metaphorisch ist), von Paraphrase, wenn die Übersetzung in nicht-metaphorischer Sprache („plain speech“) verfasst ist (vgl. Koller 1997: 254). Wir werden in diesem letzten Fall auch von „Neutralisierung“ sprechen. Nun kann klargestellt werden, dass sich der Begriff „Übersetzbarkeit“ vor allem auf die Übersetzung „sensu stricto“ bezieht. Dies gilt insbesondere für okkasionelle und deautomatisierte lexikalisierte Metaphern; normale lexikalisierte gelten auch dann als gut übersetzbar, wenn die Übersetzung das Bild substituiert oder gar neutralisiert. Die einzige mir bekannte empirische Studie zur Übersetzbarkeit ist die schon erwähnte von Uwe Kjär (1988). Kjär hat die Übersetzung (ins Schwedische) von ca. 1200 okkasionellen Verbalmetaphern aus deutschen narrativen Texten des 20. Jahrhundert (u.a. Böll, Frisch, Grass, Handke, Lenz, Walser) untersucht. Dabei ergab sich, dass 47,7% der Übersetzungen Metaphern waren, die sowohl in der 19Streng genommen handelt es sich um eine idiomatische Wendung, denn bei wörtlicher Lesart fehlt hier die semantische Inkongruenz. 14
syntaktischen Struktur (Subjekt und finites Verb) als auch semantisch-lexikalisch (also in der Wortwahl) dem Original entsprachen. Weitere 17,9%20 wiesen semantisch-lexikalische Abweichungen auf (z.B. Pressebleistifte huschten über Stenogrammblöcke -> Bleistifte stenographierten auf Reporterblöcken, vgl. S. 107), 1,6% präsentierten zusätzlich formelle (syntaktische) Inkongruenzen und die übrigen (ca. 1/3) waren nicht-metaphorisch übersetzt, d.h. neutralisiert oder „frei übersetzt“. Während für Kjär (1988: 120) „die These von der Unübersetzbarkeit von Metaphern“ durch dieses Ergebnis „den Charakter einer theoretischen Fiktion“ erhält, wertet Koller (1997: 256) es umgekehrt als Beleg für die Schwierigkeit, okkasionelle Metaphern zu übersetzen, sowie als (partiellen) Beweis der Behauptung, Übersetzungen seien „flacher“ als Originale. Dass sich, wie Kjärs Studie zeigt, die verschiedenen Übersetzer „gegenüber der übersetzerischen Herausforderung der okkasionellen Metapher“ (Koller 1997: 257) ganz unterschiedich verhalten, zeigt allerdings auch, wie problematisch die von der deskriptiven Übersetzungsforschung postulierten „Gesetze“ sind (vgl. Broeck 1981; 84; Toury 1995: 267ff.). Im zweiten Teil des Kapitels soll an einigen Beispielen gezeigt werden, wie die Übersetzerin, Karin Fleischanderl, mit den Metaphern in Del Giudices Erzählung Bis zum Taupunkt verfahren ist. Ich erhebe dabei keinen Anspruch auf umfassende oder repräsentative Analyse, sondern möchte nur an- schauliche Beispiele und grobe Tendenzen aufzeigen. 2.2. Lexikalisierte Metaphern Wie zu erwarten, ist die Übersetzung lexikalisierter Metaphern in der Regel unproble- matisch. Beispiele (I = AS-Text; W= wörtliche Übersetzung; D = ZS-Text): [72/105] I: Ecco come t’ha incastrato. D: Da siehst du, wie er dich festgenagelt (W: eingeklemmt) hat. 20 Usuelle Metaphern fallen zwar in diese Kategorie (vgl. Kjär 1988: 108), sind aber nicht mir ihr identisch (stellten vermutlich sogar nur einen kleinen Teil dar). Kollers (1997: 255) Zusammenfassung von Kjärs Ergebnissen ist in diesem Punkt sachlich falsch. Übrigens ist auch der Prozentwert für „Verfahren III“ (S. 256) inkorrekt: statt 28% müsste es 22,8% heißen. 15
Für incastrare, eigentlich „ineinanderstecken, einklemmen“, gibt das Wörterbuch21 als übertragene Bedeutung u.a. „in die Zange nehmen, festnageln“ an. Es handelt sich also eindeutig um eine lexikalisierte Metapher, die in diesem Fall auch im Deutschen mit einer verblassten Metapher wiedergegeben werfen kann. [70/101] I: il rumore dell’elica che mordeva l’aria con una diversa incidenza D: das Geräusch des Propellers, der sich mit veränderter Geschwindigkeit durch die Luft schraubte (W: …der … (in) die Luft biss) Das zweisprachige Wörterbuch kennt an einschlägigen übertragenen Bedeutungen von mordere („beißen“) nur mordere l’asfalto = auf dem Asphalt haften/ geradezu kleben. Aber im „Zingarelli“ finden sich andere Beispiele für mit Gewalt eindringende, schneidende Bewegungen. Die damit verbundene bildliche Vorstellung ist m.E. nicht ganz verblasst und hätte durch das Verb (die Luft) durchschneiden vielleicht ins Deutsche hinübergerettet werden können.22 [71/103] I: un’augusta frase naturale stampata in mente D: ein erhabener, schlichter Satz, der sich dir eingeprägt [W: in den Geist gedruckt] hatte Hier bieten die beiden Sprachsysteme wiederum sehr ähnlich gelagerte Bilder an, die einerseits dem Buchdruck, andererseits der Münzprägung entnommen sind. Es kann also nicht nur der Grad der stilistischen (Un)Auffälligkeit, sondern sogar weitgehend das zugrunde liegende Bild gewahrt werden. Von Neutralisierung einer lexikalisierten Metapher kann man dagegen im folgenden Beispiel aus der Erzählung Unreported inbound Palermo sprechen: [98/140] I: dipinte con vernice nera sul ventre dell’ala sinistra D: mit schwarzem Lack auf die Unterseite (W: den Bauch) der linken Tragfläche gemalt 21 Alle Wörterbuch-Informationen sind – falls nicht anders angegeben – entnommen aus dem zweisprachigen DIT des Verlags Paravia (1996); aus dem einsprachig italienischen „Zingarelli“ von Zanichelli (1988) und dem „Deutschen Universalwörterbuch A-Z“ von Duden (1989); vgl. Literaturverzeichnis 22 In diese Richtung würde auch incidenza weisen, das hier keine lexikalisierte Bedeutung hat, aber – da von incidere= einschneiden abgeleitet, ebenfalls auf das Schneidende hinweist. Vielleicht wäre ein semantischer Austausch folgender Art möglich gewesen: ..., der mit verändertem Biss die Luft durchschnitt/zerschnitt. 16
Die Unterseite des Flügels heißt im Italienischen ventre (Bauch); das Deutsche hat hier nichts Vergleichbares zu bieten. Die Übersetzung kann also nur nicht-metaphorisch sein. Für einen anderen Teil des Flugzeugs, den Bug, greifen beide Sprachen hingegen auf genau denselben (lexikalisierten) metaphorischen Ausdruck zurück: [75/108] I: seduto su un fianco, dentro il tuo aereo girato su un fianco e col muso in alto. D: du sitzt schräg in deinem schräg dahinfliegenden Flugzeug mit der Schnauze nach oben. Im Deutschen wäre hier auch Nase möglich – und wahrscheinlich stilistisch weniger auffällig - gewesen. Im nächsten Beispiel liegt – für mein Empfinden – eine (leichte) stilistische Überhöhung vor, also eine „overtranslation“, wie van den Broeck es nennen würde. [72/105] I: l’aereo ballava di qua e di là D: das Flugzeug hüpfte hierhin und dorthin Ballare, in der Grundbedeutung tanzen, wird im Italienischen für viele zitternde, schwankende Bewegungen von Gegenständen verwendet (der Tisch „tanzt“, d.h. wackelt – bei einer Erschütterung, z.B. einem Erdbeben „tanzen“ die Möbel), hüpfen dagegen wird eher auf belebte Wesen bezogen (Kinder, Frösche usw.) und ist deshalb in diesem Kontext stilistisch auffälliger (stärker „markiert“) als das italienische Lexem. Alternativ hätte man springen verwenden können. Schwierig zu übersetzen – so die einhellige Meinung der meisten oben zitierten Fach- leute – sind lexikalisierte Metaphern, die aufgrund besonderer Kollokationen „deautomatisiert“ werden und dadurch als Metaphern ins Bewusstsein treten („foregrounding“). Das folgende Beispiel ließe sich so interpretieren: [80/115] I: del temporale, … percepivi soltanto qualche balenio ovattato D: von dem ... Gewitter, ..., nahmst du nur hin und wieder ein Wetterleuchten (W: ein „wattiertes“, d.h. gedämpftes, Blitzen/Wetterleuchten) wahr 17
Ovattare bedeutet wörtlich wattieren, als lexikalische Metapher dämpfen, abschwächen. In dieser Bedeutung bezieht sich das Lexem aber eigentlich immer auf Geräusche. Die Verwendung im Zusammenhang mit einer visuellen Erscheinung führt – unterstützt durch die vom Ko-text nahegelegte Assoziation Wolke-Watte – dazu, dass der italienische Leser tatsächlich an die wörtliche Bedeutung erinnert wird. Eben darin besteht „foregrounding“. Die Übersetzerin hat sich für eine Übersetzungslücke entschieden; tatsächlich dürfte es schwierig, wenn nicht unmöglich sein, einen analogen Effekt im Deutschen zu erzielen.23 Ein anderer Fall von „foregrounding“ besteht im mehrfachen Auftreten des Wortpaares sotto (unten) und sopra (oben) im Kontext der Cola Pesce-Geschichte [75-76/ 109-111]. Im freien Fall nach dem Strömungsabriss ist dem Piloten („dir“) nicht klar, wo Oben und Unten ist und er assoziiert die Geschichte von Cola Pesce, dem Fisch-Jungen der in einer Luftblase am Meeresboden gefangen bleibt, weil auch hier eine Verkehrung von Oben und Unten vorliegt. Nachfolgend erscheinen die beiden Adverbien zusammengerückt als sottosopra mit der lexikalischen Bedeutung Durcheinander. Da es sich aber auch hier wieder auf die Verkehrung von Oben und Unten bezieht, entfaltet es einen „poetischen“ Effekt und bewirkt einen Aufmerksamkeitssprung auf die metalinguistische Ebene. Die Übersetzerin hat sich hier für Drunter und Drüber entschieden, um die Assoziation „ungeordnete Verhältnisse“ zu bewahren. Gleichzeitig ist aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs auch der Bezug zur räumlichen Vorstellung der Verkehrung von Oben und Unten gesichert, d.h. Drunter und Drüber wird auch im Deutschen deautomatisiert; was sich nicht aufrecht erhalten ließ, ist die wörtliche Identität der beiden Ausdrücke: [76/111] I: ... nessuno aveva riflettuto su quell’inaudito sottosopra, non diverso dal sottosopra in cui tu stesso ti rivoltavi ora ... D: ... niemand hatte sich über dieses unerhörte Drunter und Drüber Gedanken gemacht, das sich nicht von dem Drunter und Drüber unterschied, in dem du dich im Augenblick befandest, ... 2.3. Okkasionelle Metaphern Die Übersetzbarkeit okkasioneller, kreativer Metaphern, also jener, die (noch) nicht ins Sprachsystem bzw. Lexikon eingegangen sind, wird – wie in 2.1. dargestellt – ganz unterschiedliche eingeschätzt; hinzu kommt, dass verschiedene Übersetzer in diesem Punkt 23Man könnte versuchen, dämpfen durch ein neu eingeführtes Kontextelement zu deautomatisieren, z.B. ... nahmst du im Wolkendampf nur hin und wieder ein gedämpftes Blitzen wahr. 18
offenbar unterschiedliche individuelle Normen bzw. Gepflogenheiten haben. Um es vorwegzunehmen: in der Übersetzung von Karin Fleischanderl sind einige okkasionelle Metaphern stilistisch wirksam übersetzt worden, die meisten jedoch wurden neutralisiert. Eine zielsprachliche Metapher findet sich z.B. in folgendem Fall: [71/102] I: La velocità l’avevi ridotta d’istinto sentendo l’aereo torcersi e piegarsi W: Die Geschwindigkeit hattest du instinktiv reduziert, als/weil du das Flugzeug sich winden und krümmen spürtest. D: Du spürtest, wie es sich wand und krümmte, und nahmst instinktiv Fahrt zurück Hier liegt eine Übersetzung „sensu stricto“ im Sinne van den Broecks vor, denn die Übersetzung „bleibt im Bild“. Die semantische Inkongruenz ist in beiden Sprachen dieselbe, denn nur ein Lebewesen, kein unbelebtes Objekt krümmt und windet sich; auch das tertium comparationis funktioniert in beiden Sprachen in gleicher Weise, bei sich winden und krümmen denkt man u.a. an Schläge: hier sind es die Schläge und Stöße, die denen das Flugzeug im Unwetter ausgesetzt ist. Leicht abgeschwächt erscheint dagegen folgende Metapher: [76/110] I: ... e quando sollevò il capo per risalire vide sopra di sé le acque tese e ferme. Chiuse. D: … und als er den Kopf nach oben wandte, um aufzusteigen, sah er über sich eine fest gespannte, unbewegliche und abgeschlossene Wasserdecke. Hier ist die Rede von Cola Pesce, der wieder an die Oberfläche möchte, aber den Rückweg versperrt vorfindet. Die Formulierung ist von Benedetto Croce übernommen und bedeutet wörtlich „sah er über sich die Wasser gespannt und still. Geschlossen.“ M.E. wäre eine näher am Text verbleibende, stilistisch akzeptable Übersetzung möglich gewesen, etwa: „sah er, dass das Wasser über ihm steif/erstarrt und unbeweglich war. Verschlossen.“ Dass es sich dabei um eine Art „Decke“ handelt, kann der italienische Leser erst im nächsten Satz erahnen, wo von der Luftblase die Rede ist, in der Cola Pesce sich aufhält. Die Übersetzerin hat also die semantische Inkongruenz – flüssiges Wasser kann nicht steif sein – zwar nicht neutralisiert, durch die frühzeitige Einführung der „Decke“ aber doch begreifbarer und lesbarer gemacht. Eine Abschwächung liegt auch im folgenden Fall vor: 19
[77/112] I: …, quando la materia nebulosa si faceva più scura riverberava i flash intermittenti degli strobe anticollisione sul bordo delle ali, lampi regolari per foto ricordo delle nuvole, viste dal loro interno, e con te dentro. D: ..., als die neblige Masse dunkler wurde, blitzten die strobe lights an der Kante der Tragflächen auf, ein regelmäßiges Blitzlicht für Erinnerungsfotos aus dem Bauch der Wolken, mit dir mittendrin. (W: ... für Erinnerungsfotos von den Wolken, aus ihrem Inneren gesehen, und mit dir darinnen) Hier greift die Autorin eine vorher eingeführte Metapher des Autors (Bauch) wieder auf, um die „Innenansicht“ der Wolken zu übersetzen. Dabei geht aber die subtile Inkongruenz von Erinnerungsfoto und Wolken verloren: Erinnerungsfotos macht man eigentlich nicht von Wolken und überhaupt selten von unbelebten Objekten, sondern meist von Freunden und Familienangehörigen (mit sich selbst mitten drin). Eine Übersetzung, die dieses feine metaphorische Element wahrt, könnte vielleicht sein: ... für Erinnerungsfotos von den Wolken, von innen gesehen, und mit dir mittendrin (oder: und du mittendrin). In den folgenden Fällen würde ich nicht mehr von Abschwächung, sondern von Neutralisierung sprechen: [67/97] I: i vetri dell’aereo divennero smerigliati e bianchi D: die Fenster des Flugzeugs beschlugen sich rundherum und wurden weiß (W: ... wurden mattgeschliffen/milchig und weiß) Die vorgeschlagene Übersetzung ist m.E. sowohl denotativ wie konnotativ unangemessen. Vetro smerigliato ist keine beschlagene Scheibe (dafür verwendet man appannato, wörtlich „besahnt“), sondern Milch- oder Mattglas; darin besteht übrigens das Metaphorische, dass sich die Windschutzscheibe nicht wirklich in Milchglas verwandelt, während sie ja durchaus beschlagen könnte. Milchglas als Cockpitverglasung wirkt zudem bedrohlicher, und darum geht es hier. Mögliche Alternative: „... die Fenster verwandelten sich in (weißes) Milchglas“. [69/100] I: …, in questo modo la mente si proteggeva dal terrore spurgando stupidaggini, … D: …, so schützte sich der Geist vor der Angst, indem er Banalitäten von sich gab, … Spurgare bedeutet reinigen, säubern (z.B. von Sickergruben) und in der Medizin aushusten, auswerfen. Die syntaktische Struktur ist die der zweiten Bedeutung. Warum also nicht: so 20
schützte sich der Verstand vor der Panik, indem er Blödsinn abhustete. Etwas weniger gewagt, aber dem Original dennoch näher wäre ausspuckte. Folgendes Beispiel macht klar, in welch misslicher Lage man sich als Übersetzer befinden kann: [69/100 vgl. auch 73/106] I: occhio che al buio ti segue dentro il catino luminoso delle tracce radar D: Auge, das dir im Dunkeln am Radarschirm (W: im leuchtenden Becken der Radarspuren) folgt Catino bedeutet eigentlich Schüssel, Becken, in der Geographie Mulde, in der Architektur Halbkuppel; es kann, so der „Zingarelli“, auch übertragen werden auf die Form eines Sportstadions. Das Grundproblem ist der lexikalische Status von catino im vorliegenden Zusammenhang. Ist catino ein technischer Fachbegriff, d.h. eine lexikalisierte Metapher für den konkaven Radarschirm24, dann darf Radarschirm als angemessene Übersetzung gelten und jede metaphorische Übertragung ins Deutsche wäre „overtranslation“. Handelt es sich aber um eine originelle, bildhafte Schöpfung des Autors – wofür einiges spricht – dann wäre Radarschirm eine stilistisch stark verflachende Neutralisierung. Noch komplizierter wird die Angelegenheit, wenn wir die Wirkung auf den italienischen Leser einzubeziehen versuchen; denn selbst wenn catino Fach- oder Fachjargonbegriff ist, wird der durch- schnittliche Leser es u.U. „deautomatisiert“ wahrnehmen, d.h. an die Form einer Schüssel denken. Die folgenden zwei Metaphern beruhen auf der „Übertragung von Belebtem auf Lebloses“ (nach Wilpert 1989: 568 die häufigste Kategorie in der Metapherneinteilung nach Quintilian). In der Übersetzung wurden sie neutralisiert: [76/109] I: ... e relitti di navi morte. D: … und Resten gesunkener Schiffe. (W: ... und Wracks toter/gestorbener Schiffe) [98/140] aus: Unreported inbound Palermo I: ..., la telecamera sottomarina intuí cinque lettere dell’alfabeto, I-TIGI, dipinte in vernice nera sul ventre dell’ala sinistra, … D: Die Unterwasserkamera ... erfaßte (W: erahnte/ erkannte) fünf Buchstaben des Alphabets, I-TIGI, die mit schwarzem Lack auf die Unterseite der linken Tragfläche gemalt waren 24 Dafür konnte ich in technischen Wörterbüchern keinen Beleg finden. 21
Das erste Beispiel ist der in die Erzählung eingebauten Croce-Version des Cola Pesce- Märchens entnommen: Cola Pesce berichtet dem König, was er am Meeresboden gesehen hat. Del Giudice, der den Croce-Text ansonsten fast wörtlich übernimmt, greift hier auf signifikante Weise ein, denn Croces navi sommerse (versunkene Schiffe) werden zu navi morte (tote Schiffe); durch die „Humanisierung“ unbelebter Gegenstände schafft er zudem einen Gleichklang mit den in der Aufzählung unmittelbar voraufgehenden menschlichen Skeletten. Eine im Bild bleibende Übersetzung wäre m.E. nicht allzu kühn, denn so wie im Italienischen existieren auch in der deutschen Sprache zahlreiche lexikalisierte Metaphern mit „tot“, die als Bezugsrahmen für die okkasionelle Metapher dienen können (Totes Meer, totes Gleis, tote Materie usw.). Die Übersetzung des zweiten Beispiels ließe damit begründen, dass erfassen auch begreifen bedeuten und mithin eine originär menschliche Tätigkeit bezeichnen kann; diese Konnotation wird jedoch m.E. im Kontext des ZS-Textes nicht aktiviert. Eine solche stilistische Abschwächung ist besonders problematisch, weil die Übertragung von Belebtem auf Lebloses in Unreported inbound Palermo ein durchgängiges Motiv ist: Die Geschichte dieses Flugzeugabsturzes kann nur von den vom Meeresgrund geborgenen Relikten „erzählt“ werden, denn Überlebende gibt es nicht. Selbst die Kenn- buchstaben I-TIGI werden als Name eines antiken Volkes („Die Tigi“) interpretiert, das auf dem Meeresboden verstreut lagert. Wie schon gesagt, erheben diese Beispiel nicht den Anspruch, repräsentativ zu sein. Dennoch sind sie wohl geeignet, die mit der Übersetzung von Metaphern verbundenen Probleme anschaulicher zu machen. Gerade bei den okkasionellen Metaphern lässt sich tatsächlich – auch im hier zugrunde gelegten Text – häufiger eine stilistische Verflachung beobachten. Wieweit diese Tendenz auf individuellen Präferenzen und Gewohnheiten, auf kulturellen und literarischen Normen oder auf der Psychologie des Übersetzer-Berufs („etwas verständlich machen“) beruht, möchte ich offen lassen.25 2.4. Metaphern und Vergleiche Im letzten Abschnitt des Kapitels soll kurz auf einen Aspekt hingewiesen werden, der im Zusammenhang der Metaphernübersetzung immer wieder genannt wird: die stilistische Abschwächung der Metapher durch Überführung in einen Vergleich. Musso (1992: 44) 25 M.E. spielt auch eine Rolle, dass literarische Übersetzer sich auch aufgrund ökonomischer Zwänge nicht allen stilistischen Problemen in dem Umfang widmen können, wie sie es vielleicht gern möchten. 22
bringt u.a. folgendes Beispiel aus der italienischen Übersetzung von Der Mann ohne Eigenschaften: D: Der Spätfrühling-Herbsttag beseeligte ihn. Die Luft gor. I: La giornata primaverile d’autunno gli dava un senso di beatitudine. L’aria era come un lievito (W.: Die Luft war wie Hefe) Musso (ebd.) meint, durch diese Form der Explizierung von Metaphern werde die se- mantische Inkongruenz stark abgeschwächt, da an die Stelle einer Beziehung der Identität (von Gesagtem und Gemeintem) eine solche des Vergleichs trete. Schon Levý (1969: 118) weist darauf hin, dass die Auflösung von Metaphern in Vergleiche einer der charakteri- stischsten Züge poetischer Übersetzungen sei, wobei er zwar keine wesensmäßigen Unterschiede zwischen den beiden Figuren sieht, aber gleichwohl in dem Verlust an Intensität und Unmittelbarkeit eine stilistische Abschwächung erkennt. Ebenso kritisiert Kloepfer (1966: 104), Vossler verflache Dantes Purgatorio in der deutschen Übersetzung, indem er Metaphern in Vergleiche auflöse. In Fleischanderls Übersetzung von Fino al punto di rugiada habe ich diese Form der Stilunterbietung freilich nicht entdecken können. Eine andere Frage ist die nach der Übersetzung von bereits im AS-Text enthaltenen Vergleichen. Die untersuchte Erzählung enthält eine ganze Reihe davon, wobei die Übersetzung meist so wörtlich und unproblematisch ist wie in den folgenden Fällen: [69/100] I: … come un cane dal proprio padrone D: … wie ein Hund von seinem Herrn [70/102] I: ... umido e opaco come una medusa D: … feucht und undurchdringlich wie eine Qualle Vereinzelt allerdings sind die Entsprechungen nicht so direkt. Warum die Übersetzerin im folgenden Beispiel das vom Autor benutzte Bild der Wetterfahne aufgibt (das Fischchen hätte zum Hahn mutieren können), ist mir nicht einsichtig. Außerdem verschiebt sich der Bezugspunkt des Vergleichs vom Flugzeug auf den imaginären Stift: 23
[70/101] I: queste [=le imbardate di lato] mettevano l’aereo di traverso senza piegarlo in virata, facendolo ruotare su un immaginario perno verticale che lo trafiggesse dall’alto, come un pesciolino in una banderuola … D: deshalb wurde es [=das Flugzeug] seitlich versetzt, aber ohne wie bei einer Kurve Querneigung anzu- nehmen, es rotierte flach um einen imaginären senkrechten Stift, der es von oben durchbohrte wie eine Fahnenstange … (W.: wie ein Fischchen in der Wetterfahne) Das folgende, abschließende Beispiel dokumentiert den vermutlich seltenen Fall der Umwandlung eines Vergleichs in eine Metapher: [77/112] I: tu volavi tra onde d’aria invisibili e gocce di pioggia che il vento dell’elica schiacciava come lombrichi trasparenti velocissimi, subito essiccati lungo il parabrezza D: du flogst inmitten unsichtbarer Luftwellen und Regentropfen, die im Propellerwirbel zu meterlangen, durchsichtigen Würmern wurden und auf der Scheibe augenblicklich gefroren. (W.: ..., die der Propellerwind zerdrückte wie sehr schnelle durchsichtige Regenwürmer, die sofort längs der Windschutzscheibe vertrockneten) 3. Weitere stilistische Probleme der literarischen Übersetzung 3.1. Lexemwiederholung und Polysemie Nicht zu übersehendes stilistisches Kennzeichen der hier untersuchten Erzählungen von Daniele del Giudice ist der Rückgriff auf sprachspielerische Elemente verschiedenster Art; in vielen Fällen beruhen sie auf Wiederholungen von Lexemen oder Syntagmen, die durch durch formale Analogie Verbindungen zwischen Textinhalten herstellen oder vertiefen. Teilweise sind es Schlüsselwörter, die leitmotivisch wiederholt werden und Grundthemen des Textes betreffen, wobei mitunter auch Polysemien genutzt werden. Ich bin der Meinung, dass stilistische Phänomene dieser Art soweit wie möglich im ZS-Text bewahrt werden sollten, um „formal-ästhetische Äquivalenz“ (Koller) herzustellen. Zunächst zwei Beispiele aus Unreported inbound Palermo. Das insgesamt in Klammern gesetzte Kapitel beginnt wie folgt: 24
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