Metaphern und andere Probleme der literarischen Übersetzung - am Beispiel von Daniele del Giudices "Das Abheben des Schattens vom Boden"

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Metaphern und andere Probleme der literarischen Übersetzung - am Beispiel von Daniele del Giudices "Das Abheben des Schattens vom Boden"
Metaphern und andere Probleme der
    literarischen Übersetzung
 am Beispiel von Daniele del Giudices „Das
   Abheben des Schattens vom Boden“

                Peter Paschke
© Peter Paschke
  Kassel 2000

      2
Inhalt

0.       Vorbemerkung                                                   5

1.       Die spezifischen Merkmale der literarischen Übersetzung        7
         Exkurs: Daniele del Giudice: Staccando l’ombra da terra       10

2.       Die Metapher in der literarischen Übersetzung                 12
         2.1. Grundsätzliches zur Metaphernübersetzung                 12
         2.2. Lexikalisierte Metaphern                                 15
         2.3. Okkasionelle Metaphern                                   18
         2.4. Metaphern und Vergleiche                                 22

3.       Weitere stilistische Probleme der literarischen Übersetzung   24
         3.1. Lexemwiederholung und Polysemie                          24
         3.2. Thematisierung grammatischer Phänomene                   31
         3.3. Sprachtypologische Kontraste                             33
         3.4. Satzverlängerung                                         37
         3.5. Probleme der Wortwahl                                    38

4.       Inhaltliche Aspekte der literarischen Übersetzung             41
         4.1. Logisierung von Textinhalten                             41
         4.2. Soziokultureller Standpunkt und inhaltliche Eingriffe    44

5.       Schluss                                                       46

         Bibliographie                                                 48

                                                3
4
0. Vorbemerkung1

      „Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den
Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller
ihm     entgegen.“2     Die     von    Schleiermacher       formulierte      Dichotomie       zwischen
„Eindeutschen“        und     „Verfremden“      bringt    die    sich    historisch    abwechselnden
Grundorientierungen der literarischen Übersetzung auf den Begriff. Im 20. Jahrhundert
finden wir dieselbe Alternative – wenn auch deskriptiv gewendet – etwa bei Gideon Toury
(1978) wieder, der unter dem Begriff „initial norms“ die grundlegende Entscheidung des
Übersetzers wie folgt fasst: „he either subjects himself to the original text ... or to the
linguistic and literary norms active in TL3 and in the target literary polysystem ...“ (Toury
1978: 88).4 Lawrence Venuti verlässt die rein deskriptive Haltung und wirft in The
Translator’s Invisibility (1995) den englischsprachigen Übersetzer der letzten Jahrhunderte
vor, sie hätten sich einseitig am Kriterium der Lesbarkeit („fluency“), also am literarischen
Geschmack der Zielkultur orientiert. Kloepfer (1966) verfolgt den Widerstreit und die
Dialektik der Ansätze durch die abendländische Geschichte, bevor er sich selbst dafür
ausspricht, die Schleiermachersche Antinomie als die zwei Seiten ein und derselben
Medaille zu deuten, also vom Entweder-Oder zu einem Sowohl-als-auch zu gelangen.
Unter Rückgriff auf F. Rosenzweig schreibt Kloepfer (1966: 69), die eigentliche Frage sei,
„an welchen Punkten des Werkes der Leser und an welchen Punkten das Original ‚bewegt’
wird“. Kloepfer nennt seinen vermittelnden Ansatz „treue“ oder – in Anlehnung an
Schadewaldt – „dokumentarische“ Übersetzung, muss aber eingestehen (1966: 84f.), dass
der künstlerische Prozess des Übersetzens und die damit verbundenen stilistischen
Probleme durch derartige Postulate nicht erfasst werden.5

      Da sich die vorliegende Arbeit mit stilistischen „Detail“problemen auseinandersetzt,
werden die „großen“ Theorien und Ansätze nur am Rande gestreift, auch wenn ihr
heuristischer Wert nicht bezweifelt werden soll. Im ersten Kapitel werden zunächst die
Spezifika der literarischen (im Gegensatz zur Fach-/Sachtext-) Übersetzung bestimmt, d.h.

1 Der vorliegende Beitrag entstand als Hausarbeit im Rahmen des Seminars „Literarische Übersetzung“ von
Sabine Krobb am University College Dublin, Studienjahr 1999/2000
2 Schleiermacher, zit nach Kloepfer 1966: 52
3 TL = target language, Zielsprache
4 Im weiteren werden die beiden Grundhaltungen als Streben nach „Adäquatheit“ oder „Akzeptabilität“ (im

zielsprachlichen bzw. –kulturellen) System bezeichnet, wobei Toury anmerkt, dass in der Praxis meist eine
Kombination oder ein Kompromiss dieser beiden polaren Einstellungen zu beobachten ist (Toury 1978: 88f.)
5 vgl. zu Kloepfers Ansatz auch Koller 1997: 292-294

                                                   5
es wird der Rahmen aufgezeigt, in den sich die einzelnen stilistischen Probleme einordnen.
In einem Exkurs wird daraufhin der italienische Text von Daniele del Giudice vorgestellt,
an dem die Problemkomplexe der literarischen Übersetzung verdeutlicht werden sollen.
Das zweite Kapitel ist der Übersetzung von Metaphern gewidmet; es soll versucht werden,
die in der einschlägigen Literatur aufgezeigten Probleme und Fragestellungen der
Metaphernübersetzung am Text von Daniele del Giudice zu veranschaulichen. Kapitel drei
beschäftigt sich mit anderen stilistischen Fragen wie Satzbau, Sprachspiel und stilistischer-
lexikalischer Verflachung bzw. Verstärkung, die wiederum an der deutschen Übersetzung
von Del Giudices Erzählung verdeutlicht werden. Das vierte und letzte Kapitel schließlich
geht Problemen nach, die auf der inhaltlichen Ebene angesiedelt sind.

    Dabei versteht sich die Arbeit nicht als Kritik der deutschen Übersetzung von Del
Giudices Staccando l’ombra da terra, sondern als der Versuch, Begriffe und Beobachtungen
der einschlägigen Literatur in Beziehung zu einem konkreten Textbeispiel zu setzen und
eine literarische Übersetzung im Detail zu analysieren. Eine Wertung übersetzerischer
Lösungen ist nicht Ziel der Arbeit, soll aber auch nicht peinlich vermieden werden. Zu
bedenken ist dabei, dass der Verfasser nicht selbst übersetzen musste, sondern eine in
vieler Hinsicht überzeugende Übersetzung zum Ausgangspunkt weiterführender
Überlegungen machen konnte.

    Hinsichtlich der Bewertung von Übersetzungen existieren im übrigen unterschiedliche
Positionen (vgl. Lorenz 1996). Im Bereich der auf Schleiermacher zurückgehenden
hermeneutischen Übersetzungstheorie – z.B. vertreten durch Rudolf Kloepfer – wird bzw.
wurde klar Position bezogen für eine Norm übersetzerischen Handelns, sei dies nun die
„Verfremdung“ oder eine „Mittellinie“ wie bei Kloepfer. Diese Norm dient dann als
Grundlage der Übersetzungskritik. Aber auch die linguistisch orientierte Übersetzungs-
wissenschaft – z.B. durch Werner Koller repräsentiert – verfolgt mit ihrer
Äquivalenzforderung letztlich einen normativen Ansatz, auch wenn dieser nicht von allen
Autoren auf die Übersetzung literarischer Texte bezogen wird. Es geht ihr um die Frage
„Wie soll/muß man Literatur übersetzen?“ (A.P. Frank zit. nach Lorenz 1996: 556).
Dagegen steht die Übersetzungsforschung mit ihrem deskriptiven Ansatz, die aus Einzel-
philologien und der Komparatistik hervorgegangen und etwa durch Gideon Toury und
Itamar Even-Zohar vertreten wird. Sie stellt die Frage „Wie ist Literatur nun wirklich

                                             6
übersetzt worden?“ (ebd.) und sucht nach den dafür maßgeblichen, kulturell und historisch
definierten Normen.6

1. Die spezifischen Merkmale der literarischen Übersetzung

     Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wollten wir alle Ansätze der
philologischen Beschäftigung mit Übersetzungen daraufhin befragen, worin sie die
Spezifika der literarischen Übersetzung sehen. Hier soll kurz die hermeneutische Position
und etwas ausführlicher diejenige der Übersetzungswissenschaft (Koller) vorgestellt
werden. In der hermeneutischen Tradition wird die „Kunst der Übersetzung“ literarischer
Texte oft in Anlehnung an Schleiermacher vom „Dolmetschen“ der Alltagstexte geschie-
den. Kloepfer (1966: 7ff) lehnt in seinen „Vorbemerkungen“ den Anspruch linguistisch
orientierter Ansätze ab, beide Arten von Übersetzungen mit derselben Theorie erfassen zu
können. Nur bei Sachtexten sei eine „wissenschaftliche“ Übersetzung möglich, nur hier
seien „Äquivalenz“ und (inhaltliche) „Invarianz“ sinnvoll und (prinzipiell) maschinell
herstellbar. Da eine solche Theorie von den Sprachsystemen ausgehe, könne sie dem typisch
literarischen, insbesondere poetischen Sprachgebrauch, der sich durch hohe Individualität –
also, so möchte man hinzufügen, durch Abweichung vom Sprachsystem – auszeichnet, nicht
gerecht werden. Während die nicht-literarische Übersetzung in den Zuständigkeitsbereich
von strukturalistischer Sprachwissenschaft und Informationstheorie falle, werde sich die
Theorie der literarischen Übersetzung nicht von der Theorie der Dichtkunst und der
Hermeneutik trennen lassen, (ebd., 9f). Kloepfer ist überzeugt, „daß der künstlerische
Sprachgebrauch die Übersetzung zu einer prinzipiell nur mehr oder weniger, nie
vollkommen lösbaren Aufgabe macht.“ (ebd.)7

     Vertreter der sprachwissenschaftlich orientierten Übersetzungswissenschaft wie
Werner Koller beharren demgegenüber auf der „prinzipiellen Übersetzbarkeit“ auch von
literarischen Texten, räumen allerdings ein, dass sich diese u.U. nur durch Rückgriff auf
kommentierende Verfahren, also auf einer intellektuellen Ebene erreichen lasse. Die

6 Auch die Descriptive Translation Studies (DTS) (vgl. Toury 1995) dürften kaum leugnen, dass es neben kulturell
definierten Normen auch mehr oder weniger geglückte Übersetzungen gibt. So ist z.B. stellenweise von
„inexperienced translators“ die Rede (ebd., 270). Entscheidend ist aber dennoch der deskriptive Grundansatz.
Zum Verhältnis von DTS und praktischen Anwendungen z.B. in der Übersetzungskritik vgl. ebd., 9-19.
7 Kloepfer sieht übrigens, dass sich eine Trennung von literarischer Übersetzungskunst und nicht-

literarischem Dolmetschen eigentlich nicht ohne weiteres auf Schleiermacher berufen kann, weil dieser auch
wissenschaftliche Texte zum Gegenstand der Übersetzungskunst rechnete, vgl. Kloepfer 1966: 10f.

                                                       7
gleichen „unmittelbaren Effekte“ ließen sich nicht in jedem Fall erzielen. (Koller 1997:
267). Für Koller stellt sich die Frage der Spezifika literarischer Übersetzung in besonderer
Weise, denn er ist einer jener Vertreter der Übersetzungswissenschaft, die sich nicht auf
Aussagen über Fach- und Sachtextübersetzungen beschränken, sondern auch die
literarische Übersetzung theoretisch zu erfassen beanspruchen. Insbesondere fasst er den
Begriff der Äquivalenz weiter als andere, d.h. er beschränkt ihn nicht auf die Invarianz des
„Inhalts“ oder der „message“ (wie bei A. Nida, vgl. Lorenz 1996: 560f.), sondern kennt
eine „formal-ästhetische Äquivalenz“, die er unter Berufung auf Katharina Reiß als jene
Handhabung von Lexik, Syntax, Stil und Aufbau charakterisiert, welche eine dem
Gestaltungswillen des Autors entsprechende und dem Charakter des AS-Textes analoge
ästhetische Wirkung in der ZS erzielt.8 Ein ähnlicher funktionaler, d.h. eine vergleichbare
ästhetische Wirkung in der Übersetzung anstrebender Ansatz findet sich bei J. Levy (1969:
21), einem Vertreter des Prager Strukturalismus, dessen Ansatz Koller (1997: 294-297)
nicht zufällig sehr wohlwollend kommentiert.9 Bei Kollers Äquivalenzbegriff bleibt zu
bestimmen, welche Stilmittel in der ZS analoge ästhetische Wirkungen hervorrufen;
vermutlich müssen und können dies nicht in jedem Falle gleiche Stilmittel sein wie im AS-
Text. Den grundlegenden Unterschied zwischen der Übersetzung von literarischen und
Sachtexten (die ebenso manche formal-ästhetische Qualitäten aufweisen) sieht Koller (253)
darin, dass die ästhetischen Werte nur für literarische Texte konstitutiv seien. Gegenüber
Sachtexten verschiebt sich die Äquivalenzforderung – oder „die Hierarchie der zu
erhaltenden Werte“ (266) vom Inhalt zur Form. Den ganz anderen Stellenwert des Inhalts
in literarischen Texten stützt Koller (272ff) mit drei Überlegungen, die wir in der
gebotenen Kürze benennen wollen: 1.) Eine (inhaltlich) falsche Übersetzung hat bei
literarischen Texten kaum praktische Konsequenzen, auch wenn sie noch so bedauerlich
sein mag. So kommt es z.B. bei der odontologischen Fachterminologie in Günter Grass’
örtlich betäubt letztlich nicht auf die Denotation, also eine inhaltlich 100%ig korrekte
Übersetzung, sondern vor allem auf die Konnotation an. 2.) Fiktionale Texte konstruieren
eine eigene Welt, die sich durch immanente Sinnhaftigkeit auszeichnet. Auch wenn diese
einen Bezug zur realen Welt hat und sich als sachlich falsch erweist (z.B. hat die

8vgl. Koller 1997: 252f.; AS = Ausgangssprache, ZS = Zielsprache
9Letzlich finden sich die von Koller genannten Schlüsselbegriffe, nämlich Analogie hinsichtlich Intention des
Autors und Wirkung auf den Leser, explizit oder implizit auch schon bei Kloepfer: „Es [das Übersetzen, P.P.]
verwirklicht die verschiedenen kommunikativen Kräfte eines Textes und damit den originalen künstlerischen
Willen mit den Mitteln einer anderen Muttersprache. Übersetzung vermag aus äquivalenten und analogen
Einzellösungen ein dem Original zumindest analoges Ganzes hervorzubringen.“ (Kloepfer 1966: 84). Zur
Wirkung auf den Leser vgl. Kloepfers (1966: 86ff.) Ausführungen zur Übersetzung der Plautinischen
Komödie „Epidikus“.

                                                     8
amerikanische Freiheitsstatue bei Kafka statt der Fackel ein Schwert in der Hand), so ist
dies – anders als bei Sachtexten – noch lange kein Grund für den Übersetzer, korrigierend
einzugreifen. 3.) Literarische Texte werden ästhetisch rezipiert, d.h. auf gängige sprachlich-
stilistische und ästhetische Normen bezogen. Zur Ästhetizität ist auch die von der
Rezeptionsästhetik thematisierte Vieldeutigkeit literarischer Texte zu zählen; sie steht im
Gegensatz zur anzustrebenden Eindeutigkeit von Sachtexten und ist in der Übersetzung so
gut wie möglich zu bewahren.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, das Spezifikum der literarischen Übersetzung ist –
nach Koller – die Verschiebung der Äquivalenzforderung vom inhaltlichen (oder pragma-
tischen und textuellen) zum ästhetischen Aspekt, also eine veränderte „Hierarchie der
Äquivalenzforderungen“ (Koller 1997: 266). Es geht darum, durch die stilistische
Gestaltung der Übersetzung eine dem AS-Text vergleichbare ästhetische Wirkung zu
erzielen. Welche Probleme sich dabei im Einzelnen stellen, soll in den Kapiteln 2 und 3 an
stilistischen Phänomenen wie Metapher, Sprachspiel, Wortwahl usw. erläutert und an
Beispielen aus der deutschen Übersetzung von Staccando l’ombra da terra verdeutlicht werden.
In Kapitel 4 geht es hingegen um inhaltliche Aspekte der literarischen Übersetzung, z.B.
den Umgang mit Unterschieden im Weltwissen der AS- bzw. ZS-Leser oder um die
Logisierung von inhaltlichen Widersprüchen und Ungereimtheiten durch den Übersetzer.

    Abschließend eine Bemerkung zum (vermeintlichen) Gegensatz von hermeneutischer
und übersetzungswissenschaftlicher Position: Im Grunde sind sich beide einig, dass die
literarische Übersetzung sich in spezifischer Weise von Fach/Sachtextübersetzungen
unterscheidet und dass die Gründe hierfür in der besonderen Rolle der stilistischen
Gestaltung (der sprachlichen Form) liegen. Die Lösung der damit verbundenen Probleme
jedoch ist in hermeneutischer Sicht eher ein einmaliger, nicht systematisierbarer Akt des
schöpferischen Nachvollzugs, für die Übersetzungwissenschaft und den Strukturalismus
dagegen wissenschaftlicher Analyse zugänglich. Dennoch wollen wir wo möglich
versuchen, Kloepfers (1966) an Fallbeispielen gewonnene Einsichten mit den
systematischen Beobachtungen Kollers, Levys oder Kjärs in Beziehung zu setzen. Bei der
Untersuchung von Beispielen aus der deutschen Übersetzung von Staccando l’ombra da terra
möchte ich darüber hinaus einen Aspekt im Blick behalten, der in allen Ansätzen als
dominierende Tendenz benannt wird: die stilistische „Verflachung“. In normativer Sicht
erscheint sie teils als unvermeidlich, teils als Unfähigkeit des Übersetzers, in der

                                              9
deskriptiven Übersetzungsforschung tritt sie – jenseits aller historisch und kulturell
veränderlichen „Normen“ – als universelles (?) „Gesetz“ der literarischen Übersetzung auf
(vgl. Toury 1995: 267ff.: „the law of growing standardization“).

Exkurs: Daniele Del Giudice: Staccando l’ombra da terra

     Daniele Del Giudice ist 1949 in Rom geboren und lebt in Venedig. Der Erzählband
Staccando l’ombra da terra von 1994 erschien in der deutschen Übersetzung von Karin
Fleischanderl10 1997 im Carl Hanser Verlag unter dem Titel: Das Abheben des Schattens vom
Boden.11 Del Giudice wird zusammen mit Tabucchi, Andrea de Carlo, Pier Vittorio Tondelli
u.a. zu den “giovani scrittori” oder – da nicht mehr ganz so jung – zu den “nuovi
narratori”, also den “neuen Erzählern” gerechnet (Kapp 1994: 382). „Fliegen“ ist das
thematische Band, das die acht Erzählungen von Staccando l’ombra da terra zusammenhält
und – ähnlich wie bei Saint-Exupéry – zugleich als Metapher für das Leben fungiert.12 Für
den Übersetzungsvergleich habe ich die Geschichte Fino al punto di rugiada/ Bis zum
Taupunkt (67-84/ 97-121)13 ausgewählt. In der Du-Form und in Vergangenheitstempora
wird darin vom Piloten eines Sportflugzeugs erzählt, der sich „so wie man manchmal im
Leben die Orientierung verliert“ (Abheben, 97) auf einem (Sicht)Flug über der Poebene im
Nebel verirrt, bevor er – unterstützt vom Fluglotsen – den Weg zurück zum
Heimatflughafen findet. Übrigens experimentiert Del Giudice in den einzelnen Kapiteln
von Staccando mit verschiedenen Erzählperspektiven: neben der Du-Form, finden sich Ich-
Erzähler, anonyme Erzähler sowie zahlreiche Erzählerwechsel.14 Nicht nur kann der
Orientierungsverlust – wie der Autor gleich zu Beginn zu verstehen gibt – als Gleichnis
gedeutet werden, sondern der Text enthält weitere z.T. mit Sprachspielen und Polysemien

10 Karin Fleischanderl, geb. 1960, lebt in Wien und ist u.a. durch die deutsche Übersetzung der Werke von

Antonio Tabucchi hervorgetreten.
11 Ich zitiere nach der italienischen Original- und der deutschen Taschenbuchausgabe von dtv (Januar 2000),

s. Literaturverzeichnis.
12 Anna Frabetti (o.J.) spricht von “metafora polivalente, della vita, della morte, dell’infanzia, …”
13 Bei diesen durch / getrennten Seitenangaben bezieht sich die erste Zahl stets auf die italienische Ausgabe

des Erzählbandes (Staccando), die zweite auf die deutsche (Abheben).
14 In Manovre di volo/ Flugmanöver erscheint der Erzähler zunächst in der Du-Form, wechselt dann zum Ich

über, während nun der Fluglehrer Bruno mit Du angeredet wird. In Doppio decollo all’alba/ Doppelter Start im
Morgengrauen berichtet zunächst ein anonymer Erzähler von Saint-Exupéry, am Ende erscheint ein Wir (Ich +
Bruno, der Fluglehrer). Pauci sed semper immites hat einen Ich-Erzähler, führt dann aber einen weiteren Erzähler
ein, der in einer längeren, eingebetteten Geschichte das erzählende Ich mit Lei/Sie anspricht.

                                                      10
verknüpfte Makro-Metaphern, z.B. Ente (= dt. Anstalt, Einrichtung, Körperschaft, Wesen,
das Seiende) als Bezeichnung für die Flugsicherung, aber auch für ein höheres Wesen oder
das spanische destino mit seiner doppelten Bedeutung von Schicksal und Bestimmungsort
(Ziel einer Reise). Der Text ist darüberhinaus reich an „normalen“, in ihrer textuellen
Reichweite beschränkten Metaphern, von denen einige mitsamt den jeweiligen
Übersetzungsproblemen in Kapitel 2 vorgestellt werden. Kennzeichnend ist im Übrigen die
Schichtung und Verflechtung verschiedener Texte bzw. Textsorten: die Reflexionen des
„Du-Erzählers“ verbinden sich mit Luke Howards lateinisch-englischen Beschreibungen
der Wolkenformationen, mit der Geschichte von Cola Pesce (nahezu wörtliche Anleihen
aus der Version von Benedetto Croce15) sowie mit den Funkdialogen zwischen Pilot und
Flugsicherung (Fluglotse). Fliegerjargon erscheint freilich nicht nur im Funkverkehr,
sondern auch in der Beschreibung der Flugmanöver. Obgleich es bei fachsprachlichen
Termini, wie Koller anmerkt (s.o.), im Zweifelsfall eher auf die Konnotation als auf
sachliche Richtigkeit im Detail ankommt, sollte der entstehende zusätzliche Zeitaufwand
für die/den Übersetzer/in nicht unterschätzt werden. Der Fliegerjargon, genauer gesagt:
seine international gültige „Buchstabiertafel“, wird in Bis zum Taupunkt übrigens auch selbst
zum Gegenstand von Reflexionen. In der Syntax dominieren lange, parataktische Reihen
von Aussagen, die durch Kommata getrennt sind; Punkte werden erst dann gesetzt, wenn
ein längerer Gedankengang zu Ende geführt ist. Eine Bemerkung zum Titel der
Geschichte: der Taupunkt (ital. punto di rugiada) gibt die Temperatur an, bei der sich
Luftfeuchtigkeit in Tau bzw. Nebel verwandelt. - Ergänzend zu Fino al punto di rugiada
werden vereinzelt zwei weitere Erzählungen aus demselben Band in den Übersetzungsver-
gleich einbezogen: Tra il secondo 1423 e il secondo 1797/Zwischen der 1423. Sekunde und der
1797. Sekunde (15-22/ 21-31) lässt uns den Bericht zweier Piloten mithören, deren
vollbesetztes Passagierflugzeug innerhalb weniger Minuten unrettbar verloren ist und
abstürzt; Unreported inbound Palermo (97-104/ 139-148) setzt sich mit dem bis heute
ungeklärten Absturz einer Linienmaschine nahe der sizilianischen Insel Ustica (27.6.1980)
auseinander.

15Der Text von Croce (bei ihm: „Niccolò“ Pesce) findet sich z.B. unter:
http://free.imd.it/colapesce/Cola-Chiera/Colapesce-Croce.htm
Auch Schillers Gedicht „Der Taucher“ ist von dem Cola Pesce-Märchen angeregt.

                                                  11
2. Die Metapher in der literarischen Übersetzung

2.1. Grundsätzliches zur Metaphernübersetzung

     Metaphern können in literarischen Übersetzungen zum Problem werden, denn nicht
jedes Bild, das in der AS „funktioniert“ lässt sich ohne Weiteres in die ZS übertragen.
Andererseits hat es den Anschein, dass viele Übersetzer dazu neigen, stilistisch wirksame
Metaphern, auch in Fällen, in denen es nicht erforderlich wäre, stilistisch abzuschwächen
oder gänzlich zu neutralisieren. Bevor wir den Umgang mit Metaphern in der literarischen
Übersetzung untersuchen, wollen wir eine notgedrungen knappe Begriffsklärung
versuchen. (vgl. Glück 1993: 388 u. 653; Bußmann 1990: 484f; Wilpert 1989: 568f.) In der
antiken Rhetorik gehört die Metapher zu den Tropen, d.h. zu den Formen
„uneigentlichen“ Sprechens, bei denen ein Unterschied zwischen Gesagtem und
Gemeintem besteht. Nach Quintilian sind Metaphern abgekürzte Vergleiche: Das Gesagte
tritt unmittelbar an die Stelle des Gemeinten, ohne formelle Ausführung des Vergleichs.
Der metaphorische Ausdruck wird „aus dem eigentlichen Bedeutungszusammenhang auf
einen anderen, im entscheidenen Punkt vergleichbaren, doch ursprünglich fremden
Vorstellungsbereich übertragen“ (Wilpert ebd.). Deshalb ergibt sich bei wörtlicher Lesart –
z.B. von „Der Schrank seufzt“ (Titel von Kjär 1988) ein Widerspruch; ein Schrank kann
nun mal nicht seufzen. Entweder hat „Schrank“ eine übertragene Bedeutung („großer,
breitschultriger Mann) oder „seufzt“ ist metaphorisch gebraucht („knarrt“, „quietscht“).
Aus linguistischer Sicht spricht man deshalb auch davon, dass die Metapher einen „Verstoß
gegen Selektionsregeln“ bzw. eine „Verletzung der semantischen Kongruenz“ darstellt
(Kjär 1988: 25). Nach Musso (1992: 38f) kann man solchen Verstößen mit einer
semantischen Komponentenanalyse auf den Grund gehen. Beim obigen Beispiel ergibt sich
etwa ein Widerspruch zwischen den Semen [+belebt] von „seufzen“ und [-belebt] von
„Schrank“. Nicht immer aber lassen sich solche Inkongruenzen im Satz bzw. Text selbst
dingfest machen.16 Musso (1992: 39) weist zutreffend darauf hin, dass sich das Phänomen
der Metapher nur dann erfassen lässt, wenn man die Wortebene nicht nur nach unten
(Komponentenanalyse), sondern auch in umgekehrter Richtung überschreitet, d.h. den
Satz, den Text und notfalls auch den Kontext mitberücksichtigt. So könne man bei einer

16Uwe Kjär (1988) gelingt dies bei seiner umfangreichen statistischen Analyse von Metaphernübersetzungen
nur, weil er sich auf einen einzigen Typ beschränkt, nämlich auf Verbalmetaphern des Typs „Der Schrank
seufzt“, also: NP (Subjekt) + VP (finites Verb) (ebd., 28).

                                                  12
(isolierten) Äußerung wie „La vedi, quella è proprio un’oca!“17 u.U. erst aus der Situation
entnehmen, wie sie zu interpretieren sei (Haustier/ dumme Frau). Nun sind nicht alle
Metaphern in gleicher Weise stilistisch wirksam; es ist bekannt, dass ursprünglich originelle
Bilder, wenn sie sich in der Sprachgemeinschaft durchsetzen, verblassen (z.B. sich zügeln).
Sie werden Teil des Sprachsystems und erscheinen im Lexikon als Polysemie des jeweiligen
Lexems. Solche Metaphern werfen bei der Übersetzung vermutlich andere Probleme auf
als „okkasionelle“ (oder „kreative“, „kühne“, „private“) Metaphern. Van den Broeck, der
sich in dem Aufsatz „The Limits of Translatability Exemplified by Metaphor Translation“
(1981) mit dem Problem auseinandergesetzt hat, unterscheidet – nach dem Grad der
“Institutionalisierung” drei Kategorien: lexikalisierte,                 konventionelle       und     private
Metaphern. „Konventionelle“ Metaphern (bei Kjär 1988 „usuell“, vgl. auch Koller 1997:
254ff.) stehen in der Mitte: sie sind nicht mehr „privat“, aber auch (noch) nicht lexikalisiert,
sondern z.B. Teil einer literarischen Tradition (Schule, Generation). Darüber, welche
Metaphern besondere Probleme bei der Übersetztung aufwerfen, gibt es verschiedene
Ansichten. Ausgangspunkt ist häufig Kloepfers (1966: 116) Behauptung „je kühner und
freier erfunden, je einmaliger eine Metapher ist, desto leichter läßt sie sich in anderen
Sprachen wiederholen“, denn es gebe eine „Harmonie der Bildfelder zwischen den
abendländischen Sprachen (H. Weinrich)“ und (universell) gültige „Strukturen der
Phantasie“. Kloepfer macht diese Aussage im Zusammenhang der Übersetzung eines
Rimbaud-Textes („Metropolitain“); ob sie verallgemeinert werden kann, scheint mir
zweifelhaft, denn bei Rimbaud handelt es sich m.E. um für die moderne Lyrik
charakteristische „absolute“ Metaphern bzw. Chiffren, „die auf das tertium comparationis
verzichte[n]“ (Wilpert 1989: 569). Van den Broeck (1981: 80) stimmt Kloepfer insofern zu,
als kühne Metaphern selbst Verstöße gegen das Sprachsystem seien und ihre Übersetzung
daher kaum an den systematischen Sprachkontrasten scheitern dürfte.18 Auf jeden Fall stellt
van den Broeck die Hypothese auf, „private“ Metaphern seien leichter übersetzbar als
„konventionelle“, weil sie weniger kulturspezifisch seien (ebd.: 84) als diese. Aber auch
letztere erwiesen sich als relativ gut übersetzbar, da sie oftmals dem gemeinsamen
kulturellen Erbe der Weltliteratur angehörten (ebd.: 81). Lexikalisierte Metaphern stellten –
so van den Broeck – überhaupt kein Problem dar, wenn sie in „non-creative language“
erschienen; auch in literarischen Texten jedoch sei nicht jeder metaphorische Ausdruck
relevant für die kommunikative Funktion des Textes. Van den Broeck weist in diesem
17 Dt.: “Guck mal da! Das/die ist wirklich eine Gans!“
18 “In so far as private metaphor is itself a violation of the rules governing the linguistic system it will be
difficult to realize how mere differences between linguistic systems (natural languages) can impose serious
limits on its translatability.” (Broeck 1981: 80)

                                                     13
Zusammenhang auf die „translator’s illusion“ (Jean Paulhan) hin, also auf die Gefahr, in
der AS stilistisch eigentlich nicht auffällige Einheiten für eine kreative Leistung des Autors
zu halten und dementsprechend durch „overtranslation“ zu verzerren. Am geringsten sei
die Übersetzbarkeit – so van den Broeck – bei deautomatisierten („foregrounded“)
lexikalisierten Metaphern. Ein schönes Beispiel aus Musils Mann ohne Eigenschaften bringt
Isabella Musso (1992: 44): „am nächsten Morgen stand Ulrich mit dem linken Fuß auf und
fischte mit dem rechten unentschlossen nach dem Morgenpantoffel“. Natürlich lässt sich
„mit dem linken Fuß aufstehen“ als lexikalisierte Metapher19 problemlos übersetzen, u.U.
sogar mit einer anderen lexikalisierten Metapher. Aber wenn sich die ZS-Metapher nicht
des gleichen Bildes bedient, dann kann der durch den zweiten Teil des Satzes ausgelöste
Effekt des „foregrounding“ nicht in die ZS hinübergerettet werden. Musso schätzt dagegen
die Übersetzbarkeit von „okkasionellen“ bzw. „kühnen“ Metaphern etwas anders ein; im
Gegensatz zu Kloepfer, dessen o.a. Aussage auch sie zitiert, hält sie die Übersetzung
kühner Metaphern für sehr problematisch. Da kühne Metaphern nicht dem Sprachsystem
(langue) zugehörten, sondern einmalige Äußerungen der parole seien, sei jeder Fall ein Fall
für sich, ohne dass man allgemeine Regeln aufstellen könne (Musso 1992: 38). Musso zeigt
auch an praktischen Beispielen aus der italienischen Übersetzung von Ein Mann ohne
Eigenschaften, wie schwer eine angemessene Übertragung solcher Metaphern sein kann.
Bevor wir uns fragen, welche empirischen Daten vorliegen, eine kurze Bemerkung zum
Begriff der Übersetzbarkeit: Van den Broeck spricht von Übersetzung „sensu stricto“,
wenn das der Metapher zugrunde liegende Bild auch in der ZS wiedergegeben wird, von
Substitution, wenn die Übersetzung sich eines anderen Bildes bedient (aber ebenfalls
metaphorisch ist), von Paraphrase, wenn die Übersetzung in nicht-metaphorischer Sprache
(„plain speech“) verfasst ist (vgl. Koller 1997: 254). Wir werden in diesem letzten Fall auch
von „Neutralisierung“ sprechen. Nun kann klargestellt werden, dass sich der Begriff
„Übersetzbarkeit“ vor allem auf die Übersetzung „sensu stricto“ bezieht. Dies gilt
insbesondere für okkasionelle und deautomatisierte lexikalisierte Metaphern; normale
lexikalisierte gelten auch dann als gut übersetzbar, wenn die Übersetzung das Bild
substituiert oder gar neutralisiert. Die einzige mir bekannte empirische Studie zur
Übersetzbarkeit ist die schon erwähnte von Uwe Kjär (1988). Kjär hat die Übersetzung (ins
Schwedische) von ca. 1200 okkasionellen Verbalmetaphern aus deutschen narrativen
Texten des 20. Jahrhundert (u.a. Böll, Frisch, Grass, Handke, Lenz, Walser) untersucht.
Dabei ergab sich, dass 47,7% der Übersetzungen Metaphern waren, die sowohl in der

19Streng genommen handelt es sich um eine idiomatische Wendung, denn bei wörtlicher Lesart fehlt hier die
semantische Inkongruenz.

                                                   14
syntaktischen Struktur (Subjekt und finites Verb) als auch semantisch-lexikalisch (also in
der Wortwahl) dem Original entsprachen. Weitere 17,9%20 wiesen semantisch-lexikalische
Abweichungen auf (z.B. Pressebleistifte huschten über Stenogrammblöcke -> Bleistifte stenographierten
auf Reporterblöcken, vgl. S. 107), 1,6% präsentierten zusätzlich formelle (syntaktische)
Inkongruenzen und die übrigen (ca. 1/3) waren nicht-metaphorisch übersetzt, d.h.
neutralisiert oder „frei übersetzt“. Während für Kjär (1988: 120) „die These von der
Unübersetzbarkeit von Metaphern“ durch dieses Ergebnis „den Charakter einer
theoretischen Fiktion“ erhält, wertet Koller (1997: 256) es umgekehrt als Beleg für die
Schwierigkeit, okkasionelle Metaphern zu übersetzen, sowie als (partiellen) Beweis der
Behauptung, Übersetzungen seien „flacher“ als Originale. Dass sich, wie Kjärs Studie zeigt,
die verschiedenen Übersetzer „gegenüber der übersetzerischen Herausforderung der
okkasionellen Metapher“ (Koller 1997: 257) ganz unterschiedich verhalten, zeigt allerdings
auch, wie problematisch die von der deskriptiven Übersetzungsforschung postulierten
„Gesetze“ sind (vgl. Broeck 1981; 84; Toury 1995: 267ff.). Im zweiten Teil des Kapitels soll
an einigen Beispielen gezeigt werden, wie die Übersetzerin, Karin Fleischanderl, mit den
Metaphern in Del Giudices Erzählung Bis zum Taupunkt verfahren ist. Ich erhebe dabei
keinen Anspruch auf umfassende oder repräsentative Analyse, sondern möchte nur an-
schauliche Beispiele und grobe Tendenzen aufzeigen.

2.2. Lexikalisierte Metaphern

     Wie zu erwarten, ist die Übersetzung lexikalisierter Metaphern in der Regel unproble-
matisch. Beispiele (I = AS-Text; W= wörtliche Übersetzung; D = ZS-Text):

     [72/105]
     I: Ecco come t’ha incastrato.
     D: Da siehst du, wie er dich festgenagelt (W: eingeklemmt) hat.

20 Usuelle Metaphern fallen zwar in diese Kategorie (vgl. Kjär 1988: 108), sind aber nicht mir ihr identisch
(stellten vermutlich sogar nur einen kleinen Teil dar). Kollers (1997: 255) Zusammenfassung von Kjärs
Ergebnissen ist in diesem Punkt sachlich falsch. Übrigens ist auch der Prozentwert für „Verfahren III“ (S.
256) inkorrekt: statt 28% müsste es 22,8% heißen.

                                                     15
Für incastrare, eigentlich „ineinanderstecken, einklemmen“, gibt das Wörterbuch21 als
übertragene Bedeutung u.a. „in die Zange nehmen, festnageln“ an. Es handelt sich also
eindeutig um eine lexikalisierte Metapher, die in diesem Fall auch im Deutschen mit einer
verblassten Metapher wiedergegeben werfen kann.

     [70/101]
     I: il rumore dell’elica che mordeva l’aria con una diversa incidenza
     D: das Geräusch des Propellers, der sich mit veränderter Geschwindigkeit durch die Luft schraubte (W:
     …der … (in) die Luft biss)

     Das zweisprachige Wörterbuch kennt an einschlägigen übertragenen Bedeutungen von
mordere („beißen“) nur mordere l’asfalto = auf dem Asphalt haften/ geradezu kleben. Aber im
„Zingarelli“ finden sich andere Beispiele für mit Gewalt eindringende, schneidende
Bewegungen. Die damit verbundene bildliche Vorstellung ist m.E. nicht ganz verblasst und
hätte durch das Verb (die Luft) durchschneiden vielleicht ins Deutsche hinübergerettet werden
können.22

     [71/103]
     I: un’augusta frase naturale stampata in mente
     D: ein erhabener, schlichter Satz, der sich dir eingeprägt [W: in den Geist gedruckt] hatte

     Hier bieten die beiden Sprachsysteme wiederum sehr ähnlich gelagerte Bilder an, die
einerseits dem Buchdruck, andererseits der Münzprägung entnommen sind. Es kann also
nicht nur der Grad der stilistischen (Un)Auffälligkeit, sondern sogar weitgehend das
zugrunde liegende Bild gewahrt werden. Von Neutralisierung einer lexikalisierten Metapher
kann man dagegen im folgenden Beispiel aus der Erzählung Unreported inbound Palermo
sprechen:

     [98/140]
     I: dipinte con vernice nera sul ventre dell’ala sinistra
     D: mit schwarzem Lack auf die Unterseite (W: den Bauch) der linken Tragfläche gemalt

21 Alle Wörterbuch-Informationen sind – falls nicht anders angegeben – entnommen aus dem zweisprachigen
DIT des Verlags Paravia (1996); aus dem einsprachig italienischen „Zingarelli“ von Zanichelli (1988) und dem
„Deutschen Universalwörterbuch A-Z“ von Duden (1989); vgl. Literaturverzeichnis
22 In diese Richtung würde auch incidenza weisen, das hier keine lexikalisierte Bedeutung hat, aber – da von

incidere= einschneiden abgeleitet, ebenfalls auf das Schneidende hinweist. Vielleicht wäre ein semantischer
Austausch folgender Art möglich gewesen: ..., der mit verändertem Biss die Luft durchschnitt/zerschnitt.

                                                         16
Die Unterseite des Flügels heißt im Italienischen ventre (Bauch); das Deutsche hat hier
nichts Vergleichbares zu bieten. Die Übersetzung kann also nur nicht-metaphorisch sein.
Für einen anderen Teil des Flugzeugs, den Bug, greifen beide Sprachen hingegen auf genau
denselben (lexikalisierten) metaphorischen Ausdruck zurück:

    [75/108]
    I: seduto su un fianco, dentro il tuo aereo girato su un fianco e col muso in alto.
    D: du sitzt schräg in deinem schräg dahinfliegenden Flugzeug mit der Schnauze nach oben.

Im Deutschen wäre hier auch Nase möglich – und wahrscheinlich stilistisch weniger
auffällig - gewesen. Im nächsten Beispiel liegt – für mein Empfinden – eine (leichte)
stilistische Überhöhung vor, also eine „overtranslation“, wie van den Broeck es nennen
würde.

    [72/105]
    I: l’aereo ballava di qua e di là
    D: das Flugzeug hüpfte hierhin und dorthin

    Ballare, in der Grundbedeutung tanzen, wird im Italienischen für viele zitternde,
schwankende Bewegungen von Gegenständen verwendet (der Tisch „tanzt“, d.h. wackelt –
bei einer Erschütterung, z.B. einem Erdbeben „tanzen“ die Möbel), hüpfen dagegen wird
eher auf belebte Wesen bezogen (Kinder, Frösche usw.) und ist deshalb in diesem Kontext
stilistisch auffälliger (stärker „markiert“) als das italienische Lexem. Alternativ hätte man
springen verwenden können.

    Schwierig zu übersetzen – so die einhellige Meinung der meisten oben zitierten Fach-
leute – sind lexikalisierte Metaphern, die aufgrund besonderer Kollokationen
„deautomatisiert“ werden und dadurch als Metaphern ins Bewusstsein treten
(„foregrounding“). Das folgende Beispiel ließe sich so interpretieren:

    [80/115]
    I: del temporale, … percepivi soltanto qualche balenio ovattato
    D: von dem ... Gewitter, ..., nahmst du nur hin und wieder ein Wetterleuchten (W: ein „wattiertes“, d.h.
    gedämpftes, Blitzen/Wetterleuchten) wahr

                                                      17
Ovattare bedeutet wörtlich wattieren, als lexikalische Metapher dämpfen, abschwächen. In
dieser Bedeutung bezieht sich das Lexem aber eigentlich immer auf Geräusche. Die
Verwendung im Zusammenhang mit einer visuellen Erscheinung führt – unterstützt durch
die vom Ko-text nahegelegte Assoziation Wolke-Watte – dazu, dass der italienische Leser
tatsächlich an die wörtliche Bedeutung erinnert wird. Eben darin besteht „foregrounding“.
Die Übersetzerin hat sich für eine Übersetzungslücke entschieden; tatsächlich dürfte es
schwierig, wenn nicht unmöglich sein, einen analogen Effekt im Deutschen zu erzielen.23
Ein anderer Fall von „foregrounding“ besteht im mehrfachen Auftreten des Wortpaares
sotto (unten) und sopra (oben) im Kontext der Cola Pesce-Geschichte [75-76/ 109-111]. Im
freien Fall nach dem Strömungsabriss ist dem Piloten („dir“) nicht klar, wo Oben und
Unten ist und er assoziiert die Geschichte von Cola Pesce, dem Fisch-Jungen der in einer
Luftblase am Meeresboden gefangen bleibt, weil auch hier eine Verkehrung von Oben und
Unten vorliegt. Nachfolgend erscheinen die beiden Adverbien zusammengerückt als
sottosopra mit der lexikalischen Bedeutung Durcheinander. Da es sich aber auch hier wieder
auf die Verkehrung von Oben und Unten bezieht, entfaltet es einen „poetischen“ Effekt
und bewirkt einen Aufmerksamkeitssprung auf die metalinguistische Ebene. Die
Übersetzerin hat sich hier für Drunter und Drüber entschieden, um die Assoziation
„ungeordnete Verhältnisse“ zu bewahren. Gleichzeitig ist aufgrund des inhaltlichen
Zusammenhangs auch der Bezug zur räumlichen Vorstellung der Verkehrung von Oben
und Unten gesichert, d.h. Drunter und Drüber wird auch im Deutschen deautomatisiert; was
sich nicht aufrecht erhalten ließ, ist die wörtliche Identität der beiden Ausdrücke:

     [76/111]
     I: ... nessuno aveva riflettuto su quell’inaudito sottosopra, non diverso dal sottosopra in cui tu stesso ti
     rivoltavi ora ...
     D: ... niemand hatte sich über dieses unerhörte Drunter und Drüber Gedanken gemacht, das sich nicht
     von dem Drunter und Drüber unterschied, in dem du dich im Augenblick befandest, ...

2.3. Okkasionelle Metaphern

     Die Übersetzbarkeit okkasioneller, kreativer Metaphern, also jener, die (noch) nicht ins
Sprachsystem bzw. Lexikon eingegangen sind, wird – wie in 2.1. dargestellt – ganz
unterschiedliche eingeschätzt; hinzu kommt, dass verschiedene Übersetzer in diesem Punkt

23Man könnte versuchen, dämpfen durch ein neu eingeführtes Kontextelement zu deautomatisieren, z.B. ...
nahmst du im Wolkendampf nur hin und wieder ein gedämpftes Blitzen wahr.

                                                      18
offenbar unterschiedliche individuelle Normen bzw. Gepflogenheiten haben. Um es
vorwegzunehmen: in der Übersetzung von Karin Fleischanderl sind einige okkasionelle
Metaphern stilistisch wirksam übersetzt worden, die meisten jedoch wurden neutralisiert.
Eine zielsprachliche Metapher findet sich z.B. in folgendem Fall:

    [71/102]
    I: La velocità l’avevi ridotta d’istinto sentendo l’aereo torcersi e piegarsi
    W: Die Geschwindigkeit hattest du instinktiv reduziert, als/weil du das Flugzeug sich winden und
    krümmen spürtest.
    D: Du spürtest, wie es sich wand und krümmte, und nahmst instinktiv Fahrt zurück

Hier liegt eine Übersetzung „sensu stricto“ im Sinne van den Broecks vor, denn die
Übersetzung „bleibt im Bild“. Die semantische Inkongruenz ist in beiden Sprachen
dieselbe, denn nur ein Lebewesen, kein unbelebtes Objekt krümmt und windet sich; auch
das tertium comparationis funktioniert in beiden Sprachen in gleicher Weise, bei sich winden und
krümmen denkt man u.a. an Schläge: hier sind es die Schläge und Stöße, die denen das
Flugzeug im Unwetter ausgesetzt ist. Leicht abgeschwächt erscheint dagegen folgende
Metapher:

    [76/110]
    I: ... e quando sollevò il capo per risalire vide sopra di sé le acque tese e ferme. Chiuse.
    D: … und als er den Kopf nach oben wandte, um aufzusteigen, sah er über sich eine fest gespannte,
    unbewegliche und abgeschlossene Wasserdecke.

    Hier ist die Rede von Cola Pesce, der wieder an die Oberfläche möchte, aber den
Rückweg versperrt vorfindet. Die Formulierung ist von Benedetto Croce übernommen
und bedeutet wörtlich „sah er über sich die Wasser gespannt und still. Geschlossen.“ M.E.
wäre eine näher am Text verbleibende, stilistisch akzeptable Übersetzung möglich gewesen,
etwa: „sah er, dass das Wasser über ihm steif/erstarrt und unbeweglich war. Verschlossen.“
Dass es sich dabei um eine Art „Decke“ handelt, kann der italienische Leser erst im
nächsten Satz erahnen, wo von der Luftblase die Rede ist, in der Cola Pesce sich aufhält.
Die Übersetzerin hat also die semantische Inkongruenz – flüssiges Wasser kann nicht steif
sein – zwar nicht neutralisiert, durch die frühzeitige Einführung der „Decke“ aber doch
begreifbarer und lesbarer gemacht. Eine Abschwächung liegt auch im folgenden Fall vor:

                                                        19
[77/112]
    I: …, quando la materia nebulosa si faceva più scura riverberava i flash intermittenti degli strobe
    anticollisione sul bordo delle ali, lampi regolari per foto ricordo delle nuvole, viste dal loro interno, e con
    te dentro.
    D: ..., als die neblige Masse dunkler wurde, blitzten die strobe lights an der Kante der Tragflächen auf,
    ein regelmäßiges Blitzlicht für Erinnerungsfotos aus dem Bauch der Wolken, mit dir mittendrin. (W: ...
    für Erinnerungsfotos von den Wolken, aus ihrem Inneren gesehen, und mit dir darinnen)

    Hier greift die Autorin eine vorher eingeführte Metapher des Autors (Bauch) wieder
auf, um die „Innenansicht“ der Wolken zu übersetzen. Dabei geht aber die subtile
Inkongruenz von Erinnerungsfoto und Wolken verloren: Erinnerungsfotos macht man
eigentlich nicht von Wolken und überhaupt selten von unbelebten Objekten, sondern
meist von Freunden und Familienangehörigen (mit sich selbst mitten drin). Eine
Übersetzung, die dieses feine metaphorische Element wahrt, könnte vielleicht sein: ... für
Erinnerungsfotos von den Wolken, von innen gesehen, und mit dir mittendrin (oder: und du mittendrin).
In den folgenden Fällen würde ich nicht mehr von Abschwächung, sondern von
Neutralisierung sprechen:

    [67/97]
    I: i vetri dell’aereo divennero smerigliati e bianchi
    D: die Fenster des Flugzeugs beschlugen sich rundherum und wurden weiß (W: ... wurden
    mattgeschliffen/milchig und weiß)

    Die vorgeschlagene Übersetzung ist m.E. sowohl denotativ wie konnotativ
unangemessen. Vetro smerigliato ist keine beschlagene Scheibe (dafür verwendet man
appannato, wörtlich „besahnt“), sondern Milch- oder Mattglas; darin besteht übrigens das
Metaphorische, dass sich die Windschutzscheibe nicht wirklich in Milchglas verwandelt,
während sie ja durchaus beschlagen könnte. Milchglas als Cockpitverglasung wirkt zudem
bedrohlicher, und darum geht es hier. Mögliche Alternative: „... die Fenster verwandelten
sich in (weißes) Milchglas“.

    [69/100]
    I: …, in questo modo la mente si proteggeva dal terrore spurgando stupidaggini, …
    D: …, so schützte sich der Geist vor der Angst, indem er Banalitäten von sich gab, …

    Spurgare bedeutet reinigen, säubern (z.B. von Sickergruben) und in der Medizin aushusten,
auswerfen. Die syntaktische Struktur ist die der zweiten Bedeutung. Warum also nicht: so

                                                       20
schützte sich der Verstand vor der Panik, indem er Blödsinn abhustete. Etwas weniger gewagt, aber
dem Original dennoch näher wäre ausspuckte. Folgendes Beispiel macht klar, in welch
misslicher Lage man sich als Übersetzer befinden kann:

       [69/100 vgl. auch 73/106]
       I: occhio che al buio ti segue dentro il catino luminoso delle tracce radar
       D: Auge, das dir im Dunkeln am Radarschirm (W: im leuchtenden Becken der Radarspuren) folgt

       Catino bedeutet eigentlich Schüssel, Becken, in der Geographie Mulde, in der Architektur
Halbkuppel; es kann, so der „Zingarelli“, auch übertragen werden auf die Form eines
Sportstadions. Das Grundproblem ist der lexikalische Status von catino im vorliegenden
Zusammenhang. Ist catino ein technischer Fachbegriff, d.h. eine lexikalisierte Metapher für
den konkaven Radarschirm24, dann darf Radarschirm als angemessene Übersetzung gelten
und jede metaphorische Übertragung ins Deutsche wäre „overtranslation“. Handelt es sich
aber um eine originelle, bildhafte Schöpfung des Autors – wofür einiges spricht – dann
wäre Radarschirm eine stilistisch stark verflachende Neutralisierung. Noch komplizierter
wird die Angelegenheit, wenn wir die Wirkung auf den italienischen Leser einzubeziehen
versuchen; denn selbst wenn catino Fach- oder Fachjargonbegriff ist, wird der durch-
schnittliche Leser es u.U. „deautomatisiert“ wahrnehmen, d.h. an die Form einer Schüssel
denken.

       Die folgenden zwei Metaphern beruhen auf der „Übertragung von Belebtem auf
Lebloses“ (nach Wilpert 1989: 568 die häufigste Kategorie in der Metapherneinteilung nach
Quintilian). In der Übersetzung wurden sie neutralisiert:

       [76/109]
       I: ... e relitti di navi morte.
       D: … und Resten gesunkener Schiffe. (W: ... und Wracks toter/gestorbener Schiffe)

       [98/140] aus: Unreported inbound Palermo
       I: ..., la telecamera sottomarina intuí cinque lettere dell’alfabeto, I-TIGI, dipinte in vernice nera sul
       ventre dell’ala sinistra, …
       D: Die Unterwasserkamera ... erfaßte (W: erahnte/ erkannte) fünf Buchstaben des Alphabets, I-TIGI,
       die mit schwarzem Lack auf die Unterseite der linken Tragfläche gemalt waren

24   Dafür konnte ich in technischen Wörterbüchern keinen Beleg finden.

                                                         21
Das erste Beispiel ist der in die Erzählung eingebauten Croce-Version des Cola Pesce-
Märchens entnommen: Cola Pesce berichtet dem König, was er am Meeresboden gesehen
hat. Del Giudice, der den Croce-Text ansonsten fast wörtlich übernimmt, greift hier auf
signifikante Weise ein, denn Croces navi sommerse (versunkene Schiffe) werden zu navi morte (tote
Schiffe); durch die „Humanisierung“ unbelebter Gegenstände schafft er zudem einen
Gleichklang mit den in der Aufzählung unmittelbar voraufgehenden menschlichen Skeletten.
Eine im Bild bleibende Übersetzung wäre m.E. nicht allzu kühn, denn so wie im
Italienischen existieren auch in der deutschen Sprache zahlreiche lexikalisierte Metaphern
mit „tot“, die als Bezugsrahmen für die okkasionelle Metapher dienen können (Totes Meer,
totes Gleis, tote Materie usw.). Die Übersetzung des zweiten Beispiels ließe damit begründen,
dass erfassen auch begreifen bedeuten und mithin eine originär menschliche Tätigkeit
bezeichnen kann; diese Konnotation wird jedoch m.E. im Kontext des ZS-Textes nicht
aktiviert. Eine solche stilistische Abschwächung ist besonders problematisch, weil die
Übertragung von Belebtem auf Lebloses in Unreported inbound Palermo ein durchgängiges
Motiv ist: Die Geschichte dieses Flugzeugabsturzes kann nur von den vom Meeresgrund
geborgenen Relikten „erzählt“ werden, denn Überlebende gibt es nicht. Selbst die Kenn-
buchstaben I-TIGI werden als Name eines antiken Volkes („Die Tigi“) interpretiert, das
auf dem Meeresboden verstreut lagert.

     Wie schon gesagt, erheben diese Beispiel nicht den Anspruch, repräsentativ zu sein.
Dennoch sind sie wohl geeignet, die mit der Übersetzung von Metaphern verbundenen
Probleme anschaulicher zu machen. Gerade bei den okkasionellen Metaphern lässt sich
tatsächlich – auch im hier zugrunde gelegten Text – häufiger eine stilistische Verflachung
beobachten. Wieweit diese Tendenz auf individuellen Präferenzen und Gewohnheiten, auf
kulturellen und literarischen Normen oder auf der Psychologie des Übersetzer-Berufs
(„etwas verständlich machen“) beruht, möchte ich offen lassen.25

2.4. Metaphern und Vergleiche

     Im letzten Abschnitt des Kapitels soll kurz auf einen Aspekt hingewiesen werden, der
im Zusammenhang der Metaphernübersetzung immer wieder genannt wird: die stilistische
Abschwächung der Metapher durch Überführung in einen Vergleich. Musso (1992: 44)

25 M.E. spielt auch eine Rolle, dass literarische Übersetzer sich auch aufgrund ökonomischer Zwänge nicht
allen stilistischen Problemen in dem Umfang widmen können, wie sie es vielleicht gern möchten.

                                                   22
bringt u.a. folgendes Beispiel aus der italienischen Übersetzung von Der Mann ohne
Eigenschaften:

    D: Der Spätfrühling-Herbsttag beseeligte ihn. Die Luft gor.
    I: La giornata primaverile d’autunno gli dava un senso di beatitudine. L’aria era come un lievito (W.: Die
    Luft war wie Hefe)

    Musso (ebd.) meint, durch diese Form der Explizierung von Metaphern werde die se-
mantische Inkongruenz stark abgeschwächt, da an die Stelle einer Beziehung der Identität
(von Gesagtem und Gemeintem) eine solche des Vergleichs trete. Schon Levý (1969: 118)
weist darauf hin, dass die Auflösung von Metaphern in Vergleiche einer der charakteri-
stischsten Züge poetischer Übersetzungen sei, wobei er zwar keine wesensmäßigen
Unterschiede zwischen den beiden Figuren sieht, aber gleichwohl in dem Verlust an
Intensität und Unmittelbarkeit eine stilistische Abschwächung erkennt. Ebenso kritisiert
Kloepfer (1966: 104), Vossler verflache Dantes Purgatorio in der deutschen Übersetzung,
indem er Metaphern in Vergleiche auflöse. In Fleischanderls Übersetzung von Fino al punto
di rugiada habe ich diese Form der Stilunterbietung freilich nicht entdecken können. Eine
andere Frage ist die nach der Übersetzung von bereits im AS-Text enthaltenen Vergleichen.
Die untersuchte Erzählung enthält eine ganze Reihe davon, wobei die Übersetzung meist
so wörtlich und unproblematisch ist wie in den folgenden Fällen:

    [69/100]
    I: … come un cane dal proprio padrone
    D: … wie ein Hund von seinem Herrn

    [70/102]
    I: ... umido e opaco come una medusa
    D: … feucht und undurchdringlich wie eine Qualle

    Vereinzelt allerdings sind die Entsprechungen nicht so direkt. Warum die Übersetzerin
im folgenden Beispiel das vom Autor benutzte Bild der Wetterfahne aufgibt (das Fischchen
hätte zum Hahn mutieren können), ist mir nicht einsichtig. Außerdem verschiebt sich der
Bezugspunkt des Vergleichs vom Flugzeug auf den imaginären Stift:

                                                    23
[70/101]
    I: queste [=le imbardate di lato] mettevano l’aereo di traverso senza piegarlo in virata, facendolo ruotare
    su un immaginario perno verticale che lo trafiggesse dall’alto, come un pesciolino in una banderuola …
    D: deshalb wurde es [=das Flugzeug] seitlich versetzt, aber ohne wie bei einer Kurve Querneigung anzu-
    nehmen, es rotierte flach um einen imaginären senkrechten Stift, der es von oben durchbohrte wie eine
    Fahnenstange … (W.: wie ein Fischchen in der Wetterfahne)

    Das folgende, abschließende Beispiel dokumentiert den vermutlich seltenen Fall der
Umwandlung eines Vergleichs in eine Metapher:

    [77/112]
    I: tu volavi tra onde d’aria invisibili e gocce di pioggia che il vento dell’elica schiacciava come lombrichi
    trasparenti velocissimi, subito essiccati lungo il parabrezza
    D: du flogst inmitten unsichtbarer Luftwellen und Regentropfen, die im Propellerwirbel zu meterlangen,
    durchsichtigen Würmern wurden und auf der Scheibe augenblicklich gefroren. (W.: ..., die der
    Propellerwind zerdrückte wie sehr schnelle durchsichtige Regenwürmer, die sofort längs der
    Windschutzscheibe vertrockneten)

3. Weitere stilistische Probleme der literarischen Übersetzung

3.1. Lexemwiederholung und Polysemie

    Nicht zu übersehendes stilistisches Kennzeichen der hier untersuchten Erzählungen
von Daniele del Giudice ist der Rückgriff auf sprachspielerische Elemente verschiedenster
Art; in vielen Fällen beruhen sie auf Wiederholungen von Lexemen oder Syntagmen, die
durch durch formale Analogie Verbindungen zwischen Textinhalten herstellen oder
vertiefen. Teilweise sind es Schlüsselwörter, die leitmotivisch wiederholt werden und
Grundthemen des Textes betreffen, wobei mitunter auch Polysemien genutzt werden. Ich
bin der Meinung, dass stilistische Phänomene dieser Art soweit wie möglich im ZS-Text
bewahrt werden sollten, um „formal-ästhetische Äquivalenz“ (Koller) herzustellen.
Zunächst zwei Beispiele aus Unreported inbound Palermo. Das insgesamt in Klammern
gesetzte Kapitel beginnt wie folgt:

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