Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt

Die Seite wird erstellt Linus Wiese
 
WEITER LESEN
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
Herbst — Winter 2021/2022 Nº2

Das Magazin aus dem Frankfurt Museum.

                                           Mitgemacht!?            Drei Ausstellungen
                                                            zu „Frankfurt und der NS“

Biografisches Kabinett          Sammlungen                  Termine bis Frühling
T.W. Michael: Vergessene        Von Depot zu Depot: Wenn    Historisches Museum, Stadt-
Schwarze deutsche Geschichte    Tausende Objekte umziehen   labor und Junges Museum
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
In unserer Arbeit geht es
                                                                                         auch darum, verborgenen
                                                                                           Aspekten der Geschichte
                                                                                      Frankfurts nachzugehen und

          PHA SIE
                                                                                        diese sichtbar zu machen –
                                                                                                    im Museum wie
                                                                                                in diesem Magazin.

                                                                                                       Liebe Leser*innen,

                                                                                                       die zweite Ausgabe der „Schneekugel“ öffnet den Blick auf Frankfurts Geschichte
        *NTA                                                                                           im Nationalsozialismus – und darauf, was uns auch nach 76 Jahren noch
                                                                                                       damit verbindet. Nach der Befreiung der Stadt im März 1945 berief man sich
         Damit der Welt                                                                                hier gerne auf ihren Ruf als liberale und weltoffene „Stadt der Juden und
         nichts fehlt.                                                                                 Demokraten“, die von den Nazis gemieden worden sei. Dabei hatte sich kaum
                                                                                                       eine deutsche Stadt so schnell und so radikal dem NS geöffnet und dessen
                                                                                                       mörderische Politik so rücksichtslos umgesetzt – einschließlich ihrer erst
                                                                                                       wenige Jahre zuvor von Bürger*innen gestifteten Universität. Erstaunlicher-
                                                                                                       weise gab es dazu bislang weder eine umfassende Ausstellung noch ein Buch,
                                                                                                       nur über Aspekte des NS in Frankfurt ist schon viel gezeigt und geschrieben
                                                                                                       worden. Das sind gute Gründe für das Historische Museum, gleich drei
                                                                                                       Ausstellungen dem Thema NS zu widmen und ein umfassendes Katalogbuch
                                                                                                       herauszugeben.
                                                                                                            Wie eine magische Kugel bietet unser Museumsmagazin besondere Ein-
                                                                                                       blicke in die Arbeit unseres 2017 völlig neu gestalteten Stadtmuseums sowie

                          GEMEINSAM
                                                                                                       der zugehörigen Museen Junges Museum und Porzellan Museum. Erfahren
                                                                                                       Sie mehr über das Leben des Schwarzen Deutschen Theodor Wonja Michael,
                                                                                                       über das Unternehmen Naxos-Union, über Kaiserwahlen und das Haus zur

                          FÜR UNSERE STADT!
                                                                                                       Goldenen Waage – und darüber, was passiert, wenn eine Sammlung umzieht.
                                                                                                       Ich wünsche Ihnen eine überraschende Lektüre!

                                                                                                       Jan Gerchow
                          Werde jetzt aktiv für soziale,                                               Direktor Historisches Museum Frankfurt
                          kulturelle, ökologische Projekte &
                          Vereine in unserer Stadt.
                                                               HMF/Stefanie Kösling

www.mainFrankfurt.org
                                      Eine Initiative der
                                      Frankfurter Sparkasse.                                                             3
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
INHALT

3 Ausstellungen
Dezember 2021 ——                                                                                                                                                                                                          Meldungen                                 32 —— 4 aus 1.227 Jahren
September 2022                                                                                                                                                                                                            Zur Goldenen Waage (6), Gemälde-          Objekte des Museums erzählen

Frankfurt
                                                                                                                                                                                                                          Schenkung (7), Bibliothek der Gene-       Stadtgeschichte(n)
                                                                                                                                                                                                                          rationen (8), Jazz und Alte Oper (9),
                                                                                                                                                                                                                          Stadtlabor-Aufruf (11), Frankfurt für     34 —— Schwarze deutsche
                                                                                                                                                                                                                          Grundschulen (12), Prehns Bilder-               Geschichte
                                                                                                                                                                                                                          paradies (14), Bolongaro Museum (15)      Das neue Biografische Kabinett

und der
                                                                                                                                                                                                                                                                    Theodor Wonja Michael
                                                                                                                                                                                                                          Rubriken
                                                                                                                                                                                                                          Museum in Zahlen (7)                      36 —— Alles muss raus                       Titel: Die Spielfigur auf dem Umschlag
                                                                                                                                                                                                                          Modelle: Das große Frankfurt-Modell (9)   Tausende Sammlungsstücke                    stammt aus einem der sechs Biografischen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Kabinette des Historischen Museums (siehe
                                                                                                                                                                                                                          Meinung: Bénédicte Savoy (10)             ziehen in ein neues Depot um                auch Seite 34). Ihr damaliger Besitzer,
                                                                                                                                                                                                                          Menschen: Markus Pfüller (13)                                                         Walter Schreiber – hier oben im Bild eben-

NS
                                                                                                                                                                                                                          Mitmachen: Sammlermuseum (14)             38 —— Die junge Seite                       falls in „Pimpf"-Uniform zu sehen –, wuchs
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                in einer Familie überzeugter Nationalsozia-
                                                                                                                                                                                                                                                                    Das ist doch die Krönung!                   listen auf. Als Jugendlicher geriet er jedoch
                                                                                                                                                                                                                                                                    Rätsel für Leser*innen ab 6 Jahre           in Widersprüche mit dem Menschenbild
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                der Diktatur, lehnte sich auf und bekam so
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                zunehmend Druck von Vater und Obrigkeit.
                                                                                                                                                                                                                                                                    40 —— Termine & Service                     Um sich diesem zu entziehen, meldete er
                                                                                                                                                                                                                                                                    Begleitprogramm zu „Frankfurt               sich zum Kriegsdienst – dort starb er mit
                                                                                                                                                                                                                                                                    und der NS“; Veranstaltungen und            18 Jahren während des Einsatzes.
                                                                                                                                                                                                                                                                    Führungen des Historischen
Gefördert von: Hessische Kulturstiftung –                                                                                                                                                                                                                           Museums, des Jungen Museums,
                                                                                                                                                                                                                                                                    des Stadtlabors und des Porzellan
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        IMPRESSUM
Aventis Foundation – Dr. Marschner-Stiftung –
Cronstett- und Hynspergische evangelische Stiftung –                                                                                                                                                                                                                Museums; digitale Angebote                  Ein Museum der Stadt Frankfurt am Main

                                                                                                                                                                                                                                                                    sowie Freunde & Förderer                    Historisches Museum Frankfurt
Art Mentor Foundation Lucerne – Evonik Industries AG –                                                                                                                                                                                                                                                          Saalhof 1 (Römerberg)
Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung –                                                                                                                                                                                                                                                             60311 Frankfurt am Main
                                                                                                                                                                                                                                                                    46 —— Die letzte Seite                      Tel. 069 212–35599
FAZIT-STIFTUNG – Stiftung Polytechnische Gesellschaft –                                                                                                                                                                                                             Es war einmal...                            info@historisches-museum-frankfurt.de
Stiftung EVZ – EKHN Stiftung –                                                                                                                                                                                             Frankfurt und der NS                    Vor 150 Jahren wurde die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                www.historisches-museum-frankfurt.de
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                vertreten durch den Direktor
Frankfurter Historische Kommission –                                                                                                                                                                                                                                Naxos-Union gegründet                       Dr. Jan Gerchow (V.i.S.d.P.)
Hessische Landeszentrale für politische Bildung –                                                                                                                                                                         16 —— Damals heute                                                                    Kommunikation und Anzeigen
Stabsstelle Inklusion der Stadt Frankfurt am Main –                                                                                                                                                                       Fragen eines Ausstellungsprojekts:                                                    Karin Berrío

                                                                                                            Foto unten rechts: ©#visitfrankfurt, Andi Weiland; H. Woelcke Bücherverbrennung 1933, HMF/ Horst Ziegenfusz
Holger Koppe-Stiftung – Freunde & Förderer HMF –                                                                                                                                                                          Wie NS darstellen, was vermitteln,                                                    Tel.: 069 212-37776
                                                                                                                                                                                                                          wie erinnern?                                                                         karin.berrio@stadt-frankfurt.de
Historisch-Archäologische Gesellschaft Frankfurt am Main e.V. –
In Kooperation mit: Bildungsstätte Anne Frank,                                                                                                                                                                                                                                                                  Konzept, Redaktion und Text
Fritz Bauer Institut, hr2,
                                                                                                                                                                                                                          22 —— Auf offener Straße                                                              Agentur Schwarzburg, Frankfurt
                                                                                                                                                                                                                          Eine Stadt macht mit. Die Ausstellung                                                 Christian Sälzer (cs) und
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main,                                                                                                                                                                           des Historischen Museums
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Martin Schmitz-Kuhl (msk)
Jüdisches Museum Frankfurt                                                                                                                                                                                                                                                                                      Gestaltung
                                                                                                                                                                                                                          24 —— Spuren suchen                                                                   Gardeners, Frankfurt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Nicola Ammon und Ines Blume
                                                                                                                                                                                                                          Drei Porträts aus der Stadtlabor-
                                                                                                                                                                                                                          Ausstellung im Historischen Museum                                                    Druck
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Westdeutsche Verlags- und Druckerei
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                GmbH, Mörfelden-Walldorf
                                                                                                                                                                                                                          28 —— Wie sag‘ ich es		                   Alle Beiträge in diesem Magazin zu Themen
                                                                                                                                                                                                                          		 meinem Kind?                           für Familien und andere junge Zielgruppen   Das Magazin Schneekugel erscheint zwei-
                                                                                                                                                                                                                          Nachgefragt. Die Ausstellung des          sind mit dem orangenen Sternchen des        mal im Jahr in einer Auflage von 40.000
                                                                                                                                                                                                                                                                    Jungen Museum Frankfurt gekennzeichnet.     Exemplaren. Erhältlich unter anderem im
                                                                                                                                                                                                                          Jungen Museums und ein Leitfaden                                                      Historischen Museum Frankfurt, Porzellan
                                                                                                                                                                                                                          für Eltern                                                                            Museum Frankfurt, Tourismus-Information
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                und Bürgerberatung, Stadtbücherei,
Stadtlabor                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Palmengarten, Alte Oper, Schauspiel
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Frankfurt, Zoologischer Garten, Deutsches
                                                                         Beflaggung in der Frankfurter                                                                                                                                                                                                          Architekturmuseum. Das Heft wird klima-
                                                                         Bendergasse am 1. Mai 1933,                                                                                                                                                                                                            neutral und auf Recyclingpapier gedruckt.
                                                                  Fotografie von Leonhard Kleemann, © HMF
                                                                                                                                                                                                                                                                                         5
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
Die große Stube im ersten Obergeschoss des Hauses diente
                                                                 vor allem der Repräsentation des Hausherren.                                                                                                                                                                          USEUM IN ZAHLEN

                                                                                                                                                                                                                                     Die Digitalisierung macht es möglich:
                                                                                                                                                                                                                                     Immer mehr Ausstellungen lassen sich
                                                                                                                                                                                                                                     auch als 3D-Ausstellung virtuell besichti-
                                                                                                                                                                                                                                     gen. Das ist zwar nicht das Gleiche wie                                                      Die Sammlungen des Museums sind von unermess-
                                                                                                                                                                                                                                     ein Besuch vor Ort. Aber: Es ist kosten-                                                     licher Bedeutung. Doch auch ihr materieller Wert
                                                                                                                                                                                                                                     frei, von überall und zu jeder Tages- und                                                    ist außerordentlich: Als 2009 eine Eröffnungsbilanz
                                                                                                                                                                                                                                     Nachtzeit (24/7) möglich, selbst dann                                                        mit 603.335 Inventarnummern erstellt wurde, ist
                                                                                                                                                                                                                                     noch, wenn die physische Ausstellung                                                         ein Gesamtwert von 723.607.732 Euro ermittelt
                                                                                                                                                                                                                                     längst abgebaut ist.                                                                         worden. Seither ist einiges hinzugekommen.

                                   BÜRGER
                                                                                                                                                                                                                                                                                         Extrem vielfältig sind die Sammlungs-
                                                                                                                                                                                                                             Das Historische Museum ist (ein Museums)komplex.            gegenstände auch in Größe und
                                                                                                                                                                                                                             Allein der Saalhof am Mainkai umfasst fünf Bau-             Gewicht. Über 18 Meter lang ist das
                                                                                                                                                                                                                             denkmäler: die 800 Jahre alte staufische Königs-            größte Objekt, eine Trambahn von
                                                                                                                                                                                                                             burg, den Rententurm aus dem 15. Jahrhundert,               1884. Am anderen Pol befindet sich       Im Zuge der 1333 genehmigten Stadterweiterung
                                                                                                                                                                                                                                                                                         ein Gold-Dukat der Stadt Regensburg.

                                      HAUS
                                                                                                                                                                                                                             das barocke Bernuspalais sowie den historistischen                                                   wurde die Stadtmauer nach Süden in Richtung
                                                                                                                                                                                                                             Burnitzbau und das Zollgebäude. 2017 wurden zwei            Bei einem Durchmesser von fünf           Main verlagert und die damalige Kaianlage
                                                                                                                                                                                                                             Erweiterungsbauten – das Ausstellungshaus und               Millimetern ist er mit 0,11 Gramm        zugeschüttet. Fast 700 Jahre blieb sie verborgen,
                                                                                                                                                                                                                             das Eingangsgebäude – eröffnet. Hinzu kommen die            das Fliegengewicht des Hauses.           bis sie bei Bauarbeiten 2012 per Zufall entdeckt
                                                                                                                                                                                                                             Rekonstruktion Zur Goldenen Waage in der Neuen                                                       und freigelegt wurde. So konnte der historische
                                                                                                                                                                                                                             Altstadt und das Porzellan Museum in Höchst. Macht                                                   Stauferhafen zu einem Höhepunkt des Museums
                                                                                                                                                                                                                             neun Gebäude.                                                                                        werden.

Eines der schönsten                Die Goldene Waage ist innerhalb            Damals wie heute interessierten

                                                                                                                                                                                                                             Happy End
Fachwerkgebäude aus                der „neuen Altstadt“ etwas ganz            sich die Menschen also für das Ver-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Karl Peter Burnitz
der Renaissance hat                Besonderes: Als einziges Gebäude des       gangene. Mit dem Unterschied, dass                                                                                                                                                                                                                                            malte im 19. Jahr-
nach langer Schließzeit            seinerzeit nicht ganz unumstrittenen       es damals keine Corona-Pandemie                                                                                                                                                                                                                                               hundert das „Motiv
                                   Dom-Römer-Projekts wurde dieses            gab. Denn diese verhinderte in den                                                                                                                                                                                                                                            aus dem Frankfurter
wieder geöffnet.                   Haus von unten bis oben – und vor          vergangenen Monaten, dass die Besu-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Stadtwald“.
Gruppenführungen                   allem: auch innen! – detailgetreu          cher*innen nach der Eröffnung Ende                                                                                                             Dank einer Schenkung hängt
sind möglich.                      rekonstruiert. Wer es heute besucht,       2018 lange Freude an dem neuen/alten                                                                                                           ein Burnitz-Gemälde wieder
                                   kann dort jedoch nicht ein typisches       Ausstellungshaus hatten. Weder die                                                                                                             im Historischen Museum.
                                   Interieur eines Fachwerkgebäudes           große Stube mit der prächtigen Stuck-                                                                                                          Diesmal rechtmäßig.
                                   aus der Vorkriegszeit bewundern.           decke noch der schöne Dachgarten –
                                   Zu sehen sind vielmehr Möbel und           in Frankfurt Belvederchen genannt –
                                   Alltagsgegenstände aus dem 17. und         konnten daher bewundert werden.
                                   18. Jahrhundert. Der Grund: Das 1618       Die Räume waren schlicht zu klein,                                                                                                             Eigentlich war die Geschichte dieses                 Wochen nach der Emigration Netters             Was dann natürlich auch geschah.
                                   erbaute Haus war schon vor seiner          um die Goldene Waage corona-                                                                                                                   Bildes schon vor zwei Jahren zu Ende                 nach Großbritannien erwarb bereits             Dass die Geschichte des Bildes in
                                   Zerstörung im Zweiten Weltkrieg            konform öffnen zu können. Doch                                                                                                                 erzählt. Damals übergab nämlich Di-                  die Stadt Frankfurt das Bild und               diesem Jahr trotzdem für das Histo-
                                                                                                                         Große Stube und Goldene Waage: HMF/Horst Ziegenfusz

                                   kein normales Wohnhaus. Anlässlich         das ist seit diesem Sommer anders:                                                                                                             rektor Jan Gerchow das Gemälde „Mo-                  spielte damit eine aktive Rolle in der         rische Museum weiterging, ist Ulrike
                                                                                                                                                                               Stadtwald, Öl auf Leinwand: HMF/Uwe Dettmar

                                   des 50-jährigen Jubiläums des Histo-       Entsprechend der inzwischen be-                                                                                                                tiv aus dem Frankfurter Stadtwald“                   Ausraubung ihrer jüdischen Bürger.             Schiedermair zu verdanken. Denn
                                   rischen Museums im Jahr 1928 wurde         kannten 3G-Regel können nun                                                                                                                    des Frankfurter Künstlers Karl Peter                 Zunächst hing das Bild in der Dienst-          die Frankfurter Mäzenin sah, wie das
                                   dort die Ausstellung „Aus Alt-Frank-       wieder Gruppenführungen angeboten                                                                                                              Burnitz (1824-1886) an den rechtmä-                  wohnung des Oberbürgermeisters                 Gemälde in einer Auktion angeboten
                                   furter Bürgerhäusern“ eingerichtet.        werden, die über den Besucherservice                                                                                                           ßigen Erben. Der Hintergrund: Der                    Friedrich Krebs. Nach dem Krieg und            wurde, ersteigerte es, ließ es gar
                                   Diese sollte einen Einblick in das         buchbar sind.                                                                                                                                  jüdische Juwelier Hermann Netter                     für die folgenden Jahrzehnte befand            restaurieren und schenkte es dem
                                   Leben früherer Generationen bieten,                                                                                                                                                       hatte 1939 vor den Nazis flüchten                    es sich im Historischen Museum.                Historischen Museum, das nun recht-
Das Haus zur Goldenen Waage                                                    Mehr Informationen in dem Kurzführer
im Original – in einer Aufnahme    wie das der Händlerfamilie van                                                                                                                                                            müssen. Zurück blieb seine wertvolle                 Dann jedoch verlangte ein Enkel                mäßig im Besitz des Gemäldes ist.
                                                                              „Das Haus zur Goldenen Waage“ oder
von Carl Friedrich Mylius um das   Hamel, die das prächtige Haus einst        auf der Website www.historisches-museum-                                                                                                       Kunstsammlung, darunter ebendiese                    Netters Restitution, also die Rückgabe         Ein schönes Ende – einer so unschönen
Jahr 1870                          erbauen ließ.                              frankfurt.de/goldene-waage                                                                                                                     Landschaftsdarstellung. Keine zwei                   an den rechtmäßigen Eigentümer.                Geschichte.

                                                    6                                                                                                                                                                                                                                                 7
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
ERINNERUNGEN                                                                                                                                                                                                                                                                                    Museum
                                                                                                                                                                                                                                                                              Die erlebte Stadt & Musik
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                ODELLE

 TEILEN
Die Bibliothek der Generationen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Mit „Jazz im Museum“
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      und dem „Salon Frankfurt“
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      gibt es Kultur für alle Sinne.
ist nicht so leicht zu nutzen.
Oder vielmehr: war. Denn mit
der Online-Recherche und einem                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Wenn Museales auf Musikalisches
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      trifft, kann es zu spannenden
neuen Führungs- und Vermittlungs-                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Verbindungen kommen: So wird im
format kann man jetzt ganz                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Salon Frankfurt in der Alten Oper,
problemlos stöbern.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   mit klassischer Musik untermalt,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      jeweils die Geschichte eines Expo-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      nats aus dem Museum erzählt.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Am 25. November stellt Kuratorin
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nina Gorgus ein Papiertheater vor,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      am 8. Februar rückt Kurator Frank
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Berger eine Adler-Schreibmaschine
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      in den Fokus.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Jazzig geht es dagegen bei den
                                                                                                                                                                                                                                                                                    Das Frankfurt-Modell von Herman Helle haben                                       HMF-Allstars zu, die nach langer
                                                                                                                                                                                                                                                                                     über tausend Frankfurter*innen mitentworfen.                                     Pause wieder einmal im Monat
                                                                                          Die Archivschachteln waren                                                                                                                                                                                                                                                  sonntags im Leopold-Sonnemann-
                                                                                           früher eher „Black Boxes”.                                                                                                                                                        Ein Stadtmodell bildet Objektives       2017 eingeweiht und schnell zum                  Saal musizieren. Dabei ist das Prin-
                                                                                                                                                                                                                                                                             akkurat ab und folgt dem Gebot des      „Publikumsliebling“ wurde, ist eine              zip dieser Reihe, dass stets auch
Im Jahr 2105 wird das Projekt „Bibliothek der Generatio-         vergangenen zehn Jahren verschlagwortete sie ehrenamt-                                                                                                                                                      Maßstabs. So weit, so technisch         flirrende Erfahrungslandschaft auf               ein Gast eingeladen wird. Das kann
nen“ enden. Dann werden 200 Autor*innen ihre Erinne-             lich all die vielen Beiträge, sodass man nun auch nach                                                                                                                                                      gut. Als sich das Museumsteam           70 Quadratmetern. Der erste, schwei-             ein grandioser Jazzmusiker sein
rungen eingebracht haben: historische oder biografische          einem Thema, einer Person oder einem bestimmten Ort                                                                                                                                                         zusammen mit dem niederländischen       fende Blick erkennt Dimensionen und              – wie Emil Mangelsdorff am 12.
Betrachtungen, Tagebücher und Briefwechsel, Objekte              suchen kann. „Im ersten Schritt ging das nur an einem                                                                                                                                                       Künstler Herman Helle daran machte,     die typischen Gegensätze der „kleinen            Dezember –, aber auch ein Künstler,
und Zeichnungen, Protokolle, künstlerische und wissen-           der beiden Computerterminals in der Bibliothek, aber seit                                                                                                                                                   zur Eröffnung des Neubaus ein Frank-    Metropole“: Wald neben Industriean-              der in einem ganz anderen Genre
schaftliche Beiträge sowie Fotos, Tonbänder, Filme und           neuestem ist das sogar online möglich“, freut sich Angela                                                                                                                                                   furt-Modell der Gegenwart zu reali-     lage, Acker neben Siedlung, Hochhaus             beeindruckt – wie der begnadete
zunehmend auch digitale Objekte. Neu ist die Bibliothek          Jannelli, Kuratorin der Bibliothek. Und das neue Angebot                                                                                                                                                    sieren, setzte es andere Prioritäten.   neben Fachwerk. Der zweite Blick                 Frankfurter Zauberer Pit Hartling
indes nicht. Bereits vor gut 20 Jahren wurde sie von der         wird angenommen, von Besucher*innen wie Histori-                                                                                                                                                            Denn statt eines statischen Modells     entdeckt mehr: Die Stadt ist aus dem             am 14. November.

                                                                                                                                                                          Frankfurt-Modell: HMF Stefanie Kösling; HMF-Allstars mit freundlicher Genehmigung von Bernd Otto
Künstlerin Sigrid Sigurdsson konzipiert, seit 2004 ist sie       ker*innen gleichermaßen. „Es ist faszinierend zu sehen,                                                                                                                                                     der gebauten Stadt schwebte ihnen       gebaut, was Menschen benutzen.
Teil der Dauerausstellung des Historischen Museums. Die          wie aus Erinnerungen zunehmend Quellen werden.“                                                                                                                                                             eine Szenerie des Städtischen vor,      Der Stadtwald erwächst aus Besen
Idee dahinter: die Geschichte der Stadt aus unterschied-             Da die Bibliothek der Generationen jedoch ein aus-                                                                                                                                                      die es mit der Vielfalt und Dynamik     und Rasierpinseln, der Industriepark
lichen Perspektiven kennenzulernen und kommenden                 drücklich partizipatives Projekt ist, möchten sich Jannelli                                                                                                                                                 Frankfurts aufnehmen kann. Deshalb      Höchst aus Medikamentenverpackun-
Generationen die Möglichkeit zu geben, sich mit den              und ihr Team nicht auf dem Erreichten ausruhen. Ziel ist,                                                                                                                                                   begab sich das Stadtlabor 2015 auf      gen, der Flughafen aus Fernbedienun-
Erinnerungen und Berichten der Älteren auseinanderzu-            so die Kuratorin, möglichst viele Menschen anzuspre-                                                                                                                                                        Sommertour: Überall im Stadtgebiet      gen und Handys. Bis ins Detail wird
setzen. Zudem will die Bibliothek den Menschen dieser            chen. Mit „Erinnerungen teilen“ gibt es daher nun ein                                                                                                                                                       wurden Menschen nach „ihrem“            gespielt, assoziiert und kommentiert.
Stadt eine Möglichkeit eröffnen, selbst aktiv an einem           neues Vermittlungsformat. Gruppen öffnen darin unter                                                                                                                                                        Frankfurt befragt, danach also, was     Auch Unscheinbares, für Bewoh-
Erinnerungsprozess teilzunehmen. Denn im Prinzip hat             Anleitung von fachkundigen Museumsmitarbeiter*innen                                                                                                                                                         ihnen bedeutsam und wichtig ist.        ner*innen aber Bedeutsames findet
dort jede*r die Möglichkeit, Autor*in zu werden.                 gemeinsam jene Archivschachteln, die für die jeweilige                                                                                                                                                      2016 erhielt Herman Helle eine dicke    Platz, vom Grüne-Soße-Denkmal in
    Allein: So schön und konzeptionell überzeugend die           Gruppe interessant sind. „Ziel ist es, sich gemeinsam an                                                                                                                                                    Materialpackung mit den „Stadt-         Oberrad bis zur Dorfkirche in Berkers-
Installation – im obersten Geschoss des Museums – mit            bestimmte Zeiten oder bestimmte Begebenheiten zu erin-                                                                                                                                                      Ansichten“ von 1.166 Frankfurter*in-    heim. Dieses Frankfurt lebt und will
                                                                                                                                       Archivschachtel: Horst Ziegnfusz

ihren Fächern voller Erinnerungen und Betrachtungen ist,         nern und sich drüber auszutauschen“, so Jannelli.                                                                                                                                                           nen, Porträts der 42 Stadtteile und     entdeckt werden, immer wieder und                HMF-Allstars Bandleader
war eine gezielte Recherche anfangs nahezu unmöglich.                                                                                                                                                                                                                        vielem mehr. Seine Aufgabe war es,      immer wieder neu.                                Bernd Otto am Banjo
Denn die bislang 140 dort ausgestellten Schachteln und            Die erste öffentliche Veranstaltung findet am Sonntag, 13.Februar                                                                                                                                         diesem Sammelsurium Materialität                                                          Mehr unter www.historisches-museum-
Bücher glichen eher „Black Boxes“ als einem übersichtlich        2022 um 15 Uhr statt. Gruppen können Termine beim Besucherservice                                                                                                                                           zu verleihen.                                                                            frankfurt.de/veranstaltungen und auf
                                                                 vereinbaren. www.historisches-museum-frankfurt.de/                                                                                                                                                                                                   Das Frankfurt-Modell von Herman Helle ist      Seite 42. Dort auch Infos zu dem Konzert,
sortierten Archiv. Dank Melanie Hartlaub – selbst Autorin        bibliothek-der-generationen                                                                                                                                                                                     Was dann in einer Lagerhalle        in der Dauerausstellung „Frankfurt Jetzt!“ auf   das das Museum der Stadt am 11.12. im
der Bibliothek – ist dies jedoch inzwischen anders. In den                                                                                                                                                                                                                   in Rotterdam entstand, im Oktober       Ebene 3 des Ausstellungshauses zu sehen.         Leopold-Sonnemann-Saal schenkt.

                                                             8                                                                                                                                                                                                                                                                             9
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
EINUNG                                                                                                                                                                                                              Und das Leben heute, mit all den
                                                                                                                                                                                                                                                                             rasanten Veränderungen im Stadt-
                                                                                                                                                                                                                                                                             raum? Diese werden Thema einer
                                                                                                                                                                                                                                                                             begleitenden Ausstellung des Stadt-

                        Mit der Wucht
                                                                                                                                                                                                                                                                             labors sein. Zwar ist noch viel Zeit
                                                                                                                                                                                                                                                                             bis zur Ausstellungseröffnung. Doch
                                                                                                                                                                                                                                                                             weil die Exponate vorher erarbeitet

                       eines Bumerangs
                                                                                                                                                                                                                                                                             werden müssen, sucht das Stadtlabor
                                                                                                                                                                                                                                                                             heute schon nach Mitwirkenden, die
                                                                                                                                                                                                                                                                             diesmal also eine gewisse zeichneri-

                                                                                                                                                                                                     STADT-
                                                                                                                                                                                                                                                                             sche Begabung mitbringen müssen.
                                                                                                                                                                                                                                                                             Denn wie Reiffenstein sollen auch
                                 Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy                                                                                                                                                                                                       die neuen Stadtlaborant*innen die
                             über die Frage der Restitution von Kulturgütern

                                                                                                                                                                                                      BLICKE
                                                                                                                                                                                                                                   Ohne Carl Theodor Reiffenstein            Veränderungen in der Stadt in Bildern
                               nach Afrika und eine verdrängte Debatte                                                                                                                                                             wüssten wir weit weniger über das         visualisieren. Texte sind allenfalls als
                                                                                                                                                                                                                                   Leben in der Frankfurter Altstadt des     Kommentare innerhalb der Arbeiten
                                                                                                                                                                                                                                   19. Jahrhunderts und die seither ein-     erlaubt. Herauskommen soll dabei
                                                                                                                                                                                                                                   getretenen Veränderungen. Der Maler       „eine subjektive Frankfurt-Kartogra-
                                                                                                                                                                                                                                   hielt sie den in vielen Varianten und     phie“, die aktuelle Transformations-
                                                                                                                                                                                                     Das Stadtlabor sucht für
                                                                                                                                                                                                                                   Motiven fest – eine unerschöpfliche       prozesse in der Stadt dokumentiert.
Schon vor 40 Jahren diskutierte                                                     das Thema heute viele Gesellschaften
                                                                                                                                                                                                     eine subjektive Kartogra-     Quelle für stadthistorisch interessier-

                                                                                                                                                                          Zeichnung: Detlef Surrey
Europa über die Restitution koloni-                                                 erschüttert, gleicht daher der eines                                                                             phie-Ausstellung diesmal      te Frankfurter*innen. Ende 2022 wer-
aler Museumsbestände an Afrika.                                                     zurückkehrenden Bumerangs. Es ist                                                                                Menschen, die gerne           den Werke von Reiffenstein in einer        Das Stadtlabor lädt am 2. Februar 2022
Die Gespräche verliefen im Sand.                                                    die potenzierte Rückkehr von etwas                                                                               zeichnen. Und nicht irgend-   großen Ausstellung im Historischen
                                                                                                                                                                                                                                                                             um 18 Uhr zu einem ersten Workshop ein.
                                                                                                                                                                                                                                                                             Anmeldung und Rückfragen: stadtlabor@
Sie wurden vergessen oder besser                                                    Verdrängtem auf der historischen                                                                                 etwas, sondern Frankfurt.     Museum zu sehen sein.                     historisches-museum-frankfurt.de
gesagt: erfolgreich verdrängt. Das                                                  Bühne, das sich nicht noch einmal
ist die vielleicht wichtigste Lektion                                               ignorieren lässt. Restitution, Deko-
aus der Arbeit, die ich 2018 mit dem                                                lonisation, die Frage des Rassismus
senegalesischen Ökonom und Schrift-                                                 und der sozialen Gerechtigkeit gehen
steller Felwine Sarr im Auftrag des                                                 Hand in Hand.
französischen Präsidenten Emma-                                                         Es liegt an unserer Generation,
nuel Macron durchgeführt habe. Wir                                                  Verantwortung zu übernehmen und
gewannen nicht nur in Afrika selbst                                                 die Arbeit zu erledigen, die Museums-
grundlegende Erkenntnisse; wir                                                      direktoren und Kulturfunktionäre
entdeckten auch in Paris und Berlin                                                 der 70er und 80er Jahre mit Bedacht
                                           Restitution, Dekolonisation,
ganze Aktenkonvolute in Verwal-                                                     versäumt haben: eine ernst gemeinte
tungs- und Pressarchiven, aus denen
                                             die Frage des Rassismus
                                                                                    und angesichts der verstrichenen Zeit
hervorgeht, dass schon einmal eine         und der sozialen Gerechtig-              ebenso zügige wie besonnene Restitu-
ausführliche Debatte um kolonialzeit-       keit gehen Hand in Hand.                tion der Objekte, die im Unrechtskon-
liche Sammlungen in europäischen                                                    text kolonialer Okkupation zu uns
Museen geführt wurde. Sie erreichte        Pathosformeln es waren, die in den       nach Europa gekommen sind und
ihren Höhepunkt zwischen 1978 und          70ern und 80ern das Projekt einer        bereits seit einem halben Jahrhundert
1982.                                      geordneten und fairen Rückgabe           reklamiert werden. Wir müssen es
     Es ist für Historikerinnen und His-   von Kulturgütern an die „Dritte Welt“,   jetzt tun und dürfen die Verantwor-
toriker kein Leichtes, die Geschichte      wie sie damals genannt wurde, schei-     tung nicht selbst auf unsere Kinder
verpasster Chancen, des Erstickens         tern ließen.                             und Kindeskinder abschieben.
und Verdrängens historischer Optio-             Die Archive sprechen eine deut-
nen zu schreiben. Schriftliche Quellen     liche Sprache: Die Idee unseres
fehlen oft. Unterminierende Lobby-         21. Jahrhunderts, Kulturgüter, die        Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunst-
arbeit vollzieht sich meist außerhalb      während der Kolonialzeit en masse        geschichte an der TU Berlin und am Collège
                                                                                                                                      Bénédicte Savoy: AntjeBerghaeuser

schriftlicher Koordinatensysteme.          in die europäischen Museen gelang-       de France in Paris. Am 26. Januar wird sie im
                                                                                    Historischen Museum in der Reihe Geschichte
Im vorliegenden Fall jedoch lugt unter     ten, im Sinne einer postkolonialen       Jetzt! ihr neusten Buch „Afrikas Kampf um
der Schicht des Vergessens erstaun-        und postrassistischen Solidarität        seine Kunst – Geschichte einer postkolonialen
lich viel Material hervor. Daran lässt     zurückzugeben, ist alles andere als      Niederlage“ (2021, Verlag C.H. Beck) vor-
                                                                                    stellen, siehe S. 42. Der obige Beitrag ist aus
sich ablesen, welche Akteure und           radikal oder bahnbrechend. Das gab       Passagen aus der Einleitung und dem Epilog
Strukturen, welche Argumente und           es schon einmal. Die Wucht, mit der      des Buches zusammengestellt.

                                                            10                                                                                                                                                                                       11
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
KENNST
                                                                                                                                                                                                                                                                ENSCHEN

                                          Stand: 07/2021, Änderungen vorbehalten
         37 MUSEEN                                                                         DU                                                                                                                      Der Brückenbauer
                    MUSEUMSUFERCARD                                                       FRANK-
                         1 JAHR                                                         FURT?
                            89 €
                          MUSEUMSUFER                                                   Eine Arbeitsgruppe
                                TICKET                                                  des Jungen Museums

                         2 TAGE
                                                                                        arbeitet an neuen
                                                                                        Frankfurt-Materialien
                                                                                        für Grundschulkinder.
                            21 €
                                                                                                                                                                                                             Dank seiner Initiative konnten einige Ankäufe getätigt werden: Markus Pfüller in der Dauerausstellung.

                                                                                        Kinder für die eigene Stadt und ihre Geschichte zu
                                                                                        begeistern, ist eigentlich gar nicht so schwer. Sie sind                                                 Markus Pfüller ist renommierter Anwalt und gut vernetzt. Das Museum
                                                                                        neugierig, wissbegierig und interessieren sich meist                                                     unterstützt er als Kuratoriumsvorsitzender und Kopf des „SaalhofClubs“.
                                                                                        für das eigene Lebensumfeld. Umso erschreckender ist
                                                                                        daher für Susanne Gesser, wenn sie sieht, mit welchen                                                    Markus Pfüller gibt es offen zu: „Von Geschichte habe ich                 „Unser Zusammenleben braucht ständige Veränderungen
                                                                                        Materialien die hiesigen Grundschulen teilweise                                                          nicht mehr Ahnung als die meisten.“ Im Historischen                       und Anpassungen. Deswegen versuche ich, zukunftsge-
                                                                                        arbeiten (müssen). „Wenn die Arbeitsblätter für die                                                      Museum spielt er dennoch eine wichtige Rolle. „Manche                     richtete Regeln zu fördern und Prozesse zu verstetigen.“
                                                                                        Schüler*innen veraltet und fehlerhaft oder schon so                                                      Menschen haben Ideen. Andere haben Möglichkeiten,                             Um Verstetigung geht es auch im SaalhofClub. Entstan-
                                                                                        häufig kopiert worden sind, dass kaum noch etwas                                                         sie umzusetzen. Beide zusammenzubringen, darin sehe                       den ist dieser als Club33 vor acht Jahren. Damals verfügte
                                                                                        darauf zu erkennen ist, kann ich das kaum ertragen“,                                                     ich meine Aufgabe.“ Brücken schlagen, verknüpfen und                      das Museum über keinen Etat, um spontan Objekte an-
                                                                                        so die Leiterin des Jungen Museums.                                                                      vernetzen – das tut er gleich in doppelter Funktion: als                  zukaufen. Pfüller begann zu rechnen: Würden für diesen
                                                                                             Deshalb hat Gesser eine Arbeitsgruppe ins Leben                                                     Mitglied und inzwischen Vorsitzender des Kuratoriums,                     Zweck jedes Jahr 100.000 Euro bereitstehen, wäre das eine
                                                                                        gerufen. In ihr sitzen Lehrer*innen und Fachleute aus                                                    in dem namhafte Persönlichkeiten für das Museum                           verlässliche Hilfe. Bei 33 Fördernden müsste jede*r 3.333
                                                                                        dem Jungen Museum sowie weitere Kooperationspartner                                                      wirken und eintreten, sowie als Initiator und Kopf des                    Euro geben. Aus der Rechnerei wurde ein Club. Zwar sind
                                                                                        wie das Archäologische Museum oder das Institut für                                                      SaalhofClubs, einer Gruppe ausgewählter Fördernder.                       noch „Plätze frei“, aber schon in den letzten Jahren hat
                                                                                        Stadtgeschichte. Ziel ist es, eine umfangreiche und                                                           Es hätte auch anders kommen können. Denn einst                       der SaalhofClub ermöglicht, dass das Museum bei Gelegen-
                                                                                        modular aufgebaute Frankfurt-Materialsammlung                                                            wollte Pfüller, in Sachsenhausen aufgewachsen, nur „fort                  heiten Objekte erwerben konnte: sei es das im Renten-
                                                                                        zu erstellen, die Schulen angeboten werden kann. Mit                                                     von hier“. Weg von der bekannten Familie – das Modehaus                   turmfoyer ausgestellte Gemälde „Ansicht von Frankfurt
                                                                                        ihr sollen die Kinder spielerisch etwas über Frankfurt                                                   Pfüller ist seit bald 150 Jahren hier ansässig – und den                  am Main“ von Fritz Wucherer, sei es ein leuchtend blaues
Mehr Informationen auf
                                     MUSEUMS

                                                                                        lernen, über die Stadteile, den Main oder die Wappen,                                                    Erwartungen an ihn als Erstgeborenen; aber auch raus aus                  Figurinenkleid. Besonders hat Pfüller der Ankauf eines
museumsufer.de                                                                          aber auch über die Römer oder den Gründungsvater                                                         dem ihm klein und eng erscheinenden Frankfurt. „Ich                       lebensgroßen Porträts des Obdachlosen Karel Strnad
                                                                                        Karl den Großen. Und wann ist mit einer Fertigstellung                                                   wollte in die weite Welt“, erinnert er sich. Dies begann mit              gefreut, das der Frankfurter Künstler Thomas Ganter 2014
                                     UFER

                                                                                                                                                                       M. Pfüller: Uwe Dettmar

                                                                                        der Materialsammlung zu rechnen? Susanne Gesser:                                                         einer Banklehre in Stuttgart, es folgten Jura-Studium in                  gemalt hat. Ein zeitgenössisches Werk? Genau das sei ja
                                                                                                                                                   Grafik: Gardeners

                                                                                        „So schnell wie möglich, zunächst muss alles aber                                                        Freiburg und Stationen in Hamburg und London. Dann                        das Spannende, findet er: „Das Museum muss heute
                                                                                        noch gründlich von Kindern getestet werden. Es soll ja                                                   kam er zurück und wurde zu dem, was er heute ist: renom-                  entscheiden, was morgen von Bedeutung sein kann, um
                                                                                        richtig gut werden!“                                                                                     mierter Wirtschaftsanwalt. Was ihn am Recht interessiert?                 die Vergangenheit zu verstehen.“ Dabei hilft er gerne.

                                                                                   12                                                                                                                                                                                 13
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
Kleine
                                                                                  Der Frankfurter Konditor Johann
                                                                                  Valentin Prehn (1749–1821) trug einst
                                                                                  ein Miniaturkabinett mit mehr als

                                          Kunst
                                                                                  800 kleinformatigen Gemälden zu-
                                                                                  sammen. In 32 Klappkästen sammelte
                                                                                  er Gemälde aller Schulen und Genres
                                                                                  vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhun-
                                                                                  dert. In dieser Sonderausstellung im
                                                                                  Sammlermuseum ist diesmal sogar
                                         Nur noch bis Mitte Januar

                                                                                                                                                                                                                              HÖCHST
                                                                                  das berühmte Paradiesgärtlein zu
                                         ist das berühmte Paradies-               sehen – das Bild hängt normalerweise
                                         gärtlein im Historischen                 als Dauerleihgabe im Städel.
                                         Museum zu sehen – zusammen

                                                                                                                                                                                                                             VIELSEITIG
                                         mit vielen anderen Werken                 Prehns Bilderparadies bis 16.1.2022
                                                                                  im Historischen Museum;
                                         der Sammlung Prehn.                      www.bildersammlung-prehn.de

                                                                                                                                                                                                                                                            2023 wird das neue
                                                                                                                                                                                                                                                             Bolongaro Museum
                                                     ITMACHEN                                                                                                                                                                                                 eröffnet. Bis dahin
                                                                                                                                                                                                                                                              gibt es viel zu tun.
                                                                                                                                                                                                                                                                    Auch für die
                                                                                                                                                                                                                                                            Stadtlaborant*innen
                                                                                                                                                                                                                                                                     aus Höchst.

Kids on
  Tour im                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Tempo!
Museum
Museen sind für Kinder
zuweilen etwas langweilig.
                                                                                                                                                                                                                             Wer durch den Höchster Industriepark in die Altstadt mit
                                                                                                                                                                                                                             ihren schönen Fachwerkhäusern fährt, bemerkt schnell:
                                                                                                                                                                                                                             Dieser Frankfurter Stadtteil ist geprägt von Gegensätzen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Alle Zeit
Doch das muss nicht sein!
Im Sammlermuseum können
sie zum Beispiel einfach
                                                                                                                                                                                                                             und Widersprüchen. Aber wie kann ein Stadt(teil)museum
                                                                                                                                                                                                                             mit einer solchen Diversität umgehen? Klar war sofort,
                                                                                                                                                                                                                             dass das neue Bolongaro Museum die ganze Bandbreite
                                                                                                                                                                                                                             abbilden soll, die heute den Stadtteil ausmacht. Und nie-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                             der Welt
mitsammeln.                                                                                                                                                                                                                  mand anders als die Höchster*innen selbst sollen diese                           26.9.2021– 6.2.2022

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Styling und Model: Mina Pavicevic © Foto: anjajahn.com
                                                                                                                                                                                                                             Geschichten erzählen.
                                                                                                                                                                                                                                 Wenn es um Partizipation geht, macht das Histori-
                                                                                                                             Paradiesgärtlein: HMF/Horst Ziegenfusz; Kids on Tour: Uwe Dettmar

Mit dem Jungen Museum hat das            Das gilt auch für das Sammlermuse-       sönlichkeiten, ihren Sammlungen und                                                                                                        sche Museum seit 2010 gute Erfahrungen mit seinem
Historische Museum Frankfurt             um, in dem das Historische Museum        dem Sammeln. Mitmachen (und anfas-                                                                                                         Stadtlabor. Deshalb kommt dieses Format nun auch
einen Ort für Kinder und Jugendliche     Privatsammlungen zwölf Frankfurter       sen) ist hier nicht nur erlaubt, sondern                                                                                                   in Höchst zum Einsatz. Drei Workshops hat es bereits
geschaffen. Doch die Arbeit des Jungen   Bürger*innen präsentiert – von natur-    ausdrücklich erwünscht. So können                                                                                                          gegeben, so langsam formen sich erste Beiträge für das
Museums beschränkt sich nicht nur        historischen Gegenständen über Waf-      zum Beispiel Gemäldesammlungen                                                                                                             neue Museum heraus. „Neben dem Geschichtsverein und
darauf, diesen Ort mit entsprechenden    fen oder Münzen bis hin zu wertvoller    neu arrangiert, eine zerbrochene Vase                                                                                                      dem Museumsverein wird zum Beispiel die alevitische
Ausstellungen und Veranstaltungen        Malerei. Allein: Ist das für Kinder so   zusammengesetzt oder eine Münze                                                                                                            Gemeinde oder ein pakistanischer Kulturverein mit dabei
                                                                                                                                                                                                 Bolongaro: Neven Allgeier

zu bespielen. Ziel ist es, das gesamte   interessant? Dank einer sogenannten      geprägt werden. Außerdem gibt es zu                                                                                                        sein“, berichtet Konstantin Lannert, Kurator und Pro-
Museum kindgerecht zu machen,            Familienspur auf jeden Fall! Denn hier   jedem Sammler ein Sammelbildchen,                                                                                                          jektleiter. Wo das alles hinführt, sei noch ziemlich offen.                                                   museum-sinclair-haus.de
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           kunst-und-natur.de
damit sich Groß und Klein überall        werden Kinder selbst zu Sammler*in-      das in ein Heft eingeklebt werden kann,                                                                                                    „Aber genau das ist Teil des Konzepts.“ Wichtig sei nur,
willkommen fühlen und es gerne           nen. An orangefarbenen Stationen fin-    welches am Anfang der Tour ausliegt.                                                                                                       dass möglichst viele Höchster*innen am Ende das neue
besuchen.                                den sie Aufgaben zu den Sammlerper-      Langweilig ist anders!                                                                                                                     Museum als ihr Museum annehmen würden.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                anzgeige_80x250_schneekugel_tempo.indd 2                        27.09.21 18:31
                                                           14                                                                                                                                                                                                                              15
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
Erstmals zeigt das

                                                   heute
                                                                                  Historische Museum
                                                                                   eine Gesamtschau
                                                                                   über die NS-Zeit in
                                                                                        Frankfurt – mit
                                                                                   drei Ausstellungen,
                                                                                        verschiedenen
                                                                                  Schwerpunkten und
                                                                                    Annäherungen an
                                                                                    komplexe Fragen:
                                                                                   Wie NS darstellen?
                                                                                      Was vermitteln?

                                            Damals
                                                                                        Wie erinnern?

                                                                ‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑
                                                                Es beginnt mit einer Konfrontation und einer Frage. Nach
                                                                wenigen Schritten in der Ausstellung „Eine Stadt macht
                                                                mit“ fällt der Blick unweigerlich auf eine großformatige
                                                                Schwarz-Weiß-Fotografie: Ein Mann steht alleine in einer
                                                                engen Straßenflucht, über ihm Flagge um Flagge, Haken-
                                                                kreuz auf Hakenkreuz. Es ist 1933, der Nationalsozialis-
                                                                mus hat Frankfurts Straßen erobert. Rechts neben dem
                                                                Foto drängt ein anderer Reiz ins Bild. Auch hier ist es
                                                                eine Fahne aus Stoff, verblichen zwar, aber noch als einst
                                                                rot leuchtendes Banner erkennbar. Auf ihr weisen drei
                                                                markante Pfeile nach links, das Symbol der Eisernen
                                                                Front, ein antifaschistischer Zusammenschluss demo-
                                                                kratischer Kräfte, die sich den Nazis entgegenstellten.
                                                                Die Pfeile der Fahne weisen auf den Mann auf der Foto-
                                                                grafie und beschwören Fragen herauf: Warum steht er da?
     Bendergasse: Leonhard Kleemann, 1933

                                                                Ist er dafür oder dagegen? Wird er mitlaufen, erst un-
                                                                willig, später fanatisch? Vielleicht auch: Was hätten die
                                                                eigenen Großeltern an dieser Stelle getan, die Mutter,
                                                                der Vater, man selbst? So geht es los.

16                                                         17
Mitgemacht!? - Historisches Museum Frankfurt
umso mehr angesichts der Diversität      Zurück zu dem Mann auf der Straße,                                         dere hat Zeitschnitte gesetzt und sich
                                                                  der heutigen Stadtgesellschaft: Nicht    dem Auftakt von „Eine Stadt macht                                          auf die Umbruchsjahre 1933, 1938,
                                                                  mal mehr die Mehrheit der Menschen       mit“. 600 Objekte und Dokumente                                            1941 und 1945 konzentriert. Letztlich
                                                                  in Frankfurt sind, um es angelehnt       sind hier zu sehen. Einem ist zu                                           hat sich das Museum aber für das

                                                                                                                                                                             ärtig,
                                                                  an eine vieldiskutierte Bezeichnung      entnehmen, dass Frankfurts neu-                                            „Orte-Konzept“ entschieden: Verteilt

‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑                                              zu sagen, „Deutsche mit Nazi-Hinter-
                                                                  grund“. Was aber bedeutet denjenigen,
                                                                                                           eingesetzter Oberbürgermeister
                                                                                                           Friedrich Krebs bereits am 28. März
                                                                                                                                                                                      im Ausstellungsraum sind 19 groß-
                                                                                                                                                                                      flächige Baukörper platziert. Sie
Der Reihe nach. 2018 fällt im Museum                              deren Vorfahren am Horn von Afrika       1933 verfügte, alle jüdischen Ange-                                        stehen für Orte urbanen Lebens, mal
die Entscheidung, die Jahre von 1933                              oder in Anatolien gelebt haben, die      stellten und Beamten der Stadt aus                                         konkrete wie Rathaus, Universität,

                                                          ießen
bis 1945 und ihre Nachwirkungen bis                               düstere deutsche Geschichte, was soll,   dem Amt zu entfernen. Die rechtliche                                       Museum oder Gericht, mal abstrakte
heute in einem Ausstellungsprojekt                                was kann sie bedeuten?                   Grundlage wurde mit dem NS-Gesetz                                          wie Straße oder Zuhause. Es sind Orte,
umfassend zu betrachten. Es ist ein                                                                        zur „Wiederherstellung des Berufs-                                         die es damals gab und heute gibt, in

                                                                                                                                                                       gegenw
Novum: Zwar gab es Forschung zu                                                                            beamtentums“ reichsweit erst zehn                                          Frankfurt wie in jeder anderen Stadt.
Hauf und auch Ausstellungen zu                                                                             Tage später erlassen. Krebs hatte also                                     Die Idee dahinter ist, die Geschichte
Teilaspekten. In den über sieben Jahr-                                                                     vorauseilend gehandelt. An anderer                                         in Frankfurt zu „verorten“ und
zehnten seit dem Ende des „Dritten                                                                         Stelle erfährt man, dass die kommu-                                        damit Anknüpfungspunkte in den

                                                                  ‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑
Reichs“ aber hat weder das Historische                                                                     nale Verwaltung – die große Mehrheit                                       Lebenswelten der Besucher*innen zu

                                                   aufschl
Museum noch eine andere Frankfur-                                                                          des Personals war das gleiche wie vor                                      finden – das Damals und das Heute zu
ter Institution je eine Gesamtdarstel-                                                                     1933 – die NS-Politik von heute auf                                        verbinden. Für das Publikum ist das
lung gewagt. Es jetzt zu tun, hat gute
Gründe. Eine rechtspopulistische Par-
                                        sondern t ab-,            „Von Anfang an und stärker noch als
                                                                  sonst“, so Kuratorin Anne Gemein-
                                                                                                           morgen umsetzte. Beide Geschichten
                                                                                                           stehen dafür, was sich in dem Titel
                                                                                                                                                                                      Möglichkeit wie Zumutung zugleich:
                                                                                                                                                                                      Man steht dem Nationalsozialismus

                                                                                                                                                                   ächtig
tei sitzt in Parlamenten, geschichts-                             hardt, „war die Frage der Vermittlung    der Ausstellung bündelt: Frankfurt                                         nicht äußerlich gegenüber, vielmehr
revisionistische Diskurse strömen                                 zentraler Teil unserer Überlegungen.“    hat mitgemacht. Auch die moderne,                                          wandelt man auf eigenen Pfaden von

                                                                                                                                                                war all
durch die sozialen Medien und überall                             Intensiv wurde diskutiert, wie sich      liberale, demokratisch gesinnte und                                        Ort zu Ort durch eine abstrahierte
im Land nimmt rassistische und                                    verschiedene, auch leichte Zugänge       wie keine andere von ihrer jüdischen                                       nationalsozialistische Stadt, genauer
antisemitische Gewalt zu. Museums-                                schaffen lassen; wie man das, was        Geschichte und Gegenwart geprägte                                          noch: mitten durch das nationalsozia-
                                           hte nich

direktor Jan Gerchow sagt es so: „Der                             manche zur Genüge zu kennen              Stadt hat sich proaktiv und selbstbe-                                      listische Frankfurt.
Nationalsozialismus wirkt offen fort.                             meinen, noch einmal neu und anders       stimmt nazifiziert. Wie das gesche-                                             An den Orten wird aufgezeigt,
Die Geschichte und Ideologie des NS                               erzählen kann; wie sich vermitteln       hen konnte – eben das vollzieht die                                        wie der NS sämtliche Lebensbereiche

                                                                                                                                                           cht allm
zu verstehen, um den Versprechen von                              lässt, dass eine Auseinandersetzung      Ausstellung nach.                                                          erfasste und durchsetzte. Gleichwohl
Rechtspopulisten und Rechtsradika-                                mit dem NS – individuell wie gesell-                                                                                ist die Geschichte jeden Ortes viel-
len zu widerstehen: Das muss auch                                 schaftlich – niemals „erledigt“ ist,                                                                                schichtig und widersprüchlich. Am
heute ein Hauptziel von historischer                              sondern immer noch und immer wieder                                                                                 Bahnhof retten sich Verfolgte ins Exil,
und politischer Bildung sein.“                                    neu von Bedeutung und Belang sein                                                                                   brechen Wehrmachtssoldaten auf,

                                                                                                                                                       Der NS
     Deshalb also „Frankfurt und                                  wird. Auf den Punkt gebracht: Wie                                                                                   kommen Zwangsarbeiter*innen an

                                                                                                           ‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑
der NS“. Wie aber macht man das –                                 diese Geschichte nicht ab-, sondern                                                                                 und fahren Sonderzüge in die Kon-
„die Geschichte und Ideologie des                                 aufschließen?                                                                                                       zentrations- und Vernichtungslager
                                   Geschic

NS verstehen“? Was erzählen? Und                                       Eine grundlegende Entscheidung                                                                                 ab. Museen profitierten vom Raub an
wie? Für wen? Schließlich ist der NS,                             fiel früh. Statt einer Ausstellung       Der Schwerpunkt auf der Täterschaft                                        den Verfolgten des NS-Regimes und
so beschreibt es Kuratorin Angela                                 zeigt das Museum zeitgleich drei         wirft noch einmal eigene Fragen nach                                       entschädigungsloser Enteignung,

                                                                                                                                                    aber ni
Jannelli, „ein sensibles Thema, für                               Ausstellungen, die in engem Bezug        der Darstellung auf. Schließlich soll                                      gleichzeitig verlieren sie Werke, die
viele auch schmerzhaft und wie kaum                               zueinander entwickelt worden sind.       im Fokus auf das Funktionieren der                                         als vermeintlich „entartet“ diffamiert
ein anderes politisch brisant“. Hinzu                             „Eine Stadt macht mit“ zeigt auf         NS-Herrschaft das Mitmachen nicht                                          werden. Vor Gericht wird nationalso-
kommt: Eine Auseinandersetzung                                    900 Quadratmetern eine histori-          als Notwendigkeit erscheinen. Wie                                          zialistisches Unrecht gesprochen, dort
mit der nationalsozialistischen                                   sche Gesamtschau samt Vor- und           also vermitteln, dass der Nationalso-                                      wird nach 1945 aber auch nationalso-
Herrschaft steht heute unter anderen                              Nachgeschichte für das allgemeine        zialismus von den meisten getragen                                         zialistisches Unrecht verfolgt – bis hin
Vorzeichen als vor drei oder vier                                 Museumspublikum. Kinder und              wurde, aber keineswegs von allen ge-                                       zu dem 1963 begonnenen Frankfurter
Jahrzehnten. Zeitlich ist das „Dritte                             Jugendliche spricht die interaktive      teilt und von einigen auch bekämpft                                        Auschwitz-Prozess. An jedem der Orte
Reich“ inzwischen so lange her, dass                              Ausstellung „Nachgefragt“ des            wurde? Anne Gemeinhardt, für                                               also begegnen sich Täter und Verfolgte
nur noch wenige Zeitzeug*innen                                    Jungen Museums an. Die dritte Aus-       Bildung und Vermittlung zuständig,                                         und die Vielen dazwischen, gibt es
berichten können. Bei immer mehr                                  stellung, „Auf Spurensuche im Heute“     erzählt, dass verschiedene Konzepte                                        Verläufe, wird NS-Herrschaft etabliert
Frankfurter*innen sind auch Oma                                   vom Stadtlabor, bietet Raum für          zur Ausstellungsstruktur in Betracht                                       und exekutiert ebenso wie hinter-
und Opa nach 1945 geboren. Es geht                                unterschiedliche Zugänge zu einer        gezogen wurden. In einer war die                                           gangen, infrage gestellt und bekämpft.
also darum, Wissen jenseits direkter                              erinnernden Auseinandersetzung mit       Geschichte in thematische Bereiche
familiär-biografischer Erfahrungen                                dem NS. Drei Ausstellungen, drei Per-    wie „Antisemitismus“, „Terror“ und
weiterzugeben und -entwickeln; dies                               spektiven, drei Herausforderungen.       „Zwangsarbeit“ gegliedert, eine an-

                                                  18                                                                                                                 19
Im Gegenteil: Sie liegt in einem                                                                                                                                wir nicht als Gefahr oder Konkurrenz
                                                                                stilisierten Polizeiregal, als aus dem                                                                                                                          begreifen, sondern als Chance, uns

‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑

                                                                                                                                                                                                                                        n
                                                                         tück
                                                                                Verkehr gezogenes Stück Unrecht.                                                                                                                                darüber zu verständigen, wie wir zu-
                                                                                Ent- statt Verherrlichung.
                                                                                                                                                         ‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑                                                                   sammenleben möchten.“ Ihr Kollege

                                                                                                                                                                                                                                 diverse
Damit ist ein Grundprinzip der Aus-                                                  Szenenwechsel, hinauf und                                                                                                                                  Gottfried Kößler ergänzt: „Es ist ja
stellung genannt: Auf allen Ebenen                                              hinüber zur Ausstellung „Nachge-                                         Von Anfang an hat das Museum                                                           nicht so, dass das Erinnern wie ein
webt sie in die Herrschaft des NS                                               fragt“ des Jungen Museums. Auch sie                                      auf dem Weg zu „Frankfurt und                                                          Kuchen funktioniert: Je mehr Perso-
Brüche und Reibungen ein, nicht                                                 verfolgt den Ansatz, dem Publikum                                        der NS“ den Austausch mit anderen                                                      nen am Tisch sitzen, desto kleiner

                                                                igt als S
gleich mächtig, aber doch präsent.                                              – hier Kinder und Jugendliche ab zehn                                    Institutionen und Initiativen ge-                                                      werden die Stücke. Erinnerungen
So wird an vielen Stellwänden unter                                             Jahren – das Leben bzw. das Aufwach-                                     sucht. So haben die vor allem in den                                                   setzen andere Erinnerungen frei.

                                                                    ung
der Überschrift „Kontra!“ ein Moment                                            sen im Nationalsozialismus in zeit-                                      1980er-Jahren zahlreich entstande-                                                     Deswegen legen wir im Stadtlabor
der Gegenwehr erzählt. Auch die                                                 übergreifenden Lebenswelten erfahr-                                      nen Geschichtsvereine wichtige Im-                                                     das Augenmerk auf das produktive
Szenografie arbeitet mit Dominanten                                             bar zu machen: Wie schlugen sich das                                     pulse in die Ausstellungen getragen.                                                   Potenzial, das im Erinnern steckt.“
und gezielt gesetzten Störungen. So                                             „Dritte Reich“ und seine Ideologie in                                    Am weitreichendsten beteiligt ist die                                                      Genau darin liegt die Bedeutung
gehen von den massiven Stellwänden                                              der Familie, in der Schule oder in der                                   Stadtgesellschaft in der Ausstellung                                                   dieser Ausstellung. Keineswegs jede*r

                                                                                                                                                                                                                          en ist
                                                            herrlich

                                                                                                                                                                                                                        s einer
seitlich leichtere Flügelwände ab.                                              Freizeit nieder? Visuell wird dem NS                                     des Stadtlabors. Dieses arbeitet stets                                                 und nicht einmal mehr die große
Der Grundton der Wandflächen ist,                                               dabei kaum Platz zugestanden, an                                         „von Anfang bis Ende“ partizipativ.                                                    Mehrheit der diversen Frankfurter
in Anspielung auf „NS-Vorlieben“,                                               dem er „wirken“ könnte (siehe den                                        So auch diesmal: Rund 30 Stadtlabo-                                                    Bevölkerung hat einen familiär-bio-
eine braune Eichenholz-Maserung,                        te, geze                Beitrag ab Seite 28): Verherrlichende,                                   rant*innen haben sich gemeinsam                                                        grafischen „Nazi-Hintergrund“. Das
die aber nie die gesamte Fläche                                                 stigmatisierende, grundsätzlich                                          „Auf Spurensuche im Heute“, so                                                         Stadtlabor bringt mit der Vielheit der
überzieht. Stets wird sie von Weiß-                                             suggestive Abbildungen sowie                                             der Titel der Ausstellung, begeben                                                     Bevölkerung sowohl Unterschiedlich-
fläche begrenzt. Jenny Jung, die die                                            Gewaltdarstellungen werden ver-                                          (mehr dazu ab Seite 24). Gemeinsam                                                     keiten als auch gemeinsame Themen

                                                                                                                                                                                                                   gemess
Ausstellung mitkuratiert hat: „Die                                              mieden, auch auf Originalobjekte                                         hat man sich über das Thema, das                                                       im Blick auf die Gewaltgeschichte des
Brechungen und leeren Räume er-                                                 wird weitgehend verzichtet. Gezeigt                                      Konzept und sogar die Gestaltung                                                       NS ins Museum. Dadurch passiert
innern daran, dass es auch in dieser                                            werden zum Beispiel Gegenstände                                          verständigt. Was will man mit der                                                      etwas: Das Erinnern löst sich aus

                                                                                                                                                                                                                n, wie e
Zeit immer wieder Momente gab, in                                               aus der kindlichen Lebenswelt jener                                      Ausstellung? Welche Atmosphäre                                                         der alleinigen „Zuständigkeit“ der
                                                   tatt Ver
denen Menschen hätten Nein sagen                                                Jahre: Da ist eine aus einem zerbomb-                                    soll sie haben? Eher schwarz-weiß                                                      bislang dominanten „ethnisch-na-
oder anders handeln können.“                                                    ten Haus gerettete Puppenstube, da                                       als farbig, trotz des düsteren Themas                                                  tionalen Erinnerungskultur“ – und
     Jede kritische Auseinanderset-                                             sind Granatsplitter, mit denen Jungen                                    auch leicht, einladend, nicht abwei-                                                   damit auch aus deren Begrenzungen
zung mit dem Nationalsozialismus                                                und Mädchen im Zweiten Weltkrieg                                         send soll es wirken, lauteten einige                                                   und Ausschlüssen. Der NS ist eine
                                               tler-Büs

steht vor der Herausforderung, Spra-                                            gespielt und „gehandelt“ haben. An-                                      Festlegungen. In Design-Workshops                                                      deutsche Geschichte. Eine erin-
che, Bild- und Symbolwelten nicht                                               dere Gegenstände und Bilder werden                                       mit den Szenographen von museeon                                                       nernde Auseinandersetzung aber ist
ungebrochen oder unkommentiert                                                  so eingebettet, dass der Zusammen-                                       ist schließlich eine Installation ent-                                                 Angelegenheit aller. Wie die Stadt-

                                                                                                                                                                                                          chaft an
wiedergeben zu wollen. Das ist ein                                              hang und die Bedeutung für junge                                         standen, in der Papierbahnen über                                                      labor-Ausstellung zeigt, ermöglicht
Balanceakt. Die Macher*innen aller                                              Besucher*innen verständlich werden.                                      Stahlgerüsten von der Decke hängen,                                                    das neue Perspektiven. Es ist ein
drei Ausstellungen haben sich zum                                               Schulbücher aus der NS-Zeit etwa                                         hier Räume bilden, dort Wege „spu-                                                     Anfang, der etwas setzt: Er erkennt
                                          t: Ent- s

                                                                                                                                                                                                        Erinner
Beispiel zwar frühzeitig darüber                                                sind kommentiert, auf Infografiken                                       ren“ und die Beiträge miteinander                                                      gesellschaftliche Vielfalt als Realität
verständigt, vom NS geprägte oder                                               sind Ausschnitte aus Fotografien                                         verbinden.                                                                             an. „Plural ist normal“ – das ist die
kontaminierte Begriffe möglichst zu                                             zu Collagen zusammengesetzt. Ein                                              In dieser Szenerie sind 24 Beiträ-                                                größtmögliche Zurückweisung jeder
vermeiden oder als solche kenntlich                                             Beispiel, das zeigt, wie die rassen­                                     ge versammelt, die Nachwirkungen                                                       völkisch-volksgemeinschaftlichen
zu machen, wenn die Benutzung                                                   ideologische Ausgrenzung des NS nah                                      des NS in der Gegenwart nachspüren.                                                    Ideologie, damals wie heute. (cs)
                                       Eine Hi

dem Verständnis der ideologischen                                               am kindlichen Leben erzählt werden                                       Worauf bezieht man sich? Was macht
Zusammenhänge dient. Die gleiche                                                kann, ist die Parkbank. Sie steht im                                     man damit? Woran erinnert das
Problematik gibt es auf der Ebene der                                           Bereich „Draußen spielen“, jeder und                                     Erinnern? Ob es um familiäre Tabus,

                                                                                                                                                                                                   Gesells
NS-Symbolik – hier noch verschärft                                              jede kann sich darauf setzen. Wer                                        kollektives (Ver-)Schweigen oder um
dadurch, dass die Ausstellung nicht                                             dort sitzt, entdeckt einen Hinweis:                                      Recherchen im Stadtviertel geht:
                                    Unrech

als Kulisse für ein „Selfie mit Hitler“                                         „Ab November 1938 stand auf vielen                                       Immer sind es persönliche, von der
missbraucht werden soll. In „Eine                                               Parkbänken ‚Nur für Arier‘. Jüdische                                     jeweils eigenen Geschichte und Ver-
Stadt macht mit“ ist am Ort „Polizei“                                           Familien oder Sinti und Roma durften                                     ortung geprägte Zugänge. Dadurch
tatsächlich eine Hitler-Büste zu sehen,                                         sich dort nicht mehr hinsetzen.“ Nun                                     fallen die Antworten notwendig
die aus einem vor kurzem sicher-                                                sitzt es sich anders.                                                    unterschiedlich aus, meint Angela
                                                                                                                         Figuren: HMF/Horst Ziegenfusz

                                                                                                                                                                                                                               Die Spielfigur zeigt, wie auch
gestellten Nachlass mit NS-Devotio-                                                                                                                      Jannelli, Kuratorin des Stadtlabors:                                  die auf dem Umschlag, einen
nalien stammt. Sie wird allerdings                                                                                                                       „Wenn wir Spuren des NS im Alltag                                     Pimpf des „Deutschen Jung-
nicht auf einem Sockel präsentiert.                                                                                                                      wahrnehmen, treffen verschiedene                                      volks“, eine Jugendorganisation
                                                                                                                                                                                                                               der „Hitlerjugend“ für 10- bis
                                                                                                                                                         Erinnerungen aufeinander und                                          14-Jährige. Mehr zu den Figuren
                                                                                                                                                         setzen etwas Neues frei. Das sollten                                  im Museum auf Seite 5.

                                                         20                                                                                                                                                           21
Auf
                                                                                                                                                                                                                                                              solcher Symbolpolitik wurden auf
                                                                                                                                                                                                                                                              der Straße die Spaltung der Gesell-
                                                                                                                                                                                                                                                              schaft rigoros vorangetrieben.
                                                                                                                                                                                                                                                              Aus der „Volksgemeinschaft“ aus-

offener
                                                                                                                                                                                                                                                              geschlossene Bürger*innen wurden         räder Ufer an. Sie waren Teil einer
                                                                                                                                                                                                                                                              stigmatisiert, drangsaliert und          großangelegten Inszenierung, bei
                                                                                                                                                                                                                                                              in ihren Bewegungsmöglichkeiten          der Adolf Hitler den Bau der Reichs-
                                                                                                                                                                                                                                                              eingeschränkt. Die Ausstellung er-       autobahn mit dem ersten Abschnitt
                                                                                                                                                                                                                                                              zählt zum Beispiel von der sogenann-     Frankfurt – Darmstadt eröffnete.
                                                                                                                                                                                                                                                              te Bettlerrazzia, bei der bereits im     Mythen, die bis heute nachwirken:

Straße
                                                                                                                                                                                                                                                              September 1933 als eine erste polizei-   Der Führer habe die Massenarbeits-
                                                                                                                                                                                                                                                              liche Maßnahme „Asoziale“ verfolgt       losigkeit beseitigt und die Autobahn
                                                                                                                                                                                                                                                              und zum Teil inhaftiert wurden.          erfunden. Tatsächlich nationalisierte

                                         ‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑                                                                                                                                                                                                 Das hatte nicht nur ideologische
                                                                                                                                                                                                                                                              Gründe: Die NS-Volkswohlfahrt sah
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       der NS das bereits in den 1920er-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Jahren in Frankfurt ausgearbeitete
                                         Als 1931 mit der Siedlung West-                                                                                                                                                                                      Wohnungslose und Menschen, die           internationale Infrastrukturprojekt
                                         hausen das letzte große Projekt des
                                         „Neuen Frankfurt“ fertiggestellt
                                                                                                                                                                                                                                                              auf das Betteln angewiesen waren,
                                                                                                                                                                                                                                                              als Konkurrenz beim Sammeln von
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       HaFraBa, das die deutschen Hanse-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       städte mit Basel und Genua verbinden
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Eine Stadt
                                         wird, sind die Erschließungsstraßen
                                         modern-funktionalistisch mit Buch-
                                                                                                                                                                                                                                                              Spenden. Diskriminierung und
                                                                                                                                                                                                                                                              Entrechtung trafen verschiedene
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       sollte.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Zurück nach Westhausen. Schon
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      macht mit —
                                         staben benannt: A-Straße, B-Straße,                                                                                                                                                                                  Gruppen, etwa auch antiziganistisch      bald nach Kriegsende setzen sich               Frankfurt
                                         C-Straße... Doch schon bald stellt sich
                                         die Stadtverwaltung in den Dienst des
                                                                                                                                                                                                                                                              Verfolgte, und verschärften sich
                                                                                                                                                                                                                                                              stetig. 1941 wurde das Tragen eines
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       einige Bewohner*innen dafür ein,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       dass die Straßennamen der NS-Zeit              und der NS
                                         Nationalsozialismus. Im Zuge eines                                                                                                                                                                                   „Judensterns“ im öffentlichen Raum       aus ihrer Siedlung verschwinden                Ausstellung
                                         „kommunalen Kulturkampfs“ werden                                                                                                                                                                                     zur Pflicht. Bald darauf begannen die    sollen. Es gelingt. Schon 1947 sind sie
                                         – unter reger Mithilfe der Bevölke-                                                                                                                                                                                  Deportationen.                           nach Menschen benannt, die Wider-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      9. Dezember 2021
                                         rung – Straßen, Plätze und Brücken                                                                                                                                                                                                                            stand gegen den NS gewagt und dafür            bis 11. September 2022
                                         umbenannt, die republikanische
                                         Persönlichkeiten würdigen, „jüdisch“
                                                                                                                                                                                                                                                              ‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑                     gestorben sind. Albrecht Ege, die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Geschwister-Scholl, Johanna Kirchner
                                         klingen oder aus anderen Gründen                                                                                                                                                                                     Die Ausstellung geht auch auf eine       und – als Namenspatron der einstigen           Die Ausstellung geht der Frage nach,
                                         dem völkischen NS-Weltbild zuwider-                                                                                                                                                                                  ganze andere Form der „NS-Straßen-       A-Straße – der Frankfurter Redakteur           wie sich Frankfurt so schnell und
                                         laufen. So wird aus der Untermain-                                                                                                                                                                                   politik“ ein. Am 23. September 1933      Stephan Heise. Es ist ein Anfang. Bis          radikal dem NS andienen konnte.
                                         brücke die Adolf-Hitler-Brücke. Und                                                                                                                                                                                  traten 700 mit Spaten bewehrte           heute sind rund 100 Straßen, Plätze,           Hierbei führt sie die Besucher*innen
                                         aus der A-Straße in Westhausen wird                                                                                                                                                                                  „Soldaten der Arbeit“ nach einem         Wege und Parkanlagen in Frankfurt              zu 19 typischen urbanen Orten wie
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Rathaus, Straße, Universität, Geschäft

                                                                                                                                      Stern von Edith Erbrich: Fotografie von Horst Ziegenfusz; Eine Stadt macht mit: Fotografie von Leonhard Kleemann 1933
                                         die Lettow-Vorbeck-Straße, benannt                                                                                                                                                                                   Marsch durch die Stadt am Nieder-        nach Personen des Widerstands
                                         nach jenem Militär, der als Kompa-                                                                                                                                                                                                                            sowie nach Opfern und Verfolgten des           oder Gericht. Die dort präsentierten
                                         niechef in der Kolonie „Deutsch-                                                                                                                                                                                                                              NS benannt worden. (cs)                        Schlaglichter machen deutlich,
                                         Südwestafrika“ am Völkermord an                                                                                                                                                                                                                                                                              wie der Nationalsozialismus die

                                                                                                                                                                                                                                                                                                           ‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑‑
                                         den Herero und Nama beteiligt war.                                                                                                                                                                                                                                                                           Stadt Frankfurt und den Alltag ihrer
                                             Wie der NS in Frankfurt schnell                                                                                                                                                                                                                                                                          Bewohner*innen prägte und zeigt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      die Spannweite, von den Täter*innen
                                         und umfassend alle Lebensbereiche
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           In einem Tondokument in der Ausstel-       bis zu den Opfern staatlicher wie
                                         erfasste, zeichnet die Ausstellung „Eine                                                                                                                                                                                                                          lung erzählt die Frankfurterin Edith       kommunaler Gewalt. Eine mediale
                                         Stadt macht mit“ entlang verschiede-                                                                                                                                                                                                                              Erbrich, wie sie als Kind mit dem gelben
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Stern auf der Brust auf der Straße         Topografie Frankfurts ermöglicht die
                                         ner städtischer Orte nach, darunter der
Die Ausstellung „Eine Stadt macht mit“   öffentliche Raum „Straße“. War diese
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           beschimpft worden ist. Im Februar
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           1945 wurde sie mit einem der letzten
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      selbständige Recherche in über 2.500
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      konkreten Frankfurter Adressen und
                                         noch zu Beginn der 1930er-Jahre von
beleuchtet die Durchsetzung der          Demonstrationen und Auseinander-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Transporte von der Großmarkthalle
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           ins KZ Theresienstadt deportiert.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      deren Bedeutung in der NS-Zeit.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Die Entstehung der Ausstellung
NS-Herrschaft in Frankfurt. Auch der     setzungen zwischen links und rechts
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Nach Jahrzehnten des Schweigens
                                                                                    Auf offener Starße: Friedrich Robert Otto Emmel

                                                                                                                                                                                                                                                                                                           hat sie in den vergangenen 20 Jahren       begleiteten bürgerschaftliche Initi-
                                         geprägt, kippten die Verhältnisse 1933                                                                                                                                                                                                                            an zahlreichen Schulen von ihrem
öffentliche Raum wurde zum Feld von      endgültig: Die Nazis hatten nicht nur                                                                                                                                                                                                                             Leben und Überleben berichtet.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Und sie hat lange für das heutige
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      ativen kritisch-konstruktiv. Zur
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      ­Ausstellung erscheint im Michael
Verfolgung und Propaganda.               das Rathaus erobert, sondern auch
                                         die „Macht der Straße“ errungen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Mahnmal an der Großmarkthalle
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           gekämpft. Das sechseckige Stück Stoff,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       ­Imhof Verlag ein reich illustriertes
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Begleitbuch (336 Seiten, 30€).
                                         Immer mehr Flaggen, Banner und                                                                                                                                                                                                                                    das sie als Kind tragen musste, hat          Ein umfangreiches Begleitprogramm
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           sie bis heute aufbewahrt und für die
                                         Uniformen prägten die Öffentlichkeit,                                                                                                                                                                                                                             Ausstellung zur Verfügung gestellt.          (siehe Seite 40), pädagogisches
                                         Ermunterung für die einen, Ein-                                                                                                                                                                                                                                                                                Material und ein Multimedia-Guide
                                         schüchterung für die anderen. Neben                                                                                                                                                                                                                                                                            ergänzen die Ausstellung.

                                22                                                                                                                                                                                                                                                                                         23
Sie können auch lesen