MITTELMACHT MIT MAGHREB-FOKUS - Eine spanische Sicht auf die Sicherheitspolitik in der Südlichen Nachbarschaft - Bibliothek der Friedrich ...
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A N A LYSE • Spanien ist ein engagierter multilateraler Akteur, der die europäische Karte spielt, um FR I EDEN U N D SI CH ERH EI T finanzielle und diplomatische Ressourcen zu mobilisieren, die das Land allein nicht aufbringen MITTELMACHT kann. MIT MAGHREB- • Während für die meisten FOKUS EU-Länder und auch die Groß- mächte der Nahe Osten im Mittelmeerraum die höchste Priorität hat, war und ist für Spanien der Maghreb am wich- tigsten, und dort vor allem Eine spanische Sicht auf die Sicherheitspolitik Marokko. in der Südlichen Nachbarschaft • Spaniens Position bezüglich der Von Eduard Soler i Lecha und Pol Morillas Mittelmeerthemen wird durch Dezember 2020 seine innenpolitische Dynamik; die Entwicklung der Konflikt- und Kooperationsdynamiken in der Region und die Fähigkeit der EU zur Artikulierung einer robusteren und ehrgeizigeren Politik beeinflusst.
FR I EDEN U N D SI CH ERH EI T MITTELMACHT MIT MAGHREB-FOKUS Eine spanische Sicht auf die Sicherheitspolitik in der Südlichen Nachbarschaft
Inhalt Zusammenfassung 2 1 EIN NEUER MITTELMEERRAUM, EIN NEUES SPANIEN 3 2 DIE LAST DER GESCHICHTE 4 2.1 Bilaterale Beziehungen mit Israel............................................................ 4 2.2 Bilaterale Beziehungen mit Marokko. . ..................................................... 5 3 EINE DEM MULTILATERALISMUS VERPFLICHTETE MITTELMACHT 6 3.1 Der Barcelona-Prozess.......................................................................... 6 3.2 Union für das Mittelmeer...................................................................... 7 3.3 NATO-Mittelmeerdialog und Beiträge zu Friedenseinsätzen........................ 8 4 DER MAGHREB: NACHBARSCHAFT UND GRUND- LEGENDE INTERESSEN 8 4.1 Marokko............................................................................................ 8 4.2 Algerien............................................................................................. 10 4.3 Libyen. . .............................................................................................. 10 4.4 Tunesien. . ........................................................................................... 11 4.5 Mauretanien....................................................................................... 11 5 DIE VERÄNDERUNG DER GEOPOLITIK DES NAHEN OSTENS 11 5.1 Irak und der Krieg 2003. . ...................................................................... 11 5.2 Syrien................................................................................................ 11 5.3 Humanitäre Herausforderungen für Jordanien und den Libanon. . ................ 12 5.4 Israelisch-Palästinensischer Konflikt......................................................... 12 5.5 Türkei................................................................................................ 12 5.6 Ägypten............................................................................................. 12 5.7 Die Golfstaaten................................................................................... 13 6 PROBLEME, POTENTIALE UND BOTSCHAFTEN FÜR BRÜSSEL UND BERLIN 13 6.1 Triebkräfte der Veränderung gegenüber der südlichen Nachbarschaft.......... 13 6.2 Veränderungen auf der EU-Ebene für Spanien wichtig............................... 14 6.3 Kooperation zu Mittelmeerangelegenheiten mit anderen EU-Mitgliedern..... 14 Literatur............................................................................................. 16 1
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Mittelmacht mit Maghreb-Fokus Zusammenfassung Spaniens geographisch-strategische Lage zwischen dem af- –– jegliche Versuche zur Deeskalierung der Spannun- rikanischen Kontinent und dem Rest Europas, seine histori- gen im Nahen Osten zu unterstützen – mit besonderer schen und kulturellen Verbindungen zum Maghreb, die neue Aufmerksamkeit auf die Länder, zu denen Spanien stär- Priorität der Sahelzone, seine privilegierten Beziehungen kere wirtschaftliche Verbindungen hat (Türkei), aber zur Türkei und seine Vergangenheit als konstruktiver Part- auch auf jene, in denen sich momentan spanische Trup- ner im Nahost-Friedensprozess machen das Land zu einem pen befinden (Libanon, Irak und wiederum die Türkei); höchst nützlichen Partner für die EU-Institutionen und gleich- gesinnten Mitgliedstaaten, die bereit sind, die EU-Strategie –– eine langfristige Strategie für Migration und Entwicklung auf ihre südliche Nachbarschaft auszuweiten. Spanien wird mit einem besonderen Schwerpunkt auf die Sahelzone zu jenen gehören, die sich für einen umfassenden und inte- zu formulieren; grierten Ansatz bezüglich Sicherheit und Entwicklung ein- setzen, der dem Schutz der Menschen einen angemessenen –– und sich für eine ambitioniertere Reaktion der EU auf Stellenwert einräumt und von einer langfristigen Vision ge- die sozialen und wirtschaftlichen Effekte der COVID-19- leitet wird. Pandemie einzusetzen, die sich auch auf ihre Nachbarn erstreckt. Spaniens nationale Prioritäten in seiner südlichen Nachbar- schaft bleiben wahrscheinlich folgende: Spanien ist sich deutlich bewusst, dass es nicht die nöti- –– die Zusammenarbeit und der Dialog mit und zwischen gen Mittel hat um diese Interessen alleine zu verfolgen. Der seinen Nachbarn im Maghreb (in erster Linie Marokko optimale Weg für Madrid ist die Arbeit auf EU-Ebene, und und Algerien) zu fördern; dazu strebt es Bündnisse an – nicht nur mit anderen süd- europäischen Staaten, sondern auch mit Deutschland. Die –– den euro-mediterranen Rahmen der regionalen Zu- bisherige Zusammenarbeit zwischen Madrid und Berlin zu sammenarbeit am Leben zu erhalten, der ergänzend zu diesem Thema, wie beim Barcelona-Prozess von 1995, deu- den größeren bi-regionalen Dialogen (zwischen der EU tet darauf hin, dass dieser Weg realistisch ist. und der Afrikanischen Union) und mit privilegierten bi- lateralen Beziehungen stattfinden soll; Die vorliegende Publikation ist eine Übersetzung des engli- schen Originals, das bereits im Juni erschien. 2
Ein neuer Mittelmeerraum, ein neues Spanien 1 EIN NEUER MITTELMEERRAUM, wiederzubeleben, die Erwartungen nicht erfüllt und ein all- EIN NEUES SPANIEN gemeines Gefühl der Erschöpfung hinterlassen. Tatsächlich scheint die neue EU-Führung weniger geneigt, die Idee der Der Mittelmeerraum wird oft als ein Ring aus Feuer be- euro-mediterranen Partnerschaft wiederzubeleben, und hat schrieben, der die Südgrenze Europas flankiert. Dahinter stattdessen ganz Afrika zu ihrer größten außenpolitischen steckt die Idee einer volatilen Nachbarschaft, in der alte Kon- Priorität erklärt. Andererseits haben auch die arabischen, tür- flikte lodern und neue ausbrechen, deren Folgen sich leicht kischen und israelischen Politiker in Hinsicht auf die euro-me- über Staatsgrenzen hinweg verbreiten und auch die politi- diterranen Beziehungen völlig unterschiedliche Prioritäten. schen, wirtschaftlichen und sozialen Dynamiken in Europa Sie sind mit innenpolitischen Konflikten oder neuen geo- erschüttern können. Wie auch andere südeuropäische Län- politischen Dynamiken beschäftigt, die weit über diesen geo- der schätzt sich Spanien selbst als besonders verletzlich graphischen Bereich hinaus reichen. gegenüber diesen regionalen Krisen ein. Es betont aber auch immer wieder die Ansicht, dass der einzige Weg, sie Nicht nur der Mittelmeerraum hat sich in den vergangenen zu verhindern oder zu bewältigen, im Aufbau einer robuste- 25 Jahren verändert, sondern auch Spanien. Das Land ist ren und engagierteren europäischen Strategie besteht. In der durch eine vielfältige Krise gegangen: wirtschaftlich Nationalen Sicherheitsstrategie von 2017 heißt es, dass »die (mit hoher Arbeitslosigkeit, wachsenden Ungleichheiten Fragmentierung des Mittelmeerraums es für Spanien kom- und dauerhaften öffentlichen Defiziten), politisch (mit plizierter macht, diese strategische Priorität, die mit so vielen Korruptionsskandalen, dem Entstehen der Indignados-Be- potenziellen Sicherheitsproblemen verbunden ist, in Angriff wegung im Jahr 2011, der Fragmentierung des politischen zu nehmen. Darüber hinaus hat Spanien an seiner Südgrenze Systems im Land und fünf Parlamentswahlen in weniger ein besonderes Merkmal: seine Landesgrenzen auf dem afri- als zehn Jahren), und territorial (angesichts der Heraus- kanischen Kontinent.« Außerdem bezieht sich die Strategie forderungen durch die Unabhängigkeitsbewegung in Kata- auf die Notwendigkeit, mit direkten Nachbarn wie Marokko lonien seit 2012). Diese Probleme haben Spaniens Fähigkeit zusammenzuarbeiten (Presidencia del Gobierno, 2017: 38– untergraben, sich als Antriebskraft für die Entwicklung der 39). Obwohl Spanien weiterhin strategische bilaterale Be- EU-Außenpolitik zu positionieren. Viele Analysten spanischer ziehungen zu wichtigen Ländern pflegt, wird das Projekt Thinktanks und internationale Beobachter sehen diese Fak- einer einheitlichen und übergeordneten europäischen Politik toren als Grund dafür, dass Spanien unterhalb seiner Ge- gegenüber Nordafrika und dem Nahen Osten so betrachtet, wichtsklasse kämpft (Powell, 2012; Molina, 2013), und ei- dass es den nationalen Interessen des Landes auf natürliche nige waren der Ansicht, das geschwächte Profil des Landes Weise entgegen kommt. Aus diesem Grund hat Spanien alle bezüglich der Mittelmeerangelegenheiten sei diesen Kri- Arten multilateraler Initiativen in seiner südlichen Nachbar- sen vorangegangen (Kausch, 2010). Aus demselben Grund schaft befürwortet und in einigen Fällen auch unterstützt. mahnten damals viele, Spanien brauche eine nachdrück- lichere und engagiertere Politik (Ortega Carcelén, 2013; 2020 ist das Jahr des 25sten Jubiläums der Gründung Torreblanca, 2015). der euro-mediterranen Partnerschaft (EMP). 1995 tra- fen sich, immer noch unter dem Einfluss des Abkommens Dass – nach einem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen von Oslo, Minister aus Europa und dem südlichen Mittel- den konservativen Politiker Mariano Rajoy – Pedro Sánchez meerraum in Barcelona, wo sie den Grundstein eines im Jahr 2018 zum Regierungspräsidenten gewählt wurde, neuen und ambitionierten Rahmens der Zusammenarbeit schürte viele Erwartungen über die Rolle, die das »neue legten. 25 Jahre später hat sich die regionale Lage ver- Spanien« bei den europäischen und internationalen An- schlechtert, und die Atmosphäre zwischen den politischen gelegenheiten spielen könnte. Im Gegensatz zu den meisten Entscheidungsträgern aus Europa und seinen Partnerländern seiner Vorgänger spricht Sánchez Fremdsprachen und kann hat sich erheblich abgekühlt. Anstatt Fortschritte bei der Lö- auf eine professionelle Karriere im Ausland zurückblicken. sung des arabisch-israelischen Konflikts zu machen, sind die (Er arbeitete als Assistent im Europäischen Parlament und im Aussichten auf eine Zweistaatenlösung immer schlechter ge- Büro für den Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herze- worden, und in der Umgebung der EU (Libyen und Syrien) gowina). Darüber hinaus hieß es, Spanien könne vom Brexit haben sich neue Konflikte ausgebreitet. Die Migration ist profitieren, um seinen Status zu verbessern – hauptsächlich zu einem umstrittenen Thema geworden, das die innen- innerhalb der EU, aber auch auf globaler Ebene. Dies war politischen Entwicklungen beeinflusst; neue Bedrohungen die Hauptidee hinter einem hoch gelobten Artikel namens wie der transnationale Terrorismus haben zu einem über- »Madrid’s Moment«, der in Politico veröffentlicht wurde. mäßig sicherheitsbetonten Ansatz gegenüber dem Mittel- Aber dass der Haushalt nicht genehmigt und die Wahl von meerraum geführt; und bei vielen Entscheidern wurden die 2019 wiederholt wurde, hat Spanien und Sánchez daran ge- Hoffnungen nach den Aufständen von 2011 durch die prag- hindert, eine solche Rolle zu spielen. matische Überzeugung ersetzt, dass die erste oder gar die einzige Priorität darin besteht, die Lage zu stabilisieren. Seit Januar 2020 hat Spanien eine neue, stabilere Re- gierung. Die Sozialistische Partei und Unidas Podemos – Darüber hinaus haben diese Initiativen trotz aller Ver- eine Wahlgemeinschaft aus Podemos und anderen links- suche (wie zuletzt der »Sommet des deux Rives de la Mé- gerichteten Bewegungen – haben eine gemeinsame diterranée« (Gipfel der zwei Mittelmeerküsten) von Präsi- Koalitionsvereinbarung unterschrieben. In diesem Doku- dent Macron), die europäisch-mediterranen Beziehungen ment wird der Mittelmeerraum nicht als eine der höchs- 3
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Mittelmacht mit Maghreb-Fokus ten spanischen Prioritäten erwähnt. Stattdessen betont der 2 DIE LAST DER GESCHICHTE Text Spaniens Engagement für den Multilateralismus und die europäische Integration, aber auch die Notwendigkeit, Die Literatur über das gegenwärtige Spanien stimmt weit- die Beziehungen zu Lateinamerika (Iberoamérica im spani- gehend überein, dass die Demokratisierung, die Mit- schen Originaltext) und Afrika zu vertiefen. Darüber hinaus gliedschaft in der Europäischen Union und die Moder- besteht eine der sehr wenigen spezifischen außenpolitischen nisierung der spanischen Gesellschaft die drei Prozesse Verpflichtungen in der »Arbeit daran, Afrika zu einer Priori- sind, die nicht nur die Veränderungen im Land angetrieben tät der europäischen Außenpolitik zu machen und in der EU haben, sondern auch die Außenpolitik (Mesa, 1988; Barbé, Initiativen vorzuschlagen, um zur nachhaltigen Entwicklung 1999; Powell, 2000: Torreblanca, 2001; Pereira, 2010; Barbé, des Kontinents beizutragen.« Diese Hinwendung zu Af- 2011; Pacheco Pardo und García Cantalapiedra, 2014). In rika könnte auch durch den professionellen Hintergrund dieser Hinsicht zielten die Formulierung der spanischen Poli- der neuen Außenministerin Arancha González Laya ver- tik gegenüber den südlichen Nachbarn als »Mittelmeer- stärkt werden. Mit afrikanischen Angelegenheiten – haupt- politik« und Spaniens stetige Versuche, für diese Region eine sächlich zu Handelsthemen – ist González vertrauter als mit ehrgeizigere europäische Politik durchzusetzen, darauf ab, der mediterranen Agenda. Sie ist Mitglied der Mo-Ibrahim- einen massiven Bruch mit der entsprechenden Politik aus der Stiftung und das einzige spanische Mitglied der Hoch- Franco-Zeit zu verdeutlichen. Damals wurde Spaniens Poli- rangigen Gruppe für die EU und Afrika. Bei ihrem ersten tik gegenüber seinen südlichen Nachbarn als »traditionelle Auftritt vor der parlamentarischen Kommission für Außen- Freundschaft mit der arabischen Welt« bezeichnet. Die Be- politik bestätigte sie indes die traditionelle außenpolitische ziehungen zu unterschiedlichen arabischen Regimes trugen Linie Spaniens: Sie erwähnte den Mittelmeerraum als Priori- entscheidend dazu bei, Spaniens diplomatische Isolation – tät, betonte Marokko und Algerien als wichtige Nachbarn insbesondere in den 1950ern – auszugleichen (Algora und bezeichnete das 25-jährige Gründungsjubiläum des Bar- Weber, 2007). Indem Spanien zu fast allen arabischen Staats- celona-Prozesses als Gelegenheit, die Politik gegenüber die- führern, unabhängig von ihrer Ideologie, freundschaftliche ser Region zu revitalisieren. Beziehungen aufbaute, versuchte es auch, seine Ölver- sorgung zu sichern und innerhalb der UN die Unterstützung Was die neue Regierung aber nicht voraussehen konnte, ist, der arabischen Länder bezüglich der Gibraltarfrage zu be- dass all ihre Prioritäten durch die Ausbreitung von COVID-19 kommen. auf den Kopf gestellt wurden. Die Folgen der Pandemie waren in Spanien besonders verheerend – nicht nur, was Seit dem Übergang zur Demokratie in den späten 1970ern die Opferzahlen betrifft, sondern auch in Hinblick auf die und dem EWG -Beitritt 1986 haben alle spanischen Regierun- wirtschaftlichen Kosten. Der Umgang mit diesem beispiel- gen dem Mittelmeerraum höchste Priorität gegeben. Diese losen Notfall hat die spanische Führung all ihre Energie ge- Region wurde, gemeinsam mit Lateinamerika und Europa, kostet, und trotzdem bekräftigen der spanische Minister- traditionell als einer der drei Eckpunkte des spanischen präsident und die Außenministerin bei öffentlichen Auftritten Prioritätendreiecks beschrieben (Barbé, 1998). Das Verhält- die Notwendigkeit, den Ländern Afrikas und Lateinamerikas nis zu Europa ist der Scheitelpunkt dieses Dreiecks, durch den beim Umgang mit den Folgen der Pandemie zu helfen. In die Beziehungen zu den anderen beiden regionalen Priori- dieser neuen Lage ist der Mittelmeerraum besonders verletz- täten dominiert und bestimmt werden. Der damalige Prä- lich: Erstens sind die südeuropäischen Staaten – als traditio- sident der spanischen Regierung, Mariano Rajoy, argumen- nelle Fürsprecher einer engeren mediterranen Zusammen- tierte in der Einleitung der Nationalen Sicherheitsstrategie arbeit – politisch und wirtschaftlich geschwächt. Zweitens von 2017: »Das europäische, mediterrane und atlantische leiden diese Volkswirtschaften, die stark vom Tourismus ab- Profil des Landes bestimmt die Bedeutung dieser Regionen hängig sind – und dies ist mit wenigen Ausnahmen sowohl für Sicherheit, Stabilität und Wohlstand« (Presidencia del bei den nördlichen als auch bei den südlichen Mittelmeer- Gobierno, 2017). González Laya, die neue Außenministerin, ländern der Fall – stärker unter den wirtschaftlichen Kos- hat sich eine ähnliche Konzeptualisierung angeeignet – mit ten der Einschränkungen des internationalen Reiseverkehrs. einigen kleinen Nuancen, als sie sich in ihrer ersten politi- Und drittens müssen auch die energieproduzierenden Länder schen Rede auf »Spaniens Einfluss im sowohl nördlichen als Haushaltskürzungen vornehmen, weil weltweit Nachfrage auch südlichen Mittelmeerraum« bezog und Spanien als ein und Preise sinken. Dies betrifft einige Länder wie Algerien »nodales Land« bezeichnete (González Laya, 2020). direkt, aber indirekt auch andere wie Ägypten, die stark von den Überweisungen ägyptischer Fremdarbeiter aus den Golf- 2.1 BILATERALE BEZIEHUNGEN staaten und der direkten Finanzierung durch diese Länder MIT ISRAEL abhängig sind. Unter solchen Umständen ist die europä- Ein gutes Beispiel für historisch vorbelastete Beziehungen isch-mediterrane Kooperation wichtiger als zuvor, aber es ist Israel. Spanien hat erst 1986 diplomatische Beziehungen könnte schwieriger sein, politische Energie und finanzielle zu Israel aufgenommen. Diese ungewöhnlich späte An- Ressourcen dafür zu mobilisieren. erkennung durch Madrid kann durch die Feindschaft zwi- schen den Hardlinern im Franco-Regime und Israel erklärt werden. Auch hat Israel eine große Rolle bei der Kampa- gne gespielt, durch die Spanien wegen der Verbindungen seines ehemaligen Regimes zu den Achsenmächten wäh- rend des Zweiten Weltkriegs isoliert wurde (Algora Weber, 4
Die Last der Geschichte 2007). Dies erklärt teilweise, warum Spanien erst 1955, als rück. Diese waren ein Anlass für die Konsolidierung der die Dynamik des Kalten Krieges zur dominanten Kraft wurde, sozialistischen und anarchistischen Bewegungen der spani- den Vereinten Nationen beigetreten ist. Indirekt konnte das schen Arbeiterklasse. Die Kampfeinsätze in Marokko spielten Land diese Spannungen gegenüber Israel dazu nutzen, seine auch für den politischen Aufstieg zweier Militärangehöriger Arabienpolitik zu verbessern. Der erste internationale Staats- eine große Rolle, die Spanien jeweils als Anführer diktato- chef, der Spanien nach den Zweiten Weltkrieg besuchte, war rischer Regimes regierten: Miguel Primo de Rivera in den der jordanische König Abdullah im Jahr 1949. 1920ern und Francisco Franco von den späten 1930ern bis 1975. Obwohl die Kontakte zwischen Spanien und Israel in den späteren Jahren des Franco-Regimes besser wurden, ins- Obwohl die Rückübertragung des spanischen Protektorats besondere als Ministerien erstmals von Technokraten besetzt an Marokko 1956 relativ friedlich verlief, hörten die Span- wurden, normalisierte Spanien erst nach seiner Integration nungen nicht auf, und marokkanische Nationalisten for- in die NATO (1982) und die EWG (1986) seine Beziehungen derten immer wieder, Spanien solle sich auch aus Ceuta zu Israel vollständig. Rückblickend analysiert könnten diese und Melilla und anderen Inseln und Enklaven an der nord- Umstände Spanien dabei geholfen haben, sowohl von Is- afrikanischen Küste zurückziehen. Wie weiter unten erklärt, rael als auch von den arabischen Staaten als neutraler Ak- bleibt dieses Thema für die spanische Außen- und Sicher- teur betrachtet zu werden, und dies ist einer der Gründe, heitspolitik von zentraler Bedeutung. Marokkos Irredentis- warum Madrid zum allgemein anerkannten Austragungs- mus zielte auch darauf ab, die Kontrolle über die von Spanien ort der Nahost-Friedenskonferenz von 1991 werden konnte verwaltete Westsahara zu erlangen. Mitte der 1970er Jahre (Moratinos und León, 2003; Cassinello, Reyes und Khoury, plante Spanien für diese Provinz ein Referendum zur Selbst- 2011). bestimmung, und versuchte damit, dem Beispiel der schnel- len Dekolonialisierung von Äquatorialguinea zu folgen. Da- Auch 1992 war ein symbolisches Jahr, da es den 500sten hinter steckte die offensichtliche Hoffnung, dieses Gebiet Jahrestag der Vertreibung der Juden aus Spanien darstellte. könne zu einem freundlichen, unabhängigen Staat unter In diesem Jahr gab es viele kulturelle und politische Initia- spanischem Einfluss werden. Doch diese Hoffnung wurde tiven, darunter eine hochrangige Zeremonie unter der Lei- enttäuscht. Als Franco 1975 auf dem Sterbebett lag, star- tung von König Juan Carlos und dem israelischen Präsiden- tete Hassan II eine bis dahin beispiellose Operation namens ten Chaim Herzog, sowie die Verabschiedung des Gesetzes »Grüner Marsch«, die darin bestand, Tausende von Zivilis- 25/1992, mit dem die Beziehungen zwischen Spanien und ten dazu aufzurufen, in das von Spanien kontrollierte Gebiet der Föderation der Israelischen Gemeinschaften Spaniens re- einzumarschieren. Gerade als Spanien selbst vor sensiblen guliert wurden. Aber die symbolischste und praktischste Ent- politischen Veränderungen stand, hätte dies einen Kolonial- scheidung kam 2015 mit dem Gesetz 12/2015, das sephar- krieg gegen Marokko auslösen können. Um diese Gefahr zu dischen Juden die spanische Staatsbürgerschaft gewährte. vermeiden, gab die spanische Führung das Gebiet auf und unterzeichnete das dreifache Abkommen zwischen Madrid, Obwohl Israel und Palästina in den letzten Jahren auf der Marokko und Mauretanien, mit dem sie die Verwaltung der spanischen Tagesordnung weniger zentral waren, bleibt die- Westsahara auf diese beiden Länder übertrug. ses Thema politisch heikel. Akteure des rechten und rechts- extremen politischen Spektrums wie Jose María Aznar oder Dieses Thema, das von den Vereinten Nationen immer noch Rafael Bardají, der außenpolitische Kopf der kürzlich ge- als ungelöstes Dekolonialisierungsproblem betrachtet wird, gründeten Rechtsaußen-Partei VOX, sind aktiv an Initiativen ist ein großes Hindernis für die regionale Integration im zur Unterstützung der israelischen Politik beteiligt. Links- Maghreb und führte zur Mobilisierung großer Teile der spa- gerichtete Gruppen wie Podemos und Teile der Sozialistischen nischen Zivilgesellschaft (Ojeda-Garcia; Fernández- Molina Partei hingegen setzen sich traditionell intensiv für die Forde- & Veguilla, 2011; Barreñada & Ojeda, 2016). Es gibt eine rungen der Palästinenser ein. Im Jahr 2015 bestätigte die So- Vielzahl von Graswurzelinitiativen zur Unterstützung der zialistische Partei das sie bereit sei, dem Beispiel Schwedens Sahrawi-Bevölkerung, darunter solche, die spanische Fami- vom Vorjahr zu folgen. Dies bedeutet, dass sie, wenn sie lien bei der Aufnahme von Kindern aus den Tindouf-Flücht- die Wahlen gewinnen würden, Palästina anerkennen woll- lingslagern in den Sommerferien unterstützen (über 4.000 ten – und dies unabhängig von der Entwicklung des Nah- in 2019). Der Druck dieser sozialen Bewegungen war ge- ost-Friedensprozesses. Und die Parteiführung von Podemos meinsam mit der politischen Unterstützung der linken, kata- bekräftigte mehrmals, sie werde die sozialistische Regierung lanischen und baskischen nationalistischen Parteien ein ermutigen, dieser Verpflichtung nachzukommen. ständiger Einflussfaktor auf die spanische Politik. Dies ging so weit, dass es zwischen den beiden Ländern immer wie- 2.2 BILATERALE BEZIEHUNGEN der zu Spannungen kam (Vaquer i Fanés, 2007). So protes- MIT MAROKKO tierte Marokko Anfang 2020 gegen die Tatsache, dass sich Der zweite Fall eines großen historischen Erbes ist Marokko. ein Podemos-Staatssekretär mit einem Minister der Demo- So wurde Marokko im Jahr 1912 zum spanischen und franzö- kratischen Arabischen Republik Sahara getroffen und die sischen Protektorat, das bis 1956 andauerte. Die Bedeutung Begegnung in den sozialen Medien veröffentlicht hatte. Marokkos für die spanische Innenpolitik reicht bis zu den un- Die spanische Außenministerin erklärte daraufhin ebenfalls populären kolonialen Kriegen im Norden des Landes wäh- in den sozialen Medien, sie habe den marokkanischen Be- rend des ersten Viertels des zwanzigsten Jahrhunderts zu- hörden versichert, Spanien erkenne diese Bewegung nicht 5
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Mittelmacht mit Maghreb-Fokus an. Dies wiederum erzürnte die algerischen Behörden, die hohen Entscheidungspositionen der EU und der NATO prä- diese Aussage als zu marokkofreundlich betrachteten und sent waren, die direkt mit mittelmeerbezogenen Portfolios den Besuch der spanischen Außenministerin in Algier ein- befasst waren, half dabei, Spaniens Bedeutung in diesem seitig absagten. Dieser Vorfall illustriert nicht nur, wie hei- Bereich zu erhöhen. Zu diesen Repräsentanten gehörten kel dieses Thema ist, sondern auch die Schwierigkeit, inner- Abel Matutes und Manuel Marín als EU-Kommissare, Miguel halb einer Koalitionsregierung, in der mehrere ideologische Ángel Moratinos als erster EU-Sonderbeauftragter für den Empfindlichkeiten nebeneinander existieren, eine einheit- Nahost-Friedensprozess, Javier Solana als NATO-General- liche außenpolitische Linie aufrecht zu erhalten – und in sekretär und später Hoher Vertreter für die Gemeinsame dem internationale Angelegenheiten nicht mehr ausschließ- Außen- und Sicherheitspolitik, und danach Josep Borrell als lich Sache der Außenminister sind. Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sowie Vizepräsident der Europäischen Kommission. Ebenso zeigt der Konflikt um die Westsahara, dass die- ses Problem nicht nur Spanien betrifft, sondern auch die Durch die spanischen Aktivitäten in Bezug auf Angelegen- EU insgesamt (Fernández Molina, 2016). Zu den jüngsten heiten des Mittelmeerraums gelangten mehrere Initiativen Entwicklungen gehören die Entscheidungen des Europäi- in den Vordergrund oder wurden zumindest auf die Tages- schen Gerichtshofs aus den Jahren 2016 und 2018, die be- ordnung gebracht. Dazu gehören die überarbeitete Mittel- stätigen, dass die Fischerei- und Landwirtschaftsabkommen meerpolitik der EWG im Jahr 1989; der spanisch-italienische zwischen der EU und Marokko nicht auf die Gebiete und Fehlstart einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit Produkte der Westsahara anwendbar sind. Dass das marok- im Mittelmeerraum 1990, die das Paradigma des Helsinki- kanische Parlament im Januar 2020 neue Gesetze zur Er- Prozesses in diesem Bereich aufgreifen sollte; die Aus- weiterung der territorialen Gewässer und der Ausschließ- richtung der Madrid-Konferenz für den Nahen Osten im Jahr lichen Wirtschaftszone verabschiedete, kollidierte nicht nur 1991; der Beginn des NATO-Mittelmeerdialogs 1994; der Be- mit den spanischen Interessen auf den Kanarischen Inseln, ginn des Barcelona-Prozesses 1995; das Abkommen der sondern schuf auch eine neue Ebene von Komplexität, da euro-mediterranen Konferenz in Valencia von 2002 zur Grün- Teile dieser Gewässer an die Westsahara angrenzen – und dung einer europäisch-mediterranen Stiftung für die Förde- Spanien gezwungen ist, mit den marokkanischen Behörden rung des weiteren Dialogs zwischen Kulturen und Zivilisatio- darüber zu verhandeln, was für die EU zum Präzedenzfall nen, die schließlich in die Gründung der Anna-Lindh-Stiftung werden könnte. Diese ungelösten bilateralen Spannungen mündete; der Einbezug der EU in das Nahost-Quartett, das bedrohen die marokkanischen Beziehungen zur EU und zu sich erstmals 2002 in Madrid traf; der gemeinsame Vorschlag Spanien in einer Zeit, in der Rabats Mitarbeit bei Migrations- mit der Türkei, innerhalb des UN-Rahmens die Allianz der Zi- themen für Brüssel und Madrid immer wichtiger wird. Diese vilisationen zu gründen; und die erfolgreichen Versuche, Prä- Spannungen zu neutralisieren wird für die neue Führung der sident Sarkozys ursprüngliche Idee einer Mittelmeerunion zu EU und für Spaniens Diplomatie eine große Herausforderung europäisieren, die schließlich in die Union für den Mittel- sein. meerraum (UfM) mündeten. Spanien hat verstanden, dass seine Möglichkeiten, als Einzel- 3 EINE DEM MULTILATERALISMUS staat in dieser Region eine Rolle zu spielen, begrenzt sind, und VERPFLICHTETE MITTELMACHT daraus geschlossen, dass der beste Weg zur Verteidigung der eigenen Interessen über eine robustere europäische Politik Eine Sache über die sich alle politischen Parteien Spaniens führt. Indem es auf Europa setzt, kann sich Spanien die fi- einig wären, ist, das das Land als Mittelmacht angesehen nanziellen und diplomatischen Ressourcen sichern, die es al- werden kann. Diesen Begriff haben Politiker und Akade- lein nicht aufbringen kann. Außerdem ist das Land davon miker in den letzten vier Jahrzehnten wiederholt verwendet, überzeugt, dass Multilateralismus, politischer Dialog und um Spaniens aktuelle oder potenzielle Stellung im inter- regionale Zusammenarbeit wichtig sind, um eine Wieder- nationalen System zu charakterisieren. Die Literatur über holung der Dynamik des Kalten Krieges im Mittelmeerraum Mittelmächte scheint sich einig zu sein, dass Länder, die zu verhindern – und dass dies wiederum zur Steigerung sei- sich so definieren, besonders offen für die Unterstützung ner internationalen und europäischen Bedeutung beiträgt. multilateraler Bemühungen sind und sich mit höherer Wahr- scheinlichkeit aktiv an der Gründung oder Entwicklung 3.1 DER BARCELONA-PROZESS multilateraler Organisationen beteiligen (Nolte, 2010; Der sichtbarste Erfolg war die Eröffnung des Barcelona-Pro- Jordaan, 2010). Spaniens Politik gegenüber seinen südlichen zesses im Jahr 1995. Er wurde als »ein wichtiger diplomati- Nachbarn passt perfekt in dieses Muster. scher Triumph für Spanien, der dazu beitrug, als mit Italien vergleichbare südliche Macht innerhalb der EU aufzutreten« Bereits vor seinem Beitritt zur EWG war Spanien eine der trei- beschrieben (Gillespie, 2000: 156). Dieser Rahmen, der darauf benden Kräfte der ersten multilateralen Initiative im Mittel- abzielt, einen Raum von Frieden und Stabilität, gemeinsamem meerraum: der UN-Konvention zum Schutz der Meeres- Wohlstand und des (Kontakt)es zwischen den Bürgern der umwelt und der Küstenregion des Mittelmeers von 1976. verschiedenen Gesellschaften aufzubauen, wurde durch ei- Diese multilateralen Reflexe wurden durch den Beitritt zur nige kontextabhängige Faktoren (wie die Oslo-Abkommen, EU – und in geringerem Maße durch die NATO-Mitglied- die neue Gelegenheiten boten und alle Mitglieder mit Hoff- schaft – noch verstärkt. Dass spanische Repräsentanten in nung erfüllten) und die proaktive Rolle bestimmter Staaten 6
Eine dem Multilateralismus verpflichtete Mittelmacht und Persönlichkeiten ermöglicht. Spanien spielte dabei eine nen (Barbé, Mestres und Soler i Lecha, 2007: 42–46). In die- große Rolle, da es in der zweiten Jahreshälfte von 1995 die ro- ser Hinsicht war Spanien eine der Antriebskräfte hinter der tierende EU-Präsidentschaft innehatte, aber Hand in Hand mit Idee, für Marokko einen besseren Status auszuhandeln. europäischen Institutionen (insbesondere der Europäischen Kommission) sowie Frankreich, Italien und Deutschland arbei- 3.2 UNION FÜR DAS MITTELMEER tete, um diesen Prozess ins Leben zu rufen (Barbé, 1996; Bic- Als Sarkozy im Jahr 2007 die Idee einer Mittelmeerunion chi, 2007; Morillas & Soler i Lecha, 2017). Entscheidend dafür, verkündete, fand sich Spanien gewissermaßen zwischen den Barcelona-Prozess mit genug Ressourcen auszustatten, zwei Stühlen wieder: Das Land betrachtete den ursprüng- um ihn für alle Teilnehmer attraktiv zu machen und auch lichen Vorschlag als Bedrohung, da er als Alternative zum Partner wie Großbritannien oder die Niederlande, die ihm Barcelona-Prozess präsentiert wurde. Gleichzeitig wollte sich zunächst mit Widerstand oder Skepsis begegneten, davon Spanien nicht gegen Frankreich stellen, dessen Mitarbeit zu überzeugen, war die Einigung zwischen Helmut Kohl und weit über außenpolitische Themen hinaus benötigt wurde Felipe Gonzalez (Tovías, 1999: 228–229). (beispielsweise in den Bereichen der Terrorbekämpfung, der Energie, der Infrastruktur oder der Zusammenarbeit im Rah- Spanien war auch einer der Akteure, die sich für die Öffnung men multilateraler Institutionen wie den G20). So leistete der Europäischen Nachbarschaftspolitik in Richtung Madrid Frankreich keinen Widerstand, hieß aber Merkels Süden einsetzten. Madrid argumentierte, diese Politik solle Bemühungen willkommen, die Initiative für alle EU-Länder die euro-mediterrane Partnerschaft nicht ersetzen, sondern zu öffnen und die EU-Institutionen vollständig daran zu be- eher vervollständigen. Gleichzeitig war Spanien sich dessen teiligen (Barbé, 2009). In diesem Zusammenhang konnte bewusst, dass diese Politik das richtige Forum für die EU sein Spanien das Sekretariat der UfM übernehmen – eine Ent- konnte, um ihre Beziehungen zu diesen Nachbarn, die einen scheidung, die im Herbst 2008 in Marseille getroffen wurde. schnelleren oder stärkeren Wandel wollten, vertiefen zu kön- Karte 1 Spanische Beiträge zu Internationalen Einsätzen EUROPA UND MITTELMEER 350 Latvia (Enhance Forward Presence, NATO) 3 Bosnia-Herzegovina (EUFOR Althea, EU) SNMG/SNMCMG (Standing NATO Maritime Group / Standing NATO Mine Countermeasures Group) Baltic Air Policing (NATO) Sea Guardian (NATO) AFRIKA 280 Mali (EUTM) 45 Mali (Air support from Senegal) 8 Central African Republic (EUTM) 45 Central African Republic (Air support from Gabon) 38 Somalia (EUTM) 375 Somalia (Atalanta Operation, EU) ASIEN UND NAHER- UND LATEINAMERIKA UND DIE KARIBIK MITTLERER OSTEN 5 Colombia (UN Mission) 149 Support to Turkey (NATO) 610 Libanon (UNIFIL) 555 Support to Irak (International coalition) 70 Resolute support, Afghanistan Die Zahlen beziehen sich auf eingesetztes Militärpersonal. Die Grafik wurde als Übersetzung des englischen Originals vom Juni 2020 erstellt und basiert auf folgenden Daten: https://www.defensa.gob.es/Galerias/gabinete/red/2020/01/infografxa-misiones2020.pdf 7
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Mittelmacht mit Maghreb-Fokus Als Gastgeberland war Spanien seitdem einer der größten anhaltende soziale und politische Emotionen in Form von Unterstützer dieser Initiative. Vorurteilen, Beschwerden und ungelösten bilateralen Proble- men. In dieser Hinsicht ist Marokko ein Sonderfall, der nicht 3.3 NATO-MITTELMEERDIALOG UND mit den Beziehungen zu anderen Ländern verglichen werden BEITRÄGE ZU FRIEDENSEINSÄTZEN kann. Diese Beziehungen sind nicht nur strategisch, sondern Was das Engagement für multilaterale Sicherheitsinitiativen auch politisch aufgeladen, und wurden gelegentlich auch in betrifft, erstreckte sich die Rolle Spaniens auch auf die Ent- der Konfrontation zwischen den beiden großen politischen wicklung des NATO-Mittelmeerdialogs (Núñez Villaverde, Parteien als Waffe benutzt (Fernández Molina, 2009). Diese 2000) und die aktive Beteiligung an allen sicherheitspolitischen Nähe wurde auch als Grund dafür betrachtet, dass Spanien Aktionen im Rahmen des 5+5-Dialogs – eines informellen an die Themen der Demokratisierung und der Menschen- Rahmens, innerhalb dessen sich Verteidigungsminister, rechte in dieser Region besonders vorsichtig herangeht Innenminister und andere Politiker aus den fünf Maghreb- (López García und Hernando de Larramendi, 2002). Ländern regelmäßig mit ihren südeuropäischen Kollegen treffen und größtenteils technische Projekte ins Leben rufen In der Strategie für Außenpolitisches Handeln von 2019 wird (Albareda & Soler i Lecha, 2012). Außerdem ist Spanien aktiv bestätigt, dass Spanien den Maghreb als »strategische Re- an den meisten EU-, NATO- und UN-Friedensmissionen gion hoher Priorität« betrachtet. Aber wie in diesem Doku- und -operationen in der Region beteiligt. Auch wenn ment die einzelnen Bestandteile der Beziehungen charak- COVID-19 unter anderem dazu geführt hat, dass Spanien terisiert werden, ist sogar noch aufschlussreicher: Marokko möglicherweise seinen Beitrag zu internationalen Missionen wird dort als »unser engster Nachbar im Süden und essen- verringern muss, beginnend mit jenen in Afghanistan und tieller Partner«, Algerien als »strategischer Partner« und im Irak, ist es erwähnenswert, dass das Land einer der größ- Mauretanien als »stabiler und verlässlicher Partner« be- ten Mitwirkenden an UNIFIL 2 im Libanon (610 Einsatzkräfte) zeichnet. Was Tunesien betrifft, äußert Spanien dort die Ab- war und immer noch ist. Das zweitgrößte Kontingent spa- sicht, die bilateralen Beziehungen zu verbessern, während es nischer Truppen (555 Einsatzkräfte) war im Irak als Teil der Fortschritte beim demokratischen Wandel begrüßt, und im Globalen Koalition gegen den IS stationiert. Außerdem trug Fall von Libyen fühlt sich Spanien »den internationalen Be- Spanien zu den CSDP-Missionen in Somalia (Operation Ata- mühungen zur Stabilisierung des Landes verpflichtet«. Diese lanta gegen Piraterie), in Mali (EU-Ausbildungsmission) und Wortwahl ist zur Erklärung der unterschiedlichen spanischen im Mittelmeer (EUNAVFOR Med Sophia) bei. Im Post-COVID- Ansätze bereits ziemlich interessant, aber noch hilfreicher ist 19 Kontext wird Spanien vermutlich seine begrenzten Res- es, tiefer zu schauen, um die Natur dieser Beziehungen und sourcen in Einsätzen im Sahel konzentrieren, der sich zu einer ihre Bedeutung für die spanische Sicherheitspolitik besser zu der Hauptprioritäten des Landes entwickelt hat. verstehen. 4.1 MAROKKO 4 DER MAGHREB: NACHBARSCHAFT Zu Marokko hat Spanien außerhalb der EU das mit gro- UND GRUNDLEGENDE INTERESSEN ßem Abstand wichtigste, aber auch empfindlichste Verhält- nis. Obwohl das Land ein bevorzugter Partner Spaniens ist, Während für die meisten EU-Länder und auch die Groß- haben die bilateralen Beziehungen – aufgrund unterschied- mächte der Nahe Osten im Mittelmeerraum die höchste licher Standpunkte zu schwierigen Themen wie Migration, Priorität darstellt, stand und steht dort für Spanien – wie Fischereirechten und vor allem der umstrittenen Kontrolle auch für Frankreich – der Maghreb an erster Stelle, und über die zwei spanisch-nordafrikanischen Städte Ceuta und dabei vor allem Marokko (Hernando de Larramendi, 2009; Melilla – bereits einige Höhen und Tiefen erlebt. Um die Ge- Vaquer i Fanés und Soler i Lecha, 2011). Dies erklärt sich teil- fahr einer großen Krise im Verhältnis zu Marokko zu ver- weise durch die Nachbarschaft: Die andalusische Küste ist ringern, hat Spanien zwei unterschiedliche und sich gegen- nur 14 Kilometer von Nordmarokko entfernt, und Spanien seitig ergänzende Strategien miteinander verbunden. teilt nahe den Städten Ceuta und Melilla mit seinem süd- lichen Nachbarn eine sehr empfindliche Landgrenze. Viele Einerseits betrachtet Madrid seine Mitgliedschaft in der wissen nicht, dass die Entfernung zwischen Barcelona und EU – und damit seine Europäisierung – als Mittel dazu, Algier die gleiche ist wie zwischen der zweitgrößten Stadt seine Souveränität über diese beiden Städte zu schützen. Spaniens und Madrid, oder dass die Route zwischen Alicante Im Gegensatz zu den Ansätzen anderer EU-Mitgliedstaaten und Oran, die nur 300 Kilometer lang ist, täglich von Fähren hinsichtlich Ihrer Überseeterritorien sorgte Spanien dafür, bedient wird. Ebenso ist Spanien das nächstgelegene euro- dass im Beitrittsabkommen explizit erwähnt wurde, Ceuta päische Land zu Mauretanien, dessen Entfernung zu den Ka- und Melilla sollten zu einem integralen Bestandteil der EU narischen Inseln nur 700 Kilometer beträgt. Und diese Inseln werden. Also sind diese beiden Städte seit 1986 nicht mehr liegen wiederum weniger als 95 Kilometer vor der südlichen ausschließlich ein »spanisches Problem«, sondern auch ein Küste Marokkos. europäisches (Gillespie, 2000). Dieselbe Logik trifft auch auf andere kontroverse Themen wie Migration und Fischerei zu Aber Nachbarschaft oder Nähe geht über geographische (Vaquer i Fanés, 2003). Diese Strategie wird nicht nur von Aspekte hinaus: Besonders intensiv sind die Verbindungen der Zentralregierung verfolgt, sondern auch von lokalen Ak- zwischen Spanien und diesem Teil der arabischen Welt in teuren: Beispielsweise hat die Lokalregierung von Ceuta im historischer und sozialer Hinsicht. Dies umfasst auch lang- Februar 2020 angekündigt, sie werde ihre Integration in das 8
Der Maghreb: Nachbarschaft und grundlegende Interessen Schengen-Gebiet fordern, um so Marokkos feindselige Poli- nicht kooperativ genug, was Marokko dazu bewegte, im Ok- tik gegenüber der autonomen Stadt auszugleichen. tober 2001 seinen Botschafter aus Madrid abzuziehen (Feliú, Lorenzo & Salomón, 2003; Szmolka, 2005). Diese Intensität Andererseits haben die spanischen Regierungen Anreize überraschte alle Beteiligten, einschließlich der Partner und In- für bilaterale Investitionen und Handelstätigkeiten gegeben stitutionen aus der EU, war aber auch ein Zeichen dafür, dass und den institutionalisierten politischen Dialog verbessert – solche territorialen Streitigkeiten mehr als eine historische in der Hoffnung, dies könne die bilateralen Spannungen be- Anekdote sind und dass ihre Folgen auch die Grenzen der grenzen und die Krisen dämpfen, durch die sie immer wie- Solidarität und Effizienz der Gemeinsamen EU-Außen- und der angefacht werden. Diese Politik wurde – und wird immer Sicherheitspolitik auf die Probe stellen können (Monar, 2002) noch – als »el colchón de intereses«, also als »Matratze der Interessen« (Hernando de Larramendi, 2009) bezeichnet. Nach dieser Krise konnten die beiden Länder die Lage wie- 1991 haben die beiden Länder auch das Abkommen für der entschärfen und die Zusammenarbeit auf bilateraler Freundschaft, gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit Ebene – beispielsweise beim Kampf gegen den Menschen- unterzeichnet und die Praxis der regelmäßigen Regierungs- und Drogenschmuggel, das organisierte Verbrechen und gipfel institutionalisiert, an dem die beiden Regierungschefs den Terrorismus – intensivieren. Gleichzeitig hat sich Spa- und einige Fachminister teilnehmen. Dies ist ein Modell, nien auch entschieden dafür eingesetzt, die strategisch wich- das in Spanien als Reuniones de Alto Nivel (RAN) bekannt tigen marokkanischen Beziehungen zur EU zu fördern. Die ist – ein Format, das auch bei den Beziehungen zu einigen erhebliche Zunahme illegaler Einwanderer – sowohl aus ausgewählten Ländern zum Einsatz kommt: den großen Marokko als auch aus Ländern südlich der Sahara – in den EU-Ländern, Großbritannien, Portugal, Algerien, Tunesien, Jahren 2018 und 2019 war eine deutliche Erinnerung an der Türkei und einmal 2009 auch Ägypten. die strategische Bedeutung dieser Zusammenarbeit. Im Fe- bruar 2019, nach einem lang erwarteten Besuch des spa- Diese Politik hat sich bewährt, und die bilateralen Be- nischen Königs Felipe VI in Marokko, ging die Anzahl der ziehungen sind nun umfassender, tiefer und immer stär- an der spanischen Küste ankommenden Boote sofort zu- ker miteinander verflochten (Amirah Fernández, 2015). rück. Bevor Josep Borrell zum Hohen Vertreter und Vize- 2019 war Spanien Marokkos größter Handelspartner, und präsidenten ernannt wurde, hatte er sich nicht nur dafür Marokko war nach den USA Spaniens zweitgrößter Kunde eingesetzt, dass Marokko bei Themen der Grenzkontrolle außerhalb der EU. Was die ausländischen Direktinvestitionen von Spanien und Europa stärker unterstützt wird, sondern betrifft, nimmt Spanien keinen so hohen Stellenwert ein, und auch die Notwendigkeit von Mechanismen zur Visaerleich- laut der provisorischen Zahlen von 2018 war das Land nur terung angedeutet. der sechstgrößte Investor. Aber da in Marokko 800 spanische Unternehmen tätig sind, sollten die spanischen Investitionen Migration und innenpolitische dort auch nicht vernachlässigt werden. Viele dieser Firmen Polarisierung sind klein oder mittelgroß; insgesamt haben sie etwa 20.000 Während der beiden aufeinander folgenden Wahlkämpfe direkte Arbeitsplätze geschaffen und sind in strategischen im April und November 2019 war die Migration eins der Sektoren wie dem Transportwesen, den Erneuerbaren Ener- wichtigsten Themen. VOX verwendete sie nicht nur dazu, gien, der Autoindustrie, der Landwirtschaft und dem Touris- sich gegen die Sozialistische Partei zu positionieren, son- mus tätig. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen dern auch, um sich von sanfteren Positionen der etablier- sind ein wichtiger Faktor: Über 800.000 marokkanische Bür- ten Kräfte der Volkspartei und der Ciudadanos abzugrenzen. ger leben in Spanien und überweisen jährlich etwa 500 Mil- Dabei übernahm die Partei Präsident Trumps Rhetorik über lionen Euro zurück an ihre Familien. Zwei Millionen Spanier, Mauern, Einwanderung, Invasionen und Souveränität. So davon die Hälfte marokkanischer Herkunft, besuchen jährlich überrascht es nicht, dass einer ihrer Hauptvorschläge darin Marokko, und 900.000 Marokkaner reisen jedes Jahr nach bestand, in Ceuta und Melilla an der Grenze zu Marokko Spanien. Außerdem besteht in Marokko das zweitgrößte eine höhere Mauer zu bauen. Die Tatsache, dass VOX bei der Netzwerk des Cervantes-Instituts, des spanischen Zentrums Parlamentswahl den einzigen Sitz in Ceuta gewann und dass zur Förderung von Sprache und Kultur. sie auch in den Stadträten der beiden Städte als Oppositions- partei vertreten ist, zeigt, dass dieses Thema in der politi- Periodische bilaterale Krisen schen Debatte Spaniens und den bilateralen Beziehungen zu All diese Verbindungen waren zwar nicht in der Lage, den Marokko immer wichtiger wird. Rabats jüngste Maßnahmen periodischen Ausbruch bilateraler Krisen abzuwenden, aber zur Beendigung des informellen Handels an den Grenzen vielleicht haben sie eine Eskalation verhindert. Die schlimmste der beiden Städte und die unilaterale Schließung des offi- dieser Krisen ging 2002 aus einem Streit über die Souveräni- ziellen Zollbüros im Jahr 2018 könnten dazu führen, dass tät der kleinen Insel Perejil/Leila hervor. Um den militäri- die Städte wirtschaftlich ersticken – und dass sich ein bereits schen Konflikt über das, was der damalige US-Außenminister jetzt heikles Thema weiter entzündet. VOX – und andere eine »dumme kleine Insel« nannte, zu beenden, war sogar rechtsgerichtete Oppositionsparteien – kritisieren schon, die die Vermittlung der USA nötig (Gillespie, 2006). Diesem mili- spanische Reaktion sei zu schwach und lasse die Einwohner tärischen Zusammenstoß ging eine politische Eskalation vo- der beiden Städte im Stich. raus – zuerst über die Erneuerung des Fischereiabkommens, aber auch über Spaniens Beschwerden, Marokko sei bei der Kontrolle der illegalen Migration und des Drogenschmuggels 9
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Mittelmacht mit Maghreb-Fokus Marokko ist keine klassische außen- Spaniens von Algerien im Energiebereich – 46 Prozent der politische Angelegenheit für Spanien Erdgasimporte des Landes stammen von dort – und in gerin- Die Politisierung der territorialen Streitigkeiten mit Marokko, gerem Maße auch die Höhen und Tiefen der Beziehungen das Gewicht der historischen Unstimmigkeiten und die der beiden Länder zu Marokko (Escribano, 2012; Dris-Ait Intensität der bilateralen Verbindungen erklären, warum Hammadouche und Dris, 2007; Thieux & Jordà, 2012). Marokko keine klassische außenpolitische Angelegenheit ist und auch nicht als solche behandelt wird. Das Außen- Später wurde der Liste bilateraler Prioritäten ein weiteres ministerium ist dabei nur eins von vielen Ministerien, die sich Element hinzugefügt: 2018 verabschiedete Algerien ein De- am Prozess der Entscheidungsfindung beteiligen. Die meis- kret zur Ausweitung seiner Ausschließlichen Wirtschafts- ten dieser Ministerien arbeiten über Dialogplattformen direkt zone, dass Spaniens Ansprüche bezüglich der Baleareninseln mit ihren marokkanischen Kollegen zusammen. Außerdem zurückweist, aber dieses Thema hielt erst im Februar 2020 ist die Botschaft in Rabat eine der größten Spaniens und Einzug in die spanische Debatte. Ähnlich der Kontroverse um nur mit jenen in Brüssel, Paris und Washington vergleich- die Kanarischen Inseln mobilisierte das Thema in erster Linie bar. Innerhalb des Rahmens einer umfassenderen Präsiden- die regionalen politischen Eliten, wurde aber auch von den tialisierung der spanischen Außenpolitik (Lemus de la Iglesia Medien und Parteien der Opposition dazu verwendet, der & Amirah Fernández, 2009) führt diese Ausgangslage in Sánchez-Regierung vorzuwerfen, sie sei bei der Verteidigung den bilateralen Beziehungen zu einer besonderen Rolle der der nationalen Interessen Spaniens zu schwach. Darüber hi- Präsidentschaft der Regierung beim Umgang mit Marokko – naus kann Spaniens vorsichtige Einstellung gegenüber den insbesondere bei der Beschäftigung mit zyklischen Krisen. politischen Entwicklungen in Algerien anhand der beiden Eine weitere Besonderheit ist, dass der spanische König unter Faktoren Nachbarschaft und Energie erklärt werden: Mad- bestimmten Umständen um seine Beteiligung an diesen Be- rids Schweigen über die algerischen Bürgerproteste zwischen ziehungen gebeten wird, indem er letztlich einen König-zu- 2019 und 2020, aber auch die schnelle Reaktion, mit der König-Kontakt mit Marokkos Mohamed VI herstellt, wie Spanien die Ergebnisse der Wahlen vom Dezember 2018 es sein Vater mit Hassan II getan hat. In kritischen Situa- begrüßte, sind die jüngsten Beispiele für einen bereits be- tionen wird die Monarchie aufgefordert, entweder die De- stehenden Trend, bei dem der Sicherheit und Stabilität Vor- eskalationsbemühungen zu unterstützen oder bessere Be- rang vor allen anderen Themen gegeben wird. dingungen für eine funktionale bilaterale Zusammenarbeit zu schaffen. 4.3 LIBYEN Energiethemen waren auch ein wichtiges Element der Die Beziehungen zu anderen Ländern des Maghreb sind spanischen Beziehungen zu Libyen. Der spanischde Öl- ebenfalls wichtig, aber nicht mit denen zu Marokko konzern Repsol ist dort seit den 1970ern präsent, und 2019 vergleichbar. Dies spiegelt sich in den relativ geringen poli- war Spanien nach Italien und Deutschland Libyens dritt- tischen Kontroversen wider, die sie begleiten – und auch größter Abnehmer. Die spanische Beteiligung an der NATO- in der Tatsache, dass dabei zwar immer noch einige Fach- Operation von 2011 war ziemlich bescheiden und bezog sich ministerien eine Rolle spielen können, aber meist nur eins hauptsächlich auf die maritime Überwachung. Und nach oder zwei auf einmal (beispielsweise das für Energie im Fall dem Sturz Gaddafis bestand die einzige große politische Ini- von Algerien), und dass deshalb das Außenministerium eine tiative Spaniens in Libyen in der Ausrichtung einer regionalen viel entscheidendere Rolle spielt. Konferenz im Jahr 2014, die alle Nachbarn Libyens einbezog, um ein Scheitern des politischen Übergangs zu verhindern. 4.2 ALGERIEN Dieses Ziel wurde definitiv nicht erreicht. Seitdem hält sich Ein Beispiel für diesen monothematischen Ansatz ist Madrid zurück – in erster Linie, weil andere EU-Länder, ins- Algerien: Die Beziehungen im Energiebereich reichen bis besondere Frankreich und Italien, in Libyen eine stärkere in die späten 1960er zurück. Wie Francis Ghilès (2013) er- Rolle gespielt und sogar jeweils gegnerische Seiten unter- klärt, hat Pere Durán Farrell, ein katalanischer Unternehmer, stützt haben. Dies erklärt, warum Spanien trotz der Nachbar- eine strategische Vision der Beziehungen zu Algerien ge- schaft und der Intensität der wirtschaftlichen Verbindungen schaffen, als er erstmals algerisches Flüssiggas (LNG) nach zu Libyen in den entsprechenden internationalen Konferen- Barcelona brachte. Im Jahr 2000 wurde die erste Gasleitung zen, auf denen andere regionale und globale Akteure die dor- nach ihm benannt, die 1996 eingeweiht worden war und tige politische und sicherheitspolitische Lage diskutieren und Algerien über Marokko mit Spanien und Portugal verbindet. aushandeln, nicht involviert war. In letzter Zeit kam Libyen Interessanterweise wurde dieses Projekt in einer für dieses wieder auf die spanische Tagesordnung, aber aus einem völ- nordafrikanische Land sehr schwierigen Zeit ins Leben ge- lig anderen Blickwinkel: Die Zunahme der Migration über rufen: Die 1990er, die häufig auch Schwarzes Jahrzehnt oder die Meeresstraße von Sizilien und die trostlosen Bilder immer Schmutziger Krieg genannt wurden, forderten je nach Quelle neuer, massiv überladener Schiffe mit Migranten und Flücht- 100.000 bis 200.000 Todesopfer. Die spanische Regierung lingen führten zur Mobilisierung von Teilen der spanischen und auch die Unternehmen des Landes waren zuversicht- Zivilgesellschaft und linksgerichteter politischer Gruppen. lich, dass ihre Interessen in Algerien auch in dieser Phase Dies setzte die spanische Regierung unter Druck, den in die- akuter Instabilität nicht verletzt werden, und Spanien war sem Gebiet tätigen Rettungsschiffen einen sicheren Hafen eines der wenigen europäischen Länder, die ihre dortigen di- zu bieten. Besonders aktiv war dabei die spanische NRO plomatischen und kulturellen Zentren nicht schlossen. Wich- Open Arms, und dies führte gelegentlich zu Spannungen tige Antriebskräfte für das Verhältnis sind die Abhängigkeit mit der italienischen Regierung – insbesondere als Matteo 10
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