Strategie Digitalaussenpolitik 2021-2024 - Der Bundesrat ...

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Strategie Digitalaussenpolitik 2021-2024 - Der Bundesrat ...
Strategie
Digitalaussenpolitik
2021–2024
Aussenpolitische Strategie
      2020–2023

       Strategie
 Digitalaussenpolitik
      2021–2024

                             Beim vorliegenden Bericht, der vom Bundesrat am 4. November 2020
                             gutgeheissen wurde, handelt es sich um eine thematische Folgestrategie zur
                             Aussenpolitischen Strategie 2020–2023. Zugleich erfüllt die Strategie das
                             Postulat 17.3789 von alt Nationalrat Claude Béglé vom 28. September 2017.

    2           
Vorwort

Die Digitalisierung durchdringt alle unsere Lebensbereiche.     und stärken das Vertrauen zwischen den verschiedenen
Sie ist zu einem bestimmenden Megatrend geworden,               Akteuren? Dies alles sind Fragen der Digitalaussenpolitik,
der die Welt in den kommenden Jahrzehnten weiterhin             einem neueren Themenfeld der Aussenpolitik.
entscheidend mitprägen wird. Der digitale Wandel ist
rasant, die weitere Entwicklung kaum vorhersehbar. Klar         Auch im digitalen Raum verfolgt die Schweiz selbstbewusst
aber ist: Neue Technologien werden unsere Zukunft massge-       und selbstständig ihre Interessen und Werte – es sind die
blich mitgestalten und sie bieten ein enormes Potenzial für     gleichen, welche die Schweiz auch in anderen Räumen
nachhaltige Entwicklung und Wohlstand – in der Schweiz          verfolgt, sei dies auf Boden, in der Luft, zur See oder im
wie auch weltweit.                                              Weltall. Die Bundesverfassung gibt auch hier den Rahmen
                                                                vor. Es geht um die Freiheit, Unabhängigkeit, Sicherheit und
Soziale Medien erlauben uns den Kontakt über tausende           Wohlfahrt der Schweiz, die Linderung von Not und Armut
von Kilometern, Computer haben schon längst fast alle           in der Welt, nachhaltige Entwicklung, Chancengleichheit,
Rechenaufgaben übernommen und die jüngere Generation            Menschenrechte, Demokratie und den Einsatz für eine fried-
wächst mit Smartphones und Tablets auf. Die künstliche          liche und gerechte internationale Ordnung. Auch in Zukunft
Intelligenz nimmt immer mehr Einzug in unseren Alltag und       tun wir gut daran, uns daran zu orientieren und damit für
im Kontext der Covid-19-Pandemie spielen digitale Anwen-        eine kohärente und wirksame Aussenpolitik einzustehen –
dungen eine zentrale Rolle. Gleichzeitig betrachten wir die     auch im digitalen Raum.
stark zugenommene Verletzlichkeit unserer daten- und
computerbasierten Gesellschaft mit Sorge; Cyber-Angriffe,       Die vorliegende Strategie definiert die Aktionsfelder der
Cyber-Kriminalität und politische Manipulation treten           Digitalaussenpolitik des Bundesrats für die kommenden
immer deutlicher im digitalen Raum in Erscheinung, und die      Jahre. Im Anhang finden sich zahlreiche Zusatzinforma-
Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten nehmen zu.                  tionen, die das Thema einordnen und das Verständnis
                                                                fördern sollen.
Der Bundesrat misst der Digitalisierung eine grosse
Bedeutung zu. In der Legislaturplanung 2019–2023 nimmt          Ich wünsche Ihnen viel Freude an der Lektüre.
sie neu einen grösseren Stellenwert ein und auch in und
für die Aussenpolitik spielt sie zunehmend eine wichtige
Rolle. So figuriert sie in der Aussenpolitischen Strategie
2020–2023 erstmals als eine von vier thematischen Schwer-
punkten.

Die Digitalisierung ist einerseits ein Instrument: Sie hilft    Ignazio Cassis
Prozesse einfacher zu gestalten, etwa im Bereich der konsu-     Vorsteher Eidgenössisches Departement
larischen Dienstleistungen oder der IT. Sie ist andererseits    für auswärtige Angelegenheiten
aber auch ein aussenpolitisches Themenfeld und bringt
entsprechende Fragen auf: Wie stellen wir sicher, dass Nutze-
rinnen und Nutzer selbstbestimmt über ihre Daten verfügen
können? Wie erhalten wir die Spitzenposition der Schweiz
im Bereich Wirtschaft, Innovation und Bildung? Wie stärken
wir den Platz des internationalen Genf als Zentrum der
digitalen Gouvernanz? Wie verschaffen wir dem Völkerrecht
und den Menschenrechten auch im digitalen Raum Geltung?
Wie fördern wir einen sicheren und stabilen digitalen Raum

                                                                                                                    Vorwort
Inhaltsverzeichnis

1     Ausgangslage                               1
1.1   Postulat 17.3789                            1
1.2   Stossrichtung der Strategie                 1
1.3   Konzeptionelles Verständnis                 3

2     Digitalaussenpolitik der Schweiz           5
2.1   Interessen und Werte                        5
2.2   Stärken der Schweiz                         5

3     Internationales Umfeld                     6

4     Aktionsfelder                              8
4.1   Digitale Gouvernanz                         8
4.2   Wohlstand und nachhaltige Entwicklung      10
4.3   Cybersicherheit                            12
4.4   Digitale Selbstbestimmung                  14

5     Chancen für den Standort Schweiz           16

6     Schlussfolgerung                           17

Anhang 1: Abkürzungsverzeichnis                  18
Anhang 2: Glossar                                19
Anhang 3: Konzeptionelle Grundlagen              22
Anhang 4: Internationales Regelwerk              25
Anhang 5: Wichtige Akteure, Foren und Prozesse   27
Anhang 6: Postulat 17.3789                       43

Inhaltsverzeichnis
1 Ausgangslage

1.1 Postulat 17.3789
Mit der vorliegenden Strategie erfüllt der Bundesrat das         Der Bundesrat beantragte am 8. Dezember 2017 die
Postulat 17.3789. Dieses wurde am 28. September 2017 von         Annahme des Postulates. Dabei wies er darauf hin, dass die
alt Nationalrat Claude Béglé eingereicht und beauftragt den      Idee einer Genfer Digitalkonvention bei den meisten Akteuren
Bundesrat zu prüfen, «wie die Schweiz zum Welt-Epizentrum        auf grosse Skepsis stösst und kaum realisiert werden kann.
der internationalen Gouvernanz im Bereich Cyberspace             Zugleich erklärte er sich bereit, in einem Bericht die Schwer-
werden könnte». Das Postulat regt zudem die Schaffung einer      punkte der Schweiz in den Bereichen der internationalen
Art Genfer Konvention zur Digitalisierung und Gründung           Cybersicherheit und der digitalen Gouvernanz darzulegen.
einer neutralen Organisation in Genf an, welche für deren        Der Nationalrat nahm das Postulat am 15. März 2018 mit 113
Umsetzung sorgen könnte.                                         zu 78 Stimmen an.

1.2 Stossrichtung der Strategie
Seit Annahme des Postulates ist die Digitalisierung weiter       Stärkung der Rolle der Schweiz als Gaststaat 2020–2023.1
fortgeschritten. Sie durchdringt und verändert Politik,          Im Aussenwirtschaftsbericht des Bundesrates 2019 war das
Wirtschaft und Gesellschaft. Der digitale Fortschritt birgt      Schwerpunktkapitel zudem dem Thema «Digitalisierung und
viele Chancen, bringt aber auch neue Herausforderungen           Aussenwirtschaft» gewidmet.2
und Fragestellungen mit sich. Die globale Covid-19-Krise hat
dies verdeutlicht: So ermöglichen neue digitale Technologien     Auch auf internationaler Ebene fanden zwischenzeitlich
den Verlauf einer Pandemie besser nachzuvollziehen und           wichtige Prozesse statt. So hat der UNO-Generalsekretär
einzudämmen, wie beispielsweise durch das digitale contact       mit der Schaffung und dem Bericht des High-level Panels
tracing, und sie zeigen die Bedeutung von technischen            zur Digitalen Zusammenarbeit das Thema prominent auf
Standardisierungsfragen und der grenzüberschreitenden            die internationale Agenda gebracht. Der unter Mitarbeit
Zusammenarbeit auf; gleichzeitig werfen diese Technologien       von alt Bundesrätin Doris Leuthard als Panelistin erarbeitete
aber auch viele Fragen, wie beispielsweise zur Anwendungs-       Abschlussbericht enthält wichtige Empfehlungen zur Stärkung
sicherheit und zum Datenschutz, auf.                             der globalen digitalen Zusammenarbeit. Am 10. Juni 2020
                                                                 hat der UNO-Generalsekretär darauf basierend eine Road
Der Bundesrat trägt der wachsenden Bedeutung der Digita-         Map vorgestellt, welche die nächsten praktischen Schritte zur
lisierung Rechnung. In der Legislaturplanung 2019–2023           Umsetzung dieser Empfehlungen aufzeigt. Schwerpunkte
hat er dem Thema mehr Gewicht verliehen. In den entspre-         sind ein besserer Zugang zum Internet weltweit, verstärkter
chenden Leitlinien wurde die Nutzung der vielfältigen            Kapazitätsaufbau in Entwicklungsländern, der Schutz der
Chancen der Digitalisierung neu in der politischen Agenda        Menschenrechte, die Stärkung der Cybersicherheit und die
des Bundesrats verankert. In der Aussenpolitischen Strategie     Förderung inklusiver Gouvernanzmodelle.3
2020–2023 figuriert die Digitalisierung als ein neuer thema-
tischer Schwerpunkt der Aussenpolitik neben Frieden und
Sicherheit, Wohlstand und Nachhaltigkeit. Die Strategie
«Digitale Schweiz» des Bundesrats vom September 2020
gibt die Leitlinien für das staatliche Handeln in Bezug auf
die Digitalisierung vor und zeigt auf, wo und wie Behörden,
Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik zusam-
menarbeiten müssen, um den Transformationsprozess
gemeinsam zum Nutzen des Gemeinwesens gestalten zu
können. Weitere Grundlagendokumente in Bezug auf die
Digitalisierung wurden in den letzten Jahren verabschiedet.      1   Siehe Anhang 3.
Dazu zählen die Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz       2   Vgl. Digitalisierung und Aussenwirtschaft, Schwerpunktkapitel des Berichtes
                                                                     des Bundesrates zur Aussenwirtschaftspolitik 2019 vom 15. Januar 2020, SR
vor Cyberrisiken 2018–2022, die Strategie der internationalen        20.008.
Zusammenarbeit 2021–2024 sowie die Massnahmen zur                3   Road Map des UNO-Generalsekretärs zur digitalen Kooperation

                                                                                                                   Ausgangslage                    1
Länder und Organisationen wie auch die Europäische Union4                                       Die vorliegende Strategie erläutert das konzeptionelle
haben zudem internationale Regelwerke geschaffen, die                                           Verständnis von wichtigen Begrifflichkeiten, beschreibt das
auch die Schweiz und ihre Aussenpolitik tangieren.                                              internationale Umfeld, zeigt die Interessen und Werte der
                                                                                                Schweiz im digitalen Raum und ihre Stärken auf, identifiziert
Diesem Kontext gilt es Rechnung zu tragen. Der Bundesrat                                        vier Aktionsfelder für die Schweizerische Digitalaussenpolitik
nimmt die grundlegenden Fragen des Postulates 17.3789                                           für die kommenden vier Jahre und beschreibt die Chancen für
zur aussenpolitischen Positionierung der Schweiz und der                                        den Standort Schweiz. Zum besseren Verständnis von Begriff-
Standortpositionierung des Internationalen Genfs auf, geht                                      lichkeiten liegt der Strategie ein Glossar bei.
dabei aber in dreierlei Hinsicht weiter: Erstens integriert er die
aktuellsten Entwicklungen auf internationaler Ebene, spezi-
fisch die vom UNO-Generalsekretär vorgestellte Road Map.
Zweitens strebt er ein umfassendes Verständnis von Chancen
und Risiken der Digitalisierung an und geht somit über den
Cybersicherheits-spezifischen Fokus hinaus. Drittens konzi-
piert er den Bericht in Erfüllung des Postulats als thematische
Folgestrategie zur Aussenpolitischen Strategie 2020–2023.
Gemäss dieser Strategie will die Schweiz ihre Digitalaussen-
politik weiterentwickeln und ihr entsprechendes Profil
ausbauen (Ziel 4.4). Dem wird hier Rechnung getragen.

4    Im Bereich des Datenschutzes hat die EU mit der Datenschutz-
     Grundverordnung (GDPR) eine globale Vorreiterrolle zum Schutz von
     persönlichen Daten eingenommen. Im Rahmen ihrer Datenstrategie will die
     EU ein übergreifendes Gouvernanzmodell aufbauen. In einem Weissbuch
     zur Künstlichen Intelligenz (KI) hat die EU-Kommission zudem dargelegt,
     wie KI für die europäische Wirtschaft genutzt und Bürgerrechte dabei
     gewahrt werden sollen. Die EU-Digitalstrategie und die Massnahmen in den
     Bereichen Digital Single Market sowie Cybersicherheit tragen ebenfalls zum
     Regelwerk der EU bei.
Ebene 1
          Strategisch (Bundesrat)

                                                                                Aussenpolitische Strategie 2020–2023

                                                             Geografisch                                                 Thematisch
                                                                                                                         Thematisch
                                                                                                                        IZA-Strategie
Ebene 2

                                                          MENA Strategie
                                                            2021–2024                                                     2021–2024
                                                                              China Strategie
                                                                                2021–2024                   Strategie                     Strategie
                                          Subsahara-Afrika Strategie                                  Digitalaussenpolitik          Landeskommunikation
                                                 2021–2024                                                 2021–2024                      2021–2024
          Operationell (Departemente)
Ebene 3

                                                            IZA: regionale/thematische Leitlinien
                                                            und Länder-Kooperationsprogramme                   Leitlinien Menschenrechte 2021–2024

Grafik 1: Aussenpolitische Strategiekaskade (Quelle: EDA – illustrative Auswahl an Dokumenten).

2                                       Ausgangslage
1.3 Konzeptionelles Verständnis
Klar abgrenzbare Definitionen sind in den Themenfeldern                                                 Beim digitalen Raum handelt es sich grundsätzlich um
der Digitalisierung schwierig. Die Technologie entwickelt sich                                          Netzwerke von Geräten, welche gegenseitig Daten austau-
rasant und sie durchdringt alle Lebensbereiche. Ein gemein-                                             schen. Das meistbenutzte und mit Abstand globalste dieser
sames Verständnis der wichtigsten Begrifflichkeiten bleibt                                              Netzwerke ist das Internet. Gegenwärtig sind rund 50 Milli-
hingegen notwendig und folgende Definitionen werden im                                                  arden Endgeräte dem Internet angehängt und gemäss UNO
Rahmen dieser Strategie vorgeschlagen:                                                                  haben 54 Prozent der Weltbevölkerung aktiven Zugang.5 Der
                                                                                                        digitale Raum umfasst aber nicht nur Netzwerke und Geräte,
Die Digitalisierung beschrieb ursprünglich den techni-                                                  sondern auch die Akteure, verschiedenen Prozesse und Inter-
schen Prozess, analoge Informationen in digitale Formate                                                aktionen. Wie der Boden, die See und die Luft als Räume
umzuwandeln. Heute wird dies mit dem englischen                                                         verstanden werden – und wie der Weltall erst seit kurzem
Begriff digitization umschrieben. Durch die fortschreitende                                             in der Menschheitsgeschichte als neuer Raum erschlossen
Entwicklung im technologischen Bereich ergaben sich struk-                                              und erreichbar wurde – so ist auch der digitale Raum als eine
turelle Änderungen, neue Anwendungen und Systeme wie                                                    neue Dimension zu verstehen, der sich über Landesgrenzen
beispielsweise die Schaffung von Netzwerken oder der Einsatz                                            hinweg erstreckt.
von künstlicher Intelligenz (KI). Heute wird unter Digitalisierung
deshalb die gesamte Breite dieser Entwicklungen, inklusive
ihrer Anwendungsmöglichkeiten sowie beispielsweise gesell-
schaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Auswirkungen
verstanden (im englisch: digitalization).                                                               5   Road Map UNO-Generalsekretär, Seite 5.

                                                                            N
                                                              LU   T IO                                                               NE U
                                                           VO                                                                                      ET
                                                      RE                                                                                                   EC
                                                 LE                                         DIGITALISIERUNG                                                          HN
                                                                                                                                                                          OL
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                                                                                               litik 2021–2024: Ak                                                              EN
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                                                                                              Gouvernanz

                                                                                           Aussenpolitische
                                                                                              Strategie
                                                                                             2020-2023
                                                                                                                                       Se lb
                                                 Wohlstand und

                                                 En t w i c k l u n g
                                                 n ach ha l ti g e

                                                                                                                                            s t be s t i m m u n g

                                                                                                Interessen
                                                                                                                                              Dig it a le

                                                                                                und Werte
                                                                                               der Schweiz

                                                                                          Vierter thematischer
                                                                                              Schwerpunkt
                                                                                             Digitalisierung

                                                                                           C ybe
                                                                                                   rsicher heit

Grafik 2: Veranschaulichung der Begrifflichkeiten und der vier Aktionsfeldern der Digitalaussenpolitik (Quelle: EDA).

                                                                                                                                                                                        Ausgangslage   3
Auch in diesem neuen, digitalen Raum hat die Schweiz Inter-          Schliesslich ist die Digitalisierung nur ein Teilbereich einer
essen und Werte – sie sind Gegenstand der Digital- und               grösseren Transformation. Die sogenannte Digitalisierung 2.0,
darin der Digitalaussenpolitik. Letztere ist ein neueres             die auf neuen Kommunikationstechnologien und Elementen
Themenfeld der Schweizer Aussenpolitik. Sie reiht sich aller-        wie dem Internet der Dinge, Big Data, Blockchain, Quantum-
dings ein in den Mitgestaltungsanspruch der Schweiz in               computing und Cloud-Technologien basiert, wird bereits
allen Politikbereichen: Dem Schutz ihrer Souveränität, ihrer         heute überlagert von ähnlich gewichtigen Neuerungen im
Unabhängigkeit und Sicherheit, dem Zugang ihrer Wirtschaft           Bereich der Bio- und Gentechnologien. Dort wo Digital-,
zu internationalen Märkten, dem Einsatz für Nachhaltigkeit           Bio- und physische Technologien konvergieren, spricht man
und für eine gerechte internationale Ordnung, dem Zugang             von der Vierten industriellen Revolution. Das Verände-
möglichst aller Bevölkerungsgruppen zu Lebenschancen                 rungspotenzial, das jeder dieser Technologiebereiche bereits
sowie dem Schutz der Menschenrechte. Die Digitalaussenpo-            enthält, potenziert sich durch das Zusammenkommen und
litik weist somit inhaltlich nicht eine neue Qualität auf, sie ist   -wirken dieser Teilbereiche.
vielmehr als die Weiterführung einer bewährten Interessens-
wahrung und Werteförderung in einem neuartigen Raum zu               Die vorliegende Strategie beschränkt sich auf den Bereich
verstehen.                                                           der Digitalisierung, bezieht aber Schnittstellen zu anderen
                                                                     neuen Technologien mit ein. Eine wichtige Rolle spielt hier
Eine zentrale Rolle nimmt die Förderung der digitalen                die Wissenschaftsdiplomatie. Da, wo Wissenschaft,
Gouvernanz ein. Sie ist ein wichtiger Teilbereich der Digital-       Technologie und Aussenpolitik interagieren, eröffnen sich
aussenpolitik. Durch sie sollen gemeinsame Regeln im                 neue Themen- und Aktionsfelder. Für die Gestaltung des
digitalen Raum erhalten, beziehungsweise geschaffen und              digitalen Wandels ist die Wissenschaftsdiplomatie eine
die Institutionen und Mechanismen der Zusammenarbeit                 wichtige Grundvoraussetzung. Die Aussenpolitik soll sich
gestärkt werden.                                                     auf wissenschaftliche Expertise und Erkenntnisse abstützen
                                                                     (science in diplomacy) und sie soll selber zu grenzüberschei-
Ein ebenso wichtiger Teilbereich der Digitalaussenpolitik ist        tender Wissenschaftskooperation beitragen und diese, wo
die Cybersicherheit. Sie befasst sich mit allen Aspekten             angezeigt, fördern (diplomacy for science). Gleichzeitig kann
der Sicherheit in der Informations- und Kommunikations-              eine wissenschaftliche Zusammenarbeit dort besonderen
technologie. Dies umfasst die gesamte mit dem Internet und           politischen Nutzen bringen, wo etablierte diplomatische
vergleichbaren Netzen verbundene Informationstechnik und             Kanäle fehlen, beziehungsweise unzureichend sind und zu
schliesst darauf basierende Kommunikation, Anwendungen,              Vertrauen und gemeinsamer Kooperation beitragen (science
Prozesse und verarbeitete Informationen mit ein. Durch inter-        for diplomacy). 6 Die Digitalaussenpolitik und Wissenschafts-
nationale Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen           diplomatie sind somit eng miteinander verknüpft, insbe-
Akteuren im Bereich Cybersicherheit soll ein offener, freier         sondere im multilateralen Rahmen.
und sicherer digitaler Raum erhalten und geschützt werden.
Mit ihr kann auch das Risiko von Cyberangriffen zwischen
Staaten reduziert werden. Der Begriff Cyber wird auf inter-
nationaler Ebene deshalb meistens in Zusammenhang mit
Fragen der Sicherheit und der Vertrauensbildung verwendet,
während der Begriff Digital einen breiteren sozialen,
wirtschaftlichen und politischen Bereich umfasst.

                                                                     6   Vgl. auch Internationale Strategie der Schweiz im Bereich Bildung, Forschung
                                                                         und Innovation, 2018.

4          Ausgangslage
2 Digitalaussenpolitik der
  Schweiz

2.1 Interessen und Werte
Kernauftrag der Schweizer Aussenpolitik ist die Förderung der      Die Aussenpolitische Strategie 2020–2023 definiert die Grund-
Interessen und Werte der Schweiz wie diese in der Bundes-          lagen für die Digitalaussenpolitik und gibt die Vision eines
verfassung – insb. in den Artikeln 2, 54 und 101 – definiert       freien, offenen und sicheren digitalen Raums vor. Sie stützt
sind. Diese Interessen und Werte ändern sich nicht mit dem         sich dabei auf das Völkerrecht und stellt die Menschen mit
Aufkommen neuer Technologien sowie dem Voranschreiten              ihren Bedürfnissen ins Zentrum.7 Konkret sollen das Profil der
der Digitalisierung.                                               Schweiz in der digitalen Gouvernanz gestärkt werden, die
                                                                   Digitalaussenpolitik weiterentwickelt und das Internationale
Der Gestaltungsanspruch der schweizerischen Aussenpolitik          Genf als führender Standort der Digitalisierungs- und Techno-
kann nicht im physischen Raum enden. Die Interessen und            logiedebatten positioniert werden. Die vorliegende Strategie
Werte der Schweiz gelten auch im und für den digitalen Raum.       stützt sich entsprechend auf die Aussenpolitische Strategie
Die Digitalaussenpolitik ist das Instrument, um diese Interessen   2020–2023 und entwickelt ihre Vorgaben im Bereich der
auch innerhalb des digitalen Raums zu wahren und die Werte         Digitalaussenpolitik weiter.
der Schweiz zu fördern.

                                                                   7   Vgl. Anhang 3.

2.2 Stärken der Schweiz
Die Schweiz kann mit ihrer Neutralität und ihren Guten Diensten    als lösungsorientierte, glaubwürdige und kompetente Partnerin
Vertrauen schaffen. Diese bilden eine günstige Voraussetzung       wahrgenommen und geschätzt wird.
für die Schweiz, sich in einem schwierigen und fragmentierten
Umfeld auch im digitalen Raum als Brückenbauerin zu positio-       Die Schweiz kann auch von ihrer Rolle als Gaststaat profitieren.
nieren. Angesichts digitaler Geopolitik und einer Tendenz zur      Der Standort Schweiz mit dem Internationalen Genf als opera-
Blockbildung braucht es vermehrt vermittelnde Stimmen. Die         tioneller Plattform für die Verwirklichung der Agenda 2030 und
Schweiz kann dabei an wichtige Erfolge anknüpfen und auf           ihrer 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung eröffnet ihr
ein bewährtes Engagement bauen: So ist es ihr in den letzten       verschiedene Möglichkeiten. Gleichzeitig wirkt sie mit ihren
Jahrzehnten immer wieder gelungen, in internationalen              Technischen Hochschulen und anderen Forschungsstätten
Diskussionen wichtige Impulse zu setzen, zum Beispiel mit der      an vorderster Front mit, wenn es um die Erforschung neuer
Austragung des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS)     Technologien geht. Innovative und weltweit führende Techno-
2003 in Genf oder später bei der Reform der der Internet           logieunternehmen sind in der Schweiz ansässig, hinzu kommt
Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Diese          eine vielfältige KMU-Landschaft gerade im Bereich der digitalen
weist Adressen im Internet zu und stand bis 2016 unter direkter    Dienstleistungen. Insgesamt hat der Finanz- und Werkplatz
Aufsicht der amerikanischen Regierung. Dieser Umstand              Schweiz bislang erfolgreich auf die Herausforderungen der
führte während zwei Jahrzehnten zu heftigen politischen            Digitalisierung reagiert. Darüber hinaus haben wichtige inter-
Kontroversen. Unter Schweizer Vorsitz des Regierungsbeirates       nationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen
konnte eine Überführung der ICANN in ein Multistakeholder-         (NGO), welche die Diskussionen über den digitalen Wandel
Modell verhandelt werden. Ein weiteres Beispiel ist die von der    mitprägen, ihren Sitz in der Schweiz. Die Präsenz dieser Akteure
UNO-Generalversammlung mandatierte Open-Ended Working              versetzt die Schweiz in eine gute Ausgangslage für Diskus-
Group on Developments in the Field of ICTs in the Context of       sionen über digitale Themen.8
International Security (UN OEWG). Die Schweiz hat den Vorsitz
dieser wichtigen globalen UNO-Arbeitsgruppe inne. Auch in
der Group of Governmental Experts on Advancing respon-
sible State behaviour in cyberspace in the context of interna-
tional security (UN GGE) ist die Schweiz bereits zum zweiten
Mal mit einer Expertin vertreten. Über 70 Staaten hatten sich
für einen Einsitz in dieser Gruppe von 25 Expertinnen und
Experten beworben. Diese Bespiele zeigen, dass die Schweiz         8   Vgl. Anhang 5.

                                                                                        Digitalaussenpolitik der Schweiz         5
3 Internationales Umfeld

Folgende Herausforderung sind auf internationaler
Ebene erkennbar:

                                                       Geopolitik
                                                     und autoritäre
                                                      Tendenzen

           Rechts(un)sicherheit                                                         Technologiewettlauf
                                                                                               und
                                                                                       Machtkonzentrationen
                                                INTERNATIONALES
                                                     UMFELD

                              Wichtigkeit                                    Geschwindigkeit
                            privater Akteure                                  des digitalen
                                                                               Fortschritts
Grafik 3: Das internationale Umfeld (Quelle: EDA).

Geopolitik und autoritäre Tendenzen

Die anhaltenden globalen Machtverschiebungen haben eine          Machterhalt von Regierungen in mehreren Ländern steigt.
zunehmende politische Fragmentierung mit sich gebracht. Die      In diesem polarisierten Kontext zeichnet sich allmählich ein
Renaissance der Geopolitik manifestiert sich auch im digitalen   europäischer Weg ab, der die Nutzung des wirtschaftlichen
Raum. Sie birgt zum Beispiel die Gefahr sich voneinander         und gesellschaftlichen Potenzials der Digitalisierung unter
abkoppelnder Netzwerke und damit einer Schwächung des            grösstmöglicher Wahrung der individuellen Rechte ermög-
offenen, weltumspannenden Internets. Deglobalisierungs-          lichen will.
tendenzen auch im Zuge von Covid-19 leisten zudem einer
Regionalisierung im Zeichen konkurrierender Wirtschafts-,
Entwicklungs- und Gesellschaftssysteme Vorschub. Das
liberal-demokratische Modell bleibt zwar erfolgreich, steht
aber zunehmend unter Druck. Autoritäre Tendenzen und
Modelle, welche Entwicklung und Wohlstand nicht mit indivi-
duellen Rechten sowie politischem und gesellschaftlichem
Pluralismus verbinden, nehmen in vielen Regionen der Welt
zu. Auch der Missbrauch digitaler Technologien etwa für den

6          Internationales Umfeld
Technologiewettlauf und                                           Wichtigkeit privater Akteure
Machtkonzentrationen
                                                                  Mit der Kommerzialisierung des Internets ist auch der Einfluss
Es gibt Anzeichen für einen Technologiewettlauf, insbe-           von privatwirtschaftlichen Akteuren gestiegen. So werden
sondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz.9 Denn Daten       oft nicht nur technische Komponenten von privaten Körper-
werden zu einer strategischen Ressource und zu einem              schaften geliefert, sondern auch die Telekommunikations-
zentralen Rohstoff der digitalisierten Wirtschaft. Ihnen          dienstleistungen vielerorts durch den Privatsektor erbracht.
kommt eine Schlüsselrolle zu, da sich durch ihre Verknüpfung      Bei der Erbringung einiger digitalen Dienstleistungen hat ein
schnellere und genauere Vorhersagen machen lassen. Sie            Prozess der Konzentration stattgefunden: Grosskonzerne
haben damit das Potenzial, bestehende Machtkonstellationen        amerikanischer Provenienz aber auch asiatische Konkur-
zu verändern. Die wachsende Datenkonzentration in den             renten haben dominierende Stellungen errungen und setzen
Händen weniger Länder oder Unternehmen bringt zudem               ihre Standards durch. Mittels ihrer Allgemeinen Geschäftsbe-
neue politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten mit sich.      dingungen können sie den Alltag von Milliarden von Nutze-
Einem gleichberechtigten Zugang zur Netzinfrastruktur und         rinnen und Nutzern beeinflussen. Die Politik der einzelnen
-geschwindigkeiten kommt deshalb eine bedeutende Rolle            Staaten hält mit diesen Entwicklungen kaum Schritt. Der
zu (Netzneutralität).                                             Einbezug des Privatsektors, sowie der Zivilgesellschaft und
                                                                  der technischen und akademischen Gemeinschaft, bei allen
                                                                  Gouvernanzfragen sowie in der Politikausgestaltung ist daher
Geschwindigkeit des digitalen Fortschritts                        zentral.

Wie kaum ein anderer Prozess in der Menschheitsgeschichte
vollzieht sich die Digitalisierung mit einer bemerkenswerten      Rechts(un)sicherheit
Geschwindigkeit. Während das Radio und das Fernsehen
38 beziehungsweise 13 Jahre benötigten, um 50 Millionen           Während die Regulierung des digitalen Raumes in verschie-
Nutzerinnen und Nutzer zu gewinnen, brauchte das Internet         denen Staaten und teils auch regional voranschreitet,
dafür gerade einmal vier Jahre. Auch das Smartphone prägte        bleibt das internationale Regelwerk für den digitalen Raum
die Welt innerhalb eines Jahrzehnts stark. Anders als früher      lückenhaft. Zwar gibt es bestehende multilaterale Regeln,
sind technologische Errungenschaften heute oftmals fast           die weitgehend vor der Digitalisierung geschaffen wurden
überall gleichzeitig verfügbar. Die Entwicklungen in Bereichen    und grundsätzlich auch im digitalen Raum gelten. Indes
wie dem Cloud-Computing, maschinellem Lernen und der              besteht hinsichtlich deren konkreter Anwendung oftmals
Automatisierung verlaufen rasant: mit weiteren, teilweise         Unsicherheit oder Uneinigkeit, da sie bezüglich konkreter
disruptiven Veränderungen ist zu rechnen. Hinsichtlich der        Sachverhalte vielfach auslegebedürftig sind. Es sind aber viele
Vierten Industriellen Revolution wird von Expertinnen und         Prozesse im Gang, bei denen zahlreiche Akteure spezifische
Experten erwartet, dass sie frühere Revolutionen nicht nur        Regeln und Standards für den digitalen Raum entwickeln.
an Geschwindigkeit übertreffen wird, sondern auch in ihrem        Somit überlagern sich alte und neue Instrumente mit unter-
Ausmass und in ihrer Wirkung auf die wirtschaftlichen,            schiedlichen Verbindlichkeitsgraden und Geltungsbereichen.
sozialen und politischen Systeme.                                 Dies kann zu Rechtsunsicherheit und diskriminierenden
                                                                  Massnahmen führen, was Investitionen und Innovation
                                                                  verhindert. Zudem führt diese Situation zu Unklarheiten
                                                                  betreffend die Verantwortlichkeiten im digitalen Raum.
                                                                  Mächtige Staaten setzen ihre Positionen vermehrt bilateral,
                                                                  wenn nicht sogar unilateral, durch, und internationale Organi-
                                                                  sationen sind oft nicht in der Lage, Völkerrechtsverstösse zu
                                                                  ahnden. Rechtskollisionen und zwischenstaatliche Rechts-
                                                                  streitigkeiten dürften entsprechend künftig zunehmen.

9   Vgl Die Schweiz in der Welt 2028: Bericht der Arbeitsgruppe
    «Aussenpolitische Vision Schweiz 2028 », 2. Juli 2019.

                                                                                                Internationales Umfeld         7
4 Aktionsfelder

Aus dem beschriebenen Umfeld und basierend auf den                                zu nutzen, auf bestehende Stärken aufzubauen sowie mit
erwähnten schweizerischen Interessen und Werten im digitalen                      gezielter Schwerpunktbildung aussenpolitische Initiativen zu
Raum können verschiedene Aktionsfelder für die schweizerische                     verfolgen. Die Kohärenz nimmt hierbei, wie in der Aussenpoli-
Digitalaussenpolitik abgeleitet werden. Ihre Umsetzung fordert                    tischen Strategie 2020–2023 erläutert, eine zentrale Rolle ein.
alle Departemente und bedingt eine verstärkte interdeparte-
mentale Zusammenarbeit. Es gilt technische mit politischen                        Folgende Aktionsfelder stehen für die schweizerische Digital-
Erwägungen zu verknüpfen, Risiken zu mindern und Chancen                          aussenpolitik in der aktuellen Legislatur im Vordergrund:

4.1 Digitale Gouvernanz
Gerade ein globales Phänomen wie die Digitalisierung bedarf                       zur Cybersicherheit zustande kommt, ist vor dem Hintergrund
eines internationalen Regelwerks. Ein solches Regelwerk                           der internationalen Grosswetterlage wenig wahrscheinlich.
besteht aus rechtlich verbindlichen sowie nichtverbindlichen                      Namentlich westliche Staaten befürchten, dass ein neues
Instrumenten. Zu den rechtlich verbindlichen Instrumenten                         völkerrechtliches Instrument den Grundsatz schwächen
zählen die Staatsverträge und das Völkergewohnheitsrecht.                         könnte, wonach das geltende Völkerrecht in seiner Gesamtheit
Rechtlich nichtverbindliche Instrumente umfassen z.B. Soft                        Anwendung auf den digitalen Raum findet. Die Idee einer
Law, Best Practices, technische Standards oder Benchmarks.                        Digital Geneva Convention hat deshalb bisher weder von
                                                                                  Seiten der Regierungen noch von Wirtschaft, Wissenschaft
Als international stark vernetztes Land mit beschränkten                          oder der Zivilgesellschaft genügend Unterstützung erhalten.
machtpolitischen Möglichkeiten ist die Schweiz auf das
Völkerrecht angewiesen. Auch hinsichtlich ihrer aussenwirt-                       Bei der Weiterentwicklung der Regeln und Normen zeigen
schaftlichen Interessen ist sie darauf angewiesen, dass im                        sich verschiedene Herausforderungen: In den letzten Jahren
digitalen Raum Rechtssicherheit und ein Level-Playing-Field                       hat sich innerhalb der Staatengemeinschaft zunehmend eine
bestehen, die einen freien Wettbewerb ermöglichen.10 Auf                          Polarisierung bemerkbar gemacht: Es zeigen sich Meinungs-
globaler Ebene besteht grundsätzlich Einigkeit, dass die völker-                  verschiedenheiten zwischen Ländern, welche ein staatsgetrie-
rechtlichen Regeln auch auf den digitalen Raum anwendbar                          benes und zentralisiertes Verständnis des digitalen Raumes
sind, wie dies auch in den Bereichen Handel, Wahrung der                          befürworten und solchen, welche für ein dezentrales Modell
internationalen Sicherheit oder Schutz der Menschenrechte                         einstehen. Gleichzeitig werden viele der Fragestellungen in
gilt. Das internationale Regelwerk muss somit nicht gänzlich                      unterschiedlichen Foren aufgenommen und damit in thema-
neu geschaffen werden: Die bestehenden Normen müssen                              tischen Silos behandelt. Bei neu aufkommenden Themen mit
vielmehr konkretisiert, aufeinander abgestimmt und weiter-                        entsprechendem Positionierungspotenzial wie beispielsweise
entwickelt werden. Internationale Gouvernanzstrukturen sind                       KI werden vielfach ad-hoc-Prozesse gestartet, um Regeln zu
hierfür essentiell, damit alle wichtigen Akteure in die Arbeiten                  entwickeln, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Auch ist
zur Ausgestaltung des internationalen Regelwerks und der                          die Legitimität solcher Prozesse teils fragwürdig und das Risiko
Zusammenarbeitsmechanismen eingebunden werden.                                    sich widersprechender Regeln hoch.11 Die Akteure können
                                                                                  selektiv die für sie vorteilhaftesten Prozesse und Lösungen
Einem umfassenden und rechtlich verbindlichen Instrument                          wählen (sogenanntes forum shopping), was die Fragmentie-
zur Regulierung des digitalen Raums, wie im Postulat vorge-                       rungstendenz verstärkt. Für die Schweiz ist es wichtig, dass
schlagen, steht der Bundesrat skeptisch gegenüber. Dass in                        Prozesse und Strukturen bestehen, die es möglichst allen
absehbarer Zeit ein zwischenstaatlicher bindender Vertrag                         Ländern ermöglichen, sich substanziell einzubringen. Dies
                                                                                  ist eine Grundvoraussetzung für eine faire, legitimierte und
                                                                                  nachhaltig akzeptierte Lösungsfindung.

10 Im Bereich des internationalen Wirtschafts- und Handelsrechts setzt sich die
   Schweiz in verschiedenen Fora für die Weiterentwicklung der rechtlichen
   Rahmenbedingungen hinsichtlich der Herausforderungen der Digitalisierung
   ein. Vgl. Digitalisierung und Aussenwirtschaft, Schwerpunktkapitel
   des Berichtes des Bundesrates zur Aussenwirtschaftspolitik 2019 vom            11 Die UNO zählte 2020 rund 160 verschiedene ethische KI-Grundsätze von
   15. Januar 2020, SR 20.008.                                                       Organisationen und Ländern weltweit.

8            Aktionsfelder
Themenbereiche

1. Massvolle Regulierung                                           3. Internationales Genf
   Wenn immer möglich sollen nicht neue Regeln kreiert,               Der Bundesrat ist gemäss Aussenpolitischer Strategie
   sondern die bestehenden auf den digitalen Raum                     2020–2023 bestrebt, die Schweiz und namentlich das
   angewandt werden. Erst wenn sich abzeichnet, dass das              Internationale Genf als führenden Standort der Digita-
   bestehende internationale Regelwerk Lücken aufweist,               lisierungs- und Technologiedebatten zu positionieren.
   setzt sich die Schweiz für die Schaffung ergänzender               Er setzt sich dafür ein, dass institutionelle Pfeiler einer
   oder zusätzlicher Regeln ein. Dies verhindert, dass einer-         zukünftigen digitalen Gouvernanzarchitektur in Genf
   seits unnötig reguliert oder sogar überreguliert wird und          angesiedelt werden und bestehende Institutionen, wie
   andererseits das bestehende Völkerrecht unterminiert               beispielsweise das Sekretariat des UN Internet Governance
   wird. Eine Norm gilt so lange, wie in Kraft und nicht              Forum (IGF), gestärkt werden. Mit dem CERN hat das
   anderslautend geändert, beziehungsweise ergänzt. Die               internationale Genf bereits massgeblich die Entwicklung
   Schweiz setzt sich in diesen Prozessen als konstruktive            des Internets mitinitiiert. Mit der Geneva Internet Platform
   Kraft ein, um die praktische Anwendung bestehender                 (GIP) bietet sie verschiedenen Akteuren ein wichtiges
   völkerrechtlicher Normen zu konkretisieren. Sie verfolgt           Instrument, um ihre Expertise zu digitalen Themen
   das Prinzip der Technologieneutralität: Der Fokus liegt auf        auszubauen und dadurch eine zielgerichtete digitale
   der Regelung des Verhaltens der Akteure und nicht auf der          Politikdiskussion zu fördern. Die Position des GIP soll im
   Technologie selbst. Die Schweiz setzt sich für massvolle           Rahmen der Umsetzung der Roadmap des UNO-General-
   Ansätze ein, die das Potenzial neuer Technologien fördert,         sekretärs weiter gestärkt werden. Ebenfalls soll der
   diese nicht hemmt und gleichzeitig spezifischen Risiken            Multistakeholder-Ansatz gefördert werden, damit neben
   entgegenwirkt.                                                     Regierungen auch die Wirtschaft, die Wissenschaft, Zivil-
                                                                      gesellschaft und technische Expertinnen und Experten in
2. Kapazitätsaufbau                                                   die digitale Gouvernanz eingebunden werden. Das inter-
   Die Schweiz unterstützt den Kapazitätsaufbau in Entwick-           nationale Genf hat bereits in verschiedenen Themenfelder
   lungsländern im Bereich der digitalen Technologien                 akteurübergreifende «Ökosysteme» angestossen und ist
   und der Cybersicherheit. Damit Staaten die erarbeiteten            diesbezüglich gut positioniert. Diesen Vorteil gilt es weiter
   Normen und Regeln umsetzen können und damit ihren                  auszubauen.12
   Bürgerinnen und Bürgern sowie den auf ihrem Territorium
   niedergelassenen Ausländerinnen und Ausländern der              4. Wissenschaftsdiplomatie
   Nutzen der Digitalisierung zu Gute kommt, müssen sie               Der Austausch zwischen regelsetzenden sowie techno-
   dazu notwendige Kapazitäten besitzen. Dies beinhaltet              logieentwickelnden Akteuren wird immer wichtiger.
   einerseits Fähigkeiten zur Erarbeitung von Strategien und          Vor allem in Foren der internationalen Gouvernanz sind
   Politiken, andererseits spezifische technische Expertise. Die      Letztere aufgrund historisch eingespielter Abläufe und
   Schweiz arbeitet hierbei eng mit multilateralen Partnern           Strukturen noch zu wenig präsent. Mit der Etablierung
   wie den Entwicklungsbanken zusammen.                               des Geneva Science and Diplomacy Anticipators (GESDA)
                                                                      fördert der Bundesrat gezielt den Austausch zwischen
                                                                      wissenschaftlicher und diplomatischer Expertise zu den
                                                                      gesellschaftlichen Herausforderungen neuer Techno-
                                                                      logien, darunter insbesondere im Bereich der Digitali-
                                                                      sierung. Das EDA unterstützt zudem Initiativen wie das bei
                                                                      der Universität Genf angesiedelte Geneva Science-Policy
                                                                      Interface (GSPI), welches die Vernetzung der Hochschulen
                                                                      in Genf mit internationalen Akteuren fördert.

                                                                   12 Vgl. Anhang 5.

                                                                                                          Aktionsfelder          9
4.2 Wohlstand und nachhaltige Entwicklung
Die Digitalisierung bietet besonders für exportorientierte, ressour-   um die Ziele gemäss IZA-Strategie 2021-2024 und im Sinne der
cenarme und damit von Innovation abhängige Länder wie die              Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Das
Schweiz neue Möglichkeiten. Der Wirtschafts- und Forschungs-           EDA fasst das Engagement zur Nutzung des vollen Potenzials
standort Schweiz soll auch in Zukunft zu den wettbewerbsfä-            neuer Technologien in der Armutsbekämpfung unter dem
higsten der Welt gehören. Für die Schweiz als hochentwickelte          Stichwort tech4good zusammen.
und global vernetzte Volkswirtschaft bietet die Digitalisierung
auch in ausländischen Absatzmärkten Chancen und bietet                 Zweites geht es um die digitale Transformation der Partner-
ihr Zugang zu hochwertigen digitalen Dienstleistungen. Die             länder, damit diese in Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung
globalen Wertschöpfungsketten, in welche die schweizerische            die Digitalisierung zum Vorteil der gesamten Wohnbevölkerung
Wirtschaft überdurchschnittlich integriert ist, sind zunehmend         nutzen. Dabei zeigen sich verschiedene Herausforderungen: So
von der Digitalisierung geprägt. Um deren effizientes Funktio-         kann die Digitalisierung disruptiv wirkende Technologiesprünge
nieren sicherzustellen und den Handel mit Waren und Dienst-            bewirken, die vor allem die Automatisierungswahrscheinlichkeit
leistungen möglichst diskriminierungsfrei zu gestalten, spielen        von Routinetätigkeiten erhöhen und in diesen Bereichen Arbeits-
global einheitliche Regeln etwa zum grenzüberschreitenden              plätze gefährden. Gleichzeitig führt der Wandel aber zu neuen
Datenverkehr eine zentrale Rolle. Ebenso wichtig sind ein hohes        Beschäftigungsmöglichkeiten. Zudem verschliessen Faktoren
Schutzniveau für Personendaten, der Schutz des geistigen               wie ein fehlender Zugang zu Internet, zu Information und zu
Eigentums und der Schutz von Unternehmen und Infrastruk-               Technologien, hohe Kosten oder mangelnde Kompetenzen zur
turen vor Cyberangriffen und Wirtschaftsspionage. Es sollen            Nutzung von Anwendungsmöglichkeiten vielen Menschen in
möglichst global wirksame Standards in den Bereichen Daten-            Entwicklungsländern das Potenzial, diese Technologien erfolg-
schutz und -sicherheit erzielt werden.                                 reich zu nutzen. Gemäss UNO haben aktuell lediglich 19 Prozent
                                                                       der Bevölkerung in den wenigsten entwickelten Ländern Zugang
Auch regionale Ansätze zur Regulierung des digitalen Raums,            zum Internet (in entwickelten Ländern sind es 87 Prozent).13
insbesondere auf europäischer Ebene, spielen eine bedeutende           Das grösste Hindernis bilden weiterhin zu hohe Kosten für
Rolle für die Schweiz: Sie hat ein Interesse daran, dass durch         Mobil- und Telekommunikation. Die UNO ruft deshalb zu einer
abweichende Standards keine Handelshemmnisse entstehen.                verstärkten Zusammenarbeit mit Investoren auf.
Nicht nur der Datenverkehr, sondern auch der Zugang zu Big
Data ist für Forschung und Innovation von zunehmender                  Im Rahmen der IZA sollen letztlich die Kompetenzen der
Relevanz. Die Schaffung transparenter Strukturen für die Daten-        Menschen vor Ort zur Nutzung entwicklungsrelevanter Anwen-
nutzung und -weitergabe ist deshalb essentiell, um innovative          dungsmöglichkeiten gestärkt werden. Ein ungleicher Zugang
Anwendungen zu ermöglichen und die Wertschöpfung zu                    zum Internet birgt das Risiko, dass sich soziale und wirtschaft-
erhöhen.                                                               liche Ungleichheiten in und zwischen den Ländern weiter
                                                                       verschärfen (Digital Divide) – diese hemmen das Entwicklungs-
Der rasche Austausch von Informationen und Daten ermöglicht            potenzial. Insbesondere in den am wenigsten entwickelten
wissenschaftliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innova-       Ländern aber auch in mittleren Einkommensländern öffnet sich
tionen, die in unterschiedlichen Bereichen angewandt werden.           ein Gender Gap: im Vergleich zu den Männern haben in den
Dies trägt auch massgeblich zur universellen Umsetzung der             wenigsten entwickelten Ländern bei den Frauen 43 Prozent
Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sowie zur Messbarkeit          weniger Personen Zugang zum Internet.14
der Fortschritte in der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele bei.
Dabei ist die Realisierung unter anderem auch abhängig von             Die Schweiz setzt sich bei der Weltbank, dem Internationalen
einem breitflächig funktionierenden digitalen Netz, welches den        Währungsfonds, der OECD sowie bei den regionalen Entwick-
Zugriff möglichst vieler Nutzerinnen und Nutzer sowie einen            lungsbanken dafür ein, dass die Chancen der neuen Technologien
gleichberechtigten Zugang zu Daten als wichtigem Rohstoff              genutzt werden. Die Schweiz profitiert vom Wissensaustausch
digitaler Innovation ermöglicht. Der grenzüberschreitende              mit diesen Organisationen im Bereich der Digitalisierung.
Datenverkehr soll möglichst ungehindert erfolgen können.
                                                                       Neben dem Potenzial im Entwicklungsbereich haben techno-
Die Digitalisierung hat das Potenzial grundlegende wirtschaft-         logische Entwicklungen auch immer einen erheblichen Einfluss
liche und gesellschaftspolitische Änderungen herbeizu-                 auf die Umwelt gehabt. Dies gilt auch für die Digitalisierung.
führen. Deshalb wurde sie als einer der Schwerpunkte in der            Neben Risiken durch erhöhten Ressourcen- oder Energiever-
IZA-Strategie 2021–2024 festgelegt. Die digitale Technologie ist       brauch bietet die Digitalisierung jedoch auch neuartige Möglich-
dabei unter zwei Gesichtspunkten entwicklungsrelevant:                 keiten des Umweltmonitoring, der Ressourcenverteilung oder
                                                                       der nachhaltigen Wirtschaftsgestaltung.
Erstens geht es um die Nutzung von digitalen Hilfsmitteln im
Dienste der Projekte und Programme der IZA, um die Entwick-
lungsziele besser, effizienter und schneller zu erreichen. Digitale
Daten und Anwendungen treiben weltweit entwicklungsrele-
vante und humanitäre Innovationen voran. Dabei stehen der              13 Road Map UNO-Generalsekretär, S. 6.
Nutzen für die Menschen und ihre Bedürfnisse im Zentrum,               14 Road Map UNO-Generalsekretär, S. 11, sowie OHCHR HRBDT Submission

10         Aktionsfelder
Themenbereiche

1. Grenzüberschreitender Datenfluss und digitaler                   4. Nutzung innovativer Technologien für nachhaltige
   Handel                                                              Entwicklung / Tech4good
   Die Regulierung der digitalen Wirtschaft entwickelt sich            Die Schweiz nutzt digitale Anwendungen zur Förderung
   weltweit rasch und uneinheitlich, auf nationaler wie auch           von Wohlstand und nachhaltiger Entwicklung. Sie stärkt
   regionaler Ebene; Die Entwicklung gemeinsamer Minimal-              im Bereich Sustainable Finance ihre Position als führender
   standards wird daher zentral, um möglichst gleiche Bedin-           Standort in der Nutzung digitaler Technologien. Im Bereich
   gungen für alle Marktteilnehmenden zu schaffen. Die                 der IZA gibt es bedeutsame Anwendungsmöglichkeiten:
   Schweiz setzt sich deshalb beispielsweise in den seit Mai           Mit Fintech-Lösungen können etwa Kleinbäuerinnen und
   2019 laufenden Verhandlungen zu einer plurilateralen                -bauern auch aus abgelegenen Regionen Überweisungen
   Initiative zur Klärung und Ergänzung der WTO-Regeln                 mit dem Mobiltelefon tätigen. Mit digitalen Anwen-
   bezüglich des digitalen Handels ein. Ziel der Verhandlungen         dungen kann die politische Partizipation verbessert und
   ist es, den digitalen Handel zu fördern, indem unnötige             die öffentliche Verwaltung effizienter, transparenter und
   Handelshemmnisse und ungerechtfertigter Protektionismus             benutzerfreundlicher gestaltet werden. In Entwicklungs-
   vermieden und gleichzeitig gemeinsame Grundprinzipien               ländern können KMU dank Digitalisierungsprozessen
   für die innerstaatliche Regulierung entwickelt werden.              besser in internationale Wertschöpfungsketten und
   Auch im Rahmen des Europarats hat sich die Schweiz aktiv            Handelssysteme integriert werden. Dank Satelliten- oder
   für die Modernisierung der Datenschutz-Konvention der               Drohnendaten können Naturkatastrophen genauer vorher-
   Organisation eingesetzt.                                            gesagt und Versicherungen gegen Ernteschäden besser
                                                                       berechnet werden. In der Friedensförderung können Big
2. Vertrauenswürdige Datenräume                                        Data-Analysen helfen, Konfliktsituationen frühzeitig zu
   Die Schweiz ist auf den Zugang zu qualitativ hochwer-               erkennen, und in der humanitären Hilfe bedeutet Digitali-
   tigen Daten angewiesen, um innovative Anwendungen                   sierung schneller und effizienter Leben retten und Leiden
   zu entwickeln und den Forschungsstandort zu stärken.                lindern. In Krisen lassen sich die Bedürfnisse der Menschen
   Viele dieser Daten sind heute in der Hand von wenigen               präziser und rascher identifizieren und beantworten: Die
   Akteuren. Dies hemmt die Innovationskraft und den freien            Suche nach vermissten Personen kann beispielsweise
   Wettbewerb. Die Schweiz bringt sich deshalb international           mittels digitalen Technologien erleichtert werden. Mit der
   in die Schaffung vertrauenswürdiger dezentraler Daten-              Ermöglichung sicherer und vertrauenswürdiger Datenspei-
   räume ein. Das Ziel ist es, innovative Modelle der Daten-           cherung und mit der Humanitarian Data and Trust Initiative
   wirtschaft mitzugestalten, die qualitativ hochwertige               für den verantwortungsvollen Umgang mit humanitären
   Daten und Datenräume generieren, und diese für                      Daten möchte die Schweiz ihr Profil weiter schärfen.
   Akteure in der Schweiz zugänglich zu machen (vgl. auch
   Aktionsfeld digitale Selbstbestimmung).                          5. Verfügbarkeit und Kompatibilität von Daten
                                                                       Die Schweiz setzt sich für eine engere Zusammenarbeit
3. Fintech                                                             zwischen der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor
   Digitale Finanztechnologie und -währungen bergen ein                ein, um Datensätze und Schnittstellen zu vereinheitlichen
   grosses Potenzial für den Finanz- wie auch den Werkplatz            und Daten besser nutzbar zu machen. Sie fördert auch
   Schweiz. Ihre Anwendung wird nicht nur in der IZA an                die Verlässlichkeit, Kompatibilität und Vergleichbarkeit von
   Bedeutung gewinnen. Sie tragen bei zur Wettbewerbs­                 Daten. Präzise und zeitnahe Informationen sind essentiell
   fähigkeit des Finanzplatzes Schweiz und stärken seine Rolle im      für eine faktenbasierte und wirksame internationale Politik-
   globalen Wirtschaftssystem. Sie können auch den Einbezug            gestaltung in allen Bereichen, wie Frieden und Sicherheit,
   grösserer Bevölkerungsteile ins Bankensystem fördern und            nachhaltige Entwicklung und humanitäre Hilfe.
   damit beitragen, den informellen Sektor zu reduzieren. So
   könnten zum Beispiel künftig auf Basis von Blockchain bzw.
   Distributed Ledger-Technologie kostengünstige Dienst-
   leistungen bereitgestellt werden, mit denen Arbeitsmig-
   rantinnen und -migranten ihren Familien einfacher als bisher
   grenzüberschreitend Geld überweisen können. Auch für
   KMU bieten innovative Finanztechnologien und -dienstleis-
   tungen einfacheren Zugang zu Finanzierung. Zudem können
   neue Finanzierungsmodelle die Wettbewerbsfähigkeit von
   KMU und Start-ups stärken. Die Schweiz setzt sich mit ihrer
   Expertise dafür ein, das Potenzial solcher Anwendungen
   zu nutzen und gleichzeitig die Risiken zu minimieren. Die
   Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft ist letztlich ein
   wichtiger Fokus in der OECD, an dessen entsprechenden
   Arbeiten die Schweiz aktiv teilnimmt. Sie wirkt darauf hin,
   dass die Besteuerung grundsätzlich weiterhin am Ort der
   leistungsbezogenen Wertschöpfung erfolgt.

                                                                                                           Aktionsfelder        11
4.3 Cybersicherheit
Cyberspionage, Angriffe auf kritische Infrastrukturen, digitale    Für Länder wie die Schweiz ist eine Abschottung vom
Kriminalität, Desinformation und Propaganda nehmen im              globalen Netz nur schon aus Fragen der Grösse und Wettbe-
digitalen Raum zu. So verursachten Cyberangriffe 2018              werbsfähigkeit keine Option. So betrifft die Cybersicherheit
Schäden von über 45 Milliarden US Dollar weltweit.15               die Schweiz in zweierlei Hinsicht: Einerseits für die Gewähr-
Aufgrund zunehmender gesellschaftlicher, wirtschaftlicher          leistung der physischen und datenbezogenen Sicherheit
und individueller Abhängigkeit von digitalen Systemen              ihrer Bürgerinnen und Bürger im In- und Ausland, ihre Insti-
wächst die Verwundbarkeit. Dies bedeutet ein zusätzliches          tutionen, Unternehmen und Organisationen, andererseits
Sicherheitsrisiko für die Schweiz, ihre Bürgerinnen und            für die Sicherstellung und den Zugang zu einem möglichst
Bürger, ihre Institutionen und deren Dienstleistungen sowie        offenen, freien und sicheren Internet. Die Nationale
hier ansässige Unternehmen und Organisationen. Die Vulne-          Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken enthält
rabilität schwächt auch das Vertrauen in diese Netzwerke.          Massnahmen zur Prävention, zur Bewältigung von Vorfällen,
Staaten versuchen sich zunehmend Kontrollrechte über ein           zur Verbesserung der Resilienz gegenüber Cyberrisiken und
eigentlich global gedachtes Netz zu sichern, womit dessen          zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit.
Offenheit zunehmend beschränkt wird und Vertrauen
verloren geht.

Der digitale Raum wird vermehrt zu einem Feld militärischer
Operationen. Die weltweite Vernetzung, die Komplexität
und Anonymität des Internets und die stetige Zunahme von
Nutzerinnen und Nutzern erhöht zudem das Risiko krimineller
Aktivitäten. Innovationsstarke Länder wie die Schweiz sind
von diesen Risiken, wie auch von der Wirtschaftsspionage,
überproportional betroffen. Zunehmende nachrichtendienst-
liche Cyber-Aktivitäten bergen letztlich die Gefahr einer
Beeinflussung politischer Prozesse. Alleine das Potenzial dieser
Angriffe kann das grundsätzliche Vertrauen in die Netzwerke
und in Folge in die politischen und wirtschaftlichen Struk-
turen eines Landes schwächen. Im Rahmen zunehmender
geopolitischer Spannungen verstärken sich diese Tendenzen.

15 Cyber Incident & Breach Trends Report 2018

12           Aktionsfelder
Themenbereiche

1. Konkretisierung völkerrechtlicher Normen                      3. Vertrauensbildende Massnahmen
   Die Schweiz will die Cybersicherheit stärken und völker-         Durch vertrauensbildende Massnahmen werden Trans-
   rechtliche Normen konkretisieren. Die UN-GGE erarbeitete         parenz und Kooperation unter Staaten gefördert, um
   2015 elf sogenannte freiwillige Normen für verantwor-            potenzielle Missverständnisse und Eskalationen im
   tungsvolles Staatenverhalten im digitalen Raum. Diese            digitalen Raum zu vermeiden. Es geht beispielsweise
   Normen ergänzen bestehendes Völkerrecht. Die Schweiz             um den Informationsaustausch über bevorstehende
   setzt sich für die umfassende Anerkennung, Einhaltung            oder aktuelle Cyber-Operationen. Mit ihrer Neutralität
   und Durchsetzung des Völkerrechts im digitalen Raum ein.         und mit ihrer Geschichte als Standort von Friedensge-
   Sie klärt die konkrete Anwendung der Regeln auf natio-           sprächen kann die Schweiz eine wichtige Rolle für die
   naler Ebene und im Austausch mit anderen Staaten. Auch           Umsetzung vertrauensbildender Massnahmen im digitalen
   das humanitäre Völkerrecht besitzt weiterhin Gültigkeit.         Raum einnehmen. Um die Umsetzung der bestehenden
   Die Schweiz ist hier mit ihrer humanitären Tradition gut         Massnahmen zu fördern, werden Erfahrungen auf regio-
   positioniert, sich glaubwürdig bei der Konkretisierung der       naler Ebene, wie zum Beispiel innerhalb der Organisation
   anwendbaren Regeln im digitalen Raum einzubringen.               für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) genutzt. Der
   Unter anderem strebt sie eine engere Zusammenarbeit mit          dort entwickelte Massnahmenkatalog wurde massgeblich
   dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) für           von der Schweiz mitgeprägt und von allen 57 Teilnehmer-
   den Schutz der Zivilpersonen im digitalen Raum während           staaten genehmigt.
   bewaffneten Konflikten an.
                                                                 4. Gute Dienste
2. Einbezug privater Akteure                                        Für die Schweiz ergeben sich grosse Chancen im Bereich
   Auf globaler Ebene besteht kein Konsens über verbind-            der Guten Dienste. Hier kann die Schweiz als nicht EU-
   liche Verhaltensnormen und Verantwortlichkeiten im               und nicht NATO-Land ihre Erfahrung und Glaubwür-
   digitalen Raum, was nachteilig ist für die Cybersicherheit.      digkeit aus der offline in die online Welt übertragen.
   Staaten können die Sicherheit, Freiheit und die Stabilität       Sie muss die hierfür notwendigen Kompetenzen stärken
   des digitalen Raums nicht alleine garantieren; Privatwirt-       bzw. aufbauen. Eine wichtige Rolle spielt das Interna-
   schaftliche Akteure prägen diese durch ihre Produkte             tionale Genf. Angesichts der zunehmenden Blockbildung
   und Dienstleistungen entscheidend mit. Die Schweiz               und Tendenz in Richtung digitaler Geopolitik braucht es
   fördert deshalb auch hier den Multistakeholder-Ansatz.           vermittelnde Stimmen, die Vertrauen schaffen, bezie-
   So lancierte sie Anfang 2018 den Geneva Dialogue on              hungsweise einen vertrauensvollen Rahmen bereitstellen,
   Responsible Behaviour in Cyberspace und baut nun einen           um über Cybersicherheit zu diskutieren. In der Friedens-
   global breit diversifizierten Dialog zwischen Unternehmen        förderung fördert die Schweiz die Entwicklung und den
   auf. Ziel dieses Dialogs sind gute Praktiken und Verhal-         verantwortungsbewussten Einsatz digitaler Technologien
   tensweisen unter anderem im Bereich der Resilienz von            («peacetech»).
   Produkten. Die Schweiz schliesst damit eine Lücke, da es
   bislang keinen derartig global aufgestellten Dialog gab.

                                                                                                     Aktionsfelder       13
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