Mord zum Ausleihen 3 Blutrote Perlen in der Saison 2021/22
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Mord zum Ausleihen 3 Blutrote Perlen in der Saison 2021/22 Ausgewählt und gelesen von: Johannes Kößler Seeseiten Buchhandlung OG Janis-Joplin-Promenade 6/5/EG/1 | 1220 Wien 01/2531520 | buchhandlung@seeseiten.at Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | wwwbuchhandlung@seeseiten.at 1 www.seeseiten.at
Johannes Kößler • GF Seeseiten Buchhandlung • Hardboiled, Urban Fantasy, Noir und Bücher, die mich überraschen • 39 Jahre • Mein erster Detektiv war Kommissar Kugelblitz.
Geschäftspartnerin Bettina Wagner - Verlagsvertreterin Diogenes Verlag - Gründerin Seeseiten Buchhandlung
Der Detektivkoffer (Meine Empfehlungen und Kategorien zur Bewertung) Ort: sofern angegeben und relevant LitQual: Sprachliche und literarische Qualität: 1-3 Blut: Wie blutig ist der Krimi? 1-3 Lesbarkeit: Lesevergnügen und Lesefluss: 1-3 Kürzel (Kategorie): Schlüssel: [(LitQual + Lesbarkeit) : 2] + Sonderwertung Kürzel (Sonderwertung): CC Cozy Crime GT Geheimtipp (+ 0,5) N Noir S Starautor*in (+ 1) Lit Literary Crime LS Laufende Serie (+ 1) D Dramystery SEB Serienbeginn (+ 0,5) PT Psycho / Thriller TV Film oder Serie (+ 0,5) J/P/W/W/T Justiz/Wirtschafts/Wissenschafts Thriller IL Interessante Location (+ 0,5) AT Action Thriller IT Interessantes Thema (+ 0,5) FC Funny Crime BS Verpfuschtes Ende (- 1) FC/R Funny Crime/Regional DS Durchschaubarkeit = Auflösung < 75% Seitenanzahl (- 0,5) Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | 5 www.seeseiten.at
3,5 Richard Osman „Der Donnerstagsmordclub“ Mordclub 1 CC, List Vlg. Ort: Coopers Chase, Kent, GB Klappenbroschur, 458 Seiten Blut: 0 ISBN: 978 3 471 36014 9 LitQual: 2 ET: 05/2021, € 16,50 Lesbarkeit: 3; GT, SEB Eine Seniorenresidenz im beschaulichen England, ein exklusiver EinwohnerInnenclub, der Cold Cases als persönlichen Puzzleersatz benutzt und (ÜBERASCHUNG!) ein wahrer Kriminalfall. Was wie das perfekte Cozy Crime - Rezept aussieht, ist genau das, ein Krimi nach Rezept (siehe Entengleichnis). Während Joyce, Elizabeth, Ron und Ibrahim verzweifelt versuchen, sich über den Status zweidimensionaler Erfüllungsgehilfen hinaus zu entwickeln, entwickelt Richard Osman schon den zweiten Band der Serie. Natürlich geht es um Immobilien, natürlich um Geschichten, aus der Vergangenheit der DetektivInnen und natürlich plänkeln Polizistin und Inspektor mit den SeniorInnen zwischen Geranien, Gicht, tragischen Demenzfällen und Kuchen, wer denn nun genialer ist. Leider erzählt Richard Osman keine logischen Schlussfolgerungen aus, soll heißen, warum ein Charakter etwas findet, bleibt meist unerwähnt, er/sie findet es einfach. Was mit charmantem Fliederduft beginnt, entpuppt sich bald als zweitklassiger Raumspray: Ein Krimi, der vor allem ein medial-nationales Klischee benutzt, eine durcherzählte Aufklärung aber konsequent ignoriert. Nichts desto trotz, kurzweilige Stimmungsbilder kann Showmann Richard Osman (oder welcher Ghostwriter auch immer das Buch geschrieben hat), soll heißen: Gutes Marketing. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 6
S J Bennett 2,75 4,25 „Das Windsor Komplott“ Die Fälle Ihrer Majestät 1 CC, Knaur Vlg. Ort: Windsor Palace, London HC, 320 Seiten Blut: 0 ISBN: 978 3 426 22740 4 LitQual: 2,5 ET: 01/2021, € 18,50 Lesbarkeit: 3; GT, SEB, IT S J Bennett, die in London lebende sympathische, fröhliche und sehr nette Autorin aus Yorkshire (aufgewachsen u.a. in Westberlin mit einem Garten zur Mauer) hat sich dankenswerterweise nach dem Verfassen mehrerer Jugendbücher (Sophia Bennett, u.a. Carlsen) mit Mitte 40 endlich der Unterhaltungsliteratur für Erwachsene zugewandt. Das Ergebnis ist die charmante, witzige und wunderbare Queen-Crime-Serie. Bennett, selbst Jahren Royal Watcher, erzählt den Charakter von HRM mit Respekt, Können, Corgies, Scharfsinn aber vor allem dem für die Queen typischen Persönlichkeitsmerkmal: Haltung. Als ein junger, adretter Pianist und Tänzer russischer Nationalität am Morgen nach einem Empfang in Windsor Palace mit Damenunterwäsche auf dem Kopf in einem Kasten seines Zimmers tot aufgefunden wird – angeblich Tod durch autoerotische Strangulation, versucht die Dienerschaft Ihrer Majestät vor allem eins – dieselbe wie auch die Öffentlichkeit vor der Enthüllung dieses schockierenden Tatbestandes zu bewahren. Was die Öffentlichkeit betrifft ist die Queen natürlich der selben Meinung, Ihre eigene Person betreffend natürlich nicht. Und so betraut HRH Ihre stellvertretende Privatsekräterin mit den königlichen Ermittlungen. Ein absoluter Höhepunkt! So erzählt man Cozy Crime, Richard Osman! Der 2. Teil „Der unhöfliche Tote“ erscheint am 2.11. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 7
Auf www.sjbennettbooks.com stellt die Autorin außerdem eine interaktive Karte des tatsächlichen Windsor Palace sowie zahlreiche Fotos und Materialien für Leseclubs zur Verfügung. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 8
Karsten Dusse „Achtsam morden am Rande 3,5 der Welt“ Achtsam morden 3 FC, Heyne Vlg. Ort: Deutschland/Jakobsweg HC, 380 Seiten Blut: 2 ISBN: 978 3 453 27356 6 LitQual: 2 ET: 04/2021, € 20,60 Lesbarkeit: 3; LS, IL, IT, BS „Indiana Jones“, „Star Wars“ und „Stirb Langsam“ beweisen es: der 3. Teil ist immer besser als der 2. Oder anders gesagt: Bei einer Folge von drei, ist der zweite Teil meistens schlecht, Teil drei aber durchaus wieder ansehnlich. Karsten Dusse, Anwalt und Autor aus Leidenschaft kennt und wendet diese Formel auch bei seiner „Achtsam morden“- Reihe an. Björn Diemel nimmt den Kampf gegen seinen inneren Schweineh- und gegen die Entdeckung, dass er in Wirklichkeit Leiter zahlreicher Verbrechensorganisationen ist, erneut auf, und macht sich auf den (Jakobs-) weg. Verfolgt von vielfältigen Vorfällen mit Todesfolge, ausgerüstet mit keiner Scheu vor schwarzem und blutigem Humor aber auf jeden Fall vor den eigenen Gefühlen und der persönlichen Vergangenheit bestreitet der schreitbare Anwalt und Verbrecherboss zwischen zahlreichen anderen Pilgerarchetypen den Camino. Der Kern der Sache sind dabei die durchaus ernstgemeinten Ratschläge von Diemels Guru. Was im zweiten Teil zu konstruiert daherkam, lässt sich hier wieder luftig kichernd durchschlendern und auch die Gags sind wieder stimmig- und blutiger. Einzig das Ende ist – wie auch im dritten Teil von Indiana Jones, etwas zu pathetisch geraten, nichts desto trotz, der Ruhm Dusses ist ungebrochen und wächst, was wohl auch dazu beigetragen hat, dass der 3. Teil erst in HC erschienen ist. Man darf gespannt sein, um welches Thema sich der vierte dreht, asiatische Martialphilosophie ist mein Tipp. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 9
UMFRAGE: Womit soll sich Björn Diemel im 4. Teil beschäftigen dürfen? 1. Achtsam mord-(Z)en (fernöstliche Philosophie) 1. : 2. Achtsam morden 4 - Ich töte also bin ich (klassisch- 2. : westliche Philosophie) 3. : 3. Achtsam morden, jetzt wird aufgeräumt! (Marie- 4. : Kondo-Magic-Killing) 5. : 4. Achtsam morden: Man sieht nur mit dem Messer gut (Der kleine Prinz will achtsam morden) 5. Achtsam lieben: Liebe dich selbst und es ist egal, wen du tötest (Retten Sie Ihre Ehe mit der Achtsam morden-Ehephilosophie) Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | 10 www.seeseiten.at
1 Bernd Schwarze „Mein Wille geschehe“ FC, Knaur Vlg. Ort: Alsberg, D Broschur, 368 Seiten Blut: 0,5 ISBN: 978-3-426-52752-8 LitQual: 1 ET: 07/21, € 15,50 Lesbarkeit: 2; IT, BS Es ist kurz vor Ostern und Benedikt, der evangelische Pastor, der Petrikirche ist Bedrängnis. Seine Frau hält ihn für einen Versager, seine Chefin und seine Schäfchen ebenso und seine Predigten findet sogar er selber langweilig. Als eine Jugendliche bei ihm nach dem Sakrament der Beichte fragt (im evangelischen unüblich aber nicht unmöglich), fallen die verbliebenen Gläubigen wie ein Mob über ihn her, angeführt vom ekelerregend erfolgreichen Tankstellenkönig des Ortes. Der beichtet dem Pastor in der Sakristei zynisch die Misshandlung seiner eigenen Frau, in die der Pastor sich etwas verguckt hat, sogar ein Video seiner Gräueltaten präsentiert er. Doch da brennen bei Benedikt die Sicherungen durch. Kurzerhand erschlägt er den Grauslichen mit einem Kreuz und versteckt ihn in der kirchlichen Krypta. Doch das Gewissen plagt ihn zu sehr und er gesteht der wunderschönen, frischgebackenen Witwe seine Tat, die ihn tatsächlich vor Dankbarkeit küsst. Gottseidank ist Benedikts Frau bei einer Fortbildung – zufälligerweise mit des Pastors präpotentem Bruder und als dann schließlich noch ein Blutfleck am Auge der Statue des heiligen Petrus entdeckt wird und ein Teil der Gemeinde gar an ein Wunder glauben will, da wird es für Benedikt wirklich eng. Ganz amüsant, jedoch leider mit inkonsequent erzählten Charakteren. Mir ist es zu viel geworden, als dem verzweifelten Pastor am Karsamstag am Abend in einem Wirtshaus ein mysteriöser Zimmermannslehrling das Brot bricht und seinen Wein mit ihm teilt. Ein gutes Geschenk aber bisschen viel Weihrauch für einen Krimi. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 11
DEUTSCHLAND versus ÖSTERREICH Oliver Pötzsch „Das Buch des Totengräbers“ René Anour „Die Totenärztin – Wiener Blut“ CC/R, Ullstein Vlg. Ort: Wien, 1893 CC/R, Rowohlt Vlg. Ort: Wien, 1908 Broschur, 448 Seiten Blut: 2 TB, 416 Seiten Blut & Schleim: 2 ISBN: 978-3-86493-166-6 LitQual: 0,5 ISBN: 978-3-499-00558-9 LitQual: 1 ET: 2021, € 17,50 Lesbarkeit: 1,5; SEB, IT, IL, BS, DS ET: 2021, € 12,40 Lesbarkeit: 2; SEB, IT, IL Ermittelnder: Leopold von Herzfeld, gedisst von seinen Fanny Goldmann, Tochter eines ehemals reichen, doch Kolleg*innen (!) weil er deutscher und jüdischer Herkunft ist, was in Wien keinen schlanken Fuß macht – noch immer nun verwitweten und gesundheitlich stark nicht – kommt frisch nach Wien und stößt, noch bevor er angeschlagenen Wiener Bürgers ist eine der ersten sich melden kann, auf den schrecklichen Fall eines Frauen, die in Wien Medizin studierten. Nichts desto gepfählten Dienstmädchens. Als Deutscher, der noch dazu in trotz ist die einzige Arbeitsstelle, die sie bekommt, die der Steiermark von seinem Mentor in progressiven als Assistentin in der Prosektur und obwohl gstudiert, Methoden ausgebildet wurde, weiß er natürlich nichts von wird sie wie eine Asisstentin behandelt. Als ein der wichtigsten Wiener Umgangsform des „Nach oben Obdachloser eingeliefert wird, bemerkt Fanny seine Buckelns und nach unten Tretens“, stapft so fröhlich von manikürten Hände und sein gepflegtes Gebiss und führt einem Fettnapf in den nächsten und wird bald zur Persona – unerlaubt – eine Obduktion durch. Mithilfe eines non existenzia. Als solcher sucht er sich eine Telefonistin und mysteriösen jungen Mannes und ihrer besten Freundin 1:3 einen Totengräber als Verbündete und klärt den Fall nach kommt sie schließlich einer Verschwörung auf die Spur, allerlei düsterer Alt-Wien-Romantik auf. Ist eh lieb, für die die hässlichste Seite des Wiener Adels entblösst. Wiener aber gänzlich ungeeignet, aus einer ganzen Reihe Anour hat grandios recherchiert und auch, wenn in von Gründen: 1) Leider ein wenig zu sehr romantisiert. 2) Der Grausamkeit der Todesart wird im Mordmotiv nicht Grundzügen holprig gehandelt und zweitweise zu viele Sorge getragen. 3) Holprig in der Kausalität und natürlich Zeilen auf die Konstruktion verwendet werden, hat allen anderen Gründen voran: „Wo kommen wir da hin, Anour eines grundsätzlich begriffen: „Außen Hui, innen wenn uns ein Deutscher erzählt, wie superbescheiden das Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | Pfui“ funktioniert besser als umgekehrt. 12 Leben in Wien 1893 & die Wiener damals waren, Oida?“. www.seeseiten.at
Torsten Schönberg 2,5 „Der Stempelmörder“ FC/R, Gmeiner Vlg. Ort: Wien TB, 344 Seiten Blut: 1,5 ISBN: 978 3 8392 2810 4 LitQual: 2 ET: 04/2021, € 13,- Lesbarkeit: 2; IT Torsten Schönbergs künstlerisch verfremdete Version der Bundeshauptstadt ist faszinierend, vor allem weil diese dem wahren Wien ungemütlich nahe kommt. Endlich nimmt die österreichische Regierung die Gefahr durch die Ausländer ernst und konzentriert ihre rassistischen Bemühungen auf die größte Einwanderergruppe: Wirtschaftsflüchtlinge aus der BRD. Damit dieselben ordentliches österreichisches Verhalten und die dazugehörigen Manieren richtig verinnerlichen, müssen sie sich streng kontrollierter Anwesenheitspflicht in Männer- bzw. Frauenwohnheimen, sowie einem mehrmonatigen Umerziehungsprogramm beugen. Das umfasst unter anderem den Dienst am Müllesel, das Stillettieren, also das Erstechen mutmaßlicher Scheintoter am Zentralfriedhof, das Trimmen des Schrebergartenrasens des Oberinspektors mithilfe einer Nagelschere oder – am Allerschlimmsten – das Kellnerieren am Dornbacher Kirtag. In diesem Hamsterrad stecken der Juri und sein Kärntner Kollege Georg fest, als die erste Leiche auftaucht – erstochen und mit dem Stempel „Piefke 5“ – so der Name des Programms versehen. Schönberg – selbst Österreicher mit deutschen Wurzeln – erzählt mit viel Ironie und einem starken Hang zum Skurrilen, wobei den phantastischen Elementen einiges an Recherche zugrundeliegt. So gibt es zB eine spannende Verfolgungsjagd an Bord der Wiener Leichenrohrpost. Schönberg ist für Liebehaber extremen Humors eine Entdeckung, für den häufiger vorkommenden Entspannungsleser enthält „Der Stempelmörder möglicherweise etwas zu viel erzählerische Sprunghaftigkeit und Wahnwitz. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 13
Günther Pfeifer 4 „Endstation Waldviertel“ FC/R, Emons Vlg. Ort: Waldviertel TB, 256 Seiten Blut: 1 ISBN: 978 3 7408 1140 2 LitQual: 2 ET: 05/2021, € 12,40 Lesbarkeit: 3; GT, IL, IT Als Autor von zahlreichen humorvollen FC/R-Romanen rund um die Mordbuben Hawelka & Schierhuber (Haymon) hat der Hollabrunner gelernte Maler, Anstreicher und Autor mit „Endstation Waldviertel“ seine ganze Erfahrung zusammengenommen und einen Volltreffer gelandet. Als die Crew des touristisch aktiven Waldviertel Express auf den Schienen einen Kopf statt des traditionell versteckten Schwammerls findet, kehren zeitgleich mit kopflosem Schrecken die Unruhe in Form von St. Pöltner Ermittlern ins beschauliche Leben der Hobbyeisenbahner und Tourismusattrakteure ein. Als ob die heimischen Polizisten Unterstützung beim Chaos stiften bräucherten. Pfeifer bleibt dabei den Menschen und der Lebenswelt des nördlichen Niederösterreich gewogen, die von außerhalb (St. Pölten) kommen, dürfen zwar, müssen aber nicht sympathisch sein (umgekehrt gilt das selbe für die Waldviertler). Die Waldviertler werden liebevoll erzählt, beeindruckend ist auch natürlich die Paarung humorvoller Krimi mit Lokalkolorit und Dampfeisenbahn, was für LeserInnen so ziemlich aller Art an Attraktivität kaum überbieten zu sein dürfte. Den Witz hält das Buch bis zur letzten Seite durch, nicht eine Zeile war zu finden, in der der charakter- und regionaltypische Humor langweilig oder gar routiniert wirken würde. Endstation Waldviertel war eine außergewöhnliche Regionalkrimi-Erfahrung! Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 14
Auf www.waldviertelbahn.at finden sich der Fahrplan von und zusätzliche Informationen zur Waldviertelbahn ohne Leiche, deren literarische Umsetzung Günther Pfeifer außerordentlich gut gelungen ist. Neben den bei Haymon erschienen gibt es bei Emons noch zwei weitere Krimis sowie einen Weinviertel-Reiseführer von Günther Pfeifer. 15
4,5 Georg Haderer „Seht ihr es nicht?“Schimmer 1 CC/Lit, Haymon Vlg. Ort: Ö HC, 336 Seiten Blut: 0,5 ISBN: 978-3-7099-8125-2 LitQual: 3 ET: 24/08/21, € 24,90 Lesbarkeit: 3; GT, SEB, IT Ein Mann verschwindet, eine Familie wird ermordet, die einzige Überlebende, die Tochter, ist spurzlos verschwunden und die Presse sitzt der Polizei im Nacken. Philomena Schimmer, geniale Ermittlerin in einer Sondereinheit zum Auffinden vermisster Personen und Mitglied einer wahnwitzig turbulenten Familie wird angefordert, weil die Presse. Als sich herausstellt, dass die ermordete Mutter früher im Bereich sich selbst vermehrender Nanoroboter geforscht hat, wird gar ein terroristischer Anschlag befürchtet und zur Sicherheit einmal der Notstand ausgerufen. Georg Haderer schafft, womit ich nicht gerechnet hatte – er ist noch genialer geworden. 8 Jahre ist sein letztes Buch her und Major Schäfer ist Geschichte. Mit Philomena hat er eine vielseitige, intelligente, ehrliche und realistische Heldin geschaffen, die ihr selbst und ihren Lieben nichts erspart und gleichzeitig das tut, was man von einer guten Heldin erwartet: sie unterhält auf gutem Niveau, mit Leichtigkeit und mit frechem, intelligentm Humor. Philomena, ihre Schwestern, ihre Mutter, ihre Freunde und ihre Geister verlieren nie den Boden unter den Füßen und wagen sich trotzddem ins Unglaubliche vor. „Seht ihr es nicht?“ ist ein genialer Wurf, von dem ich wünschte, er würde nicht mehr enden, meiner Meinung nach hat Georg Hadderer den Krimi des Jahres geschrieben. Unbedingt kaufen, lesen, einladen, empfehlen und verschenken ist meine Meinung, aber glauben Sie mir nicht, lesen sie dieses Buch selbst! Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 16
Martina Parker „Zuagroast“ Gartenkrimi 1 CC/FCR, Gmeiner Vlg. Ort: Südburgenland Broschur, 507 Seiten Körperflüssigkeiten: 1; ISBN: 978-3-8392-0095-7 Gartenerde: 5 ET: 07/21, € 17,- LitQual: 3 Lesbarkeit: 3; GT, SEB, IT, IL Eigentlich sind mir Regionalkrimis ein Graus. Nach dem Genuß von „Zuagroast“ muss ich diese ungerechtfertigt generalisierende Aussage folgendermaßen präzisieren: Regionalkrimis, die immer nach demselben Schema ablaufen und deren Humor im Bierzelt hängengeblieben ist, sind mir ein Graus aber je mehr ich drauf einlasse, desto klarer wird mir, dass dieses Bild, das ich von Regionalkrimis habe totaler Schmonzens ist. Martina Parker hat den ORF-Textfunken Wettbewerb mit einem Kurzkrimi gewonnen (im Buch angehängt) und hat sich folgend gedacht: warum nicht ausbauen. Über Social Media hat sie sich Anregungen und Handlungsentscheide geholt und hätte ich das vorher gewusst, ich hätte „Zuagroast“ wahrscheinlich nicht gelesen (schon wieder interner Schmonzens) und mir wäre ein Riesenspaß entgangen. Vera zieht mit ihrer pubertären Tochter ins Südburgenland auf den Hof, den sie von ihrer Oma geerbt hat. Eva lebt mit ihrem A(ußergewöhnlich) R(enitenten) S(chönling und) C(hauvinistischem) H(iasl) von einem Mann und ihrer Tochter in einem architektonisch an ein Raumschiff erinnerndes Haus, schließlich ist er FAST Architekt, also eigentlich hat er die Prüfung nicht geschafft, aber in Österreich lässt sich sowas immer regeln, vor allem wenns um Geld geht. Und Ebenfalls im Südburgenland, schließlich kann sich Paul im Nordburgenland nicht mehr blicken lassen, weil sein letztes Projekt, ein Luxus-Wohnpark im Naturschutzgebiet am Neusiedlersee vor lauter Baumängeln fast auseinanderfällt. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 17
Martina Parker „Zuagroast“ Gartenkrimi 1 Kein Wunder, dass die dortigen Mieter diese Baumängel gern persönlich an Paul weitergeben würden. Aber wer sich von solchen Kinkerlitzchen aus der Fassung bringen lässt, ist selber schuld! Paul hat schon ein neues Projekt in Planung und sucht neue Verbündete in Politik und Baubranche. Aber Architektur ist nicht das einzige Gebiet, mit dem Paul sich nicht auskennt, auch von Frauen, Beziehungen und Empathie hat Paul keine Ahnung. Und während er Eva mit Beschimpfungen, Psychoterror und Schlägen zwingt, für ihn die Vorzeigefrau zu mimen, hat er eine Affäre nach der anderen. Paul ist allein deshalb und auch wegen seines neuen Projektes selten daheim. Weshalb Eva und ihre Tochter in Vera und dem Buchschacher Gartenclub neue Freunde und ein neues Betätigungsfeld finden. Eva findet außerdem Hinweise zu interessanten Pflanzen, die, richtig angewandt, allerlei Möglichkeiten bieten, sich diskret für Pauls jahrelange aufopfernde Arbeit und seine herausragenden Leistungen als Ehemann und Vater zu bedanken. Aber Eva ist nicht die einzige Person, die noch eine Rechnung mit Paul offen hat. „Zuagroast“ ist ein wunderbar witziger und gleichzeitig extrem einfühlsamer Rachekrimi, der ernsthafte Problemfelder, wie Gewalt in der Ehe oder Korruption gekonnt, umsichtig und mit äußerst befriedigendem Humor aufs Tableau bringt. Die Journalistin Martina Parker holt dabei das wunderbare Südburgenland, seine Menschen, seine Kultur und seine Sprache vor den Vorhang, erklärt, u.a. wie man Seife herstellt oder ein Hügelbeet anlegt und lässt die Leserinnen und Leser an ihrem umfangreichen Gartenwissen teilhaben. Locker, leicht, amüsant und intelligent, „Zuagroast“ ist ein Lesegenuss und gehört in jede Bibliothek! Mehr zu Martina Parker und die Möglichkeit ihr bei der Handlung des 2. Teils „Hamdraht“ dreinzureden (Frühling 22, Hier gehts zur Leseprobe: www.martinaparker.com/news/leseprobe-hamdraht) und Südburgenland-Tipps fürs „Zuagroaste“ und Touristen finden Sie unter www.martinaparker.com und auf div. SocMed-Kanälen unter @MartinaParkerschreibt. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 18
4,75 Constanze Scheib „Der Würger von Hietzing“ Die Gnä´ Frau ermittelt 1 CC, Oktopus im Kampa Vlg. Ort: Hietzing / Favoriten Broschur, 288 Seiten Blut: 0 ISBN: 978 3 311 30014 4 LitQual: 2,5 ET: 26/08/21, € 16,50 Lesbarkeit: 3; GT, SEB, IT, IL „Der Gaskassier ist da!“, so kündigte sich Harald Sassak seinen ahnungslosen Opfern an. Sassak gab Anfang der 70er Jahre in Wien in ordentlicher Kleidung und mit gefälschtem Ausweis vor, die Gasgeräte alleinstehender, älterer Frauen kontrollieren und das Gasgeld kassieren zu müssen, schlug sie nach getaner Arbeit nieder und raubte sie aus ohne verwertbare Spuren zu hinterlassen. Soweit das Vorbild. Die gnädige Frau Ehrenstein, gebildet, intelligent und verheiratet mit dem gefühlsarmen aber einfluss- und vor allem über alle Maßen reichen Oskar Ehrenstein findet es unglaublich, dass in ihrer Nachbarschaft - im schönen Hietzing - solche Verbrechen passieren. Ausserdem ist ihr langweilig. Furchtbar langweilig! Und auch wenn zwischen ihr und Oskar schon lang nichts mehr passiert ist, von einem Liebhaber hält sie nichts. Ihr Sohn Willi wird vom Kindermädchen betreut, ihre Freundinnen kauen das immer wieder gleiche Getratsche wieder und die Haushälterin, die alte Frau Berkovics zu ärgern, die die Dienerschaft der Villa unter ihrer Fuchtel hat, wird auch schön langsam langweilig. Was aber weder Berkovics noch Oskar, Willi oder gar ihre Freundinnen wissen, pflegt die gnä´ Frau Umgang mit Mitgliedern der Dienerschaft, im Speziellen mit der sympathischen und etwas goscherten Marie, die die Liebe ihrer Hausherrin zu Whisky, Jazz und Krimis teilt. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 19
4,75 Constanze Scheib „Der Würger von Hietzing“ Die Gnä´ Frau ermittelt 1 CC, Oktopus im Kampa Vlg. Ort: Hietzing / Favoriten Broschur, 288 Seiten Blut: 0 ISBN: 978 3 311 30014 4 LitQual: 2,5 ET: 26/08/21, € 16,50 Lesbarkeit: 3; GT, SEB, IT, IL Als die Tante eines anderen Dienstmädchens Opfer eines weiteren Raubmords wird und die Polizei sich immer noch weigert, einen Serientäter in Betracht zu ziehen, wird Marie kurzerhand genötigt, die gnä´ Frau in Kontakt mit der Unterschicht, ja sogar mit den wilden Hippies zu bringen, um mehr herauszufinden. Schließlich kennt man das ja von gnä´ Fraus Lieblingsdetektivin Miss Marple. Der Polizei musss man helfen, allein sind die komplett nutzlos. Constanze Scheib ist auf Anhieb ein äußerst amüsanter, fein in Szene gesetzter Krimi gelungen. In den Dialogen oft im Wienerischen angesiedelt, gibt gnä´ Frau einen Einblick in die schönsten sprachlichen Blüten, ohne es zu übertreiben. Die Musikszene der Zeit kommt ebenso zur Geltung wie Mode, Gesellschaft und politische Stimmung. Kaum zu glauben, wie spießig und gleichzeitig wild die Stadt einmal war. Eine gelungene Zeitreise, liebenswerte Personen und ein spannender Fall, ich hoffe die gnä´ Frau ermittelt weiter. Einzig am Ende trägt sie ein klein wenig zu dick auf, auch wenn die erzählerische Notwendigkeit des Schrittes auf jeden Fall erkennbar ist. Leseempfehlung! Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 20
Ernst Geiger „Der Heimweg“ N, Edition A Ort: Wien Broschur, 352 Seiten Blut: 1 ISBN: 978-3-99001-540-7 LitQual: 2 ET: 08/21, € 16,- Lesbarkeit: 3; GT, S, IT, IL Die Morde der „Bestie von Favoriten“ gehören zu den dunkelsten Stunden der Wiener Kriminalgeschichte. Wiener Polizeilegende Hofrat Geiger berichtet. Die „Bestie von Favoriten“ hält ganz Wien in Atem. Hofrat Ernst Geiger, Vorstandsstellvertreter des Büros für Erkennungsdienst, Kriminaltechnik und Fahndung erzählt die Mordfälle an Alexandra Schriefl, Christina Beranek und Nicole Strau akribisch, umsichtig und respektvoll, wobei im Mittelpunkt immer die oft frustrierende Polizeiarbeit steht. Die Stimmung ist düster und aussichtslos, genau wie das Wien der 80er am Rande der Digitalisierung. Geiger würzt seinen Bericht mit grade genug Kunstgriffen, so dass das trostlose Jahrzehnt tatsächlich nach Tatort zu schmecken beginnt. Ähnlich wie bei der Frittatensuppe vom Wirten und der Suppenwürze aus der braunen Flasche. An forensischen Beweisen ist das höchste der Gefühle die Blutgruppe und ein analoger Fingerabdruckkatalog. DNA oder gar Profiling kennt nur die Forensik-Assistentin mit dem Praktikum in den USA. Alle drei zusammen sind für den jungen und ungestümen Eddy ein feuchter Traum. Aufgrund der zeitlich getrennten Erzählebenen ist schon anfangs klar, dass der Täter erst ca. 20 Jahre nach seinen Gräueltaten geschnappt werden wird, trotzdem kann Geiger die Spannung aufrechterhalten. Das liegt vor allem daran, dass er sich auf das konzentriert, was er kennt und erzählen kann: die Polizeiarbeit. Dass er die Lebenswelt der Wiener aus Favoriten in den Mittelpunkt stellt, ebenso wie die Situation der Frauen und die beginnende Frauenbewegung, macht „Heimweg“ zu einem spannenden, vielschichtigen und faszinierenden Polizeikrimi, bei dem sowohl Begegnungen mit Max Edelbacher wie auch Johanna Dohnal am Programm stehen. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 21
4 Anne Goldmann „Alle kleinen Tiere“ Lit, Ariadne Vlg. Ort: Ö HC, 301 Seiten Blut: 0 ISBN: 978-3-86754-251-7 LitQual: 3 ET: 2021, € 18,40 Lesbarkeit: 3; GT, IT Rita findet zwischen zwei Autos eine tote Hündin und wird von einem jähzornigen Polizisten festgenommen. Tom versteckt sich fast immer in seinem Haus, weil ihn die Medien vor Jahren fälschlicherweise als Sexualstraftäter präsentiert haben, Marisa verzweifelt am eigenen Beziehungsleben und den Anforderungen einer männlich dominierten, korrupten Baubranche und Ela muss sich zusätzlich zur erdrückenden Last Ihrer Albträume gegen die Angriffe eines enttäuschen Erben wehren, weil sein Vater, nachdem Ela ihn gepflegt hat, ihr das Haus mit Garten vermacht hat. Als die Baufirma in der Marisa arbeitet die Häuser des Grätzels aufkaufen will, geraten die Leben dieser Menschen aus dem Takt. Alte Wunden werden aufgerissen und der Druck droht zu viel zu werden. Doch eines haben diese Menschen gemeinsam, sie klammern sich mit aller Macht an das was sie haben und wenn es noch so wenig ist. Anne Goldmann hat einmal mehr bewiesen, dass sie Menschen bis ins tiefste Innerste ihrer Seelen schauen kann. Ungewöhnlich erzählt gehorcht dieser „Thriller“ keiner der herkömmlichen Bauanleitungen, wer Spannung nach Schema F sucht, wird hier nicht fündig. Die einzigartige österreichische Autorin erzählt brilliant, respekt-, würdevoll, mit Sorgfalt und zärtlich. Ein Empfehlungstitel., wenn jemals einer geschrieben wurde. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 22
Colin Niel„Nur die Tiere“ 3 Lit/D/N, Lenos Vlg. Ort: Frankreich/Afrika Paperback, 286 Seiten Blut: 0 ISBN: 978-3-85787-827-5 LitQual: 3 ET: 07/2021, € 16,40 Lesbarkeit: 2; GT, TV, IL, BS Nur die Tiere hören den Tod. Ein Pageturner der besonderen SorteEin ausgestorbenes Dorf am Rande des französischen Zentralmassivs, starrköpfige Bauern, eine Sozial-arbeiterin und eine ganze Men-ge Schafe sind die Kulisse dieses atmosphärisch einzigartigen Ro- mans. Handlungstragend sind Stil-le, Einsamkeit und die verkarste-te Landschaft der menschlichen Gefühle. »Nur die Tiere« ist ein Page- oder viel mehr ein Chap-terturner, jedes Kapitel fügt der Geschichte eine zusätzliche Perspektive, jede Perspektive der Landschaft einen weiteren Farbton hinzu. Doch von An-fang an: Évelyne Ducat, die Frau eines zu Geld gekommenen Ex-Viehbauern, verschwindet spurlos im zerklüfteten Hoch- land. Jeder spricht davon, jeder hat seine Vermutungen, still sind nur die Tiere. Die müssen versorgt, gepflegt, gezählt und rein gehalten werden. Alice ist Sozialarbeiterin und kümmert sich um die Bauern der Gegend, an vielen Fronten kämpft sie gegen Vereinsamung und Ver-wahrlosung, so sieht und hört sie einiges. Josef hat niemanden mehr, seit seine Mutter gestorben ist, ist Alice die erste Frau, die mit ihm spricht. Und während Alice alles tut, um die Einsamkeit auszu-merzen, kapselt sich Alice’ Mann immer mehr ab, er arbeitet und schweigt, sein einziger Anspruch, so scheint es, ist eine Unbekann-te. Wie nebenbei verwebt Niel die Handlungsstränge, wie zufällig grei-fen wohlmeinende und verzweifelte Motive ineinander und zeigen den Menschen in seiner wahren Form: als Gefangenen im traurigen, aus-sichtslosen Spiel seiner Triebe und Wünsche. Frei ist nur das Land, frei sind nur die Tiere. Filmtitel: „Die Verschwundene“. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 23
3,75 Guillermo Martínez „Der langsame Tod der Luciana B.“ Lit/D, eichborn Vlg. Ort: Argentinien Broschur, 220 Seiten Blut: 0 ISBN: 978-3-8479-0076-4 LitQual: 3 ET: 04/21, € ,- Lesbarkeit: 2,5; GT, IT Ich muss Sie warnen, dieser Kriminalroman wird Sie wütend machen. So wütend, dass Sie ihn durch die Gegend pfeffern wollen. Andererseits ist es mir selten passiert, dass mich ein Autor so dermaßen kunstvoll hat anrennen lassen. Kurz erklärt: Der höchst erfolgreiche, umschwärmte aber mysteriöste Autor Kloster – er erzählt in seinen Romanen den perfekten Schrecken, das Grauen an sich, ohne niveaulos oder gar pervers zu schreiben – verlässt für einen Monat das Land, woraufhin der Agent des ambitionierten aber weit weniger berühmten Autors und Ich-Erzählers demselben die talentierte und höchst disziplinierte Sekretärin Klosters vermittelt, da dieser aufgrund einer Verletzung nicht zu schreiben imstande ist. Wüsste Kloster davon, er würde es nicht erlauben, Luciana, höchst konsequent, immer pünktlich und eine Magierin auf der Tastatur ist sein Schatz, nicht seine Muse, aber seine Erfüllungsgehilfin, die geduldig und genau bis zum letzte i-Punkt alles überträgt, was der Meister spricht. In den kurzen Zeit, die sie „fremdgeht“ merkt der Ich-Erzähler, warum Kloster so versessen auf Lucianas Assistenz ist. Die junge Frau verliert nie ein Wort zu viel, ist immer professionell, zurückhaltend und aufmerksam. Doch es kommt, wie es kommen muss, die Zeit vergeht und Luciana kehrt zurück an ihren ursprünglichen Arbeitsplatz. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 24
3,75 Guillermo Martínez „Der langsame Tod der Luciana B.“ Lit/D, eichborn Vlg. Ort: Argentinien Broschur, 220 Seiten Blut: 0 ISBN: 978-3-8479-0076-4 LitQual: 3 ET: 04/21, € ,- Lesbarkeit: 2,5; GT, IT Wie der Teufel es will, erfährt Kloster von dem Intermezzo. Fast wahnsinnig vor Eifersucht, versucht er zum ersten Mal in ihrer ganzen gemeinsamen Laufzeit, sich Luciana anzunähern, sie zu küssen. Die weicht geschockt zurück und in diesem Moment kommt die junge Tochter des Maestros ins Zimmer. Luciana ist erschüttert, lässt sich aber von einer Freundin zu einer Klage überreden. Von diesem Moment an geht es mit Kloster bergab. Seine Frau will die Scheidung, seine Tochter verstirbt bei einem tragischen Unfall und bald darauf scheint das Unglück seinen schwarzen Schatten auf Lucianas Leben zu werfen. Die ist felsenfest überzeugt, dass Kloster dahintersteckt, der sich rächen will. Martínez erzählt kunstvoll und rücksichtslos und mit vollendeter Sprache was wir nicht lesen wollen. Was für eine schöne Geschichte: der eifersüchtige, mächtige und rachsüchtige Künstler, der die Demütigung nicht ertragen kann, die ihm zugefügt wurde und die arme, unschuldige Frau. Natürlich gibt es das, doch was wollen wir sehen und was ist die Wirklichkeit? Das Unglück kennt keinen Plan. „Luciana B.“ ist ein raffiniertes, wütend machendes Buch, vor allem, weil man sich so ertappt fühlt. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 25
3,5 Paula Hawkins „Wer das Feuer entfacht“ D, Blanvalet Ort: London Hardcover, 416 Seiten Blut: 1 ISBN: 978-3-7645-0782-4 LitQual: 2,5 ET: 09/21, € 20,60 Lesbarkeit: 2,5; S Paula Hawkins ´ „Girl on the Train“ hat das Subgenre „Dramystery“ zu einer Widergeburt verholfen, unzuverlässige Erzähler*innen neu etabliert und überhaupt dafür gesorgt, dass, sich außerhalb von Politik, Handel und Marketing an der Nase herumführen zu lassen, eine literarische Entsprechung findet. Über die missglückte zweite Veröffentlichung der Autorin „Into the Water“ reden wir nicht, denn jetzt sind wir beim Feuer, wenn auch nur metaphorisch. Carla, Miriam, Laura, Irene und Angela tanzen mit Carlas Schriftsteller-Ex-Mann Theo und der Polizei um die Leiche von Angelas Sohn herum. Angela ist übrigens tot, die Stufen hinabgestürzt. Carla – Angelas Schwester – ist darüber nicht unbedingt traurig, ist doch Angela für den Unfalltod ihres eigenen, vor Jahren viel zu früh verstorbenen Sohnes verantwortlich, was wiederum ihren Mann Theo, die Ehe von Theo und Carla sowie Theos Schriftstellerkarriere runiert hat. Theo hat wiederum in seiner Schreibblockaden-Verzweiflung die tragische und schockierende Entführung von Miriam, die diese mit dem Ziel sie zu veröfffentlichen aufgeschrieben hat, in einen – zu recht - von der Kritik verissenen Thriller verarbeitet – natürlich ohne Miriams Einverständnis. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 26
3,5 Paula Hawkins „Wer das Feuer entfacht“ D, Blanvalet Ort: London Hardcover, 416 Seiten Blut: 1 ISBN: 978-3-7645-0782-4 LitQual: 2,5 ET: 09/21, € 20,60 Lesbarkeit: 2,5; S Das hat wiederum Irene mitbekommen, die die Nachbarin von der dem Alkohol verfallenen Angela war und zeitweise von der psychisch und körperlich beeinträchtigen Laura betreut wird. Irene ist alt und Laura ist jung und hübsch und hatte eine kurze Amour fou mit dem – durch den übermäßigen Alkoholkonsum seiner Mutter Angela und den frühen Tod seines Cousins nicht unbedingt sozialkompatiblen aber künstlerisch begabten Sohn Angelas, der alles mögliche und unmögliche gezeichnet und damit nicht unbedingt zum Familienfrieden beigetragen hat und jetzt tot ist. Punkt. Außerdem hat er auf dem Hausboot neben Miriam gelebt und ist von dieser ermordet gefundden worden. Miriam wiederum hat genau gesehen, wer wann wo und wie ein- und ausgegangen ist, verrät aber natürlich nur, was ihr gerade in den Kram passt. Und dass unter den Beobachteten zufälligerweise Theo ist, kommt ihren Rachegelüsten gerade recht. Wenn Ihnen das jetzt vorkommt, wie die halbstündige Zusammenfassung einer Telenovela liegen Sie gar nicht so falsch. Nichts desto trotz ist „Wer das Feuer entfacht“ eine Lesereise wert, denn dramatisch sind die Enthüllungen, spannend die Persönlichkeiten und wild die Verflechtungen. Eine Warnung: Lesen Sie nicht die letzte Seite! Denn - Achtung, jetzt kommt noch ein Klischee – Paula Hawkins verrät in der letzten Zeile der letzten Seite den/die/das Täter*in. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 27
1 Uli Brée „Du wirst mich töten“ PT, Amalthea Vlg. Ort: Alsberg, D HC, 304 Seiten Blut: 0,5 ISBN: 978-3-99050-206-8 LitQual: 1 ET: 14.10.21, € 25,- Lesbarkeit: 2; S, BS, DS Der Drehbuchautor und Schöpfer der Vorstadtweiber hat sein ganzes Netzwerk zusammengenommen und einen düster-romantischen Psychothriller geschrieben. Tabata Goldstaub stürzt als Kind in das Grab der zu früh verstorbenen Mutter, gleich darauf wird frisch vom Begräbnis weg der Vater verhaftet und seitdem leidet das Kind und später dann die Frau an a) einer undurchdringlichen Gefühlskälte und b) plötzlichen und unvorhergesehenen Ohnmachtsanfällen. Die hält sie aber vor fast allen geheim – außer vor ihrem narzisstisch-ödiphalen Liebhaber und Polizeikollegen, sonst dürfte sie wohl kaum Autofahren, geschweige denn eine Waffe tragen – andererseits sind wir in Österreich. Als Tabata – hochschwanger von o.g. Kollegen in der U-Bahn einen Jugendlichen anpöbelt und dieser daraufhin ein Messer zückt, wird sie von einem mysterösen, sannften Riesen gerettet. Noch mysteriöserer ist dass selbiger Jugendlicher bald geschächtet in einem Seitenschacht der U-Bahn gefunden wird, noch mysterösererer wird alles, als Tabata nach einem Ohnmachtsanfall mit der Mordwaffe, einem blutigen Kleid und - so glaubt sie, bis vor kurzem noch neben dem nun verschwundenen Riesen liegend - bitte aufmerksam bleiben - in einem Hotel aufwacht, in das sie sich zurückzieht, wenn sie ihren narzisstisch-ödiphaler Kollegen und Partner nicht mehr aushält. Hat sich Tabata den Riesen nur eingebildet? Und wenn ja, ist sie die Mörderin? Und wenn nein, welche Verbindung hat der Riese zu ihrer und zur Vergangenheit ihres Partners und ihres Kindes und ihres Vaters und ihrer Mutter und ihren pathologischen Ohnmachtsanfällen? Vorhersehbar und schwülstig aber gutes Marketing. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 28
Bernhard Aichner 3 „Dunkelkammer“ David Bronski 1 PT, BTB Vlg. Ort: Innsbruck/Berlin Klappenbroschur, 352 Seiten Blut: 2 ISBN: 978 3 442 75784 8 LitQual: 1 ET: 03/2021, € 17,50 Lesbarkeit: 2; S, SEB Eine mumifizierte Leiche, ein verzweifelter Fotograf, eine tragische und eine hoffnungsvolle Liebesgeschichte, eine verschwundene Tochter und die starke, geniale, stabile Schwester von - Vorhang auf - dem scheinbar gewissenlosen Starpressefotograf David Bronski. Der sich selbst bemitleidende, gequälte, unsympathische Bronski, der analog aufgenommene Fotos von toten Menschen sammelt wird von einem inzwischen obdachlosen Ex-Kollegen auf einen Sensationsfund in einer leerstehenden Innsbrucker Immobilie aufmerksam gemacht. Angeknüpft an diese Leiche ist der Rattenschwanz Bronskis persönlicher Familientragödie. Seine verstorbene Frau (zum Selbstmord getrieben), seine verschollen geglaubte, aber in Wirklichkeit gestohlene Tochter, sein, ihm bisher unbekannter Erzfeind. Auf Bronskis Seite stehen seine Kollegin, die ihn erst nicht leiden kann und dann seinem rauen, tragischen Charme verfällt und seine Schwester, die ihn hart aber herzlich durch die Handlung schleift. Aichner funktioniert für Aichner-Fans, das gilt auch hier. Allerdings, Blut ist dicker als (Salz-)wasser und so bleibt zu hoffen, dass Teil 2 in Blut badet und nicht - wie hier - in Tränen ertrinkt. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 29
Bernhard Aichner 2 „Gegenlicht“ David Bronski 2 T, BTB Vlg. Ort: Berlin/Sierra Leone Klappenbroschur, 320 Seiten Blut: 2 ISBN: 978-3-442-75917-0 LitQual: 1 ET: 07/2021, € 17,50 Lesbarkeit: 2; S, LS, BS, DS OK, mehr Blut war es nicht, aber zumindest ein bissl weniger Tränendrüse. Ein Mann fällt vom Himmel und landet im Garten eines Frühpensionärs und reichen Erben, der sich gerade mit seiner „Wir treffen uns alle 14 Tage, ich bezahle für das Treffen, aber ich bin ja einer von den Guten und sie genießt das sicher auch“- Bekanntschaft Oxana vergnügt. Die Prostituierte untersucht den Körper, während der Freier sie verlacht, dass man da eh nichts mehr machen könnte, findet 5 Rohdiamanten in der Hosentasche des Toten. Mit denen haut sie ab und akkurat wird wenige Tage später der Sympathieträger ermordet aufgefunden, aber erst nachdem Bronski, Svenja und Judith ihn interviewt haben. Die finden heraus wo Oxana wohnt, dort liegt auch eine Ermordete – Oxanas Lebenspartnerin, folglich retten Bronski, Svenja und Judith dieselbe vor der Polizei und den beiden vor der Wohnung wartenden Männern. Bronski und Svenja finden heraus, wer der Tote war (sein Gesicht wurde in einer Zeitung in Sierra Leone veröffentlicht und der Vater hat sich gemeldet). Dann fliegen Bronski und Svenja auf Kosten der Zeitung nach Sierra Leone interviewen zwei Leute, finden raus, wer der eigentliche Übeltäter ist – ein Hehler der vom Freund des ersten Toten bzgl. des Verkaufs der Diamanten angesprochen wurde - und fliegen wieder zurück. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 30
Bernhard Aichner 2 „Gegenlicht“ David Bronski 2 PT, BTB Vlg. Ort: Berlin/Sierra Leone Klappenbroschur, 320 Seiten Blut: 2 ISBN: 978-3-442-75917-0 LitQual: 1 ET: 07/2021, € 17,50 Lesbarkeit: 2; S, LS, BS, DS In der Zwischenzeit hat genau der selbe eben herausgefundene, herausgefunden wer Bronski ist und dass dieser weiß wo die Steine sind und jagt jetzt Bronski. Bernhard Aichners Stil ist ungebrochen, die Geschichte ist, wenn auch nicht mehr so überemotional doch an manchen Stellen leider sehr konstruiert. In manchen Situationen ist der Verlauf fast zu direkt, wenn im ersten Gespräch von Van Walden und Bronski schlicht und einfach eine tiefe Erzfeindschaft aufgestellt wird. Bei manchen Personen wiederum vergibt Bernhard Chancen, zB der Polizist, der Spielschulden hat, von den Diamanaten erfährt und die „Guten“ dann doch nicht reinreitet oder dem Clanboss, ein Verbündeter von Anna, Bronskis Schwester, der von den Diamanten erfährt, von Oxana mehr oder weniger Schutzgeld erpressen will und das dann doch nicht tut oder Oxana, die lange im Mittelpunkt der Geschichte steht und dann relativ sang- und klanglos stirbt. Der Thriller hätte noch 200 Seiten vertragen, vor allem, weil mir das Ende zu einfach und zu schnell vorbei ist. Ich habe Gegenlicht sehr schnell gelesen, war aber im Endeffekt genervt von all den vertanen Chancen und ausgelassenen Möglichkeiten. Aichner ist schnell und polarisiert, auch hier wieder. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 31
Ursula Poznanski 3,75 „Vanitas-Rot wie Feuer“ Vanitas 3 AT, Knaur Vlg. Ort: Frankfurt HC, 396 Seiten Blut: 2,5 ISBN: 978 3 426 22688 9 LitQual: 1,5 ET: 03/2021, € 17,50 Lesbarkeit: 2; S, LS Die Ausnahme von der zuvor genannten Dreier-Regel ist definitiv Ursula Poznanskis Vanitas-Trilogie: die ist mit jedem Teil nur stärker geworden. Im 3. Teil kommt – nachdem sich Caro zwei Teile lang angsterfüllt verstecken musste, nun endlich das „Raupe Nimmersatt“-Rache-Prinzip zur Anwendung: Fast jeden Tag scheint die vom Mafiaclan der Karpovs gejagt ehemalige Fälscherin ein Mitglied der Verbrecherorganisation auf neue, spannende und vor allem gnadenlos brutale Art und Weise zu eliminieren, bis sie sich endlich frei und glücklich als blutroter Schmetterling entfalten kann. Unterhaltsam und blutig schießt Poznanski das finale Feuerwerk ihrer Trilogie ab und macht mit Täuschung, Schrottpressen und überraschenden Kooperationen der Verzweiflung den Weg frei für ihr neues Jugendbuch oder vielleicht sogar eine neue Thriller-Reihe, wer weiß. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 32
Mark Elsberg „Der Präsident“ 4 JPWWT, Blanvalet Vlg. Ort: Griechenland/USA HC, 608 Seiten Blut: 2 ISBN: 978-3-7645-1047-3 LitQual: 2 ET: 03/2021, € 24,70,- Lesbarkeit: 3; S, IT Ex-US-Präsident Douglas Turner reist nach Griechenland, um dort einen Vortrag zu halten. Doch am Flughafen wird er im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofes ver-haftet. Die Anklage: Kriegsverbrechen. Da Griechenland als einziges Vertragsland zugestimmt hat, dem Haftbefehl Folge zu leisten, sitzt Douglas Turner nun in einem griechi-schen Gefängnis. Während die ICC-Mitarbeiterin Dana Marin verzweifelt versucht, sich gegen die Sanktionen und Heerscharen von Anwälten zu wehren, bereiten die USA nicht nur einen Be-freiungsversuch vor, sie verhängen über Mitarbeiter des ICC, Griechenland und sämtliche mit Griechenland ver-bundenen Güter Sanktionen und hohe Zölle. Ein Hinter-grund: Trump hat im Juni 2020 allen Mitarbeitern des ICC mit Sanktionen, Einreiseverbot und dem Einfrieren von Vermögenswerten gedroht, sollten die Ermittlungen ge-gen die USA nicht eingestellt werden, doch zu diesem Zeit-punkt war Elsberg mit seinem Thriller schon halb fertig. Die spannendsten und packendsten Szenen sind dem Autor mit den Gerichtsverhandlungen gelungen. Das in diesen Szenen konzentrierte Setting lässt charakterliche Konturen und Handlungsstränge noch klarer hervortreten. Marc Elsberg ist ein differenzierter, facettenreicher und multiperspektivischer Thriller gelungen, der ohne Anlauf einem Grisham an Spannung und Aktualität eben-bürtig ist. Genial, packend und noch mal weit besser als seine Vorgänger. Von mir aus darf Marc Elsberg nur noch Polit- und Justizthril-ler schreiben. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 33
3 Andreas Pittler „Vienna Dschihad“ PoT, echomedia buchverlag Ort: Ottakring, Wien Hardcover, 280 Seiten Blut: 2 ISBN: 978-3-903989-18-4 LitQual: 2 ET: 2021, € 22,- Lesbarkeit: 3; IT, IL, DS Inspektor Glauber soll die Dienststelle Ottakring übernehmen. Zum Eingewöhnen gibt ihm der in den Ruhestand scheidende Kommandant den Fall einer zwischen zwei Marktständen mit einem Hammer erschlagenen jungen Frau in die Hand und wirft ihn damit kurzerhand ins kalte Wasser. Doch was so aussieht wie ein islamistischer Ritualmord hat weit tiefgehendere Wurzeln. Glauber und seine unerwarteten Komplizen ermitteln die nächsten 27 Stunden durchgehend und die Leser sind mittendrin. Andreas Pittler, erfahrener Autor von u.a. der Bronstein-Serie, schafft es ohne Pause das Tempo zu halten, zu packen und mitzurreissen ohne zu verkrampft zu wirken. Wiener Gemütlichkeit trifft Action und einen durchdachten aber leider im Endeffekt durchschaubaren Plot. Doch es zahlt sich aus und es ist fast unmöglich nicht fertigzulesen, hört doch die Action nie auf. Ein weiterer kleiner Kritikpunkt: der anfänglich auftretende Sidekick hätte mehr hergegeben. Fazit: Pittler kann auch gegenwärtig erzählen, hätte der Verlag jetzt noch einen Titel bzw. ein gefälligeres Cover gewählt, und wäre nicht so sehr mit der Tür ins Haus gefallen, ein Bestseller wäre nicht zu verhindern gewesen. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 34
3,75 Anne Freytag „Reality Show“ PoT, dtv Ort: Deutschland Broschur, 464 Seiten Blut: 1,5 ISBN: 978-3-423-26303-0 LitQual: 2 ET: 10/2021, € 17,50 Lesbarkeit: 3; GT, IT Weihnachten steht vor der Tür. Egal ob Hautevolle oder Unterschricht, ob mit Braten oder ohne, ob vor dem Fernseher, gemeinsam oder allein: alle bereiten sich auf ein paar erholsame Feiertage vor, sogar den erfolgreichen Geschäftsleuten gehen dei Ausreden aus, die Feiertage nicht zu Hause zu verbringen. Die die es sich leisten können quälen ihre Lieben damit, dass sie das Theater der perfekten Familie aufführen, wieder andere genießen die Stille Zeit im Jahr tatsächlich gemeinsam und voller Liebe. Doch dieses Jahr wird alles anders: Plötzlich läuft auf allen TV-Kanälen dasselbe: „Die Reality-Show“. 42 der einflussreichsten Persönlichkeiten Mitteleuropas werden mit Waffengewalt zu Hause festgehalten und vor der Kamera mit den dunklen Seiten ihres Erfolgs konfrontiert. Wenn alles offengelegt wurde soll das Fernsehpublikum das Urteil fällen: Schuldig oder nicht schuldig? Und wie soll die Strafe aussehen? Gnadenlos und gut unterhalten schreitet das Proletariat zur Rache, ganz im Widerspruch zu Gill Scott- Herrons Lied „The Revolution will not be televised“, die Polizei scheint machtlos. Aber wer steckt hinter diesem Wahnsinnsakt? Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 35
3,75 Anne Freytag „Reality Show“ PoT, dtv Ort: Deutschland Broschur, 464 Seiten Blut: 1,5 ISBN: 978-3-423-26303-0 LitQual: 2 ET: 10/2021, € 17,50 Lesbarkeit: 3; GT, IT Anne Freytag hat umfangreich recherchiert und erzählt gekonnt, vielschichtig und konsequent einen genial gestrickten Plot um den Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, die Lost Generation, den Erfolg populistischher Politiker, scheinbar gewissenlose Wirtschaftstreibende und ein System, das unüberwindbar die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderpresst. Der packenden und emotional spannende Gesellschafts- Thriller ist zwischen „Fight Club“ und „Die fetten Jahre sind vorbei!“ angesiedelt. Anne Freytag macht es den Lesern aber nicht einfach und stellt dem Schrei nach nach sozialer Gerechtigkeit als Echo die Frage der Eigenverantwortung gegenüber, die Schuldfrage beleuchtet sie aus mehreren Perspektiven und lässt auch die „bösen Reichen“ zu Wort kommen. Einziger Wermutstropfen: Mit der Fülle der erwähnten 42 Angeklagten hat sich die Autorin etwas übernommen, denn es werden zwar alle Schicksale angeschniten, um Tempo und Umfang einhalten zu können, können aber klarerweise nicht alle erzählt werden, so scheint, das anfängliche Versprechen am Ende nicht ganz eingelöst. Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 36
Valerie Wilson Wesley 4 „Ein Engel über deinem Grab“, Tamara Hayle 1 Lit/N, Diogenes Ort: Newark/New Jersey Broschur, 288 Seiten Blut: 1 ISBN: 978-3-257-30087-1 LitQual: 3 ET: 10/2021, € 16,50 Lesbarkeit: 3; GT, SEB, Gelobt sei der Diogenes Verlag, Tamara Hayle ist wieder erhältlich! Die Ex-Polizistin hat ihren untreuen, dummen aber reichen Ehemann DeWayne rausgeworfen und zieht ihren Sohn Jamal nun alleine auf. Es ist besser so; für alle Beteiligten. Als Privatdetektivin erledigt sie kleinere Aufträge und kommt mehr schlecht als recht über die Runden, als sie von ebengenannten Exmann beauftragt wird. Einer seiner zahlreichen und über das ganze Land verstreuten Söhne ist tot aufgefunden worden und DeWayne hat Angst, das jemand sich über seine Kinder an ihm rächen will. Tamara will eigentlich nichts mehr mit ihm zu tun haben, doch DeWayne gesteht ihr, dass das nicht das erste Mal ist, dass eines seiner Kinder unter fragwürdigen Umständen umkommt und schließlich ist auch Jamal sein Sohn. Tamara glaubt noch immer nicht so recht an ein Verbrechen bis kurz darauf ein weiteres Kind DeWaynes tot aufgefunden wird. Tamara sitzt die Angst im Nacken und treibt ihre grauen Zellen zu Höchstleistungen an, denn die Polizei nimmt keinen der Todesfälle ernst. Ein sozialer, intelligenter und großartig erzählter Krimi, wenn jemals einer geschrieben wurde. Diogenes macht alles richtig, sie fangen bei eins an, verpassen der Reihe schicke neue Cover und schaffen somit die Möglichkeit, die das letzte Mal vor 15 Jahren erschienene Reihe neu zu entdecken. Ich danke Keel für dieses Leseerlebnis! Eine Top-Empfehlung! Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at 37
Stephen Mack Jones 3 „Der gekaufte Tod“ August Snow 1 AT, Tropen/Klett Vlg. Ort: Mexicantown/Detroit Klappenbroschur, 358 Seiten Blut: 2 ISBN: 978 3 608 50477 4 LitQual: 2 ET: FJ/2021, € 17,50 Lesbarkeit: 2; SEB, IL Detroit ist Motor City, Heimat von Motown Records und, wenn man wirklich interessiert ist, weiß man vielleicht noch, dass in Detroit Diego Riveras „Detroit Industry Murals“ zu finden sind. Eminem kommt aus Detroit. Detroit ist das Herz und gleichzeitig der Nachteil dieses faszinierenden Krimis von Stephen Mack Jones. Niemand kennt Detroit. Keine wogenden Lavendelfelder, keine charmanten aber stürmischen Klippen, nur das: eine nicht mal besonders alte aber dafür umso verbrauchtere Stadt und ihre ebensolchen Einwohner zwischen Alltag, patriotischem Stolz und dem alles zermürbendem Kapital. In der Mitte: August Snow, ein zwangspensionierter Polizist, der durch seine Klage gegen die (korrupte Oberschicht und den Polizeiapparat der) Stadt nicht nur 12 Millionen Dollar sondern außerdem die bewundernde Aufmerksamkeit der (bald ermordeten) Großkapitalistin Eleanore Paget, den Neid seiner ehemaligen KollegInnen, und die (gefährliche) Aufmerksamkeit eines Geheimbundes auf sich gezogen hat, der vor nichts zurückschreckt, um seine geheimen Machenschaften geheim zu halten. Manchmal etwas vorhersehbar aber vor allem charmant und faszinierend lernt man Detroit von unten kennen. August Snow bleibt in seiner kapitalgestärkten, philantropen und altruistischen Lebenswirklichkeit – er renoviert sein Heimatviertel Mexicantown und gibt armen Menschen Jobs – locker bis zum Schluss, bis zum großen Showdown in dem, fast ganz amerikanisch, mit allerlei Waffen und Kameraderie, gemeinsam mit - bitte verzeihen Sie – Kampflesben, den bösen das Licht ausgeblasen wird. Sprachlich unkompliziert aber fein, sympathisch und unterhaltsam, ein Ferienkrimi, für Menschen, die Mord mit schöner Aussicht endgültig satt haben. Jetzt müssen Sie nur noch Ihren LeserInnen erklären, wie interessant faszinierend es sein kann, eine unbekannt Stadt lesend zu entdecken. . 38 Johannes Kößler | Seeseiten Buchhandlung OG | www.seeseiten.at
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