Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
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TRENDreport DIGITALER STAAT Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung Eine Publikation von
Inhalt Vorwort ............................................................................................................................................................. 3 Von Krisen und Katastrophen: Pandemien, Extremwetter, Cybergefahren................................................. 4 Die Covid-19-Pandemie als Chance: Zwischen Krise und Wandel............................................................... 8 Hitzewellen, Starkregen, Hochwasser: durch Anpassung zur Resilienz.................................................... 12 Cybergefahren: Wie wappnet sich die öffentliche Verwaltung? ................................................................. 16 Exkurs: Resilienz im Baltikum und in den Nordischen Ländern ................................................................ 20 „How-to-Resilience“ in der öffentlichen Verwaltung .................................................................................. 22 Sieben Schritte auf dem Weg zur resilienten Verwaltung........................................................................... 27 Impressum Der Trendreport "Digitaler Staat" ist im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Behörden Spiegel und der Prognos AG entstanden. (April 2023) Herausgeber ProPress Verlagsgesellschaft mbH, Bonn Prognos AG, Friedrich-Ebert-Allee 57, 53113 Bonn Goethestraße 85, 10623 Berlin Telefon: 0228/970 970 Telefon: 030/52 00 59-210 E-Mail: verlag@behoerdenspiegel.de E-Mail: info@prognos.com Registergericht: AG Bonn HRB 3815 Geschäftsführer: Christian Böllhoff UST-Ident.-Nr.: DE 122275444 Redaktionelle Leitung „Trendreport“ Prognos AG: Matthias Canzler Geschäftsführung: Dr. Fabian Rusch Redaktionelle Begleitung „Trendreport“ Behörden Spiegel: Dr. Eva-Charlotte Proll, Guido Gehrt V.i.S.d.P.: R. Uwe Proll Druck www.wir-machen-druck.de Satz und Layout Beate Dach, Spree Service GmbH, Berlin Bildnachweis Titelseite ©Photobank, stock.adobe.com Kostenfreier Download des Trendreports Digitaler Staat unter www.digitaler-staat.org/trendreport 2 TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, Krisen und deren Bewältigung haben die letzten Jahre geprägt: Die Covid-19-Pandemie hat nicht nur die öffentliche Gesundheitsversorgung, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes stark gefordert. Auch Bedrohungen wie Cybervorfälle in Kommunen oder auf Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sowie zunehmende (lokale) Extremwetterereignisse haben Städte, Gemeinden und Landkreise zu weiten Teilen in den Krisenmodus versetzt. Manchmal wirkt es, als würden Krisensituationen das sogenannte neue Normal. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den öffentlichen Verwaltungen engagieren sich täglich, um diese Krisensituationen zu bewältigen und Lösungen zu finden. Strukturelle und prozessuale Hürden oder unterschiedliche Zuständigkeiten erschweren diese Arbeit mitunter erheblich. Gerade in Krisen offenbaren sich diese Hindernisse besonders. Sie bieten damit aber auch Möglichkeiten, neue Wege zu gehen, um bestehende Hürden zu überwinden. Gerade im Zuge der Covid-19-Pandemie wurde plötzlich vieles möglich, was zuvor undenkbar schien. Der Begriff der Resilienz erhielt daher in den vergangenen Jahren eine hohe Aufmerk- samkeit in den Debatten um die Sicherung staatlicher Handlungsfähigkeit. Resilienz kann dabei eine große Unterstützung sein, um Krisen zu bewältigen und sich bereits im Vor- feld dagegen zu wappnen. Der Frage, wie resilientes Handeln aussieht, widmet sich der diesjährige Trendreport unter dem Titel „Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung“. Dafür haben wir Fachgespräche mit nationalen und europäischen Expertinnen und Experten geführt. Der Trendreport gibt umfassende Einblicke… …in krisenbedingte Herausforderungen und Hürden der öffentlichen Verwaltungen, …in bereits bestehendes resilientes Handeln, …in Möglichkeiten, Resilienz zu erhöhen. Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine interessante Lektüre und hoffen, Ihnen die eine oder andere Anregung auf dem Weg zur resilienten Verwaltung mitgeben zu können! Dr. Axel Seidel, Dr. Eva-Charlotte Proll, Partner und COO, Herausgeberin und CDO Prognos AG 3
Von Krisen und Katastrophen: Pandemien, Extremwetter, Cyber Illustration: ©B. Dach/Racle Fotodesign, stock.adobe.com K risen und deren Bewältigung sind für Deutschlands Verwaltungen Standard geworden. Eine Krise reiht sich an die andere, zuletzt z. B. die Energie- an die Covid-19-Kri- antwortung tragen. Dabei sind die Verwaltungen oft auch selbst von den Krisen betroffen. Ob eine Krise in Politik und Öffentlichkeit als prioritär se. Hinzu kommen Katastrophen, die zu Krisen wurden, eingestuft wird, folgt gewissen Aufmerksamkeitszyklen.1 wie z. B. der bundesweit erste Cyber-Katastrophenfall oder Nach 2001 war das Bewusstsein für Terrorangriffe groß. die Flutkatastrophe im Sommer 2021. Gründe für diese Nach der Oder-Flutkatastrophe wurden viele Hochwasser- Krisen und Katastrophen liegen zum Teil in tiefgreifenden schutzpläne entlang großer Flüsse aktiviert. Nachdem die Veränderungen und Megatrends wie dem Klimawandel, ersten Krankenhäuser Opfer von Cyberangriffen wurden, ist der Globalisierung und der Digitalisierung. Verwaltungen Cybersicherheit als Risiko in der öffentlichen Verwaltung an- auf Landes- und Bundesebene sowie Städte, Gemeinden gekommen. Nachdem Covid-19 im Jahr 2020 pandemisch und Landkreise sind in der Pflicht, Krisen und Katastrophen wurde, drängten Pandemien und Zoonosen in den Risi- handhabbar und im Rahmen ihrer Möglichkeiten erträglich ko-Mittelpunkt. Seit der Flutkatastrophe im Sommer 2021 für die Menschen zu machen, für die sie Ver- wurde über das erhöhte Risiko durch häufigere Starkregene- reignisse diskutiert. Keine dieser reaktiven Maßnahmen ist irrelevant. Sie verdeutlichen aber, dass Risikobewusstsein und dadurch Handlungsimpulse durch konkrete Ereignisse Es hält sich hartnäckig hervorgerufen werden. In diesem Zusammenhang lässt sich die Ansicht, dass ein von Krisenkonjunkturen sprechen: (Mediale) Aufmerksam- Nicht-Funktionieren der keit bedingt politisches Handeln. Verwaltung im Wesentli- Krisen und Katastrophen werden oft synonym verwendet, chen mit Personalman- ein wesentlicher Unterschied lässt sich jedoch festhalten: gel zu tun hat. Aber Unter einer Katastrophe verstehen wir ein eher kurzfristiges Prof. Dr. Frank Nullmeier, daran glaube ich nicht. Ereignis, während eine Krise langanhaltender ist. Daneben Professor für Politikwissenschaft, Universität Bremen, SOCIUM Natürlich braucht es in sind die Gemeinsamkeiten aber prägender. Krisen und Forschungszentrum Ungleichheit der einen oder anderen und Sozialpolitik Katastrophen treten sowohl disruptiv als auch inkrementell Verwaltung mehr Perso- auf. Zudem gibt es verschiedene Phasen innerhalb von Foto: © Frank Nullmeier. nal, aber insgesamt sind Verwaltungen nicht so Krisen und Katastrophen. Dazu zählen u. a. Präventions-, schlecht aufgestellt.“ Schock-, Reaktions-, Wiederherstellungs- und Lernphasen. Entscheidender ist jedoch die Gemeinsamkeit, dass Krisen, Katastrophen und deren Auswirkungen das öffentliche Le- 1 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986. 4 TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Von Krisen und Katastrophen: Pandemien, Extremwetter, Cybergefahren gefahren Recht und Personal sind in Wahrheit nicht das Problem der öffentlichen Verwaltung. ben auf mitunter unbestimmte Zeit beeinträchtigen. Dies Es klemmt an der Vorstel- kann unterschiedliche Bereiche betreffen: Privates und Be- lung, wie Zusammenarbeit rufliches, Unternehmen und Institutionen. Gerade in derart anders organisiert werden könnte: Welche Organisati- disruptiven Phasen kommt der öffentlichen Verwaltung eine onsstruktur geben wir uns? Marcel „Otto“ Yon, Gründer & entscheidende Rolle zu: Sie trägt dazu bei, die öffentliche Partner innovation@scale, Gründer Welche Zusammenarbeits- Sicherheit und die Funktionsfähigkeit des Staates zu ge- & Vorstand Staat-up e.V. kultur leben wir? Wie setzen Foto: © Bundeswehr, Luise Evers währleisten. Daher ist die Sicherstellung der Handlungs- wir Teams zusammen?“ und Entscheidungsfähigkeit die zentrale Herausforderung der öffentlichen Verwaltung während akuter Krisenzeiten. Wir setzen uns im diesjährigen Trendreport deshalb mit folgenden Leitfragen auseinander: Auf welche Herausfor- von Resilienz in der Verwaltung immer bedeutsamer. Wie derungen stößt die öffentliche Verwaltung in Krisenzeiten resilientes Handeln aussehen und wie die öffentliche Ver- und welche Lehren können aus vergangenen und gegen- waltung selbst resilient werden kann, wird in den folgenden wärtigen Krisen und Katastrophen für deren Handlungsfä- Kapiteln skizziert. higkeit gezogen werden? Entscheidend ist dabei die Fra- ge, ob Verwaltungen weiter ihren Aufgaben nachkommen Alle sprechen über Resilienz können. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen der Alle sprechen über Resilienz, aber was ist das überhaupt? Handlungsunfähigkeit, die durch Krisen bzw. Katastrophen Das Konzept der Resilienz kann einerseits auf eine psy- ausgelöst werden kann, und der Handlungsunfähigkeit, die chologische Langzeitstudie zu Entwicklungsmöglichkeiten aufgrund struktureller Probleme besteht. Resilienz wird von Kindern in den 1950er-Jahren zurückgeführt werden. oft als allumfassendes Instrument oder Mittel genannt, Dort wurde Resilienz zum ersten Mal als Widerstandsfä- um Handlungsunfähigkeit entgegenzuwirken. Durch die higkeit gegenüber negativen Ausgangsbedingungen ver- schnelle Taktung unterschiedlicher Krisen wird der Aufbau standen.2 Andererseits kann das Konzept der Resilienz auf das Aufkommen des Systemdenkens in der Ökologie in den 1960er-Jahren zurückgeführt werden.3 Das gängige Verständnis von Resilienz unterscheidet drei Dimensionen: Es gibt das Vorurteil, 1. Widerstandsfähigkeit gegenüber Schocks oder schlei- dass die Verwaltung chenden Veränderungen (absorbation), ein schleppendes 2. Kapazität zum Wiederaufbau und zur schnellen Wie- Organ und nur derherstellung des Ausgangszustands (bouncing reaktiv sei. Ich back), erlebe dies jedoch auch anders, 3. Fähigkeit eines Systems, zu lernen und ggf. zu trans- Katharina Schätz, denn es gibt viele formieren und sich an veränderte Bedingungen anzu- Klimaresilienzmanagerin der sehr engagierte passen (bouncing forward).4 Stadt Regensburg. Foto: ©Stadt Regensburg, Christian Kaister Mitarbeitende, Neben diesem breiten Verständnis, das in unterschiedli- die aus ihrer Pra- chen Kontexten angewandt werden kann, hat Frank Nullmei- xis Erfahrungen an die Politik herantragen er, Professor für Politikwissenschaft, ein Modell entwickelt, und so proaktiv Themen angehen.“ in dem er Resilienz in der öffentlichen Verwaltung auf vier Ebenen darstellt (siehe Grafik S. 6). 2 Volker Wittpahl, Resilienz, Berlin/Heidelberg 2023, S. 11. 3 Ivonne Elsner, Andreas Huck und Manas Marathe, Resilience, in: Jens-Ivo Engels (Hg.), Key Concepts for Critical Infrastructure Research, Wiesbaden 2018, S. 31-38, hier S. 32. 4 David Chandler und Jon Coaffee (Hg.), The Routledge Handbook of International Resilience, London/New York, NY 2017 (Routledge Handbooks). 5
Vier-Stufen-Modell der Resilienz nach Prof. Dr. Frank Nullmeier Die vier Ebenen der Resilienz sind Prof. Nullmeier zufolge nicht als Zyklus, sondern als Bausteine zur Etablierung von resilientem Handeln in der öffent- lichen Verwaltung zu verstehen. Eine Ebene ist entsprechend nur ein Baustein und genügt noch nicht, damit eine Verwaltung als resilient bezeichnet werden kann. Als Ergebnis der vier Bausteine entsteht letztlich Resilienzfähigkeit. Auf Basis dieser theoretischen Überlegungen assoziiert Prof. Nullmeier Resilienz mit dem Begriff der institutionellen Widerstandsfähigkeit. Grafik: ©Prognos/Prof. Dr. Frank Nullmeier Wir nutzen dieses Modell als Orientierung, um resilien- Krisen gestern, heute und morgen tes Handeln in Krisenzeiten zu identifizieren und um zu Im vorliegenden Trendreport fokussieren wir uns auf die beleuchten, inwieweit Behörden und Verwaltungen in un- drei Themenbereiche Covid-19-Pandemie, Extremwettere- terschiedlichen Themengebieten bereits resilient agieren. reignisse und Cybergefahren. Neben vielen weiteren He- Zudem haben wir mit unterschiedlichen Expertinnen und rausforderungen wie Wirtschafts- und Finanzkrisen oder Experten aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft ge- Migrationswellen werden Extremwetterereignisse, Pande- sprochen und tiefgreifende Einblicke in die Herausforderun- mien und Cybergefahren auch die kommenden Jahre und gen und Lösungsoptionen für resilientes Handeln erhalten. Jahrzehnte prägen. Um resilient auf Krisen reagieren zu können, müssen manchmal be- stehende Regeln sehr großzügig ausgelegt bzw. bestehende Handlungs- spielräume vollständig genutzt werden. Das hat beispielsweise während der sogenannten Flüchtlingskrise und während der Corona-Pandemie, als ad hoc reagiert werden musste, gut funktioniert.“ Carola Heilemann-Jeschke, Abteilungsleiterin des Zentralen IT-Managements und Digitali- sierung öffentlicher Dienste beim Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen Foto: ©Freie Hansestadt Bremen 6 TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Von Krisen und Katastrophen: Pandemien, Extremwetter, Cybergefahren Resilienz ist grundsätzlich jeder Verwaltung zu eigen – der Staat muss immer funktionieren. Ausfallsicherheit bedeutet, dass der Grundbetrieb der Verwaltung immer aufrechterhalten und die Kernleistungen erbracht werden können. In ihren historisch gewachsenen Strukturen und Prozessen weist die öffentliche Ver- waltung hierfür Eigenschaften auf, die auf den ersten Blick eher bürokra- tisch sind, auf den zweiten Blick aber ihre Resilienz stärken. So z. B. klare Dr. Matthias Dahlke, Referatsleiter Zuständigkeitsverteilungen durch Hierarchien und Geschäftsverteilungs- Digitale Gesellschaft, Staatskanzlei des Landes Brandenburg Foto: © Y. Guo pläne, eine personenunabhängige Aktenführung, verbindliche Vertre- tungsregelungen und oft auch Notfallpläne.“ Die drei Themengebiete werden betrachtet, da sie sehr Cybergefahren: Nicht nur private Unternehmen, auch unterschiedliche Herausforderungen beschreiben, gleicher- öffentliche Institutionen sind ver- maßen aber auch eine Vielzahl an Schnittmengen bzgl. mehrt von schwerwiegenden Cyber- Handlungsempfehlungen für öffentliche Verwaltungen auf- vorfällen betroffen. Diese gefährden weisen. Doch welche Effekte hatten diese Krisen auf die die Funktionsfähigkeit der IT-Syste- öffentliche Verwaltung? me und damit die Handlungsfähig- keit von Verwaltungen. Öffentliche Covid-19-Pandemie: Die Eindämmung des Co- Institutionen greifen daher verstärkt vid-19-Virus stellte die wohl größte zu präventiven Maßnahmen, um den Gefahrenlagen im gesundheitliche und freiheitliche Her- Netz vorzubeugen. Durch die stetige Digitalisierung ist es ausforderung der letzten Jahre dar. Die notwendig, dass bei allen Mitarbeitenden der öffentlichen Krise traf die öffentlichen Verwaltungen Verwaltung das Bewusstsein für die potenzielle Vulnerabi- unvorbereitet: Der Präsenzbetrieb war lität von IT-Systemen wächst. nicht mehr wie gewohnt möglich, gleich- Nachfolgend werden die drei Themenfelder Covid-19-Pan- zeitig erhöhte sich die Aufgabenlast immens, u. a. durch demie, Extremwetterereignisse und Cybergefahren individu- Kontaktnachverfolgungen. Maßnahmen wie Personalab- ell näher beleuchtet. In diesen Kapiteln werden zu Beginn ordnungen halfen, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung die themenspezifischen Herausforderungen beschrieben, aufrechtzuerhalten. Die Notwendigkeit, den sich permanent bevor anschließend Lernerfolge identifiziert bzw. Hand- verändernden Wissensstand über den Verlauf der Pandemie lungsempfehlungen formuliert werden. Herausforderungen in Verordnungen und Regeln zu übersetzen, war eine beson- und Lernerfolge sind nicht abschließend, sollen Praktikerin- dere Herausforderung für die öffentlichen Verwaltungen. nen und Lesern jedoch einen Einblick verschaffen, wie mit aktuellen Herausforderungen aus den unterschiedlichen Extremwetterereignisse: Hitzewellen, Starkregen, Themenfeldern umgegangen und wie resilientes Verwal- Hochwasser und andere Extrem- tungshandeln etabliert werden kann. Im Rahmen eines wetterereignisse traten in den Exkurses wird auf die Bedeutung und Anwendung von Re- vergangenen Jahren nicht nur silienz im Baltikum und in den Nordischen Ländern Bezug häufiger, sondern auch immer in- genommen. Schließlich geben die letzten beiden Kapitel tensiver auf. Dieser Trend wird sich übergreifende, themenfeldunabhängige Empfehlungen zu fortsetzen, jede Kommune kann resilientem Handeln. davon betroffen sein. Öffentliche Verwaltungen haben er- kannt, dass sie mithilfe von präventiven Maßnahmen wie Klimaanpassungs- und Notfallplänen diesen Gefahrenlagen begegnen müssen. Gleichermaßen ist das Bewusstsein für Ad-hoc-Reaktionen in öffentlichen Verwaltungen ge- wachsen. 7
PANDEMIE Foto: ipopba, stock.adobe.com Die Covid-19-Pandemie als Chance: Zwischen Krise und Wandel M ärz 2020: Das Covid-19-Virus breitet sich immer schneller aus. Die Inzidenzen steigen, die ersten Quarantänepflichten werden verhängt und nach einer Kar- voneinem auf den anderen Tag. Davon betroffen war auch die öffentliche Verwaltung, die seit jeher durch Präsenzbe- trieb geprägt ist. Um nicht nur handlungsfähig zu bleiben, nevalsfeier ist die Kreisstadt Heinsberg der erste deutsche sondern auch die im Zuge der pandemischen Lage zusätz- Corona-Hotspot. Die Bundesregierung vereinbart gemein- lich anfallenden Verwaltungsaufgaben zuverlässig erledigen sam mit den Bundesländern Leitlinien zum Kampf gegen die zu können, war ein schnelles Umschalten erforderlich. Die Corona-Epidemie. Damit verbunden sind nicht nur Vorschrif- öffentliche Verwaltung stand auf allen Ebenen vor enormen ten für den Einzelhandel, den Publikumsverkehr und Veran- Herausforderungen – organisatorisch, kulturell und techno- staltungen, sondern auch Verbote von Zusammenkünften. logisch. Zwar gab es auch 2020 bereits Katastrophenschutz- Rückblickend haben die Covid-19-Pandemie und die pläne und Notfallkonzepte für pandemische Ausbrüche – die damit verbundenen Einschränkungen einen Großteil des Bundesregierung führte sogar 2012 eine Risikoanalyse zu Alltags zum Stillstand gebracht – vom Privatbereich bis einer möglichen Pandemie durch ein modifiziertes SARS- in den Arbeitskontext hinein. Die dringende Empfehlung Virus durch. 5 Doch waren Pläne und Konzepte zumeist weder an Arbeitgebende, zum Schutz der Mitarbeitenden und auf dem aktuellen Stand noch auf ein derartiges Szenario zur Eindämmung des Ansteckungsrisikos Homeoffice zu ausgerichtet. Zudem erreichte die Covid-19-Pandemie ein ermöglichen, veränderte den Arbeitsalltag vielerorts Ausmaß, das vorherige Infektionsausbreitungen bei Weitem übertraf. Wie erging es der öffentlichen Verwaltung während der Beschränkungen? Auf welche Hürden ist sie gestoßen Die anfallenden Aufgaben im Öffent- und wie hat sie diese überwunden? lichen Gesundheitsdienst waren für das bestehende Personal nicht zu bewältigen. Wir mussten schnell Steigende Aufgabenanzahl trifft reagieren und Mitarbeitende aus auf Personalausfall anderen Verwaltungsbereichen Im Fokus stand insbesondere der Öffentliche Gesund- abordnen und Studierende ge- heitsdienst (ÖGD), der sowohl in Bundes- und Landesbe- winnen. Bei uns im Gesund- hörden als auch in kommunalen Gesundheitsämtern eine heitsamt der Stadt Köln rasant ansteigende Aufgabenmenge zu bewältigen hatte. bedeutete das einen Beispielhaft zu nennen sind die Kontaktnachverfolgung, Dr. Johannes Nießen, Amtsleitung zwischenzeitlichen die Datenübermittlung und die Erstellung von Hygiene- und Gesundheitsamt der Stadt Köln und Anstieg von planmä- Sicherheitskonzepten, was mit dem bestehenden Perso- Vorsitzender des Bundesverbandes der ßig ca. 350 Perso- Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen nal kaum zu schaffen war. Hinzu kamen zahlreiche krank- nen auf ca. 1.600 in Gesundheitsdienstes e. V. heitsbedingte Ausfälle, die die Personalsituation zusätzlich Foto: ©Martina Goyert den Hochzeiten der Krise.“ verschärften. Die Behörden reagierten mit Personalabordnungen – Mitarbeitende aus anderen Abteilungen wurden von ihren 5 Deutscher Bundestag, Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012, 2013, S. 55 ff.. 8 TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Die Covid-19-Pandemie als Chance: Zwischen Krise und Wandel eigentlichen Einsatzbereichen abgezogen, um die Gesund- heitsämter zu unterstützen. Damit einher ging die Frage Eine große Herausforderung der Pandemie und anderer Krisen der nach der Priorisierung von Aufgaben: Welche Verwaltungs- letzten Jahre waren Massenan- aufgaben können zugunsten der Pandemieeindämmung für tragsverfahren und digitale Identi- einen bis dato unklaren Zeitraum zunächst zurückgestellt fikationsprozesse, bspw. im Zusam- werden? Welche Stellen eignen sich für eine Abordnung? menhang mit Corona-Hilfen: Wie viele Personen werden benötigt? Die Entscheidungen Für jedes Amt stellt es eine wurden dadurch erschwert, dass auch weitere Bereiche Herausforderung dar, kurz- der Verwaltung einen Aufgabenzuwachs verzeichneten: So Dr. Matthias Dahlke, Referatsleiter fristig von typischerweise Digitale Gesellschaft, Staatskanzlei des sorgte unter anderem die Bearbeitung der Wirtschaftshil- vielleicht dutzenden auf Landes Brandenburg Foto: © Y. Guo fen und Entlastungsmaßnahmen für einen erheblichen plötzlich zigtausende eilige Mehraufwand. Langjährig etablierte Prozesse wurden auf Prüfvorgänge heraufzu- die Probe gestellt. schalten. Gute digitale Tools und datenvernetzte Prozesse können hier eine schnelle und gleichzeitig rechtssichere Skalierung erleichtern.“ Flexible Krisenbewältigung vs. tradierte Verwaltungsprozesse Nicht nur durch Personalabordnungen und Aufgabenzu- zur zusätzlichen Herausforderung. Insbesondere in den wächse war flexibles Handeln in den Behörden gefragt. Die ersten Monaten der Pandemie stellte der niedrige Digitalisie- oft unvorhersehbaren Entwicklungen des Virusgeschehens rungsgrad im öffentlichen Bereich die Behörden vor enorme machten Ad-hoc-Reaktionen erforderlich: Je nach Infekti- Probleme. Wie sollen die Mitarbeitenden im Homeoffice onslage wurden nicht selten Entscheidungen getroffen, die arbeiten können, wenn die hierfür erforderliche Hardware es unmittelbar umzusetzen galt. Ein Beispiel hierfür sind nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung steht? Wie (frühkindliche) Bildungseinrichtungen: Wurden freitags auf können Daten schnell übermittelt werden, wenn die ent- Basis der Inzidenzen Maßnahmen zu Unterrichtsausfällen sprechenden Schnittstellen zwischen den kommunalen oder Kita-Öffnungen beschlossen, galten diese bereits ab und den Landeslösungen fehlen? Die Faxgeräte für den dem darauffolgenden Montag. Für die zuständigen Verwal- Informationsaustausch zwischen Arztpraxen, Testzentren tungsbereiche bedeutete das, umgehend die notwendigen und Gesundheitsämtern wurden zu einem Symbol der deut- Vorgänge vorzubereiten, weiterzugeben und Entscheidun- schen Bürokratie. gen zu treffen. Oft war damit auch eine Ausdehnung der Je besser die Datenlage, desto effektiver die Eindäm- Arbeitszeit auf Feierabende und Wochenenden verbunden. mung der Pandemie. Eine schnelle Datenübertragung er- Die erforderliche Flexibilität in der kurzfristigen Entschei- fordert allerdings die Verwendung einheitlicher Lösungen dungsfindung und Maßnahmenumsetzung wurde an vielen oder zumindest die Schaffung von Schnittstellen zwischen Stellen durch die stark hierarchisch geprägte Verwaltungs- den einzelnen Softwares. „Einige Kommunen setzten auf struktur erschwert. Der Verwaltungsalltag ist durch Abstim- Eigenentwicklungen, wie z. B. DiKoMa in Köln oder der mungsprozesse über mehrere Ebenen hinweg und unter Hamburger Pandemiemanager, die in den jewiligen Kom- Einbeziehung verschiedener Akteure geprägt. Diesem tra- munen zwar erfolgreich funktionierten, aber Insellösungen dierten Vorgehen stand ein sich rasant veränderndes Infek- waren. Fehlende Schnittstellen erschwerten einen medien- tionsgeschehen gegenüber, das schnelle Entscheidungen bruchfreien Ablauf insbesondere zu Beginn der Pandemie. erforderte. Um Abstimmungsprozesse abkürzen und flexibel Interoperabilität in der Fläche war somit nicht gegeben“, so reagieren zu können, wurde auf das Instrument der Krisen- die kommissarische Leiterin der Akademie für Öffentliches stäbe gesetzt. Bereits in vorangegangenen Krisen wie 2015, Gesundheitswesen in Düsseldorf, Prof’in Dr. phil. Dagmar als der Zustrom an Geflüchteten über die Bundesländer und Starke. Kommunen hinweg koordiniert werden musste, oder nach Hochwasserkatastrophen wie 2002 in Dresden hatten sich Was hat die Verwaltung aus der Pandemie die anlass- und themenbezogenen Krisenstäbe bewährt. gelernt? Die akuten Hürden im Zuge der Covid-19-Pandemie sind Covid-19 macht den Digital Gap fürs Erste überwunden, das Virus wurde eingedämmt. Aller- offensichtlich dings ist damit zu rechnen, dass die Anzahl derartiger Krisen Neben den eher starren Strukturen wurde der nach wie künftig zunehmen wird. Wäre die öffentliche Verwaltung vor unzureichende Digitalisierungsstand in der Verwaltung heute resilienter aufgestellt? 9
In unserer Akademie für Öffent liches Gesundheitswesen verhalte ich mich im Krisenfall? Welche Daten werden wie bieten wir inzwischen verstärkt genutzt? Welche digitalen Tools kommen zum Einsatz? Lehrveranstaltungen zum Diese Fragen finden zunehmend Eingang in die Ausbildung. Krisenmanagement z. B. in Kooperation mit dem Zudem sollen auch die Themen des ÖGD stärker im Me- Bundesamt für Bevölke- dizinstudium verankert werden. Die Studierenden, die in Prof’in Dr. phil. Dagmar Starke, rungsschutz an. Zudem den Gesundheitsämtern unterstützten, mussten zunächst kommissarische Leiterin der Akademie führen wir gemeinsam in die Verwaltungsstrukturen und -aufgaben eingearbeitet für Öffentliches Gesundheitswesen in mit dem Robert-Koch- werden, wobei wertvolle Zeit verloren ging. Durch eine stär- Düsseldorf Foto: ©Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen Institut Web-Seminare zu kere Integration des ÖGD ins Studium könnte die Einarbei- in Düsseldorf aktuellen Themen durch, tungszeit im erneuten Krisenfall deutlich verkürzt werden. um unsere Kolleginnen und Kollegen bestmöglich für den Krisenmodus vor- Führungskultur nachhaltig verändern zubereiten. Der Transfer zwischen Wissenschaft und Neben den organisatorischen Veränderungen hat die Praxis muss einen hohen Stellenwert haben, damit in öffentliche Verwaltung durch die Pandemie auch kulturell den Gesundheitsämtern evidenzbasierte Entscheidungen einen regelrechten Wandel erlebt: Eine große Rolle spielt möglich sind.“ dabei das Arbeiten im Homeoffice. Handelte es sich dabei vorher eher um Ausnahmeregelungen, ermöglichten Ver- Einige Verwaltungen, wie z. B. die Landeshauptstadt Dres- ordnungen nun nahezu allen Mitarbeitenden das Arbeiten den und die Landesverwaltung Brandenburg, haben bereits von zu Hause. Die Vorbehalte gegenüber dem mobilen den Blick zurück gewagt und ihr eigenes Krisenmanagement Arbeiten konnten während der Pandemie deutlich redu- bzw. ihre digitale Resilienz in Krisenzeiten evaluiert. Die ziert werden. Lehren, die aus der Pandemie für zukünftige Krisen gezogen So angenehm das mobile Arbeiten den meisten er- werden können, adressieren die organisatorische, kulturelle scheint, so herausfordernd ist es für die Führungsebene. und vor allem auch die technologische Ebene. Wenn ein Teil der Mitarbeitenden nicht mehr täglich vor Ort ist, muss Führung auf Distanz erfolgen: Welche hybriden Krisenmanagement verankern Arbeitsformen braucht es, damit die Zusammenarbeit Die Pandemie hat gezeigt, dass im Krisenmodus die gut funktionieren kann? Wie kann die Produktivität und Arbeitslast binnen kürzester Zeit stark ansteigen kann, was Motivation der Mitarbeitenden auch standortunabhängig oft nicht mit dem bestehenden Personal zu bewältigen ist. erhalten werden? Welche (auch digitalen) Kompetenzen Um die Krisenresilienz zu stärken, sind personelle Vorkeh- benötigt die Führungskraft, um das Team zu steuern, rungen nötig. Die Sicherstellung von Flexibilität im (kurzfris- zu unterstützen und weiterzuentwickeln? Auch das The- tigen) Personaleinsatz ist dabei ein wichtiger Faktor. Hierfür ma (psychische) Gesundheit der Mitarbeitenden rückte bieten sich Personalpools und ständig aktualisierte Ein- durch die Pandemie verstärkt in den Fokus. Durch die satzpläne an, die festlegen, wer wann im Krisenfall wohin Mehrbelastung, teils atypische Arbeitszeiten und die Angst abgeordnet wird. Wie das funktionieren könnte, wird aktuell vor Ansteckung unter den Beschäftigten wurden die Füh- gerade in der Landeshauptstadt Dresden entwickelt. rungskräfte für psychische Probleme sensibilisiert. Dieses Die letzten Jahre haben zudem Nachbesserungsbedarfe Bewusstsein gilt es nun, auch im Regelbetrieb – und auch in der Personalausstattung des ÖGD offenbart. Neben ver- über die Distanz hinweg – aufrechtzuerhalten. Um auf dem waltungsinternen Mitarbeitenden unterstützten u. a. auch Arbeitsmarkt attraktiv und wettbewerbsfähig zu bleiben, das Personal von Feuerwehren, des Technischen Hilfswerks muss sich die öffentliche Verwaltung und dabei insbeson- oder Studierende bei der Pandemiebewältigung in den dere die Führungsebene zukünftig noch stärker mit den Verwaltungen. Um die Personalressourcen auch langfristig Formaten von New Work beschäftigen. Die Pandemie hat aufzustocken, wurden bereits erste Schritte gegangen: So dabei einen wichtigen Impuls vermittelt. In puncto Präsenz- verfolgen Bund und Länder das Ziel, bis 2025 für die rund betrieb ist man sich inzwischen einig: Bei einem erneuten 400 Gesundheitsämter 5.000 neue Stellen zu schaffen. Virusausbruch mit Kontaktbeschränkungen wird der Um- Doch es geht nicht nur um mehr Vollzeitäquivalente, stieg von Vor-Ort-Tätigkeiten auf mobiles Arbeiten dank der sondern auch um die benötigten Qualifikationen. Das Kri- inzwischen besseren Ausstattung und des beschleunigten senmanagement ist dabei von steigender Bedeutung: Wie Kulturwandels kaum mehr eine Hürde darstellen. 10 TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Die Covid-19-Pandemie als Chance: Zwischen Krise und Wandel Um die Resilienz des Öffentlichen Gesundheitsdienstes langfristig zu stärken, müssen wir uns multiprofessionell, wissenschaftlich, daten- basiert und digital aufstellen.“ Dr. Johannes Nießen, Amtsleitung Gesundheitsamt der Stadt Köln und Vorsitzender des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. Foto: ©Martina Goyert Zudem gilt es, weiterhin für die entstandene Innovations- Digitalisierungsschwung mitnehmen offenheit zu werben. So kann gemeinsam geprüft werden, Fragt man die Verwaltungsmitarbeitenden nach den po- mit welchen Ansätzen Krisen künftig bearbeitet werden sitiven Auswirkungen der Krise, fällt neben der Möglichkeit sollten. Das Ziel muss sein, eine stärkere Akzeptanz für zu mobilem Arbeiten ein zweiter Begriff: Digitalisierungsfort- einen konsequenteren Einsatz passender technologischer schritte. Die Pandemie hat den Verwaltungen einen Schub Neuerungen zu schaffen. verpasst, die Anzahl an mobilen Endgeräten ist gestiegen und datenschutzrechtliche Spielräume wurden während Üben, simulieren, evaluieren des Krisenmodus pragmatisch genutzt. Laut Dr. Johan- Um für einen erneuten Krisenfall vorbereitet zu sein, ist nes Nießen aus dem Gesundheitsamt der Stadt Köln hat ständiges Evaluieren, Lernen und Anpassen gefragt. Keiner das Verwaltungspersonal in den letzten Jahren deutlich an kann voraussagen, wann das nächste Virus ausbricht. Bei Kompetenz hinsichtlich digitaler Tools gewonnen. Dadurch einem zeitnahen Eintreten einer pandemischen Lage könnte hat sich auch die Effizienz der Verwaltungsarbeit erhöht. die Verwaltung vermutlich schnell wieder in den Krisenmo- Doch um resilient aufgestellt zu sein, muss die öffentliche dus umschalten und auf die während der Covid-19-Pande- Verwaltung weiter Fahrt aufnehmen. mie geschaffenen Strukturen und Prozesse zurückgreifen. So wurde zwar inzwischen erkannt, dass Systeme zwin- Doch was muss die Verwaltung unternehmen, damit der gend interoperabel sein müssen, um resilientes Handeln zu Krisenmodus auch in zehn Jahren noch funktioniert? ermöglichen. Doch ist die Schnittstellenproblematik noch Es gilt, das über die Covid-19-Pandemie hinweg gesam- nicht final gelöst: Sicherheitsbedenken führen nicht nur melte Wissen zu bewahren, aber auch laufend an die ak- dazu, dass es immer noch zu wenige End-to-End-Prozesse tuellen Gegebenheiten anzupassen. Sind die eingeführten gibt, sondern auch dazu, dass vorwiegend auf Eigenentwick- Prozesse auch heute und zukünftig noch richtig – und falls lungen gesetzt wird und aufgrund fehlender Schnittstellen nicht, welche neuen Wege müssen eingeschlagen werden? Insellösungen entstehen. Insbesondere mit Blick auf neu- Die Lösung könnte in der Durchführung von Übungen und erliche pandemische Krisen ist eine medienbruch- und Simulationen liegen. Vergleichbar mit Katastrophenschutz- schnittstellenfreie Datenübermittlung zwischen Kommu- übungen werden Prozesse des Krisenmodus durchgespielt, nen, Land und Bund eine zwingende Voraussetzung, um deren Aktualität überprüft und relevante Akteure involviert. einer Virusausbreitung schnellstmöglich entgegenwirken Bezieht man bei diesen Übungen auch neue Mitarbeitende zu können. ein, kann auf diesem Weg auch das Erfahrungswissen aus der Covid-19-Pandemie weitergegeben werden. Wir haben frühzeitig begonnen, unser Krisenmanagement zu evaluieren. Welche Prozesse haben gut funktioniert, welche Abläufe müssen verbessert werden? Aus den Ergebnissen der Evaluation entwickeln wir nun ein Arbeitsprogramm und hinterle- gen es mit Verantwortlichkeiten. Wichtig ist dabei, den Verbesserungsprozess nicht als abschließend zu betrachten, sondern kontinuierlich voranzutreiben.“ Katrin da Costa André, Referentin Strategie und Controlling im Amt für Stadtstrategie, Internationales und Bürgerschaft der Landeshauptstadt Dresden Foto: ©Landeshauptstadt Dresden 11
EXTREMWETTEREREIGNISSE Foto: © Carl-Juergen Bautsch, stock.adobe.com Hitzewellen, Starkregen, Hochwasser: Durch Anpassung zur Resilienz D ie Protestbewegung Fridays for Future geht mit Tau- senden auf die Straße, die laut einen besseren Kli- maschutz fordern, die Letzte Generation strapaziert mit Klimaanpassungspläne eine wichtige Rolle. Denn wenn es Pläne gibt, trifft ein Extremwetter eine Verwaltung ggf. nicht unvorbereitet und diese kann resilient handeln. Klebeaktionen die Nerven vieler Autofahrenden. Egal wie Resiliente Verwaltungen zeichnen sich aber nicht nur man selbst zu den Protestaktionen steht, der Klimawan- durch Klimaanpassungspläne aus. Aspekte, die dem Ziel der del ist unübersehbar und real erfahrbar in Deutschland resilienten öffentlichen Verwaltung dienen, lassen sich auch angekommen: Nicht nur, dass die Durchschnittstempe- anhand der Gestaltung der lokalen Klimaschutz- und Anpas- ratur in den letzten Jahrzehnten in Deutschland immer sungspolitik ableiten: 8 Erstens ist die Größe der Kommunen schneller steigt, hinzukommt, dass Extremwetterereignisse entscheidend, denn größere Städte haben generell mehr wie Starkniederschläge und Hitzewellen immer häufiger Kapazitäten, um sich etwa in (inter-)nationalen Netzwerken und intensiver werden. 6 Das dramatische Voranschreiten auszutauschen. Zweitens ist es elementar, ob Themen wie des Klimawandels unterstreicht nicht zuletzt der neues- Klimaschutz bereits verankert waren, denn das reduziert te Bericht des Weltklimarats (IPCC). 7 Städte, Kommunen den administrativen und politischen Aufwand signifikant. und Landkreise sind in Deutschland unterschiedlich auf Drittens sind Kommunen stark auf externe Ressourcen solche Extremwetterereignisse vorbereitet. Hier spielen angewiesen, größere Kommunen nutzen häufiger EU-Mit- tel. Kleinere Kommunen zielen erfahrungsgemäß eher auf Förderprogramme von Bund und Ländern ab. Neben diesen Ergebnissen aus der Wissenschaft werden Für viele deutsche Kommunen hat im Folgenden Herausforderungen auf lokaler Ebene iden- sich in den letzten Jahren die Förde- tifiziert. Gerade bei Extremwetterereignissen sind Städte rung durch das Bundesumweltminis- terium als entscheidend erwiesen. und Kommunen gefordert. Diese Probleme und Heraus- Auch wenn sich – wie bei allen forderungen, die rund um eine Krise entstehen, werden im befristeten Förderungen – die Folgenden benannt und differenziert. Frage nach der dauerhaften Verstetigung stellt, ermög- Houston, wir haben ein Problem! lichen die Nationale Klima- Bei Extremwetterereignissen ist Kommunikation entschei- Dr. Wolfgang Haupt, Postdoc schutzinitiative und die Deut- dend. Obwohl Unwettervorhersagen heute viel präziser als am Leibniz-Institut für Raum- sche Anpassungsstrategie die noch vor zwanzig Jahren sind, treffen Extremwetterereig- bezogene Sozialforschung / Erstellung und zum Teil auch nisse die Bevölkerung oft überraschend. Problematisch Forschungsgruppe Urbane Nach- haltigkeitstransformationen die Umsetzung von kom- ist es, dass Sirenen seit den 1990er-Jahren systematisch Foto: ©Leibniz-Institut für Raumbezogene munalen Klimaschutz- und abgebaut wurden. Das Kommunikationsproblem ist in Bezug Sozialforschung Klimaanpassungsstrategien.“ auf Extremwetterereignisse nicht, dass nicht kommuniziert 6 Deutscher Wetterdienst und Frank Kasper, Was wir heute über das Extremwetter in Deutschland Wissen. Stand der Wissenschaft zu extremen Wetterphänomenen im Klimawandel in Deutschland, 2021, S. 5. 7 IPCC (Hg.), Climate Change 2022: Impacts, Adaptation, and Vulnerability., unter Mitw. von Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [H.-O. Pörtner, D.C. Roberts, M. Tignor, E.S. Poloczanska, K. Mintenbeck, A. Alegría, M. Craig, S. Langsdorf, S. Löschke, V. Möller, A. Okem, B. Rama, 3.056. Aufl., Cambridge, UK and New York, NY, USA 2023. 8 Antje Otto u. a., Ranking local climate policy: assessing the mitigation and adaptation activities of 104 German cities, in: Climatic Change, 167 (2021), 1-2. 12 TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Hitzewellen, Starkregen, Hochwasser: Durch Anpassung zur Resilienz wird, sondern dass wesentliche Informationen nicht bei Eine Katastrophe wird mit einer Wahr- den Menschen ankommen. Dabei handelt es sich um ein scheinlichkeit von ca. drei zu eins die Übersetzungsproblem. Mit Zahlen zum Niederschlag pro normale Verwaltung zu einem Zeit- punkt erwischen, zu dem sie nicht Quadratmeter kann ein Großteil der Bevölkerung nichts im Dienst ist, wenn man von den anfangen. Wichtig ist, zu wissen: Was kommt bei der Be- operativen Kräften absieht: Feuer- völkerung an, und welche Schlüsse zieht sie aus den In- Benno Fritzen, Leitender wehr, Polizei, Hilfsorganisationen formationen? Neben der Kommunikation von öffentlicher und Krankenhäuser, die laufen im Branddirektor a. D., langjäh- Verwaltung zu Bürgerinnen und Bürgern stellt auch die riger Leiter der Feuerwehr 24-Stunden-Betrieb, aber das ad- Kommunikation innerhalb der Verwaltung ein Problem dar. Münster und aktuelle Verbin- ministrative Management, welches Wenn z. B. nicht alle wesentlichen Akteure den gleichen In- dungsperson des Deut- dann ja auch für das Krisenma- schen Feuerwehrverbands formationsstand haben, kann das schnelles und effektives (DFV) beim Bundesamt für nagement zuständig ist, deckt nur Handeln behindern. Bevölkerungsschutz und ca. 25 Prozent der Stunden eines Katastrophenhilfe (BBK) Jahres ab. Das muss sich ändern.“ Foto: ©privat Krisen halten sich nicht an Erreichbarkeiten der Verwaltung Die Flut im Sommer 2021 in Rheinland-Pfalz und NRW war besonders tödlich, da u. a. das Ausmaß der Flut erst oft unbeachtet bleibt, auch innerhalb der Verwaltung. Neben spätabends deutlich wurde. Ähnlich ist es auch bei ande- der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Katastro- ren potenziellen Krisen, worauf die öffentliche Verwaltung phenschutz gibt es nicht viel mehr. reagieren muss. Tritt eine Krise außerhalb der Dienstzeiten der öffentlichen Verwaltung ein, kann die Krisenbewältigung Gefahr erkannt, Gefahr gebannt und -koordination viel langsamer starten. Die Trumpfkarte bei potenziellen Gefahrenereignissen ist die Vorbereitung. Nach dem Modell von Prof. Nullmeier Sind öffentliche Verwaltungen per se ist mit der „vorausschauenden Anpassungsfähigkeit“ die resilient? dritte Ebene erreicht (siehe S. 6). Unsere Expertinnen und Eigentlich sind Verwaltungen z. B. durch Vertretungsre- Experten nannten neben den bereits geschilderten Heraus- gelungen für Abwesenheiten durch Krankheit, Urlaub oder forderungen auch Weiterentwicklungs- und Veränderungs- Elternzeit resilient gegenüber Krisen aufgestellt. Die Ver- potenziale, um zu einem resilienten Handeln zu kommen. gangenheit hat aber gezeigt, dass diese Regelungen nicht Diese können in organisatorische, kulturelle und technische immer funktionieren. Problematisch kann es sein, wenn Potenziale untergliedert werden. Expertise und Fachwissen nicht diversifiziert sind. Hinzu kommt, dass die psychologische Dimension von Resilienz Organisatorisch – Kontinuität und Diversität sind die Schlüssel zum Erfolg Die zuvor geschilderten Probleme der Kommunikation, wie die für Bürgerinnen und Bürger schwer verständlichen Manche Extremwetter Informationen, sollten durch einfache Sprache gelöst wer- ereignisse, z. B. Stark den. Als positives Beispiel kann die Kommunikation rund um regen, sind per den Hamburger Fischmarkt genannt werden, wo regelmäßig Definition nicht proaktiv aufgefordert wird, Autos wegzufahren und nicht nur eindeutig einem ein – schwer interpretierbarer – Pegelstand kommuniziert Fachbereich wird. Auch das interne Übersetzungsproblem z. B. von Wet- zuzuordnen. terdaten kann durch Fachexpertise und proaktives Handeln Katharina Schätz, Denn es handelt intern oder durch externe Expertise gelöst werden. Generell Klimaresilienzmanagerin der Stadt Regensburg sich weder um gilt: Informations- und Abstimmungsprozesse innerhalb Foto: ©Stadt Regensburg, Christian Kaister ein Oberflächen- einer Kommune sind elementar, um resilient handeln zu gewässer noch können. Darüber hinaus sind Simulationen und Übungen um einen Kanal oder ein Abwasser. Es ist ein – wie bereits in Kapitel 2 geschildert – für die öffentliche Sonderfall und deswegen sind die Zuständig- keiten nicht klar geregelt.“ Verwaltung entscheidend. Jeder Ablauf, der schon einmal simuliert wurde, führt dazu, dass Krisensituationen bes- 13
durch den Klimawandel sind in ihren Auswirkungen auf den Damit die Arbeitsfähigkeit der Katastrophenschutz noch nicht ausreichend beschrieben“. 9 gesamten öffentlichen Verwaltung Ein weiteres organisatorisches Entwicklungspotenzial, um während einer Krise aufrechterhal- die Resilienzfähigkeit zu erhöhen, ist der Aufbau redundan- ten werden kann, sind eine funk- ter Kapazitäten (Redundanz = Qualifikationen sind mehrfach tionierende Kommunikation vorhanden). Vertretungsregelungen von Fachpersonal kön- sowie IT notwendig. Denn nen Redundanzen darstellen. Die Vergangenheit hat jedoch während eines Ausnahme- Marlis Cremer, Amtsleiterin des gezeigt, dass Redundanz nicht immer aufgebaut werden Amtes für Rettungswesen und zustands reicht es nicht aus, dass nur die Katastrophen- konnte. Führungskräfte waren nicht auf ihrem Diensthandy Bevölkerungsschutz der StädteRegion Aachen schutzabteilung weiß, was zu zu erreichen, nachdem sich eine Krisensituation entwi- Foto: ©StädteRegion Aaachen tun ist.“ ckelt hatte. Daher ist zu empfehlen, analog zur Freiwilligen Feuerwehr alle zwei Wochen automatische Anruf-Ketten zu etablieren, um die Aktualität der Handynummern zu ser gehandhabt werden können. Die gesamte öffentliche überprüfen und so die Erreichbarkeit zu garantieren. Dies Verwaltung muss üben, wie sie ihre Arbeitsfähigkeit – z. B. wird seit 2014 mit Erfolg in Münster praktiziert. im Bereich der Kommunikation während Krisen – auf- rechterhalten kann. Während einer Krise bzw. Katastrophe Kulturell – sich regen bringt Segen reicht es nicht aus, dass nur die Katastrophenschutzabtei- Hierarchie ist per se nicht etwas Schlechtes, z. B. in Form lung weiß, was zu tun ist. Die gesamte Verwaltung muss von Verantwortungsketten; denn es ist wichtig, sich an durch Übungen mitgenommen werden. Zwar finden auf bestehenden, erprobten Strukturen und Abläufen während Bundesebene (LÜKEX-Übungen) oder im Zusammenhang einer Krise oder Katastrophe orientieren zu können. Trotz- mit der Notfallvorsorge immer wieder Übungen statt, in dem sollte überprüft werden, wo hierarchisches Handeln denen öffentliche Verwaltungen vorbildlich Krisensituatio- sinnvoll ist. Hier zählt die Devise: Überdenken und Aufhe- nen simulieren. Übungen auf der kommunalen Ebene sind ben, wo es nicht notwendig ist, aber Beibehalten, wo es aber nicht flächendeckend. Zudem ist eine reformierte sich bewährt hat. Daneben ist es relevant, innovatives und Verwaltungsausbildung notwendig, so unsere Expertinnen kreatives Handeln zuzulassen. Aus dieser Kombination und Experten; Krisenmanagement sollte als verbindliches kann resilientes Handeln entstehen (siehe Infobox). Zudem Modul mit in die Ausbildung aufgenommen werden. Benno ist es wichtig, ein Selbstverständnis zu fördern, in dem die Fritzen verweist darauf, dass das Land NRW einen Katas- gesamte öffentliche Verwaltung sich als Teil des Katastro- trophenschutzbedarfsplan fordert, der „analog zur Brand- phenschutzes versteht. Denn nur so kann in Krisenzeiten schutzbedarfsplanung der Gemeinden […] zu entwickeln ein gemeinsames Handeln gelingen. sei. Insbesondere die Veränderungen Technisch – große Dinge fangen klein an Der zweite bundesweite Warntag im Dezember 2022 hat deutlich gemacht, dass es bei einem länger dauernden Stromausfall noch immer problematisch ist, die Bevölkerung Momentan gibt es Probleme, über Sirenen flächendeckend zu erreichen und zu informie- Daten z. B. vom Wetterdienst zu ren. Die Notwendigkeit, Sirenen zu reinstallieren, haben interpretieren: Eine Stelle mit viele Kommunen erkannt. Es zeigt sich, dass es neben ana- Benno Fritzen, Leitender Back-up und 24-Stunden-Dienst Branddirektor a. D., langjäh- in Deutschland würde ausreichen, logen Systemen eine Digitalisierungsoffensive braucht. Die riger Leiter der Feuerwehr um meteorologische Daten mit Etablierung von Cell Broadcast (Warnnachrichten werden Münster und aktuelle Ver- direkt auf das Handy geschickt) ist ein erfolgreiches Beispiel. geologischen und hydrologischen bindungsperson des Deut- Daten zu verschneiden und für die Neben einer funktionierenden IT, die die Kommunikation schen Feuerwehrverbands (DFV) beim Bundesamt für betroffenen Regionen zu interpre- der Verwaltung sicherstellt, braucht es darüber hinaus eine Bevölkerungsschutz und tieren und in deren Sprache zu Strategie, wie man Sensoren, digitale Zwillinge und z. B. Geo- Katastrophenhilfe (BBK) übersetzen.“ Foto: ©privat daten flächendeckend nutzen kann, um einen verlässlichen Überblick über aktuelle Wetter- oder hydrologische Daten wie Pegelstände zu gewinnen. Überdies sind Simulationen 9 Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, Katastrophenschutz der Zukunft. Abschlussbericht des vom Minister des Innern berufenen Kompetenzteams Katastro- phenschutz, 2022, S. 16, https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/berkompetenzteam2_0.pdf. 14 TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Hitzewellen, Starkregen, Hochwasser: Durch Anpassung zur Resilienz sinnvoll, um z. B. mögliche Überschwemmungsgebiete zu Blick in die StädteRegion Ri ch identifizieren bzw. Hochwasserauswirkungen durchzuspie- Aachen te ric h len. Zwar gibt es schon viele Projekte, in denen Hochwas- Laurensberg Haaren serkarten digitalisiert sind bzw. Hochwassersituationen Die StädteRegion Aachen hat während der Eilen- dorf modelliert wurden. Jedoch geschieht dies noch nicht bun- Flutkatastrophe 2021 erkannt, dass es während Aachen-Mitte Brand desweit. Zudem hat das Hochwasser im Juli 2021 deutlich einer Krise neben erprobten Strukturen auch neuer gemacht, dass gerade kleinere Flüsse und Bäche bisher Strukturen bedarf, die kreatives und innovatives Korneli- weniger in den Blick genommen wurden und Risikokarten Handeln ermöglichen: So wurde beispielsweise Münster/ Walheim dort besonders oft fehlen. Darüber hinaus ist elementar, deutlich, dass die Bevölkerung rein durch die Etablierung von datenbasierte Lageinformationen aus diversen Quellen (EU, Infopoints bzw. Anlaufstellen nicht ausreichend erreicht wer- Bundesebene, Landesebene) digital zusammenzuführen den konnte. Deshalb entstand die Idee, auf die Mikroebene und zu interpretieren. Die ressortübergreifende Vernetzung zu gehen. Die Einsatzleitung der StädteRegion Aachen orga- ist ebenfalls wichtig, um resilient handeln zu können. Außer- nisierte gemeinsam mit der Psychosozialen Notfallversorgung dem sollte die IT am besten dezentral organisiert sein, um (PSNV) Teams, bestehend aus drei Personen, und schickte so Redundanzen zu erzeugen, sodass ein Ausfall an einer diese in die einzelnen Haushalte, um herauszufinden, wie Stelle durch eine andere Stelle aufgefangen werden kann. es den Menschen geht und welche Bedürfnisse bestehen. Auf diese Weise konnten die Bürgerinnen und Bürger besser Resilientes Handeln vor und während erreicht werden. Neben Mitarbeitenden der PSNV sowie der in Extremwetterereignissen der Region tätigen Hilfsorganisationen beteiligten sich auch Positiv ist, dass es konkrete Möglichkeiten gibt, wie die zahlreiche Studierende der katholischen Hochschule Aachen öffentliche Verwaltung ihre Resilienzfähigkeit in Bezug auf an der Aktion. Die Ergebnisse wurden dann jeweils von den Extremwetterereignisse noch ausbauen kann. Neben Klima- Sozialämtern der Städte Eschweiler und Stolberg bearbeitet. anpassungsplänen ist Kommunikation ein entscheidender Nach Ende des Einsatzbefehls der Einsatzleitung der Städ- Faktor, der vom organisatorischen bis hin zum technischen teRegion Aachen initiierten Mitglieder des Allgemeinen Studie- Entwicklungspotential ausgebaut, verbessert und perfekti- rendenausschusses (AStA) und des Studierendenparlaments oniert werden kann. Grundlegend ist die Frage, ob Kommu- (StuPa) der Hochschule in Kooperation mit den Sozialämtern nen überhaupt die Möglichkeit haben, mit der Bevölkerung sowie der PSNV eine Fortführung der Hochwasser-Befragungen zu kommunizieren. Wenn Kommunikationswege bestehen, im Herbst 2021. Ziele waren u. a., akute, existenzielle Bedro- können Form und Inhalt der Kommunikation in den Blick hungen wie Einsturzgefahren und Schimmelbefall sichtbar genommen werden: Was kommunizieren wir und wie kom- zu machen und daraus Handlungsbedarfe für die Verwaltung munizieren wir es? Hierbei ist eine klare Sprache wichtig, abzuleiten. Die Fragen fokussierten allerdings nicht nur auf damit Informationen tatsächlich verstanden werden und die aktuelle Wohnsituation der Betroffenen, sondern auch auf keine Interpretationsleistungen seitens der Bürgerinnen und deren körperliches und psychisches Wohlbefinden. Bürger erbracht werden müssen. Zweitens sind redundante Laut der erfahrenen Amtsleiterin des Katastrophenschut- Systeme wichtig: Redundanz kann sich einerseits auf die zes der StädteRegion Aachen Marlis Cremer wird „die Frage Expertisen von Mitarbeitenden beziehen, andererseits auf nach psychischer Resilienz in Deutschland zu oft nach hinten technische Back-up Lösungen, z. B., dass die IT-Systeme gestellt. Der Grund für die oftmals fehlende Sensibilisierung nicht nur an einem Ort angesiedelt sind. Drittens sollte die liegt auch im Bereich der personellen Besetzungen der Einsatz- Nutzung von digitalen Möglichkeiten ausgebaut werden, leitungen, die im Bereich der Feuerwehr angesiedelt und eher um so zum einen antizipatorisch besser aufgestellt zu sein naturwissenschaftlich geprägt sind. Daher wird die Etablierung (digitale Simulationen), aber auch zum anderen ad hoc von Fachberatungen der PSNV manchmal vernachlässigt, was reagieren zu können (Sensoren). Viertens sollte die ge- glücklicherweise auf die StädteRegion Aachen nicht zutrifft. Zu samte Verwaltung immer wieder an Übungen teilnehmen, selten wird die Frage nach dem ganzheitlichen Unterstützungs- um Prozesse zu überprüfen und zu verbessern. Fünftens bedarf der Bevölkerung gestellt. Außerdem ist es wichtig, das sind erprobte Strukturen und Abläufe während einer Krise Thema psychische Resilienz in den Verwaltungen zu verankern. oder Katastrophe sehr hilfreich, um Handlungsfähigkeit Denn gerade in den Verwaltungen bräuchte es Menschen, zu gewährleisten. Gleichzeitig ist es wichtig, innovatives die in Krisenphasen resilient sind und entsprechend handeln und kreatives Handeln zu fördern. Dies zusammen kann können“. resilientes Handeln ermöglichen. 15
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