Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung

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Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
TRENDreport DIGITALER STAAT

      Nach der Krise ist
      vor der Krise:
      Resilienz und Handlungsfähigkeit
      in der öffentlichen Verwaltung

      Eine Publikation von
Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Inhalt
             Vorwort .............................................................................................................................................................   3
             Von Krisen und Katastrophen: Pandemien, Extremwetter, Cybergefahren.................................................                                                    4
             Die Covid-19-Pandemie als Chance: Zwischen Krise und Wandel...............................................................                                              8
             Hitzewellen, Starkregen, Hochwasser: durch Anpassung zur Resilienz....................................................                                             12
             Cybergefahren: Wie wappnet sich die öffentliche Verwaltung? ................................................................. 16

             Exkurs: Resilienz im Baltikum und in den Nordischen Ländern ................................................................ 20

             „How-to-Resilience“ in der öffentlichen Verwaltung .................................................................................. 22

             Sieben Schritte auf dem Weg zur resilienten Verwaltung........................................................................... 27

    Impressum
    Der Trendreport "Digitaler Staat" ist im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Behörden Spiegel und der Prognos AG entstanden. (April 2023)

    Herausgeber
    ProPress Verlagsgesellschaft mbH, Bonn                                                                       Prognos AG,
    Friedrich-Ebert-Allee 57, 53113 Bonn                                                                         Goethestraße 85, 10623 Berlin
    Telefon: 0228/970 970                                                                                        Telefon: 030/52 00 59-210
    E-Mail: verlag@behoerdenspiegel.de                                                                           E-Mail: info@prognos.com
    Registergericht: AG Bonn HRB 3815                                                                            Geschäftsführer: Christian Böllhoff
    UST-Ident.-Nr.: DE 122275444                                                                                 Redaktionelle Leitung „Trendreport“ Prognos AG: Matthias Canzler
    Geschäftsführung: Dr. Fabian Rusch
    Redaktionelle Begleitung „Trendreport“ Behörden Spiegel: Dr. Eva-Charlotte Proll, Guido Gehrt
    V.i.S.d.P.: R. Uwe Proll

    Druck
    www.wir-machen-druck.de

    Satz und Layout
    Beate Dach, Spree Service GmbH, Berlin

    Bildnachweis Titelseite
    ©Photobank, stock.adobe.com

    Kostenfreier Download des Trendreports Digitaler Staat unter www.digitaler-staat.org/trendreport

2                                                         TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,
Krisen und deren Bewältigung haben die letzten Jahre geprägt: Die Covid-19-Pandemie hat
nicht nur die öffentliche Gesundheitsversorgung, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes
stark gefordert. Auch Bedrohungen wie Cybervorfälle in Kommunen oder auf Kritische
Infrastrukturen (KRITIS) sowie zunehmende (lokale) Extremwetterereignisse haben Städte,
Gemeinden und Landkreise zu weiten Teilen in den Krisenmodus versetzt. Manchmal wirkt
es, als würden Krisensituationen das sogenannte neue Normal.

Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den öffentlichen Verwaltungen engagieren sich
täglich, um diese Krisensituationen zu bewältigen und Lösungen zu finden. Strukturelle
und prozessuale Hürden oder unterschiedliche Zuständigkeiten erschweren diese Arbeit
mitunter erheblich. Gerade in Krisen offenbaren sich diese Hindernisse besonders. Sie
bieten damit aber auch Möglichkeiten, neue Wege zu gehen, um bestehende Hürden zu
überwinden. Gerade im Zuge der Covid-19-Pandemie wurde plötzlich vieles möglich, was
zuvor undenkbar schien.

Der Begriff der Resilienz erhielt daher in den vergangenen Jahren eine hohe Aufmerk-
samkeit in den Debatten um die Sicherung staatlicher Handlungsfähigkeit. Resilienz kann
dabei eine große Unterstützung sein, um Krisen zu bewältigen und sich bereits im Vor-
feld dagegen zu wappnen. Der Frage, wie resilientes Handeln aussieht, widmet sich der
diesjährige Trendreport unter dem Titel „Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und
Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung“. Dafür haben wir Fachgespräche mit
nationalen und europäischen Expertinnen und Experten geführt.

Der Trendreport gibt umfassende Einblicke…

…in krisenbedingte Herausforderungen und Hürden der öffentlichen Verwaltungen,

…in bereits bestehendes resilientes Handeln,

…in Möglichkeiten, Resilienz zu erhöhen.

Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine interessante Lektüre und hoffen,
Ihnen die eine oder andere Anregung auf dem Weg zur resilienten Verwaltung mitgeben zu
können!

   Dr. Axel Seidel,              Dr. Eva-Charlotte Proll,
   Partner und COO,              Herausgeberin und CDO
   Prognos AG

                                                                                            3
Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Von Krisen und Katastrophen:
                                           Pandemien, Extremwetter, Cyber

                                                                                                                                                                 Illustration: ©B. Dach/Racle Fotodesign, stock.adobe.com
            K     risen und deren Bewältigung sind für Deutschlands
                  Verwaltungen Standard geworden. Eine Krise reiht sich
             an die andere, zuletzt z. B. die Energie- an die Covid-19-Kri-
                                                                                              antwortung tragen. Dabei sind die Verwaltungen oft auch
                                                                                              selbst von den Krisen betroffen.
                                                                                                 Ob eine Krise in Politik und Öffentlichkeit als prioritär
             se. Hinzu kommen Katastrophen, die zu Krisen wurden,                             eingestuft wird, folgt gewissen Aufmerksamkeitszyklen.1
             wie z. B. der bundesweit erste Cyber-Katastrophenfall oder                       Nach 2001 war das Bewusstsein für Terrorangriffe groß.
             die Flutkatastrophe im Sommer 2021. Gründe für diese                             Nach der Oder-Flutkatastrophe wurden viele Hochwasser-
             Krisen und Katastrophen liegen zum Teil in tiefgreifenden                        schutzpläne entlang großer Flüsse aktiviert. Nachdem die
             Veränderungen und Megatrends wie dem Klimawandel,                                ersten Krankenhäuser Opfer von Cyberangriffen wurden, ist
             der Globalisierung und der Digitalisierung. Verwaltungen                         Cybersicherheit als Risiko in der öffentlichen Verwaltung an-
             auf Landes- und Bundesebene sowie Städte, Gemeinden                              gekommen. Nachdem Covid-19 im Jahr 2020 pandemisch
             und Landkreise sind in der Pflicht, Krisen und Katastrophen                      wurde, drängten Pandemien und Zoonosen in den Risi-
             handhabbar und im Rahmen ihrer Möglichkeiten erträglich                          ko-Mittelpunkt. Seit der Flutkatastrophe im Sommer 2021
                          für die Menschen zu machen, für die sie Ver-                        wurde über das erhöhte Risiko durch häufigere Starkregene-
                                                                                              reignisse diskutiert. Keine dieser reaktiven Maßnahmen ist
                                                                                              irrelevant. Sie verdeutlichen aber, dass Risikobewusstsein
                                                                                              und dadurch Handlungsimpulse durch konkrete Ereignisse
                                             Es hält sich hartnäckig                          hervorgerufen werden. In diesem Zusammenhang lässt sich
                                             die Ansicht, dass ein                            von Krisenkonjunkturen sprechen: (Mediale) Aufmerksam-
                                            Nicht-Funktionieren der                           keit bedingt politisches Handeln.
                                                  Verwaltung im Wesentli-                        Krisen und Katastrophen werden oft synonym verwendet,
                                                     chen mit Personalman-                    ein wesentlicher Unterschied lässt sich jedoch festhalten:
                                                     gel zu tun hat. Aber                     Unter einer Katastrophe verstehen wir ein eher kurzfristiges
    Prof. Dr. Frank Nullmeier,
                                                    daran glaube ich nicht.                   Ereignis, während eine Krise langanhaltender ist. Daneben
    Professor für Politikwissenschaft,
    Universität Bremen, SOCIUM                      Natürlich braucht es in
                                                                                              sind die Gemeinsamkeiten aber prägender. Krisen und
    Forschungszentrum Ungleichheit                  der einen oder anderen
    und Sozialpolitik
                                                                                              Katastrophen treten sowohl disruptiv als auch inkrementell
                                                    Verwaltung mehr Perso-
                                                                                             auf. Zudem gibt es verschiedene Phasen innerhalb von
                         Foto: © Frank Nullmeier.
                                                    nal, aber insgesamt sind
                                                    Verwaltungen nicht so                     Krisen und Katastrophen. Dazu zählen u. a. Präventions-,
                                                    schlecht aufgestellt.“                    Schock-, Reaktions-, Wiederherstellungs- und Lernphasen.
                                                                                              Entscheidender ist jedoch die Gemeinsamkeit, dass Krisen,
                                                                                              Katastrophen und deren Auswirkungen das öffentliche Le-

             1
                 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986.

4                                                         TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Von Krisen und Katastrophen: Pandemien, Extremwetter, Cybergefahren

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                                                                                                    Recht und Personal sind in
                                                                                                    Wahrheit nicht das Problem
                                                                                                    der öffentlichen Verwaltung.
   ben auf mitunter unbestimmte Zeit beeinträchtigen. Dies                                          Es klemmt an der Vorstel-
   kann unterschiedliche Bereiche betreffen: Privates und Be-                                       lung, wie Zusammenarbeit
   rufliches, Unternehmen und Institutionen. Gerade in derart                                       anders organisiert werden
                                                                                                    könnte: Welche Organisati-
   disruptiven Phasen kommt der öffentlichen Verwaltung eine
                                                                                                    onsstruktur geben wir uns?                             Marcel „Otto“ Yon, Gründer &
   entscheidende Rolle zu: Sie trägt dazu bei, die öffentliche                                                                                             Partner innovation@scale, Gründer
                                                                                                    Welche Zusammenarbeits-
   Sicherheit und die Funktionsfähigkeit des Staates zu ge-                                                                                                & Vorstand Staat-up e.V.
                                                                                                    kultur leben wir? Wie setzen                                       Foto: © Bundeswehr, Luise Evers
   währleisten. Daher ist die Sicherstellung der Handlungs-
                                                                                                    wir Teams zusammen?“
   und Entscheidungsfähigkeit die zentrale Herausforderung
   der öffentlichen Verwaltung während akuter Krisenzeiten.
      Wir setzen uns im diesjährigen Trendreport deshalb mit
   folgenden Leitfragen auseinander: Auf welche Herausfor-                                     von Resilienz in der Verwaltung immer bedeutsamer. Wie
   derungen stößt die öffentliche Verwaltung in Krisenzeiten                                   resilientes Handeln aussehen und wie die öffentliche Ver-
   und welche Lehren können aus vergangenen und gegen-                                         waltung selbst resilient werden kann, wird in den folgenden
   wärtigen Krisen und Katastrophen für deren Handlungsfä-                                     Kapiteln skizziert.
   higkeit gezogen werden? Entscheidend ist dabei die Fra-
   ge, ob Verwaltungen weiter ihren Aufgaben nachkommen                                        Alle sprechen über Resilienz
   können. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen der                                       Alle sprechen über Resilienz, aber was ist das überhaupt?
   Handlungsunfähigkeit, die durch Krisen bzw. Katastrophen                                    Das Konzept der Resilienz kann einerseits auf eine psy-
   ausgelöst werden kann, und der Handlungsunfähigkeit, die                                    chologische Langzeitstudie zu Entwicklungsmöglichkeiten
   aufgrund struktureller Probleme besteht. Resilienz wird                                     von Kindern in den 1950er-Jahren zurückgeführt werden.
   oft als allumfassendes Instrument oder Mittel genannt,                                      Dort wurde Resilienz zum ersten Mal als Widerstandsfä-
   um Handlungsunfähigkeit entgegenzuwirken. Durch die                                         higkeit gegenüber negativen Ausgangsbedingungen ver-
   schnelle Taktung unterschiedlicher Krisen wird der Aufbau                                   standen.2 Andererseits kann das Konzept der Resilienz auf
                                                                                               das Aufkommen des Systemdenkens in der Ökologie in den
                                                                                               1960er-Jahren zurückgeführt werden.3
                                                                                                  Das gängige Verständnis von Resilienz unterscheidet
                                                                                               drei Dimensionen:
                                              Es gibt das Vorurteil,                            1. Widerstandsfähigkeit gegenüber Schocks oder schlei-
                                                dass die Verwaltung
                                                                                                    chenden Veränderungen (absorbation),
                                                       ein schleppendes
                                                                                                2. Kapazität zum Wiederaufbau und zur schnellen Wie-
                                                        Organ und nur
                                                                                                    derherstellung des Ausgangszustands (bouncing
                                                        reaktiv sei. Ich
                                                                                                    back),
                                                       erlebe dies jedoch
                                                       auch anders,                             3. Fähigkeit eines Systems, zu lernen und ggf. zu trans-
        Katharina Schätz,
                                                       denn es gibt viele                           formieren und sich an veränderte Bedingungen anzu-
        Klimaresilienzmanagerin der
                                                       sehr engagierte                              passen (bouncing forward).4
        Stadt Regensburg.
           Foto: ©Stadt Regensburg, Christian Kaister Mitarbeitende,                             Neben diesem breiten Verständnis, das in unterschiedli-
                                                       die aus ihrer Pra-                      chen Kontexten angewandt werden kann, hat Frank Nullmei-
       xis Erfahrungen an die Politik herantragen                                              er, Professor für Politikwissenschaft, ein Modell entwickelt,
       und so proaktiv Themen angehen.“                                                        in dem er Resilienz in der öffentlichen Verwaltung auf vier
                                                                                               Ebenen darstellt (siehe Grafik S. 6).
   2
       Volker Wittpahl, Resilienz, Berlin/Heidelberg 2023, S. 11.
   3
       Ivonne Elsner, Andreas Huck und Manas Marathe, Resilience, in: Jens-Ivo Engels (Hg.), Key Concepts for Critical Infrastructure Research, Wiesbaden 2018, S. 31-38, hier S. 32.
   4
       David Chandler und Jon Coaffee (Hg.), The Routledge Handbook of International Resilience, London/New York, NY 2017 (Routledge Handbooks).

                                                                                                                                                                                                    5
Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Vier-Stufen-Modell der Resilienz nach Prof. Dr. Frank Nullmeier

Die vier Ebenen der Resilienz sind Prof. Nullmeier zufolge nicht als Zyklus, sondern als Bausteine zur Etablierung von resilientem Handeln in der öffent-
lichen Verwaltung zu verstehen. Eine Ebene ist entsprechend nur ein Baustein und genügt noch nicht, damit eine Verwaltung als resilient bezeichnet
werden kann. Als Ergebnis der vier Bausteine entsteht letztlich Resilienzfähigkeit. Auf Basis dieser theoretischen Überlegungen assoziiert Prof. Nullmeier
Resilienz mit dem Begriff der institutionellen Widerstandsfähigkeit.                                                          Grafik: ©Prognos/Prof. Dr. Frank Nullmeier

                Wir nutzen dieses Modell als Orientierung, um resilien-                          Krisen gestern, heute und morgen
              tes Handeln in Krisenzeiten zu identifizieren und um zu                             Im vorliegenden Trendreport fokussieren wir uns auf die
              beleuchten, inwieweit Behörden und Verwaltungen in un-                            drei Themenbereiche Covid-19-Pandemie, Extremwettere-
              terschiedlichen Themengebieten bereits resilient agieren.                         reignisse und Cybergefahren. Neben vielen weiteren He-
                Zudem haben wir mit unterschiedlichen Expertinnen und                           rausforderungen wie Wirtschafts- und Finanzkrisen oder
              Experten aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft ge-                          Migrationswellen werden Extremwetterereignisse, Pande-
              sprochen und tiefgreifende Einblicke in die Herausforderun-                       mien und Cybergefahren auch die kommenden Jahre und
              gen und Lösungsoptionen für resilientes Handeln erhalten.                         Jahrzehnte prägen.

                                                          Um resilient auf Krisen reagieren zu können, müssen manchmal be-
                                                          stehende Regeln sehr großzügig ausgelegt bzw. bestehende Handlungs-
                                                          spielräume vollständig genutzt werden. Das hat beispielsweise während
                                                         der sogenannten Flüchtlingskrise und während der Corona-Pandemie,
                                                          als ad hoc reagiert werden musste, gut funktioniert.“

                                                                    Carola Heilemann-Jeschke, Abteilungsleiterin des Zentralen IT-Managements und Digitali-
                                                                    sierung öffentlicher Dienste beim Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen
                                                                                                                                              Foto: ©Freie Hansestadt Bremen

6                                                       TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Von Krisen und Katastrophen: Pandemien, Extremwetter, Cybergefahren

                                    Resilienz ist grundsätzlich jeder Verwaltung zu eigen – der Staat muss immer
                                    funktionieren. Ausfallsicherheit bedeutet, dass der Grundbetrieb der Verwaltung
                                   immer aufrechterhalten und die Kernleistungen erbracht werden können. In ihren
                                          historisch gewachsenen Strukturen und Prozessen weist die öffentliche Ver-
                                            waltung hierfür Eigenschaften auf, die auf den ersten Blick eher bürokra-
                                              tisch sind, auf den zweiten Blick aber ihre Resilienz stärken. So z. B. klare
    Dr. Matthias Dahlke, Referatsleiter
                                              Zuständigkeitsverteilungen durch Hierarchien und Geschäftsverteilungs-
    Digitale Gesellschaft, Staatskanzlei
    des Landes Brandenburg  Foto: © Y. Guo   pläne, eine personenunabhängige Aktenführung, verbindliche Vertre-
                                              tungsregelungen und oft auch Notfallpläne.“

  Die drei Themengebiete werden betrachtet, da sie sehr             Cybergefahren: Nicht nur private Unternehmen, auch
unterschiedliche Herausforderungen beschreiben, gleicher-                              öffentliche Institutionen sind ver-
maßen aber auch eine Vielzahl an Schnittmengen bzgl.                                   mehrt von schwerwiegenden Cyber-
Handlungsempfehlungen für öffentliche Verwaltungen auf-                                vorfällen betroffen. Diese gefährden
weisen. Doch welche Effekte hatten diese Krisen auf die                                die Funktionsfähigkeit der IT-Syste-
öffentliche Verwaltung?                                                                me und damit die Handlungsfähig-
                                                                                       keit von Verwaltungen. Öffentliche
  Covid-19-Pandemie: Die Eindämmung des Co-                                            Institutionen greifen daher verstärkt
                  vid-19-Virus stellte die wohl größte           zu präventiven Maßnahmen, um den Gefahrenlagen im
                  gesundheitliche und freiheitliche Her-         Netz vorzubeugen. Durch die stetige Digitalisierung ist es
                  ausforderung der letzten Jahre dar. Die        notwendig, dass bei allen Mitarbeitenden der öffentlichen
                  Krise traf die öffentlichen Verwaltungen       Verwaltung das Bewusstsein für die potenzielle Vulnerabi-
                  unvorbereitet: Der Präsenzbetrieb war          lität von IT-Systemen wächst.
                  nicht mehr wie gewohnt möglich, gleich-           Nachfolgend werden die drei Themenfelder Covid-19-Pan-
zeitig erhöhte sich die Aufgabenlast immens, u. a. durch         demie, Extremwetterereignisse und Cybergefahren individu-
Kontaktnachverfolgungen. Maßnahmen wie Personalab-               ell näher beleuchtet. In diesen Kapiteln werden zu Beginn
ordnungen halfen, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung          die themenspezifischen Herausforderungen beschrieben,
aufrechtzuerhalten. Die Notwendigkeit, den sich permanent        bevor anschließend Lernerfolge identifiziert bzw. Hand-
verändernden Wissensstand über den Verlauf der Pandemie          lungsempfehlungen formuliert werden. Herausforderungen
in Verordnungen und Regeln zu übersetzen, war eine beson-        und Lernerfolge sind nicht abschließend, sollen Praktikerin-
dere Herausforderung für die öffentlichen Verwaltungen.          nen und Lesern jedoch einen Einblick verschaffen, wie mit
                                                                 aktuellen Herausforderungen aus den unterschiedlichen
  Extremwetterereignisse: Hitzewellen, Starkregen,               Themenfeldern umgegangen und wie resilientes Verwal-
                         Hochwasser und andere Extrem-           tungshandeln etabliert werden kann. Im Rahmen eines
                         wetterereignisse traten in den          Exkurses wird auf die Bedeutung und Anwendung von Re-
                         vergangenen Jahren nicht nur            silienz im Baltikum und in den Nordischen Ländern Bezug
                         häufiger, sondern auch immer in-        genommen. Schließlich geben die letzten beiden Kapitel
                         tensiver auf. Dieser Trend wird sich    übergreifende, themenfeldunabhängige Empfehlungen zu
                         fortsetzen, jede Kommune kann           resilientem Handeln.
davon betroffen sein. Öffentliche Verwaltungen haben er-
kannt, dass sie mithilfe von präventiven Maßnahmen wie
Klimaanpassungs- und Notfallplänen diesen Gefahrenlagen
begegnen müssen. Gleichermaßen ist das Bewusstsein
für Ad-hoc-Reaktionen in öffentlichen Verwaltungen ge-
wachsen.

                                                                                                                                7
PANDEMIE

                                                                                                                                                                            Foto: ipopba, stock.adobe.com
    Die Covid-19-Pandemie als Chance:
    Zwischen Krise und Wandel

            M      ärz 2020: Das Covid-19-Virus breitet sich immer
                   schneller aus. Die Inzidenzen steigen, die ersten
            Quarantänepflichten werden verhängt und nach einer Kar-
                                                                                                        voneinem auf den anderen Tag. Davon betroffen war auch
                                                                                                        die öffentliche Verwaltung, die seit jeher durch Präsenzbe-
                                                                                                        trieb geprägt ist. Um nicht nur handlungsfähig zu bleiben,
            nevalsfeier ist die Kreisstadt Heinsberg der erste deutsche                                 sondern auch die im Zuge der pandemischen Lage zusätz-
            Corona-Hotspot. Die Bundesregierung vereinbart gemein-                                      lich anfallenden Verwaltungsaufgaben zuverlässig erledigen
            sam mit den Bundesländern Leitlinien zum Kampf gegen die                                    zu können, war ein schnelles Umschalten erforderlich. Die
            Corona-Epidemie. Damit verbunden sind nicht nur Vorschrif-                                  öffentliche Verwaltung stand auf allen Ebenen vor enormen
            ten für den Einzelhandel, den Publikumsverkehr und Veran-                                   Herausforderungen – organisatorisch, kulturell und techno-
            staltungen, sondern auch Verbote von Zusammenkünften.                                       logisch. Zwar gab es auch 2020 bereits Katastrophenschutz-
               Rückblickend haben die Covid-19-Pandemie und die                                         pläne und Notfallkonzepte für pandemische Ausbrüche – die
            damit verbundenen Einschränkungen einen Großteil des                                        Bundesregierung führte sogar 2012 eine Risikoanalyse zu
            Alltags zum Stillstand gebracht – vom Privatbereich bis                                     einer möglichen Pandemie durch ein modifiziertes SARS-­
            in den Arbeitskontext hinein. Die dringende Empfehlung                                      Virus durch. 5 Doch waren Pläne und Konzepte zumeist weder
            an Arbeitgebende, zum Schutz der Mitarbeitenden und                                         auf dem aktuellen Stand noch auf ein derartiges Szenario
            zur Eindämmung des Ansteckungsrisikos Homeoffice zu                                         ausgerichtet. Zudem erreichte die Covid-19-Pandemie ein
                 ermöglichen, veränderte den Arbeitsalltag vielerorts                                   Ausmaß, das vorherige Infektionsausbreitungen bei Weitem
                                                                                                        übertraf. Wie erging es der öffentlichen Verwaltung während
                                                                                                        der Beschränkungen? Auf welche Hürden ist sie gestoßen
                             Die anfallenden Aufgaben im Öffent-
                                                                                                        und wie hat sie diese überwunden?
                                lichen Gesundheitsdienst waren
                                für das bestehende Personal nicht
                              zu bewältigen. Wir mussten schnell                                        Steigende Aufgabenanzahl trifft
                               reagieren und Mitarbeitende aus                                          auf Personalausfall
                                 anderen Verwaltungsbereichen                                             Im Fokus stand insbesondere der Öffentliche Gesund-
                                   abordnen und Studierende ge-                                         heitsdienst (ÖGD), der sowohl in Bundes- und Landesbe-
                                            winnen. Bei uns im Gesund-                                  hörden als auch in kommunalen Gesundheitsämtern eine
                                                     heitsamt der Stadt Köln                            rasant ansteigende Aufgabenmenge zu bewältigen hatte.
                                                      bedeutete das einen                               Beispielhaft zu nennen sind die Kontaktnachverfolgung,
    Dr. Johannes Nießen, Amtsleitung                   zwischenzeitlichen                               die Datenübermittlung und die Erstellung von Hygiene- und
    Gesundheitsamt der Stadt Köln und                  Anstieg von planmä-
                                                                                                        Sicherheitskonzepten, was mit dem bestehenden Perso-
    Vorsitzender des Bundesverbandes der               ßig ca. 350 Perso-
    Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen                                                                nal kaum zu schaffen war. Hinzu kamen zahlreiche krank-
                                                       nen auf ca. 1.600 in
    Gesundheitsdienstes e. V.                                                                           heitsbedingte Ausfälle, die die Personalsituation zusätzlich
                              Foto: ©Martina Goyert
                                                       den Hochzeiten der
                                                       Krise.“                                          verschärften.
                                                                                                          Die Behörden reagierten mit Personalabordnungen –
                                                                                                        Mitarbeitende aus anderen Abteilungen wurden von ihren

             5
                 Deutscher Bundestag, Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012, 2013, S. 55 ff..

8                                                           TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Die Covid-19-Pandemie als Chance: Zwischen Krise und Wandel

eigentlichen Einsatzbereichen abgezogen, um die Gesund-
heitsämter zu unterstützen. Damit einher ging die Frage                                              Eine große Herausforderung der
                                                                                                      Pandemie und anderer Krisen der
nach der Priorisierung von Aufgaben: Welche Verwaltungs-
                                                                                                       letzten Jahre waren Massenan-
aufgaben können zugunsten der Pandemieeindämmung für
                                                                                                       tragsverfahren und digitale Identi-
einen bis dato unklaren Zeitraum zunächst zurückgestellt
                                                                                                      fikationsprozesse, bspw. im Zusam-
werden? Welche Stellen eignen sich für eine Abordnung?                                                      menhang mit Corona-Hilfen:
Wie viele Personen werden benötigt? Die Entscheidungen                                                              Für jedes Amt stellt es eine
wurden dadurch erschwert, dass auch weitere Bereiche                                                                 Herausforderung dar, kurz-
der Verwaltung einen Aufgabenzuwachs verzeichneten: So                Dr. Matthias Dahlke, Referatsleiter            fristig von typischerweise
                                                                      Digitale Gesellschaft, Staatskanzlei des
sorgte unter anderem die Bearbeitung der Wirtschaftshil-                                                             vielleicht dutzenden auf
                                                                      Landes Brandenburg            Foto: © Y. Guo
fen und Entlastungsmaßnahmen für einen erheblichen                                                                   plötzlich zigtausende eilige
Mehraufwand. Langjährig etablierte Prozesse wurden auf                                                               Prüfvorgänge heraufzu-
die Probe gestellt.                                                   schalten. Gute digitale Tools und datenvernetzte Prozesse
                                                                      können hier eine schnelle und gleichzeitig rechtssichere
                                                                      Skalierung erleichtern.“
Flexible Krisenbewältigung vs. tradierte
Verwaltungsprozesse
   Nicht nur durch Personalabordnungen und Aufgabenzu-             zur zusätzlichen Herausforderung. Insbesondere in den
wächse war flexibles Handeln in den Behörden gefragt. Die          ersten Monaten der Pandemie stellte der niedrige Digitalisie-
oft unvorhersehbaren Entwicklungen des Virusgeschehens             rungsgrad im öffentlichen Bereich die Behörden vor enorme
machten Ad-hoc-Reaktionen erforderlich: Je nach Infekti-           Probleme. Wie sollen die Mitarbeitenden im Homeoffice
onslage wurden nicht selten Entscheidungen getroffen, die          arbeiten können, wenn die hierfür erforderliche Hardware
es unmittelbar umzusetzen galt. Ein Beispiel hierfür sind          nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung steht? Wie
(frühkindliche) Bildungseinrichtungen: Wurden freitags auf         können Daten schnell übermittelt werden, wenn die ent-
Basis der Inzidenzen Maßnahmen zu Unterrichtsausfällen             sprechenden Schnittstellen zwischen den kommunalen
oder Kita-Öffnungen beschlossen, galten diese bereits ab           und den Landeslösungen fehlen? Die Faxgeräte für den
dem darauffolgenden Montag. Für die zuständigen Verwal-            Informationsaustausch zwischen Arztpraxen, Testzentren
tungsbereiche bedeutete das, umgehend die notwendigen              und Gesundheitsämtern wurden zu einem Symbol der deut-
Vorgänge vorzubereiten, weiterzugeben und Entscheidun-             schen Bürokratie.
gen zu treffen. Oft war damit auch eine Ausdehnung der                Je besser die Datenlage, desto effektiver die Eindäm-
Arbeitszeit auf Feierabende und Wochenenden verbunden.             mung der Pandemie. Eine schnelle Datenübertragung er-
   Die erforderliche Flexibilität in der kurzfristigen Entschei-   fordert allerdings die Verwendung einheitlicher Lösungen
dungsfindung und Maßnahmenumsetzung wurde an vielen                oder zumindest die Schaffung von Schnittstellen zwischen
Stellen durch die stark hierarchisch geprägte Verwaltungs-         den einzelnen Softwares. „Einige Kommunen setzten auf
struktur erschwert. Der Verwaltungsalltag ist durch Abstim-        Eigenentwicklungen, wie z. B. DiKoMa in Köln oder der
mungsprozesse über mehrere Ebenen hinweg und unter                 Hamburger Pandemiemanager, die in den jewiligen Kom-
Einbeziehung verschiedener Akteure geprägt. Diesem tra-            munen zwar erfolgreich funktionierten, aber Insellösungen
dierten Vorgehen stand ein sich rasant veränderndes Infek-         waren. Fehlende Schnittstellen erschwerten einen medien-
tionsgeschehen gegenüber, das schnelle Entscheidungen              bruchfreien Ablauf insbesondere zu Beginn der Pandemie.
erforderte. Um Abstimmungsprozesse abkürzen und flexibel           Interoperabilität in der Fläche war somit nicht gegeben“, so
reagieren zu können, wurde auf das Instrument der Krisen-          die kommissarische Leiterin der Akademie für Öffentliches
stäbe gesetzt. Bereits in vorangegangenen Krisen wie 2015,         Gesundheitswesen in Düsseldorf, Prof’in Dr. phil. Dagmar
als der Zustrom an Geflüchteten über die Bundesländer und          Starke.
Kommunen hinweg koordiniert werden musste, oder nach
Hochwasserkatastrophen wie 2002 in Dresden hatten sich             Was hat die Verwaltung aus der Pandemie
die anlass- und themenbezogenen Krisenstäbe bewährt.               gelernt?
                                                                     Die akuten Hürden im Zuge der Covid-19-Pandemie sind
Covid-19 macht den Digital Gap                                     fürs Erste überwunden, das Virus wurde eingedämmt. Aller-
offensichtlich                                                     dings ist damit zu rechnen, dass die Anzahl derartiger Krisen
  Neben den eher starren Strukturen wurde der nach wie             künftig zunehmen wird. Wäre die öffentliche Verwaltung
vor unzureichende Digitalisierungsstand in der Verwaltung          heute resilienter aufgestellt?

                                                                                                                                              9
In unserer Akademie für Öffent­
                                                liches Gesundheitswesen
                                                                                      verhalte ich mich im Krisenfall? Welche Daten werden wie
                                                 bieten wir inzwischen verstärkt
                                                                                      genutzt? Welche digitalen Tools kommen zum Einsatz?
                                                   Lehrveranstaltungen zum
                                                                                      Diese Fragen finden zunehmend Eingang in die Ausbildung.
                                                     Krisenmanagement z. B.
                                                        in Kooperation mit dem
                                                                                         Zudem sollen auch die Themen des ÖGD stärker im Me-
                                                          Bundesamt für Bevölke-      dizinstudium verankert werden. Die Studierenden, die in
 Prof’in Dr. phil. Dagmar Starke,                         rungsschutz an. Zudem       den Gesundheitsämtern unterstützten, mussten zunächst
 kommissarische Leiterin der Akademie führen wir gemeinsam                            in die Verwaltungsstrukturen und -aufgaben eingearbeitet
 für Öffentliches Gesundheitswesen in
                                                         mit dem Robert-Koch-         werden, wobei wertvolle Zeit verloren ging. Durch eine stär-
 Düsseldorf
     Foto: ©Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen   Insti­tut Web-Seminare zu    kere Integration des ÖGD ins Studium könnte die Einarbei-
                                          in Düsseldorf  aktuellen Themen durch,      tungszeit im erneuten Krisenfall deutlich verkürzt werden.
                                                         um unsere Kolleginnen
und Kollegen bestmöglich für den Krisenmodus vor-                                     Führungskultur nachhaltig verändern
zubereiten. Der Transfer zwischen Wissenschaft und
                                                                                         Neben den organisatorischen Veränderungen hat die
Praxis muss einen hohen Stellenwert haben, damit in
                                                                                      öffentliche Verwaltung durch die Pandemie auch kulturell
den Gesundheitsämtern evidenzbasierte Entscheidungen
                                                                                      einen regelrechten Wandel erlebt: Eine große Rolle spielt
möglich sind.“
                                                                                      dabei das Arbeiten im Homeoffice. Handelte es sich dabei
                                                                                      vorher eher um Ausnahmeregelungen, ermöglichten Ver-
               Einige Verwaltungen, wie z. B. die Landeshauptstadt Dres-              ordnungen nun nahezu allen Mitarbeitenden das Arbeiten
             den und die Landesverwaltung Brandenburg, haben bereits                  von zu Hause. Die Vorbehalte gegenüber dem mobilen
             den Blick zurück gewagt und ihr eigenes Krisenmanagement                 Arbeiten konnten während der Pandemie deutlich redu-
             bzw. ihre digitale Resilienz in Krisenzeiten evaluiert. Die              ziert werden.
             Lehren, die aus der Pandemie für zukünftige Krisen gezogen                  So angenehm das mobile Arbeiten den meisten er-
             werden können, adressieren die organisatorische, kulturelle              scheint, so herausfordernd ist es für die Führungsebene.
             und vor allem auch die technologische Ebene.                             Wenn ein Teil der Mitarbeitenden nicht mehr täglich vor Ort
                                                                                      ist, muss Führung auf Distanz erfolgen: Welche hybriden
             Krisenmanagement verankern                                               Arbeitsformen braucht es, damit die Zusammenarbeit
                Die Pandemie hat gezeigt, dass im Krisenmodus die                     gut funktionieren kann? Wie kann die Produktivität und
             Arbeitslast binnen kürzester Zeit stark ansteigen kann, was              Motivation der Mitarbeitenden auch standortunabhängig
             oft nicht mit dem bestehenden Personal zu bewältigen ist.                erhalten werden? Welche (auch digitalen) Kompetenzen
             Um die Krisenresilienz zu stärken, sind personelle Vorkeh-               benötigt die Führungskraft, um das Team zu steuern,
             rungen nötig. Die Sicherstellung von Flexibilität im (kurzfris-          zu unterstützen und weiterzuentwickeln? Auch das The-
             tigen) Personaleinsatz ist dabei ein wichtiger Faktor. Hierfür           ma (psychische) Gesundheit der Mitarbeitenden rückte
             bieten sich Personalpools und ständig aktualisierte Ein-                 durch die Pandemie verstärkt in den Fokus. Durch die
             satzpläne an, die festlegen, wer wann im Krisenfall wohin                Mehrbelastung, teils atypische Arbeitszeiten und die Angst
             abgeordnet wird. Wie das funktionieren könnte, wird aktuell              vor Ansteckung unter den Beschäftigten wurden die Füh-
             gerade in der Landeshauptstadt Dresden entwickelt.                       rungskräfte für psychische Probleme sensibilisiert. Dieses
                Die letzten Jahre haben zudem Nachbesserungsbedarfe                   Bewusstsein gilt es nun, auch im Regelbetrieb – und auch
             in der Personalausstattung des ÖGD offenbart. Neben ver-                 über die Distanz hinweg – aufrechtzuerhalten. Um auf dem
             waltungsinternen Mitarbeitenden unterstützten u. a. auch                 Arbeitsmarkt attraktiv und wettbewerbsfähig zu bleiben,
             das Personal von Feuerwehren, des Technischen Hilfswerks                 muss sich die öffentliche Verwaltung und dabei insbeson-
             oder Studierende bei der Pandemiebewältigung in den                      dere die Führungsebene zukünftig noch stärker mit den
             Verwaltungen. Um die Personalressourcen auch langfristig                 Formaten von New Work beschäftigen. Die Pandemie hat
             aufzustocken, wurden bereits erste Schritte gegangen: So                 dabei einen wichtigen Impuls vermittelt. In puncto Präsenz-
             verfolgen Bund und Länder das Ziel, bis 2025 für die rund                betrieb ist man sich inzwischen einig: Bei einem erneuten
             400 Gesundheitsämter 5.000 neue Stellen zu schaffen.                     Virusausbruch mit Kontaktbeschränkungen wird der Um-
                Doch es geht nicht nur um mehr Vollzeitäquivalente,                   stieg von Vor-Ort-Tätigkeiten auf mobiles Arbeiten dank der
             sondern auch um die benötigten Qualifikationen. Das Kri-                 inzwischen besseren Ausstattung und des beschleunigten
             senmanagement ist dabei von steigender Bedeutung: Wie                    Kulturwandels kaum mehr eine Hürde darstellen.

10                                                 TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Die Covid-19-Pandemie als Chance: Zwischen Krise und Wandel

                               Um die Resilienz des Öffentlichen Gesundheitsdienstes langfristig zu
                               stärken, müssen wir uns multiprofessionell, wissenschaftlich, daten-
                              basiert und digital aufstellen.“

                                                 Dr. Johannes Nießen, Amtsleitung Gesundheitsamt der Stadt Köln und
                                                 Vorsitzender des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des
                                                 Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V.                  Foto: ©Martina Goyert

                                                                         Zudem gilt es, weiterhin für die entstandene Innovations-
Digitalisierungsschwung mitnehmen                                      offenheit zu werben. So kann gemeinsam geprüft werden,
   Fragt man die Verwaltungsmitarbeitenden nach den po-                mit welchen Ansätzen Krisen künftig bearbeitet werden
sitiven Auswirkungen der Krise, fällt neben der Möglichkeit            sollten. Das Ziel muss sein, eine stärkere Akzeptanz für
zu mobilem Arbeiten ein zweiter Begriff: Digitalisierungsfort-         einen konsequenteren Einsatz passender technologischer
schritte. Die Pandemie hat den Verwaltungen einen Schub                Neuerungen zu schaffen.
verpasst, die Anzahl an mobilen Endgeräten ist gestiegen
und datenschutzrechtliche Spielräume wurden während                    Üben, simulieren, evaluieren
des Krisenmodus pragmatisch genutzt. Laut Dr. Johan-                     Um für einen erneuten Krisenfall vorbereitet zu sein, ist
nes Nießen aus dem Gesundheitsamt der Stadt Köln hat                   ständiges Evaluieren, Lernen und Anpassen gefragt. Keiner
das Verwaltungspersonal in den letzten Jahren deutlich an              kann voraussagen, wann das nächste Virus ausbricht. Bei
Kompetenz hinsichtlich digitaler Tools gewonnen. Dadurch               einem zeitnahen Eintreten einer pandemischen Lage könnte
hat sich auch die Effizienz der Verwaltungsarbeit erhöht.              die Verwaltung vermutlich schnell wieder in den Krisenmo-
Doch um resilient aufgestellt zu sein, muss die öffentliche            dus umschalten und auf die während der Covid-19-Pande-
Verwaltung weiter Fahrt aufnehmen.                                     mie geschaffenen Strukturen und Prozesse zurückgreifen.
   So wurde zwar inzwischen erkannt, dass Systeme zwin-                Doch was muss die Verwaltung unternehmen, damit der
gend interoperabel sein müssen, um resilientes Handeln zu              Krisenmodus auch in zehn Jahren noch funktioniert?
ermöglichen. Doch ist die Schnittstellenproblematik noch                 Es gilt, das über die Covid-19-Pandemie hinweg gesam-
nicht final gelöst: Sicherheitsbedenken führen nicht nur               melte Wissen zu bewahren, aber auch laufend an die ak-
dazu, dass es immer noch zu wenige End-to-End-Prozesse                 tuellen Gegebenheiten anzupassen. Sind die eingeführten
gibt, sondern auch dazu, dass vorwiegend auf Eigenentwick-             Prozesse auch heute und zukünftig noch richtig – und falls
lungen gesetzt wird und aufgrund fehlender Schnittstellen              nicht, welche neuen Wege müssen eingeschlagen werden?
Insellösungen entstehen. Insbesondere mit Blick auf neu-               Die Lösung könnte in der Durchführung von Übungen und
erliche pandemische Krisen ist eine medienbruch- und                   Simulationen liegen. Vergleichbar mit Katastrophenschutz-
schnittstellenfreie Datenübermittlung zwischen Kommu-                  übungen werden Prozesse des Krisenmodus durchgespielt,
nen, Land und Bund eine zwingende Voraussetzung, um                    deren Aktualität überprüft und relevante Akteure involviert.
einer Virusausbreitung schnellstmöglich entgegenwirken                 Bezieht man bei diesen Übungen auch neue Mitarbeitende
zu können.                                                             ein, kann auf diesem Weg auch das Erfahrungswissen aus
                                                                       der Covid-19-Pandemie weitergegeben werden.

                             Wir haben frühzeitig begonnen, unser Krisenmanagement zu evaluieren. Welche
                              Prozesse haben gut funktioniert, welche Abläufe müssen verbessert werden? Aus den
                               Ergebnissen der Evaluation entwickeln wir nun ein Arbeitsprogramm und hinterle-
                               gen es mit Verantwortlichkeiten. Wichtig ist dabei, den Verbesserungsprozess nicht
                                 als abschließend zu betrachten, sondern kontinuierlich voranzutreiben.“

                                    Katrin da Costa André, Referentin Strategie und Controlling im Amt für Stadtstrategie, Internationales und
                                    Bürgerschaft der Landeshauptstadt Dresden                                         Foto: ©Landeshauptstadt Dresden

                                                                                                                                                         11
EXTREMWETTEREREIGNISSE

                                                                                                                                                                                                      Foto: © Carl-Juergen Bautsch, stock.adobe.com
     Hitzewellen, Starkregen, Hochwasser:
     Durch Anpassung zur Resilienz

            D     ie Protestbewegung Fridays for Future geht mit Tau-
                  senden auf die Straße, die laut einen besseren Kli-
            maschutz fordern, die Letzte Generation strapaziert mit
                                                                                                           Klimaanpassungspläne eine wichtige Rolle. Denn wenn es
                                                                                                           Pläne gibt, trifft ein Extremwetter eine Verwaltung ggf. nicht
                                                                                                           unvorbereitet und diese kann resilient handeln.
            Klebeaktionen die Nerven vieler Autofahrenden. Egal wie                                            Resiliente Verwaltungen zeichnen sich aber nicht nur
            man selbst zu den Protestaktionen steht, der Klimawan-                                         durch Klimaanpassungspläne aus. Aspekte, die dem Ziel der
            del ist unübersehbar und real erfahrbar in Deutschland                                         resilienten öffentlichen Verwaltung dienen, lassen sich auch
            angekommen: Nicht nur, dass die Durchschnittstempe-                                            anhand der Gestaltung der lokalen Klimaschutz- und Anpas-
            ratur in den letzten Jahrzehnten in Deutschland immer                                          sungspolitik ableiten: 8 Erstens ist die Größe der Kommunen
            schneller steigt, hinzukommt, dass Extremwetterereignisse                                      entscheidend, denn größere Städte haben generell mehr
            wie Starkniederschläge und Hitzewellen immer häufiger                                          Kapazitäten, um sich etwa in (inter-)nationalen Netzwerken
            und intensiver werden. 6 Das dramatische Voranschreiten                                        auszutauschen. Zweitens ist es elementar, ob Themen wie
            des Klimawandels unterstreicht nicht zuletzt der neues-                                        Klimaschutz bereits verankert waren, denn das reduziert
            te Bericht des Weltklimarats (IPCC). 7 Städte, Kommunen                                        den administrativen und politischen Aufwand signifikant.
            und Landkreise sind in Deutschland unterschiedlich auf                                         Drittens sind Kommunen stark auf externe Ressourcen
            solche Extremwetterereignisse vorbereitet. Hier spielen                                        angewiesen, größere Kommunen nutzen häufiger EU-Mit-
                                                                                                           tel. Kleinere Kommunen zielen erfahrungsgemäß eher auf
                                                                                                           Förderprogramme von Bund und Ländern ab.
                                                                                                               Neben diesen Ergebnissen aus der Wissenschaft werden
                                     Für viele deutsche Kommunen hat
                                                                                                           im Folgenden Herausforderungen auf lokaler Ebene iden-
                                       sich in den letzten Jahren die Förde-
                                                                                                           tifiziert. Gerade bei Extremwetterereignissen sind Städte
                                        rung durch das Bundesumweltminis-
                                        terium als entscheidend erwiesen.                                  und Kommunen gefordert. Diese Probleme und Heraus-
                                              Auch wenn sich – wie bei allen                               forderungen, die rund um eine Krise entstehen, werden im
                                                   befristeten Förderungen – die                           Folgenden benannt und differenziert.
                                                    Frage nach der dauerhaften
                                                    Verstetigung stellt, ermög-                            Houston, wir haben ein Problem!
                                                    lichen die Nationale Klima-                               Bei Extremwetterereignissen ist Kommunikation entschei-
 Dr. Wolfgang Haupt, Postdoc                         schutzinitiative und die Deut-                        dend. Obwohl Unwettervorhersagen heute viel präziser als
 am Leibniz-Institut für Raum-                       sche Anpassungsstrategie die                          noch vor zwanzig Jahren sind, treffen Extremwetterereig-
 bezogene Sozialforschung /
                                                     Erstellung und zum Teil auch                          nisse die Bevölkerung oft überraschend. Problematisch
 Forschungsgruppe Urbane Nach-
 haltigkeitstransformationen                         die Umsetzung von kom-
                                                                                                           ist es, dass Sirenen seit den 1990er-Jahren systematisch
      Foto: ©Leibniz-Institut für Raumbezogene      munalen Klimaschutz- und
                                                                                                           abgebaut wurden. Das Kommunikationsproblem ist in Bezug
                                   Sozialforschung
                                                     Klimaanpassungsstrategien.“
                                                                                                           auf Extremwetterereignisse nicht, dass nicht kommuniziert

             6
                 Deutscher Wetterdienst und Frank Kasper, Was wir heute über das Extremwetter in Deutschland Wissen. Stand der Wissenschaft zu extremen Wetterphänomenen im Klimawandel
                 in Deutschland, 2021, S. 5.
             7
                 IPCC (Hg.), Climate Change 2022: Impacts, Adaptation, and Vulnerability., unter Mitw. von Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental
                 Panel on Climate Change [H.-O. Pörtner, D.C. Roberts, M. Tignor, E.S. Poloczanska, K. Mintenbeck, A. Alegría, M. Craig, S. Langsdorf, S. Löschke, V. Möller, A. Okem, B. Rama,
                 3.056. Aufl., Cambridge, UK and New York, NY, USA 2023.
             8
                 Antje Otto u. a., Ranking local climate policy: assessing the mitigation and adaptation activities of 104 German cities, in: Climatic Change, 167 (2021), 1-2.

12                                                          TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Hitzewellen, Starkregen, Hochwasser: Durch Anpassung zur Resilienz

wird, sondern dass wesentliche Informationen nicht bei                                                    Eine Katastrophe wird mit einer Wahr-
den Menschen ankommen. Dabei handelt es sich um ein                                                       scheinlichkeit von ca. drei zu eins die
Übersetzungsproblem. Mit Zahlen zum Niederschlag pro                                                         normale Verwaltung zu einem Zeit-
                                                                                                               punkt erwischen, zu dem sie nicht
Quadratmeter kann ein Großteil der Bevölkerung nichts
                                                                                                               im Dienst ist, wenn man von den
anfangen. Wichtig ist, zu wissen: Was kommt bei der Be-
                                                                                                               operativen Kräften absieht: Feuer-
völkerung an, und welche Schlüsse zieht sie aus den In-
                                                                               Benno Fritzen, Leitender        wehr, Polizei, Hilfsorganisationen
formationen? Neben der Kommunikation von öffentlicher                                                          und Krankenhäuser, die laufen im
                                                                               Branddirektor a. D., langjäh-
Verwaltung zu Bürgerinnen und Bürgern stellt auch die                          riger Leiter der Feuerwehr      24-Stunden-Betrieb, aber das ad-
Kommunikation innerhalb der Verwaltung ein Problem dar.                        Münster und aktuelle Verbin- ministrative Management, welches
Wenn z. B. nicht alle wesentlichen Akteure den gleichen In-                    dungsperson des Deut-
                                                                                                               dann ja auch für das Krisenma-
                                                                               schen Feuerwehrverbands
formationsstand haben, kann das schnelles und effektives                       (DFV) beim Bundesamt für        nagement   zuständig ist, deckt nur
Handeln behindern.                                                             Bevölkerungsschutz und          ca. 25 Prozent  der Stunden eines
                                                                               Katastrophenhilfe (BBK)         Jahres ab. Das muss sich ändern.“
                                                                                                    Foto: ©privat
Krisen halten sich nicht an
Erreichbarkeiten der Verwaltung
  Die Flut im Sommer 2021 in Rheinland-Pfalz und NRW
war besonders tödlich, da u. a. das Ausmaß der Flut erst                    oft unbeachtet bleibt, auch innerhalb der Verwaltung. Neben
spätabends deutlich wurde. Ähnlich ist es auch bei ande-                    der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) im Katastro-
ren potenziellen Krisen, worauf die öffentliche Verwaltung                  phenschutz gibt es nicht viel mehr.
reagieren muss. Tritt eine Krise außerhalb der Dienstzeiten
der öffentlichen Verwaltung ein, kann die Krisenbewältigung                 Gefahr erkannt, Gefahr gebannt
und -koordination viel langsamer starten.                                      Die Trumpfkarte bei potenziellen Gefahrenereignissen
                                                                            ist die Vorbereitung. Nach dem Modell von Prof. Nullmeier
Sind öffentliche Verwaltungen per se                                        ist mit der „vorausschauenden Anpassungsfähigkeit“ die
resilient?                                                                  dritte Ebene erreicht (siehe S. 6). Unsere Expertinnen und
   Eigentlich sind Verwaltungen z. B. durch Vertretungsre-                  Experten nannten neben den bereits geschilderten Heraus-
gelungen für Abwesenheiten durch Krankheit, Urlaub oder                     forderungen auch Weiterentwicklungs- und Veränderungs-
Elternzeit resilient gegenüber Krisen aufgestellt. Die Ver-                 potenziale, um zu einem resilienten Handeln zu kommen.
gangenheit hat aber gezeigt, dass diese Regelungen nicht                    Diese können in organisatorische, kulturelle und technische
immer funktionieren. Problematisch kann es sein, wenn                       Potenziale untergliedert werden.
Expertise und Fachwissen nicht diversifiziert sind. Hinzu
kommt, dass die psychologische Dimension von Resilienz                      Organisatorisch – Kontinuität und
                                                                            Diversität sind die Schlüssel zum Erfolg
                                                                               Die zuvor geschilderten Probleme der Kommunikation,
                                                                            wie die für Bürgerinnen und Bürger schwer verständlichen
                                          Manche Extremwetter­              Informationen, sollten durch einfache Sprache gelöst wer-
                                            ereignisse, z. B. Stark­        den. Als positives Beispiel kann die Kommunikation rund um
                                                   regen, sind per          den Hamburger Fischmarkt genannt werden, wo regelmäßig
                                                    Definition nicht        proaktiv aufgefordert wird, Autos wegzufahren und nicht nur
                                                    eindeutig einem         ein – schwer interpretierbarer – Pegelstand kommuniziert
                                                   Fachbereich              wird. Auch das interne Übersetzungsproblem z. B. von Wet-
                                                   zuzuordnen.              terdaten kann durch Fachexpertise und proaktives Handeln
    Katharina Schätz,
                                                   Denn es handelt          intern oder durch externe Expertise gelöst werden. Generell
    Klimaresilienzmanagerin der
    Stadt Regensburg
                                                   sich weder um            gilt: Informations- und Abstimmungsprozesse innerhalb
       Foto: ©Stadt Regensburg, Christian Kaister ein Oberflächen-
                                                                            einer Kommune sind elementar, um resilient handeln zu
                                                   gewässer noch
                                                                            können. Darüber hinaus sind Simulationen und Übungen
   um einen Kanal oder ein Abwasser. Es ist ein
                                                                            – wie bereits in Kapitel 2 geschildert – für die öffentliche
   Sonderfall und deswegen sind die Zuständig-
   keiten nicht klar geregelt.“                                             Verwaltung entscheidend. Jeder Ablauf, der schon einmal
                                                                            simuliert wurde, führt dazu, dass Krisensituationen bes-

                                                                                                                                              13
durch den Klimawandel sind in ihren Auswirkungen auf den
                                    Damit die Arbeitsfähigkeit der                                    Katastrophenschutz noch nicht ausreichend beschrieben“. 9
                                   gesamten öffentlichen Verwaltung                                     Ein weiteres organisatorisches Entwicklungspotenzial, um
                                 während einer Krise aufrechterhal-                                   die Resilienzfähigkeit zu erhöhen, ist der Aufbau redundan-
                                      ten werden kann, sind eine funk-                                ter Kapazitäten (Redundanz = Qualifikationen sind mehrfach
                                           tionierende Kommunikation
                                                                                                      vorhanden). Vertretungsregelungen von Fachpersonal kön-
                                              sowie IT notwendig. Denn
                                                                                                      nen Redundanzen darstellen. Die Vergangenheit hat jedoch
                                              während eines Ausnahme-
   Marlis Cremer, Amtsleiterin des                                                                    gezeigt, dass Redundanz nicht immer aufgebaut werden
   Amtes für Rettungswesen und               zustands reicht es nicht aus,
                                             dass nur die Katastrophen-
                                                                                                      konnte. Führungskräfte waren nicht auf ihrem Diensthandy
   Bevölkerungsschutz der
   StädteRegion Aachen                       schutzabteilung weiß, was zu                             zu erreichen, nachdem sich eine Krisensituation entwi-
               Foto: ©StädteRegion Aaachen
                                             tun ist.“                                                ckelt hatte. Daher ist zu empfehlen, analog zur Freiwilligen
                                                                                                      Feuerwehr alle zwei Wochen automatische Anruf-Ketten
                                                                                                      zu etablieren, um die Aktualität der Handynummern zu
              ser gehandhabt werden können. Die gesamte öffentliche                                   überprüfen und so die Erreichbarkeit zu garantieren. Dies
              Verwaltung muss üben, wie sie ihre Arbeitsfähigkeit – z. B.                             wird seit 2014 mit Erfolg in Münster praktiziert.
              im Bereich der Kommunikation während Krisen – auf-
              rechterhalten kann. Während einer Krise bzw. Katastrophe                                Kulturell – sich regen bringt Segen
              reicht es nicht aus, dass nur die Katastrophenschutzabtei-                                 Hierarchie ist per se nicht etwas Schlechtes, z. B. in Form
              lung weiß, was zu tun ist. Die gesamte Verwaltung muss                                  von Verantwortungsketten; denn es ist wichtig, sich an
              durch Übungen mitgenommen werden. Zwar finden auf                                       bestehenden, erprobten Strukturen und Abläufen während
              Bundesebene (LÜKEX-Übungen) oder im Zusammenhang                                        einer Krise oder Katastrophe orientieren zu können. Trotz-
              mit der Notfallvorsorge immer wieder Übungen statt, in                                  dem sollte überprüft werden, wo hierarchisches Handeln
              denen öffentliche Verwaltungen vorbildlich Krisensituatio-                              sinnvoll ist. Hier zählt die Devise: Überdenken und Aufhe-
              nen simulieren. Übungen auf der kommunalen Ebene sind                                   ben, wo es nicht notwendig ist, aber Beibehalten, wo es
              aber nicht flächendeckend. Zudem ist eine reformierte                                   sich bewährt hat. Daneben ist es relevant, innovatives und
              Verwaltungsausbildung notwendig, so unsere Expertinnen                                  kreatives Handeln zuzulassen. Aus dieser Kombination
              und Experten; Krisenmanagement sollte als verbindliches                                 kann resilientes Handeln entstehen (siehe Infobox). Zudem
              Modul mit in die Ausbildung aufgenommen werden. Benno                                   ist es wichtig, ein Selbstverständnis zu fördern, in dem die
              Fritzen verweist darauf, dass das Land NRW einen Katas-                                 gesamte öffentliche Verwaltung sich als Teil des Katastro-
              trophenschutzbedarfsplan fordert, der „analog zur Brand-                                phenschutzes versteht. Denn nur so kann in Krisenzeiten
              schutzbedarfsplanung der Gemeinden […] zu entwickeln                                    ein gemeinsames Handeln gelingen.
                                  sei. Insbesondere die Veränderungen
                                                                                                      Technisch – große Dinge fangen klein an
                                                                                                         Der zweite bundesweite Warntag im Dezember 2022 hat
                                                                                                      deutlich gemacht, dass es bei einem länger dauernden
                                                                                                      Stromausfall noch immer problematisch ist, die Bevölkerung
                                        Momentan gibt es Probleme,
                                                                                                      über Sirenen flächendeckend zu erreichen und zu informie-
                                       Daten z. B. vom Wetterdienst zu
                                                                                                      ren. Die Notwendigkeit, Sirenen zu reinstallieren, haben
                                       interpretieren: Eine Stelle mit
                                                                                                      viele Kommunen erkannt. Es zeigt sich, dass es neben ana-
Benno Fritzen, Leitender               Back-up und 24-Stunden-Dienst
Branddirektor a. D., langjäh-         in Deutschland würde ausreichen,                                logen Systemen eine Digitalisierungsoffensive braucht. Die
riger Leiter der Feuerwehr            um meteorologische Daten mit                                    Etablierung von Cell Broadcast (Warnnachrichten werden
Münster und aktuelle Ver-                                                                             direkt auf das Handy geschickt) ist ein erfolgreiches Beispiel.
                                      geologischen und hydrologischen
bindungsperson des Deut-
                                      Daten zu verschneiden und für die                               Neben einer funktionierenden IT, die die Kommunikation
schen Feuerwehrverbands
(DFV) beim Bundesamt für              betroffenen Regionen zu interpre-                               der Verwaltung sicherstellt, braucht es darüber hinaus eine
Bevölkerungsschutz und                tieren und in deren Sprache zu                                  Strategie, wie man Sensoren, digitale Zwillinge und z. B. Geo-
Katastrophenhilfe (BBK)               übersetzen.“
                      Foto: ©privat
                                                                                                      daten flächendeckend nutzen kann, um einen verlässlichen
                                                                                                      Überblick über aktuelle Wetter- oder hydrologische Daten
                                                                                                      wie Pegelstände zu gewinnen. Überdies sind Simulationen

              9
                  Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, Katastrophenschutz der Zukunft. Abschlussbericht des vom Minister des Innern berufenen Kompetenzteams Katastro-
                  phenschutz, 2022, S. 16, https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/berkompetenzteam2_0.pdf.

14                                                        TRENDreport Nach der Krise ist vor der Krise: Resilienz und Handlungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung
Hitzewellen, Starkregen, Hochwasser: Durch Anpassung zur Resilienz

sinnvoll, um z. B. mögliche Überschwemmungsgebiete zu                   Blick in die StädteRegion

                                                                                                                                 Ri
                                                                                                                                    ch
identifizieren bzw. Hochwasserauswirkungen durchzuspie-
                                                                        Aachen

                                                                                                                                      te
                                                                                                                                        ric
                                                                                                                                           h
len. Zwar gibt es schon viele Projekte, in denen Hochwas-
                                                                                                                                Laurensberg     Haaren
serkarten digitalisiert sind bzw. Hochwassersituationen               Die StädteRegion Aachen hat während der                                        Eilen-
                                                                                                                                                     dorf
modelliert wurden. Jedoch geschieht dies noch nicht bun-              Flutkatastrophe 2021 erkannt, dass es während
                                                                                                                                Aachen-Mitte
                                                                                                                                                       Brand
desweit. Zudem hat das Hochwasser im Juli 2021 deutlich               einer Krise neben erprobten Strukturen auch neuer
gemacht, dass gerade kleinere Flüsse und Bäche bisher                 Strukturen bedarf, die kreatives und innovatives
                                                                                                                                                    Korneli-
weniger in den Blick genommen wurden und Risikokarten                 Handeln ermöglichen: So wurde beispielsweise                                  Münster/
                                                                                                                                                    Walheim

dort besonders oft fehlen. Darüber hinaus ist elementar,              deutlich, dass die Bevölkerung rein durch die Etablierung von
datenbasierte Lageinformationen aus diversen Quellen (EU,             Infopoints bzw. Anlaufstellen nicht ausreichend erreicht wer-
Bundesebene, Landesebene) digital zusammenzuführen                    den konnte. Deshalb entstand die Idee, auf die Mikroebene
und zu interpretieren. Die ressortübergreifende Vernetzung            zu gehen. Die Einsatzleitung der StädteRegion Aachen orga-
ist ebenfalls wichtig, um resilient handeln zu können. Außer-         nisierte gemeinsam mit der Psychosozialen Notfallversorgung
dem sollte die IT am besten dezentral organisiert sein, um            (PSNV) Teams, bestehend aus drei Personen, und schickte
so Redundanzen zu erzeugen, sodass ein Ausfall an einer               diese in die einzelnen Haushalte, um herauszufinden, wie
Stelle durch eine andere Stelle aufgefangen werden kann.              es den Menschen geht und welche Bedürfnisse bestehen.
                                                                      Auf diese Weise konnten die Bürgerinnen und Bürger besser
Resilientes Handeln vor und während                                   erreicht werden. Neben Mitarbeitenden der PSNV sowie der in
Extremwetterereignissen                                               der Region tätigen Hilfsorganisationen beteiligten sich auch
  Positiv ist, dass es konkrete Möglichkeiten gibt, wie die           zahlreiche Studierende der katholischen Hochschule Aachen
öffentliche Verwaltung ihre Resilienzfähigkeit in Bezug auf           an der Aktion. Die Ergebnisse wurden dann jeweils von den
Extremwetterereignisse noch ausbauen kann. Neben Klima-               Sozialämtern der Städte Eschweiler und Stolberg bearbeitet.
anpassungsplänen ist Kommunikation ein entscheidender                    Nach Ende des Einsatzbefehls der Einsatzleitung der Städ-
Faktor, der vom organisatorischen bis hin zum technischen             teRegion Aachen initiierten Mitglieder des Allgemeinen Studie-
Entwicklungspotential ausgebaut, verbessert und perfekti-             rendenausschusses (AStA) und des Studierendenparlaments
oniert werden kann. Grundlegend ist die Frage, ob Kommu-              (StuPa) der Hochschule in Kooperation mit den Sozialämtern
nen überhaupt die Möglichkeit haben, mit der Bevölkerung              sowie der PSNV eine Fortführung der Hochwasser-Befragungen
zu kommunizieren. Wenn Kommunikationswege bestehen,                   im Herbst 2021. Ziele waren u. a., akute, existenzielle Bedro-
können Form und Inhalt der Kommunikation in den Blick                 hungen wie Einsturzgefahren und Schimmelbefall sichtbar
genommen werden: Was kommunizieren wir und wie kom-                   zu machen und daraus Handlungsbedarfe für die Verwaltung
munizieren wir es? Hierbei ist eine klare Sprache wichtig,            abzuleiten. Die Fragen fokussierten allerdings nicht nur auf
damit Informationen tatsächlich verstanden werden und                 die aktuelle Wohnsituation der Betroffenen, sondern auch auf
keine Interpretationsleistungen seitens der Bürgerinnen und           deren körperliches und psychisches Wohlbefinden.
Bürger erbracht werden müssen. Zweitens sind redundante                  Laut der erfahrenen Amtsleiterin des Katastrophenschut-
Systeme wichtig: Redundanz kann sich einerseits auf die               zes der StädteRegion Aachen Marlis Cremer wird „die Frage
Expertisen von Mitarbeitenden beziehen, andererseits auf              nach psychischer Resilienz in Deutschland zu oft nach hinten
technische Back-up Lösungen, z. B., dass die IT-Systeme               gestellt. Der Grund für die oftmals fehlende Sensibilisierung
nicht nur an einem Ort angesiedelt sind. Drittens sollte die          liegt auch im Bereich der personellen Besetzungen der Einsatz-
Nutzung von digitalen Möglichkeiten ausgebaut werden,                 leitungen, die im Bereich der Feuerwehr angesiedelt und eher
um so zum einen antizipatorisch besser aufgestellt zu sein            naturwissenschaftlich geprägt sind. Daher wird die Etablierung
(digitale Simulationen), aber auch zum anderen ad hoc                 von Fachberatungen der PSNV manchmal vernachlässigt, was
reagieren zu können (Sensoren). Viertens sollte die ge-               glücklicherweise auf die StädteRegion Aachen nicht zutrifft. Zu
samte Verwaltung immer wieder an Übungen teilnehmen,                  selten wird die Frage nach dem ganzheitlichen Unterstützungs-
um Prozesse zu überprüfen und zu verbessern. Fünftens                 bedarf der Bevölkerung gestellt. Außerdem ist es wichtig, das
sind erprobte Strukturen und Abläufe während einer Krise              Thema psychische Resilienz in den Verwaltungen zu verankern.
oder Katastrophe sehr hilfreich, um Handlungsfähigkeit                Denn gerade in den Verwaltungen bräuchte es Menschen,
zu gewährleisten. Gleichzeitig ist es wichtig, innovatives            die in Krisenphasen resilient sind und entsprechend handeln
und kreatives Handeln zu fördern. Dies zusammen kann                  können“.
resilientes Handeln ermöglichen.

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