NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall

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NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
Industrie Energie

NACHHALTIG PRODUZIEREN
BETRIEBLICHE BEISPIELE – AUF DEM WEG
ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE
NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
IMPRESSUM
Herausgeber: IG Metall Vorstand, VB 04, Ressort Industrie-, Struktur- und Energiepolitik (ISE),
Wilhelm-Leuschner-Straße 79, 60329 Frankfurt am Main
Verantwortlich: Wolfgang Lemb
Text: Alf Mayer
Redaktion: Angelika Thomas, IG Metall Vorstand, Ressort ISE
Textbearbeitung, Satz und Layout: WAHLE COM, Mühlenweg 9, 56479 Elsoff
Druckerei: Henrich Druck + Medien GmbH, Schwanheimer Straße 110, 60528 Frankfurt am Main
Titelbild und Fotos im Innenteil: Daimler AG, fotolia, Hydro Aluminium, Kässbohrer, Sick, Siemens
Bestellung im Intra-/Extra-/Internet der IG Metall über die Produktnummer 37950-69045
Kontakt und Bestellung für Nichtmitglieder: sarah.menacher@igmetall.de
Erste Auflage: April 2017

                                     klimaneutral
                                      natureOffice.com | DE-654-921517
                                      gedruckt
NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
VORWORT

Nachhaltigkeit braucht Innovationen
Ein wirklich grundlegender Kurswechsel hin zu      Die IG Metall geht davon aus, dass der notwen-
einem sozial-ökologischen Umbau unserer In-        dige ökologische Umbau zu grundlegenden Ver-
dustrie steht noch aus. Der Klimawandel und        änderungen in der Produktionsweise und damit
die deshalb notwendige Energie-, Mobilitäts-       zu neuen Strukturen in den Wertschöpfungs-
und Wirtschaftswende werden Deutschlands           ketten führt. Die Interessen der Arbeitneh-
Industrie in den nächsten drei Jahrzehnten vor     merinnen und Arbeitnehmer dürfen dabei kei-
große Herausforderungen stellen. Die IG Me-        nesfalls „unter die Räder“ geraten. Denn „Gute
tall unterstützt das Zwei-Grad-Ziel des Pariser    Industriepolitik“ heißt für uns: Arbeitsplätze
Klimaabkommens und den dafür notwendigen           mit guten Arbeitsbedingungen und Qualifika-
Wandel, denn die Erderwärmung muss auf             tionsmöglichkeiten sowie einer entsprechen-
höchstens zwei Grad Celsius, möglichst auf         den Bezahlung.
eher 1,5 Grad Celsius begrenzt werden.
                                                   Die in dieser Broschüre dargestellten betrieb-
Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Gerade deut-       lichen Beispiele sollen Mut machen und Anre-
sche Unternehmen können sich mit innovati-         gungen geben. Viele Beschäftigte sind bereit,
ven Technologien und Produkten eine starke         etwas für den Klimaschutz zu tun. Sie erwarten
Position im globalen Wettbewerb verschaffen        aber auch, dass sie unterstützt werden, wenn
oder diese – wie etwa bei der Entwicklung neuer    es um ihre Arbeitsplätze geht. Dafür steht die
Antriebsformen in der Automobilindustrie oder      IG Metall.
im energieeffizienten Maschinen- und Anlagen-
bau – weiterhin behaupten. Die Bundesrepublik
Deutschland muss als wichtiges Industrieland
„Vorreiter für gute Lösungen“ weltweit sein.

Dazu braucht es eine zukunftsorientierte In-
dustriepolitik mit einer nachhaltigen, sozialen
und ökologischen Dimension. Die IG Metall
wird ihre Forderungen an eine „Gute Indus-
triepolitik“ im politischen Prozess einbringen.
Zu vielen Eckpunkten haben wir in den letzten
Jahren Konzepte entwickelt und immer wieder
in den öffentlichen und politischen Diskurs ein-
gebracht.

Klimaschutz und nachhaltige Produktion in
der betrieblichen Praxis und in der Wertschöp-
fungskette, das ist ein Thema, bei dem sich
viele Betriebsräte noch schwer tun. Oft wird es
eher als Bedrohung und Einschränkung angese-
hen denn als Chance für mehr Mitbestimmung         Wolfgang Lemb
und als Weg zu mehr Beschäftigungs- und Zu-        Geschäftsführendes Vorstandsmitglied
kunftssicherung.                                   der IG Metall
                                                                                                    1
NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
INHALT

    VORWORT:
    Nachhaltigkeit braucht Innovationen

    TEIL 1:
    Nachhaltigkeit und Klimapolitik..........................................................4
    Die Klimaziele von Paris 2015: Durchbruch für das Klima.................................... 5

    Nachhaltige Entwicklung weltweit..................................................................... 7

    Nachhaltige Entwicklung in Europa.................................................................... 8

    Blick in einzelne Länder.................................................................................... 9
      Norwegen, Großbritannien, Polen, Spanien, China, USA

    Auch das Kapital orientiert sich neu.................................................................13

    Klimaschutzplan 2050 in Deutschland:
    Ziele für eine nachhaltige Modernisierung der Industrie....................................14
      Leitmärkte „Klimaschutz“ und „Umwelt“............................................................................ 14

    TEIL 2:
    Streiflichter: nachhaltige Produktion und Beschäftigung................. 16
    Für ein neues industrielles Entwicklungsmodell................................................17

    1. Streiflicht: Innovation.................................................................................. 18
      Innovationen sind das A&O................................................................................................ 18
      Interview mit Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter IG Metall Baden-Württemberg:
      Gute Arbeit ist die Vorraussetzung für ökologischen Umbau................................................. 18
      Betriebliche Beispiele........................................................................................................22
      • Sick AG.........................................................................................................................................................22

      • Kässbohrer Geländefahrzeug AG...................................................................................................................24

2
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2. Streiflicht: Wertschöpfungskette.................................................................. 26
  Wertschöpfungskette – was ist das?...................................................................................26
  Interview mit Ernst Schumacher, Gesamtbetriebsratsvorsitzender
  Hydro Aluminium Rolled Products GmbH: Nachhaltig und sozial – geht das?............................26
  Betriebliche Beispiele........................................................................................................27
  • Hydro Aluminium Rolled Products GmbH, Grevenbroich.................................................................................27

  • Salzgitter Flachstahl GmbH.......................................................................................................................... 28

  • ArcelorMittal Eisenhüttenstadt GmbH........................................................................................................... 29

  • Georgsmarienhütte GmbH........................................................................................................................... 30

3. Streiflicht: Transformation............................................................................31
  Unterschiedliche Interessen vereinen................................................................................. 31
  Interview mit Ina Morgenroth, Geschäftsführerin IG Metall Region Hamburg:
  Wir müssen den ökologischen und ökonomischen Wandel und das Soziale zusammenbringen.....31
  Betriebliche Beispiele........................................................................................................ 33
  • Siemens Gamesa Renewable Energy, Cuxhaven.............................................................................................33

  • Daimler AG Mercedes-Benz, Hamburg...........................................................................................................34

4. Streiflicht: Energiemanagement................................................................... 35
  Energieeffizienz – voneinander lernen................................................................................35
  Im Netzwerk zusammenarbeiten......................................................................................... 35
  Betriebliche Beispiele........................................................................................................36
  • Volkswagen AG und Skoda Auto a.s...............................................................................................................36

  • Georgsmarienhütte GmbH............................................................................................................................37

  • Salzgitter Flachstahl AG............................................................................................................................... 38

  • Sick AG.........................................................................................................................................................39

5. Streiflicht: Arbeitnehmer-Mobilität.............................................................. 40
  Umweltverträglich pendeln.................................................................................................40
  Das ACE-Projekt „Gute Wege zur Guten Arbeit“....................................................................40
  Betriebliche und kommunale Initiativen: 250000 Kilometer autofrei im Jahr.........................40

GLOSSAR..................................................................................................... 43
                                                                                                                                                                         3
NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
TEIL 1

    Nachhaltigkeit
    und Klimapolitik

4
NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
Die Klimaziele von Paris:
Durchbruch für das Klima
Der Klimagipfel im Dezember 2015 in Paris hat allen Zweifeln im Vorfeld zum Trotz einen wirklichen
Durchbruch in der weltweiten Klimapolitik gebracht. Das sogenannte Zwei-Grad-Abkommen – 2009
in Kopenhagen als allgemeines Ziel erwähnt – hat jetzt einen globalen Aktionsplan.

Die Erderwärmung soll auf höchstens zwei Grad       Auch ein US-amerikanischer Präsident Donald
Celsius, möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzt    Trump kann dies nicht mehr zurückdrehen – und
werden. Dieses Ziel war eine Forderung vom Kli-     es gibt die interessante Lage, dass frühere Kli-
mawandel besonders bedrohter Länder, wie et-        maschutzbremser wie China, Indien oder Russ-
wa der Inselstaaten. In Paris setzten sich dann     land die USA zum Mitmachen drängen. Alle An-
zahlreiche weitere Staaten, darunter auch Indus-    strengungen sind nun darauf gerichtet, dass die
trienationen, ebenfalls für die Erwähnung der       weltweiten Emissionen möglichst bald ihren Gip-
1,5-Grad-Grenze ein.                                fel überschreiten, wobei die Entwicklungsländer
Zum ersten Mal überhaupt einigten sich die 195      dafür mehr Zeit erhalten.
Länder der Welt auf ein für alle völkerrechtlich    Die Klimagipfel haben eine lange Vorge-
verbindliches Klimaschutzabkommen. Jeder            schichte. Die „Konferenz der Vereinten
Staat muss künftig mit einem Klimaschutzplan        Nationen über die Umwelt des Menschen“
nachweisen, was er tut, um dieses Ziel zu errei-    1972 in Stockholm war die erste Konferenz
chen. Damit das Abkommen der Pariser Klima-         der Vereinten Nationen (UN) zum Thema
schutzkonferenz (COP21) in Kraft treten konnte,     Umwelt und gilt als Beginn der internati-
mussten mindestens 55 Länder, die für mindes-       onalen und globalen Umweltpolitik. Bis
tens 55 Prozent der weltweiten Emissionen ver-      Paris 2015 war es ein langer Weg. (Siehe
antwortlich sind, ihre Ratifikationsurkunden hin-   dazu auch die Broschüre „Do You Speak
terlegen. Inzwischen ist dieses Abkommen von        Climate?“) Bei der Folgekonferenz im No-
der übergroßen Mehrheit der Staaten der Welt        vember 2016 in Marrakesch erklärten 48 Länder
rechtsgültig unterzeichnet.                         vor allem aus Afrika, Asien, der Karibik und der
Es ist ein wirklich gewaltiger Schritt für die      Südsee, die besonders unter dem Klimawandel
Menschheit und für die nachhaltige und soziale      leiden, ihren schnellstmöglichen Ausstieg aus
Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung.       Kohle, Öl und Gas.
                                                                                                       5
NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
Aus den früher „national beabsichtigten Beiträ-                   nalen Klimaschutz sind im Zuge der Ratifizierung
                             gen“ (den sogenannten INDCs) zum internatio-                      jetzt „national festgelegte Beiträge“ (NDCs) ge-
                                                                                               worden. Neu installiert ist auch ein System der
Abbildung 1
                                                                                               Transparenz und globalen Klimabilanz, dessen
 DIE TOP 20 DER CO2-EMITTENTEN                                                                 Details weiter ausgearbeitet werden. Die Staa-
 Emmissionen in Millionen Tonnen im Jahr 2015 und prozentuale Verände-
                                                                                               ten werden die selbstgesteckten Ziele ab 2023
 rungen gegenüber dem Jahr 1990
                                                                                               alle fünf Jahre überprüfen und verschärfen. Die
                    China*                                                 10 967   +347%      Entwicklungsländer erhalten in noch größerem
                       USA                           5 172                              +3%
                                                                                               Umfang als bisher internationale Unterstützung
                      EU28                   3 470                                     -21%
                    Indien               2 455                                      +278%
                                                                                               für die Klimaanpassung. Verluste und Schäden
                 Russland             1760                                            -26%     durch die nachteiligen Auswirkungen des Klima-
                     Japan          1253                                               +8%     wandels sollen so minimiert werden. Die Industrie-
 Internationale Schifffahrt      642                                                 +75%      länder haben vereinbart, dafür ab 2020 jährlich
                       Iran      634                                                +213%
                                                                                               hundert Milliarden US-Dollar zu mobilisieren.
                 Südkorea        617                                                +129%
                   Kanada        555                                                 +24%      Im Abkommen von Paris wurde auch ausdrücklich
            Saudi-Arabien        506                                                +202%      anerkannt, dass über die Staaten als Vertragspart-
   Internationale Luftfahrt      503                                                 +94%      ner hinaus verschiedene Interessenträger eine
               Indonesien        503                                                +215%
                                                                                               wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawan-
                  Brasilien      486                                                +121%
                   Mexiko        472                                                 +63%
                                                                                               dels spielen. Dazu zählen Städte, Behörden auf
                Australien       446                                                 +60%      regionaler und kommunaler Ebene, die Zivilgesell-
                 Südafrika      417                                                  +48%      schaft und vor allem auch die Privatwirtschaft.
                     Türkei     357                                                 +132%      Immer mehr wird auf globaler Ebene klar, dass
                  Thailand      279                                                 +202%
                                                                                               die Transformationsprozesse in Richtung klima-
               Kasachstan       268                                                     +7%
                                                                                               neutrale Industrie und nachhaltige Produktion
                  Weltweit      36 062                                               +60%      deutliche Wettbewerbs- und Beschäftigungsvor-
                                                                                               teile mit sich bringen werden. Wer weiter auf die
 *inkl. Hongkong u. Taiwan
                                                                                               alten CO2-intensiven Energien setzt, wird bald
                             Quelle: Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission
                                                                                               wirtschaftlich weit zurück liegen.

                                WAS SIND DIE NDCS?
                                Die „national festgelegten Beiträge“ sind                      Alle fünf Jahre müssen nun neue, ehrgeizige-
                                das neue Instrument der globalen Klima-                        re NDCs vorgelegt werden. Bei einer solchen
                                politik. Die Nationally Determined Contribu-                   NDC-Meldung spielt nicht nur das Klimaziel
                                tions (NDCs) sind die jeweiligen Ziele von                     selbst eine Rolle, sondern auch die Rahmen-
                                Staaten zur Emissionsminderung der Treib-                      bedingungen in dem jeweiligen Land. Es muss
                                hausgase.                                                      erklärt werden, wie das Ziel in das nationale
                                Bis zur Klimakonferenz von Paris trugen die-                   Recht eingepasst werden soll und warum das
                                se Beiträge noch ein „I“ (für „Intended“, das                  Einsparziel für den jeweiligen Staat den gerech-
                                heißt beabsichtigt) vor dem Namen. Aus den                     ten Anteil am globalen Klimaschutz darstellt.
                                INDCs sind mit dem Abkommen von Paris 2015                     Diese Methode der Selbstverpflichtung bei
                                jetzt verbindlich festgelegte nationale Beiträ-                gleichzeitiger weltweiter Transparenz und Kon-
                                ge geworden. Bei der Beschlussfassung war                      trolle der Ziele soll die Akzeptanz der globalen
                                jedoch bereits klar, dass die bisherigen nati-                 Klimapolitik fördern und national-egoistische
                                onalen Beiträge nicht ausreichen werden, um                    Verweigerungshaltungen aufbrechen. Klima-
                                das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Die Debatte                   schutz ist eine gemeinsame Aufgabe aller
                                dazu ist bereits im Gange.                                     Staaten, lautet die übereinstimmende Ansicht.

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NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
Nachhaltige Entwicklung weltweit
Der globale Wandel hin zu einer kohlenstoffarmen (dekarbonisierten) Wirtschaft muss sich vor
allem im Energiesektor vollziehen, das heißt: weg von Kohle, Öl und Gas. Denn sie sind für den
größten Teil des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Hier gibt es das größte Poten-
zial für CO2-Reduktion.

Diese globale Energiewende aber
muss sich gerecht und nachhaltig
vollziehen. Das ist inzwischen das
erklärte Ziel aller Staaten. Formu-
liert ist es in der „Agenda 2030 für
nachhaltige Entwicklung", die von
den Staaten der Welt kurz vor Paris
verabschiedet worden ist.
2011 haben die Vereinten Nationen
die Initiative „Nachhaltige Energie
für Alle“ ins Leben gerufen, eng-
lisch „Sustainable Energy for All
(SE4ALL)“. Sie soll helfen, bis zum
Jahr 2030 allen Menschen einen
Zugang zu nachhaltiger Energie zu ermöglichen.      Seite 22) kompensiert seinen trotz Energieeffi-     Die 17 Ziele der UN-
Der Anteil der erneuerbaren Energien am welt-       zienzmaßnahmen unvermeidbaren CO2-Ausstoß           „Agenda 2030 für
weiten Energieverbrauch soll sich bis dahin auf     mit ökologisch-sozialen Projekten in Afrika. In     nachhaltige Entwick-
36 Prozent verdoppeln. Deutschland fördert in       Ruanda etwa helfen effiziente Brennholzkocher       lung“
diesem Rahmen Energievorhaben in mehr als           den Familien, achtzig Prozent Brennholz einzu-
fünfzig Ländern, das Bundesministerium für          sparen. „Kitchen killer“, die schleichende Ver-
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-         giftung durch Rauch, ist nach Schätzungen der
lung (BMZ) unterstützt Partnerländer bei der        Weltgesundheitsorganisation WHO für 1,6 Milli-
Umstellung ihrer Energiesysteme.                    onen Tote pro Jahr verantwortlich. In Äthiopien
So entsteht nahe der marokkanischen Stadt Oua-      bringen sogenannte „Solar Home Systems“ Elek-
zarzate einer der größten Solarparks der Welt,      trizität in ländliche Regionen und verbessern die
der einmal Strom für 1,3 Millionen Menschen         Lebensbedingungen.
erzeugen soll. Gesamtkosten: rund 2,2 Milliar-      Der Hintergrund: Ausdrücklich nimmt das Pari-
den Euro. Zu fast vierzig Prozent ist die Bundes-   ser Klimaabkommen vom Dezember 2015 Bezug
republik in Form zinsvergünstigter Kredite ein      auf die wenige Monate vorher in New York ver-
Geldgeber, von technischem Know-how ganz zu         abschiedete „Agenda 2030 für nachhaltige Ent-
schweigen. Bereits in Betrieb ist das Sonnenwär-    wicklung". Auch sie gilt für alle Staaten dieser
mekraftwerk Noor 1 mit einer Kapazität von 160      Welt, für Entwicklungsländer, Schwellenländer
Megawatt. Es senkt die Kohlendioxidemissionen       und Industriestaaten. Es geht um eine Umgestal-
Marokkos um 240000 Tonnen pro Jahr. Bis 2020        tung von Volkswirtschaften hin zu nachhaltiger
will das Land 42 Prozent seines Energiebedarfs      Entwicklung, durch verantwortungsvolle Kon-
aus Erneuerbaren decken. „Noor" bedeutet im         sum- und Produktionsbedingungen und durch
Arabischen „Licht“.                                 saubere und erschwingliche Energie. Klima-
Immer mehr Initiativen auf Firmenebene er-          politik, nachhaltige Entwicklung und Armuts-
gänzen diese Art der Entwicklungsarbeit. Der        bekämpfung sind untrennbar miteinander ver-
Sensorenhersteller Sick AG zum Beispiel (siehe      woben.
                                                                                                          7
NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
Nachhaltige Entwicklung in Europa
                        Die Europäische Union hat sich von Anfang an als Staatengemeinschaft gemeinsame Ziele gesetzt.
                        Eines davon ist Europa als Energie-Union. Bei den Klimaschutzabkommen der Weltgemeinschaft
                        tritt die EU mit gemeinsamen Zielen auf. Diese koordinierte Klima- und Nachhaltigkeitspolitik könn-
                        te ein Feld sein, auf dem ein gestärktes Europa in den nächsten Jahren seine Handlungsfähigkeit
                        beweist und seine wichtige Rolle im Staatenkonzert bestätigt.

                        Europa war in der Klimapolitik lange führend,                   einfach. Nach China und den USA sind die 28
                        aber eine gemeinsame Klimapolitik ist nicht                     Mitgliedsländer der EU der drittgrößte CO2-Emit-
                                                                                        tent. Die EU-Länder liegen nicht nur mit ihren Ge-
Abbildung 2
                                                                                        gebenheiten, sondern auch in ihrem politischen
 EU-MITGLIEDSTAATEN                                                                     Willen oft weit auseinander. Zurzeit gibt es die
 Emmissionen in Millionen Tonnen im Jahr 2015 und prozentuale Verände-
                                                                                        Tendenz, sich auf bereits erreichten Zwischen-
 rungen gegenüber dem Jahr 1990
                                                                                        zielen auszuruhen und manche ordnungspoliti-
                                                                     778
                                                                                        sche Maßnahme zurückzunehmen. In einzelnen
           Deutschland                                                         -24%
 Vereinigtes Königreich                        398,5                            -31%    Mitgliedstaaten werden die konventionellen
                  Italien                   353                                -18%     Energien sogar eher aus- statt abgebaut. Dabei
             Frankreich                    328                                  -14%    ist klar, dass alle klimapolitischen Anstrengun-
                   Polen                 295                                    -19%
                                                                                        gen bald schon deutlich größer werden müssen.
               Spanien                  263                                    +14%
           Niederlande              165                                       +3,5%
                                                                                        Europa muss aufpassen, seine – auch technolo-
            Tschechien          111                                            -35%     gisch wichtige und Beschäftigung schaffende –
                Belgien        97                                              -16%     Vorreiterrolle nicht zu verlieren.
             Rumänien         81                                               -56%     Die gemeinsamen Rahmenbedingen für die
             Österreich       74                                             +19,5%
                                                                                        nächsten Jahre sind abgesteckt und beschlossen.
          Griechenland       68                                              -12,5%
              Bulgarien     53                                                 -34%     Es gibt drei Säulen, auf denen die Regulierungs-
               Portugal     51                                                +18%      pakete der EU beruhen. Das 2007 beschlossene
               Finnland     48,5                                                -14%    „Klima- und Energiepaket 2020“ verpflichtet die
                Ungarn      48                                                 -33%
                                                                                        Staaten der EU zur Nachhaltigkeit und nennt die
             Schweden       42,5                                               -26%
             Dänemark      37                                                  -30%
                                                                                        bis zum Jahr 2020 zu erreichenden Ziele:
                   Irland  37                                                  +13%        Senkung der Treibhausgasemissionen in der
              Slowakei     36                                                  -40%         EU um zwanzig Prozent gegenüber dem Refe-
                Estland    29                                                   -21%        renzjahr 1990;
               Kroatien 20,5                                                   -18%
                                                                                            Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien
             Slowenien 16                                                        +1%
                Litauen 12                                                     -54%          im gesamten Energiemix (Strom, Wärme, Ver-
            Luxemburg 10                                                        -12%         kehr) auf mindestens zwanzig Prozent;
               Lettland 8                                                       -51%         Verbesserung der Energieeffizienz, so dass
                                                                                             
                 Zypern 6                                                     +36%
                                                                                             der Verbrauch der Primärenergie zwanzig Pro-
                   Malta 2                                                       +1%
                                                                                             zent unter den prognostizierten Werten liegt.
                EU 28 3470                                                      -21%    Dieses Programm ist auch bekannt als die
                                                                                        „20-20-20-Ziele“ oder als „Zieltrias“.
 CO2-Emmissionen: EU-Reduktionsziele (gegenüber dem Stand von 1990)                     Die Debatte über die Fortschreibung dieser
                                                                                        Zieltrias bis 2030 ist im Gange und geht in Rich-
                    Bis 2020   -20%       Bis 2030     -40%                             tung 40-27-30, so der Vorschlag der EU-Kommis-
                                                                                        sion.
                                                                                        Die IG Metall hält ambitionierte Ziele für den An-
                      Quelle: Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission
                                                                                        teil an erneuerbaren Energien und bei der Ener-
                8
gieeffizienz für machbar, diese sollten nachge-     löst und dass CO2-trächtige Fertigungen nicht
bessert werden. Der europäische Rahmen bis          einfach ins außereuropäische Ausland verlagert
2030 wird in den nächsten beiden Jahren abge-       werden.
steckt. Das betrifft auch die politischen Rahmen-
bedingungen für Branchen, in denen die IG Me-
tall agiert. Dazu zählen beispielsweise die Ziel-     DIE WICHTIGSTEN AKTIONSFELDER DER
findungen für Pkw-Abgasnormen, der Emissi-            EU-KLIMAPOLITIK
onshandel oder der Ausbau der erneuerbaren               nergie-Union und EU-Energie- und Kli-
                                                        E
Energien. Die Betriebsräte der IG Metall sind           maziele 2030
hier auf vielen Ebenen aktiv und bringen Vor-           Emissionsrechtehandel (EU-ETS)
schläge ein.                                             Regulierung des CO2-Ausstoßes von PKW
Der Emissionshandel (ETS) ist das wichtigste eu-          und leichten Nutzfahrzeugen
ropäische Instrument zur Minderung der Treib-             Steigerung der Energieeffizienz bei Ge-
hausgase in der Energiewirtschaft und in der               bäuden und von Produkten
Industrie und soll zu einem noch wirksameren               Förderung der Energieträger aus erneu-
Werkzeug werden. Der IG Metall ist es wichtig,              erbaren Quellen
dass die anstehende ETS-Reform keinen Ver-                  Anpassung an den Klimawandel in der EU
drängungsdruck im globalen Wettbewerb aus-

Blick in einzelne Länder
Der Ausblick auf andere Länder inner- und außerhalb Europas lässt Vorreiter und Schlusslichter bei
der Umsetzung der internationalen Klimaziele identifizieren. Norwegen beispielsweise hat sich zur
Klimaneutralität ab 2030 verpflichtet. Auch China hat sich viel vorgenommen, um den CO2-Ausstoß
zu verringern. Demgegenüber hat der Klimaschutz in Großbritannien nach der Brexit-Entscheidung
an Bedeutung verloren. Auch in den USA wird unter dem neuen Präsidenten Donald Trump das Rad
zurückgedreht. Und Polen wird nicht müde, die EU-Klimapolitik zu blockieren.

NORWEGEN                                            ropäische Onshore-Windpark nahe Trondheim
Neben Großbritannien gehört Norwegen zu den         befindet sich in Planung. Das Land ist Vorreiter
größten Erdölförderländern in Europa. Im Som-       in Sachen Elektromobilität. Jede fünfte Neuzu-
mer 2016 hat das Parlament ein Gesetz verab-        lassung braucht weder Benzin noch Diesel. Bei
schiedet, das Norwegen zur Klimaneutralität         fünf Millionen Einwohnern fahren inzwischen
ab 2030 verpflichtet, zwanzig Jahre früher als      100000 Elektroautos. Das Land subventioniert
geplant. Allerdings setzt das Land nicht nur auf    diese Verkehrsmittel und ist weltweit der dritt-
Treibhausgasminderung im eigenen Land, son-         größte Markt dafür.
dern will seine Emissionen durch den Kauf von       Ein neuer nationaler Transportplan 2018 bis 2029
Verschmutzungsrechten im Ausland kompensie-         soll weitere Schritte zur Senkung des CO2-Aus-
ren. Ab dem Jahr 2030 könnte die Klimaneutra-       stoßes und zum Umbau des Verkehrssystems
lität das Land nach derzeitigen Berechnungen        festschreiben. Dementiert wurde, dass ab 2025
etwa 3,2 Milliarden Euro jährlich kosten (20 Mil-   nur noch Elektroautos verkauft werden dürfen.
liarden Kronen).                                    Aber die Richtung ist klar und betrifft den gan-
Norwegen beteiligt sich am EU-Emissionshan-         zen Verkehr. Ziel ist es, die CO2-Emissionen des
del. 98 Prozent des norwegischen Stroms wer-        norwegischen Transportsektors bis 2030 zu hal-
den durch Wasserkraft erzeugt, der größte eu-       bieren. Alle neuen Schiffe und Fähren sollen bis
                                                                                                       9
Abbildung 3
       GESAMTE INSTALLIERTE WINDENERGIELEISTUNG IN DER EU ENDE DES JAHRES 2015
       EU – 141581 MW, davon auf See 11 027 MW 279 kW/1000 Einwohner
                                                                                                                     Angaben in Megawatt (MW)

                                                                                                         Finnland
          ≤ 50 kW/1.000 Einwohner                                                                          1 001
          ≤ 100 kW/1.000 Einwohner
          ≤ 250 kW/1.000 Einwohner
          ≤ 500 kW/1.000 Einwohner
                                                                                  Schweden                 Estland
          > 500 kW/1.000 Einwohner
                                                                                    6 025                    303
                                                                Dänemark                                   Lettland
                                                                  5 064                                       62
                                                                                                         Litauen
                             Irland
                                                                                                           424
                            2 486
                                          Vereinigtes
                                          Königreich        Niederl.
                                            13 603             3 431                             Polen
                                                                                                 5 100
                                                          Belgien      Deutschland
                                                            2 229        44 946
                                                        Luxemburg                  Tschech.R.
                                                                                     282        Slowakei
                                                            58
                                                                                                 3
                                                 Frankreich                       Österreich
                                                   10 358                           2 412     Ungarn
                                                                                 Slowenien      329          Rumänien
                                                                                     3 Kroatien                2 976
                                                                                            423
              Portugal
            5 079                                                            I talien                          Bulgarien
                          Spanien                                             8 958                              691
                           23025

                                                                                                   Griechenland
      Keine Windenergienutzung in Malta                                                                                                  Zypern
                                                                                                       2 152
      Quelle: EWEA [37]                                                                                                                   158

                                                                                                                                     Quelle: EWEA

     dahin abgasfrei sein und im Flug- und Schwer-                                      Der „Statens pensjonsfond utland“, mit über 830
     lastverkehr sollen mehr Biotreibstoffe eingesetzt                                  Milliarden Euro der größte Staatsfond der Welt
     werden. Bis 2050 soll der gesamte Verkehr im                                       und in 78 Ländern aktiv, erwirtschaftet nicht nur
     Land ohne den Einsatz von Erdöl laufen. Nor-                                       gute Renditen (5,6 Prozent), er setzt auch zuneh-
     wegen wäre damit das erste Land weltweit, das                                      mend ökologische Ziele. Der Fonds ist gesetzlich
     diesen Schritt geht. Es wird dort für machbar ge-                                  verpflichtet, sich aus Energie- und Bergbauun-
     halten. Elektrobusse sind jetzt schon zahlreich                                    ternehmen zurückzuziehen, wenn das Kohlege-
     unterwegs, der öffentliche Nahverkehr soll mas-                                    schäft dort mehr als dreißzig Prozent ausmacht.
     siv ausgebaut werden. In Fahrradinfrastrukturen                                    So wurde zum Beispiel vom RWE-Konzern eine
     und zehn Fahrradautobahnen (Bike Highways)                                         Strategie für den Kohleausstieg gefordert. Die
     in Ballungszentren werden 850 Millionen Euro                                       Philosophie dabei: Wer weiter auf Kohle setzt,
     investiert. Die Hauptstadt Oslo soll ab 2019                                       mag zwar aktuell Gewinne einfahren, aber Zu-
     autofrei sein.                                                                     kunft hat das nicht.
10
GROSBRITANNIEN
Nach der Brexit-Entscheidung hat die neue Re-
gierung das Energie- und das Wirtschaftsminis-
terium zusammengelegt, der Klimaschutz hat
deutlich weniger Priorität. Eigentlich hat Groß-
britannien sich selbst das Ziel gesetzt, seinen
CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2025 um 50 Prozent zu
senken. Inzwischen tragen erneuerbare Energi-
en knapp 25 Prozent (2015) zur Stromerzeugung
bei. Das Land ist weltweit führend bei der Nut-
zung von Offshore-Windenergie. Parallel dazu
will die Regierung aber auch den hochsubventio-
nierten Bau des geplanten neuen Kernkraftwerks
Hinkley Point vorantreiben. Es soll als „CO2-neu-
traler“ Energieerzeuger rund acht Prozent zum
Strommix beitragen. Gutachten sagen, dass ein
schneller Ausbau der erneuerbaren Energien          stark ausgebaut, in dem große Klimaverspre-
deutlich kostengünstiger wäre als die Fertigstel-   chen gemacht wurden.
lung des Milliardengrabs, das noch viele Genera-
tionen belasten würde.                              CHINA
                                                    Mit derzeit 28 Prozent Anteil am globalen
POLEN                                               CO2-Ausstoß ist das Land der weltweit größ-
Schon dreimal in den letzten Jahren hat Polen       te Klimasünder, aber es tut sich viel. Das Jahr
im Alleingang die Anhebung der europäischen         2009, als der damalige chinesische Minister-
Klima- und Energieziele bis 2020 blockiert. Auch    präsident Wen Jiabao am Klimagipfel in Kopen-
die Ratifizierung der Ziele der Pariser Klimakon-   hagen teilnahm, gilt als Chinas erstes Jahr des
ferenz durch alle EU-Staaten wurde behindert.       Klimaschutzes. Seitdem hat sich in der größten
Weil die bestehenden Kraftwerke marode sind         Volkswirtschaft der Welt viel verändert – bis hin
und der Energieverbrauch steigt sind neue Koh-      zur Absicht, bald schon Quoten für Elektromobi-
lekraftwerke mit einer Leistung von über 4000       lität festzulegen.
Megawatt im Bau. Die sind zwar energieeffizien-     Mehr als ein Drittel der weltweiten Investitio-
ter und tragen zur CO2-Senkung bei, verlängern      nen in regenerative Energien erfolgten 2015 und
aber die Kohlenstoffphase.                          2016 in der Volksrepublik China, während sie in
                                                    Europa auf den niedrigsten Stand seit neun Jah-
SPANIEN                                             ren fielen. Die international geforderten Klima-
Spanien ist das vom Klimawandel am stärksten        schutzmaßnahmen stehen heute im Einklang mit
betroffene Land in Europa. Nirgendwo in Euro-       den innenpolitischen Interessen, die Luft- und
pa sind die Temperaturen mehr gestiegen. Das        die Umweltverschmutzung zu bekämpfen. Eine
Land könnte bis 2050 einen großen Teil seiner       nachhaltige „grüne Entwicklung“ ist zur Schlüs-
traditionellen Landwirtschaft verlieren, wichtige   selstrategie Chinas erklärt worden.
Anbaugebiete für Zitrusfrüchte, Oliven und Wein     Dazu beigetragen haben massive Umweltpro-
sind von Dürre bedroht. Obwohl sich auch Spa-       bleme und der Boom sozialer Medien, der den
nien zur auf dem G7-Gipfel auf Schloss Elmau im     Druck auf die chinesische Regierung verstärkt
Jahr 2015 vereinbarten Dekarbonisierung ver-        hat. Beim Klimagipfel 2015 in Paris sagte China
pflichtet hat, entfernt sich das Land real immer    zu, bis zum Jahr 2030 einen Anteil von zwanzig
stärker von dem Ziel, klimaschädliche Emissio-      Prozent nicht-fossiler Energien am gesamten
nen von Treibhausgasen deutlich zu reduzieren.      Energiemix zu erreichen. Jetzt 2017 wird ein ei-
Der Einsatz von Kohle wurde genau in jenem Jahr     gener nationaler Emissionshandel eingerichtet.
                                                                                                        11
China stellt nicht mehr nur Forderungen an die       Freien“ aufmüpfige Wissenschaftler in einer nächt-
                      Industrieländer, sondern ist zu einem Land ge-       lichen Guerilla-Aktion umfangreiche Forschungs-
                      worden, das selbst Klimafinanzierung leistet und     daten auf Internetserver ins Ausland verlagert
                      ärmeren Ländern 3,1 Milliarden US-Dollar zur         hatten. Unter Trump wird die US-Klimapolitik zu-
                      Verfügung stellt.                                    rückgedreht, das zeichnet sich ab. Die spannende
                      Teil des neuen Fünfjahresplans, der bis 2020         Frage ist, wie viel Schaden das dem Klima und der
                      gewaltige Investitionen in die chinesische Wirt-     eigenen Wirtschaft zufügen wird.
                      schaft vorsieht, ist der Ausbau der Windenergie.     Klar ist, dass das Pariser Klimaabkommen völ-
                      China will fast 100 Milliarden Euro in neue Wind-    kerrechtlich und wirtschaftlich nicht zu kippen
                      kraftanlagen stecken und bis dahin eine Kapa-        ist. Wirtschaftlich starke Bundesstaaten wie
                      zität von 210 Gigawatt erreichen. Diese zusätz-      Kalifornien oder Texas setzen längst auf erneu-
                      lichen achtzig Gigawatt innerhalb von vier Jahren    erbare Energien. Wäre Texas ein Staat, wäre es
                      entsprechen dem Doppelten der in Deutschland         der sechstgrößte Windenergieerzeuger der Welt,
                      bisher installierten Windkapazitäten. Auch die       knapp hinter Spanien. Dieser Ausbau geschah
                      Solarleistung soll bis 2020 verdreifacht werden,     in den 14 Jahren Amtszeit von Gouverneur Rick
                      in Infrastruktur und schadstoffarme Mobilität wird   Perry, einem Leugner des Klimawandels. Groß-
                      groß investiert. Selbst wenn sich in der Praxis      städte wie Los Angeles, New York, Chicago oder
                      noch zahlreiche Blockaden auftun: China hat sich     Boston gehören zum Klimanetzwerk der „C40-Ci-
                      auf den Weg gemacht zu einem Hauptmotor der          ties“, sie erwirtschaften dreißig Prozent des
                      klimatechnologischen Entwicklungen zu werden.        US-Sozialprodukts und haben bereits Milliarden
                                                                           in nachhaltige Entwicklung investiert. „Business
                      USA                                                  back low carbon“ heißt eine Wirtschaftsinitiati-
                      Bereits während der Amtseinführung von Donald        ve von mehr als 600 US-Unternehmen. Die Zu-
                      Trump wurden auf der Internetseite des Weißen        kunft gehört auch in den USA den erneuerbaren
                      Hauses alle Hinweise auf die Klimapolitik der USA    Energien und dem nachhaltigen Wirtschaften.
                      gelöscht. „Die Suche brachte keine Resultate“,       Der kalifornische Milliardär und Umweltaktivist
                      hieß es dort stattdessen. Auch bei der Umweltbe-     Tom Steyer, als nächster Gouverneur gehandelt,
                      hörde EPA und anderen Institutionen wurden viele     sagt: „Die industrielle Logik ist da, und wird am
                      Informationen vernichtet. Gut, dass im „Land der     Ende nicht zu stoppen sein.“

Die gelöschte
Klima-Webseite des
White House:
„No results found“:
http://klima-
luegendetektor.
de/2017/01/21/
weisses-haus-beim-
klimawandel-no-
results/

                12
Auch das Kapital orientiert sich neu
Der Ruf nach mehr Klima-Transparenz in Geschäftsberichten wird lauter. Viele Unternehmen veröf-
fentlichen Nachhaltigkeitsberichte, aber nicht immer geben die Zahlen verlässliche Auskunft. Oft ist
Augenwischerei dabei. Kapitalgeber und Anleger machen zunehmend Druck.

Viele Unternehmen tun sich noch schwer mit der
Veröffentlichung handfester und nachvollziehba-
rer Daten über die Klimakosten ihrer Produkte
und Verfahren. Mit der CSR-Richtlinie 2014/95/
EU verpflichtet die EU bestimmte große Unterneh-
men und Gruppen ab 2017 zu mehr Transparenz
auch in nichtfinanziellen Belangen. Die Treib-
hausgasemissionen gehören hier künftig dazu.
Indirekt sind davon auch Zulieferer betroffen.
Aber nicht nur „die Bürokraten“ wollen es wis-      Informationen. Erst 13 Prozent der Unternehmen
sen, auch das internationale Finanzkapital ori-     sind mit ihrer Unternehmensstrategie auf nach-
entiert sich neu. Auf 100 Milliarden US-Dollar      haltige Finanzierungsmöglichkeiten (sustainable
wurde 2016 das Volumen der „grünen Emissio-         financing strategy) ausgelegt. Der Druck aber
nen" geschätzt, das sind neue Geldanlagen in        wächst weltweit. Vom Kapital, wohlgemerkt.
nachhaltige und klimaschonende Projekte. Chi-
na übrigens bestritt 2016 davon die Hälfte. Als
weltweit erster Finanzplatz handelt der „Luxem-       WELCHE INDUSTRIE WOLLEN WIR?
burg Green Exchange“ seit September 2016 mit          Die ökologischen und sozialen Warn-
rein ökologischen Finanzprodukten. Zugelassen         signale stehen heute weltweit auf Dun-
sind nur Emittenten, die strikte Zugangskriterien     kelrot. Der Klimawandel, die Finanzmarkt-
erfüllen. Noch sind das überschaubare Summen          krise, die zunehmende Ungleichheit in der
innerhalb der internationalen Finanzströme,           Einkommens- und Vermögensverteilung so-
aber sie haben Signalwirkung.                         wie massive Defizite in der öffentlichen Infra-
Immer wieder zeigen Studien, dass institutio-         struktur weisen auf gravierende Fehlentwick-
nelle Anleger – wie etwa Pensionsfonds – mehr         lungen unseres Wirtschaftssystems hin. Doch
klimafreundliche Investments wollen, aber die         wie schaffen wir den Wandel zu einem nach-
Unternehmen nicht so aufgestellt sind. Unter-         haltigen Modell des Wirtschaftens? Wie kann
nehmen mit überzeugenden umweltfreundlichen           der Wechsel vom kohlenstoff- und ressour-
Referenzen steht ein wachsender Kapitalfundus         cenintensiven Pfad hin zu einem klima- und
zur Verfügung. Gebremst wird das nur durch die        sozialverträglichen, qualitativen Wachstum
mangelnde klimabezogene Transparenz von Un-           gelingen?
ternehmen. Die Studie „Sustainable Finance" der       Dieses Buch ist ein Plädoyer für den öko-
HSBC-Bank etwa befragte weltweit Unternehmen          logischen Umbau der Industrie und für
und institutionelle Investoren zu ihren nachhal-      das Konzept der Guten Arbeit. Es liefert
tigen Investments und Auswahlkriterien. Ergeb-        detaillierte Antworten auf diese drängen-
nis: Nur 24 Prozent der befragten Unternehmen         den Fragen, die sich heute und den kom-
legen derzeit die Umweltauswirkungen ihres            menden Generationen stellen.
Wirtschaftens offen. 74 Prozent der Investoren,       ➤ Wolfgang Lemb (Hg.): Welche Industrie
die kohlenstoffarme oder klimabezogene Inves-            wollen wir? Nachhaltig produzieren – zu-
titionen tätigen wollen, stoßen auf Investment-          kunftsorientiert wachsen. Campus-Verlag
hürden durch fehlenden Zugang zu qualitativen
                                                                                                        13
Klimaschutzplan 2050: Ziele für eine
     nachhaltige Modernisierung der Industrie
     Deutschland gehört international zu den Vorreitern in Sachen Nachhaltigkeit und Klimapolitik – dies
     längst jedoch nicht aus Gutmenschentum, wie manche vielleicht meinen mögen. Es geht um Techno-
     logieführerschaft und neue Leitmärkte und um zukunftssichere Arbeitsplätze.

     Die große Herausforderung der nächsten Jahre        Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
     ist es, als hochentwickeltes Industrieland einen    Die Initiative „Wirtschaft für Klimaschutz“ sieht
     sozial-ökologischen Umbau nicht gegen, son-         hier „einen langfristigen Wachstumsmotor und
     dern mit der Industrie und für gute Arbeitsplätze   damit Garanten für Arbeitsplätze“. Ambitionierte
     zu organisieren. Niemand sagt, dass es einfach      Klimaziele müssen dem nicht widersprechen.
     sein wird, den Spagat zwischen Investitionen,       Im November 2016 hat die Bundesregierung
     Innovationen, Beschäftigungssicherung und glo-      den „Klimaschutzplan 2050“ beschlossen. Er
     baler Wettbewerbsfähigkeit zu halten. Viele der     soll Bestandteil einer ökologischen, sozialen
     Technologien, die CO2-Emissionen verringern         und ökonomischen Nachhaltigkeitsstrategie für
     helfen, „sind ökonomisch sinnvoll, weil sie Kos-    Deutschland sein. Im Klimaschutzplan werden
     ten und Ressourcen sparen“, betont auch der         Ziele und Maßnahmen benannt, mit denen die

       LEITMÄRKTE „KLIMASCHUTZ“ UND „UMWELT“
       Alle Fachleute sind sich einig: Die deutsche      Nachhaltige Produktion ist für die deutsche In-
       Wirtschaft hat große Veränderungen zu be-         dustrie eine wichtige Strategie mit Perspektive.
       wältigen. Dazu gehören der Klimawandel,           Als besonderes Zukunftsfeld identifiziert die
       die digitale Transformation, der verschärf-       Studie Maschinentechnologien: Verkehrs- und
       te globale Konkurrenzdruck, aber auch der         Automobiltechnik, elektrische Maschinen, Ap-
       Fachkräftemangel. Aber eigentlich ist der         parate, Energie, Motoren, Pumpen, Turbinen,
       „Konzern Deutschland“ gut aufgestellt, Mit-       mechanische Elemente und Werkzeugtechnik.
       bestimmung inklusive.                             Diese Einschätzung stützt sich auf eine um-
       In einer Prognos-Studie hat das Bundesmi-         fassende Analyse von Patenten und auf eine
       nisterium für Wirtschaft und Energie Anfang       Auswertung der deutschen und globalen Ex-
       2016 die „Lage und Zukunft der deutschen In-      portdynamik in den vergangenen Jahren. Inno-
       dustrie (Perspektive 2030)” ermittelt. Globa-     vationsstarke deutsche Unternehmen können
       le Wachstumsbereiche „mit in Zukunft hoher        danach weiterhin mit einer regen globalen
       Bedeutung“ finden sich – nach dieser Studie       Nachfrage rechnen.
       – nicht entlang einzelner Branchen, sondern       Prognos geht davon aus, dass der Wettbewerb
       werden in Leitmärkten erfasst.                    sich verschärfen wird und steigende Rohstoff-
       Die zentralen Leitmärkte sind:                    preise sowie der demografische Rückgang der
          Energie- und Ressourceneffizienz,             Beschäftigten große Herausforderungen mit
           Mobilität und Logistik,                      sich bringen werden. Dem muss durch anhal-
            Klimaschutz und Umwelt sowie                tend hohe Forschungs- und Entwicklungsauf-
             Gesundheit.                                wendungen, Investitionen in produktivitäts-
       Auf diesen „Leitmärkten“, ist die deutsche In-    steigernde Prozesse und Technologien sowie
       dustrie sehr stark positioniert und hat das Po-   durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingun-
       tenzial, global eine Führungsrolle einzunehmen.   gen entgegengewirkt werden.

14
KLIMASCHUTZPLAN: ZIELKORRIDOR BIS 2030

                              THG-               THG-           Korridor der     Anvisierte                            Anvisierte
                                                                                                 Prozentuale
                         Emmissionen        Emmissionen       Restemissionen    prozentuale                           Prozentuale
 Handlungsfeld                                                                                   Minderung
                              1990               2014               2030         Minderung                            Minderung
                                                                                                1990 bis 2014
                        (Mio. t CO2-Äq.)   (Mio. t CO2-Äq.)    lt. KSP 2050    2030 ggü. 1990                        2014 bis 2030

 Energiewirtschaft            466                358             175 - 183        62 - 61%          -23%               51 - 49%

 Industrie                    283                181             140 - 143        51 - 49%          -36%               23 - 21%

 Verkehr                      163                160              95 - 98        42 - 40%           -2%                41 - 39%

 Gebäude                      209                119              70 - 72         67 - 66%          -43%               41 - 40%

 Landwirtschaft               88                 72               58 - 61         34 - 31%          -18%               19 - 15%

 Teilsumme                   1209                890             538 - 557        56 - 54%          -26%               40 - 37%

Transformation zu einer treibhausgasneutralen            Auch Deutschland steht noch am Anfang eines
Wirtschaft und Gesellschaft vorangebracht wer-           umfassenden Transformationsprozesses. Ver-
den soll. Bis 2050 sollen die Treibhausgasemis-          lässliche Rahmenbedingungen sind eine wich-
sionen in Deutschland im Vergleich zu 1990 um            tige Voraussetzung, damit die Transformation
achtzig bis 95 Prozent vermindert werden, um             nicht zu einem Verlust von Wertschöpfung und
mindestens 55 Prozent bis zum Jahr 2030.                 Arbeitsplätzen führt. Die Diskussion über den
Wirtschaft und Gesellschaft sind einem ständigen         Klimaschutzplan hat gezeigt, wie wichtig es ist,
und beschleunigten Wandel unterworfen. Dies              Folgenabschätzungen über die wirtschaftlichen
macht die Integration von Klimaschutz in den             und sozialen Auswirkungen der geplanten Maß-
Wirtschaftssektoren umso dringlicher: In vielen          nahmen vorzunehmen. Diese sollen bis Ende
Bereichen der wirtschaftlichen Infrastruktur wer-        2018 erfolgen. Für die Gestaltung des notwen-
den die Entscheidungen und Investitionen, die            digen Strukturwandels in der Energiewirtschaft
heute getätigt werden, bereits die Entwicklung           wird eine Kommission unter Einbeziehung der
bis 2030, 2050 oder sogar darüber hinaus vor-            beteiligten Akteure in den nächsten beiden Jah-
zeichnen. Dies gilt insbesondere für die Energie-        ren einen Weg erarbeiten.
versorgung, die Grundlagenindustrie, Infrastruk-
tur und Mobilität und die Stadtentwicklung.
Klimaschutz kann also mittel- bis langfristig nur
erfolgreich sein, wenn er bereits heute von allen
Akteuren und auf allen Ebenen mitgedacht wird.
Der Klimaschutzplan soll dazu beitragen und eine
möglichst konkrete Orientierung für strategische
Entscheidungen in den nächsten Jahren geben.
Erstmals werden im Klimaschutzplan auch Ziele
zur Minderung der Treibhausgasemissionen für
einzelne Wirtschaftszweige bis zum Jahr 2030
berechnet. Handlungsfelder im Klimaschutzplan
sind die Industrie, die Mobilität, die Energiewirt-
schaft, der Gebäudebereich, die Landwirtschaft
und Landnutzung und Forstwirtschaft.
                                                                                                                15
TEIL 2

     Streiflichter: nachhaltige
     Produktion und Beschäftigung

16
Für ein neues industrielles
Entwicklungsmodell
Längerfristige Strategien für eine treibhausgasneutrale Produktion und für zukunftssichere Beschäf-
tigung gemeinsam zu entwickeln: Das ist aus Sicht der IG Metall der richtige Ansatz auf dem Weg zur
Dekarbonisierung der Wirtschaft. Die Mitbestimmung ist dabei ein Pluspunkt im deutschen System und
leistet ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Gestaltung der Industrie.

Die Herausforderungen bei der Umsetzung der              trauen können, dass die Chancen und Risiken
Ziele aus dem Pariser Klimaschutzabkommen                der Transformation frühzeitig erkannt werden.
sind groß. Über die nächsten drei bis vier Jahr-         Die IG Metall will gemeinsam mit den Betriebs-
zehnte wird in Deutschland ein grundlegender             räten den Strukturwandel gestalten, Beschäf-
Wandel der industriellen Produktion stattfinden.         tigung sichern und diese mit Guter Arbeit und
Auch die globalen Märkte werden sich verän-              gutem Tarifeinkommen verbinden.
dern. Um hier zu bestehen und Arbeitsplätze
zu sichern, braucht es ein industrielles Entwick-
lungsmodell, bei dem ökologische Nachhaltig-
keit und Gute Arbeit integraler Bestandteil einer
ökonomisch erfolgreichen Produktionsweise
sind.
Für die IG Metall heißt das: Politik und Unterneh-
men müssen auf dem Weg zur Treibhausgasneu-
tralität Verantwortung für die Beschäftigung in
den betroffenen Branchen und Regionen über-
nehmen. Die Beschäftigten müssen darauf ver-

 Abbildung 4

  KURS STEUERN – BALANCE HALTEN
  Die IG Metall setzt auf ein industrielles Entwicklungsmodell, bei dem ökologische Nachhaltigkeit
  und Gute Arbeit integraler Bestandteil einer ökonomisch erfolgreichen Produktionsweise sind.

                                               Soziale

                                        Nachhaltigkeit

     Wirtschaft-
                                                                                 Ökologische
        liche

                                                                                                          17
1. Streiflicht: Innovation
                          Innovationen sind das A & O
                          Ein wirklich grundlegender Kurswechsel für          de das nachfolgende Gespräch mit Roman
                          einen sozial-ökologischen Umbau der Indus-          Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Ba-
                          trie steht in Deutschland wie auf globaler Ebe-     den-Württemberg geführt. Daran schließen
                          ne noch aus. Aber jeder weiß: Einfach weiter        sich zwei Betriebsporträts an – das eine über
                          wirtschaften wie bisher wird nicht möglich          Innovationsplanungen bei der Sick AG und das
                          sein. Eine nachhaltige, kohlenstoffarme oder        andere bei Kässbohrer Geländefahrzeuge. Das
                          Kohlenstoff vermeidende Produktion braucht          Thema „Innovation“ zieht sich auch durch alle
                          Innovationen. Vor diesem Hintergrund wur-           anderen Beiträge dieser Broschüre.

                        Interview: »Gute Arbeit ist die Voraussetzung
                        für ökologischen Umbau«
                        Die IG Metall und ihre Betriebsräte wollen und werden den Wandel in der Industrie mitgestalten und
                        eigene Vorschläge und Expertise einbringen, betont Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall
                        Baden-Württemberg. Aus seiner Sicht muss der Umbau sozialverträglich geschehen und Perspektiven
                        für eine innovative und technologisch führende Industrie eröffnen.

                        Wie weit sind die Themen „Nachhaltigkeit“ und         und die Energieproduktivität hat sich lediglich
                        „Klimaschutz“ schon in den Arbeitswelten der          um den Faktor 1,5 verbessert. Ein Umsteuern ist
                        IG Metall angekommen?                                 also nötig, und zwar schneller, als dies in der
ROMAN                   Roman Zitzelsberger: Ehrlich gesagt spielt das        Vergangenheit der Fall war. Niemand kann heute
ZITZELSBERGER           Thema „Klimaschutz“ bislang nicht die Rolle, die      – angesichts vieler guter Beispiele und Erfolgs-
BEZIRKSLEITER DER       ihm eigentlich zukommen müsste. Der Begriff           geschichten – Untätigkeit mit Unkenntnis legiti-
IG METALL BADEN-        „Nachhaltigkeit“ ist dagegen gängiger. Und in         mieren. Vielmehr gilt: Durch das Reduzieren von
WÜRTTEMBERG             Sachen „energieeffizientes Wirtschaften“ hat          Ausschuss, Schadstoffen und Emissionen, durch
                        sich bereits viel getan. Aber ausgereizt ist längst   konsequentes Recyceln, durch das Optimieren
                        nicht alles, sei es bei den Produktionsstätten,       von Arbeitsabläufen und Stoffströmen oder das
                        bei betriebseigenen Energiekreisläufen, bei           Senken des Betriebsmittelbedarfs kann ein Un-
                        Potenzialen entlang der Wertschöpfungskette,          ternehmen massiv Kosten sparen, Wettbewerbs-
                        bei der Industrie 4.0 oder auch bei klimafreund-      vorteile ausbauen, Beschäftigung sichern – und
                        lichen Technologien. Das wird ein Prozess, der        dabei einen unverzichtbaren Beitrag zur ökolo-
                        uns die nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird         gischen Nachhaltigkeit leisten. Im Übrigen: In-
                        – und muss. Denn es geht um die Arbeitsplätze         dem wir für alle sichtbar den Beweis antreten,
                        von morgen und um eine lebenswerte Welt für           dass ein ökologischer Weg ökonomische Vorteile
                        die kommenden Generationen. Deshalb möchte            mit sich bringt, laden wir zum Nachahmen ein.
                        ich den Bogen noch etwas weiter spannen: Wäh-         Was heißt das für die IG Metall?
                        rend die Arbeitsproduktivität seit 1960 um das        Als Gewerkschaft stehen wir voll in der Verant-
                        Dreieinhalbfache zugelegt hat, ist die Material-      wortung, es geht ja um die Zukunft unserer
                        produktivität nur um den Faktor Zwei gestiegen,       Branchen. In Deutschland sind das allein im
                   18
Automobilbereich rund 800 000 Jobs. Für uns         verlieren. Das Ganze wird ein evolutionärer Pro-
ist wichtig, wie sich Klimaschutz und nachhal-      zess sein, denke ich. Die nächsten zwanzig Jahre
tiges Produzieren mit Beschäftigung und mit         werden spannend und wegweisend. Es wird ja
beschäftigungspolitischen Impulsen verbinden.       nicht von heute auf morgen der Dieselmotor ver-
Wie schaffen wir zum Beispiel in den nächsten       boten. Aber es wird sicher – sei es bei uns, sei
Jahren eine Balance zwischen anspruchsvollen        es in China oder anderswo – politische Vorgaben
Klimazielen und dem damit verbundenen Trans-        geben, etwa, wenn in China ab 2030 vielleicht
formationsprozess der Automobilbranche, ohne        keine Verbrennungsmotoren mehr auf den Markt
dass Arbeitsplätze unter die Räder kommen?          dürfen. Das würden wir auch hier in Baden-Würt-
Das gilt auch für den Maschinenbau. Ein weiterer    temberg spüren, das hätte gewaltige Folgen.
Punkt ist mir wichtig: Nachhaltiges Wirtschaften    Welche wären das? Könnest Du ein Beispiel
beinhaltet viele Facetten. Wir beobachten aller-    nennen?
dings, dass in Betrieben, in denen Erwerbsarbeit    Was ich nicht will, ist, dass andere uns überholen.
als ständiges Ringen um Anerkennung und den         Das ist das größte Risiko, dass die deutsche Auto-
Kampf um Standards erfahren wird, andere The-       industrie abgehängt wird. Baden-Württemberg
men zwangsläufig nach hinten rutschen. Gute         gehört beim Thema „Elektromobilität“ zurzeit lei-
Arbeit ist damit eine wesentliche Voraussetzung     der nicht zur Weltspitze. Der Aufholprozess wur-
dafür, die Beschäftigten als Experten in den er-    de eingeleitet, aber ein Rückstand bleibt. Ich hal-
forderlichen Umbau einzubinden.                     te nichts von Horrorszenarios. Wir haben allein in
Was sind mit Blick auf Klimaschutz und Nachhal-     Baden-Württemberg rund 250000 Beschäftigte
tigkeit die Reibungspunkte?                         bei Herstellern und Zulieferern. Wenn von heute
Es gibt Zielkonflikte, die austariert werden müs-   auf morgen nur noch rein elektrische und keine
sen: Die Hersteller fürchten, sie könnten tech-     konventionellen Antriebe mehr hergestellt wür-
nologisch überfordert werden. Wir als IG Metall     den, dann wären bei Tätigkeiten am Antriebs-
sorgen uns, dass nicht einhaltbare Grenzwerte       strang fünf von sechs Arbeitsplätzen betroffen.
oder abrupt erzwungene Wechsel der Geschäfts-       Aber keine Prognose geht davon aus, dass von
modelle Arbeitsplätze gefährden. Die Gefahr         einem Tag auf den anderen alles komplett umge-
reicht jedoch noch weiter – bis hin zu einer        krempelt würde. Die mir bekannten Vorhersagen
schleichenden oder galoppierenden De-Indus-         lassen allerdings eine gewisse Dynamisierung
trialisierung mit den damit einhergehenden          der Entwicklung erkennen. Ein Anteil von bis zu
Wohlstandsverlusten. Gleichzeitig – und das ist     25 Prozent an rein batteriebetriebenen Neufahr-
mir ebenfalls ein großes Anliegen – dürfen wir      zeugen bis zum Jahr 2025 scheint nicht ausge-
die Entwicklung aber auch nicht bremsen oder        schlossen. Die deutsche Automobilindustrie hat
gar verhindern. Vielen Umweltorganisationen         wertvolle Erfahrungen aus mehr als hundert Jah-
geht der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft      ren und eine breit aufgestellte Forschung. Inso-
viel zu langsam. Das ist deren Rolle, zu mahnen.    fern müssen wir nicht pessimistisch sein.
Ich betrachte den Umbau unserer Wirtschaft als      Das Thema „Elektromobilität“ ist ja mehr als nur
eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.       eine Antriebsfrage, oder?
Was nicht passieren darf, ist, dass die damit       Keine Frage. Bei der Mobilität der Zukunft geht es
verbundenen Anpassungskosten auf eine Teil-         nicht nur um Elektroautos, man muss die Ener-
gruppe abgewälzt werden.                            giepolitik ganzheitlich angehen. Wenn wir – wie
Hilft Protektionismus?                              in China – mehr konventionelle Kraftwerke bauen
Da können sich die USA unter einem Präsidenten      müssen, um mehr Elektrofahrzeuge zu versorgen,
Trump noch so sperren: CO2-neutrale Klimatech-      macht das nicht viel Sinn. Die Städte dort ersti-
nologien machen vor keinen Ländergrenzen Halt.      cken im Smog, gleichzeitig werden zwanzig neue
Erst recht nicht angesichts des globalen Wettbe-    Atomkraftwerke aus dem Boden gestampft. Elek-
werbs. Wer heute schläft oder mauert, wird auf      tromobilität verbessert erst dann die Klimabilanz,
mittlere Sicht Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft   wenn es gelingt, regenerative Energien nach vorne
                                                                                                          19
zu bringen. Der Antrieb einer großen Zahl an Elek-   sie muss stimulieren. Und sie muss vor allem im
     tromobilen über mehr konventionelle Kraftwer-        Dialog mit den Betroffenen entwickelt und um-
     ke in Deutschland würde das Problem hingegen         gesetzt werden. Nur so können wir es schaffen,
     nur vom Stuttgarter Neckartor zum nächstbesten       in den nächsten 15 Jahren nachhaltiger Mobilität
     Kraftwerk verschieben. Heute glaubt die ganze        zum Durchbruch zu verhelfen.
     Menschheit, dass in zwanzig Jahren alle nur noch     Die IG Metall ist also auch eine Klimaschutz-
     mit batteriebetriebenen Fahrzeugen unterwegs         Gewerkschaft?
     sind. Das ist gut möglich, aber sicher sagen kann    Aber ja! Mit Blick auf Energiewende und neue
     man das von heute aus betrachtet nicht. Also         Mobilitätskonzepte haben wir auf dem Gewerk-
     sollte man sich viele Optionen offen halten, wie     schaftstag 2015 unsere Haltung noch einmal
     beispielsweise synthetische und CO2-neutrale         bekräftigt: Es geht um das „Wie“, nicht um das
     Kraftstoffe, Brennstoffzellen sowie hochmoder-       „Ob“ eines grundlegenden Wandels. Es führt
     ne Dieseltechnologie als Brücke in die Zukunft.      kein Weg daran vorbei, Wirtschaft und Wachs-
     Was hat sich die IG Metall hier über die betrieb-    tum nachhaltig und klimaverträglich auszurich-
     liche Politik hinaus vorgenommen?                    ten und umzubauen. Das muss sozialverträglich
     Als starke Gewerkschaft sind wir auf allen politi-   geschehen. Und es muss Perspektiven für eine
     schen Ebenen aktiv, das geht bis nach Brüssel.       innovative und technologisch führende Industrie
     In Baden-Württemberg zum Beispiel sind wir als       eröffnen. Dabei gestalten wir mit, bringen uns
     IG Metall im Nachhaltigkeitsbeirat vertreten und     mit eigenen Vorschlägen und Expertise ein. Das
     arbeiten gut mit der Landesregierung zusam-          ist unsere Aufgabe. Grundsätzlich muss es ein
     men. Auf unsere Anregung ist das Thema „Struk-       gemeinsames Anliegen aller Akteure sein, auch
     turwandel in der Automobilindustrie“ weit oben       die Beschäftigten als Experten in eigener Sache
     auf die Prioritätenliste gerückt. Auch in diesem     mit einzubinden, zu sensibilisieren, ihre Erfah-
     Zusammenhang gilt: Eine gute Wirtschafts- und        rungen nutzbar zu machen. Klima und Zukunft,
     Umweltpolitik darf nicht strangulieren, sondern      das geht uns alle an.

      Abbildung 5
       BESCHÄFTIGTE IN DER EUROPÄISCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE 2014
       Angaben in Prozent
                                                              Slowakei
                                    Schweden

                               Ungarn
                                                          3
                                                   3 3
                         Rumänien
                                               6
                    Spanien
                                           6

               Tschechien
                                      7
                                                                         Deutschland

                                                                            38
                 UK                        7

                                               7
                       Polen
                                                      7             12
                                                                                 Frankreich
                                 Italien
                                                                                               Quelle: ACEA

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