NACHHALTIG PRODUZIEREN - BETRIEBLICHE BEISPIELE - AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE - IG Metall
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Industrie Energie NACHHALTIG PRODUZIEREN BETRIEBLICHE BEISPIELE – AUF DEM WEG ZU EINER KLIMANEUTRALEN INDUSTRIE
IMPRESSUM Herausgeber: IG Metall Vorstand, VB 04, Ressort Industrie-, Struktur- und Energiepolitik (ISE), Wilhelm-Leuschner-Straße 79, 60329 Frankfurt am Main Verantwortlich: Wolfgang Lemb Text: Alf Mayer Redaktion: Angelika Thomas, IG Metall Vorstand, Ressort ISE Textbearbeitung, Satz und Layout: WAHLE COM, Mühlenweg 9, 56479 Elsoff Druckerei: Henrich Druck + Medien GmbH, Schwanheimer Straße 110, 60528 Frankfurt am Main Titelbild und Fotos im Innenteil: Daimler AG, fotolia, Hydro Aluminium, Kässbohrer, Sick, Siemens Bestellung im Intra-/Extra-/Internet der IG Metall über die Produktnummer 37950-69045 Kontakt und Bestellung für Nichtmitglieder: sarah.menacher@igmetall.de Erste Auflage: April 2017 klimaneutral natureOffice.com | DE-654-921517 gedruckt
VORWORT Nachhaltigkeit braucht Innovationen Ein wirklich grundlegender Kurswechsel hin zu Die IG Metall geht davon aus, dass der notwen- einem sozial-ökologischen Umbau unserer In- dige ökologische Umbau zu grundlegenden Ver- dustrie steht noch aus. Der Klimawandel und änderungen in der Produktionsweise und damit die deshalb notwendige Energie-, Mobilitäts- zu neuen Strukturen in den Wertschöpfungs- und Wirtschaftswende werden Deutschlands ketten führt. Die Interessen der Arbeitneh- Industrie in den nächsten drei Jahrzehnten vor merinnen und Arbeitnehmer dürfen dabei kei- große Herausforderungen stellen. Die IG Me- nesfalls „unter die Räder“ geraten. Denn „Gute tall unterstützt das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Industriepolitik“ heißt für uns: Arbeitsplätze Klimaabkommens und den dafür notwendigen mit guten Arbeitsbedingungen und Qualifika- Wandel, denn die Erderwärmung muss auf tionsmöglichkeiten sowie einer entsprechen- höchstens zwei Grad Celsius, möglichst auf den Bezahlung. eher 1,5 Grad Celsius begrenzt werden. Die in dieser Broschüre dargestellten betrieb- Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Gerade deut- lichen Beispiele sollen Mut machen und Anre- sche Unternehmen können sich mit innovati- gungen geben. Viele Beschäftigte sind bereit, ven Technologien und Produkten eine starke etwas für den Klimaschutz zu tun. Sie erwarten Position im globalen Wettbewerb verschaffen aber auch, dass sie unterstützt werden, wenn oder diese – wie etwa bei der Entwicklung neuer es um ihre Arbeitsplätze geht. Dafür steht die Antriebsformen in der Automobilindustrie oder IG Metall. im energieeffizienten Maschinen- und Anlagen- bau – weiterhin behaupten. Die Bundesrepublik Deutschland muss als wichtiges Industrieland „Vorreiter für gute Lösungen“ weltweit sein. Dazu braucht es eine zukunftsorientierte In- dustriepolitik mit einer nachhaltigen, sozialen und ökologischen Dimension. Die IG Metall wird ihre Forderungen an eine „Gute Indus- triepolitik“ im politischen Prozess einbringen. Zu vielen Eckpunkten haben wir in den letzten Jahren Konzepte entwickelt und immer wieder in den öffentlichen und politischen Diskurs ein- gebracht. Klimaschutz und nachhaltige Produktion in der betrieblichen Praxis und in der Wertschöp- fungskette, das ist ein Thema, bei dem sich viele Betriebsräte noch schwer tun. Oft wird es eher als Bedrohung und Einschränkung angese- hen denn als Chance für mehr Mitbestimmung Wolfgang Lemb und als Weg zu mehr Beschäftigungs- und Zu- Geschäftsführendes Vorstandsmitglied kunftssicherung. der IG Metall 1
INHALT VORWORT: Nachhaltigkeit braucht Innovationen TEIL 1: Nachhaltigkeit und Klimapolitik..........................................................4 Die Klimaziele von Paris 2015: Durchbruch für das Klima.................................... 5 Nachhaltige Entwicklung weltweit..................................................................... 7 Nachhaltige Entwicklung in Europa.................................................................... 8 Blick in einzelne Länder.................................................................................... 9 Norwegen, Großbritannien, Polen, Spanien, China, USA Auch das Kapital orientiert sich neu.................................................................13 Klimaschutzplan 2050 in Deutschland: Ziele für eine nachhaltige Modernisierung der Industrie....................................14 Leitmärkte „Klimaschutz“ und „Umwelt“............................................................................ 14 TEIL 2: Streiflichter: nachhaltige Produktion und Beschäftigung................. 16 Für ein neues industrielles Entwicklungsmodell................................................17 1. Streiflicht: Innovation.................................................................................. 18 Innovationen sind das A&O................................................................................................ 18 Interview mit Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter IG Metall Baden-Württemberg: Gute Arbeit ist die Vorraussetzung für ökologischen Umbau................................................. 18 Betriebliche Beispiele........................................................................................................22 • Sick AG.........................................................................................................................................................22 • Kässbohrer Geländefahrzeug AG...................................................................................................................24 2
2. Streiflicht: Wertschöpfungskette.................................................................. 26 Wertschöpfungskette – was ist das?...................................................................................26 Interview mit Ernst Schumacher, Gesamtbetriebsratsvorsitzender Hydro Aluminium Rolled Products GmbH: Nachhaltig und sozial – geht das?............................26 Betriebliche Beispiele........................................................................................................27 • Hydro Aluminium Rolled Products GmbH, Grevenbroich.................................................................................27 • Salzgitter Flachstahl GmbH.......................................................................................................................... 28 • ArcelorMittal Eisenhüttenstadt GmbH........................................................................................................... 29 • Georgsmarienhütte GmbH........................................................................................................................... 30 3. Streiflicht: Transformation............................................................................31 Unterschiedliche Interessen vereinen................................................................................. 31 Interview mit Ina Morgenroth, Geschäftsführerin IG Metall Region Hamburg: Wir müssen den ökologischen und ökonomischen Wandel und das Soziale zusammenbringen.....31 Betriebliche Beispiele........................................................................................................ 33 • Siemens Gamesa Renewable Energy, Cuxhaven.............................................................................................33 • Daimler AG Mercedes-Benz, Hamburg...........................................................................................................34 4. Streiflicht: Energiemanagement................................................................... 35 Energieeffizienz – voneinander lernen................................................................................35 Im Netzwerk zusammenarbeiten......................................................................................... 35 Betriebliche Beispiele........................................................................................................36 • Volkswagen AG und Skoda Auto a.s...............................................................................................................36 • Georgsmarienhütte GmbH............................................................................................................................37 • Salzgitter Flachstahl AG............................................................................................................................... 38 • Sick AG.........................................................................................................................................................39 5. Streiflicht: Arbeitnehmer-Mobilität.............................................................. 40 Umweltverträglich pendeln.................................................................................................40 Das ACE-Projekt „Gute Wege zur Guten Arbeit“....................................................................40 Betriebliche und kommunale Initiativen: 250000 Kilometer autofrei im Jahr.........................40 GLOSSAR..................................................................................................... 43 3
Die Klimaziele von Paris: Durchbruch für das Klima Der Klimagipfel im Dezember 2015 in Paris hat allen Zweifeln im Vorfeld zum Trotz einen wirklichen Durchbruch in der weltweiten Klimapolitik gebracht. Das sogenannte Zwei-Grad-Abkommen – 2009 in Kopenhagen als allgemeines Ziel erwähnt – hat jetzt einen globalen Aktionsplan. Die Erderwärmung soll auf höchstens zwei Grad Auch ein US-amerikanischer Präsident Donald Celsius, möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzt Trump kann dies nicht mehr zurückdrehen – und werden. Dieses Ziel war eine Forderung vom Kli- es gibt die interessante Lage, dass frühere Kli- mawandel besonders bedrohter Länder, wie et- maschutzbremser wie China, Indien oder Russ- wa der Inselstaaten. In Paris setzten sich dann land die USA zum Mitmachen drängen. Alle An- zahlreiche weitere Staaten, darunter auch Indus- strengungen sind nun darauf gerichtet, dass die trienationen, ebenfalls für die Erwähnung der weltweiten Emissionen möglichst bald ihren Gip- 1,5-Grad-Grenze ein. fel überschreiten, wobei die Entwicklungsländer Zum ersten Mal überhaupt einigten sich die 195 dafür mehr Zeit erhalten. Länder der Welt auf ein für alle völkerrechtlich Die Klimagipfel haben eine lange Vorge- verbindliches Klimaschutzabkommen. Jeder schichte. Die „Konferenz der Vereinten Staat muss künftig mit einem Klimaschutzplan Nationen über die Umwelt des Menschen“ nachweisen, was er tut, um dieses Ziel zu errei- 1972 in Stockholm war die erste Konferenz chen. Damit das Abkommen der Pariser Klima- der Vereinten Nationen (UN) zum Thema schutzkonferenz (COP21) in Kraft treten konnte, Umwelt und gilt als Beginn der internati- mussten mindestens 55 Länder, die für mindes- onalen und globalen Umweltpolitik. Bis tens 55 Prozent der weltweiten Emissionen ver- Paris 2015 war es ein langer Weg. (Siehe antwortlich sind, ihre Ratifikationsurkunden hin- dazu auch die Broschüre „Do You Speak terlegen. Inzwischen ist dieses Abkommen von Climate?“) Bei der Folgekonferenz im No- der übergroßen Mehrheit der Staaten der Welt vember 2016 in Marrakesch erklärten 48 Länder rechtsgültig unterzeichnet. vor allem aus Afrika, Asien, der Karibik und der Es ist ein wirklich gewaltiger Schritt für die Südsee, die besonders unter dem Klimawandel Menschheit und für die nachhaltige und soziale leiden, ihren schnellstmöglichen Ausstieg aus Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung. Kohle, Öl und Gas. 5
Aus den früher „national beabsichtigten Beiträ- nalen Klimaschutz sind im Zuge der Ratifizierung gen“ (den sogenannten INDCs) zum internatio- jetzt „national festgelegte Beiträge“ (NDCs) ge- worden. Neu installiert ist auch ein System der Abbildung 1 Transparenz und globalen Klimabilanz, dessen DIE TOP 20 DER CO2-EMITTENTEN Details weiter ausgearbeitet werden. Die Staa- Emmissionen in Millionen Tonnen im Jahr 2015 und prozentuale Verände- ten werden die selbstgesteckten Ziele ab 2023 rungen gegenüber dem Jahr 1990 alle fünf Jahre überprüfen und verschärfen. Die China* 10 967 +347% Entwicklungsländer erhalten in noch größerem USA 5 172 +3% Umfang als bisher internationale Unterstützung EU28 3 470 -21% Indien 2 455 +278% für die Klimaanpassung. Verluste und Schäden Russland 1760 -26% durch die nachteiligen Auswirkungen des Klima- Japan 1253 +8% wandels sollen so minimiert werden. Die Industrie- Internationale Schifffahrt 642 +75% länder haben vereinbart, dafür ab 2020 jährlich Iran 634 +213% hundert Milliarden US-Dollar zu mobilisieren. Südkorea 617 +129% Kanada 555 +24% Im Abkommen von Paris wurde auch ausdrücklich Saudi-Arabien 506 +202% anerkannt, dass über die Staaten als Vertragspart- Internationale Luftfahrt 503 +94% ner hinaus verschiedene Interessenträger eine Indonesien 503 +215% wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawan- Brasilien 486 +121% Mexiko 472 +63% dels spielen. Dazu zählen Städte, Behörden auf Australien 446 +60% regionaler und kommunaler Ebene, die Zivilgesell- Südafrika 417 +48% schaft und vor allem auch die Privatwirtschaft. Türkei 357 +132% Immer mehr wird auf globaler Ebene klar, dass Thailand 279 +202% die Transformationsprozesse in Richtung klima- Kasachstan 268 +7% neutrale Industrie und nachhaltige Produktion Weltweit 36 062 +60% deutliche Wettbewerbs- und Beschäftigungsvor- teile mit sich bringen werden. Wer weiter auf die *inkl. Hongkong u. Taiwan alten CO2-intensiven Energien setzt, wird bald Quelle: Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission wirtschaftlich weit zurück liegen. WAS SIND DIE NDCS? Die „national festgelegten Beiträge“ sind Alle fünf Jahre müssen nun neue, ehrgeizige- das neue Instrument der globalen Klima- re NDCs vorgelegt werden. Bei einer solchen politik. Die Nationally Determined Contribu- NDC-Meldung spielt nicht nur das Klimaziel tions (NDCs) sind die jeweiligen Ziele von selbst eine Rolle, sondern auch die Rahmen- Staaten zur Emissionsminderung der Treib- bedingungen in dem jeweiligen Land. Es muss hausgase. erklärt werden, wie das Ziel in das nationale Bis zur Klimakonferenz von Paris trugen die- Recht eingepasst werden soll und warum das se Beiträge noch ein „I“ (für „Intended“, das Einsparziel für den jeweiligen Staat den gerech- heißt beabsichtigt) vor dem Namen. Aus den ten Anteil am globalen Klimaschutz darstellt. INDCs sind mit dem Abkommen von Paris 2015 Diese Methode der Selbstverpflichtung bei jetzt verbindlich festgelegte nationale Beiträ- gleichzeitiger weltweiter Transparenz und Kon- ge geworden. Bei der Beschlussfassung war trolle der Ziele soll die Akzeptanz der globalen jedoch bereits klar, dass die bisherigen nati- Klimapolitik fördern und national-egoistische onalen Beiträge nicht ausreichen werden, um Verweigerungshaltungen aufbrechen. Klima- das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Die Debatte schutz ist eine gemeinsame Aufgabe aller dazu ist bereits im Gange. Staaten, lautet die übereinstimmende Ansicht. 6
Nachhaltige Entwicklung weltweit Der globale Wandel hin zu einer kohlenstoffarmen (dekarbonisierten) Wirtschaft muss sich vor allem im Energiesektor vollziehen, das heißt: weg von Kohle, Öl und Gas. Denn sie sind für den größten Teil des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Hier gibt es das größte Poten- zial für CO2-Reduktion. Diese globale Energiewende aber muss sich gerecht und nachhaltig vollziehen. Das ist inzwischen das erklärte Ziel aller Staaten. Formu- liert ist es in der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung", die von den Staaten der Welt kurz vor Paris verabschiedet worden ist. 2011 haben die Vereinten Nationen die Initiative „Nachhaltige Energie für Alle“ ins Leben gerufen, eng- lisch „Sustainable Energy for All (SE4ALL)“. Sie soll helfen, bis zum Jahr 2030 allen Menschen einen Zugang zu nachhaltiger Energie zu ermöglichen. Seite 22) kompensiert seinen trotz Energieeffi- Die 17 Ziele der UN- Der Anteil der erneuerbaren Energien am welt- zienzmaßnahmen unvermeidbaren CO2-Ausstoß „Agenda 2030 für weiten Energieverbrauch soll sich bis dahin auf mit ökologisch-sozialen Projekten in Afrika. In nachhaltige Entwick- 36 Prozent verdoppeln. Deutschland fördert in Ruanda etwa helfen effiziente Brennholzkocher lung“ diesem Rahmen Energievorhaben in mehr als den Familien, achtzig Prozent Brennholz einzu- fünfzig Ländern, das Bundesministerium für sparen. „Kitchen killer“, die schleichende Ver- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- giftung durch Rauch, ist nach Schätzungen der lung (BMZ) unterstützt Partnerländer bei der Weltgesundheitsorganisation WHO für 1,6 Milli- Umstellung ihrer Energiesysteme. onen Tote pro Jahr verantwortlich. In Äthiopien So entsteht nahe der marokkanischen Stadt Oua- bringen sogenannte „Solar Home Systems“ Elek- zarzate einer der größten Solarparks der Welt, trizität in ländliche Regionen und verbessern die der einmal Strom für 1,3 Millionen Menschen Lebensbedingungen. erzeugen soll. Gesamtkosten: rund 2,2 Milliar- Der Hintergrund: Ausdrücklich nimmt das Pari- den Euro. Zu fast vierzig Prozent ist die Bundes- ser Klimaabkommen vom Dezember 2015 Bezug republik in Form zinsvergünstigter Kredite ein auf die wenige Monate vorher in New York ver- Geldgeber, von technischem Know-how ganz zu abschiedete „Agenda 2030 für nachhaltige Ent- schweigen. Bereits in Betrieb ist das Sonnenwär- wicklung". Auch sie gilt für alle Staaten dieser mekraftwerk Noor 1 mit einer Kapazität von 160 Welt, für Entwicklungsländer, Schwellenländer Megawatt. Es senkt die Kohlendioxidemissionen und Industriestaaten. Es geht um eine Umgestal- Marokkos um 240000 Tonnen pro Jahr. Bis 2020 tung von Volkswirtschaften hin zu nachhaltiger will das Land 42 Prozent seines Energiebedarfs Entwicklung, durch verantwortungsvolle Kon- aus Erneuerbaren decken. „Noor" bedeutet im sum- und Produktionsbedingungen und durch Arabischen „Licht“. saubere und erschwingliche Energie. Klima- Immer mehr Initiativen auf Firmenebene er- politik, nachhaltige Entwicklung und Armuts- gänzen diese Art der Entwicklungsarbeit. Der bekämpfung sind untrennbar miteinander ver- Sensorenhersteller Sick AG zum Beispiel (siehe woben. 7
Nachhaltige Entwicklung in Europa Die Europäische Union hat sich von Anfang an als Staatengemeinschaft gemeinsame Ziele gesetzt. Eines davon ist Europa als Energie-Union. Bei den Klimaschutzabkommen der Weltgemeinschaft tritt die EU mit gemeinsamen Zielen auf. Diese koordinierte Klima- und Nachhaltigkeitspolitik könn- te ein Feld sein, auf dem ein gestärktes Europa in den nächsten Jahren seine Handlungsfähigkeit beweist und seine wichtige Rolle im Staatenkonzert bestätigt. Europa war in der Klimapolitik lange führend, einfach. Nach China und den USA sind die 28 aber eine gemeinsame Klimapolitik ist nicht Mitgliedsländer der EU der drittgrößte CO2-Emit- tent. Die EU-Länder liegen nicht nur mit ihren Ge- Abbildung 2 gebenheiten, sondern auch in ihrem politischen EU-MITGLIEDSTAATEN Willen oft weit auseinander. Zurzeit gibt es die Emmissionen in Millionen Tonnen im Jahr 2015 und prozentuale Verände- Tendenz, sich auf bereits erreichten Zwischen- rungen gegenüber dem Jahr 1990 zielen auszuruhen und manche ordnungspoliti- 778 sche Maßnahme zurückzunehmen. In einzelnen Deutschland -24% Vereinigtes Königreich 398,5 -31% Mitgliedstaaten werden die konventionellen Italien 353 -18% Energien sogar eher aus- statt abgebaut. Dabei Frankreich 328 -14% ist klar, dass alle klimapolitischen Anstrengun- Polen 295 -19% gen bald schon deutlich größer werden müssen. Spanien 263 +14% Niederlande 165 +3,5% Europa muss aufpassen, seine – auch technolo- Tschechien 111 -35% gisch wichtige und Beschäftigung schaffende – Belgien 97 -16% Vorreiterrolle nicht zu verlieren. Rumänien 81 -56% Die gemeinsamen Rahmenbedingen für die Österreich 74 +19,5% nächsten Jahre sind abgesteckt und beschlossen. Griechenland 68 -12,5% Bulgarien 53 -34% Es gibt drei Säulen, auf denen die Regulierungs- Portugal 51 +18% pakete der EU beruhen. Das 2007 beschlossene Finnland 48,5 -14% „Klima- und Energiepaket 2020“ verpflichtet die Ungarn 48 -33% Staaten der EU zur Nachhaltigkeit und nennt die Schweden 42,5 -26% Dänemark 37 -30% bis zum Jahr 2020 zu erreichenden Ziele: Irland 37 +13% Senkung der Treibhausgasemissionen in der Slowakei 36 -40% EU um zwanzig Prozent gegenüber dem Refe- Estland 29 -21% renzjahr 1990; Kroatien 20,5 -18% Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien Slowenien 16 +1% Litauen 12 -54% im gesamten Energiemix (Strom, Wärme, Ver- Luxemburg 10 -12% kehr) auf mindestens zwanzig Prozent; Lettland 8 -51% Verbesserung der Energieeffizienz, so dass Zypern 6 +36% der Verbrauch der Primärenergie zwanzig Pro- Malta 2 +1% zent unter den prognostizierten Werten liegt. EU 28 3470 -21% Dieses Programm ist auch bekannt als die „20-20-20-Ziele“ oder als „Zieltrias“. CO2-Emmissionen: EU-Reduktionsziele (gegenüber dem Stand von 1990) Die Debatte über die Fortschreibung dieser Zieltrias bis 2030 ist im Gange und geht in Rich- Bis 2020 -20% Bis 2030 -40% tung 40-27-30, so der Vorschlag der EU-Kommis- sion. Die IG Metall hält ambitionierte Ziele für den An- Quelle: Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission teil an erneuerbaren Energien und bei der Ener- 8
gieeffizienz für machbar, diese sollten nachge- löst und dass CO2-trächtige Fertigungen nicht bessert werden. Der europäische Rahmen bis einfach ins außereuropäische Ausland verlagert 2030 wird in den nächsten beiden Jahren abge- werden. steckt. Das betrifft auch die politischen Rahmen- bedingungen für Branchen, in denen die IG Me- tall agiert. Dazu zählen beispielsweise die Ziel- DIE WICHTIGSTEN AKTIONSFELDER DER findungen für Pkw-Abgasnormen, der Emissi- EU-KLIMAPOLITIK onshandel oder der Ausbau der erneuerbaren nergie-Union und EU-Energie- und Kli- E Energien. Die Betriebsräte der IG Metall sind maziele 2030 hier auf vielen Ebenen aktiv und bringen Vor- Emissionsrechtehandel (EU-ETS) schläge ein. Regulierung des CO2-Ausstoßes von PKW Der Emissionshandel (ETS) ist das wichtigste eu- und leichten Nutzfahrzeugen ropäische Instrument zur Minderung der Treib- Steigerung der Energieeffizienz bei Ge- hausgase in der Energiewirtschaft und in der bäuden und von Produkten Industrie und soll zu einem noch wirksameren Förderung der Energieträger aus erneu- Werkzeug werden. Der IG Metall ist es wichtig, erbaren Quellen dass die anstehende ETS-Reform keinen Ver- Anpassung an den Klimawandel in der EU drängungsdruck im globalen Wettbewerb aus- Blick in einzelne Länder Der Ausblick auf andere Länder inner- und außerhalb Europas lässt Vorreiter und Schlusslichter bei der Umsetzung der internationalen Klimaziele identifizieren. Norwegen beispielsweise hat sich zur Klimaneutralität ab 2030 verpflichtet. Auch China hat sich viel vorgenommen, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Demgegenüber hat der Klimaschutz in Großbritannien nach der Brexit-Entscheidung an Bedeutung verloren. Auch in den USA wird unter dem neuen Präsidenten Donald Trump das Rad zurückgedreht. Und Polen wird nicht müde, die EU-Klimapolitik zu blockieren. NORWEGEN ropäische Onshore-Windpark nahe Trondheim Neben Großbritannien gehört Norwegen zu den befindet sich in Planung. Das Land ist Vorreiter größten Erdölförderländern in Europa. Im Som- in Sachen Elektromobilität. Jede fünfte Neuzu- mer 2016 hat das Parlament ein Gesetz verab- lassung braucht weder Benzin noch Diesel. Bei schiedet, das Norwegen zur Klimaneutralität fünf Millionen Einwohnern fahren inzwischen ab 2030 verpflichtet, zwanzig Jahre früher als 100000 Elektroautos. Das Land subventioniert geplant. Allerdings setzt das Land nicht nur auf diese Verkehrsmittel und ist weltweit der dritt- Treibhausgasminderung im eigenen Land, son- größte Markt dafür. dern will seine Emissionen durch den Kauf von Ein neuer nationaler Transportplan 2018 bis 2029 Verschmutzungsrechten im Ausland kompensie- soll weitere Schritte zur Senkung des CO2-Aus- ren. Ab dem Jahr 2030 könnte die Klimaneutra- stoßes und zum Umbau des Verkehrssystems lität das Land nach derzeitigen Berechnungen festschreiben. Dementiert wurde, dass ab 2025 etwa 3,2 Milliarden Euro jährlich kosten (20 Mil- nur noch Elektroautos verkauft werden dürfen. liarden Kronen). Aber die Richtung ist klar und betrifft den gan- Norwegen beteiligt sich am EU-Emissionshan- zen Verkehr. Ziel ist es, die CO2-Emissionen des del. 98 Prozent des norwegischen Stroms wer- norwegischen Transportsektors bis 2030 zu hal- den durch Wasserkraft erzeugt, der größte eu- bieren. Alle neuen Schiffe und Fähren sollen bis 9
Abbildung 3 GESAMTE INSTALLIERTE WINDENERGIELEISTUNG IN DER EU ENDE DES JAHRES 2015 EU – 141581 MW, davon auf See 11 027 MW 279 kW/1000 Einwohner Angaben in Megawatt (MW) Finnland ≤ 50 kW/1.000 Einwohner 1 001 ≤ 100 kW/1.000 Einwohner ≤ 250 kW/1.000 Einwohner ≤ 500 kW/1.000 Einwohner Schweden Estland > 500 kW/1.000 Einwohner 6 025 303 Dänemark Lettland 5 064 62 Litauen Irland 424 2 486 Vereinigtes Königreich Niederl. 13 603 3 431 Polen 5 100 Belgien Deutschland 2 229 44 946 Luxemburg Tschech.R. 282 Slowakei 58 3 Frankreich Österreich 10 358 2 412 Ungarn Slowenien 329 Rumänien 3 Kroatien 2 976 423 Portugal 5 079 I talien Bulgarien Spanien 8 958 691 23025 Griechenland Keine Windenergienutzung in Malta Zypern 2 152 Quelle: EWEA [37] 158 Quelle: EWEA dahin abgasfrei sein und im Flug- und Schwer- Der „Statens pensjonsfond utland“, mit über 830 lastverkehr sollen mehr Biotreibstoffe eingesetzt Milliarden Euro der größte Staatsfond der Welt werden. Bis 2050 soll der gesamte Verkehr im und in 78 Ländern aktiv, erwirtschaftet nicht nur Land ohne den Einsatz von Erdöl laufen. Nor- gute Renditen (5,6 Prozent), er setzt auch zuneh- wegen wäre damit das erste Land weltweit, das mend ökologische Ziele. Der Fonds ist gesetzlich diesen Schritt geht. Es wird dort für machbar ge- verpflichtet, sich aus Energie- und Bergbauun- halten. Elektrobusse sind jetzt schon zahlreich ternehmen zurückzuziehen, wenn das Kohlege- unterwegs, der öffentliche Nahverkehr soll mas- schäft dort mehr als dreißzig Prozent ausmacht. siv ausgebaut werden. In Fahrradinfrastrukturen So wurde zum Beispiel vom RWE-Konzern eine und zehn Fahrradautobahnen (Bike Highways) Strategie für den Kohleausstieg gefordert. Die in Ballungszentren werden 850 Millionen Euro Philosophie dabei: Wer weiter auf Kohle setzt, investiert. Die Hauptstadt Oslo soll ab 2019 mag zwar aktuell Gewinne einfahren, aber Zu- autofrei sein. kunft hat das nicht. 10
GROSBRITANNIEN Nach der Brexit-Entscheidung hat die neue Re- gierung das Energie- und das Wirtschaftsminis- terium zusammengelegt, der Klimaschutz hat deutlich weniger Priorität. Eigentlich hat Groß- britannien sich selbst das Ziel gesetzt, seinen CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2025 um 50 Prozent zu senken. Inzwischen tragen erneuerbare Energi- en knapp 25 Prozent (2015) zur Stromerzeugung bei. Das Land ist weltweit führend bei der Nut- zung von Offshore-Windenergie. Parallel dazu will die Regierung aber auch den hochsubventio- nierten Bau des geplanten neuen Kernkraftwerks Hinkley Point vorantreiben. Es soll als „CO2-neu- traler“ Energieerzeuger rund acht Prozent zum Strommix beitragen. Gutachten sagen, dass ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien stark ausgebaut, in dem große Klimaverspre- deutlich kostengünstiger wäre als die Fertigstel- chen gemacht wurden. lung des Milliardengrabs, das noch viele Genera- tionen belasten würde. CHINA Mit derzeit 28 Prozent Anteil am globalen POLEN CO2-Ausstoß ist das Land der weltweit größ- Schon dreimal in den letzten Jahren hat Polen te Klimasünder, aber es tut sich viel. Das Jahr im Alleingang die Anhebung der europäischen 2009, als der damalige chinesische Minister- Klima- und Energieziele bis 2020 blockiert. Auch präsident Wen Jiabao am Klimagipfel in Kopen- die Ratifizierung der Ziele der Pariser Klimakon- hagen teilnahm, gilt als Chinas erstes Jahr des ferenz durch alle EU-Staaten wurde behindert. Klimaschutzes. Seitdem hat sich in der größten Weil die bestehenden Kraftwerke marode sind Volkswirtschaft der Welt viel verändert – bis hin und der Energieverbrauch steigt sind neue Koh- zur Absicht, bald schon Quoten für Elektromobi- lekraftwerke mit einer Leistung von über 4000 lität festzulegen. Megawatt im Bau. Die sind zwar energieeffizien- Mehr als ein Drittel der weltweiten Investitio- ter und tragen zur CO2-Senkung bei, verlängern nen in regenerative Energien erfolgten 2015 und aber die Kohlenstoffphase. 2016 in der Volksrepublik China, während sie in Europa auf den niedrigsten Stand seit neun Jah- SPANIEN ren fielen. Die international geforderten Klima- Spanien ist das vom Klimawandel am stärksten schutzmaßnahmen stehen heute im Einklang mit betroffene Land in Europa. Nirgendwo in Euro- den innenpolitischen Interessen, die Luft- und pa sind die Temperaturen mehr gestiegen. Das die Umweltverschmutzung zu bekämpfen. Eine Land könnte bis 2050 einen großen Teil seiner nachhaltige „grüne Entwicklung“ ist zur Schlüs- traditionellen Landwirtschaft verlieren, wichtige selstrategie Chinas erklärt worden. Anbaugebiete für Zitrusfrüchte, Oliven und Wein Dazu beigetragen haben massive Umweltpro- sind von Dürre bedroht. Obwohl sich auch Spa- bleme und der Boom sozialer Medien, der den nien zur auf dem G7-Gipfel auf Schloss Elmau im Druck auf die chinesische Regierung verstärkt Jahr 2015 vereinbarten Dekarbonisierung ver- hat. Beim Klimagipfel 2015 in Paris sagte China pflichtet hat, entfernt sich das Land real immer zu, bis zum Jahr 2030 einen Anteil von zwanzig stärker von dem Ziel, klimaschädliche Emissio- Prozent nicht-fossiler Energien am gesamten nen von Treibhausgasen deutlich zu reduzieren. Energiemix zu erreichen. Jetzt 2017 wird ein ei- Der Einsatz von Kohle wurde genau in jenem Jahr gener nationaler Emissionshandel eingerichtet. 11
China stellt nicht mehr nur Forderungen an die Freien“ aufmüpfige Wissenschaftler in einer nächt- Industrieländer, sondern ist zu einem Land ge- lichen Guerilla-Aktion umfangreiche Forschungs- worden, das selbst Klimafinanzierung leistet und daten auf Internetserver ins Ausland verlagert ärmeren Ländern 3,1 Milliarden US-Dollar zur hatten. Unter Trump wird die US-Klimapolitik zu- Verfügung stellt. rückgedreht, das zeichnet sich ab. Die spannende Teil des neuen Fünfjahresplans, der bis 2020 Frage ist, wie viel Schaden das dem Klima und der gewaltige Investitionen in die chinesische Wirt- eigenen Wirtschaft zufügen wird. schaft vorsieht, ist der Ausbau der Windenergie. Klar ist, dass das Pariser Klimaabkommen völ- China will fast 100 Milliarden Euro in neue Wind- kerrechtlich und wirtschaftlich nicht zu kippen kraftanlagen stecken und bis dahin eine Kapa- ist. Wirtschaftlich starke Bundesstaaten wie zität von 210 Gigawatt erreichen. Diese zusätz- Kalifornien oder Texas setzen längst auf erneu- lichen achtzig Gigawatt innerhalb von vier Jahren erbare Energien. Wäre Texas ein Staat, wäre es entsprechen dem Doppelten der in Deutschland der sechstgrößte Windenergieerzeuger der Welt, bisher installierten Windkapazitäten. Auch die knapp hinter Spanien. Dieser Ausbau geschah Solarleistung soll bis 2020 verdreifacht werden, in den 14 Jahren Amtszeit von Gouverneur Rick in Infrastruktur und schadstoffarme Mobilität wird Perry, einem Leugner des Klimawandels. Groß- groß investiert. Selbst wenn sich in der Praxis städte wie Los Angeles, New York, Chicago oder noch zahlreiche Blockaden auftun: China hat sich Boston gehören zum Klimanetzwerk der „C40-Ci- auf den Weg gemacht zu einem Hauptmotor der ties“, sie erwirtschaften dreißig Prozent des klimatechnologischen Entwicklungen zu werden. US-Sozialprodukts und haben bereits Milliarden in nachhaltige Entwicklung investiert. „Business USA back low carbon“ heißt eine Wirtschaftsinitiati- Bereits während der Amtseinführung von Donald ve von mehr als 600 US-Unternehmen. Die Zu- Trump wurden auf der Internetseite des Weißen kunft gehört auch in den USA den erneuerbaren Hauses alle Hinweise auf die Klimapolitik der USA Energien und dem nachhaltigen Wirtschaften. gelöscht. „Die Suche brachte keine Resultate“, Der kalifornische Milliardär und Umweltaktivist hieß es dort stattdessen. Auch bei der Umweltbe- Tom Steyer, als nächster Gouverneur gehandelt, hörde EPA und anderen Institutionen wurden viele sagt: „Die industrielle Logik ist da, und wird am Informationen vernichtet. Gut, dass im „Land der Ende nicht zu stoppen sein.“ Die gelöschte Klima-Webseite des White House: „No results found“: http://klima- luegendetektor. de/2017/01/21/ weisses-haus-beim- klimawandel-no- results/ 12
Auch das Kapital orientiert sich neu Der Ruf nach mehr Klima-Transparenz in Geschäftsberichten wird lauter. Viele Unternehmen veröf- fentlichen Nachhaltigkeitsberichte, aber nicht immer geben die Zahlen verlässliche Auskunft. Oft ist Augenwischerei dabei. Kapitalgeber und Anleger machen zunehmend Druck. Viele Unternehmen tun sich noch schwer mit der Veröffentlichung handfester und nachvollziehba- rer Daten über die Klimakosten ihrer Produkte und Verfahren. Mit der CSR-Richtlinie 2014/95/ EU verpflichtet die EU bestimmte große Unterneh- men und Gruppen ab 2017 zu mehr Transparenz auch in nichtfinanziellen Belangen. Die Treib- hausgasemissionen gehören hier künftig dazu. Indirekt sind davon auch Zulieferer betroffen. Aber nicht nur „die Bürokraten“ wollen es wis- Informationen. Erst 13 Prozent der Unternehmen sen, auch das internationale Finanzkapital ori- sind mit ihrer Unternehmensstrategie auf nach- entiert sich neu. Auf 100 Milliarden US-Dollar haltige Finanzierungsmöglichkeiten (sustainable wurde 2016 das Volumen der „grünen Emissio- financing strategy) ausgelegt. Der Druck aber nen" geschätzt, das sind neue Geldanlagen in wächst weltweit. Vom Kapital, wohlgemerkt. nachhaltige und klimaschonende Projekte. Chi- na übrigens bestritt 2016 davon die Hälfte. Als weltweit erster Finanzplatz handelt der „Luxem- WELCHE INDUSTRIE WOLLEN WIR? burg Green Exchange“ seit September 2016 mit Die ökologischen und sozialen Warn- rein ökologischen Finanzprodukten. Zugelassen signale stehen heute weltweit auf Dun- sind nur Emittenten, die strikte Zugangskriterien kelrot. Der Klimawandel, die Finanzmarkt- erfüllen. Noch sind das überschaubare Summen krise, die zunehmende Ungleichheit in der innerhalb der internationalen Finanzströme, Einkommens- und Vermögensverteilung so- aber sie haben Signalwirkung. wie massive Defizite in der öffentlichen Infra- Immer wieder zeigen Studien, dass institutio- struktur weisen auf gravierende Fehlentwick- nelle Anleger – wie etwa Pensionsfonds – mehr lungen unseres Wirtschaftssystems hin. Doch klimafreundliche Investments wollen, aber die wie schaffen wir den Wandel zu einem nach- Unternehmen nicht so aufgestellt sind. Unter- haltigen Modell des Wirtschaftens? Wie kann nehmen mit überzeugenden umweltfreundlichen der Wechsel vom kohlenstoff- und ressour- Referenzen steht ein wachsender Kapitalfundus cenintensiven Pfad hin zu einem klima- und zur Verfügung. Gebremst wird das nur durch die sozialverträglichen, qualitativen Wachstum mangelnde klimabezogene Transparenz von Un- gelingen? ternehmen. Die Studie „Sustainable Finance" der Dieses Buch ist ein Plädoyer für den öko- HSBC-Bank etwa befragte weltweit Unternehmen logischen Umbau der Industrie und für und institutionelle Investoren zu ihren nachhal- das Konzept der Guten Arbeit. Es liefert tigen Investments und Auswahlkriterien. Ergeb- detaillierte Antworten auf diese drängen- nis: Nur 24 Prozent der befragten Unternehmen den Fragen, die sich heute und den kom- legen derzeit die Umweltauswirkungen ihres menden Generationen stellen. Wirtschaftens offen. 74 Prozent der Investoren, ➤ Wolfgang Lemb (Hg.): Welche Industrie die kohlenstoffarme oder klimabezogene Inves- wollen wir? Nachhaltig produzieren – zu- titionen tätigen wollen, stoßen auf Investment- kunftsorientiert wachsen. Campus-Verlag hürden durch fehlenden Zugang zu qualitativen 13
Klimaschutzplan 2050: Ziele für eine nachhaltige Modernisierung der Industrie Deutschland gehört international zu den Vorreitern in Sachen Nachhaltigkeit und Klimapolitik – dies längst jedoch nicht aus Gutmenschentum, wie manche vielleicht meinen mögen. Es geht um Techno- logieführerschaft und neue Leitmärkte und um zukunftssichere Arbeitsplätze. Die große Herausforderung der nächsten Jahre Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). ist es, als hochentwickeltes Industrieland einen Die Initiative „Wirtschaft für Klimaschutz“ sieht sozial-ökologischen Umbau nicht gegen, son- hier „einen langfristigen Wachstumsmotor und dern mit der Industrie und für gute Arbeitsplätze damit Garanten für Arbeitsplätze“. Ambitionierte zu organisieren. Niemand sagt, dass es einfach Klimaziele müssen dem nicht widersprechen. sein wird, den Spagat zwischen Investitionen, Im November 2016 hat die Bundesregierung Innovationen, Beschäftigungssicherung und glo- den „Klimaschutzplan 2050“ beschlossen. Er baler Wettbewerbsfähigkeit zu halten. Viele der soll Bestandteil einer ökologischen, sozialen Technologien, die CO2-Emissionen verringern und ökonomischen Nachhaltigkeitsstrategie für helfen, „sind ökonomisch sinnvoll, weil sie Kos- Deutschland sein. Im Klimaschutzplan werden ten und Ressourcen sparen“, betont auch der Ziele und Maßnahmen benannt, mit denen die LEITMÄRKTE „KLIMASCHUTZ“ UND „UMWELT“ Alle Fachleute sind sich einig: Die deutsche Nachhaltige Produktion ist für die deutsche In- Wirtschaft hat große Veränderungen zu be- dustrie eine wichtige Strategie mit Perspektive. wältigen. Dazu gehören der Klimawandel, Als besonderes Zukunftsfeld identifiziert die die digitale Transformation, der verschärf- Studie Maschinentechnologien: Verkehrs- und te globale Konkurrenzdruck, aber auch der Automobiltechnik, elektrische Maschinen, Ap- Fachkräftemangel. Aber eigentlich ist der parate, Energie, Motoren, Pumpen, Turbinen, „Konzern Deutschland“ gut aufgestellt, Mit- mechanische Elemente und Werkzeugtechnik. bestimmung inklusive. Diese Einschätzung stützt sich auf eine um- In einer Prognos-Studie hat das Bundesmi- fassende Analyse von Patenten und auf eine nisterium für Wirtschaft und Energie Anfang Auswertung der deutschen und globalen Ex- 2016 die „Lage und Zukunft der deutschen In- portdynamik in den vergangenen Jahren. Inno- dustrie (Perspektive 2030)” ermittelt. Globa- vationsstarke deutsche Unternehmen können le Wachstumsbereiche „mit in Zukunft hoher danach weiterhin mit einer regen globalen Bedeutung“ finden sich – nach dieser Studie Nachfrage rechnen. – nicht entlang einzelner Branchen, sondern Prognos geht davon aus, dass der Wettbewerb werden in Leitmärkten erfasst. sich verschärfen wird und steigende Rohstoff- Die zentralen Leitmärkte sind: preise sowie der demografische Rückgang der Energie- und Ressourceneffizienz, Beschäftigten große Herausforderungen mit Mobilität und Logistik, sich bringen werden. Dem muss durch anhal- Klimaschutz und Umwelt sowie tend hohe Forschungs- und Entwicklungsauf- Gesundheit. wendungen, Investitionen in produktivitäts- Auf diesen „Leitmärkten“, ist die deutsche In- steigernde Prozesse und Technologien sowie dustrie sehr stark positioniert und hat das Po- durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingun- tenzial, global eine Führungsrolle einzunehmen. gen entgegengewirkt werden. 14
KLIMASCHUTZPLAN: ZIELKORRIDOR BIS 2030 THG- THG- Korridor der Anvisierte Anvisierte Prozentuale Emmissionen Emmissionen Restemissionen prozentuale Prozentuale Handlungsfeld Minderung 1990 2014 2030 Minderung Minderung 1990 bis 2014 (Mio. t CO2-Äq.) (Mio. t CO2-Äq.) lt. KSP 2050 2030 ggü. 1990 2014 bis 2030 Energiewirtschaft 466 358 175 - 183 62 - 61% -23% 51 - 49% Industrie 283 181 140 - 143 51 - 49% -36% 23 - 21% Verkehr 163 160 95 - 98 42 - 40% -2% 41 - 39% Gebäude 209 119 70 - 72 67 - 66% -43% 41 - 40% Landwirtschaft 88 72 58 - 61 34 - 31% -18% 19 - 15% Teilsumme 1209 890 538 - 557 56 - 54% -26% 40 - 37% Transformation zu einer treibhausgasneutralen Auch Deutschland steht noch am Anfang eines Wirtschaft und Gesellschaft vorangebracht wer- umfassenden Transformationsprozesses. Ver- den soll. Bis 2050 sollen die Treibhausgasemis- lässliche Rahmenbedingungen sind eine wich- sionen in Deutschland im Vergleich zu 1990 um tige Voraussetzung, damit die Transformation achtzig bis 95 Prozent vermindert werden, um nicht zu einem Verlust von Wertschöpfung und mindestens 55 Prozent bis zum Jahr 2030. Arbeitsplätzen führt. Die Diskussion über den Wirtschaft und Gesellschaft sind einem ständigen Klimaschutzplan hat gezeigt, wie wichtig es ist, und beschleunigten Wandel unterworfen. Dies Folgenabschätzungen über die wirtschaftlichen macht die Integration von Klimaschutz in den und sozialen Auswirkungen der geplanten Maß- Wirtschaftssektoren umso dringlicher: In vielen nahmen vorzunehmen. Diese sollen bis Ende Bereichen der wirtschaftlichen Infrastruktur wer- 2018 erfolgen. Für die Gestaltung des notwen- den die Entscheidungen und Investitionen, die digen Strukturwandels in der Energiewirtschaft heute getätigt werden, bereits die Entwicklung wird eine Kommission unter Einbeziehung der bis 2030, 2050 oder sogar darüber hinaus vor- beteiligten Akteure in den nächsten beiden Jah- zeichnen. Dies gilt insbesondere für die Energie- ren einen Weg erarbeiten. versorgung, die Grundlagenindustrie, Infrastruk- tur und Mobilität und die Stadtentwicklung. Klimaschutz kann also mittel- bis langfristig nur erfolgreich sein, wenn er bereits heute von allen Akteuren und auf allen Ebenen mitgedacht wird. Der Klimaschutzplan soll dazu beitragen und eine möglichst konkrete Orientierung für strategische Entscheidungen in den nächsten Jahren geben. Erstmals werden im Klimaschutzplan auch Ziele zur Minderung der Treibhausgasemissionen für einzelne Wirtschaftszweige bis zum Jahr 2030 berechnet. Handlungsfelder im Klimaschutzplan sind die Industrie, die Mobilität, die Energiewirt- schaft, der Gebäudebereich, die Landwirtschaft und Landnutzung und Forstwirtschaft. 15
TEIL 2 Streiflichter: nachhaltige Produktion und Beschäftigung 16
Für ein neues industrielles Entwicklungsmodell Längerfristige Strategien für eine treibhausgasneutrale Produktion und für zukunftssichere Beschäf- tigung gemeinsam zu entwickeln: Das ist aus Sicht der IG Metall der richtige Ansatz auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Wirtschaft. Die Mitbestimmung ist dabei ein Pluspunkt im deutschen System und leistet ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Gestaltung der Industrie. Die Herausforderungen bei der Umsetzung der trauen können, dass die Chancen und Risiken Ziele aus dem Pariser Klimaschutzabkommen der Transformation frühzeitig erkannt werden. sind groß. Über die nächsten drei bis vier Jahr- Die IG Metall will gemeinsam mit den Betriebs- zehnte wird in Deutschland ein grundlegender räten den Strukturwandel gestalten, Beschäf- Wandel der industriellen Produktion stattfinden. tigung sichern und diese mit Guter Arbeit und Auch die globalen Märkte werden sich verän- gutem Tarifeinkommen verbinden. dern. Um hier zu bestehen und Arbeitsplätze zu sichern, braucht es ein industrielles Entwick- lungsmodell, bei dem ökologische Nachhaltig- keit und Gute Arbeit integraler Bestandteil einer ökonomisch erfolgreichen Produktionsweise sind. Für die IG Metall heißt das: Politik und Unterneh- men müssen auf dem Weg zur Treibhausgasneu- tralität Verantwortung für die Beschäftigung in den betroffenen Branchen und Regionen über- nehmen. Die Beschäftigten müssen darauf ver- Abbildung 4 KURS STEUERN – BALANCE HALTEN Die IG Metall setzt auf ein industrielles Entwicklungsmodell, bei dem ökologische Nachhaltigkeit und Gute Arbeit integraler Bestandteil einer ökonomisch erfolgreichen Produktionsweise sind. Soziale Nachhaltigkeit Wirtschaft- Ökologische liche 17
1. Streiflicht: Innovation Innovationen sind das A & O Ein wirklich grundlegender Kurswechsel für de das nachfolgende Gespräch mit Roman einen sozial-ökologischen Umbau der Indus- Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Ba- trie steht in Deutschland wie auf globaler Ebe- den-Württemberg geführt. Daran schließen ne noch aus. Aber jeder weiß: Einfach weiter sich zwei Betriebsporträts an – das eine über wirtschaften wie bisher wird nicht möglich Innovationsplanungen bei der Sick AG und das sein. Eine nachhaltige, kohlenstoffarme oder andere bei Kässbohrer Geländefahrzeuge. Das Kohlenstoff vermeidende Produktion braucht Thema „Innovation“ zieht sich auch durch alle Innovationen. Vor diesem Hintergrund wur- anderen Beiträge dieser Broschüre. Interview: »Gute Arbeit ist die Voraussetzung für ökologischen Umbau« Die IG Metall und ihre Betriebsräte wollen und werden den Wandel in der Industrie mitgestalten und eigene Vorschläge und Expertise einbringen, betont Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Aus seiner Sicht muss der Umbau sozialverträglich geschehen und Perspektiven für eine innovative und technologisch führende Industrie eröffnen. Wie weit sind die Themen „Nachhaltigkeit“ und und die Energieproduktivität hat sich lediglich „Klimaschutz“ schon in den Arbeitswelten der um den Faktor 1,5 verbessert. Ein Umsteuern ist IG Metall angekommen? also nötig, und zwar schneller, als dies in der ROMAN Roman Zitzelsberger: Ehrlich gesagt spielt das Vergangenheit der Fall war. Niemand kann heute ZITZELSBERGER Thema „Klimaschutz“ bislang nicht die Rolle, die – angesichts vieler guter Beispiele und Erfolgs- BEZIRKSLEITER DER ihm eigentlich zukommen müsste. Der Begriff geschichten – Untätigkeit mit Unkenntnis legiti- IG METALL BADEN- „Nachhaltigkeit“ ist dagegen gängiger. Und in mieren. Vielmehr gilt: Durch das Reduzieren von WÜRTTEMBERG Sachen „energieeffizientes Wirtschaften“ hat Ausschuss, Schadstoffen und Emissionen, durch sich bereits viel getan. Aber ausgereizt ist längst konsequentes Recyceln, durch das Optimieren nicht alles, sei es bei den Produktionsstätten, von Arbeitsabläufen und Stoffströmen oder das bei betriebseigenen Energiekreisläufen, bei Senken des Betriebsmittelbedarfs kann ein Un- Potenzialen entlang der Wertschöpfungskette, ternehmen massiv Kosten sparen, Wettbewerbs- bei der Industrie 4.0 oder auch bei klimafreund- vorteile ausbauen, Beschäftigung sichern – und lichen Technologien. Das wird ein Prozess, der dabei einen unverzichtbaren Beitrag zur ökolo- uns die nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird gischen Nachhaltigkeit leisten. Im Übrigen: In- – und muss. Denn es geht um die Arbeitsplätze dem wir für alle sichtbar den Beweis antreten, von morgen und um eine lebenswerte Welt für dass ein ökologischer Weg ökonomische Vorteile die kommenden Generationen. Deshalb möchte mit sich bringt, laden wir zum Nachahmen ein. ich den Bogen noch etwas weiter spannen: Wäh- Was heißt das für die IG Metall? rend die Arbeitsproduktivität seit 1960 um das Als Gewerkschaft stehen wir voll in der Verant- Dreieinhalbfache zugelegt hat, ist die Material- wortung, es geht ja um die Zukunft unserer produktivität nur um den Faktor Zwei gestiegen, Branchen. In Deutschland sind das allein im 18
Automobilbereich rund 800 000 Jobs. Für uns verlieren. Das Ganze wird ein evolutionärer Pro- ist wichtig, wie sich Klimaschutz und nachhal- zess sein, denke ich. Die nächsten zwanzig Jahre tiges Produzieren mit Beschäftigung und mit werden spannend und wegweisend. Es wird ja beschäftigungspolitischen Impulsen verbinden. nicht von heute auf morgen der Dieselmotor ver- Wie schaffen wir zum Beispiel in den nächsten boten. Aber es wird sicher – sei es bei uns, sei Jahren eine Balance zwischen anspruchsvollen es in China oder anderswo – politische Vorgaben Klimazielen und dem damit verbundenen Trans- geben, etwa, wenn in China ab 2030 vielleicht formationsprozess der Automobilbranche, ohne keine Verbrennungsmotoren mehr auf den Markt dass Arbeitsplätze unter die Räder kommen? dürfen. Das würden wir auch hier in Baden-Würt- Das gilt auch für den Maschinenbau. Ein weiterer temberg spüren, das hätte gewaltige Folgen. Punkt ist mir wichtig: Nachhaltiges Wirtschaften Welche wären das? Könnest Du ein Beispiel beinhaltet viele Facetten. Wir beobachten aller- nennen? dings, dass in Betrieben, in denen Erwerbsarbeit Was ich nicht will, ist, dass andere uns überholen. als ständiges Ringen um Anerkennung und den Das ist das größte Risiko, dass die deutsche Auto- Kampf um Standards erfahren wird, andere The- industrie abgehängt wird. Baden-Württemberg men zwangsläufig nach hinten rutschen. Gute gehört beim Thema „Elektromobilität“ zurzeit lei- Arbeit ist damit eine wesentliche Voraussetzung der nicht zur Weltspitze. Der Aufholprozess wur- dafür, die Beschäftigten als Experten in den er- de eingeleitet, aber ein Rückstand bleibt. Ich hal- forderlichen Umbau einzubinden. te nichts von Horrorszenarios. Wir haben allein in Was sind mit Blick auf Klimaschutz und Nachhal- Baden-Württemberg rund 250000 Beschäftigte tigkeit die Reibungspunkte? bei Herstellern und Zulieferern. Wenn von heute Es gibt Zielkonflikte, die austariert werden müs- auf morgen nur noch rein elektrische und keine sen: Die Hersteller fürchten, sie könnten tech- konventionellen Antriebe mehr hergestellt wür- nologisch überfordert werden. Wir als IG Metall den, dann wären bei Tätigkeiten am Antriebs- sorgen uns, dass nicht einhaltbare Grenzwerte strang fünf von sechs Arbeitsplätzen betroffen. oder abrupt erzwungene Wechsel der Geschäfts- Aber keine Prognose geht davon aus, dass von modelle Arbeitsplätze gefährden. Die Gefahr einem Tag auf den anderen alles komplett umge- reicht jedoch noch weiter – bis hin zu einer krempelt würde. Die mir bekannten Vorhersagen schleichenden oder galoppierenden De-Indus- lassen allerdings eine gewisse Dynamisierung trialisierung mit den damit einhergehenden der Entwicklung erkennen. Ein Anteil von bis zu Wohlstandsverlusten. Gleichzeitig – und das ist 25 Prozent an rein batteriebetriebenen Neufahr- mir ebenfalls ein großes Anliegen – dürfen wir zeugen bis zum Jahr 2025 scheint nicht ausge- die Entwicklung aber auch nicht bremsen oder schlossen. Die deutsche Automobilindustrie hat gar verhindern. Vielen Umweltorganisationen wertvolle Erfahrungen aus mehr als hundert Jah- geht der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft ren und eine breit aufgestellte Forschung. Inso- viel zu langsam. Das ist deren Rolle, zu mahnen. fern müssen wir nicht pessimistisch sein. Ich betrachte den Umbau unserer Wirtschaft als Das Thema „Elektromobilität“ ist ja mehr als nur eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. eine Antriebsfrage, oder? Was nicht passieren darf, ist, dass die damit Keine Frage. Bei der Mobilität der Zukunft geht es verbundenen Anpassungskosten auf eine Teil- nicht nur um Elektroautos, man muss die Ener- gruppe abgewälzt werden. giepolitik ganzheitlich angehen. Wenn wir – wie Hilft Protektionismus? in China – mehr konventionelle Kraftwerke bauen Da können sich die USA unter einem Präsidenten müssen, um mehr Elektrofahrzeuge zu versorgen, Trump noch so sperren: CO2-neutrale Klimatech- macht das nicht viel Sinn. Die Städte dort ersti- nologien machen vor keinen Ländergrenzen Halt. cken im Smog, gleichzeitig werden zwanzig neue Erst recht nicht angesichts des globalen Wettbe- Atomkraftwerke aus dem Boden gestampft. Elek- werbs. Wer heute schläft oder mauert, wird auf tromobilität verbessert erst dann die Klimabilanz, mittlere Sicht Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft wenn es gelingt, regenerative Energien nach vorne 19
zu bringen. Der Antrieb einer großen Zahl an Elek- sie muss stimulieren. Und sie muss vor allem im tromobilen über mehr konventionelle Kraftwer- Dialog mit den Betroffenen entwickelt und um- ke in Deutschland würde das Problem hingegen gesetzt werden. Nur so können wir es schaffen, nur vom Stuttgarter Neckartor zum nächstbesten in den nächsten 15 Jahren nachhaltiger Mobilität Kraftwerk verschieben. Heute glaubt die ganze zum Durchbruch zu verhelfen. Menschheit, dass in zwanzig Jahren alle nur noch Die IG Metall ist also auch eine Klimaschutz- mit batteriebetriebenen Fahrzeugen unterwegs Gewerkschaft? sind. Das ist gut möglich, aber sicher sagen kann Aber ja! Mit Blick auf Energiewende und neue man das von heute aus betrachtet nicht. Also Mobilitätskonzepte haben wir auf dem Gewerk- sollte man sich viele Optionen offen halten, wie schaftstag 2015 unsere Haltung noch einmal beispielsweise synthetische und CO2-neutrale bekräftigt: Es geht um das „Wie“, nicht um das Kraftstoffe, Brennstoffzellen sowie hochmoder- „Ob“ eines grundlegenden Wandels. Es führt ne Dieseltechnologie als Brücke in die Zukunft. kein Weg daran vorbei, Wirtschaft und Wachs- Was hat sich die IG Metall hier über die betrieb- tum nachhaltig und klimaverträglich auszurich- liche Politik hinaus vorgenommen? ten und umzubauen. Das muss sozialverträglich Als starke Gewerkschaft sind wir auf allen politi- geschehen. Und es muss Perspektiven für eine schen Ebenen aktiv, das geht bis nach Brüssel. innovative und technologisch führende Industrie In Baden-Württemberg zum Beispiel sind wir als eröffnen. Dabei gestalten wir mit, bringen uns IG Metall im Nachhaltigkeitsbeirat vertreten und mit eigenen Vorschlägen und Expertise ein. Das arbeiten gut mit der Landesregierung zusam- ist unsere Aufgabe. Grundsätzlich muss es ein men. Auf unsere Anregung ist das Thema „Struk- gemeinsames Anliegen aller Akteure sein, auch turwandel in der Automobilindustrie“ weit oben die Beschäftigten als Experten in eigener Sache auf die Prioritätenliste gerückt. Auch in diesem mit einzubinden, zu sensibilisieren, ihre Erfah- Zusammenhang gilt: Eine gute Wirtschafts- und rungen nutzbar zu machen. Klima und Zukunft, Umweltpolitik darf nicht strangulieren, sondern das geht uns alle an. Abbildung 5 BESCHÄFTIGTE IN DER EUROPÄISCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE 2014 Angaben in Prozent Slowakei Schweden Ungarn 3 3 3 Rumänien 6 Spanien 6 Tschechien 7 Deutschland 38 UK 7 7 Polen 7 12 Frankreich Italien Quelle: ACEA 20
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