ZERRIEBEN UND GESCHRUMPFT - ANALYSEN DIE FINANZTRANSAKTIONSSTEUER - AUFSTIEG, FALL UND PERSPEKTIVEN EINER GUTEN IDEE - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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ANALYSEN INTERNATIONALE POLITIK ZERRIEBEN UND GESCHRUMPFT DIE FINANZTRANSAKTIONSSTEUER – AUFSTIEG, FALL UND PERSPEKTIVEN EINER GUTEN IDEE RAINALD ÖTSCH UND AXEL TROOST
INHALT Einleitung 3 1 Die Historie der Finanztransaktionssteuer 4 1.1 Von den Anfängen bis zur weltweiten Finanzkrise 2008/09 4 1.2 Legitimationsschub durch die Finanzkrise 7 1.3 Der Vorschlag der EU-Kommission für die Verstärkte Zusammenarbeit 16 1.4 Der österreichische Kompromissvorschlag 18 1.5 Von der umfassenden Finanztransaktionssteuer zur «Schrumpfsteuer» 20 1.6 Zwischenfazit: Was folgt aus dem Scheitern der Verhandlungen? 25 2 Funktion, Aufkommen und Verteilungswirkungen der Steuer 31 2.1 Lenkungswirkung 31 2.2 Aufkommensschätzungen 33 2.3 Verteilungswirkungen 39 2.4 Mittelverwendung 41 3 Ausblick 44
EINLEITUNG 3 Mehr als zehn Jahre schon wartet die hen? Diese Fragen soll diese Analyse be- Öffentlichkeit auf die lange angekün- antworten. digte Finanztransaktionssteuer. Wie Zunächst wird der politische Werdegang es scheint, vergebens, denn statt ei- der Steuer nachgezeichnet – von einer ner Steuer, die Sand ins Getriebe der Fi- utopischen Forderung über den Durch- nanzmärkte streut und das Geld dort ab- bruch nach der Finanzkrise ab 2008/09 schöpft, wo es im Überfluss vorhanden bis hin zum Versanden der Bemühun- ist, winkt höchstens noch eine schale gen. Dabei wird deutlich, welche Etap- Kopie nach Muster der französischen pen der Prozess durchlaufen hat und Aktiensteuer. Doch wie konnte es da- welche Fortschritte und Rückschläge es zu kommen, dass die Finanztransakti- dabei gab. In einem zweiten Teil wird auf onssteuer trotz des immensen gesell- die Lenkungswirkung, Aufkommens- schaftlichen Zuspruchs immer noch schätzungen und die Verteilungswirkung nicht verwirklicht wurde? Was brächten der Steuer eingegangen. Zuletzt wird ein die Steuer und ihre geschrumpfte Vari- Ausblick auf die Zukunft des Projekts ge- ante? Wie kann es nach dem vorläufigen worfen und auf die Alternative einer nati- Scheitern der Verhandlungen weiterge- onalen Initiative eingegangen.
4 1 DIE HISTORIE DER FINANZTRANSAKTIONSSTEUER 1.1 Von den Anfängen bis zur welt- glauben, und Spekulant*innen, die aus weiten Finanzkrise 2008/09 Wertschwankungen Profit ziehen wol- Eine umfassende Finanztransaktions- len und sich an den Erwartungen ande- steuer wurde bisher noch in keinem Land rer Spekulant*innen ausrichten. Verein- verwirklicht. Trotzdem hat die Steuer eine zeltes Spekulantentum war für Keynes lange Historie. Die britische Stempelsteu- nicht das Problem. Es sollte aber nicht er («Stamp Duty») ist die älteste existie- das Börsengeschehen dominieren. Die rende Steuer in Großbritannien und geht Kapitalbildung, so fürchtete er, würde in ihrer Form als Aktiensteuer auf das so zum «Nebenprodukt der Aktivitäten Jahr 1694 zurück. Stempelsteuern wa- eines Spielkasinos» und das Unterneh- ren im 17. Jahrhundert vielerorts in Euro- mertum «in den Strudel von Spekulan- pa in verschiedenen Varianten eingeführt ten» geraten. Die Londoner Börse sah worden. Ihren Namen erhielten sie vom Keynes durch höhere Zugangsbarrieren Stempel, der Dokumenten aufgedrückt (u. a. höhere Transaktionskosten) im Vor- wurde, bzw. vom Anbringen einer Stem- teil gegenüber der Wall Street, wo sich pelmarke. Erst damit wurden diese Doku- die Anleger*innen in viel größerer Zahl mente rechtskräftig. Diese Stempelsteu- tummelten und die in der Krise besonders ern waren reine Einnahmeinstrumente gebeutelt wurde. «Die Einführung einer und der Fantasie waren wenig Gren- deftigen Umsatzsteuer auf alle Transakti- zen gesetzt. So gab es Stempelsteuern onen durch die Regierung könnte sich als auf Heiratsurkunden, Landübertragun- die sinnvollste aller möglichen Reformen gen, Versicherungen und anderes mehr, erweisen, um das Übergewicht des Spe- aber eben auch auf die Übertragung von kulantentums über das Unternehmertum Finanzinstrumenten. In Deutschland in den Vereinigten Staaten abzumildern.»1 sah das «Deutsche Reichsgesetz über Ein weiterer prominenter Befürworter die Reichsstempelabgaben» aus dem einer Transaktionssteuer war der US- Jahr 1881 eine Steuer auf den Erwerb Ökonom James Tobin, der sich 1972 öf- von Wertpapieren (Aktien, Renten und fentlich für eine weltweite Steuer auf Schuldverschreibungen) vor. Devisengeschäfte, das heißt Währungs- Die Idee einer Finanztransaktionssteu- geschäfte, aussprach, und für seine Ar- er als Regulierungsinstrument kam erst beiten später den Alfred-Nobel-Gedenk- später auf. Erster prominenter Befürwor- preis der schwedischen Reichsbank ter war der britische Ökonom John May- erhielt. Die Genese der Tobin-Steuer nard Keynes. Vor dem Hintergrund der fiel in die Zeit des Zusammenbruchs auf den Finanzmarktcrash von 1929 fol- des Bretton-Woods-Systems.2 Mit dem genden Großen Depression der 1930er Jahre sah Keynes sie als Anti-Spekulati- 1 Keynes, John Maynard: Allgemeine Theorie der Beschäfti- gung, des Zinses und des Geldes (Neuübersetzung von Nicola ons-Steuer. Geleitet wurde er dabei von Liebert), Berlin 2017, S. 140. 2 1944 verständigten sich in der der Unterscheidung zwischen zwei An- Stadt Bretton Woods in den USA 44 Staaten auf ein internati- onales Währungssystem mit festen Wechselkursen und dem legertypen: Investor*innen, die an den US-Dollar als Leitwährung. Der Wert des US-Dollars war wie- langfristigen Erfolg der zugrunde lie- derum an eine bestimmte Menge Gold gebunden. Dieses Sys- tem geriet aus verschiedenen Gründen in die Krise und wurde genden unternehmerischen Tätigkeit im Jahr 1973 offiziell für beendet erklärt.
Wechsel von staatlich fixierten Wech- Ein weiterer prominenter Befürworter ei- 5 selkursen zu flexiblen Kursen ging die ner Finanztransaktionssteuer ist der US- Kontrolle über die Währungsrelationen Ökonom Joseph Stiglitz. Er hat für seine vom Staat auf den Markt über. Für To- Arbeiten über Informationsasymmetri- bin war die Steuer ein reines Regulie- en den Wirtschaftsnobelpreis erhalten rungsinstrument: Angesichts immer und wurde später Chefökonom der Welt- stärker schwankender Währungskurse bank und scharfer Kritiker der neolibe- und Währungskrisen wollte er mit der ralen Globalisierung. Er zog den Nutzen Steuer «Sand ins Getriebe» übereffizi- vieler Akteur*innen für die Preisbindung enter, irrationaler Finanzvehikel streuen, in Zweifel und konnte aufgrund seiner die Wechselkurse stärker an langfristige «Taxonomie der Händler» erläutern, wie realwirtschaftliche Entwicklungen kop- eine Finanztransaktionssteuer störende peln und durch das Zurückdrängen der Transaktionen beseitigen könnte.4 preistreibenden Spekulant*innen den Anders als Keynes, Tobin und Stiglitz wa- Zentralbanken neue Spielräume für ihre ren jedoch die meisten Ökonom*innen Geldpolitik schaffen. Durch zahlreiche explizit oder implizit der Ansicht, dass Währungskrisen, die durch schnelle Zu- Börsen- und Wechselkurse auf rationa- und Abflüsse von Kapital verstärkt wur- len Entscheidungen informierter Händ den, fand sich Tobin in seinem Vorschlag ler*innen beruhen und sich anhand ihrer bestätigt. Damit möglichst alle Jurisdik- Kaufs- und Verkaufsgebote ein Gleich- tionen die Steuer erheben, wollte Tobin gewichtspreis bildet, der im Endeffekt die Mitgliedschaft beim Internationalen durch maßgebliche ökonomische Fak- Währungsfonds (IWF) daran knüpfen.3 toren wie Angebot und Nachfrage (Fun- Realpolitisch besaßen diese Vorschläge damentaldaten) gerechtfertigt ist und nie eine Chance. für den soziale und psychologische Fak- Tobin hatte auch vorgeschlagen, die Ein- toren keine Rolle spielen. Je freier die nahmen aus der Steuer für internationa- Märkte seien, desto besser könne sich le Zwecke und Entwicklungshilfe zu ver- dieses Gleichgewicht einstellen. Die Fi- wenden. Als weltweite Steuer besaß sie nanztransaktionssteuer würde daher ver- ein enormes Einnahmepotenzial, zumal hindern, dass Kapital optimal eingesetzt die Umsätze auf den Devisenmärkten wird. Die mit dieser Denkweise und dem mit der Liberalisierung der Finanzmärk- Argument des Standortwettbewerbs te immer mehr gewachsen waren. Damit weltweit vorangetriebene Deregulierung hätten sich auf einen Schlag viele der im der Finanzmärkte führte dazu, dass zahl- Umfeld der Vereinten Nationen diskutier- reiche bereits existierende Transaktions- ten Entwicklungsziele finanzieren lassen. steuern aufgehoben wurden, so etwa in Kein Wunder, dass sich Entwicklungsor- Spanien, Deutschland, den Niederlan- ganisationen schnell für die Steuer be- den und in Dänemark. Großbritannien geisterten. Ihr Fokus auf die Einnahmen und die Schweiz behielten jedoch ihre führte aber wiederum dazu, dass sich To- Steuern bei. In unterschiedlichsten Fas- bin zu Unrecht vereinnahmt sah. Für ihn war dies ein Nebeneffekt. Trotzdem hielt 3 Tobin, James: A Currency Transaction Tax, Why and How, in: er an der Steuer als Regulierungsinstru- Open Economics Review 1/1996, S. 493–499. 4 Stiglitz, Jo- seph: Using Tax Policy to Curb Speculative Short-Term Trading, ment zeitlebens fest. in: Journal of Financial Services Research 3/1989, S. 101–115.
6 sungen sind Finanztransaktionssteuern Naturschutz Klaus Töpfer (CDU) in einer heute immer noch weit verbreitet. Laut Rede vor den Vereinten Nationen posi- Erhebungen der Wirtschaftsprüfungs- tiv auf die Tobin-Steuer bezog, war die und Beratungsgesellschaft Pricewater- schwarz-gelbe Regierung unter Hel- houseCoopers (PwC) werden weltweit mut Kohl klar dagegen: «Die Bundesre- aktuell in etwa 50 Staaten bestimmte Fi- gierung ist […] in Übereinstimmung mit nanztransaktionen besteuert.5 den internationalen Finanzinstitutionen Das vermehrte Auftreten von Finanzkri- der Auffassung, daß eine derartige Be- sen, aber auch der ewige Geldmangel steuerung kein taugliches Mittel zur Be- in der Entwicklungspolitik sorgten da- kämpfung übermäßiger Währungsspe- für, dass die Forderung nach einer Tobin- kulationen darstellt. Zum einen wäre die Steuer nicht totzukriegen war. Sie ging Identifizierung ‹spekulativer› Kapitalbe- vielmehr in die Programmatiken von zahl- wegungen kaum oder nur mit größtem reichen Nichtregierungsorganisationen, Aufwand möglich. Zum anderen müßte Gewerkschaften, Kirchen, progressiven eine derartige Besteuerung weltweit in Parteien und Ökonom*innen ein. Unter jedem einzelnen Land umgesetzt wer- dem Titel «Entwaffnet die Märkte» veröf- den, um Umgehungen durch Verlage- fentlichte der Chefredakteur der Zeitung rung von Kapitaltransaktionen in Länder Le Monde Diplomatique, Ignacio Ramo- ohne entsprechende Besteuerung zu net, im Dezember 1997 ein Manifest, verhindern.»8 das zur Gründung einer «Vereinigung zur In der SPD wiederum war das Projekt Besteuerung von Finanztransaktionen umstritten – die Parteilinke war prinzipi- im Interesse der Bürger*innen» aufrief.6 ell dafür, die Parteirechte dagegen. Ent- Dies war die Geburtsstunde der Bewe- sprechend konnte sich auch nach dem gung Attac, deren Name sich im Franzö- Wechsel von 1998 die rot-grüne Bun- sischen aus den Anfangsbuchstaben der desregierung lediglich dazu durchrin- besagten Vereinigung zusammensetzt (Association pour une taxe Tobin d‘aide 5 Funke, Manuel/Meyer, Josefin/Trebesch, Christoph: Der deutsch-französische Vorschlag zu einer Finanztransaktions- aux citoyens). Ramonet sah die Steu- steuer. Internationale Einordnung und Politikempfehlungen, In- stitut für Weltwirtschaft, Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik, er vor allem als Abschreckungsinstru- Nr. 24, Kiel 2020. 6 Ramonet, Ignacio: Désarmer les marchés, ment. Gleichzeitig wären die Einnahmen in: Le Monde Diplomatique, Dezember 1997, S. 1, unter: www. monde-diplomatique.fr/1997/12/RAMONET/5102. 7 Antrag bei einem Steuersatz von 0,1 Prozent mit der Abgeordneten Ludger Volmer, Dr. Uschi Eid, Antje Herme- 166 Milliarden US-Dollar jährlich doppelt nau, Kristin Heyne, Dr. Manuel Kiper, Dr. Angelika Köster-Loß- ack, Oswald Metzger, Simone Probst, Halo Saibold, Christine so hoch ausgefallen, wie für die Abschaf- Scheel, Wolfgang Schmitt (Langenfeld), Ursula Schönberger, Rainder Steenbiock, Margareta Wolf-Mayer, Werner Schulz fung der extremen Armut bis zur Jahrtau- (Berlin) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Neue Stra- sendwende benötigt. tegie der internationalen Finanzinstitutionen zur Entschul- dung und zur Finanzierung von umwelt- und entwicklungs- Im Deutschen Bundestag schlug die To- politischen Maßnahmen, Bundestags-Drucksache 13/1018 bin-Steuer den Bundestags-Drucksa- vom 30.3.1995. Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Rolf Kutzmutz, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Win- chen zufolge erstmals 1995 auf und fand fried Wolf, Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Willibald Jacob, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Einführung einer Steuer in ihrer Doppelfunktion als Anti-Spekula- auf spekulative Devisenumsätze (Tobin-Steuer), Bundestags- tions- und Entwicklungsfinanzierungsin- Drucksache 13/9337 vom 28.11.1997. 8 Antwort der Bundes- regierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Manfred strument Rückhalt bei den Grünen und Müller (Berlin), Heinrich Graf von Einsiedel, Andrea Gysi, wei- bei der PDS.7 Obwohl sich auch der da- terer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Finanzkrise der UNO und Haltung der Bundesregierung, Bundestags-Druck- malige Bundesminister für Umwelt und sache 13/5788 vom 14.10.1996.
gen, die Einführung einer Tobin-Steuer Krankheit zu bekämpfen. Aber all diese 7 prüfen zu wollen. Faktisch verfolgte auch konkreten Vorstöße waren an die Bedin- die Schröder-Regierung den Plan, mit- gung geknüpft, die Einführung müsse in hilfe diverser Finanzmarktfördergesetze einer Staatengemeinschaft erfolgen, was den großen Finanzplätzen in London und utopisch war. Erst mit der globalen Fi- New York nachzueifern. Sand im Getrie- nanzkrise 2008/09 drehte sich der Wind. be der Finanzmärkte war dafür genau das Statt das Kapital gemäß der Doktrin effizi- Gegenteil. Insofern blieb auch ein Auf- enter Finanzmärkte genau dorthin zu len- tragsgutachten des SPD-geführten Bun- ken, wo es seine optimale Verwendung desentwicklungsministeriums folgen- findet, hatten die Märkte das Finanzsys- los, obwohl es die Durchführbarkeit der tem an den Rand des Abgrunds speku- Tobin-Steuer belegte und zeigte, dass die liert. Finanzinstitute, die ihre Führungs- Steuer sogar wirksam wäre, wenn sie nur kräfte über Jahre mit Geld überschüttet in einer Zeitzone (das heißt in der gesam- hatten, mussten mit öffentlichen Geldern ten EU) eingeführt würde, so das Resü- gerettet werden. Die Anti-Spekulations- mee des Autors Paul Bernd Spahn.9 Um Steuer war plötzlich ziemlich angesagt. Währungsschwankungen besser kon- trollieren zu können, schlug Spahn vor, 1.2 Legitimationsschub durch dass Staaten mit schwächeren Währun- die Finanzkrise gen zusätzlich zu einer fixen Tobin-Steuer Im Herbst 2008 erreichte die Finanzkri- noch eine Zusatzsteuer erheben, deren se in Deutschland ihren Höhepunkt. Der Steuersatz bei starken Kursschwankun- Bundestag beschloss ein riesiges Ban- gen eskaliert («Tobin-Spahn-Steuer»). kenrettungsprogramm, auf den wirt- Das Gutachten schätzte das Aufkom- schaftlichen Absturz reagierte er mit men aus der Devisenbesteuerung für die milliardenschweren Konjunkturprogram- EU plus Schweiz auf insgesamt 17 bis men. Der Staatshaushalt drehte tief ins 20 Milliarden Euro. Spahn schlussfolger- Minus. Während die Finanzkrise zur Kri- te: «Die wirklichen Probleme liegen nicht se der Europäischen Währungsunion auf technischem Gebiet. Sie liegen auf mutierte, schnürte eine Regierung nach dem Gebiet des politischen Willens, der der anderen riesige Spar- und Kürzungs- internationalen Kooperation zwischen pakete. Staaten und der legalen Durchsetzung.» Daher war es wenig überraschend, dass Mehr Mut als die rot-grüne Koalition be- die Finanztransaktionssteuer ein wich- wiesen Parlamente und Regierungen in tiges Instrument in einem Strauß von anderen Staaten. 2001 verabschiedete Maßnahmen zur Finanzmarktregulie- die französische Nationalversammlung rung wurde. Dabei stand jedoch nicht die ein Gesetz zur nationalen Ermöglichung Regulierungswirkung im Vordergrund, einer Tobin-Steuer – vorbehaltlich der sondern mehr und mehr die Einnahme- Einführung in allen anderen EU-Staa- wirkung. Beim G-20-Gipfel in Pittsburgh ten. Das belgische Parlament traf im Ju- im September 2009 beauftragten die li 2004 einen ähnlichen Beschluss. Ende 9 Spahn, Paul Bernd: Zur Durchführbarkeit einer Devisentrans- 2004 schlug der französische Präsident aktionssteuer (On the Feasibility of a Tax on Foreign Exchange Jacques Chirac vor, mit dem Aufkom- Transactions). Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bonn men der Tobin-Steuer weltweit die AIDS- 2020.
8 Staats- und Regierungschefs den IWF ne Bankenabgabe («Financial Crisis Res- mit einer Studie, wie der Finanzsektor ei- ponsibility Fee»), die später jedoch vom nen «fairen und substanziellen Beitrag» US-Kongress verhindert wurde.12 Schon zur Beseitigung der Krisenlasten leis- bald rückte auch Gordon Brown wieder ten könne. Die Finanztransaktionssteuer von seiner Unterstützung für eine Finanz- war ein mögliches Finanzierungsinstru- transaktionssteuer ab und trieb ebenfalls ment. Kurz darauf, im Oktober 2009, be- eine nationale Bankenabgabe voran. auftragte auch der Europäische Rat die Vonseiten der deutschen Regierung wa- EU-Kommission mit einer Analyse, wie ren die Signale eher verhalten. Im Sep- neue Finanzquellen zu erschließen sei- tember 2009 war der Bundestag neu ge- en, wobei neben den Krisenlasten auch wählt worden. Das Wahlprogramm der Finanzbedarfe beim Klimaschutz und bei Unionsparteien hatte eine Steuer auf Fi- der Entwicklungsförderung aufgeführt nanztransaktionen mit keinem Wort er- wurden.10 wähnt. Auch im Koalitionsvertrag von Die Finanztransaktionssteuer wurde in et- CDU, CSU und FDP tauchte die Forde- lichen Staaten Teil der Regierungsagen- rung nicht auf. Bestenfalls war an einer da. Frankreichs Präsident Sarkozy, der Stelle verschämt von «neuen globalen gemeinsam mit seiner damaligen Finanz- Steuerungsinstrumenten» die Rede. ministerin Christine Lagarde Anfang 2008 Die öffentliche Empörung über die teure noch die französische Aktiensteuer abge- Bankenrettung und die Oppositionspar- schafft hatte, erklärte anlässlich des Kli- teien setzten die Regierung jedoch un- magipfels in Kopenhagen, mit einer inter- ter Druck. Das Wahlprogramm der SPD, nationalen Finanztransaktionssteuer die die viele Jahre lang den Finanzminister internationale Klimaschutzpolitik finan- gestellt hatte und dabei wenig Meriten zieren zu wollen. Kurz zuvor hatte bereits mit der Finanztransaktionssteuer erwor- der britische Premierminister Gordon ben hatte, hatte eine Börsenumsatzsteu- Brown als Gastgeber des G-20-Gipfels er nach Vorbild der britischen Stempel- vor den versammelten Finanzministern steuer vorgesehen. Gleichzeitig sollte die eine globale Finanztransaktionssteu- Steuer europaweit und um weitere Fi- er ins Gespräch gebracht (als eines von nanzprodukte ergänzt erhoben werden. vier möglichen Finanzierungsinstrumen- Im Wahlprogramm der Grünen war eine ten). Die Hälfte der Einnahmen sollte laut umfassende Finanztransaktionssteuer Brown für den nationalen Haushalt, die unter dem Namen «Finanzumsatzsteuer» andere Hälfte für Entwicklung und Kli- 10 Hemmelgarn, Thomas: Steuern und Abgaben im Finanz- maschutz verwendet werden.11 Diese In- sektor. Abgabenrechtliche Regulierung und neue Finanzmarkt- itiative war insofern hochinteressant, da steuern in der Europäischen Union, IFSt-Schrift Nr. 468, Institut Finanzen und Steuern, Berlin 2011. 11 Elliott, Larry: Gordon Großbritannien mit London das weltweit Brown is right: rich western banks should pay for the develo- größte Finanzzentrum beheimatete. Al- ping world to go green, in: The Guardian, 9.11.2009, unter: www.theguardian.com/business/2009/nov/09/bank-tax-pays- lerdings war schnell klar, dass er damit for-development. 12 Später wurde über Wikileaks enthüllt, dass Gordon Brown die US-Regierung wiederholt bedrängt auf Ablehnung stieß. Neben US-Finanz- hatte, sich der Finanztransaktionssteuer-Initiative anzuschlie- minister Timothy Geithner lehnten auch ßen (siehe www.theguardian.com/world/us-embassy-cables- documents/238904). Präsident Barack Obama fand die Idee die Regierungen von Kanada und Russ- einer Finanztransaktionssteuer ursprünglich gut, soll aber von seinem Wirtschaftsberater Larry Summers davon abgebracht land die Steuer ab. So favorisierte die worden sein (siehe https://ips-dc.org/obama_supported_finan- US-Regierung unter Barack Obama ei- cial_transactions_taxes_before_summers_nixed_it/).
enthalten. Bei den LINKEN war eine nicht Maßgeblichen Anteil an diesem Sin- 9 näher spezifizierte «Börsenumsatzsteu- neswandel hatten die Aktivitäten des er» vorgesehen, wobei eigentlich eine Kampagnenbündnisses «Steuer gegen umfassende Finanztransaktionssteu- Armut». Im Oktober 2009 gegründet, er auf sämtliche Produktkategorien und entwickelte sich aus einem Offenen Brief den außerbörslichen Handel angedacht und einer Petition an den Deutschen war.13 Große Aufmerksamkeit erhielt zu Bundestag eine Vielzahl von Kampag- dieser Zeit eine Studie des österreichi- nentätigkeiten.16 Von 32 Gründungsor- schen Ökonomen Stephan Schulmeis- ganisationen wuchs das Bündnis im Lauf ter, die eine ausführliche Rechtfertigung der Jahre auf über 100 zivilgesellschaft- für die Einführung einer solchen Steu- liche, kirchliche und gewerkschaftliche er lieferte und auch das Ertragspotenzi- Organisationen an. Dabei ging es der al abschätzte. Eine Steuer in Höhe von Kampagne neben dem Zurückdrängen 0,05 Prozent hätte demnach in Deutsch- von Finanzspekulationen auch um die land Einnahmen in Höhe von etwa einem Finanzierung internationaler und natio- Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) naler Armutsbekämpfung und des glo- gebracht.14 balen Umwelt- und Klimaschutzes. Über Während die FDP die Finanztransakti- die kirchlichen Netzwerke ihres Initiators, onssteuer weiter stur ablehnte, begann Jesuitenpater Jörg Alt, hatte die Kampa- der Widerstand der Unionsparteien un- gne einen viel besseren Zugang zu den ter dem öffentlichen Druck zu bröckeln. Unionsparteien, als es für Organisatio- Schon im Wahlkampfendspurt hatte nen wie Attac, Oxfam oder die Gewerk- Angela Merkel eine Finanztransaktions- schaften denkbar gewesen wäre. Gera- steuer nicht mehr ausgeschlossen, al- de in den Anfangsjahren der Kampagne lerdings, so ihre Einschränkung, müsse gelang es dem Bündnis mit medial insze- diese global erhoben werden. Doch auch nierten Aktionen, Auftritten bei Bundes- als international längst intensiv über die tagsanhörungen, der Nutzung sozialer Finanztransaktionssteuer diskutiert wur- Netzwerke, einem internationalen Aufruf de, konnten die Fachpolitiker*innen der von Ökonom*innen und vielem mehr ei- Union einer Finanztransaktionssteuer ne sehr breite Öffentlichkeit zu erreichen. wenig abgewinnen. Das beweist etwa Für einen Filmspot stellten sich Heike das Redeprotokoll einer aktuellen Stun- Makatsch und Jan Josef Liefers zur Ver- de im Bundestag vom 17. Dezember fügung. So schaffte es die Finanztrans- 2009. 15 Die hohen Zustimmungswer- aktionssteuer, von einem einstmals eher te brachten die Position schließlich ins Spezialist*innen vorbehaltenen Thema Rutschen. Horst Seehofer, damals so- zu einem Anliegen mit hoher Populari- wohl CSU-Vorsitzender als auch baye- tät zu werden. International gab es viele rischer Ministerpräsident, beauftragte seine Beamt*innen zum Jahreswech- 13 Siehe hierzu Troost, Axel/Reiners, Suleika: Die Finanztrans- aktionssteuer. Technisch machbar und ökonomisch überfällig, sel 2009/10, die Einführung einer Fi- Positionspapier, 2008, unter: www.axel-troost.de/serveDocu- nanztransaktionssteuer zu prüfen. Mit- ment.php?id=763&file=4/4/766.pdf. 14 Schulmeister, Stephan/ Schratzenstaller, Margit/Picek, Oliver: A General Financial Tran- te Januar 2010 sprach sich dann der saction Tax. Motives, Revenues, Feasibility and Effects, WIFO, CDU-Bundesvorstand für eine globale Fi- Wien 2008. 15 Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 17/12 der Sitzung vom 17.12.2009, unter: https://dserver.bundestag. nanztransaktionssteuer aus. de/btp/17/17012.pdf. 16 Siehe www.steuer-gegen-armut.org.
10 ähnlich ausgerichtete Kampagnen. Die in bzw. eine «Finanzaktivitätssteuer», eine Großbritannien gestartete «Robin Hood Steuer auf Gewinne und Lohnzahlungen Tax Campaign»17 fand ein besonders pas- von Finanzinstituten. Ins gleiche Horn sendes Motto. stieß eine ähnlich angelegte Ausarbei- Auch wenn zu Beginn des Jahres 2010 tung der EU-Kommission. eine große Mehrheit des Bundestags die Diese Auseinandersetzung überlager- Finanztransaktionssteuer unterstützte, te eine von den Oppositionsparteien für war damit noch nicht viel erreicht. Denn Mitte Mai 2010 angesetzte öffentliche eine globale Steuer, wie sie die CDU for- Anhörung im Finanzausschuss. Diese derte, zeichnete sich keineswegs ab. Da Anhörung ging mehrheitlich zuguns- die USA und Großbritannien längst auf ei- ten der Finanztransaktionssteuer aus. ne Bankenabgabe zusteuerten und sich Dies dürfte der Tropfen gewesen sein, auch der EU-Rat der Wirtschafts- und Fi- der nach einer monatelangen Debat- nanzminister (Ecofin) immer mehr für ei- te das Fass zum Überlaufen brachte. Ei- ne Bankenabgabe nach schwedischem nen Tag danach beschloss der Koaliti- Vorbild erwärmte, sah es so aus, als kä- onsausschuss von CDU, CSU und FDP, me die Finanztransaktionssteuer ins Hin- die Bundesregierung solle «sich auf eu- tertreffen. Umso mehr, als dann auch das ropäischer und globaler Ebene für eine Bundeskabinett Ende März 2010 die Eck- wirksame Finanzmarktsteuer – das heißt punkte einer Bankenabgabe beschloss. Finanztransaktionssteuer oder Finanzak- Die Abgabe war allerdings nicht für den tivitätssteuer – einsetzen». Die Nennung Bundeshaushalt, sondern für einen Ab- der Finanzaktivitätssteuer diente augen- wicklungsfonds für zukünftige Banken- scheinlich allein der Gesichtswahrung für pleiten vorgesehen. Insofern war sie nicht die FDP, die mit der Finanztransaktions- geeignet, den Finanzsektor, wie vorge- steuer über Kreuz lag. Tatsächlich wurde sehen, an den Kosten der Finanzkrise zu diese Variante vom Finanzministerium beteiligen. Ohne einen solchen Krisenbei- nie ernsthaft verfolgt. Presseberichten trag waren die für den Herbst geplanten zufolge soll sich Angela Merkel auf der Einsparungen im Bundeshaushalt jedoch Fraktionssitzung der Union «ohne Wenn kaum zu vermitteln. Hinzu kam, dass ab und Aber» zur Finanztransaktionssteuer dem Frühjahr 2010 auch noch milliarden- bekannt haben. Diese sei zu einem «po- schwere Summen für den Eurorettungs- litischen Symbolthema» geworden, «die schirm aufgebracht werden mussten. Bürger wollten diese Steuer». Beim kom- Ende April 2010 legte der Internationale menden G-20-Gipfel wollte sie «im Not- Währungsfonds seinen Entwurf für das fall Rabatz machen».18 Gutachten zur Besteuerung des Finanz- Trotz dieser Drohung fiel die Finanz- sektors vor. Er belegte zwar die Machbar- transaktionssteuer im Juni 2010 beim keit einer Finanztransaktionssteuer und G -20-Gipfel in Toronto erwartungsge- fand einige Argumente dafür, gleichwohl mäß durch. Sie wurde noch nicht einmal empfahl er anstelle einer Finanztransakti- in der Gipfelerklärung erwähnt. Die glo- onssteuer zwei Varianten von Finanzab- gaben: eine «Finanzstabilitätsabgabe», 17 Siehe www.robinhoodtax.org.uk. 18 Schuler, Katharina: die von Finanzinstituten zur Finanzierung Transaktionssteuer. Merkel droht mit Rabatz, in: Zeit Online, 18.5.2010, unter: www.zeit.de/politik/deutschland/2010-05/ von Abwicklungsfonds gezahlt würde, union-finanztransaktionssteuer.
bale Finanztransaktionssteuer war damit Der EU-weiten Finanztransaktionssteu- 11 faktisch beerdigt. er drohte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Schon vor dem Gipfel war Bundesfinanz- ähnliches Schicksal wie der weltweiten minister Wolfgang Schäuble von einer Steuer. Denn Steuerfragen werden in der globalen Einführung abgerückt: Wenn EU nur einstimmig entschieden. Die bri- die G20 sich verweigerten, müsse die tische Regierung, inzwischen durch den Steuer EU-weit geprüft werden und not- konservativen Politiker David Cameron falls auch nur in der Eurozone eingeführt geführt, hielt generell nichts von EU-wei- werden, so Schäuble am 21. Mai 2010 im ter Steuerpolitik und wollte auch keine Bundestag. Dies machte aus der Finanz- Finanztransaktionssteuer, die sie, wenn transaktionssteuer ein reales Projekt. Der überhaupt, nur als globale Steuer akzep- Protest der FDP ließ nicht lange auf sich tiert hätte. Aber auch die schwedische warten, war aber bereits einkalkuliert. Die und die tschechische Regierung waren CSU ging sogar noch deutlich weiter als klar dagegen. Die notwendige Einstim- Schäuble: Die Finanztransaktionssteu- migkeit im Europäischen Rat war also auf er sollte notfalls rein national eingeführt absehbare Zeit nicht vorhanden. werden, so CSU-Generalsekretär Alex- Die Europäische Kommission saß nach ander Dobrindt.19 Dies schloss Schäuble dem G-20-Gipfel von Toronto zwischen aber aus. Die niedrigste Ebene sei die Eu- den Stühlen. Ihr Mitarbeiterstab war zu rozone. ähnlichen Empfehlungen gekommen Am 1. September 2010 verabschiede- wie der IWF: Die Finanztransaktions- te das Bundeskabinett ein über mehrere steuer sei machbar, aber eine Finanz- Jahre angelegtes Sparpaket im Umfang aktivitätssteuer sei vorzuziehen. Als von 60 Milliarden Euro. 60 Prozent der wichtigsten Grund dafür führte die EU- Gesamtsumme sollten durch Kürzungen Kommission die Verlagerungen an, die vor allem im Sozialbereich erreicht wer- eine europäische Finanztransaktions- den, der Rest über zusätzliche Einnah- steuer hervorrufen würde.20 Für Stephan men. Ab 2012 sollte die Finanzbranche Schulmeister, den Vordenker der Finanz- mit jährlich zwei Milliarden Euro aus ei- transaktionssteuer, drückten sich in den ner Finanztransaktionssteuer beteiligt Analysen weniger empirische Fakten als werden – ein geringer Betrag, der aller- eine Weltanschauung aus, wie Finanz- dings längst nicht gesichert war. Neben märkte im Modell der Gleichgewichts- der Finanztransaktionssteuer sah das theorie funktionieren sollen.21 Anders als Haushaltspaket auch Einnahmen aus die Finanztransaktionssteuer würde eine einer Brennelementesteuer vor. Diese an die Bilanzsumme geknüpfte Abgabe Steuer auf den Betrieb von Kernkraftwer- oder Steuer nicht das (häufige) Handeln ken war jedoch so schlampig konstruiert, von Finanzprodukten bestrafen, sondern dass sie Jahre später vom Bundesverfas- deren Halten zum Bilanzstichtag. Damit sungsgericht gekippt und an die Kraft- 19 Financial Times Deutschland, 27.5.2010. 20 European werksbetreiber zurückgezahlt werden Commission: Questions and answers: Financial Sector Taxa- musste. Nicht nur die Oppositionspartei- tion, MEMO/10/477, 7.10.2010, unter: https://ec.europa.eu/ commission/presscorner/detail/en/MEMO_10_477. 21 Schul- en bezeichneten das Sparpaket der Bun- meister, Stephan: Bank levy versus transactions tax: A critical desregierung als sozial unausgewogen. analysis of the IMF and EC reports on financial sector taxati- on, WIFO, Wien 2010, unter: www.nachdenkseiten.de/upload/ Kritik kam auch aus den eigenen Reihen. pdf/100423_FTT_Stephan_Schulmeister.pdf.
12 blieben etliche Transaktionen, die sich in werden kann.23 Der optimale Ansatz sei der Finanzkrise als schädlich erwiesen zwar, die Finanztransaktionssteuer zen- hatten, unbesteuert. Auch der gesam- tral am Ort der Zahlungsabwicklung an- te kurzfristige algorithmische Handel zusetzen (Territorialprinzip). Der politisch (Hochfrequenzhandel oder volkstümlich leichter zu realisierende Ansatz, der kei- «Sekundenhandel») bliebe außen vor. Da ne geschlossene internationale Einfüh- diese Weltanschauung der effizienten rung voraussetze, sei aber die Ausgestal- Märkte über lange Zeit die Finanzwissen- tung nach dem Personalprinzip: Dabei schaft dominiert habe, so Schulmeister, sei nicht der Ort der Transaktion, sondern sei es auch kein Wunder, dass IWF und die Nationalität der Transaktionsparteien EU-Kommission unabhängig voneinan- Anknüpfungspunkt für die Steuer: Alle der zu ähnlichen Schlussfolgerungen ge- Personen aus dem besteuernden Staat, kommen seien. die an beliebigen Handelsplätzen auf der Um der Popularität der Steuer und dem Welt Transaktionen tätigten, würden auf- Drängen Frankreichs, Deutschlands und grund ihrer Herkunft besteuert. Dieses Österreichs Rechnung zu tragen, tak- Prinzip wurde später unter den Bezeich- tierte die EU-Kommission mit einer von nungen «Ansässigkeitsprinzip», «Her- ihr so genannten Doppelstrategie: Sie kunftslandprinzip», «Sitzlandprinzip» sprach sich zwar für eine globale Finanz- oder «Residenzprinzip» zu einem we- transaktionssteuer aus, empfahl aber für sentlichen Instrumentarium gegen Ver- die europäische Ebene eine Finanzaktivi- meidungsstrategien. tätssteuer. Faktisch war dies eine Nebel- Die EU-Kommission startete im Febru- kerze, denn eine globale Einführung be- ar 2011 eine öffentliche Konsultation zur deutete nach dem Scheitern von Toronto Beteiligung des Finanzsektors an den Kri- für die Finanztransaktionssteuer ein Be- senkosten. Anders als sonst üblich be- gräbnis dritter Klasse. teiligten sich zahlreiche Akteur*innen Im Ecofin-Rat zog sich der Streit um die aus der Zivilgesellschaft daran und un- Finanzmarktsteuer über längere Zeit hin. terstützten die Finanztransaktions- Im Oktober 2010 machte die österrei- steuer. Die deutsche und französische chische Regierung mit einem Positions- Regierung bedrängten ebenfalls die EU- papier zu einer breit angelegten Finanz- Kommission. Im Rahmen einer von der transaktionssteuer einen neuen Anlauf.22 Berichterstatterin Anni Podimata vorbe- Die Beratungen brachten aber wieder reiteten Entschließung («Podimata-Re- keine Einigkeit und der Ecofin beschloss, port») forderte schließlich auch das Eu- erst einmal diverse Studien erstellen zu ropäische Parlament die EU-Kommission lassen. Die Lösung des Problems wurde dazu auf, eine europäische Finanztrans wieder vertagt. aktionssteuer einzuführen und dazu rasch Immerhin brachte der Aufschub neue Einsichten. Eine wesentliche Innovation 22 Österreichisches Positionspapier zur Einführung einer all- gemeinen und globalen Finanztransaktionssteuer, unter: www. kam wieder von Stephan Schulmeister. steuer-gegen-armut.org/fileadmin/Dateien/Kampagnen-Seite/ In einer neuen Studie führte dieser aus, Unterstuetzung_Ausland/Einzelstaaten/2010/A-101001_oes- terreichisches_positionspapier.pdf. 23 Schulmeister, Stephan: wie eine Finanztransaktionssteuer auch Short-term Asset Trading, long-term Price Swings, and the Sta- von einzelnen Ländern, die eine Vorrei- bilizing Potential of a Transactions Tax, WIFO, Wien 2010, unter: http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_ terrolle einnehmen wollen, eingeführt schulmeister/files/FinSpec_IMF_10_10.pdf.
eine Durchführungsstudie sowie konkre- Ende September 2011 war es dann end- 13 te Legislativvorschläge vorzulegen.24 EU- lich soweit. Der von der EU-Kommission Steuerkommissar Algirdas Semeta, der vorgelegte Entwurf (siehe Kasten) über- diesen Beschluss als unverantwortlich traf die Erwartungen bei Weitem. Zwar zurückwies, geriet zunehmend in die waren Devisentransaktionen wegen der Defensive. Innerhalb von kurzer Zeit ap- in den EU-Verträgen fixierten Kapitalver- pellierten 380.000 Unters tützer*inn en kehrsfreiheit von der Besteuerung aus- einer Online-Petition an Semeta, den Be- genommen, aber mit der Einbeziehung schluss des Europaparlaments ernst zu sämtlicher Wertpapierklassen (Anleihen, nehmen. Der von der EU-Kommission Aktien, Derivate) und des untertägigen betriebenen Umfrageplattform Euro-Ba- Handels wären bei Umsetzung beträcht- rometer zufolge unterstützten EU-weit liche regulatorische Effekte und Ein- mehr als 60 Prozent der Befragten eine Fi- nahmen verbunden. In einer separaten nanztransaktionssteuer. Richtlinie sollte die Mittelverwendung für Dies zeigte Wirkung. Anfang Juni 2011 den EU-Haushalt geregelt werden. Dies kündigte EU-Kommissionspräsident Jo- wurde aber von den Mitgliedstaaten ab- sé Manuel Barroso an: «Ich bin für ei- gelehnt. Zudem hatten einzelne Regie- ne Finanzmarkttransaktionssteuer und rungen angekündigt, den Vorschlag für werde dazu in sehr naher Zukunft einige eine Finanztransaktionssteuer-Richtlinie Ideen einbringen.» Kurz darauf kündigte mit ihrem Veto zu blockieren. Semeta für den Herbst einen Richtlinie- 24 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. März nentwurf an: Die Steuer sollte bis 2018 2011 zur innovativen Finanzierung auf globaler und europäi- als EU-Steuer eingeführt und direkt an scher Ebene (2010/2105[INI]), unter: www.europarl.europa.eu/ sides/getDoc.do?type=TA&reference=P7-TA-2011-0080&lang das EU-Budget abgeführt werden. uage=DE&ring=A7-2011-0036. RICHTLINIENENTWÜRFE DER EU-KOMMISSION ZUR EINFÜHRUNG EINER FINANZTRANSAKTIONSSTEUER EU-weite Richtlinie sätze beschließen können. Der beson- Der Vorschlag der EU-Kommission vom dere Clou des Kommissionsvorschlags 28. September 2011 sah die Besteu- war, dass nicht der Ort der Transakti- erung des Handels von Finanzinstitu- on, der leicht verlagert werden kann, ten mit Aktien, Anleihen und Deriva- entscheidend sein sollte, sondern das ten vor. Aufgrund des EU-Primärrechts jeweilige Sitzland der Transaktionspar- wurden Devisen bei der Besteuerung teien (Ansässigkeitsprinzip). Damit hät- ausgeklammert. Käufer*innen wie te jeder Handel, an dem ein Finanzins- Verkäufer*innen würden jeweils mit ei- titut aus der EU beteiligt ist, besteuert nem Mindestsatz von 0,1 Prozent beim werden müssen, unbeschadet davon, Handel mit Aktien und Anleihen besteu- wo genau gehandelt wurde. Das hätte ert, Derivate mit einem Mindestsatz von eine hohe Hürde geschaffen: Wer die 0,01 Prozent des Nominalwerts. Die Steuer hätte vermeiden wollen, hätte Mitgliedstaaten sollten höhere Steuer- seinen Firmensitz in Länder außerhalb
14 der EU verlagern müssen, was für die al- Duty», die weltweit den Handel mit Ak- lermeisten Finanzinstitute mit großem tien britischer Unternehmen besteuert, Aufwand und anderen Nachteilen ver- soll auch der Handel mit Wertpapieren, bunden wäre. die in den elf Staaten ausgegeben wer- Die jährlichen Einnahmen der damals den, weltweit besteuert werden. Dieses 27 EU-Staaten wurden auf 57 Milliar- Prinzip soll nicht nur bei Aktien, son- den Euro geschätzt. Die Einnahmen dern auch bei Anleihen zur Anwendung aus dieser Steuer sollen ganz oder teil- kommen, würde jedoch nicht für die al- weise als neue Eigenmittel in den EU- lermeisten Derivate gelten, die im Prin- Haushalt fließen, die Beiträge der Mit- zip ein Vertrag zwischen zwei Parteien gliedstaaten sollten entsprechend mit frei vereinbartem Rechtsort sind. abgesenkt werden. Die EU-Kommission schätzte das Steu- eraufkommen in den elf beteiligten Richtlinie für die Verstärkte Staaten auf 30 bis 35 Milliarden Euro. Zusammenarbeit Das Mehraufkommen aus dem ergänz- Im Februar 2013 legte die EU-Kommis- ten Ausgabeprinzip hätte hierbei ledig- sion einen Vorschlag für die Einführung lich 1,2 Milliarden Euro ausgemacht, da einer Finanztransaktionssteuer in Ver- die meisten dem Ausgabeprinzip unter- stärkter Zusammenarbeit vor, das heißt worfenen Transaktionen schon durch dem Zusammenschluss von damals elf das Sitzlandprinzip abgedeckt gewe- EU-Staaten (Frankreich, Belgien, Est- sen wären. Die EU-Kommission wies in land, Griechenland, Spanien, Italien, Ös- ihrer zugehörigen Folgenabschätzung terreich, Portugal, Slowenien, die Slo- erstmals auch nationale Steueraufkom- wakei und Deutschland). Deren Inhalt men aus, allerdings wurden diese nicht entspricht im Wesentlichen dem Vor- aus Transaktionsdaten, sondern grob schlag für die gesamte EU. Wichtigs- anhand der Wirtschaftskraft auf die ter Unterschied ist, dass zusätzlich zum einzelnen Staaten heruntergebrochen. Ansässigkeitsprinzip auch noch das Entsprechend ergab sich für Deutsch- Ausgabe- bzw. Emissionsprinzip grei- land ein hypothetisches Steueraufkom- fen soll. Analog zur britischen «Stamp men von 11,75 Milliarden Euro. Insofern war es nur folgerichtig, dass im Abgesehen von einem erfolglosen Ver- Oktober das CDU-Präsidium ankündig- such des französischen Präsidenten Ni- te, die Finanztransaktionssteuer notfalls colas Sarkozy, die Finanztransaktions- nur in der Eurozone einführen zu wollen. steuer beim G-20-Gipfel in Cannes zu Die widerspenstigen Briten, Schweden einem Schwerpunkt zu machen (und und Tschechen wären damit außen vor darüber die UN-Millenniumsziele und geblieben. Dass der Finanzplatz London den Klimaschutz zu finanzieren), war der ausgespart werden sollte, sorgte aber Rest des Jahres 2011 von Gezerre um die wiederum in anderen Staaten für Beden- EU-Richtlinie geprägt. Im Januar 2012 ken. Daher war auch die Eurozonen-Lö- überraschte dann Sarkozy mit der An- sung politisch heikel. kündigung, dass er demnächst auf na-
tionaler Ebene eine Finanztransaktions- ner Gruppe aus mindestens neun Staa- 15 steuer einführen wolle. Bald stellte sich ten umgesetzt werden kann. heraus, dass es sich dabei lediglich um Die schwarz-gelbe Koalition tat sich mit eine der britischen Stempelsteuer nach- dieser Idee jedoch schwer. Schon im Ja- empfundenen Aktiensteuer handelte. nuar hatte FDP-Chef Philipp Rösler die Der Vorstoß wurde anscheinend direkt EU-weite Einführung einer Aktiensteu- im Präsidentenpalast ausgeheckt und er nach britischem Vorbild gefordert, die war nicht mit dem französischen Finanz- noch um einige Derivate ergänzt wer- ministerium abgestimmt, das seit einiger den sollte. 26 Ein entsprechendes, von Zeit mit dem deutschen Finanzministeri- der Bundesregierung in den Ecofin ein- um an einem gemeinsamen Alternativ- gebrachtes Kompromisspapier von Ende vorschlag zur EU-Richtlinie arbeitete. März 2012 ging in diese Richtung. Für die Ähnlich wie die britische Stempelsteu- Briten war aber auch dieser Vorschlag ein er, die der Finanzkrise nichts entgegen- Affront. Sie hätten zwar nichts weiter be- gesetzt hatte, war auch die französische schließen müssen, aber eine EU-Steuer Aktiensteuer kein mit der umfassenden an sich war schon zu viel verlangt. In eine Finanztransaktionssteuer vergleichba- andere Richtung als die FDP marschier- res Regulierungsinstrument. Sie war te die CSU: Der damalige bayerische Fi- vielmehr der Versuch des Präsidenten, nanzminister Markus Söder sprach sich vor den Wahlen im Mai mit einer Alibi- notfalls für einen Alleingang Deutsch- Steuer zu punkten. Tatsächlich gewann lands aus, denn «Deutschland habe in die Wahl aber nicht Sarkozy, sondern Europa eine Führungsfunktion».27 Auch sein Konkurrent François Hollande. Die- sein damaliger Chef Horst Seehofer un- ser hatte im Wahlkampf verkündet, die terstützte einen nationalen Alleingang als Finanztransaktionssteuer zum Bestand- letzten Ausweg (siehe Zitate auf S. 30). teil eines europäischen Wachstums Gegen diesen stellte sich jedoch nicht pakts machen zu wollen.25 Die Erwar- nur die FDP, er war auch mit der CDU tung, dass Frankreich unter Hollande ein nicht zu machen. echter Vorkämpfer für die Finanztrans- Da die EU-weite Steuer nun auch in der aktionssteuer sein würde, wurde später Form einer Aktiensteuer gescheitert war herb enttäuscht. und zudem die Eurozonen-Lösung aus- Bereits vorher hatte sich abgezeichnet, schied, lief es am Ende doch auf eine Ver- dass eine Finanztransaktionssteuer so- stärkte Zusammenarbeit hinaus. Den An- wohl in der EU als auch in der Eurozone lass für eine entsprechende Initiative der nicht politisch durchsetzbar war. Gegen Bundesregierung bot die Ratifizierung die Eurozonen-Lösung sperrten sich un- des Fiskalvertrags durch Bundestag und ter anderem die Niederlande und Irland, aber auch Luxemburg, Zypern und Mal- 25 «Merkel will europäischen Wachstumspakt», in: Rhei- nische Post Online, 30.4.2012, unter: https://rp-online. ta. Nun blieb nur noch die Einführung de/politik/merkel-will-europaeischen-wachstumspakt_ aid-14345859. 26 «Regierung will schnell Klarheit über in einer «Koalition der Willigen». Im EU- neue Finanzsteuer», Reuters, 14.3.2012, unter: https:// Recht gab es dafür sogar ein passendes uk.reuters.com/article/schuldenkrise-finanzsteuer-zf-idDE- BEE82D0BN20120314. 27 «Söder für Alleingang Deutsch- Verfahren: die Verstärkte Zusammenar- lands bei Finanztransaktionssteuer», in: Die Welt, 19.5.2012, beit. Diese bedeutet, dass ein Vorhaben, unter: www.welt.de/newsticker/news3/article106343577/ Soeder-fuer-Alleingang-Deutschlands-bei-Finanztransakti- das auf EU-Ebene gescheitert ist, von ei- onsteuer.html.
16 Bundesrat, die eine Zwei-Drittel-Mehr- in Verstärkter Zusammenarbeit vor. Auf heit und damit die Zustimmung von Tei- diese hatten sich elf Staaten geeinigt, da- len der Opposition benötigte. Zwar war runter Deutschland, Frankreich, Italien klar, dass SPD und Grüne den Fiskalver- und Spanien. Die Niederlande knüpften trag begrüßten (anders als die LINKE, die ihren Beitritt an eine Ausnahmeregelung den Vertrag ablehnte und daher auch kei- für Pensionsfonds, konnte sich damit ne Bedingungen stellen konnte). Sie ver- aber nicht durchsetzen. Die neue Richt- langten aber, in den «Pakt für nachhalti- linie orientierte sich im Wesentlichen an ges Wachstum und Beschäftigung» (der der vorherigen Richtlinie für die EU-weite gemeinsamen Erklärung von CDU, CSU, Steuer, zusätzlich wurde jedoch das An- FDP, SPD und Grünen anlässlich der Ra- sässigkeits- durch das Ausgabeprinzip tifizierung des Fiskalvertrags) die Finanz- ergänzt, das heißt, es sollten auch Akti- transaktionssteuer in Verbindung mit der en und Anleihen besteuert werden, die in Verstärkten Zusammenarbeit aufzuneh- den Staaten der Verstärkten Zusammen- men. Darüber hinaus sollten sowohl Ak- arbeit ausgegeben werden (siehe Kas- tien als auch Anleihen, Devisen und De- ten auf S. 13). Die EU-Kommission ver- rivate besteuert werden und im Fall des anschlagte 30 bis 35 Milliarden Euro an Scheiterns der Verstärkten Zusammen- Einnahmen. arbeit eine intergouvernementale Einfüh- rung mit möglichst vielen Mitgliedstaa- 1.3 Der Vorschlag der EU-Kommis- ten angestrebt werden. Relativiert wurde sion für die Verstärkte Zusammen- die Forderung aber dadurch, dass ange- arbeit mahnt wurde, negative Folgen für Klein Der Vorschlag der EU-Kommission für sparer*innen, die Altersvorsorge und die die Verstärkte Zusammenarbeit stellte Realwirtschaft zu vermeiden – was auch jedoch nicht, wie von vielen Menschen immer das genau bedeuten sollte.28 erwartet, den Auftakt zu einer zügigen Tatsächlich wurde im Juni 2012 die EU- Einführung der Finanztransaktionssteu- weite Richtlinie im Ecofin offiziell für ge- er dar. Vielmehr markierte er den vorläufi- scheitert erklärt und unterstützt von der gen Höhepunkt des Gesetzgebungspro- Bundesregierung vom Europäischen Rat zesses, der in eine bis heute andauernde der Weg über die Verstärkte Zusammen- Hänge- und Verwässerungspartie über- arbeit angekündigt. Es dauerte allerdings ging. noch erstaunlich lange, nämlich bis zum Zum 1. März 2013 trat eine vom italie- Oktober 2012, bis Deutschland und nischen Parlament beschlossene nati- Frankreich tatsächlich genug Regierun- onale Mini-Finanztransaktionssteuer in gen für die Verstärkte Zusammenarbeit Kraft. Diese ähnelte der bereits in Frank- gefunden hatten. Nachdem die Euro- reich neu eingeführten Steuer und wird päische Kommission formal das Verfah- auf den Handel mit Aktien großer italieni- ren eröffnet hatte und das Europäische scher Unternehmen und auf davon abge- Parlament und der Ecofin grünes Licht leitete Derivate erhoben. Dabei werden gegeben hatten, legte die Europäische 28 Gemeinsame Erklärung von CDU, CSU, SPD, FDP und Kommission dann im Februar 2013 den Bündnis 90/Die Grünen vom 21.6.2012 (Pakt für nachhaltiges Entwurf für die neue Richtlinie zur Ein- Wachstum und Beschäftigung), unter: www.bundesregierung. de/breg-de/aktuelles/pakt-fuer-nachhaltiges-wachstum-und- führung einer Finanztransaktionssteuer beschaeftigung-392442.
außerbörsliche Transaktionen mit Aktien che die Finanztransaktionssteuer un- 17 mit einem fast doppelt so hohen Steuer- terstützten. Im Koalitionsvertrag zwi- satz (0,22 Prozent) wie börsliche Transak- schen CDU, CSU und SPD wurde die im tionen (0,12 Prozent) belastet. Die Steuer Rahmen des «Paktes für nachhaltiges bescherte Italien dringend benötigte Ein- Wachstum und Beschäftigung» (Fiskal- nahmen, gleichzeitig wurde der Druck vertrag-Kompromiss, siehe S. 16) ver- auf die EU-Länder, eine gemeinsame einbarte Formulierung aufgegriffen und Lösung zu finden, weiter geschwächt. eine «Finanztransaktionssteuer mit brei- Gleichzeitig erhob die italienische Regie- ter Bemessungsgrundlage und niedri- rung auch die Forderung, Staatsanleihen gem Steuersatz» angestrebt, die im Rah- von der europäischen Steuer auszuneh- men der Verstärkten Zusammenarbeit men. umgesetzt werden sollte. Faktisch wurde die europäische Steu- Präsident Hollande bildete Anfang 2014 er bereits aber von einer ganz anderen nach einer verlorenen Kommunalwahl und unerwarteten Seite hintertrieben, sein Kabinett um und ersetzte Moscovi- nämlich von der sozialistisch/sozialde- ci durch Michel Sapin. Die Haltung des mokratischen Regierung unter Präsident französischen Finanzministeriums än- Hollande. Offiziell stand die französische derte sich dadurch aber nicht. Immerhin Regierung fest hinter der Finanztransak- konnten die Versuche Frankreichs, die tionssteuer. Doch Finanzminister Pierre Richtlinie zu verwässern, von den ande- Moscovici bezeichnete den Entwurf der ren Staaten abgewehrt werden. Laut ei- Kommission als zu «exzessiv» und «kon- ner Erklärung von zehn Finanzministern traproduktiv» (wenig später sollte er in aus Ländern, die sich an der Verstärkten seiner neuen Funktion als EU-Kommissar Zusammenarbeit beteiligten (Sloweni- den Entwurf wieder brav verteidigen).29 ens Minister hielt sich wegen einer Re- Wie interne Beratungsdokumente zei- gierungskrise heraus), vom Mai 2014 gen, kam es in der Verhandlungsgrup- sollte die Steuer nun zum 1. Januar 2016 pe zu regelrechten Sabotageakten der stufenweise in Kraft treten. Zuerst sollten französischen Fachbeamt*innen. Diese nur Aktien und einige Derivate besteu- stellten zentrale Elemente des Entwurfs ert werden. Damit blieb das Langzeitziel wie das Ansässigkeitsprinzip oder die einer umfassenden Finanztransaktions- Besteuerung jeder einzelnen Transakti- steuer erhalten; der erste Schritt sollte je- on infrage. Allem Anschein nach wollte doch kleiner ausfallen. sich die französische Regierung mit der Die Verhandlungen wurden jedoch von bereits national eingeführten Mini-Fi- weiteren Störmanövern aufgehalten und nanztransaktionssteuer begnügen. Der gingen nur schleppend voran. Großbri- ursprüngliche Vorschlag wäre dadurch tannien hatte vor dem Europäischen extrem verwässert worden. Gerichtshof eine Klage gegen die Ver- Die Verhandlungen wurden zusätzlich stärkte Zusammenarbeit eingereicht, die dadurch verzögert, dass in Deutsch- jedoch später als verfrüht und damit un- land im September 2013 der Bundes- tag neu gewählt wurde. Überraschend 29 «France wants changes to EU financial transaction tax», flog die FDP aus dem Parlament, in Reuters, 11.6.2013, unter: https://uk.reuters.com/article/uk- france-tax-eu/france-wants-changes-to-eu-financial-transac- dem nun nur noch Parteien saßen, wel- tion-tax-idUKBRE96A0GH20130711.
18 zulässig abgewiesen wurde. Mit einem geordneten der sozialistischen Partei an Gastkommentar im Handelsblatt gab der Hollande hatten offenbar dazu geführt, französische Finanzminister deutlich zu dass der immer unpopulärere Hollande verstehen, dass er von einer umfassen- das Thema zur Chefsache erklärt hatte. den Finanztransaktionssteuer nichts hielt Kurz darauf regten Michel Sapin und und gemäß der französischen Steuer le- dessen österreichischer Amtskollege diglich Aktien nach dem Ausgabeprinzip Schelling in einem Brief an ihre Minister und ungedeckte Credit Default Swaps kolleg *innen einen Neustart der Ver- besteuern wolle.30 Die kleineren Staaten handlungen an. Die inhaltliche Neuaus versuchte er mit dem Vorschlag zu kö- richtung an einer «weitmöglichsten dern, Einnahmen nach dem Ansässig- Steuerbasis bei niedrigeren Steuersät- keitsprinzip zu verteilen. zen» sollte um eine organisatorische er- Auch Unionspolitiker wie der CSU-Ob- gänzt werden: Die Verhandlungen soll- mann im Finanzausschuss Hans Mi- ten von einem festen Vorsitz organisiert chelbach31 oder die Wirtschaftspolitiker und geleitet werden und die EU-Kommis- Michael Fuchs und Carsten Linnemann sion sollte fest eingebunden werden. wagten sich mit Kritik aus der Deckung.32 Die vielen Störmanöver brachten den ös- 1.4 Der österreichische terreichischen Finanzminister Hans Jörg Kompromissvorschlag Schelling zu der Aussage, er stehe für ei- Die Vorschläge trafen auf Zustimmung ne «Feigenblattsteuer» nicht zur Verfü- und die österreichische Regierung wur- gung. Er präsentierte nun einen eigenen de zum Koordinator ernannt. Nachdem Kompromissvorschlag. Dabei ging es Frankreich «eingefangen» war, gingen «um eine möglichst breite Einbeziehung die Verhandlungen zunächst gut struk- aller Derivate. Nur Staatsanleihen sollten turiert und zielgerichtet weiter. Der neue ausgenommen sein, im Gegensatz könn- Schwung hielt aber nur kurz an. Schon te dann der Steuersatz geringfügig redu- vor der Sommerpause hatte die österrei- ziert werden.»33 chische Regierung eine Vorlage zu den Die Verhandlungen schienen im Dezem- Kernelementen der Steuer (core engine) ber 2014 völlig festgefahren. Sehr über- präsentiert. Diese sah eine weitgehen- raschend folgte Anfang Januar ein Um- de Besteuerung von Derivaten vor (über- schwung: Präsident Hollande visierte gangsweise sollten lediglich Derivate mit plötzlich in einer Neujahrsansprache eine vollständigem Bezug auf Staatsanleihen Finanztransaktionssteuer mit möglichst ausgenommen werden). Aktien sollten breiter Bemessungsgrundlage an.34 Er nur besteuert werden, wenn sie in einem habe seinen Finanzminister gebeten, mit seinen Amtskolleg*innen dazu eine 30 «Nägel mit Köpfen», in: Handelsblatt, 4.11.2014. 31 «Ge- neue Initiative zu starten. Mit Blick auf fährliche Wirkung», in: Handelsblatt, 7.7.2014. 32 «Unions- politiker mahnen bei Börsensteuer zu Vorsicht», Reuters, den Klimagipfel Ende 2015 in Paris soll- 2.7.2014, unter: https://de.reuters.com/article/deutschland- b-rsensteuer-union-idDEKBN0F70FL20140702. 33 «Schel- ten ab 2017 ein Teil, wenn nicht sogar al- ling: London bereit zur Ratenzahlung», in: Der Standard, le Einnahmen in den 100 Milliarden Euro 7.11.2014, unter: www.derstandard.at/story/2000007829606/ eu-finanzminister-suchen-loesung-fuer-budget-streit-mit-lon- schweren internationalen Klimaschutz- don. 34 Hulverscheidt, Claus: Neue Hoffnung für die Börsen- fonds (Green Climate Funds) fließen. Abgabe, in: Süddeutsche Zeitung, 16.1.2015, unter: www. sueddeutsche.de/wirtschaft/finanztransaktionssteuer-frank- Druck von unten und ein Brief von Ab- reich-lenkt-bei-boersen-abgabe-ein-1.2298707.
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