Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
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Ausgabe 4/2021 Natur in Berlin Mit dem Exkursionsprogramm von Dezember bis März Kosmos im Untergrund Der Boden – Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
LIEBE MITGLIEDER, AKTUELLES LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DES NABU, Neues vom Flughafensee 3 Blumen statt Kippen 4 wir treten ihn buchstäblich mit Füßen Kommentar 5 und bekommen kaum etwas mit von dem Exkursion in die Lausitz 6 turbulenten Leben, das sich im Boden Storchenschmiede 7 abspielt. Auf Seite 6 stellt Ihnen unsere Pressereferentin Janna Einöder die wich- SCHWERPUNKT BODEN tigsten Artengruppen von Wimpertierchen Wunderwelt der Bodenfauna 6 bis Springschwanz vor. Boden und Klima 8 Kleines Boden-Lexikon 9 Noch immer wissen wir viel zu wenig über die Biodiversität im Erdreich und ihren SPEKTRUM Zustand. So liegt in Berlin für keine einzige Interview: Natur im Klimawandel 10 Artengruppe im Boden eine Rote Liste vor. Gefährliches Feuerwerk 12 Dass es den Organismen unter Tage nicht sonderlich gut gehen kann, liegt auf der NABU VOR ORT Hand, haben wir doch unsere Böden Nistkastenreinigung im Tiergarten 15 schändlich behandelt. Dadurch ist der Humus- (und damit Kohlenstoff-)anteil BERLINER MITBEWOHNER landwirtschaftlich genutzer Böden stark gesunken, wie unser Autor Frederick Der Steinschmätzer 16 Büks auf Seite 8 schildert. Unsere Böden zu regenerienen, ist daher ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und darf nicht im Zuge einer einseitigen Fixierung auf TERMINE UND KONTAKTE 17 die Energiewende in Vergessenheit geraten. Man kann es nicht oft genug wieder- holen: Klimaschutz funktioniert nicht ohne Naturschutz. Natürlich ist nicht allein die Landwirtschaft das Problem: Mit jedem Quadratme- ter Boden, der unter Beton und Asphalt verschwindet, werden Abermillionen klei- ner und kleinster Lebewesen vernichtet, die allesamt wichtige Ökosystemdienst- leister sind. Auch deshalb wäre es angezeigt, die überzogenen Neubaupläne des Immer wieder unterstützen uns Naturfreund*innen Berliner Senats zu hinterfragen. Ein anderer Grund ist wiederum der Klimaschutz, ehrenamtlich auf ungewöhnliche Weise – zum Beispiel den sich ja alle Parteien auf die Fahnen geschrieben haben: Schätzungen zufolge durch Korrekturlesen oder grafische Arbeiten. So hat gehen 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen auf den Bausektor zurück. CO2- die Künstlerin Xenia Schmidt unentgeltlich das Cover Neutralität anzustreben und zugeich mit aller Kraft die Versiegelung voranzutrei- dieser Ausgabe gestaltet. Xenia Schmidt hat in San ben, ist deshalb einfach widersinnig. Francisco Kunst studiert und arbeitet seit 2008 als freie Illustratorin und Malerin in Berlin. Beispiele Ihrer Arbeit Mit besten Grüßen kann man auf www.xeniaschmidt.com bewundern. Dieses Bild heißt „Winterfuchs“. 1. Vorsitzender NABU Berlin IMPRESSUM NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin; 1. Vorsitzender: Rainer Altenkamp, 2. Vorsitzende: Kerstin Brümmer, Geschäftsführung: Melanie von Orlow ; www.nabu-berlin.de, www.facebook.com/NABU-Berlin; Redaktion: Rainer Altenkamp (V.i.S.d.P.), Alexandra Rigos (ar); Layout: Alexandra Rigos; Schlussredaktion: Alexandra Vogels; Redaktionelle Beiträge: Frederick Büks, Janna Einöder, Stephan Härtel, Lisa Hörig, Paul Krüger, Britta Laube, Matthias Mundt, Hanna Miethner, Ansgar Poloczek, Annette Prien, Elisa Sievers, Alexandra Rigos, Christine Szyska; Anzeigendaten: NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin, Tel.: (030) 9860837-18, arigos@nabu-berlin.de; Mediadaten unter www.nabu-berlin.de; Erschei- nungsweise: vierteljährlich; Nächster Redaktionsschluss: 04.02.22, nächster Veranstaltungszeitraum: März - Juni 2022; Papier: 100% Recycling, Auflage: 17.000, Druck: Dierichs Druck + Media GmbH, Kassel; Bildnachweis: Titel: Xenia Schmidt, S.2: Rainer Altenkamp: Carmen Baden, Winterfuchs: Xenia Schmidt, S.3: Insektenhotel: Lily Schneider, Flughafensee: Ronald Kroth, S. 4: Müllaktion: Nadja Bedolla-Schwarzenberg, Seidenbiene: Spacebirdy/wikimedia.de, Aktion Spandau: BG Spandau, Uferschwalben: Klemens Karkow, S. 5: Alexand- ra Rigos: Max Noack/NABU Berlin, Elisa Sievers: Ruth Lankeit, S.6: Alle Bilder: Annette Prien, S. 7: Alle Bilder: Sandra Becker, S. 8: Regenwürmer: Witaya Proadtayakogool/shutterstock. com, Pseudoskorpion: Andy Murray/wikimedia.de, Wurzelknöllchen: Ninjatacoshell/wikimedia.de, S. 10: Saftkugler: Dan Olsen/shutterstock.com, Steinläufer: Holger Krisp/wikimedia. de, Springschwanz: Gilles San Martin/wikimedia.de, S. 11: Keimling: kram-9/shutterstock.com, S. 12 Sterbende Bäume: pics_kartub/pixabay.com, S. 13: Bernd Kegel: Franziska Hauser, S. 14: Feuerwerk: Nathan Wright/pixabay.com, S.15: Nistkastenreinigung, Nest: Christine Szyska, S.16: Steinschmätzer: Hartmut Mletzko, Tempelhofer Feld: Alexandra Rigos, S. 17: Am- phibien-Aktion: Jens Scharon, U4: Grafik: Ruth Lankeit; Hinweise der Redaktion: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen und Bearbeitung von Beiträgen vor. Der NABU Berlin haftet nicht für unverlangt eingesandte Beiträge. Das Magazin und alle in ihm enthaltende Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Eine Verwertung bedarf der Genehmigung. Bankverbindung Spendenkonto NABU Berlin, Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE 76 1002 05000 003 2932 00 BIC: BFSWDE33 BER NATUR IN BERLIN 4/21
AKTUELLES | 3 Ein Hochhaus für Insekt und Igel Aktive errichten „Biodiversitätstower“ auf dem Tempelhofer Feld er konzipiert, in unterschiedliche Hölzer zu bohren, auf dem Tem- lassen sich gut in Schulen, Tagesstätten pelhofer Feld er- oder anderen Bildungseinrichtungen richtet und mit durchführen. Unterstützung Der Bereich um den Biodiversitätstower vieler freiwilliger wurde mit verschiedenen Sandkör- Helfer*innen am nungen als „Sandarium“ für bodenbe- „Langen Tag der wohnende Insekten angelegt. Darüber Stadtnatur“ aus- hinaus bietet das Turmfundament Nist- gebaut hat. und Überwinterungsmöglichkeiten für Ziel war es, ein Igel und Klein-säuger. An den Stirnseiten möglichst breites im oberen Bereich der Konstruktion be- Spektrum von finden sich Brutmöglichkeiten für Vögel. Tierarten mit viel- Ein Gründach, das mit bienenfreund- fältigen Nistange- lichen Pflanzen begrünt ist, schützt die boten zu unter- ganze Konstruktion. stützen. Am „Langen Tag der Stadtnatur“ wa- Das Konzept be- ren auch Kinder zwischen vier und 14 ruht auf einem Jahren mit Begeisterung dabei, Lehm-, Baukastenprin- Holz- und Schilfstrukturen in den Pa- zip, bei dem sich letten-Turm einzubringen. Da sich die die einzelnen Ele- Teilnehmer*innen beim Bau eines sol- Viele Kinder machten mit am „Langen Tag der Stadtnatur“. mente passgenau chen Towers sowohl mit den natürlichen austauschen und Materialien als auch den Bedürfnissen variieren lassen. der angesprochenen Tierarten auseinan- Um dem Artensterben entgegenzuwir- Grundbausteine sind Europaletten, die dersetzen, eignet sich das Konzept gut als ken, bedarf es nicht immer großer Pro- aufgestapelt einen etwa 1,7 Meter hohen umweltpädagogische Maßnahme. jekte. Auch auf kleinem Raum im ur- Turm ergeben. Die dabei entstehenden Wir erwarten nun mit Spannung, wel- banen Umfeld lässt sich einiges für die Fächer werden mit unterschiedlichen che der geschaffenen Niststrukturen in Erhaltung der Artenvielfalt erreichen. Nistmaterialien für Wildbienen, Wespen der kommenden Saison angenommen Das wollte der Hymenopterendienst und andere Insekten ausgestattet. werden. Bei Detailfragen können Sie sich des NABU Berlin mit seinem „Biodiver- Das Befüllen kann vor Ort stattfinden; gerne an uns wenden. Stephan Härtel sitätstower“ anschaulich machen, den andere Vorarbeiten, zum Beispiel Löcher kontakt@hymenopterendienst.de Licht und Schatten am Flughafensee Was hat die NABU-Petition für die Natur in Tegel bewirkt? Ein Dreivierteljahr ist vergangen, seit Dennoch war unser Einsatz wichtig, dehals führen würde. Der NABU Berlin wir unsere Petition „Rettet das Naturpa- denn der Naturschutz gewann einen wird die Planungen weiter aufmerksam radies am Flughafen Tegel“ mit 10.181 spürbar höheren Stellenwert im Pla- und kritisch begleiten. Unterschriften an die damalige Umwelt- nungsprozess. So konnten wahnwitzige Am Flughafensee konnten die NABU- senatorin Regine Günther überreicht Ideen wie die Verlegung der Badestel- Aktiven in diesem Jahr zwei seltene Gä- hat. Was ist seither passiert? Immerhin le ans Südufer des Flughafensees – also ste beobachten: Von Juni bis September hat die Senatsverwaltung für Umwelt, mitten in das Vogelschutzreservat – zum tummelte sich ein Wiedehopf im Reser- Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) für Glück abgewendet werden. Auch wird vat, und ein Fischadler rastete im Spät- den nächsten Haushalt Mittel für zu- wohl der schützende Zaun um das Reser- sommer in der Flachwasserzone. sätzliche Stellen zur Ausweisung von Na- vat erhalten bleiben. turschutzgebieten beantragt. Allerdings Unzufrieden ist der NABU Berlin hin- wird dieser Haushalt wegen der Wahlen gegen mit den Plänen für die „Tegeler erst im kommenden Sommer beschlos- Stadtheide“ auf dem Rollfeld: Hier sehen sen – zunächst einmal passiert also wei- die Landschaftsarchitekt*innen ein viel terhin nichts, während die Planungen zu dichtes Wegenetz vor, das zu empfind- für das ehemalige Flughafengelände lichen Störungen der Heideflächen und munter weitergehen. ihrer Bewohner wie Feldlerche und Wen- Am Flughafensee NATUR IN BERLIN 4/21
4 | AKTUELLES / MEINUNG Blumen statt Kippen Müllsammelaktion am Müggelsee Am „Langen Tag der Stadtnatur“ Mitte September rief die NABU- Gruppe Treptow-Köpenick zusammen mit dem Team von „Clean Up Trepnick“ zu einer Aufräumaktion am Spreetunnel in Fried- richshagen und am Biergarten Rübezahl auf. Die Devise lautete: Blumen statt Kippen! Passant*innen erhielten Müllbeutel, Greif- zangen sowie Handschuhe und zogen los, um Müll in der Umge- bung des Müggelsees aufzulesen. Ihre Beute durften sie anschlie- ßend gegen ein Päckchen Blumensamen tauschen. Nicht alles, was man auf die Erde wirft, muss ihr schließlich schaden Der gesammelte Müll wurde von der Berliner Stadtreinigung ab- geholt und fachgerecht entsorgt – von der zerbeulten Bierdose über Verpackungsmüll, Angelschnüre bis zu Gartenabfällen, einer schimmelnden Matratze und unzähligen Kippen war alles dabei. Gefährliche Kippen: Müll vom Müggelsee Gearde Zigarettenkippen belasten Böden und Gewässer mit ihren toxischen Inhaltsstoffen und Mikroplastik enorm. hm Überraschung im Freibad Neue Bruthöhlen für Uferschwalben Erfolgreiche Wildbienen-Kartierung Pflegeeinsatz auf Golfplatz in Spandau Bürgerwissenschaftler*innen haben den NABU Berlin erfolgreich bei der Erfassung von Wildbienen-Niststätten unterstützt. Im Frühjahr 2021 hatte unser Hymenop- terendienst dazu aufgerufen, im offenen Straßenland oder in Parks vorkommende Nestansammlungen mit Hilfe von Fotos und GPS-Koordinaten zu erfassen. Etwa 30 Standorte konnten so kartiert werden, da- runter Niststätten der Weiden-Sandbiene, der Hosenbiene und der Fuchsroten Sand- biene. Nach der aktiven Flugperiode ver- weilen die Nachkommen der Tiere mehr als zehn Monate im Boden, wo sie bei Bau- arbeiten oft übersehen werden. Besonders spektakulär war eine Meldung aus dem Sommerbad am Humboldthain: Hunderte Nester der Frühlings-Seidenbiene (Colletes Abstechen des Steilhangs cunicularius) haben sich dort an sonnigen Plätzen im Boden etabliert. Badegäste be- kommen von den Hautflüglern allerdings Im Frühjahr hatte die Bezirksgruppe nichts mit, da die Tiere ihre Flugphase Spandau eine sandige Steilwand auf dem vor Beginn des Badebetriebs beenden. Im ehemaligen britischen Golfplatz saniert, Uferschwalben nächsten Jahr wird der Hymenopteren- in der Uferschwalben brüteten. Über die dienst prüfen, ob auch andere Berliner Jahre war der Hang abgebröckelt, sodass Sommer- und Strandbäder wichtige Nist- immer weniger Schwalben dort nisteten. einen erfreulichen Bruterfolg der in Berlin habitate für Wildbienen sind. sh Zehn fleißige Helfer rückten daher mit sehr seltenen Uferschwalbe. Alle vier bis Spaten und Schubkarre der Sandwand zu sechs Jahre muss eine solche Sandwand Leibe und stellten wieder eine glatte, senk- wieder als Schwalbennistplatz hergerich- rechte Fläche her. Schon zwei Wochen spä- tet werden. In einer natürlichen Umge- ter trudelten die ersten Uferschwalben aus bung würden sich die Vögel immer wieder ihrem Winterquartier ein. Anfang Mai wa- neue Brutstätten suchen. ren es dann schon 30 Exemplare. Im Juni Die Uferschwalbe, unsere kleinste Schwal- konnten die Aktiven 62 beflogene Röhren benart, legt ihr Nest am Ende von selbst zählen, im Juli sogar 96. Jede Menge Jung- gegrabenen Brutröhren in Sand- und Erd- vögel und reger Flugbetrieb ließen sich be- wänden an, die bis zu 60 Zentimeter tief Frühlings-Seidenbiene obachten. Ein kleiner Einsatz sorgte so für sein können. Britta Laube NATUR IN BERLIN 4/21
AKTUELLES | 5 NABU Berlin setzt auf Umweltbildung kommentar Neue Stelle im Landesverband geschaffen Verteilungskämpfe Im Oktober zog mit Elisa Sievers der Be- und nachhaltigen Handeln führen. Im um das Stadtgrün reich Umweltbildung in die Berliner NABU- Berliner Raum gibt es aktuell sieben Kin- Geschäftsstelle ein. Elisa hat in Eberswalde dergruppen, in denen sich ehrenamtliche ihren Bachelor in Forstwirtschaft absol- Gruppenleiter*innen mit ihren Schützlin- viert und anschließend einen Master im gen auf naturkundlichen Pfaden bewegen. Fach „Nachhaltiges Tourismusmanage- Den Kindern und Jugendlichen werden da- ment“. Danach hat sie viele Jahre lang als bei durch Naturerfahrungen, Bastelange- Waldpädagogin die Natur für Jung und Alt bote oder umweltpädagogische Spiele im erlebbar gemacht. Grünen die Komponenten und Wechsel- Begeisterung für die Umwelt schon bei wirkungen der Natur nähergebracht. Kindern und Jugendlichen zu wecken, fin- Solche außerschulischen Umweltbildungs- det sie sehr wichtig. Deshalb ist auch die angebote will Elisa beim NABU Berlin Alexandra Rigos Leiterin Öffentlichkeitsarbeit NABU Berlin enge Zusammenarbeit mit der NAJU ein unterstützen und weiter ausbauen. Ziel wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit. ist es, ausreichend Möglichkeiten für in- Kürzlich konnte ich im Park am Gleisdreieck Naturschutz setzt auch immer ein Natur- teressierte Kinder und Jugendliche zu eine seltsame Szene beobachten: Eine ältere verständnis voraus. Für den rücksichts- schaffen. Gleichzeitig sollen aber auch Dame mit Kopftuch pflückte Hagebutten von vollen Umgang mit unserer Umwelt und Qualifizierungsmöglichkeiten für die eh- einem Wildrosenstrauch. Neben ihr stand ein insbesondere mit der urbanen Natur Ber- renamtlichen Umweltbildner*innen ge- ebenfalls älterer Herr, der erregt in sein Handy lins ist die Naturerfahrung und die Ver- schaffen werden. sprach. Vermutlich hatte er die Polizei angeru- mittlung ökologischer Zusammenhänge Umgesetzt werden kann das berlinweit fen, jedenfalls beschwerte er sich empört über grundlegend. Dies kann schon von Kin- nur mit viel tatkräftiger Unterstützung. den Raub am Rosenbusch. desbeinen an zu einem umweltbewussten Mitglieder, die sich in diesem Bereich Man mag über diese Begebenheit lächeln, doch gerne engagieren wollen, haben mit Elisa stimmt sie zugleich nachdenklich. Zum einen, jetzt eine fachkundlige Ansprechpartnerin weil sie zeigt, wie intensiv Menschen aus allen vor Ort. Umweltbildung kann dazu beitra- Milieus, gerade auch sozial weniger Privilegier- gen, den Naturschutz in die Gedanken und te, städtische Grünflächen nutzen – und dass Herzen der Menschen zu bringen. diese Nutzung auch anders ausfallen kann, Diese Einstellung vertritt Elisa nicht nur als es der bürgerliche Mainstream gewohnt als Mitarbeiterin, sondern auch als Mutter ist. Zum anderen, weil der Konflikt letztlich ihrer beiden Kinder. Diese teilen die Be- darauf zurückgeht, dass es viel zu wenige Na- wunderung für die Natur gleichermaßen, turräume gibt, in denen Stadtbewohner*innen und gemeinsam verbringen sie viel Zeit im sich an Tieren und Pflanzen erfreuen können. Elisa Sievers Freien. Am liebsten im Wald oder in den Wie knapp muss die Ressource Stadtgrün ge- Bergen, wobei das Zelt nie fehlen darf. worden sein, wenn sogar eine Allerweltspflan- ze wie die Hundsrose als etwas Seltenes und Verletzliches empfunden und mit voller Kraft Der NABU Berlin trauert um Ilka Gottwald verteidigt wird! Liebe Frau Giffey, die Menschen im Park ge- Die passionierte Vogelschützerin setzte sich für Gebäudebrüter ein hören zu ihren Wähler*innen, und sie wollen Völlig unerwartet ist Ilka Gottwald Anfang werden ihre freundliche, energiegeladene nicht nur wohnen, sondern leben! Zur Le- Oktober im Alter von 66 Jahren verstor- und ehrliche Art sehr vermissen. bensqualität aber trägt ganz wesentlich die ben. Ilka war seit 2019 in unserer Bezirks- Anita Wesolowski & Matthias Mundt im Namen Möglichkeit bei, draußen im Grünen durch- gruppe Steglitz-Zehlendorf intensiv tätig. der Bezirksgruppe Steglitz-Zehlendorf zuatmen und mit der Natur in Berührung zu Der Vogelschutz war ihre Passion und kommen. Das ist gerade für ärmere Menschen so konnte Ilka schnell Anschluss in der wichtig, die sich keine Reisen leisten können. AG Gebäudebrüter finden: Einflüge von Jährlich 20.000 Wohnungen zu bauen, wür- Haussperlingen und Mauerseglern kartie- de die Stadt vieler Freiflächen berauben, auf ren und prüfen, ob Niststätten durch Sa- denen diese Naturerfahrung stattfindet. Die nierungsmaßnahmen bedroht sind. Wei- paar offiziellen, mehr oder minder totgepfleg- terhin konnte erst durch den begeisterten ten Parks reichen nicht aus. Wir brauchen Einsatz von Ilka unsere digitale Podiums- auch den Wildwuchs, wie er sich auf Brachen diskussion mit lokalen Politiker*innen, ausbreitet, die grünen Rückzugsräume, wo kurz vor der Bundes- und Landtagswahl, Kinder Abenteuer erleben können, Tiere und erfolgreich verwirklicht werden. Pflanzen einen Lebensraum finden – und Wir verlieren mit Ilka eine engagierte und Omas auch mal Hagebutten für eine Tasse Tee leidenschaftliche Naturschützerin und ernten dürfen. NATUR IN BERLIN 4/21
6 | AKTUELLES Beim Wandern durch die Kiefernwälder (links) entdeckten die Kinder viele Gottesanbeterinnen (unten). Nachts wurde gezeltet (ganz links). Abenteuer am leeren See Kahnpartie: Pechsee um 1930 Beim Zelten in der Lausitz gab es für die Kindergruppe Pankow viel zu entdecken. 2 E ndlich wieder eine Gruppenfahrt Zelten an einer Baustelle an einem leeren Beim Geocaching wollten wir den „Ursu- der NABU-Kindergruppe Pankow! See? Warum nicht?! Kinder und Eltern lagrund“ im Wald erkunden. Unser Ziel Nach der Corona-Zwangspause hat- wollten trotzdem fahren, und die Ent- war ein bemooster Steinhügel, der einst ten sich das alle Kinder gewünscht. Das scheidung haben wir nicht bereut. Der zur Erinnerung an die naturverbundene Wochenende im August stand fest, der Ausflug wurde einfach wunderbar. Es Ursula errichtet wurde, die Frau eines Campingplatz war gebucht, und einige war warm, und am Samstag konnten wir Schlossherrn von Fürstlich Drehna. Ein Eltern hatten sich Zeit genommen, um einen kurzen Wolkenbruch mit Gewitter kleiner, sich durch den Wald schlängeln- uns zu begleiten. und leuchtendem Regenbogen von einem der Bach sollte uns den Weg zeigen. Der Plan klang super: Wir wollten im überdachten Logenplatz aus beobachten. Doch Babben liegt auch am Rande eines Waldbad Babben Baustelle in der Mehr Stadtbäume: Niederlausitz zel-gepflanzt gefällt als neu Der aufziehende Dunst auf der Wiese in ehemaligen Braunkohletagebau-Gebiets, ten. Ein idyllisches Dorf an einem kleinen der Abendsonne vollendete das Natur- das erst 1991 stillgelegt wurde. Die massi- Berghang, eingebettet in eine Endmorä- schauspiel. ven Erdbewegungen und die Nutzung des nenlandschaft, direkt an einem kleinen, Der Regen der letzten Wochen hatte viele Grundwassers zur Flutung des aus einem künstlich angelegten See. Steinpilze und eine Fülle anderer Speise- Restloch entstandenen Bergheider Sees In den umligenden Babbener Bergen ist pilze hervorgebracht. Mit Butter ange- ließen von dem Bachlauf im Wald nur der Wolf wieder zu Hause, und so wollten braten und draußen gemeinsam probiert, noch das trockene Bett übrig – ein wei- wir uns mit Ehrenamtlichen vom NABU waren sie für viele ein neuer oder zumin- teres deutliches Zeichen für den Einfluss Finsterwalde treffen, um mehr über das dest lange vermisster Genuss. Nachts bot des Menschen auf die Natur. Verhalten der Tiere zu erfahren. Wir hat- sich dann ein sternenklarer Blick auf die Den Tagebau und die riesige Förderbrü- ten uns außerdem Geocaching-Geräte Milchstraße – ein Erlebnis, das Berlin al- cke, auch „liegender Eiffelturm“ genannt, ausgeliehen, um Verstecke im Wald auf- lenfalls am Stadtrand bietet. besichtigten wir am Sonntag. In 79 Meter zuspüren, und der See versprach viele Höhe konnten wir den riesigen See über- interessante Funde mit Kescher und Be- Den Wölfen auf der Spur blicken, auf dessen Grund das Dorf Berg- cherlupen. Die Wölfe schliefen tagsüber, wie uns heide nun liegt. Eine Mitarbeiterin des Alle waren voller Vorfreude. Doch plötz- Steffen Kämmerer vom NABU Finsterwal- Tagebaus zählte routiniert die Orte auf, lich änderte sich die Wetterlage: Dauerre- de auf unserer Wolf-Exkursion versicher- die ursprünglich für den Kohleabbau „ab- gen und kühle 17 Grad Celsius waren für te, und so fanden wir auf unserem Spa- geräumt und vorbereitet“ werden sollten, das Wochenende angesagt. Nicht die ide- ziergang durch die Wälder nur Knochen bis die Wende und der Klimaschutz dem alen Voraussetzungen für zwei Übernach- seiner Beutetiere. Dafür machten wir Braunkohleabbau in der Region ein Ende tungen in Zelten und Aktionen im Freien. Entdeckungen ganz anderer Art: Grillen, setzten. Ein Besuch, der uns den Klima- Also mussten wir die Fahrt um zwei Wo- Borkenkäfer unter der Rinde in den aus- wandel mit anderen Augen sehen ließ. chen auf Mitte September verschieben. gedehnten Kiefernwäldern und viele Got- Allen Kindern und Erwachsenen hat die Doch genau dann sollte das Waldbad Bab- tesanbeterinnen, die an einem von Heide Reise sehr viel gegeben. Indem wir drau- ben zum ersten Mal in seiner mehr als gesäumten Waldweg nach Nahrung such- ßen in der Natur unterwegs waren, wur- 50-jährigen Geschichte saniert, der See ten. Diese mediterrane Art in Branden- den Zusammenhänge klar und erfahrbar, abgelassen und Teile der Steineinfassung burg zu finden, zeugt vom Klimawandel und wir haben viel gesehen und gelernt. erneuert werden. und der Erwärmung der Region. Annette Prien NATUR IN BERLIN 4/21
AKTUELLES | 7 Bei Schnee und Eis entstand der Folien- tunnel (ganz links) für die Klimagärtnerei (oben). Kinder durften beim Beringen von Vögeln zuschauen Kükentod und Klimagarten (links). 5 Leitung Das erste Jahr der Storchenschmiede unter neuer D as Team der Storchenschmiede seportionen konnten wir jede Woche in Flachwasserflächen als Rastplatz nutzen, blickt auf ein aufregendes, lehr- Abo-Kisten verteilen. Ein guter Start! Das und tausende Menschen kommen in das reiches, arbeitsames, aber auch restliche Gemüse wird an den Wochenen- Dorf. Die sonnigen Oktoberwochenenden schönes Jahr zurück, in dem sich in der den im Hofladen der Station angeboten. sorgten auch dieses Jahr für viel Betrieb. Station viel bewegt hat. Insgesamt reicht die Anbaufläche aus, Mit dem Ende der Kranichsaison ist nun Seit Ende 2020 betreibt die Storchen- um wöchentliche Gemüseportionen für Ruhe eingekehrt, und wir können wir uns schmiede gGmbH das Umweltbildungs- bis zu 200 Personen zu erzeugen. Für das dem Aufräumen, Abrechnen und Planen zentrum in Linum. Der NABU Berlin kommende Jahr streben wir zunächst 100 widmen. Das Team der Storchenschmiede bleibt dem Zentrum jedoch als Gesell- Portionen an. sucht immer engagierte Ehrenamtliche. schafter, Förderer und Kooperationspart- Der Gemüseverkauf soll in Zukunft ein Wenn Sie Lust auf Gartenarbeit, Bauen, ner erhalten. zusätzliches finanzielles Standbein bilden Kranichzählungen, Kochen oder Kinder- Im Kern ist das Angebot dasselbe ge- und erweitert gleichzeitig das Umweltbil- betreuen haben, freuen wir uns über eine blieben, mit Führungen, Umweltbil- dungsangebot um das Thema „nachhalti- Nachricht. dungstagen, Sommercamp für Kinder, ge Ernährung“. Schulklassen und Kinder- Lisa Hörig Naturgarten und Kaffee & Kuchen. Verän- gartengruppen können an Projekttagen mitmachen@storchenschmiede.org derungen gab es im Team: Neu sind die den Garten erkunden, selbst Gemüse ern- Info Gemüsekiste: storchenschmiede.org/gemuesekiste Geschäftsführer*innen Sandra und Klaus ten, zubereiten und kosten. Becker, die die Station bereits im ersten Jahr erheblich weiterentwickelt haben. Regen tötete Jungvögel Kleinanzeigen Ende Mai ging Monika Speer, unsere lang- Trotz des feuchten Frühlings war dieses RÜGEN für Naturfreunde! Ferienhaus + jährige Mitarbeiterin und gute Seele, in Jahr leider ein schlechtes für den Linu- FeWos in traumhafter Lage im Biosphärenre- Rente und wird schmerzlichst vermisst. mer Storchennachwuchs. Die Hälfte der servat nahe Putbus, Bodden und Insel Vilm. Die erste große Veränderung und auch Jungvögel fiel den Regengüssen Ende Juli www.in-den-goorwiesen.de. Herausforderung stellte in diesem Jahr zum Opfer, sodass die acht Brutpaare nur die Einrichtung des Klima-Bildungsgar- sechs Jungvögel großzogen. Auch auf Neujahrs-Fasten in der Sächsischen tens dar. Ab Januar wurden trotz Schnee, dem Dach der Storchenschmiede wurde Schweiz. Fasten und Wandern in kl. Gruppe, Sturm und eisiger Kälte 1200 Quadrat- nur ein Jungvogel flügge. individuell betreut von ärztl. gepr. Fasten- meter Beetfläche angelegt und ein Foli- Seit den Sommerferien belebten wieder leiterin: 2.- 9. Jan 22. weitere Infos www. entunnel aufgebaut. Dies schafften wir fröhlich lärmende Kindergruppen die fastenbefreit.de oder 05843-6689808. nur dank des Einsatzes ehrenamtlicher Storchenschmiede. Im letzten Jahr hatte Helfer*innen. die Umweltbildung für Kinder wegen Co- Fasten und Tanzen im Wendland (Nähe Auf den Beeten können wir Gästen nun rona aussetzen müssen, nun aber durften Salzwedel): 18.-25. März 22. - mit Sauna! zeigen, wie regenerativer und nachhal- wir wieder Schulklassen und Kitagruppen Fastenleiterin + Tänzerin garantieren inten- tiger Gemüseanbau funktioniert. Das empfangen, auch das alljährliche Som- sive Selbsterfahrung! weitere Infos www. Gemüse wird als wöchentliche Abokiste mercamp konnte stattfinden. fastenbefreit.de oder 05843-6689808. in Kremmen, Fehrbellin, Neuruppin und Ein Highlight dabei war die Vogelberin- Berlin verkauft, um so die Arbeit der Sta- gung, zu der wir den ehemaligen Leiter Toskana, nahe Siena, Rustiko, zw. Oliven tion finanziell zu unterstützen. der Station, Stefan Fischer, begleiteten. + Zypressen, für 2 Personen. Umgeben von Trotz Verlusten durch verschiedene Mit- Jedes Kind durfte einen der beringten Vö- Vögeln, Schmetterlingen, Eidechsen + viel esser – vor allem Schnecken, Erdflöhe gel wieder in die Freiheit entlassen. Ruhe, könnten Sie sich gut erholen + Kultur- und Kohlweißlingsraupen haben man- Mit dem Herbst wird es in Linum immer stätten wahrnehmen. www.rembold.it, Tel: chen Kulturen zugesetzt – verlief das ers- trubelig. Am Himmel ziehen zehntau- 0039 3409656735. te Anbaujahr erfolgreich. Über 60 Gemü- sende Gänse und Kraniche, die die nahen NATUR IN BERLIN 4/21
8 | SCHWERPUNKT Reges Treiben im Untergrund Die faszinierende Welt der Bodenlebewesen Schon Charles Darwin war vom Treiben der Regenwürmer fasziniert und widme- te ihnen ein ganzes Buch, in dem er ihren Beitrag zur Bodenfruchtbarkeit würdig- te. Darwin erforschte unter anderem, wie Regenwürmer Blätter und andere noch kaum verweste Pflanzenteile in ihre Wohnröhren ziehen, die bis zu drei Meter tief in den Boden reichen können. D er Boden ist ein beeindrucken- ter „Durchschnitts“-Boden mehr Lebewe- Partnerschaft Pseudoskorpion der, aber vom Menschen oft we- sen existieren, als es Menschen auf der mit Bäumen nig beachteter Lebensraum. Kein Erde gibt. Dabei machen Bakterien, Algen einzugehen. Wunder, spielt sich unser Leben doch fast und Pilze den größten Teil des Bodenle- Mit Begriffen wie „Wood Wide Web“, also gänzlich auf der Erdoberfläche ab. bens (auch Edaphon genannt) aus – Orga- das „Internet des Waldes“, wird das Pilz- Doch schaut man genauer hin, stellt man nismen, die ein Mensch mit bloßem Auge geflecht beschrieben, das sich durch den fest, dass unter unseren Füßen das Leben gar nicht erkennen kann. In einem Tee- ganzen Waldboden zieht und die Kom- tobt. Hier finden wichtige Prozesse statt, löffel Boden können eine Million Bakteri- munikation zwischen Bäumen ermög- die unser Leben „oben“ maßgeblich prä- en, 120.000 Pilze und 25.000 Algen leben! licht. Darüber hinaus sind Pilze ebenfalls gen: Wasser versickert, Schadstoffe wer- wichtige Zersetzer. Manche Arten vermö- den abgebaut, Pflanzen mit Nährstoffen Mikrofauna: vielfältige Dienstleister gen sogar stabile Materialien wie Holz- versorgt, der Wasserhaushalt reguliert, Unterschätzen sollte man die mikrosko- reste abzubauen und in ihre Bausteine Stoffe fixiert… pisch kleinen Lebewesen nicht, denn sie zu zerlegen. Bodenpilze können selbst Doch all dies passiert nicht einfach so. erfüllen viele wichtige Funktionen. Bak- Schädling sein und Pflanzen befallen, Verantwortlich dafür sind vielmehr die terien zersetzen Pflanzenmaterial, stimu- aber auch zu Schädlingsbekämpfern wer- unzähligen Lebewesen, welche die Welt lieren das Wurzelwachstum oder filtern den, indem sie etwa Fadenwürmern mit unter unseren Füßen bewohnen. Die Zahl Schadstoffe aus dem Boden. einer Art Schlinge aus Pilzgeflecht Fallen dieser Organismen ist so hoch, dass man Knöllchenbakterien aus der Familie der stellen. sie eigentlich gar nicht fassen kann. Man Rhizobiaceae etwa existieren in Symbiose sagt, dass allein unter einem Quadratme- mit Pflanzenwurzeln von Hülsenfrücht- Mesofauna: Jäger und Gejagte lern und binden Stickstoff aus der Luft, Auch im Boden heißt es: Fressen und ge- mit dem sie die Pflanze versorgen. Die so fressen werden. Einzeller wie die Wim- Bakterienknöllchen an der genannten Actinomyceten wiederum sind pertierchen oder Amöben gehen auf die Wurzel einer Luzerne eine Gruppe von Bakterien, die sich auf Jagd nach Bakterien. Einzeller spielen bei den Abbau schwer zersetzbarer Stoffe im der Mineralisierung der Böden, also bei Boden spezialisiert hat. Dabei entsteht der Bereitstellung von Nährstoffen, eine der charakteristische „erdige“ Geruch. wichtige Rolle. Große Aufmerksamkeit erfahren haben Die Vielfalt der einzelnen Arten und ihrer in den letzten Jahren Bodenpilze, Mykor- Lebensweisen ist groß: Wimpertierchen rhiza genannt, und ihre Fähigkeit, eine etwa bewegen sich mit Geißeln fort und NATUR IN BERLIN 4/21
SCHWERPUNKT | 9 strudeln ihre Nahrung ein. Amöben sind wiederum skrupellose Räuber, die beim Der Gerandete Saftkugler zählt zu den Kontakt mit ihrer Beute so genannte Doppelfüßern, die ihrerseits zu den Scheinfüßchen ausbilden und ihre Opfer Tausendfüßern gehören. Bei Gefahr damit fangen. rollen sich Saftkugler zusammen. Die Die etwas größeren Fadenwürmer (Nema- bis zu zwei Zentimeter langen Tiere toden) haben ein weites Nahrungsspekt- leben vor allem in Wäldern und ernäh- rum und machen Jagd auf Bakterien und ren sich vorwiegend von abgestorbe- Einzeller. Mehrzeller wie sie sorgen vor ner organischer Substanz. Saftkugler allem für die Bereitstellung von Stick- sind wichtige Zersetzer und können stoff, den sie durch Verdauung der klei- bis zu elf Jahre alt werden. neren Lebewesen freisetzen. Auch Springschwänze, Milben oder Klein- ringelwürmer sind Teil der Mesofauna des Bodens und nehmen unterschiedliche Aufgaben wahr. Während Kleinringel- würmer den Boden durchwühlen und so durchmischen, sind Springschwänze und Milben eher für die weitere Zersetzung von Pflanzenmaterial zuständig und da- Springschwanz mit wichtig für die Humusbildung. Megafauna: fleißige Wühlarbeiter Susanne Theiß Schon auf mikroskopischer Ebene geht es also richtig zur Sache. Hier wird zersetzt, die Lebensgemeinschaft im Boden. Wühl- und Spitzmaus. gefressen, attackiert. Und das tut dem Der Tauwurm (Lumbricus terrestris) ist einer Sie stehen am Ende Boden gut! Die etwas größeren Bodenle- von 46 Regenwurmarten in Deutschland der Nahrungskette im bewesen stehen dem in nichts nach. As- und uns gemeinhin als „der Regenwurm“ Boden und sind allein durch ihre Größe seln, Spinnen, Schnecken, Käfer, größere bekannt. Ihm kommt eine zentrale Rolle exzellente Bodenmischer und -belüfter. Larven und Regenwürmer, die wir nun im Ökoysystem zu: Er ist mit bis zu 30 So schließt sich der Kreis im Ökosystem Bo- endlich mit bloßem Auge beobachten Zentimetern Länge der größte Bodenbe- den. Hier hat jedes Lebewesen seinen Platz können, sind weitere wichtige Spielfigu- wohner und sorgt für Fruchtbarkeit, in- – ob kleiner Einzeller oder großer Wurm, ren im Ökosystem Boden. dem er den Boden umgräbt, durchlüftet ob an der Erdoberfläche oder tief an der Asseln lieben Feuchtigkeit und sind daher und mit seinem Kot düngt. Pflanzenwurzel, ob Räuber oder Zerset- eher an der Bodenoberfläche aktiv. Käfer Seine langen, verzweigten Gänge, die sich zer. Die Welt unter unseren Füßen ist viel- und Tausendfüßer zersetzen organisches auch durch tiefere Erdschichten ziehen, fältig und faszinierend. Hinschauen lohnt Material und vergrößern so die Oberflä- sind wichtig für die Fähigkeit des Bodens, sich! Janna Einöder che, die Mikroorganismen besiedeln kön- Wasser zu speichern. Zum Weiterlesen: nen. Spinnentiere wie die Pseudoskorpio- Zu guter Letzt wohnen natürlich auch umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft; ne sind exzellente Jäger und regulieren so Wirbeltiere unter der Erde wie Maulwurf, bodenwelten.de; bodentierhochvier.de Der Gemeine Steinläufer ist ein Hundertfüßer und gehört damit ebenfalls zu den Tausendfüßern – obwohl das zwei bis drei Zentimeter lange Tier es gerade einmal auf 15 Beinpaare bringt. Steinläufer verstecken sich tagsüber unter Steinen oder in der Laubstreu, um nachts auf Jagd zu gehen. Ihre Opfer – Insekten, Spinnen und andere Gliederfüßer – packen sie mit ihren Kieferfüßen und erledigen sie mit einem Giftbiss, der übrigens auch für Menschen schmerzhaft sein kann. NATUR IN BERLIN 4/21
10 | SCHWERPUNKT Mit Füßen getreten Wie wir unsere Böden heilen können T rocken ist es geworden in Berlin wechselt, bis sie als Moleküle verschie- Instituts: Landwirtschaftlich genutzte und Brandenburg. Immer öfter denster Art wieder freigesetzt werden, Böden sind der größte terrestrische scheint aller Regen auf einmal die wir unter dem Begriff Huminstoffe Humusspeicher in Deutschland, doch fallen zu wollen wie im Sommer 2017, zusammenfassen. ihre Humusvorräte fallen besonders in als sich die Felder bei Oranienburg für Zusammen mit den Zellüberresten den ostdeutschen Sandböden und unter mehrere Monate in Ententeiche ver- von Billiarden Bakterien und Pilzen konventioneller Bewirtschaftung ge- wandelten. kleben diese Ausscheidungen den mi- ring aus oder nehmen ab. Als trockenstes Bundesland erreicht neralischen Anteil des Bodens und die Brandenburg gerade noch den Orien- organische Bodensubstanz aneinander Regenerative Landwirtschaft tierungswert von 500 Millimetern Jah- und verleihen ihm so seine Krümel- Wir müssen lernen, die ursprünglichen resniederschlag – unterhalb davon spei- struktur. Diese sogenannten Bodenag- Humusvorräte wiederherzustellen, um chert der sandige Boden längerfristig gregate machen den Boden locker, so- die Wasser- und Nährstoffspeicherfä- nicht mehr genug Wasser für die Wäl- dass Pflanzen ihn gut durchwurzeln, higkeit der Böden zu regenerieren. Ne- der, und das Land droht zu einer Step- Luft in ihn eindringen und überschüs- benbei lassen sich so bedeutende Men- pe zu werden. siger Regen ins Grundwasser ablaufen gen CO2 aus der Atmosphäre zurück in Die Wasserarmut wird zur Achillesfer- kann. In ihrem Inneren aber speichern den Boden holen und so die Ursachen se der Landwirtschaft. Glimpflich durch sie pflanzenverfügbares Wasser und des Klimawandels bekämpfen. die trockenen Jahre gekommen sind vor Nährstoffe. Humusreicher Boden ist Weil wir aber nicht gewaltige Mengen allem jene Landwirt*innen, die mit hu- tiefbraun, krümelig und fruchtbar. Humus auf die Äcker karren können musreichen Böden gesegnet sind oder und weil er dort auch schnell wieder ab- gute Humusanreicherung betrieben ha- Stetiger Auf- und Abbau gebaut wäre, wenn wir den Boden nicht ben. Denn im Boden spielt Humus eine Der Humus existiert aber nicht ewig. schonend behandeln, gibt es nur eine unverzichtbare Rolle bei der Speiche- Aus ihm wird wieder CO2, das dann Möglichkeit: Die Böden müssen in die rung von Wasser und Nährstoffen. erneut von Pflanzen zum Aufbau ih- Lage versetzt werden, selbst mehr Hu- Humus ist eine Mischung aus Resten rer Biomasse aufgenommen wird. Das mus zu produzieren und zu behalten. von Pflanzen, Tieren und Mikroorga- Gleichgewicht dieses stetigen Auf- und Dauerbegrünung, der Einsatz von Kom- nismen in allen möglichen Stadien des Abbaus bestimmt die natürlichen Hu- post, Pflanzenfermenten und Pflanzen- natürlichen Abbaus. Aus Fragmenten, musvorräte unserer Böden. kohle sowie extensive Weideviehhal- die man mit bloßem Auge noch gut als Doch den zugrundeliegenden Kreislauf tung sorgen dafür, dass mehr Humus Überbleibsel bestimmter Lebewesen er- hat die Menschheit unterbrochen. Mit in den Boden kommt. Der Verzicht auf kennen kann, werden nach und nach unseren Nutzpflanzen entnehmen wir Pflügen und Pestizide schont das Boden- feinere, gestaltlose Partikel, die wie Material vom Acker und bringen es leben sowie die Bodenstruktur, sodass Platzhalter die Struktur des Bodens auf- nicht wieder zum Verrotten zurück. Humus länger gespeichert wird. lockern. Das Gleichgewicht verschiebt sich vom Die konventionelle Landwirtschaft er- Auch diese Partikel werden fortwäh- Humus hin zum atmosphärischen CO2. reicht mit ihrem Versuch, maximal viel rend von der Bodenfauna gefressen Die Konsequenzen daraus zeigen Daten Biomasse aus dem Boden herauszuho- und von Einzellern und Pilzen verstoff- des agrarwissenschaftlichen Thünen- len, indem sie Pestizide einsetzt, vor NATUR IN BERLIN 4/21
SCHWERPUNKT | 11 allem mineralisch düngt und den Bo- Das kleine Kompost-Lexikon den pflügt, leider häufig das Gegenteil. Gelingt hingegen der Humusaufbau, können wirtschaftliche und ökolo- gische Erfolge Hand in Hand gehen. Eine Studie der South Dakota State Uni- versity wies anhand von jeweils zehn konventionell und mit regenerativen Methoden bewirtschafteten Maisäckern Terra preta, Bokashi & Co. nach, dass sich viel Humus im Boden Wer einen Kompost anlegen will, von Wasser und Nährstoffen begün- auch finanziell auszahlt. kann damit gut im Herbst beginnen, stigt. Außerdem soll es das Pflanzen- wenn das Laub von den Bäumen fällt wachstum fördern und die Pflanzen ge- Mehr Humus, weniger Schädlinge und viel Schnittgut vorhanden ist. gen Schädlinge schützen. Bei Tomaten Auf regenerativ bewirtschafteten Das Thema Kompostierung hat zu- wird Gesteinsmehl gegen Krankheiten Äckern traten im Rahmen der Studie letzt viel Aufmerksamkeit gewonnen, auch direkt über die Blätter gestäubt. weniger Probleme mit Schädlingen auf, da Gartenarbeit in Zeiten von Corona weil eine breite Artenvielfalt Schadin- im Trend liegt. Längst gibt es nicht sekten und Pflanzenkrankheiten redu- mehr nur den guten alten Kompost- Terra preta Aus dem Portugiesischen zierte. Dauerhafte Pflanzenbedeckung, haufen, sondern neue Verfahren für für „Schwarze Erde“. Ursprünglich die Nutzung als Freilandweide sowie den besten Kompost (auch für den aus dem Amazonas-Gebiet stammende der Verzicht aufs Pflügen gingen zudem Balkon!) und damit auch neue Begriff- Idee. dabei wird Erde mit Kohle, Kno- mit höheren Humusvorräten und einer lichkeiten. Hier ein kleiner Überblick. chenresten und Kompost gemischt. Auf intakten Bodenstruktur einher. diese Weise gelang es den Ureinwoh- Am Ende hatten die Bauern, die regene- Bokashi Ein aus Japan stammendes nern Amazoniens, die mageren Regen- rative Landwirtschaft betrieben, trotz Verfahren, bei dem aus Küchenabfäl- waldböden fruchtbar zu machen. Auch der um etwa 30 Prozent niedrigeren len und Mikroorganismen Pflanzen- in Deutschland sucht man nach der Produktivität mehr Geld in der Tasche, dünger erzeugt wird. Dafür braucht perfekten Terra-preta-Mischung, die weil sie geringere Ausgaben für Pesti- man einen luftdicht verschließbaren sehr unterschiedlich zusammengesetzt zide, Dünger und Bewässerung sowie Eimer, in den unbehandelte Küchen- sein kann. Wichtigster Bestandteil ist höhere Markteinnahmen für ihre Bio- abfälle gefüllt werden. Anschließend jedoch Holz- oder Pflanzenkohle, da die produkte verzeichneten. fügt man eine Mischung aus so ge- poröse Kohle eine große Oberfläche hat Ob sich dieser Vorteil auch in der EU nannten Effektiven Mikroorganismen und Wasser gut bindet. manifestiert, die mit ihrer Gemein- hinzu, die in der Regel Milchsäure- samen Agrarpolitik ein mächtiges För- bakterien, Hefen und Photosynthese- Hügelbeet Ein mehrschichtiges, derinstrument zum Umbau der Land- bakterien enthält und als Pulver vor- schräg abfallendes Hochbeet aus orga- wirtschaft besitzt, bisher aber vor allem liegt, und verschließt den Eimer. Die nischem Material, das im Kern grobe konventionellen Anbau fördert, gilt es Abfallmischung fermentiert, und in- Überreste wie Astschnitt und außen herauszufinden. In jedem Fall dürfte nerhalb weniger Wochen entsteht ein feinere Bestandteile enthält. Durch die- regenerative Bewirtschaftung CO2 aus biologischer Pflanzendünger. se Anordnung zersetzt sich das Materi- der Atmosphäre binden und die Wider- al unterschiedlich schnell und setzt bei standsfähigkeit der Böden verbessern. Wurmkiste Holzkiste mit Regen- der Verrottung Wärme frei, was viele Sie wird die Böden aber nur dann über- würmern für den Balkon. Ähnlich Gemüsearten schätzen. Wegen seiner all wiederherstellen können, wenn die wie beim Bokashi werden unbehan- schrägen Hänge bietet ein Hügelbeet Politik die Konkurrenz durch boden- delte Küchenabfälle in die Kiste gege- zudem ein Drittel mehr Anbaufläche schädigende landwirtschaftliche Prak- ben, die in diesem Fall Kompostwür- als ein klassisches Hochbeet und dazu tiken systematisch bekämpft. Zudem mer (Gattung Eisenia, keine normalen verschieden stark besonnte Bereiche müssen sich genügend Menschen die Regenwürmer!) enthält. Nach einiger für Pflanzen mit unterschiedlichen Be- hochwertigen Lebensmittel auch lei- Zeit sollten die Würmer das Material dürfnissen. Es eignet sich daher perfekt sten können. zersetzt und in Humus verwandelt für Mischkulturen. Während sonst die Forschung oft The- haben, der sich dann weiterverwen- men erörtert, die in der Praxis noch den lässt. Da die Kiste lebende Wür- Permakultur Aus den Worten „perma- wenig bekannt sind, sieht es in der re- mer enthält, die unter anderem nicht nent“ und „agriculture“ zusammenge- generativen Landwirtschaft anders aus: austrocknen dürfen, bedarf sie regel- setzt ist Permakultur eine Anbauweise Zahlreiche Bauern praktizieren bereits mäßiger Zuwendung. oder Philosophie, die auf Langfristigkeit einen Aufbau ihrer Humusvorräte, mei- und natürlichen Kreisläufen basiert. stens in der Biolandwirtschaft, teilwei- (Ur-)Gesteinsmehl Pulver aus Dabei sollen Gemüse und andere Nutz- se aber auch unter konventionellem La- verschiedenen Gesteinen wie Beto- pflanzen nach der Pflanzung ohne stän- bel. Das ist ein guter Anfang. nit, Basalt, Lava oder Quarz. Viele dige gärtnerische Eingriffe gedeihen Frederick Büks Gärtner*innen schwören auf Gesteins- nach dem Motto: „Man macht Perma- Unser Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im mehl, da es in den Boden eingebracht kultur nicht, sondern man nutzt Pro- Fachgebiet Bodenkunde der TU Berlin. – ähnlich wie Kohle – die Speicherung dukte, die sie hervorbringt.“ je NATUR IN BERLIN 4/21
12 | SPEKTRUM „Wir können nicht ganze Ökos Der Biologe und Buchautor Bernhard Kegel über prähistorisc Sie haben sich mit den Ergebnissen der heute größere Schnäbel als bei Museums- vorstellen, dass wir mal an einen Punkt relativ jungen Forschungsdisziplin der exemplaren derselben Art. kommen, wo wir dankbar für Neophyten climate change biology befasst. Was hat sein müssen. Weil sie dann möglicherwei- Sie dabei am meisten überrascht? Welche Rolle spielt der Klimawandel be- se die einzigen Arten sind, die verwaiste Zum einen die Erkenntnis, dass es in der reits heute für das Artensterben? Lebensräume wieder füllen können. Erdgeschichte eine ganze Reihe Klimaver- Ganz eindeutig ist der Klimawandel da änderungen gegeben hat, die in vergleich- bislang von untergeordneter Bedeutung, In Berlin werden immer mehr wärme- barer oder noch schnellerer Geschwin- auch wenn er in den letzten Jahrzehnten liebende Insekten heimisch, etwa die digkeit abliefen wie heute. Zweitens, dass zunehmend eine Rolle gespielt haben Blaue Holzbiene. Führt der Klimawan- sich aus dem Permafrost lebende Mikro- mag. Aber im großen und ganzen sind die del bei uns vielleicht sogar zu einer grö- organismen gewinnen lassen. Das ist Zerstörung von Lebensräumen, Fragmen- ßeren Artenvielfalt? schon ziemlich unheimlich. tierung, intensive Landwirtschaft, Urbani- Das kommt auf den Zeithorizont an. Stu- sierung, all diese bekannten Phänomene dien betrachten gewöhnlich den Zeit- Die nächste Pandemie könnte also aus viel wirksamer gewesen. Das Problem raum bis 2050 oder vielleicht 2100. Da ha- der Arktis kommen? ist aber: Auf diese schwer angeschlagene ben wir tendenziell wahrscheinlich eine Das würde ich nicht ausschließen. Es Tier- und Pflanzenwelt trifft jetzt oben- höhere Artenvielfalt, weil die alten Arten gab in Sibirien schon einmal einen Milz- drein der Klimawandel. Wobei da vermut- noch da sind, während neue dazukom- brandausbruch, bei dem nicht klar war, lich nicht so sehr die langsam steigenden men. Aber ich glaube nicht, dass das ein wo der Erreger herkam. Durchschnittstemperaturen das Problem dauerhafter Zustand sein wird. sein werden, sondern Extremereignisse, Mich hat vor allem die Aussage über- die lokal das Unterste zuoberst kehren. Inwieweit können Arten in kühlere Le- rascht, dass eine wärmere Welt eine Wir haben ja mit dem Wald erlebt, was bensräume ausweichen? hungrige Welt ist. Warum ist das so? zwei trockene Jahre anrichten können. In früheren Wärmephasen sind Pflanzen Die Aussage bezieht sich auf Studien aus und Tiere immer polwärts und bergauf den USA, wo man sehr gut erhaltene Fos- Aber sind nicht eher die vielerorts mi- gewandert. Das konnten sie damals auch silien aus der Zeit vor etwa 50 Millionen serablen Praktiken der Forstwirtschaft tun, weil sie weite, unberührte Landschaf- Jahren findet. Damals gab es einen abrup- Schuld am „Waldsterben 2.0“? ten vorfanden. Aber wir haben die Land- ten Temperaturanstieg von sechs bis sie- Darüber reden wir ja schon seit Jahr- schaft komplett umgewandelt. Wir haben ben Grad. In dieser Zeit wurden die Ur- zehnten. Monokulturen sind anfällig ge- Monokulturen angepflanzt, die für viele pferde, die dort lebten, viel kleiner. Das genüber extremen Ereignissen. Solange Tiere No-go-Areas sind, wir haben lineare waren nur noch halbe Portionen. Eine das Klima noch mitgespielt hat, war das Strukturen wie Autobahnen, die die Land- mögliche Erklärung ist, dass die Pflanzen, kein Problem. Jetzt bricht das System zu- schaft durchschneiden, und Stadtgebiete, die in dieser Wärmephase gediehen, eine sammen. Allerdings kriselte in den Dürre- die so groß wie Mittelgebirge sind. Man schlechtere Nahrungsqualität hatten. jahren auch die Buche, die ja immer als kann sich lebhaft vorstellen, dass eine sol- Hoffnungsträgerin galt. Die Buchen litten che Wanderung, die ja eher ein langsames Gibt es heute ähnliche Beobachtungen? vielerorts offenbar unter direkten Hitze- Vorantasten auf der Suche nach neuen Le- Tatsächlich gibt es Hinweise, dass sich schäden. bensräumen ist, heute nicht mehr ohne bei manchen Vögeln und Fischen be- weiteres stattfinden kann. reits Körpergröße und Gestalt verändern. Halten Sie es für eine gute Idee, bei der Man würde zum Beispiel erwarten, dass Wiederaufforstung auf nicht einheimi- Wovon hängt es ab, ob eine Art sich an in einem heißeren Klima die Körperan- sche „Klimabäume“ zu setzen? Klimaveränderungen anpassen kann? hänge wie Ohren, Schnäbel, Schwänze Vor zehn Jahren hätte ich rundweg nein Das hängt von ihrer genetischen Ausstat- größer werden, damit die Tiere mehr gesagt. Die Probleme, die man sich mit tung ab und von ihrer Fähigkeit, plastisch Körperwärme an die Umgebung abge- Neophyten einhandelt, sind potenziell so auf Umweltveränderungen zu reagieren. ben können. Und genau das beobachtet groß, dass man diese Gefahr nicht einge- Wir kennen ja von Pflanzen, dass sie an man tatsächlich. Bei bestimmten aus- hen sollte, wenn es einheimische Alterna- unterschiedlichen Standorten verschie- tralischen Papageien findet man etwa tiven gibt. Inzwischen kann ich mir aber dene Wuchsformen zeigen, dass sie mal NATUR IN BERLIN 4/21
SPEKTRUM | 13 ysteme am Tropf erhalten“ he Klimaschwankungen und die Natur der Zukunft groß, mal klein sind, mal früher oder spä- tige Tier- und Pflanzenwelt zumindest in Bernhard Kegel studierte Chemie und ter blühen. Das sind Anpassungen an lo- Teilen überlebt. Das heißt, wir müssen Biologie an der FU Berlin. Er forschte kale Bedingungen. Aber diese Flexibilität Grünkorridore schaffen, auf denen die- über Käfer und arbeitete als ökologi- hat Grenzen. Ein spektakuläres Beispiel Wanderungen stattfinden können. Zwei- scher Gutachter und Lehrbeauftrag- dafür sind die Massensterben von Flug- tens müssen wir uns gegenüber zuge- ter. Später veröffentlichte er zahlrei- hunden in Australien. Für Flughunde ist wanderten Arten tolerant erweisen. Wir che Sachbücher, unter anderem „Die bei 42 Grad Schluss. Sie können sich of- haben nicht die Wahl, wer da kommt, ob Ameise als Tramp“ fenbar nicht an höhere Temperaturen das spektakuläre Arten wie Bienenfresser über invasive Ar- anpassen, obwohl sie auch früher immer und Gottesanbeterin sind oder Tigermos- ten, „Tiere in der mal wieder so hohen Temperaten ausge- kito und neue Zeckenarten. Man mag Stadt“, „Käfer“ setzt waren. da in Einzelfällen eingreifen, aber im und aktuell „Die Großen und Ganzen müssen wir diesen Natur der Zukunft“ Städte sind ja Wärmeinseln. Ist die Ab- und Zuwanderungsprozess tolerie- (Dumont Verlag Stadtnatur mit ihrem oft merkwür- ren, um den Überlebenskampf der Ar- 2021, 384 Seiten). digen Artenmix eine Art Prototyp der ten nicht noch zu erschweren. „Natur der Zukunft“? Nein. Aber sie wird ein Ausgangspunkt Sonst können wir nichts tun? Was empfinden Sie persönlich ange- für die Besiedlung des Umlands sein. Entscheidend ist, dass wir die bestehen- sichts all dieser Veränderungen? Wir haben hunderte wärmeliebende de Vielfalt erhalten. Vielfalt ist eine Art Ich hatte beim Schreiben meines Buch Arten, die bislang nur in Städten leben Sicherheitsnetz, um die Stabilität eines schon manchmal Schwierigkeiten, mei- können. Das sind natürlich hauptsäch- Ökosystems zu gewährleisten. Wir ne Zuversicht und gute Laune zu behal- lich Neophyten. Es ist ganz klar abzuse- sollten uns deshalb auch bemühen, ten. Das ist alles nicht besonders erfreu- hen, dass sich diese Arten aus den Städ- verlorene Vielfalt wiederherzustellen, lich. Aber es gibt auch Hinweise darauf, ten heraus ausbreiten werden. zum Beispiel indem wir Flächen aus dass die Natur vielleicht gar nicht so der Nutzung nehmen, Monokulturen anfällig ist, wie wir befürchten. So ha- Besteht dann nicht die Gefahr, dass in Mischwälder umwandeln oder Berg- ben Forscher an Gründlandparzellen riesige Monobestände von Arten wie baufolgelandschaften renaturieren. die Folgen des Klimawandels simuliert. dem Götterbaum entstehen? Sie haben die Versuchsflächen extremer Auf gestörten Standorten schon, aber Wie können wir besonders gefähr- Dürre ausgesetzt, bis oberirdisch alles in stabilen Lebensgemeinschaften kön- deten Arten wie Amphibien helfen? tot war. Aber sobald es wieder Wasser nen Neophyten nicht so einfach Fuß Das ist ein schwieriger Fall. Das Pro- gab, war die Vegetation zurück, wenn fassen. Auch deshalb müssen wir natür- blem der Amphibien sind ja die Klein- auch in veränderter Form. Sie haben liche Lebensgemeinschaften außerhalb gewässer, die verschwinden. Das eine die Natur einfach nicht tot gekriegt. der Städte möglichst vielfältig erhalten. oder andere Gewässer werden wir ret- Wir haben bei Neophyten aber immer ten oder sogar neu anlegen können, Könnte das System Erde Kipppunkte die Tendenz dazwischenzuhauen, statt aber wir können nicht ganze Ökosy- überschreiten, sodass gar kein hö- zu schauen, was entwickelt sich da ei- steme auf Dauer am Tropf erhalten. heres Leben mehr existieren kann? gentlich? Ich nehme nicht an, dass sol- Menschen wollen immer gern den Zu- Das halte ich für möglich. Die Erde hat che Reinbestände auf Dauer existieren, stand bewahren, den sie kennen und schon die unterschiedlichsten Extrem- aber das müsste man beobachten. ihr Leben lang gekannt haben. Die situationen erlebt. Es gab zum Beispiel größte Herausforderung ist vielleicht, die Schneeball-Erde, als auf der Erd- Welche Schlüsse sollten Naturschützer diese Veränderungen in unseren Köp- oberfläche wahrscheinlich nichts lebte, aus den Erkenntnissen der climate change fen nicht nur als totale Zerstörung zu nur im Wasser. Aber ich glaube nicht, biology ziehen? empfinden, sondern zu akzeptieren. das wir so etwas als Folge dieses Klima- Zum einen müssen wir die Verschie- Statt die Frösche zu beklagen, sollten wandels erleben werden – weil wir zwar bungen der Verbreitungsgebiete ermögli- wir uns an den Eidechsen erfreuen, die viel zu langsam, aber doch reagieren. chen, wenn wir wollen, dass unsere heu- statt dessen bei uns herumwuseln. Interview: Alexandra Rigos NATUR IN BERLIN 4/21
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