Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher

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Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
Ausgabe 4/2021

              Natur in Berlin
                               Mit dem Exkursionsprogramm
                                     von Dezember bis März

Kosmos im Untergrund
Der Boden – Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
LIEBE MITGLIEDER,
                                                                                                                         AKTUELLES       
LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DES NABU,                                                                                  Neues vom Flughafensee                                            3
                                                                                                                         Blumen statt Kippen                                               4
                                        wir treten ihn buchstäblich mit Füßen                                            Kommentar                                                         5
                                        und bekommen kaum etwas mit von dem                                              Exkursion in die Lausitz                                          6
                                        turbulenten Leben, das sich im Boden                                             Storchenschmiede                                                  7
                                        abspielt. Auf Seite 6 stellt Ihnen unsere
                                        Pressereferentin Janna Einöder die wich-                                         SCHWERPUNKT BODEN

                                        tigsten Artengruppen von Wimpertierchen                                          Wunderwelt der Bodenfauna                                         6
                                        bis Springschwanz vor.                                                           Boden und Klima                                                   8
                                                                                                                         Kleines Boden-Lexikon                                             9
                                        Noch immer wissen wir viel zu wenig über
                                        die Biodiversität im Erdreich und ihren
                                                                                                                         SPEKTRUM
                                        Zustand. So liegt in Berlin für keine einzige
                                                                                                                         Interview: Natur im Klimawandel                                  10
                                        Artengruppe im Boden eine Rote Liste vor.
                                                                                                                         Gefährliches Feuerwerk                                           12
                                        Dass es den Organismen unter Tage nicht
                                        sonderlich gut gehen kann, liegt auf der                                         NABU VOR ORT
                                        Hand, haben wir doch unsere Böden                                                Nistkastenreinigung im Tiergarten                                15
                                        schändlich behandelt. Dadurch ist der
                                        Humus- (und damit Kohlenstoff-)anteil                                            BERLINER MITBEWOHNER
landwirtschaftlich genutzer Böden stark gesunken, wie unser Autor Frederick                                              Der Steinschmätzer                                               16
Büks auf Seite 8 schildert. Unsere Böden zu regenerienen, ist daher ein wichtiger
Beitrag zum Klimaschutz und darf nicht im Zuge einer einseitigen Fixierung auf                                           TERMINE UND KONTAKTE                                             17
die Energiewende in Vergessenheit geraten. Man kann es nicht oft genug wieder-
holen: Klimaschutz funktioniert nicht ohne Naturschutz.
Natürlich ist nicht allein die Landwirtschaft das Problem: Mit jedem Quadratme-
ter Boden, der unter Beton und Asphalt verschwindet, werden Abermillionen klei-
ner und kleinster Lebewesen vernichtet, die allesamt wichtige Ökosystemdienst-
leister sind. Auch deshalb wäre es angezeigt, die überzogenen Neubaupläne des                                            Immer wieder unterstützen uns Naturfreund*innen
Berliner Senats zu hinterfragen. Ein anderer Grund ist wiederum der Klimaschutz,                                         ehrenamtlich auf ungewöhnliche Weise – zum Beispiel
den sich ja alle Parteien auf die Fahnen geschrieben haben: Schätzungen zufolge                                          durch Korrekturlesen oder grafische Arbeiten. So hat
gehen 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen auf den Bausektor zurück. CO2-                                            die Künstlerin Xenia Schmidt unentgeltlich das Cover
Neutralität anzustreben und zugeich mit aller Kraft die Versiegelung voranzutrei-                                        dieser Ausgabe gestaltet. Xenia Schmidt hat in San
ben, ist deshalb einfach widersinnig.                                                                                    Francisco Kunst studiert und arbeitet seit 2008 als freie
                                                                                                                         Illustratorin und Malerin in Berlin. Beispiele Ihrer Arbeit
Mit besten Grüßen                                                                                                        kann man auf www.xeniaschmidt.com bewundern.
                                                                                                                         Dieses Bild heißt „Winterfuchs“.

1. Vorsitzender NABU Berlin

                                                                                                                                                                                   IMPRESSUM
NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin; 1. Vorsitzender: Rainer Altenkamp, 2. Vorsitzende: Kerstin Brümmer, Geschäftsführung: Melanie von Orlow ; www.nabu-berlin.de,
www.facebook.com/NABU-Berlin; Redaktion: Rainer Altenkamp (V.i.S.d.P.), Alexandra Rigos (ar); Layout: Alexandra Rigos; Schlussredaktion: Alexandra Vogels; Redaktionelle Beiträge:
Frederick Büks, Janna Einöder, Stephan Härtel, Lisa Hörig, Paul Krüger, Britta Laube, Matthias Mundt, Hanna Miethner, Ansgar Poloczek, Annette Prien, Elisa Sievers, Alexandra Rigos,
Christine Szyska; Anzeigendaten: NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin, Tel.: (030) 9860837-18, arigos@nabu-berlin.­de; Mediadaten unter www.nabu-berlin.de; Erschei-
nungsweise: vierteljährlich; Nächster Redaktionsschluss: 04.02.22, nächster Veranstaltungszeitraum: März - Juni 2022; Papier: 100% Recycling, Auflage: 17.000, Druck: Dierichs
Druck + Media GmbH, Kassel; Bildnachweis: Titel: Xenia Schmidt, S.2: Rainer Altenkamp: Carmen Baden, Winterfuchs: Xenia Schmidt, S.3: Insektenhotel: Lily Schneider, Flughafensee:
Ronald Kroth, S. 4: Müllaktion: Nadja Bedolla-Schwarzenberg, Seidenbiene: Spacebirdy/wikimedia.de, Aktion Spandau: BG Spandau, Uferschwalben: Klemens Karkow, S. 5: Alexand-
ra Rigos: Max Noack/NABU Berlin, Elisa Sievers: Ruth Lankeit, S.6: Alle Bilder: Annette Prien, S. 7: Alle Bilder: Sandra Becker, S. 8: Regenwürmer: Witaya Proadtayakogool/shutterstock.
com, Pseudoskorpion: Andy Murray/wikimedia.de, Wurzelknöllchen: Ninjatacoshell/wikimedia.de, S. 10: Saftkugler: Dan Olsen/shutterstock.com, Steinläufer: Holger Krisp/wikimedia.
de, Springschwanz: Gilles San Martin/wikimedia.de, S. 11: Keimling: kram-9/shutterstock.com, S. 12 Sterbende Bäume: pics_kartub/pixabay.com, S. 13: Bernd Kegel: Franziska Hauser,
S. 14: Feuerwerk: Nathan Wright/pixabay.com, S.15: Nistkastenreinigung, Nest: Christine Szyska, S.16: Steinschmätzer: Hartmut Mletzko, Tempelhofer Feld: Alexandra Rigos, S. 17: Am-
phibien-Aktion: Jens Scharon, U4: Grafik: Ruth Lankeit; Hinweise der Redaktion: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die
Redaktion behält sich Kürzungen und Bearbeitung von Beiträgen vor. Der NABU Berlin haftet nicht für unverlangt eingesandte Beiträge. Das Magazin und alle in ihm enthaltende Beiträge
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NATUR IN BERLIN 4/21
Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
AKTUELLES | 3

Ein Hochhaus für Insekt und Igel
Aktive errichten „Biodiversitätstower“ auf dem Tempelhofer Feld
                                                                        er      konzipiert,   in unterschiedliche Hölzer zu bohren,
                                                                        auf dem Tem-          lassen sich gut in Schulen, Tagesstätten
                                                                        pelhofer Feld er-     oder anderen Bildungseinrichtungen
                                                                        richtet und mit       durchführen.
                                                                        Unterstützung         Der Bereich um den Biodiversitätstower
                                                                        vieler freiwilliger   wurde mit verschiedenen Sandkör-
                                                                        Helfer*innen am       nungen als „Sandarium“ für bodenbe-
                                                                        „Langen Tag der       wohnende Insekten angelegt. Darüber
                                                                        Stadtnatur“ aus-      hinaus bietet das Turmfundament Nist-
                                                                        gebaut hat.           und Überwinterungsmöglichkeiten für
                                                                        Ziel war es, ein      Igel und Klein-säuger. An den Stirnseiten
                                                                        möglichst breites     im oberen Bereich der Konstruktion be-
                                                                        Spektrum       von    finden sich Brutmöglichkeiten für Vögel.
                                                                        Tierarten mit viel-   Ein Gründach, das mit bienenfreund-
                                                                        fältigen Nistange-    lichen Pflanzen begrünt ist, schützt die
                                                                        boten zu unter-       ganze Konstruktion.
                                                                        stützen.              Am „Langen Tag der Stadtnatur“ wa-
                                                                        Das Konzept be-       ren auch Kinder zwischen vier und 14
                                                                        ruht auf einem        Jahren mit Begeisterung dabei, Lehm-,
                                                                        Baukastenprin-        Holz- und Schilfstrukturen in den Pa-
                                                                        zip, bei dem sich     letten-Turm einzubringen. Da sich die
                                                                        die einzelnen Ele-    Teilnehmer*innen beim Bau eines sol-
  Viele Kinder machten mit am „Langen Tag der Stadtnatur“.              mente passgenau       chen Towers sowohl mit den natürlichen
                                                                        austauschen und       Materialien als auch den Bedürfnissen
                                                                        variieren lassen.     der angesprochenen Tierarten auseinan-
Um dem Artensterben entgegenzuwir-                Grundbausteine sind Europaletten, die       dersetzen, eignet sich das Konzept gut als
ken, bedarf es nicht immer großer Pro-            aufgestapelt einen etwa 1,7 Meter hohen     umweltpädagogische Maßnahme.
jekte. Auch auf kleinem Raum im ur-               Turm ergeben. Die dabei entstehenden        Wir erwarten nun mit Spannung, wel-
banen Umfeld lässt sich einiges für die           Fächer werden mit unterschiedlichen         che der geschaffenen Niststrukturen in
Erhaltung der Artenvielfalt erreichen.            Nistmaterialien für Wildbienen, Wespen      der kommenden Saison angenommen
Das wollte der Hymenopterendienst                 und andere Insekten ausgestattet.           werden. Bei Detailfragen können Sie sich
des NABU Berlin mit seinem „Biodiver-             Das Befüllen kann vor Ort stattfinden;      gerne an uns wenden.          Stephan Härtel
sitätstower“ anschaulich machen, den              andere Vorarbeiten, zum Beispiel Löcher                    kontakt@hymenopterendienst.de

Licht und Schatten am Flughafensee
Was hat die NABU-Petition für die Natur in Tegel bewirkt?
Ein Dreivierteljahr ist vergangen, seit        Dennoch war unser Einsatz wichtig,             dehals führen würde. Der NABU Berlin
wir unsere Petition „Rettet das Naturpa-       denn der Naturschutz gewann einen              wird die Planungen weiter aufmerksam
radies am Flughafen Tegel“ mit 10.181          spürbar höheren Stellenwert im Pla-            und kritisch begleiten.
Unterschriften an die damalige Umwelt-         nungsprozess. So konnten wahnwitzige           Am Flughafensee konnten die NABU-
senatorin Regine Günther überreicht            Ideen wie die Verlegung der Badestel-          Aktiven in diesem Jahr zwei seltene Gä-
hat. Was ist seither passiert? Immerhin        le ans Südufer des Flughafensees – also        ste beobachten: Von Juni bis September
hat die Senatsverwaltung für Umwelt,           mitten in das Vogelschutzreservat – zum        tummelte sich ein Wiedehopf im Reser-
Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) für           Glück abgewendet werden. Auch wird             vat, und ein Fischadler rastete im Spät-
den nächsten Haushalt Mittel für zu-           wohl der schützende Zaun um das Reser-         sommer in der Flachwasserzone.
sätzliche Stellen zur Ausweisung von Na-       vat erhalten bleiben.
turschutzgebieten beantragt. Allerdings        Unzufrieden ist der NABU Berlin hin-
wird dieser Haushalt wegen der Wahlen          gegen mit den Plänen für die „Tegeler
erst im kommenden Sommer beschlos-             Stadtheide“ auf dem Rollfeld: Hier sehen
sen – zunächst einmal passiert also wei-       die Landschaftsarchitekt*innen ein viel
terhin nichts, während die Planungen           zu dichtes Wegenetz vor, das zu empfind-
für das ehemalige Flughafengelände             lichen Störungen der Heideflächen und
munter weitergehen.                            ihrer Bewohner wie Feldlerche und Wen-          Am Flughafensee

                                                                                                                        NATUR IN BERLIN 4/21
Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
4 | AKTUELLES / MEINUNG

                                                                   Blumen statt Kippen
                                                                   Müllsammelaktion am Müggelsee
                                                                    Am „Langen Tag der Stadtnatur“ Mitte September rief die NABU-
                                                                    Gruppe Treptow-Köpenick zusammen mit dem Team von „Clean
                                                                    Up Trepnick“ zu einer Aufräumaktion am Spreetunnel in Fried-
                                                                    richshagen und am Biergarten Rübezahl auf. Die Devise lautete:
                                                                    Blumen statt Kippen! Passant*innen erhielten Müllbeutel, Greif-
                                                                    zangen sowie Handschuhe und zogen los, um Müll in der Umge-
                                                                    bung des Müggelsees aufzulesen. Ihre Beute durften sie anschlie-
                                                                    ßend gegen ein Päckchen Blumensamen tauschen. Nicht alles,
                                                                    was man auf die Erde wirft, muss ihr schließlich schaden
                                                                    Der gesammelte Müll wurde von der Berliner Stadtreinigung ab-
                                                                    geholt und fachgerecht entsorgt – von der zerbeulten Bierdose
                                                                    über Verpackungsmüll, Angelschnüre bis zu Gartenabfällen, einer
                                                                    schimmelnden Matratze und unzähligen Kippen war alles dabei.
  Gefährliche Kippen: Müll vom Müggelsee                            Gearde Zigarettenkippen belasten Böden und Gewässer mit ihren
                                                                    toxischen Inhaltsstoffen und Mikroplastik enorm.             hm

Überraschung im Freibad                      Neue Bruthöhlen für Uferschwalben
Erfolgreiche Wildbienen-Kartierung
                                             Pflegeeinsatz auf Golfplatz in Spandau
Bürgerwissenschaftler*innen haben den
NABU Berlin erfolgreich bei der Erfassung
von Wildbienen-Niststätten unterstützt.
Im Frühjahr 2021 hatte unser Hymenop-
terendienst dazu aufgerufen, im offenen
Straßenland oder in Parks vorkommende
Nestansammlungen mit Hilfe von Fotos
und GPS-Koordinaten zu erfassen. Etwa 30
Standorte konnten so kartiert werden, da-
runter Niststätten der Weiden-Sandbiene,
der Hosenbiene und der Fuchsroten Sand-
biene. Nach der aktiven Flugperiode ver-
weilen die Nachkommen der Tiere mehr
als zehn Monate im Boden, wo sie bei Bau-
arbeiten oft übersehen werden. Besonders
spektakulär war eine Meldung aus dem
Sommerbad am Humboldthain: Hunderte
Nester der Frühlings-Seidenbiene (Colletes     Abstechen des Steilhangs
cunicularius) haben sich dort an sonnigen
Plätzen im Boden etabliert. Badegäste be-
kommen von den Hautflüglern allerdings       Im Frühjahr hatte die Bezirksgruppe
nichts mit, da die Tiere ihre Flugphase      Spandau eine sandige Steilwand auf dem
vor Beginn des Badebetriebs beenden. Im      ehemaligen britischen Golfplatz saniert,
                                                                                                                          Uferschwalben
nächsten Jahr wird der Hymenopteren-         in der Uferschwalben brüteten. Über die
dienst prüfen, ob auch andere Berliner       Jahre war der Hang abgebröckelt, sodass
Sommer- und Strandbäder wichtige Nist-       immer weniger Schwalben dort nisteten.         einen erfreulichen Bruterfolg der in Berlin
habitate für Wildbienen sind.           sh   Zehn fleißige Helfer rückten daher mit         sehr seltenen Uferschwalbe. Alle vier bis
                                             Spaten und Schubkarre der Sandwand zu          sechs Jahre muss eine solche Sandwand
                                             Leibe und stellten wieder eine glatte, senk-   wieder als Schwalbennistplatz hergerich-
                                             rechte Fläche her. Schon zwei Wochen spä-      tet werden. In einer natürlichen Umge-
                                             ter trudelten die ersten Uferschwalben aus     bung würden sich die Vögel immer wieder
                                             ihrem Winterquartier ein. Anfang Mai wa-       neue Brutstätten suchen.
                                             ren es dann schon 30 Exemplare. Im Juni        Die Uferschwalbe, unsere kleinste Schwal-
                                             konnten die Aktiven 62 beflogene Röhren        benart, legt ihr Nest am Ende von selbst
                                             zählen, im Juli sogar 96. Jede Menge Jung-     gegrabenen Brutröhren in Sand- und Erd-
                                             vögel und reger Flugbetrieb ließen sich be-    wänden an, die bis zu 60 Zentimeter tief
 Frühlings-Seidenbiene                       obachten. Ein kleiner Einsatz sorgte so für    sein können.                    Britta Laube

NATUR IN BERLIN 4/21
Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
AKTUELLES | 5

NABU Berlin setzt auf Umweltbildung                                                            kommentar
Neue Stelle im Landesverband geschaffen                                                        Verteilungskämpfe
Im Oktober zog mit Elisa Sievers der Be-       und nachhaltigen Handeln führen. Im             um das Stadtgrün
reich Umweltbildung in die Berliner NABU-      Berliner Raum gibt es aktuell sieben Kin-
Geschäftsstelle ein. Elisa hat in Eberswalde   dergruppen, in denen sich ehrenamtliche
ihren Bachelor in Forstwirtschaft absol-       Gruppenleiter*innen mit ihren Schützlin-
viert und anschließend einen Master im         gen auf naturkundlichen Pfaden bewegen.
Fach „Nachhaltiges Tourismusmanage-            Den Kindern und Jugendlichen werden da-
ment“. Danach hat sie viele Jahre lang als     bei durch Naturerfahrungen, Bastelange-
Waldpädagogin die Natur für Jung und Alt       bote oder umweltpädagogische Spiele im
erlebbar gemacht.                              Grünen die Komponenten und Wechsel-
Begeisterung für die Umwelt schon bei          wirkungen der Natur nähergebracht.
Kindern und Jugendlichen zu wecken, fin-       Solche außerschulischen Umweltbildungs-
det sie sehr wichtig. Deshalb ist auch die     angebote will Elisa beim NABU Berlin
                                                                                               Alexandra Rigos
                                                                                               Leiterin Öffentlichkeitsarbeit NABU Berlin
enge Zusammenarbeit mit der NAJU ein           unterstützen und weiter ausbauen. Ziel
wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit.         ist es, ausreichend Möglichkeiten für in-    Kürzlich konnte ich im Park am Gleisdreieck
Naturschutz setzt auch immer ein Natur-        teressierte Kinder und Jugendliche zu        eine seltsame Szene beobachten: Eine ältere
verständnis voraus. Für den rücksichts-        schaffen. Gleichzeitig sollen aber auch      Dame mit Kopftuch pflückte Hagebutten von
vollen Umgang mit unserer Umwelt und           Qualifizierungsmöglichkeiten für die eh-     einem Wildrosenstrauch. Neben ihr stand ein
insbesondere mit der urbanen Natur Ber-        renamtlichen Umweltbildner*innen ge-         ebenfalls älterer Herr, der erregt in sein Handy
lins ist die Naturerfahrung und die Ver-       schaffen werden.                             sprach. Vermutlich hatte er die Polizei angeru-
mittlung ökologischer Zusammenhänge            Umgesetzt werden kann das berlinweit         fen, jedenfalls beschwerte er sich empört über
grundlegend. Dies kann schon von Kin-          nur mit viel tatkräftiger Unterstützung.     den Raub am Rosenbusch.
desbeinen an zu einem umweltbewussten          Mitglieder, die sich in diesem Bereich       Man mag über diese Begebenheit lächeln, doch
                                               gerne engagieren wollen, haben mit Elisa     stimmt sie zugleich nachdenklich. Zum einen,
                                               jetzt eine fachkundlige Ansprechpartnerin    weil sie zeigt, wie intensiv Menschen aus allen
                                               vor Ort. Umweltbildung kann dazu beitra-     Milieus, gerade auch sozial weniger Privilegier-
                                               gen, den Naturschutz in die Gedanken und     te, städtische Grünflächen nutzen – und dass
                                               Herzen der Menschen zu bringen.              diese Nutzung auch anders ausfallen kann,
                                               Diese Einstellung vertritt Elisa nicht nur   als es der bürgerliche Mainstream gewohnt
                                               als Mitarbeiterin, sondern auch als Mutter   ist. Zum anderen, weil der Konflikt letztlich
                                               ihrer beiden Kinder. Diese teilen die Be-    darauf zurückgeht, dass es viel zu wenige Na-
                                               wunderung für die Natur gleichermaßen,       turräume gibt, in denen Stadtbewohner*innen
                                               und gemeinsam verbringen sie viel Zeit im    sich an Tieren und Pflanzen erfreuen können.
  Elisa Sievers                                Freien. Am liebsten im Wald oder in den      Wie knapp muss die Ressource Stadtgrün ge-
                                               Bergen, wobei das Zelt nie fehlen darf.      worden sein, wenn sogar eine Allerweltspflan-
                                                                                            ze wie die Hundsrose als etwas Seltenes und
                                                                                            Verletzliches empfunden und mit voller Kraft
Der NABU Berlin trauert um Ilka Gottwald                                                    verteidigt wird!
                                                                                            Liebe Frau Giffey, die Menschen im Park ge-
Die passionierte Vogelschützerin setzte sich für Gebäudebrüter ein
                                                                                            hören zu ihren Wähler*innen, und sie wollen
Völlig unerwartet ist Ilka Gottwald Anfang werden ihre freundliche, energiegeladene nicht nur wohnen, sondern leben! Zur Le-
Oktober im Alter von 66 Jahren verstor- und ehrliche Art sehr vermissen.                    bensqualität aber trägt ganz wesentlich die
ben. Ilka war seit 2019 in unserer Bezirks-  Anita Wesolowski & Matthias Mundt im Namen Möglichkeit bei, draußen im Grünen durch-
gruppe Steglitz-Zehlendorf intensiv tätig.            der Bezirksgruppe Steglitz-Zehlendorf zuatmen und mit der Natur in Berührung zu
Der Vogelschutz war ihre Passion und                                                        kommen. Das ist gerade für ärmere Menschen
so konnte Ilka schnell Anschluss in der                                                     wichtig, die sich keine Reisen leisten können.
AG Gebäudebrüter finden: Einflüge von                                                       Jährlich 20.000 Wohnungen zu bauen, wür-
Haussperlingen und Mauerseglern kartie-                                                     de die Stadt vieler Freiflächen berauben, auf
ren und prüfen, ob Niststätten durch Sa-                                                    denen diese Naturerfahrung stattfindet. Die
nierungsmaßnahmen bedroht sind. Wei-                                                        paar offiziellen, mehr oder minder totgepfleg-
terhin konnte erst durch den begeisterten                                                   ten Parks reichen nicht aus. Wir brauchen
Einsatz von Ilka unsere digitale Podiums-                                                   auch den Wildwuchs, wie er sich auf Brachen
diskussion mit lokalen Politiker*innen,                                                     ausbreitet, die grünen Rückzugsräume, wo
kurz vor der Bundes- und Landtagswahl,                                                      Kinder Abenteuer erleben können, Tiere und
erfolgreich verwirklicht werden.                                                            Pflanzen einen Lebensraum finden – und
Wir verlieren mit Ilka eine engagierte und                                                  Omas auch mal Hagebutten für eine Tasse Tee
leidenschaftliche Naturschützerin und                                                       ernten dürfen.

                                                                                                                          NATUR IN BERLIN 4/21
Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
6 | AKTUELLES

                                                                                                                  Beim Wandern durch
                                                                                                                  die Kiefernwälder (links)
                                                                                                                  entdeckten die Kinder viele
                                                                                                                  Gottesanbeterinnen
                                                                                                                  (unten). Nachts wurde
                                                                                                                  gezeltet (ganz links).

Abenteuer am leeren See
  Kahnpartie: Pechsee um 1930

Beim Zelten in der Lausitz gab es für die
Kindergruppe Pankow viel zu entdecken.
                                                    2
E
       ndlich wieder eine Gruppenfahrt             Zelten an einer Baustelle an einem leeren    Beim Geocaching wollten wir den „Ursu-
       der NABU-Kindergruppe Pankow!               See? Warum nicht?! Kinder und Eltern         lagrund“ im Wald erkunden. Unser Ziel
       Nach der Corona-Zwangspause hat-            wollten trotzdem fahren, und die Ent-        war ein bemooster Steinhügel, der einst
ten sich das alle Kinder gewünscht. Das            scheidung haben wir nicht bereut. Der        zur Erinnerung an die naturverbundene
Wochenende im August stand fest, der               Ausflug wurde einfach wunderbar. Es          Ursula errichtet wurde, die Frau eines
Campingplatz war gebucht, und einige               war warm, und am Samstag konnten wir         Schlossherrn von Fürstlich Drehna. Ein
Eltern hatten sich Zeit genommen, um               einen kurzen Wolkenbruch mit Gewitter        kleiner, sich durch den Wald schlängeln-
uns zu begleiten.                                  und leuchtendem Regenbogen von einem         der Bach sollte uns den Weg zeigen.
Der Plan klang super: Wir wollten im               überdachten Logenplatz aus beobachten.       Doch Babben liegt auch am Rande eines
Waldbad   Babben
   Baustelle       in der Mehr
             Stadtbäume:  Niederlausitz    zel-gepflanzt
                               gefällt als neu     Der aufziehende Dunst auf der Wiese in       ehemaligen Braunkohletagebau-Gebiets,
ten. Ein idyllisches Dorf an einem kleinen         der Abendsonne vollendete das Natur-         das erst 1991 stillgelegt wurde. Die massi-
Berghang, eingebettet in eine Endmorä-             schauspiel.                                  ven Erdbewegungen und die Nutzung des
nenlandschaft, direkt an einem kleinen,            Der Regen der letzten Wochen hatte viele     Grundwassers zur Flutung des aus einem
künstlich angelegten See.                          Steinpilze und eine Fülle anderer Speise-    Restloch entstandenen Bergheider Sees
In den umligenden Babbener Bergen ist              pilze hervorgebracht. Mit Butter ange-       ließen von dem Bachlauf im Wald nur
der Wolf wieder zu Hause, und so wollten           braten und draußen gemeinsam probiert,       noch das trockene Bett übrig – ein wei-
wir uns mit Ehrenamtlichen vom NABU                waren sie für viele ein neuer oder zumin-    teres deutliches Zeichen für den Einfluss
Finsterwalde treffen, um mehr über das             dest lange vermisster Genuss. Nachts bot     des Menschen auf die Natur.
Verhalten der Tiere zu erfahren. Wir hat-          sich dann ein sternenklarer Blick auf die    Den Tagebau und die riesige Förderbrü-
ten uns außerdem Geocaching-Geräte                 Milchstraße – ein Erlebnis, das Berlin al-   cke, auch „liegender Eiffelturm“ genannt,
ausgeliehen, um Verstecke im Wald auf-             lenfalls am Stadtrand bietet.                besichtigten wir am Sonntag. In 79 Meter
zuspüren, und der See versprach viele                                                           Höhe konnten wir den riesigen See über-
interessante Funde mit Kescher und Be-             Den Wölfen auf der Spur                      blicken, auf dessen Grund das Dorf Berg-
cherlupen.                                         Die Wölfe schliefen tagsüber, wie uns        heide nun liegt. Eine Mitarbeiterin des
Alle waren voller Vorfreude. Doch plötz-           Steffen Kämmerer vom NABU Finsterwal-        Tagebaus zählte routiniert die Orte auf,
lich änderte sich die Wetterlage: Dauerre-         de auf unserer Wolf-Exkursion versicher-     die ursprünglich für den Kohleabbau „ab-
gen und kühle 17 Grad Celsius waren für            te, und so fanden wir auf unserem Spa-       geräumt und vorbereitet“ werden sollten,
das Wochenende angesagt. Nicht die ide-            ziergang durch die Wälder nur Knochen        bis die Wende und der Klimaschutz dem
alen Voraussetzungen für zwei Übernach-            seiner Beutetiere. Dafür machten wir         Braunkohleabbau in der Region ein Ende
tungen in Zelten und Aktionen im Freien.           Entdeckungen ganz anderer Art: Grillen,      setzten. Ein Besuch, der uns den Klima-
Also mussten wir die Fahrt um zwei Wo-             Borkenkäfer unter der Rinde in den aus-      wandel mit anderen Augen sehen ließ.
chen auf Mitte September verschieben.              gedehnten Kiefernwäldern und viele Got-      Allen Kindern und Erwachsenen hat die
Doch genau dann sollte das Waldbad Bab-            tesanbeterinnen, die an einem von Heide      Reise sehr viel gegeben. Indem wir drau-
ben zum ersten Mal in seiner mehr als              gesäumten Waldweg nach Nahrung such-         ßen in der Natur unterwegs waren, wur-
50-jährigen Geschichte saniert, der See            ten. Diese mediterrane Art in Branden-       den Zusammenhänge klar und erfahrbar,
abgelassen und Teile der Steineinfassung           burg zu finden, zeugt vom Klimawandel        und wir haben viel gesehen und gelernt.
erneuert werden.                                   und der Erwärmung der Region.                                                Annette Prien

NATUR IN BERLIN 4/21
Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
AKTUELLES | 7

                                                                                                                    Bei Schnee und Eis
                                                                                                                    entstand der Folien-
                                                                                                                    tunnel (ganz links) für
                                                                                                                    die Klimagärtnerei
                                                                                                                    (oben). Kinder durften
                                                                                                                    beim Beringen von
                                                                                                                    Vögeln zuschauen

Kükentod und Klimagarten                                                                                            (links).

                                           5 Leitung
Das erste Jahr der Storchenschmiede unter neuer

D
        as Team der Storchenschmiede         seportionen konnten wir jede Woche in        Flachwasserflächen als Rastplatz nutzen,
        blickt auf ein aufregendes, lehr-    Abo-Kisten verteilen. Ein guter Start! Das   und tausende Menschen kommen in das
        reiches, arbeitsames, aber auch      restliche Gemüse wird an den Wochenen-       Dorf. Die sonnigen Oktoberwochenenden
schönes Jahr zurück, in dem sich in der      den im Hofladen der Station angeboten.       sorgten auch dieses Jahr für viel Betrieb.
Station viel bewegt hat.                     Insgesamt reicht die Anbaufläche aus,        Mit dem Ende der Kranichsaison ist nun
Seit Ende 2020 betreibt die Storchen-        um wöchentliche Gemüseportionen für          Ruhe eingekehrt, und wir können wir uns
schmiede gGmbH das Umweltbildungs-           bis zu 200 Personen zu erzeugen. Für das     dem Aufräumen, Abrechnen und Planen
zentrum in Linum. Der NABU Berlin            kommende Jahr streben wir zunächst 100       widmen. Das Team der Storchenschmiede
bleibt dem Zentrum jedoch als Gesell-        Portionen an.                                sucht immer engagierte Ehrenamtliche.
schafter, Förderer und Kooperationspart-     Der Gemüseverkauf soll in Zukunft ein        Wenn Sie Lust auf Gartenarbeit, Bauen,
ner erhalten.                                zusätzliches finanzielles Standbein bilden   Kranichzählungen, Kochen oder Kinder-
Im Kern ist das Angebot dasselbe ge-         und erweitert gleichzeitig das Umweltbil-    betreuen haben, freuen wir uns über eine
blieben, mit Führungen, Umweltbil-           dungsangebot um das Thema „nachhalti-        Nachricht.
dungstagen, Sommercamp für Kinder,           ge Ernährung“. Schulklassen und Kinder-                                               Lisa Hörig
Naturgarten und Kaffee & Kuchen. Verän-      gartengruppen können an Projekttagen         mitmachen@storchenschmiede.org
derungen gab es im Team: Neu sind die        den Garten erkunden, selbst Gemüse ern-      Info Gemüsekiste: storchenschmiede.org/gemuesekiste
Geschäftsführer*innen Sandra und Klaus       ten, zubereiten und kosten.
Becker, die die Station bereits im ersten
Jahr erheblich weiterentwickelt haben.       Regen tötete Jungvögel                          Kleinanzeigen
Ende Mai ging Monika Speer, unsere lang-     Trotz des feuchten Frühlings war dieses
                                                                                            RÜGEN für Naturfreunde! Ferienhaus +
jährige Mitarbeiterin und gute Seele, in     Jahr leider ein schlechtes für den Linu-
                                                                                            FeWos in traumhafter Lage im Biosphärenre-
Rente und wird schmerzlichst vermisst.       mer Storchennachwuchs. Die Hälfte der
                                                                                            servat nahe Putbus, Bodden und Insel Vilm.
Die erste große Veränderung und auch         Jungvögel fiel den Regengüssen Ende Juli
                                                                                            www.in-den-goorwiesen.de.
Herausforderung stellte in diesem Jahr       zum Opfer, sodass die acht Brutpaare nur
die Einrichtung des Klima-Bildungsgar-       sechs Jungvögel großzogen. Auch auf
                                                                                            Neujahrs-Fasten in der Sächsischen
tens dar. Ab Januar wurden trotz Schnee,     dem Dach der Storchenschmiede wurde
                                                                                            Schweiz. Fasten und Wandern in kl. Gruppe,
Sturm und eisiger Kälte 1200 Quadrat-        nur ein Jungvogel flügge.
                                                                                            individuell betreut von ärztl. gepr. Fasten-
meter Beetfläche angelegt und ein Foli-      Seit den Sommerferien belebten wieder
                                                                                            leiterin: 2.- 9. Jan 22. weitere Infos www.
entunnel aufgebaut. Dies schafften wir       fröhlich lärmende Kindergruppen die
                                                                                            fastenbefreit.de oder 05843-6689808.
nur dank des Einsatzes ehrenamtlicher        Storchenschmiede. Im letzten Jahr hatte
Helfer*innen.                                die Umweltbildung für Kinder wegen Co-
                                                                                            Fasten und Tanzen im Wendland (Nähe
Auf den Beeten können wir Gästen nun         rona aussetzen müssen, nun aber durften
                                                                                            Salzwedel): 18.-25. März 22. - mit Sauna!
zeigen, wie regenerativer und nachhal-       wir wieder Schulklassen und Kitagruppen
                                                                                            Fastenleiterin + Tänzerin garantieren inten-
tiger Gemüseanbau funktioniert. Das          empfangen, auch das alljährliche Som-
                                                                                            sive Selbsterfahrung! weitere Infos www.
Gemüse wird als wöchentliche Abokiste        mercamp konnte stattfinden.
                                                                                            fastenbefreit.de oder 05843-6689808.
in Kremmen, Fehrbellin, Neuruppin und        Ein Highlight dabei war die Vogelberin-
Berlin verkauft, um so die Arbeit der Sta-   gung, zu der wir den ehemaligen Leiter
                                                                                            Toskana, nahe Siena, Rustiko, zw. Oliven
tion finanziell zu unterstützen.             der Station, Stefan Fischer, begleiteten.
                                                                                            + Zypressen, für 2 Personen. Umgeben von
Trotz Verlusten durch verschiedene Mit-      Jedes Kind durfte einen der beringten Vö-
                                                                                            Vögeln, Schmetterlingen, Eidechsen + viel
esser – vor allem Schnecken, Erdflöhe        gel wieder in die Freiheit entlassen.
                                                                                            Ruhe, könnten Sie sich gut erholen + Kultur-
und Kohlweißlingsraupen haben man-           Mit dem Herbst wird es in Linum immer
                                                                                            stätten wahrnehmen. www.rembold.it, Tel:
chen Kulturen zugesetzt – verlief das ers-   trubelig. Am Himmel ziehen zehntau-
                                                                                            0039 3409656735.
te Anbaujahr erfolgreich. Über 60 Gemü-      sende Gänse und Kraniche, die die nahen

                                                                                                                       NATUR IN BERLIN 4/21
Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
8 | SCHWERPUNKT

Reges Treiben im Untergrund
Die faszinierende Welt der Bodenlebewesen
  Schon Charles Darwin war vom Treiben
  der Regenwürmer fasziniert und widme-
  te ihnen ein ganzes Buch, in dem er ihren
  Beitrag zur Bodenfruchtbarkeit würdig-
  te. Darwin erforschte unter anderem,
  wie Regenwürmer Blätter und andere
  noch kaum verweste Pflanzenteile in
  ihre Wohnröhren ziehen, die bis zu drei
  Meter tief in den Boden reichen können.

D
        er Boden ist ein beeindrucken-        ter „Durchschnitts“-Boden mehr Lebewe-      Partnerschaft                    Pseudoskorpion
        der, aber vom Menschen oft we-        sen existieren, als es Menschen auf der     mit Bäumen
        nig beachteter Lebensraum. Kein       Erde gibt. Dabei machen Bakterien, Algen    einzugehen.
Wunder, spielt sich unser Leben doch fast     und Pilze den größten Teil des Bodenle-     Mit Begriffen wie „Wood Wide Web“, also
gänzlich auf der Erdoberfläche ab.            bens (auch Edaphon genannt) aus – Orga-     das „Internet des Waldes“, wird das Pilz-
Doch schaut man genauer hin, stellt man       nismen, die ein Mensch mit bloßem Auge      geflecht beschrieben, das sich durch den
fest, dass unter unseren Füßen das Leben      gar nicht erkennen kann. In einem Tee-      ganzen Waldboden zieht und die Kom-
tobt. Hier finden wichtige Prozesse statt,    löffel Boden können eine Million Bakteri-   munikation zwischen Bäumen ermög-
die unser Leben „oben“ maßgeblich prä-        en, 120.000 Pilze und 25.000 Algen leben!   licht. Darüber hinaus sind Pilze ebenfalls
gen: Wasser versickert, Schadstoffe wer-                                                  wichtige Zersetzer. Manche Arten vermö-
den abgebaut, Pflanzen mit Nährstoffen        Mikrofauna: vielfältige Dienstleister       gen sogar stabile Materialien wie Holz-
versorgt, der Wasserhaushalt reguliert,       Unterschätzen sollte man die mikrosko-      reste abzubauen und in ihre Bausteine
Stoffe fixiert…                               pisch kleinen Lebewesen nicht, denn sie     zu zerlegen. Bodenpilze können selbst
Doch all dies passiert nicht einfach so.      erfüllen viele wichtige Funktionen. Bak-    Schädling sein und Pflanzen befallen,
Verantwortlich dafür sind vielmehr die        terien zersetzen Pflanzenmaterial, stimu-   aber auch zu Schädlingsbekämpfern wer-
unzähligen Lebewesen, welche die Welt         lieren das Wurzelwachstum oder filtern      den, indem sie etwa Fadenwürmern mit
unter unseren Füßen bewohnen. Die Zahl        Schadstoffe aus dem Boden.                  einer Art Schlinge aus Pilzgeflecht Fallen
dieser Organismen ist so hoch, dass man       Knöllchenbakterien aus der Familie der      stellen.
sie eigentlich gar nicht fassen kann. Man     Rhizobiaceae etwa existieren in Symbiose
sagt, dass allein unter einem Quadratme-      mit Pflanzenwurzeln von Hülsenfrücht-       Mesofauna: Jäger und Gejagte
                                              lern und binden Stickstoff aus der Luft,    Auch im Boden heißt es: Fressen und ge-
                                              mit dem sie die Pflanze versorgen. Die so   fressen werden. Einzeller wie die Wim-
                  Bakterienknöllchen an der   genannten Actinomyceten wiederum sind       pertierchen oder Amöben gehen auf die
                       Wurzel einer Luzerne   eine Gruppe von Bakterien, die sich auf     Jagd nach Bakterien. Einzeller spielen bei
                                              den Abbau schwer zersetzbarer Stoffe im     der Mineralisierung der Böden, also bei
                                              Boden spezialisiert hat. Dabei entsteht     der Bereitstellung von Nährstoffen, eine
                                              der charakteristische „erdige“ Geruch.      wichtige Rolle.
                                              Große Aufmerksamkeit erfahren haben         Die Vielfalt der einzelnen Arten und ihrer
                                              in den letzten Jahren Bodenpilze, Mykor-    Lebensweisen ist groß: Wimpertierchen
                                              rhiza genannt, und ihre Fähigkeit, eine     etwa bewegen sich mit Geißeln fort und

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Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
SCHWERPUNKT | 9

strudeln ihre Nahrung ein. Amöben sind
wiederum skrupellose Räuber, die beim
                                                     Der Gerandete Saftkugler zählt zu den
Kontakt mit ihrer Beute so genannte
                                                     Doppelfüßern, die ihrerseits zu den
Scheinfüßchen ausbilden und ihre Opfer
                                                     Tausendfüßern gehören. Bei Gefahr
damit fangen.
                                                     rollen sich Saftkugler zusammen. Die
Die etwas größeren Fadenwürmer (Nema-
                                                     bis zu zwei Zentimeter langen Tiere
toden) haben ein weites Nahrungsspekt-
                                                     leben vor allem in Wäldern und ernäh-
rum und machen Jagd auf Bakterien und
                                                     ren sich vorwiegend von abgestorbe-
Einzeller. Mehrzeller wie sie sorgen vor
                                                     ner organischer Substanz. Saftkugler
allem für die Bereitstellung von Stick-
                                                     sind wichtige Zersetzer und können
stoff, den sie durch Verdauung der klei-
                                                     bis zu elf Jahre alt werden.
neren Lebewesen freisetzen.
Auch Springschwänze, Milben oder Klein-
ringelwürmer sind Teil der Mesofauna
des Bodens und nehmen unterschiedliche
Aufgaben wahr. Während Kleinringel-
würmer den Boden durchwühlen und so
durchmischen, sind Springschwänze und
Milben eher für die weitere Zersetzung
von Pflanzenmaterial zuständig und da-                                                                                           Springschwanz
mit wichtig für die Humusbildung.

Megafauna: fleißige Wühlarbeiter                                               Susanne Theiß
Schon auf mikroskopischer Ebene geht es
also richtig zur Sache. Hier wird zersetzt,        die Lebensgemeinschaft im Boden.               Wühl- und Spitzmaus.
gefressen, attackiert. Und das tut dem             Der Tauwurm (Lumbricus terrestris) ist einer   Sie stehen am Ende
Boden gut! Die etwas größeren Bodenle-             von 46 Regenwurmarten in Deutschland           der Nahrungskette im
bewesen stehen dem in nichts nach. As-             und uns gemeinhin als „der Regenwurm“          Boden und sind allein durch ihre Größe
seln, Spinnen, Schnecken, Käfer, größere           bekannt. Ihm kommt eine zentrale Rolle         exzellente Bodenmischer und -belüfter.
Larven und Regenwürmer, die wir nun                im Ökoysystem zu: Er ist mit bis zu 30         So schließt sich der Kreis im Ökosystem Bo-
endlich mit bloßem Auge beobachten                 Zentimetern Länge der größte Bodenbe-          den. Hier hat jedes Lebewesen seinen Platz
können, sind weitere wichtige Spielfigu-           wohner und sorgt für Fruchtbarkeit, in-        – ob kleiner Einzeller oder großer Wurm,
ren im Ökosystem Boden.                            dem er den Boden umgräbt, durchlüftet          ob an der Erdoberfläche oder tief an der
Asseln lieben Feuchtigkeit und sind daher          und mit seinem Kot düngt.                      Pflanzenwurzel, ob Räuber oder Zerset-
eher an der Bodenoberfläche aktiv. Käfer           Seine langen, verzweigten Gänge, die sich      zer. Die Welt unter unseren Füßen ist viel-
und Tausendfüßer zersetzen organisches             auch durch tiefere Erdschichten ziehen,        fältig und faszinierend. Hinschauen lohnt
Material und vergrößern so die Oberflä-            sind wichtig für die Fähigkeit des Bodens,     sich!                           Janna Einöder
che, die Mikroorganismen besiedeln kön-            Wasser zu speichern.                           Zum Weiterlesen:
nen. Spinnentiere wie die Pseudoskorpio-           Zu guter Letzt wohnen natürlich auch           umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft;
ne sind exzellente Jäger und regulieren so         Wirbeltiere unter der Erde wie Maulwurf,       bodenwelten.de; bodentierhochvier.de

  Der Gemeine Steinläufer ist ein Hundertfüßer und gehört damit ebenfalls zu den
  Tausendfüßern – obwohl das zwei bis drei Zentimeter lange Tier es gerade einmal
  auf 15 Beinpaare bringt. Steinläufer verstecken sich tagsüber unter Steinen oder in
  der Laubstreu, um nachts auf Jagd zu gehen. Ihre Opfer – Insekten, Spinnen und
  andere Gliederfüßer – packen sie mit ihren Kieferfüßen und erledigen sie mit einem
  Giftbiss, der übrigens auch für Menschen schmerzhaft sein kann.

                                                                                                                              NATUR IN BERLIN 4/21
Natur in Berlin - Kosmos im Untergrund Der Boden - Lebensraum und Kohlenstoffspeicher
10 | SCHWERPUNKT

                              Mit Füßen getreten
                                      Wie wir unsere Böden heilen können

T
       rocken ist es geworden in Berlin    wechselt, bis sie als Moleküle verschie-   Instituts: Landwirtschaftlich genutzte
       und Brandenburg. Immer öfter        denster Art wieder freigesetzt werden,     Böden sind der größte terrestrische
       scheint aller Regen auf einmal      die wir unter dem Begriff Huminstoffe      Humusspeicher in Deutschland, doch
fallen zu wollen wie im Sommer 2017,       zusammenfassen.                            ihre Humusvorräte fallen besonders in
als sich die Felder bei Oranienburg für    Zusammen mit den Zellüberresten            den ostdeutschen Sandböden und unter
mehrere Monate in Ententeiche ver-         von Billiarden Bakterien und Pilzen        konventioneller Bewirtschaftung ge-
wandelten.                                 kleben diese Ausscheidungen den mi-        ring aus oder nehmen ab.
Als trockenstes Bundesland erreicht        neralischen Anteil des Bodens und die
Brandenburg gerade noch den Orien-         organische Bodensubstanz aneinander        Regenerative Landwirtschaft
tierungswert von 500 Millimetern Jah-      und verleihen ihm so seine Krümel-         Wir müssen lernen, die ursprünglichen
resniederschlag – unterhalb davon spei-    struktur. Diese sogenannten Bodenag-       Humusvorräte wiederherzustellen, um
chert der sandige Boden längerfristig      gregate machen den Boden locker, so-       die Wasser- und Nährstoffspeicherfä-
nicht mehr genug Wasser für die Wäl-       dass Pflanzen ihn gut durchwurzeln,        higkeit der Böden zu regenerieren. Ne-
der, und das Land droht zu einer Step-     Luft in ihn eindringen und überschüs-      benbei lassen sich so bedeutende Men-
pe zu werden.                              siger Regen ins Grundwasser ablaufen       gen CO2 aus der Atmosphäre zurück in
Die Wasserarmut wird zur Achillesfer-      kann. In ihrem Inneren aber speichern      den Boden holen und so die Ursachen
se der Landwirtschaft. Glimpflich durch    sie pflanzenverfügbares Wasser und         des Klimawandels bekämpfen.
die trockenen Jahre gekommen sind vor      Nährstoffe. Humusreicher Boden ist         Weil wir aber nicht gewaltige Mengen
allem jene Landwirt*innen, die mit hu-     tiefbraun, krümelig und fruchtbar.         Humus auf die Äcker karren können
musreichen Böden gesegnet sind oder                                                   und weil er dort auch schnell wieder ab-
gute Humusanreicherung betrieben ha-       Stetiger Auf- und Abbau                    gebaut wäre, wenn wir den Boden nicht
ben. Denn im Boden spielt Humus eine       Der Humus existiert aber nicht ewig.       schonend behandeln, gibt es nur eine
unverzichtbare Rolle bei der Speiche-      Aus ihm wird wieder CO2, das dann          Möglichkeit: Die Böden müssen in die
rung von Wasser und Nährstoffen.           erneut von Pflanzen zum Aufbau ih-         Lage versetzt werden, selbst mehr Hu-
Humus ist eine Mischung aus Resten         rer Biomasse aufgenommen wird. Das         mus zu produzieren und zu behalten.
von Pflanzen, Tieren und Mikroorga-        Gleichgewicht dieses stetigen Auf- und     Dauerbegrünung, der Einsatz von Kom-
nismen in allen möglichen Stadien des      Abbaus bestimmt die natürlichen Hu-        post, Pflanzenfermenten und Pflanzen-
natürlichen Abbaus. Aus Fragmenten,        musvorräte unserer Böden.                  kohle sowie extensive Weideviehhal-
die man mit bloßem Auge noch gut als       Doch den zugrundeliegenden Kreislauf       tung sorgen dafür, dass mehr Humus
Überbleibsel bestimmter Lebewesen er-      hat die Menschheit unterbrochen. Mit       in den Boden kommt. Der Verzicht auf
kennen kann, werden nach und nach          unseren Nutzpflanzen entnehmen wir         Pflügen und Pestizide schont das Boden-
feinere, gestaltlose Partikel, die wie     Material vom Acker und bringen es          leben sowie die Bodenstruktur, sodass
Platzhalter die Struktur des Bodens auf-   nicht wieder zum Verrotten zurück.         Humus länger gespeichert wird.
lockern.                                   Das Gleichgewicht verschiebt sich vom      Die konventionelle Landwirtschaft er-
Auch diese Partikel werden fortwäh-        Humus hin zum atmosphärischen CO2.         reicht mit ihrem Versuch, maximal viel
rend von der Bodenfauna gefressen          Die Konsequenzen daraus zeigen Daten       Biomasse aus dem Boden herauszuho-
und von Einzellern und Pilzen verstoff-    des agrarwissenschaftlichen Thünen-        len, indem sie Pestizide einsetzt, vor

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SCHWERPUNKT | 11

allem mineralisch düngt und den Bo-

                                                    Das kleine Kompost-Lexikon
den pflügt, leider häufig das Gegenteil.
Gelingt hingegen der Humusaufbau,
können wirtschaftliche und ökolo-
gische Erfolge Hand in Hand gehen.
Eine Studie der South Dakota State Uni-
versity wies anhand von jeweils zehn
konventionell und mit regenerativen
Methoden bewirtschafteten Maisäckern
                                                    Terra preta, Bokashi & Co.
nach, dass sich viel Humus im Boden                 Wer einen Kompost anlegen will,           von Wasser und Nährstoffen begün-
auch finanziell auszahlt.                           kann damit gut im Herbst beginnen,        stigt. Außerdem soll es das Pflanzen-
                                                    wenn das Laub von den Bäumen fällt        wachstum fördern und die Pflanzen ge-
Mehr Humus, weniger Schädlinge                      und viel Schnittgut vorhanden ist.        gen Schädlinge schützen. Bei Tomaten
Auf     regenerativ     bewirtschafteten            Das Thema Kompostierung hat zu-           wird Gesteinsmehl gegen Krankheiten
Äckern traten im Rahmen der Studie                  letzt viel Aufmerksamkeit gewonnen,       auch direkt über die Blätter gestäubt.
weniger Probleme mit Schädlingen auf,               da Gartenarbeit in Zeiten von Corona
weil eine breite Artenvielfalt Schadin-             im Trend liegt. Längst gibt es nicht
sekten und Pflanzenkrankheiten redu-                mehr nur den guten alten Kompost-         Terra preta   Aus dem Portugiesischen
zierte. Dauerhafte Pflanzenbedeckung,               haufen, sondern neue Verfahren für        für „Schwarze Erde“. Ursprünglich
die Nutzung als Freilandweide sowie                 den besten Kompost (auch für den          aus dem Amazonas-Gebiet stammende
der Verzicht aufs Pflügen gingen zudem              Balkon!) und damit auch neue Begriff-     Idee. dabei wird Erde mit Kohle, Kno-
mit höheren Humusvorräten und einer                 lichkeiten. Hier ein kleiner Überblick.   chenresten und Kompost gemischt. Auf
intakten Bodenstruktur einher.                                                                diese Weise gelang es den Ureinwoh-
Am Ende hatten die Bauern, die regene-              Bokashi    Ein aus Japan stammendes       nern Amazoniens, die mageren Regen-
rative Landwirtschaft betrieben, trotz              Verfahren, bei dem aus Küchenabfäl-       waldböden fruchtbar zu machen. Auch
der um etwa 30 Prozent niedrigeren                  len und Mikroorganismen Pflanzen-         in Deutschland sucht man nach der
Produktivität mehr Geld in der Tasche,              dünger erzeugt wird. Dafür braucht        perfekten Terra-preta-Mischung, die
weil sie geringere Ausgaben für Pesti-              man einen luftdicht verschließbaren       sehr unterschiedlich zusammengesetzt
zide, Dünger und Bewässerung sowie                  Eimer, in den unbehandelte Küchen-        sein kann. Wichtigster Bestandteil ist
höhere Markteinnahmen für ihre Bio-                 abfälle gefüllt werden. Anschließend      jedoch Holz- oder Pflanzenkohle, da die
produkte verzeichneten.                             fügt man eine Mischung aus so ge-         poröse Kohle eine große Oberfläche hat
Ob sich dieser Vorteil auch in der EU               nannten Effektiven Mikroorganismen        und Wasser gut bindet.
manifestiert, die mit ihrer Gemein-                 hinzu, die in der Regel Milchsäure-
samen Agrarpolitik ein mächtiges För-               bakterien, Hefen und Photosynthese-       Hügelbeet        Ein mehrschichtiges,
derinstrument zum Umbau der Land-                   bakterien enthält und als Pulver vor-     schräg abfallendes Hochbeet aus orga-
wirtschaft besitzt, bisher aber vor allem           liegt, und verschließt den Eimer. Die     nischem Material, das im Kern grobe
konventionellen Anbau fördert, gilt es              Abfallmischung fermentiert, und in-       Überreste wie Astschnitt und außen
herauszufinden. In jedem Fall dürfte                nerhalb weniger Wochen entsteht ein       feinere Bestandteile enthält. Durch die-
regenerative Bewirtschaftung CO2 aus                biologischer Pflanzendünger.              se Anordnung zersetzt sich das Materi-
der Atmosphäre binden und die Wider-                                                          al unterschiedlich schnell und setzt bei
standsfähigkeit der Böden verbessern.               Wurmkiste       Holzkiste mit Regen-      der Verrottung Wärme frei, was viele
Sie wird die Böden aber nur dann über-              würmern für den Balkon. Ähnlich           Gemüsearten schätzen. Wegen seiner
all wiederherstellen können, wenn die               wie beim Bokashi werden unbehan-          schrägen Hänge bietet ein Hügelbeet
Politik die Konkurrenz durch boden-                 delte Küchenabfälle in die Kiste gege-    zudem ein Drittel mehr Anbaufläche
schädigende landwirtschaftliche Prak-               ben, die in diesem Fall Kompostwür-       als ein klassisches Hochbeet und dazu
tiken systematisch bekämpft. Zudem                  mer (Gattung Eisenia, keine normalen      verschieden stark besonnte Bereiche
müssen sich genügend Menschen die                   Regenwürmer!) enthält. Nach einiger       für Pflanzen mit unterschiedlichen Be-
hochwertigen Lebensmittel auch lei-                 Zeit sollten die Würmer das Material      dürfnissen. Es eignet sich daher perfekt
sten können.                                        zersetzt und in Humus verwandelt          für Mischkulturen.
Während sonst die Forschung oft The-                haben, der sich dann weiterverwen-
men erörtert, die in der Praxis noch                den lässt. Da die Kiste lebende Wür-      Permakultur     Aus den Worten „perma-
wenig bekannt sind, sieht es in der re-             mer enthält, die unter anderem nicht      nent“ und „agriculture“ zusammenge-
generativen Landwirtschaft anders aus:              austrocknen dürfen, bedarf sie regel-     setzt ist Permakultur eine Anbauweise
Zahlreiche Bauern praktizieren bereits              mäßiger Zuwendung.                        oder Philosophie, die auf Langfristigkeit
einen Aufbau ihrer Humusvorräte, mei-                                                         und natürlichen Kreisläufen basiert.
stens in der Biolandwirtschaft, teilwei-            (Ur-)Gesteinsmehl        Pulver aus       Dabei sollen Gemüse und andere Nutz-
se aber auch unter konventionellem La-              verschiedenen Gesteinen wie Beto-         pflanzen nach der Pflanzung ohne stän-
bel. Das ist ein guter Anfang.                      nit, Basalt, Lava oder Quarz. Viele       dige gärtnerische Eingriffe gedeihen
                                   Frederick Büks   Gärtner*innen schwören auf Gesteins-      nach dem Motto: „Man macht Perma-
Unser Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im   mehl, da es in den Boden eingebracht      kultur nicht, sondern man nutzt Pro-
Fachgebiet Bodenkunde der TU Berlin.                – ähnlich wie Kohle – die Speicherung     dukte, die sie hervorbringt.“          je

                                                                                                                    NATUR IN BERLIN 4/21
12 | SPEKTRUM

„Wir können nicht ganze Ökos
Der Biologe und Buchautor Bernhard Kegel über prähistorisc
Sie haben sich mit den Ergebnissen der       heute größere Schnäbel als bei Museums-      vorstellen, dass wir mal an einen Punkt
relativ jungen Forschungsdisziplin der       exemplaren derselben Art.                    kommen, wo wir dankbar für Neophyten
climate change biology befasst. Was hat                                                   sein müssen. Weil sie dann möglicherwei-
Sie dabei am meisten überrascht?             Welche Rolle spielt der Klimawandel be-      se die einzigen Arten sind, die verwaiste
Zum einen die Erkenntnis, dass es in der     reits heute für das Artensterben?            Lebensräume wieder füllen können.
Erdgeschichte eine ganze Reihe Klimaver-     Ganz eindeutig ist der Klimawandel da
änderungen gegeben hat, die in vergleich-    bislang von untergeordneter Bedeutung,       In Berlin werden immer mehr wärme-
barer oder noch schnellerer Geschwin-        auch wenn er in den letzten Jahrzehnten      liebende Insekten heimisch, etwa die
digkeit abliefen wie heute. Zweitens, dass   zunehmend eine Rolle gespielt haben          Blaue Holzbiene. Führt der Klimawan-
sich aus dem Permafrost lebende Mikro-       mag. Aber im großen und ganzen sind die      del bei uns vielleicht sogar zu einer grö-
organismen gewinnen lassen. Das ist          Zerstörung von Lebensräumen, Fragmen-        ßeren Artenvielfalt?
schon ziemlich unheimlich.                   tierung, intensive Landwirtschaft, Urbani-   Das kommt auf den Zeithorizont an. Stu-
                                             sierung, all diese bekannten Phänomene       dien betrachten gewöhnlich den Zeit-
Die nächste Pandemie könnte also aus         viel wirksamer gewesen. Das Problem          raum bis 2050 oder vielleicht 2100. Da ha-
der Arktis kommen?                           ist aber: Auf diese schwer angeschlagene     ben wir tendenziell wahrscheinlich eine
Das würde ich nicht ausschließen. Es         Tier- und Pflanzenwelt trifft jetzt oben-    höhere Artenvielfalt, weil die alten Arten
gab in Sibirien schon einmal einen Milz-     drein der Klimawandel. Wobei da vermut-      noch da sind, während neue dazukom-
brandausbruch, bei dem nicht klar war,       lich nicht so sehr die langsam steigenden    men. Aber ich glaube nicht, dass das ein
wo der Erreger herkam.                       Durchschnittstemperaturen das Problem        dauerhafter Zustand sein wird.
                                             sein werden, sondern Extremereignisse,
Mich hat vor allem die Aussage über-         die lokal das Unterste zuoberst kehren.      Inwieweit können Arten in kühlere Le-
rascht, dass eine wärmere Welt eine          Wir haben ja mit dem Wald erlebt, was        bensräume ausweichen?
hungrige Welt ist. Warum ist das so?         zwei trockene Jahre anrichten können.        In früheren Wärmephasen sind Pflanzen
Die Aussage bezieht sich auf Studien aus                                                  und Tiere immer polwärts und bergauf
den USA, wo man sehr gut erhaltene Fos-      Aber sind nicht eher die vielerorts mi-      gewandert. Das konnten sie damals auch
silien aus der Zeit vor etwa 50 Millionen    serablen Praktiken der Forstwirtschaft       tun, weil sie weite, unberührte Landschaf-
Jahren findet. Damals gab es einen abrup-    Schuld am „Waldsterben 2.0“?                 ten vorfanden. Aber wir haben die Land-
ten Temperaturanstieg von sechs bis sie-     Darüber reden wir ja schon seit Jahr-        schaft komplett umgewandelt. Wir haben
ben Grad. In dieser Zeit wurden die Ur-      zehnten. Monokulturen sind anfällig ge-      Monokulturen angepflanzt, die für viele
pferde, die dort lebten, viel kleiner. Das   genüber extremen Ereignissen. Solange        Tiere No-go-Areas sind, wir haben lineare
waren nur noch halbe Portionen. Eine         das Klima noch mitgespielt hat, war das      Strukturen wie Autobahnen, die die Land-
mögliche Erklärung ist, dass die Pflanzen,   kein Problem. Jetzt bricht das System zu-    schaft durchschneiden, und Stadtgebiete,
die in dieser Wärmephase gediehen, eine      sammen. Allerdings kriselte in den Dürre-    die so groß wie Mittelgebirge sind. Man
schlechtere Nahrungsqualität hatten.         jahren auch die Buche, die ja immer als      kann sich lebhaft vorstellen, dass eine sol-
                                             Hoffnungsträgerin galt. Die Buchen litten    che Wanderung, die ja eher ein langsames
Gibt es heute ähnliche Beobachtungen?        vielerorts offenbar unter direkten Hitze-    Vorantasten auf der Suche nach neuen Le-
Tatsächlich gibt es Hinweise, dass sich      schäden.                                     bensräumen ist, heute nicht mehr ohne
bei manchen Vögeln und Fischen be-                                                        weiteres stattfinden kann.
reits Körpergröße und Gestalt verändern.     Halten Sie es für eine gute Idee, bei der
Man würde zum Beispiel erwarten, dass        Wiederaufforstung auf nicht einheimi-        Wovon hängt es ab, ob eine Art sich an
in einem heißeren Klima die Körperan-        sche „Klimabäume“ zu setzen?                 Klimaveränderungen anpassen kann?
hänge wie Ohren, Schnäbel, Schwänze          Vor zehn Jahren hätte ich rundweg nein       Das hängt von ihrer genetischen Ausstat-
größer werden, damit die Tiere mehr          gesagt. Die Probleme, die man sich mit       tung ab und von ihrer Fähigkeit, plastisch
Körperwärme an die Umgebung abge-            Neophyten einhandelt, sind potenziell so     auf Umweltveränderungen zu reagieren.
ben können. Und genau das beobachtet         groß, dass man diese Gefahr nicht einge-     Wir kennen ja von Pflanzen, dass sie an
man tatsächlich. Bei bestimmten aus-         hen sollte, wenn es einheimische Alterna-    unterschiedlichen Standorten verschie-
tralischen Papageien findet man etwa         tiven gibt. Inzwischen kann ich mir aber     dene Wuchsformen zeigen, dass sie mal

NATUR IN BERLIN 4/21
SPEKTRUM | 13

ysteme am Tropf erhalten“
he Klimaschwankungen und die Natur der Zukunft
   groß, mal klein sind, mal früher oder spä-   tige Tier- und Pflanzenwelt zumindest in         Bernhard Kegel studierte Chemie und
   ter blühen. Das sind Anpassungen an lo-      Teilen überlebt. Das heißt, wir müssen           Biologie an der FU Berlin. Er forschte
   kale Bedingungen. Aber diese Flexibilität    Grünkorridore schaffen, auf denen die-           über Käfer und arbeitete als ökologi-
   hat Grenzen. Ein spektakuläres Beispiel      Wanderungen stattfinden können. Zwei-            scher Gutachter und Lehrbeauftrag-
   dafür sind die Massensterben von Flug-       tens müssen wir uns gegenüber zuge-              ter. Später veröffentlichte er zahlrei-
   hunden in Australien. Für Flughunde ist      wanderten Arten tolerant erweisen. Wir           che Sachbücher, unter anderem „Die
   bei 42 Grad Schluss. Sie können sich of-     haben nicht die Wahl, wer da kommt, ob                               Ameise als Tramp“
   fenbar nicht an höhere Temperaturen          das spektakuläre Arten wie Bienenfresser                             über invasive Ar-
   anpassen, obwohl sie auch früher immer       und Gottesanbeterin sind oder Tigermos-                              ten, „Tiere in der
   mal wieder so hohen Temperaten ausge-        kito und neue Zeckenarten. Man mag                                   Stadt“,    „Käfer“
   setzt waren.                                 da in Einzelfällen eingreifen, aber im                               und aktuell „Die
                                                Großen und Ganzen müssen wir diesen                                  Natur der Zukunft“
   Städte sind ja Wärmeinseln. Ist die          Ab- und Zuwanderungsprozess tolerie-                                 (Dumont Verlag
   Stadtnatur mit ihrem oft merkwür-            ren, um den Überlebenskampf der Ar-                                  2021, 384 Seiten).
   digen Artenmix eine Art Prototyp der         ten nicht noch zu erschweren.
   „Natur der Zukunft“?
   Nein. Aber sie wird ein Ausgangspunkt        Sonst können wir nichts tun?                  Was empfinden Sie persönlich ange-
   für die Besiedlung des Umlands sein.         Entscheidend ist, dass wir die bestehen-      sichts all dieser Veränderungen?
   Wir haben hunderte wärmeliebende             de Vielfalt erhalten. Vielfalt ist eine Art   Ich hatte beim Schreiben meines Buch
   Arten, die bislang nur in Städten leben      Sicherheitsnetz, um die Stabilität eines      schon manchmal Schwierigkeiten, mei-
   können. Das sind natürlich hauptsäch-        Ökosystems zu gewährleisten. Wir              ne Zuversicht und gute Laune zu behal-
   lich Neophyten. Es ist ganz klar abzuse-     sollten uns deshalb auch bemühen,             ten. Das ist alles nicht besonders erfreu-
   hen, dass sich diese Arten aus den Städ-     verlorene Vielfalt wiederherzustellen,        lich. Aber es gibt auch Hinweise darauf,
   ten heraus ausbreiten werden.                zum Beispiel indem wir Flächen aus            dass die Natur vielleicht gar nicht so
                                                der Nutzung nehmen, Monokulturen              anfällig ist, wie wir befürchten. So ha-
   Besteht dann nicht die Gefahr, dass          in Mischwälder umwandeln oder Berg-           ben Forscher an Gründlandparzellen
   riesige Monobestände von Arten wie           baufolgelandschaften renaturieren.            die Folgen des Klimawandels simuliert.
   dem Götterbaum entstehen?                                                                  Sie haben die Versuchsflächen extremer
   Auf gestörten Standorten schon, aber         Wie können wir besonders gefähr-              Dürre ausgesetzt, bis oberirdisch alles
   in stabilen Lebensgemeinschaften kön-        deten Arten wie Amphibien helfen?             tot war. Aber sobald es wieder Wasser
   nen Neophyten nicht so einfach Fuß           Das ist ein schwieriger Fall. Das Pro-        gab, war die Vegetation zurück, wenn
   fassen. Auch deshalb müssen wir natür-       blem der Amphibien sind ja die Klein-         auch in veränderter Form. Sie haben
   liche Lebensgemeinschaften außerhalb         gewässer, die verschwinden. Das eine          die Natur einfach nicht tot gekriegt.
   der Städte möglichst vielfältig erhalten.    oder andere Gewässer werden wir ret-
   Wir haben bei Neophyten aber immer           ten oder sogar neu anlegen können,            Könnte das System Erde Kipppunkte
   die Tendenz dazwischenzuhauen, statt         aber wir können nicht ganze Ökosy-            überschreiten, sodass gar kein hö-
   zu schauen, was entwickelt sich da ei-       steme auf Dauer am Tropf erhalten.            heres Leben mehr existieren kann?
   gentlich? Ich nehme nicht an, dass sol-      Menschen wollen immer gern den Zu-            Das halte ich für möglich. Die Erde hat
   che Reinbestände auf Dauer existieren,       stand bewahren, den sie kennen und            schon die unterschiedlichsten Extrem-
   aber das müsste man beobachten.              ihr Leben lang gekannt haben. Die             situationen erlebt. Es gab zum Beispiel
                                                größte Herausforderung ist vielleicht,        die Schneeball-Erde, als auf der Erd-
   Welche Schlüsse sollten Naturschützer        diese Veränderungen in unseren Köp-           oberfläche wahrscheinlich nichts lebte,
   aus den Erkenntnissen der climate change     fen nicht nur als totale Zerstörung zu        nur im Wasser. Aber ich glaube nicht,
   biology ziehen?                              empfinden, sondern zu akzeptieren.            das wir so etwas als Folge dieses Klima-
   Zum einen müssen wir die Verschie-           Statt die Frösche zu beklagen, sollten        wandels erleben werden – weil wir zwar
   bungen der Verbreitungsgebiete ermögli-      wir uns an den Eidechsen erfreuen, die        viel zu langsam, aber doch reagieren.
   chen, wenn wir wollen, dass unsere heu-      statt dessen bei uns herumwuseln.                                 Interview: Alexandra Rigos

                                                                                                                        NATUR IN BERLIN 4/21
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