Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin

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Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
Ausgabe 2/2021

Landesverband Berlin
                       Natur in Berlin
                                   Mit dem Exkursionsprogramm
                                         von Juni bis September

                         Berliner Pflanzen
                         Wie steht es um
                         die Flora in der Hauptstadt?
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
LIEBE MITGLIEDER,
                                                                                                                         AKTUELLES   
LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE DES NABU,                                                                                  Petition Flughafensee                                          3
                                                                                                                         Young Birders Club                                             4
                                         mehr als 10.000 Unterschriften sind für un-                                     Bauprojekt Pankower Tor                                        5
                                         sere Petition „Rettet das Naturparadies am                                      Interview Jutta Sandkühler                                     6
                                         Flughafen Tegel!“ zusammengekommen,                                             Gefährliches Angelzubehör                                      7
                                         die wir Mitte April an Umweltsenatorin Re-
                                         gine Günther übergeben haben. Wir freuen                                        SCHWERPUNKT PFLANZEN

                                         uns, dass so viele Bürger*innen uns unter-                                      Interview: Wie geht's der Berliner Flora?                      8
                                         stützen und zeigen, dass ihnen der Schutz                                       Vom Rasen zur Wiese                                           11
                                                                                                                         Problem Götterbaum                                            12
                                         der Stadtnatur am Herzen liegt. Denn das
                                         ist in diesen Zeiten extrem wichtig.
                                                                                                                         SPEKTRUM
                                         Schließlich droht nicht nur dem Flugha-
                                                                                                                         Ausflugstipps Brandenburg                                    13
                                         fensee Gefahr. Vielmehr gibt es an vielen
                                                                                                                         Invasive Flusskrebse                                         14
                                         Stellen der Stadt Konflikte, bei denen der
                                         Naturschutz den Kürzeren zu ziehen droht.                                       BERLINER MITBEWOHNER
                                         Berliner Politiker*innen haben die Floskel                                      Die Zauneidechse                                              16
                                         „Bauen, bauen, bauen“ so verinnerlicht,
                                         als handle es sich um das elfte Gebot.                                          NABU VOR ORT
Hinterfragt wird da kaum noch. Aber wollen wir wirklich eine ungebremst wach-                                            Der Biesenhorster Sand                                        17
sende Stadt, die kaum noch Grünflächen und Platz für wilde Tiere und Pflanzen
hat? Und sollte nicht die Corona-Pandemie ein Anlass sein innezuhalten und zu                                            TERMINE UND KONTAKTE                                          18
beobachten, ob sich der Flächenbedarf vielleicht langfristig ändert? Viele Firmen
kündigen an, auch künftig auf Homeoffice zu setzen. Dadurch könnten beträchtli-
che Flächen frei werden. Doch im Wahljahr 2021 kommen nüchterne Erwägungen
nicht gut an, lieber rasseln die Kandidat*innen mit dem Betonmischer.
Wie unbekümmert selbst überregional bedeutende Naturschätze dabei aufs
Spiel gesetzt werden, zeigt das aktuelle Planungsverfahren zum „Pankower Tor“
(siehe Seite 5). Ohne Not nehmen Bezirk und Senat dort in Kauf, dass die einzige
Berliner Population der streng geschützten Kreuzkröte erlischt – damit der Inves-
tor dort einen Möbelmarkt errichten kann. Hier rächt es sich einmal mehr, dass
Berlin in der Vergangenheit wertvollen Grund an den Meistbietenden verscher-
belt hat. Noch allerdings hat die Kreuzkröte eine Chance. Der NABU Berlin wird
notfalls vor Gericht für ihr Bleiberecht kämpfen.
                                                                                                                                                                    Neuer Flyer:
                                                                                                                                                                 Die Wildvogelstation des
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!                                                                                                                        NABU Berlin stellt sich vor

1. Vorsitzender NABU Berlin

                                                                                                                                                                   IMPRESSUM
NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4, 13187 Berlin; 1. Vorsitzender: Rainer Altenkamp, 2. Vorsitzende: Kerstin Brümmer, Geschäftsführung: Melanie von Orlow; www.nabu-berlin.de, www.
facebook.com/NABU-Berlin; Redaktion: Rainer Altenkamp (V.i.S.d.P.), Alexandra Rigos (ar); Layout: Alexandra Rigos; Schlussredaktion: Alexandra Vogels; Redaktionelle Beiträge Nina
Dommaschke, Eric Neuling, Ansgar Poloczek, Rotraut Przybyla, Alexandra Rigos, Jens Scharon, Juliana Schlaberg, Malte Tschertner; Anzeigendaten: NABU Berlin e.V., Wollankstraße 4,
13187 Berlin, Tel.: (030) 9860837-18, arigos@nabu-berlin.­de; Mediadaten unter www.nabu-berlin.de; Erscheinungsweise vierteljährlich; Nächster Redaktionsschluss 04.08.21,
nächster Veranstaltungszeitraum September 2021 - Januar 2022; Papier 100% Recycling, Auflage 14.000, Druck Dierichs Druck + Media GmbH, Kassel; Bildnachweis: Titel: Uhi4/
shutterstock.com, S.2: Rainer Altenkamp: Carmen Baden, S.3: Petitionsübergabe: Alexandra Rigos, Innenhof: NABU/Helge May, S. 4: Young Birders Club: Matthias Mundt, TVO-Demo und
Bäume: Janna Einöder, S. 5: Konzept Pankower Tor: NABU Berlin, Buchcover: Oekom Verlag, S.6: Jutta Sandkühler: Max Noack, S. 7: Melanie von Orlow: Steffi Karma, übrige Porträtfotos:
privat, Stockente: Christian Passeri, S. 8: Astlose Grasnelke: Agnieszka Kwiecien/wikimedia.de, Prachtnelke: Bernd Haynold/wikimedia.de, Lungenenzian, Ph.THomasCptcv/wikipedia.de,
Mondraute: Alinja/wikimedia.de, S.9: Violette Schwarzwurzel: Hermann Schachner/wikimedia.de, S. 10: Schwärzliche Kuhschelle: Justus Meißner/Stiftung Naturschutz Berlin, Justus
Meißner: Anne-Marie Weiß/Stiftung Naturschutz Berlin, S. 11 Wiese: NABU/Eric Neuling, S. 12: Götterbaum: Kokaragac/wikimedia.de, S.13: Sternenhimmel: Thomas Becker, Grünhaus:
NABU/Helge May, Unterhavel, Bruchwald: NABU/Klemens Karkow, Buchenwald Grumsin: Sebastian Hennigs, Störche: Wolfgang Stürzbecher, S. 14/15: Roter Sumpfkrebs: Gyro/iStock.
com, Edelkrebs, Kamberkrebs: Aleksey Stemmer/iStock.com, S.16: Zauneidechse: Heinz Strunk, Eidechsenpaar: Willi Mayer, S.17: Biesenhorster Sand: Jens Scharon, S. 18: Sanddüne:
Juliane Kostowski; Hinweise der Redaktion: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen und
Bearbeitung von Beiträgen vor. Der NABU Berlin haftet nicht für unverlangt eingesandte Beiträge. Das Magazin und alle in ihm enthaltende Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Eine
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NATUR IN BERLIN 2/21
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
AKTUELLES | 3

Petition für den Flughafensee an Senatorin übergeben
Mehr als 10.000 Unterschriften für ein Naturschutzgebiet in Tegel
Am 14. April war es endlich so weit: Bei
echtem Aprilwetter und mit coronakon-
form kleiner Delegation übergab der
NABU Berlin Umweltsenatorin Regine
Günther vor ihrem Dienstsitz am Köll-
nischen Park symbolisch 10.181 Unter-
schriften für unsere Petition „Rettet das
Naturparadies am Flughafen Tegel!“. Ge-
startet war die Aktion Anfang Oktober
2020, als mit der Schließung des Airports
unmittelbare Gefahr im Verzug war, das
artenreiche Gelände am Flughafensee
könne bei der Nachnutzungsplanung zur
Disposition gestellt werden.
Schon seit Jahrzehnten fordert der NABU
Berlin, das Gebiet endlich unter Natur-           Rainer Altenkamp, Vorsitzender des NABU
schutz zu stellen, wurde bislang von der          Berlin, übergibt Umweltsenatorin Regine
Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr              Günther die Petition.
und Klimaschutz jedoch immer vertrös-
tet. Nun sollte die Petition den Senat end-
lich zum Handeln bewegen.                     Stellen beantragt und „gehe damit jetzt       Einsatz für den Naturschutz erwartet
Senatorin Günther nahm die Kritik             in die Verhandlungen“, so Günther.            habe. „Der Rückstau bei den Ausweisun-
freundlich zur Kenntnis und räumte ei-        NABU Berlin-Vorsitzender Rainer Alten-        gen ist wirklich enorm: 46 Gebiete an der
nen „Ausweisungsstau“ bei Naturschutz-        kamp wies humorvoll, aber unmissver-          Zahl“, kritisierte Altenkamp, „die Uhr
gebieten ein. Für den kommenden Haus-         ständlich darauf hin, dass man von ei-        tickt, und sie tickt schon viel zu lange.
halt 2022/23 habe man jedoch zusätzliche      nem rot-rot-grünen Senat deutlich mehr        Jetzt muss gehandelt werden!“

Schluss mit der Totpflegerei!
Auch die vom NABU Berlin unterstützte Initiative „Grüne Höfe“ übergibt Petition
Und noch eine erfolgreiche Petition für die   Das Bündnis aus NABU-Aktiven und              hat dies im „Handbuch Gute Pflege“ so-
Stadtnatur: Die Initiative „Grüne Höfe Ber-   Mieter*innen kritisiert, dass Grünanlagen     gar aufgeschrieben. Eine extensive Mahd,
lin“ hat am 24. März 4.200 Unterschriften     und Innenhöfe von den beauftragten Gar-       Laubbläsereinsatz nur auf versiegelten
für die Erhaltung des Stadtgrüns an das       tenbaufirmen eher zu Tode gepflegt statt      Flächen und die Pflanzung heimischer
Berliner Abgeordnetenhaus übergeben.          erhalten werden.                              Gehölze sind nur einige Beispiele. Diese
Entgegengenommen wurde die Petition           Im Sinne einer „ordentlichen“ Wohnum-         Empfehlungen gilt es nun zum verpflich-
von der Grünen-Fraktionsvorsitzenden          gebung entstehen artenarme Rasenflä-          tenden Standard für die öffentliche Hand
Antje Kapek und der Stadtentwicklungs-        chen, werden ohne Not Sträucher auf den       zu machen. Das Potenzial für mehr Stadt-
sprecherin der Linken, Katalin Gennburg.      Stock gesetzt und wird das Laub mit Ma-       natur wäre groß: Allein die sechs landes-
                                                                        schineneinsatz      eigenen Wohnungsunternehmen unter-
                                                                        noch aus dem        halten Außenflächen von der Größe des
                                                                        letzten Gebüsch     Müggelsees.
                                                                        gepustet. Nah-      Gerade Corona habe gezeigt, dass Stadtna-
                                                                        rung,      Schutz   tur ein essenzieller Teil der sozialen Infra-
                                                                        und Lebensraum      struktur sei, antwortete Antje Kapek auf
                                                                        für     Insekten    die Forderungen. Sie will sich für mehr
                                                                        und Vögel ver-      Stadtgrün einsetzen. Zu hoffen bleibt,
                                                                        schwinden.          dass in diesem Wahljahr noch die Wei-
                                                                        Dabei ist eigent-   chen gestellt werden.
                                                                        lich klar, wie es   Die Initiative „Grüne Höfe Berlin“ will je-
                                                                        anders      gehen   denfalls den Druck aufrechterhalten und
                                                                        kann, und die       sammelt weiter Unterschriften.
                                                                        Umweltverwal-                                        Eric Neuling
  Da geht noch was: Innenhof in Berlin
                                                                        tung des Senats     www.change.org/gruene-hoefe-berlin

                                                                                                                       NATUR IN BERLIN 2/21
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
4 | AKTUELLES / MEINUNG

Mach mit beim Young Birders Club!
NAJU Berlin gründet Club für junge Vogelbeobachter*innen
Du bist zwischen 14 und 21 Jahren alt?
Du beobachtest gerne Vögel, möchtest
Gleichgesinnte kennenlernen und dein
Wissen erweitern?
Du kannst bereits Amsel von Star un-
terscheiden?
Dann könnte der neu gegründete Young
Birders Club Berlin etwas für dich
sein. Er ist eine Anlaufstelle für junge
Vogelbeobachter*innen, die gemeinsam
mit uns in Berlin und Umgebung Vogel-
                                                                                                  Matthias Mundt (links) und Manuel Tacke
arten bestimmen und beobachten, Neu-
es entdecken und den Vogelzug erleben
wollen. Bei uns erfahrt ihr Basiswissen         • Zielgruppe: Anfänger*innen und Fort-        schaft und ggfs. Fahrten an. Informati-
über korrekte Bestimmung, arttypi-              geschrittene                                  onen zur Mitgliedschaft findet ihr hier:
sches  Verhalten, die
 Nina Dommaschke,     wissenschaftliche
                        neue             Kar-   • Alter: circa 14 – 21 Jahre                  www.naju-berlin.de/mitglied-werden
tierung   sowie Vogel-
 Artenschutz-Expertin  beimund Naturschutz.     • Treffen: Termine nach Absprache             • Leitung: Manuel Tacke und Matthias
Berlin  hat viele
 NABU Berlin,        spannende
              hält nach besetzten Ecken, und    • Ort: Kein fester Treffpunkt, Mobilität      Mundt
hin  und wieder
 Nistkästen         gibt es auch hier kleine
            Ausschau.                           (Fahrrad / S-Bahn) ist Voraussetzung
gefiederte Seltenheiten zu entdecken!           • Material: Vernünftiges Fernglas und/        Für weitere Infos oder bei Fragen schaue
Wir – das sind Manuel und Matthi-               oder Kamera                                   auf unserer Webseite vorbei (www.naju-
as, zwei leidenschaftliche Birder und           • Messenger: Signal                           berlin.de/gruppen/young-birders-club) oder
haupt- und ehrenamtlich bei der NAJU            • Preis: kein Gruppenbeitrag. Es fallen       schreibe an ybc@naju-berlin.de.
und beim NABU beschäftigt.                      lediglich Kosten für die NABU-Mitglied-       Wir freuen uns auf Dich!

                                                                                              Mauer- und Abendsegler-Fans
                                                                                              gesucht!
                                                                                              Monitoring geht in die nächste Runde
                                                                                              Werden bei Bauprojekten geschützte
                                                                                              Lebensstätten von Vögeln und Fleder-
                                                                                              mäusen zerstört, müssen sie durch
                                                                                              Ausgleichsmaßnahmen, meist in Form
                                                                                              von Nist- und Quartierkästen, ersetzt
                                                                                              werden. Allerdings herrscht noch Un-
                                                                                              kenntnis darüber, ob diese Kästen tat-
                                                              NABU-Aktive auf der Fahrrad-    sächlich angenommen werden und wel-
                                                         demo, Plakate an Bäumen (kl. Foto)   che Einflüsse dabei eine Rolle spielen.
                                                                                              Genau das möchte der NABU Berlin im
                                                                                              senatsgeförderten Projekt „Artenschutz

Radeln für den Wald                                                                           am Gebäude“ herausfinden. Untersucht
                                                                                              wird unter anderem, wie sich die Lage
NABU organisiert mit anderen Verbänden Demo gegen die TVO                                     und Höhe der Lebensstätte am Gebäude,
                                                                                              ihre Exposition und die Begrünung der
Ende April demonstrierten Hunder-               derer Umweltverbände natürlich auch           Umgebung auswirken. Für diese Aufga-
te Berliner*innen gegen den Bau der             ein Team des NABU Berlin beteiligte.          be suchen wir noch Ehrenamtliche, die
Tangentialverbindung Ost (TVO), einer           Darunter waren vor allem Aktive aus           berlinweit wertvolle Daten zu Mauerseg-
Schnellstraße, die ein wertvolles Wald-         der Bezirksgruppe Treptow-Köpenick.           ler- und Fledermauskästen sammeln.
stück der Wuhlheide zerschneiden wür-           Erfreulicherweise machten auch viele          Wer Interesse hat, uns von Mai bis Ende
de. „Die TVO steht für eine rückwärts-          Kinder und Jugendliche mit. Teils zu          Juli 2021 zu unterstützen, melde sich
gewandte Verkehrspolitik, die so nicht          Fuß, teils mit dem Fahrrad ging es bei        bitte unter artenschutz_am_gebaeude@
mehr tragbar ist“, sagt Juliana Schla-          bestem Frühlingswetter vom Bahnhof            nabu-berlin.de. Einsatzort und Zeitauf-
berg, Naturschutzreferentin des NABU            Wuhletal in den Wald, wo die Aktiven          wand können selbst gewählt werden,
Berlin und Mitorganisatorin der Aktion,         kreative Plakate an Bäumen befestigten,       auch wenige Tage Einsatz helfen uns
an der sich neben Vertreter*innen an-           die der TVO weichen müssten.                  schon sehr weiter!        Nina Dommaschke

NATUR IN BERLIN 2/21
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
AKTUELLES | 5

Unser Konzept für das „Pankower Tor“                                                      kommentar
Platz für Wohnungsbau und Kreuzkröte                                                      Kuhhandel mit dem
Auf der Fläche des „Pankower Tors“ lie-    durch mit einem Pufferstreifen entlang         Möbelbaron
gen fünf temporäre Kleingewässer, die      der Bahnschienen verbunden sein. Die-
von den streng geschützten Kreuzkrö-       ser Streifen sichert einen Wanderkorri-
ten zum Laichen genutzt werden. Mit        dor, über den sich Zauneidechsen und
dem NABU-Konzept ließen sich drei der      Kreuzkröten neue Habitate erschließen
fünf Gewässer erhalten. Trotzdem wäre      können. Dies ist wichtig für den geneti-
der Großteil des Geländes für den Woh-     schen Austausch zwischen verschiede-
nungs- und Schulbau nutzbar.               nen Populationen. Deshalb ist der Puffer
Um sowohl den Kreuzkröten als auch         als Biotopverbindung unabdingbar.
Brachpiepern und zahlreichen ande-         Sowohl er als auch das Reservat müssten
ren, besonders und streng geschützten      von einem Zaun umgeben sein, um die
Arten vor Ort ein Habitat zu bewahren,     Tiere vor Radfahrern und Hunden zu
                                                                                          Ansgar Poloczek
                                                                                          Artenschutzreferent des NABU Berlin
schlagen wir vor, rund acht Hektar als     schützen. Zudem wären die Flächen so
Reservat zu erhalten. Es handelt sich um   zu pflegen, dass die zu schützenden Ar-        Haben Sie immer schon davon geträumt,
die Fläche, auf der die Krieger Projekt-   ten dort langfristig überleben können.         gleich um die Ecke bei Ihrem Möbelmarkt ein-
entwicklung GmbH derzeit einen Möbel-      Schließlich müssten jene Areale, die           zukehren, um bequem in der Frühstückspau-
markt mit bis zu 450 Parkplätzen plant.    durch die Wohnbebauung für die Natur           se ein neues Sofa shoppen zu können? Wenn
Zur Biotopvernetzung müsste das Reser-     verloren gehen, an anderer Stelle durch        ja, dann finden Sie womöglich, der Bau eines
vat über einen Amphibientunnel unter       geeignete Ersatzmaßnahmen ausgegli-            Möbelmarkts in der Innenstadt liege im öffent-
dem Radschnellweg „Panketrail“ hin-        chen werden.               Juliana Schlaberg   lichen Interesse. Natürlich begrüßen Sie dann
                                                                                          auch den zusätzlichen Verkehr, den die 450
                                                                                          Parkplätze des Markts in Ihren Kiez locken.
                                                                                          Alle anderen Leser*innen dürften sich hingegen
                                                                                          wundern, dass Berliner Behörden ernsthaft in
                                                                                          Betracht ziehen, ein neuer überdimensionaler
                                                                                          Möbelmarkt innerhalb des S-Bahn-Rings kön-
                                                                                          ne „im übergeordneten Interesse der Öffent-
                                                                                          lichkeit“ liegen. Leider ist diese Formulierung
                                                                                          nicht nur eine seltsame bürokratische Floskel,
                                                                                          sondern kann den gesetzlich gebotenen Schutz
                                                                                          bedrohter Arten aushebeln.
                                                                                          Genau das beabsichtigt die Firma Krieger SE,
                                                                                          die am „Pankower Tor“ Wohnungen, Schulen
                                                                                          und eben auch besagten Möbelmarkt errichten
                                                                                          will. Bekanntlich existiert auf dem Gelände
                                                                                          das letzte Berliner Vorkommen der streng ge-
                                                                                          schützten Kreuzkröte, einer Art, die nicht nur
                                                                                          in der Hauptstadt, sondern auch deutschland-
                                                                                          weit stark gefährdet ist.
                                                                                          Nach deutschem sowie EU-Recht darf sich
                                                                                          der Erhaltungszustand dieser Art nicht ver-
                                                                                          schlechtern – ärgerlich für Krieger, denn der
                                                                                          Investor müsste der Krötenpopulation einen
Wasser und Sand                         Quelle (die ein ganz eigener, bedrohter           Teil seines Grundstücks überlassen. Da dies die
Buchtipps für die Strandlektüre         Lebensraum ist) bis zum Strom. Hinge-             Profite schmälert, will er die Tiere umsiedeln
                                        gen schildert „Sand“ von Vince Beiser             lassen, was nach dem Gesetz eigentlich nicht
Wasser und Sand – zwei Stoffe, denen faktenreich, wie selbst ein scheinbar                geht. So ist man auf den Trick verfallen, das
wir meist wenig Beachtung schenken, unerschöpfliches Material zur knappen                 ganze Projekt zum öffentlichen Interesse erklä-
weil sie so selbstverständlich erschei- Ressource werden konnte. Denn unsere              ren zu lassen – mit ausdrücklicher Billigung
nen. Eine Täuschung, wie                Städte sind aus – und letzt-                      des Pankower Stadtrats für Stadtentwicklung.
die Lektüre zweier neuer                endlich auf – Sand gebaut.                        Dabei besteht kein Grund, Wohnungsbau und
Bücher zeigt: „Wasserpfa-               Thomas Schäfer: Wasserpfade.                      Möbelmarkt als Einheit zu betrachten. Viel-
de“ von Thomas Schäfer                  Streifzüge an heimischen Ufern.                   mehr steckt dahinter ein Kuhhandel: Gib uns
nimmt den Leser mit auf                 288 Seiten, Oekom Verlag 2021                     die dringend benötigten Wohnungen, dann
literarische   Wanderun-                Vince Beiser: Sand. 320 Seiten,                   bekommst du Deinen Möbelmarkt. Zukunfts-
gen an Gewässer, von der                Oekom Verlag 2021.                                weisende Stadtentwicklung sieht anders aus.

                                                                                                                      NATUR IN BERLIN 2/21
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
6 | AKTUELLES

Fünf bewegte Jahre für die Stadtnatur
Ende 2020 verließ Jutta Sandkühler zu unserem großen Bedauern den NABU
Berlin. Im Interview blickt sie auf ihre Zeit als Geschäftsführerin zurück.
Jutta, was hat Dich vor fünf Jahren zum      einten Kräften gelang,
NABU Berlin geführt?                         nachträglich den Be-
Ich kannte Berlin bereits und war faszi-     reich Naturschutz in der
niert von der Energie der Stadt und der      Verwaltung finanziell
engen Verzahnung von Stadt und Natur         etwas zu stärken. NABU-
– sowohl im Kleinen durch Spontanvege-       intern freue ich mich
tation in „ungepflegten“ Ecken als auch      besonders, dass es mit
im Großen durch die damals noch zahl-        Unterstützung des AGH
reichen artenreichen Brachflächen im         und der SenUVK gelun-
innerstädtischen Bereich. Und da ich im-     gen ist, die Finanzierung
mer von der Vielseitigkeit des NABU be-      der      Wildvogelstation
eindruckt war, hatte ich große Lust, mich    auf eine stabilere Basis
mit dem NABU für die Berliner Stadtna-       zu stellen, und dass wir
tur einzusetzen.                             zwei neue Projekte auf
                                             den Weg bringen konn-
Was waren die denkwürdigsten Momen-          ten: den Hymenopteren-            Jutta Sandkühler
te Deiner Zeit als Geschäftsführerin?        dienst und das Projekt
Zunächst die Veröffentlichung des Hand-      „Artenschutz am Gebäude“. Die Rettung           Mitarbeiter*innen einstellen. Außerdem
lungsprogramms zur Beschleunigung des        der Elisabethaue vor Bebauung – zumin-          haben wir zwei neue Bezirksgruppen und
Wohnungsbaus durch die Senatsverwal-         dest in dieser Legislaturperiode – war          vier Kindergruppen gegründet. Das Rückla-
tung für Stadtentwicklung genau zwei         ebenfalls ein Erfolg. Und natürlich freue       genziel ist erreicht und deutlich überschrit-
Tage, nachdem die Senatsverwaltung           ich mich, dass wir in den letzten fünf Jah-     ten. Ich würde sagen, der NABU Berlin steht
für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz          ren die eine oder andere Klage gewonnen         im Moment auf einer soliden Basis.
den Startschuss für die „Charta für das      haben und durch unsere Stellungnahmen
Berliner Stadtgrün“ gab. Dieser Wider-       zu Bauvorhaben oft das Bestmögliche für         Was wünscht Du der Berliner Stadtnatur?
spruch zeigte das Dilemma der wach-          die Natur erreichen konnten. Oft erlebten       Zuallererst eine Stadtentwicklung, die den
senden Stadt, die dringend günstigen         wir aber auch die Enttäuschung, uns ge-         Erhalt der Natur und damit der Artenviel-
Wohnraum braucht und zugleich eine           genüber Bauinteressen nicht behaupten           falt mitdenkt und proaktiv die verbliebe-
hohe Verantwortung für die Artenvielfalt     zu können und zusehen zu müssen, wie            nen artenreichen Flächen auch in inner-
trägt. Sehr bewegend für mich                                wertvolle Flächen versie-       städtischen Bereichen schützt. Weiter ein
war das 30-jährige Jubiläum „Durch unsere Stellung- gelt werden.                             deutliches politisches Bekenntnis für die
der Storchenschmiede. Bei nahmen konnten wir oft Ein wirklich herber Rück-                   Stadtnatur und den Mut, dies auch in die
dem Fest wurde deutlich, wie
viele Menschen sich haupt-
                                das Bestmögliche für die in Linum, als wir feststel- Tat
                                                             schlag war die Entwicklung          umzusetzen. Eine vollversiegelte Groß-
                                                                                             stadt bietet keine Lebensqualität – weder
und ehrenamtlich mit hohem          Natur erreichen.“        len mussten, dass weitere       für Pflanzen und Tiere noch für Menschen.
persönlichem Einsatz für die                                 finanzielle Unterstützung
Station eingesetzt haben. Besonders wird     für die geplante Sanierung nicht zu ak-         Was zieht Dich zurück nach Hamburg?
mir auch das Cello-Konzert auf dem Tem-      quirieren war. Umso mehr freue ich mich         Es sind vor allem private Gründe, die mich
pelhofer Feld in Erinnerung bleiben. Es      über die Gründung der Storchenschmiede          nach Hamburg ziehen. Das großartige
erwuchs aus einer spannenden Kooperati-      gGmbH, an der der NABU Berlin als Ge-           Team des NABU Berlin wird mir aber feh-
on mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester        sellschafter beteiligt ist, und wünsche ihr     len. Die Arbeit mit den hoch engagierten
Berlin. 150 Cellist*innen kamen zusam-       von Herzen viel Erfolg!                         und kompetenten Mitarbeiter*innen war
men, um der Feldlerche anlässlich ihrer                                                      wirklich eine große Freude und hat mir viel
Kür zum Vogel des Jahres 2019 auf ihrem      Wie hat sich der NABU in diesen fünf            Spaß gemacht. Ebenso der fruchtbare Aus-
größten Brutgebiet in Berlin ein Ständ-      Jaren verändert?                                tausch mit dem Vorstand und den Bezirks-
chen zu geben. Und die Feldlerchen stan-     Der NABU Berlin ist gewachsen. Knapp            und Fachgruppen, die ebenfalls eine tolle
den am Himmel und sangen mit!                7.000 Berliner*innen sind in den letzten        Arbeit leisten. Und ganz sicher werden mir
                                             fünf Jahren eingetreten, so dass jetzt fast     die Berliner Spatzen fehlen. Hamburg ist
Was waren die größten Erfolge und            20.000 Mitglieder unseren Einsatz für           leider ein bisschen zu perfekt für diese ent-
Rückschläge in Deiner Zeit als Ge-           die Berliner Natur finanziell und teils         zückenden nervtötenden Schwätzer…
schäftsführerin?                             aktiv unterstützen. Durch die neuen Mit-
Als Erfolg werte ich den Einsatz vor den     gliedsbeiträge, die Projektförderungen          Liebe Jutta, vielen Dank für das Ge-
Verhandlungen zu den letzten beiden Ber-     und ein höheres Spendenaufkommen                spräch! Wir vermissen Dich sehr und
liner Haushaltsgesetzen, als es mit ver-     konnten wir neun weitere hauptamtliche          wünschen Dir alles Gute!

NATUR IN BERLIN 2/21
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
AKTUELLES | 7

Noch mehr Frauenpower in der Geschäftsstelle                                                 schwalbenfreundlichen        Haus    eine
                                                                                             Schwäche für die Stadnatur. Ansons-
Drei neue Mitarbeiterinnen und ein Rollenwechsel                                             ten interessiert sich die Wahlberlinerin
                                                                                             und Mutter zweier Schulkinder für Li-
Nachdem Jutta Sandkühler zum Jahres-                               und war zuletzt Bü-       teratur, Kunst und Informatik.
wechsel ihre Tätigkeit als Geschäftsfüh-                           roleiterin in einer       Als Nachfolgerin von Lisa Söhn beim
rerin des NABU Berlin beendet hatte,                               Corporate-Design-         Projekt „Artenschutz am Gebäude“ ist
erklärte sich Melanie von Orlow bereit,                            Agentur, wo sie           Nina Dommaschke zum NABU Berlin
diese Aufgabe bis zunächst Dezember                                zwar viel gelernt         gekommen. Die gebürtige Branden-
                    2021 zu überneh-                               hat, aber mit der         burgerin hat Biologie in Berlin und
                    men. Melanie ist           Dörthe Freese       Branche nicht ganz        „Landscape Ecology
                    Mitgliedern      des                           glücklich war. Sie        and Nature Conser-
                    NABU Berlin als           wünschte sich einen Arbeitgeber, der           vation“ an der Uni-
                    ehemalige zweite          etwas Positives für die Gesellschaft be-       versität Greifswald
                    Vorsitzende bestens       wirken kann. Da sie sehr naturverbun-          studiert und in ih-
                    bekannt und lei-          den ist, freut sich                            rer Masterarbeit am
 Melanie von Orlow  tet seit Ende 2019        die Mutter einer                               IZW in Berlin die
                    hauptamtlich den          13-jährigen Tochter                            Biologie migrieren- Nina Dommaschke
Hymenopterendienst. Sie wird dieses           und      passionierte                          der Fledermäuse un-
Projekt neben ihrer Tätigkeit als Ge-         Gärtnerin sehr, dass                           tersucht. Sie interessiert sich besonders
schäftsführerin weiter betreuen. Das          sich ihr beim NABU                             für Fledermäuse und freut sich darauf,
Team der Geschäftsstelle unterstützt          Berlin neue Pers-        Susanne Theiß         sich im Rahmen des Projekts für deren
Melanie tatkräftig, viele Aufgaben wur-       pektiven eröffnen.                             Schutz einzusetzen und Menschen für
den intern neu verteilt.                      Ebenfalls neu im                               die vielfältige Stadtnatur in Berlin zu
Zur weiteren Entlastung nahm Anfang           Team ist Susanne Theiß, die als Nach-          begeistern. Sie verbringt ihre Freizeit
April Dörthe Freese ihre Tätigkeit als        folgerin von Sonja Javernik die Bürolei-       (soweit es momentan möglich ist) am
Assistentin der Geschäftsführung auf.         tung übernimmt. Susanne kommt als              liebsten mit ihren Freunden sowie der
Diese Stelle wurde neu geschaffen.            Quereinsteigerin in den Naturschutz,           Pflege ihrer Zimmer- und Balkonpflan-
Dörthe ist Betriebswirtin für Hotellerie      hat aber seit ihrer Kindheit in einem          zen und kocht gern.

Das qualvolle Sterben einer Ente am Landwehrkanal
NABU-Wildvogelstation warnt vor verlorenem oder entsorgtem Angelzubehör
An Berliner Gewässern lauert eine unter-      Haken verschluckt, was sich oft nur da-         diesem Anlass nachdrücklich auf die Ge-
schätzte Gefahr, wie der Fall einer weibli-   ran erkennen lässt, dass dem Vogel me-          fahr durch verlorenes oder unsachgemäß
chen Stockente am Kreuzberger Paul-Lin-       terweise Angelschnur aus dem Schnabel           entsorgtes Angelzubehör hin. Mit etwas
cke-Ufer zeigt. Über mehrere Tage hinweg      hängt. Die eingeschränkte Nahrungsauf-          Umsicht könnten Angler viel Leid verhin-
versuchten Bürger*innen, Tierrettungen        nahme, innere und äußere Verletzungen           dern und den Aufenthalt am Wasser für
und die NABU-Wildvogelstation das Tier        sowie die verminderte Bewegungsfreiheit         Menschen und Vögel deutlich ungefährli-
zu fangen, weil sich an seinem Hals und       lassen das betroffene Tier leiden und füh-      cher gestalten.             Malte Tschertner
Kopf mehrere Angelhaken verfangen und         ren zum Tode,
großflächige Wunden gerissen hatten.          wenn es nicht
                                              behandelt wird.
Gefahr nicht nur für Wasservögel              Auch der Fall
Dies ist leider kein Einzelfall. Immer wie-   der Kreuzberger
der führen reißfeste Angelschnüre sowie       Stockente ging
Angelhaken zu schweren Verletzungen           leider nicht gut
bei Wasservögeln. Beim Schwimmen oder         aus. Da das Tier
Gründeln kommen die Tiere mit treiben-        sich nicht ein-
den Schnüren und losgerissenen Haken          fangen ließ, ent-
in Kontakt – selbst dann noch, wenn           zündete sich die
der Angler längst nicht mehr vor Ort ist.     Wunde am Hals
Auch am Ufer findet sich entsorgtes An-       so stark, dass die
gelzubehör, das beim Rasten oder bei der      Ente schließlich
Nistplatzsuche zur Gefahr nicht nur für       tot aufgefunden
Wasservögel wird.                             wurde.
Typische Verletzungen sind abgeschnürte       Die Wildvogel-         Verletzte Stockente mit Angelhaken in Kopf und Hals
Gliedmaßen. Immer wieder werden auch          station weist aus

                                                                                                                       NATUR IN BERLIN 2/21
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
8 | SCHWERPUNKT

„Nur 39 Prozent unserer Wildpflan
Florenschutz-Experte Justus Meißner über das Problem Stic
Herr Meißner, wie steht es um die Berli-       Biotope, auf die Vegetation und auch auf      nach Europa gebracht wurden. Anderer-
ner Wildpflanzenflora?                         Tiere. Bei Bau- und Infrastrukturprojek-      seits können auch einige heimische Ar-
Bei einigen Arten sehen wir positive Ent-      ten werden Standorte vernichtet. Dann         ten, zum Beispiel das Landreitgras, sehr
wicklungen, bei anderen negative. Die          ist da die Erholungsnutzung. Gerade im        dominant sein und etwa Trockenrasen
letzte Rote Liste der Farn- und Blüten-        letzten Jahr hat es coronabedingt teilwei-    überwachsen. Umgekehrt sind längst
pflanzen ist erst 2018 erschienen, so dass     se sehr negative Entwicklungen gegeben.       nicht alle Neophyten invasiv.
wir einen ganz guten Überblick haben.          Einerseits ist es ja gewünscht, dass die
Insgesamt gibt es in Berlin rund 1.500         Menschen hinaus in die Natur gehen,           Was ist aus Ihrer Sicht das größten Sor-
etablierte     Pflanzen-                                    aber andererseits bringt das     genkind unter den invasiven Arten?
arten,  also Arten,
   Kahnpartie: Pechseedie
                       um 1930                              auch Probleme mit sich:          Die Robinie. Wo die einmal wächst, be-
sich hier seit mehre-                                       Die Leute laufen querfeld-       kommt man sie nicht mehr weg. Und da
ren Generationen in                                         ein durch den Wald, Reiter       sie Stickstoff aus der Luft fixiert und so
der Natur vermehren.                                        oder Mountainbike-Fahrer         den Boden düngt, verändert sie die Stand-
Davon gelten nur 39
Prozent als ungefähr-                              2        halten sich nicht an mar-
                                                            kierte Strecken. Da kann es
                                                                                             orte
                                                                                             extrem.
                                                                                                     ganz

det. 17 Prozent sind                                        schnell mal passieren, dass      Dann
bereits     verschollen,                                    das letzte Vorkommen einer       wandern
weitere 29 Prozent                                          seltenen Art plattgetreten       stickstofflie-
sind als vom Ausster-                                       oder überfahren wird. In         bende Arten
ben bedroht, stark gefährdet oder ge-          der Wuhlheide zum Beispiel haben wir          wie die
fährdet eingestuft. Der Rest steht auf der
Vorwarnliste oder kann wegen unzurei-
                                               erlebt, dass einige unserer Zielarten an
                                               Säumen verschwunden sind, weil dort ge-
                                                                                             Knoblauchs-
                                                                                             rauke ein,
                                                                                                                                4
chender Daten nicht bewertet werden.           ritten wurde. Ein weiteres Problem sind       und andere
                                               Gartenabfälle, die manche Leute noch im-      Pflanzen
Welchen Arten geht es besonders                mer in die Landschaft kippen.                 verschwinden.
schlecht?
Es gibt einige Pflanzenarten, die fühlen       Warum ist das so schädlich?                   Steckt die Stickstoffbelastung der Um-
sich in Berlin sehr wohl. Das sind meist       Zum einen werden da ja existierende           welt auch dahinter, wenn sich einheimi-
                          stickstoff lie-      Pflanzengesellschaften wie Säume oder         sche Pflanzen invasiv verhalten?
                          bende Arten,         Trockenrasen überschüttet. Außerdem           Das kann sehr wohl damit zusammen-
                          weil wir ja eine     trägt man mit den Gartenabfällen Nähr-        hängen. Wir beobachten seit Jahren, dass
                          flächendecken-       stoffe ein, so dass es zur Eutrophierung      sich in Feuchtwiesen das Schilf ausbrei-
                          de    Düngung        kommt. Und schließlich gelangen so            tet. Hinzu kommt, dass der Klimawandel
                          der Landschaft       auch Pflanzen- und Wurzelreste in die         die Vegetationsperiode verlängert, was
                          mit Stickstoff       Natur, und das kann zur Ausbreitung von       vor allem Gräser begünstigt. Die können

               1
                          haben. Man-          invasiven Arten führen.                       schneller austreiben und sich auf Kosten
                          che Pflanzen                                                       schwächerer Arten ausbreiten.
                          vertragen das        Welche Rolle spielen denn generell inva-
                          gut, sie breiten     sive Arten beim Florenschutz?                 Wir sehen also einen Trend zu einer ar-
                          sich stark aus       Das muss man differenziert betrachten.        tenärmere Flora, in der sich vor allem
und können dann andere verdrängen, die         Da gibt es ja einerseits die von der EU als   die grünen Rabauken behaupten?
auf einen mageren Standort angewiesen          invasiv                                       Genau, das läuft nach der Devise ab:
sind. Und eben diesen konkurrenzschwa-         eingestuf-                                    „Der Stärkere setzt sich durch“. Histo-
chen Arten geht es derzeit nicht gut. Das      ten Arten.                                    risch hat in der Kulturlandschaft ja im-
betrifft alle Lebensräume, sowohl nasse        Das sind                                      mer ein Nährstoffmangel vorgeherrscht.
Standorte wie die Moore als auch trocke-       in der Re-                                    Heute bekommen die Pflanzen durch
ne, wie etwa Trockenrasen.                     gel Neo-                                      die Stickoxide aus dem Verkehr und
                                               phyten,                                       das Ammoniak aus der Landwirtschaft
Ist demnach Stickstoff der Hauptfeind          also nicht                                    ständig Kraftfutter. In Berlin sind dabei
der Pflanzenvielfalt?
Einer von mehreren. In einer Stadt wie
                                               heimische
                                               Arten, die                     3              Landwirtschaft und Viehhaltung nicht so
                                                                                             relevant, überregional sehr wohl. Bei uns
Berlin gibt es natürlich viele Einflüsse auf   seit 1492                                     spielt eher der Verkehr eine Rolle.

NATUR IN BERLIN 2/21
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
SCHWERPUNKT | 9

nzen sind nicht gefährdet“
 kstoff, genetische Vielfalt und die Schwärzliche Kuhschelle
     Elektroautos würden also auch der Ve-                                                        Schutzmaßnahmen vorgesehen. Wir ha-
     getation gut tun?                                                                            ben diese Pflanzen schließlich gerettet.
     Ja. Der Rückgang der Stickoxid-Emissio-                                                      Welchen Beitrag können Privatgärtner
     nen wäre ein positiver Nebeneffekt.                                                          leisten, um seltene Wildpflanzenarten
                                                                                                  zu erhalten?
     Wie schwer ist es, bei Bauvorhaben den                                                       Bei den ganz seltenen Arten können

                                                                           5
     Schutz der Flora durchzusetzen?                                                              Liebhaber wenig tun, das ist eine Sache
     Das Bild ist durchwachsen. Wir stellen ja                                                    für Profis. Anders sieht es bei den noch
     Planungsbüros und Unteren Naturschutz-                                                       etwas häufigeren Arten aus. Da gibt es
     behörden auf Anfrage unsere Daten zur                                                        partizipative Projekte wie „Urbanität &
     Verfügung. Leider machen wir dabei in                                                        Vielfalt“ (www.uundv.de). Der Ansatz dabei
     der Regel nicht so gute Erfahrungen, weil     die Sandstrohblume. Die wurde früher           ist, Pflanzen mit gesicherter Herkunft
     Pflanzen meist nicht denselben Schutz-        für Trockensträuße gepflückt. Diese Re-        an Gärtner herauszugeben, die sie dann
     status genießen wie etwa die Zauneidech-      gelungen hat man nicht an die aktuellen        großziehen. Die geernteten Samen gehen
     se. Eine Menge Pflanzen sind zwar vom         Roten Listen angepasst, so dass viele selte-   zurück an das Projekt und werden für Ar-
     Aussterben bedroht, haben aber keinen         ne Arten heute durchs Raster fallen. Des-      cheflächen oder Ausgleichsmaßnahmen
     Schutzstatus.                                 halb ist der Florenschutz oft schwierig.       weitervermehrt. Das Projekt hat schon
                                                   Und selbst wenn die betreffenden Arten         über 1.000 Teilnehmer. Da kann man sich
     Wie kann das sein?                            geschützt sind, ist immer noch fraglich,       engagieren. Allerdings gibt es da auch
     Historisch bedingt sind meist Pflanzen-       ob das auch berücksichtigt wird. Da gab        die Gefahr der Vermischung mit gärtne-
     arten besonders geschützt, die durch          es Fälle wie den Ausbau der Bahntras-          rischen Kultursorten. Eine Aufgabe des
     Pflücken oder Ausgraben bedroht sind,         se nach Erkner, da haben wir Daten zur         Projekts ist deshalb auch herauszufinden,
     also zum Beispiel Orchideen oder auch         Verfügung gestellt, aber es wurden keine       wie groß diese Gefahr ist.

     Schön, zart und selten: 6 von 285 Zielarten des Berliner Florenschutzes
     1. Mondraute (Botrychium lunaria)             3. Lungenenzian (Gentiana pneumonanthe)        5. Violette Schwarzwurzel (Scorzonera purpurea)
     Einst glaubte man, die Blätter dieser         Enzian an der Spree? Aber sicher, denn         Sie ist die hübsche Schwester des bekann-
     Pflanze aus der Familie der Natternzun-       die Gattung der Enziane hat mehr zu bie-       ten, gelb blühenden Wurzelgemüses. Ex-
     gengewächse würden nachts bei Mond-           ten als die sattsam bekannte Alpenblume.       travagant ist der Schokoladenduft ihrer
     schein leuchten, und schrieb ihr magi-        Der früher (vermutlich ohne Wirkung) als       Blüten, die sich bereits zur Mittagszeit
     sche Kräfte zu. Tatsächlich wirkt ihr         Heilpflanze genutzte Lungenenzian mag          schließen. Als Steppenbewohnerin, die
     Lebenszyklus rätselhaft: Um zu keimen,        es feucht und mager – eine heutzutage          vor allem in Osteuropa und Westsibirien
     müssen ihre Sporen tief unter die Erde        besonders schwierige Kombination, denn         vorkommt, ist sie mit ihrer langen Pfahl-
     geraten. Dort fristet die Jungpflanze als     wechselfeuchte Moorwiesen und feuchte          wurzel gut an Trockenheit angepasst.
     so genannter Vorkeim ein Dasein im            Heiden gibt es kaum noch. Nur noch an          Berlin liegt am äußersten Rand ihres
     Dunkeln, wo sie auf Wurzelpilzen schma-       einem einzigen Standort in Berlin ist sie      Verbreitungsgebiets – noch, denn die Art
     rotzt. Oft erst nach Jahren wagt sie sich     zu finden,                                     kommt nur noch an einer Stelle im Forst
     mit einem einzigen Blatt ans Licht, um                                                       Rahnsdorf vor.
     für Nachkommen zu sorgen.                     4. Prachtnelke (Dianthus superbus)
                                                   Und noch ein Stickstoff-Opfer: Auch die        6. Schwärzliche Kuhschelle (Pulsatilla pratensis)
     2. Astlose Graslilie (Anthericum liliago)     wegen ihrer wunderschönen, duftenden           Diese Unterart (subsp. nigricans) der Wie-
     Wenn sie nicht gerade ihre duftenden          Blüten als Bauerngartenpflanze beliebte        sen-Kuhschelle kam einst vor allem auf
     weißen Blütensterne zeigt, könnte man         Prachtnelke wächst gern auf mageren,           mageren Viehweiden vor. Dort sorgten
     sie tatsächlich für ein Grasbüschel halten.   feuchten Wiesen und in lichten Wäldern.        die Weidetiere mit ihren Tritten für of-
     Anders als viele Gräser mag das Spargel-      In Berlin kommt sie nur noch in wenigen        fene Stellen, wo das Hahnenfußgewächs
     gewächs aber Magerwiesen und lichte,          Schutzgebieten vor, wo die isolierten Be-      keimen konnte. In der dichten Grasnarbe
     nährstoffarme Wälder, so dass es sich in      stände durch mangelnde Fremdbestäu-            heutiger Turbo-Wiesen kann sie sich –
     der überdüngten Landschaft rar macht.         bung an Vitalität verlieren.                   wie so viele Arten – nicht durchsetzen.

                                                                                                                                NATUR IN BERLIN 2/21
Natur in Berlin - Berliner Pflanzen Wie steht es um die Flora in der Hauptstadt? - NABU Berlin
10 | SCHWERPUNKT

Worin genau besteht diese Gefahr? Ist
denn Margerite nicht gleich Margerite?            Wo kauft man Wildpflanzen?                       Kleinanzeigen
Das Ziel der Konvention zum Schutz der            Diese Spezialfirmen liefern Saatgutmi-
biologischen Vielfalt ist ja, die Vielfalt der    schungen für Wiesen und zum Teil Einzel-
Lebensräume und der Arten, aber auch              saaten bestimmter Wildpflanzen aus der
die innerartliche, also genetische, Vielfalt      Region, mitunter aber nicht in Kleinstmen-
zu erhalten. Die Margerite in Berlin, wo          gen: rieger-hofmann.de; saaten-zeller.de;
es trocken ist, muss mit anderen Bedin-           diewildblume.de; nagolare.de
gungen zurecht kommen als die gleiche             Wildpflanzen, also Stauden und Gehölze,
Art im bayerischen Voralpenland, wo es            sind in verschiedenen guten Gärtnereien
viel regnet. Die Pflanzen haben sich über         im Internet erhältlich, stammen jedoch
Jahrhunderte an unterschiedliche Stand-           meist nicht aus der Region. Das Angebot
ortbedingungen angepasst. Deshalb ist             gebietseigener Wildpflanzen ist bislang
davon auszugehen, dass sie sich gene-             leider kaum existent. Jedoch hat es sich
tisch unterscheiden. Je vielfältiger aber         das Projekt „Tausende Gärten – Tausende          Segelurlaub auf der Ostsee. Mit dem
eine Art genetisch ist, desto eher kann           Arten“ zum Ziel gesezt, dies zu ändern und       Segelschiff BANJAARD die prächtigen Küsten
                             sie     langfris-    auf einer „Grünen Landkarte“ Bezugsquel-         Deutschlands & Dänemarks entdecken.
                             tig überleben.       len zu sammeln: tausende-gaerten.de.             Segelkenntnis nicht nötig. Familiengeeignet.
                             Kreuzt man da                                                         www.banjaard.net.
                             Gartenpf lan-       ten, soweit es möglich ist, Wildpflanzen
                             zen ein, kann       aus gebietseigenen Herkünften zu nut-
                             es sein, dass       zen, also Pflanzen aus der Region. Das ist        RÜGEN für Naturfreunde!
                6
                             solche Anpas-       aktuell noch schwierig, weil man im Gar-          Ferienhaus + FeWos in
                             sungen       ver-   tenfachhandel solche Pflanzen nicht be-           traumhafter Lage im Bio-
                             loren gehen.        kommt. Aber es gibt bundesweit Projekte,          sphärenreservat nahe Put-
                             Das kann die        die das Ziel haben, gebietseigene Pflanzen        bus, Bodden und Insel Vilm.
                             Überlebensfä-       verfügbar zu machen.                              www.in-den-goorwiesen.de.
higkeit einschränken – oder umgekehrt
dazu führen, dass die Pflanzen sich ex-          Wer einen grünen Daumen hat, könnte
trem ausbreiten.                                 auch Saatgut in der Umgebung sammeln
                                                 und Pflanzen selbst heranziehen...
Wir ermuntern die Leute ja, sich Wild-           Es gibt ja die Handstraußregel, nach der
pflanzen in den Garten zu holen. Muss            man einen Blumenstrauß in der Natur
ich als Gärtner nun Angst haben, Scha-           pflücken darf. Wenn es sich also nicht um
den anzurichten, wenn ich versehent-             geschützte Arten handelt, spricht nichts
lich eine Margerite aus Bayern pflanze?          dagegen, etwa vom Natternkopf am Stra-
Das hängt davon ab, wo der Garten ist.           ßenrand ein paar Samen abzunehmen
Wenn ein Naturschutzgebiet in der Nähe           und im Garten auszustreuen. Natternkopf
ist oder das Wildvorkommen einer selte-          ist ja sehr schön und bietet Nahrung für
nen Art, können Insekten oder der Wind           Hummeln und Bienen. Es gibt sogar eine
die Pollen in die Wildpopulation eintra-         Wildbiene hier in Berlin, die nur auf den
gen. Dann kann es zu Veränderungen               Natternkopf angewiesen ist, die Nattern-
kommen. Wir empfehlen daher, in Gär-             kopf-Mauerbiene. Die geht an keine ande-
                                                 re Pflanze ran.
 Justus Meißner studierte Landschaftspla-
 nung an der TU Berlin mit dem Schwerpunkt       Haben Sie eine persönliche Lieblings-
 Ökologie/Vegetationskunde und leitet seit       pflanze?
 2009 die Koordinierungsstelle Florenschutz      Die Schwärzliche Küchenschelle finde
 bei der Stiftung Na-                            ich ganz toll. Das ist nicht die Gemeine
 turschutz Berlin. In                            Küchenschelle, die man im Gartencenter
 diesem Rahmen war                               bekommt, sondern die gibt es nur noch
 er u.a. an der Erarbei-                         in ganz wenigen Exemplaren. Die haben
 tung der Broschüre                              wir 2010 in einem Schutzgebiet ausge-
 „Pflanzen für Berlin –                          bracht, wo sie sich inzwischen vermehrt.
 Verwendung gebiets-                             Das freut mich sehr, weil das in ähnli-
 eigener Herkünfte“                              chen Projekten in Brandenburg bislang
 und der 2018 erschie-                           nicht geklappt hat. Und die Mondraute ist
 nenen „Roten Liste                              auch eine Pflanze, bei der ich mich immer
 und Gesamtartenliste der etablierten Farn-      freue, wenn ich eine finde. Das ist eine
 und Blütenpflanzen von Berlin“ beteiligt.       kleine Farnart.
                                                                      Interview: Alexandra Rigos

NATUR IN BERLIN 2/21
SCHWERPUNKT | 11

Habe Rasen, suche Wiese
So klappt's mit der Wildblumenpracht im Garten
                                                                                        tieren oder stellenweises Entfernen der
                                                                                        Grasnarbe offene Stellen zu schaffen, an
                                                                                        denen das Wildpflanzensaatgut keimen
                                                                                        kann. So lassen sich kleinere Blüteninseln
                                                                                        schaffen, von denen aus die Blumen die
                                                                                        Wiese kolonisieren können.
                                                                                        Ein ähnlicher Gedanke liegt dem Ausbrin-
                                                                                        gen so genannter Initialpflanzen zugrun-
                                                                                        de, also von in Töpfen herangezogenen
                                                                                        Wiesenstauden. Die gewählten Arten müs-
                                                                                        sen natürlich zum Standort passen – Ku-
                                                                                        ckuckslichtnelke und Schaumkraut etwa
                                                                                        in feuchte Wiesen, Sandstrohblumen und
                                                                                        Heide-Nelken auf den Trockenrasen.
                                                                                        Expert*innen empfehlen, drei bis fünf
                                                                                        Jungpflanzen pro Quadratmeter Wiese zu
                                                 Blumenwiese im Regierungsviertel       setzen. Man kann sie in guten Stauden-
                                                                                        gärtnereien, möglichst aus der Region,
                                                                                        kaufen oder selbst heranziehen, idealer-
                                                                                        weise aus in der Umgebung gesammeltem

K
       aum ein Naturgarten, in dem sie       maligem Mähen im Jahr – keine Arbeit,      Saatgut. Beim Auspflanzen sollte man
       nicht auf dem Wunschzettel steht:     kostet nichts, führt aber nur selten       den Setzlingen genug Freiraum verschaf-
       die artenreiche, von Widbienen        zum gewünschten Erfolg. Denn wach-         fen und sie in der ersten Saison bei Tro-
umsummte Blumenwiese. Leider haben           sen kann nur, was als Samen im Boden       ckenheit wässern.
schon viele Gärtner*innen die Erfahrung      schlummert oder aus der Nachbarschaft
gemacht, dass es nicht so einfach ist, den   eingetragen wird. Wer von blühenden        Geheimtipp für Ungeduldige
langweilig grünen Rasen in ein buntes        Landschaften umgeben ist, hat demnach      Wem das alles zu lange dauert (die traum-
Wildblumenmeer zu verwandeln. Allzu-         Glück und darf sich zurücklehnen – die     haften Blumenwiesen der traditionellen
oft endet das Wiesenabenteuer in einer       meisten Wiesenaspirant*innen dürften       Kulturlandschaft haben sich oft über
löwenzahngelben Enttäuschung.                aber über Löwenzahn, Gänseblümchen,        Jahrhunderte entwickelt!), kann einen
Der Grund: Gras und einige wenige (Un-)      Giersch und dergleichen nicht hinaus-      Geheimtipp ausprobieren: den Kleinen
Kräuter sind auf nährstoffreichen Böden      kommen.                                    Klappertopf (Rhinanthus minor).
so konkurrenzstark, dass zarte Wildblu-                                                 Es handelt sich um eine halbparasitische
men kaum Chancen haben, sich zu etab-        Lieber Giersch als Rasen                   Pflanze, die an Gräsern schmarotzt, diese
lieren. Und nährstoffreich sind die meis-    Aber vielleicht reicht das schon? Oft      schwächt und so konkurrenzschwachen
ten Gartenböden, selbst wenn sie nicht       sind Rasenflächen artenreicher, als es     Wildkräutern Luft verschafft. Der Klap-
vorsätzlich gedüngt wurden – dafür sorgt     auf den ersten Blick erscheint, Und auch   pertopf ist einjährig und sollte im Herbst
schon die Stickstoffdusche aus der Luft.     „Unkräuter“, die in vielen Gärten lei-     gemeinsam mit anderen erwünschten
Naturgartenprofis empfehlen deshalb          denschaftlich bekämpft werden, helfen      Wildblumen ausgesät werden, nachdem
meist die radikale Lösung: Fruchtbaren,      der Insektenwelt weiter: Allein das hö-    man die Grasnarbe sehr kurz geschnit-
mit Unkraut durchsetzten Oberboden ab-       her wachsende Gras bietet vielen Arten     ten und vertikutiert hat. Wichtig ist, die
tragen, dann auf dem frei gelegten, nähr-    Unterschlupf und Nistmöglichkeiten,        Wiese im Folgejahr erst dann zu mähen,
stoffarmen Unterboden eine passende          Löwenzahn ist eine prima Bienenweide,      wenn sich die (klappernden) Samenstände
Wiesenmischung aussäen. Klappt gut, ist      der Gärtnerschreck Giersch bei Schweb-     geleert haben, denn sonst verschwindet
aber häufig keine Option – sei es aus Kos-   fliegen überaus beliebt. Und über die      der kleine Helfer sofort wieder.
tengründen, weil der Vermieter oder der      „Unkraut“-Samen machen sich Vögel wie      Wichtig: Beim Kauf von Saatgut, ob von
eigene Rücken nicht mitspielen oder weil     Stieglitz und Grünfink her.                einzelnen Arten oder in speziellen Wie-
die Idee, den Garten in eine Baustelle zu    Wer mehr Vielfalt will, kann versuchen,    senmischungen, sollte man unbedingt
verwandeln, abschreckend wirkt.              die Wiesenfläche mit geeigneten Arten      auf die Herkunft achten. Vor allem die
Geht es also nicht ein bisschen sanfter?     anzureichern. Einfach Samen auszu-         bunten Tütchen mit Samenmischungen
Gartenzeitschriften empfehlen gern „ein-     streuen, bringt in der Regel nichts, es    aus dem Gartencenter enthalten oft völlig
fach wachsen lassen“. Diese Methode          sei denn, der Bewuchs ist sehr schütter.   ungeeignete, standortfremde Arten oder
macht – abgesehen vom ein- oder zwei-        Eine Möglichkeit ist es, durch Vertiku-    Gartensorten.                 Alexandra Rigos

                                                                                                                  NATUR IN BERLIN 2/21
12 | SCHWERPUNKT

        Götterbaum oder Teufelszeug?
        Karriere eines Neophyten: Einst war
        Ailanthus altissima ein beliebter Parkbaum,
        jetzt steht er auf dem Index.

H
        at man ihn einmal bewusst wahr-       sich auch der Götterbaum durch eine im-       Spätblühenden Traubenkirsche und der
        genommen, sieht man ihn plötz-        ponierende Robustheit aus.                    Robinie. Auf ungarischen Magerwiesen
        lich überall in der Stadt: Er reckt   Ailanthus altissima lässt sich von Berliner   und in der italienischen Macchie macht
sich durch die Abdeckgitter von Keller-       Dürresommern nicht aus der Fasson             der Götterbaum sich bereits unangenehm
schächten, wurzelt in Pflasterritzen und      bringen, verträgt sogar einigermaßen          bemerkbar.
drängelt sich in kleinen, aber üppigen        Streusalz, Abgase und sogar eine ordent-      Deshalb steht Ailanthus seit 2019 auf der
Trupps auf Baumscheiben, was dem dort         liche Dosis Herbizide. Kappt man seinen       EU-Liste der invasiven Arten. Damit un-
ursprünglich gepflanzten Straßenbaum          Stamm, treibt er ungerührt wieder aus.        terliegt er einem Handelsverbot, was sich
sichtlich nicht gut bekommt.                  Von Schädlingen wird er weitgehend ver-       offenbar noch nicht bei allen Baumschu-
Einst, nach dem Zweiten Weltkrieg, ge-        schmäht, nur ein oder zwei ebenfalls ein-     len herumgesprochen hat. Weiter sind die
dieh der Götterbaum so gut auf Schutt         gewanderte Insektenarten knabbern an          Mitgliedsländer gehalten, Maßnahmeplä-
und Asche, dass er den Spitznamen             seinen Blättern, darunter der erwähnte        ne zu erstellen, wie man mit dem invasi-
„Trümmerbaum“ bekam. Heute nennt              Seidenspinner.                                ven Neophyten umzugehen gedenkt.
man ihn wegen seiner Fiederblätter und        Für die meisten Insekten ist er damit         Was bedeutet das nun für Berlin, wo 3.300
seinem Vorkommen selbst in trostlosen         uninteressant, Bienen allerdings fliegen      Götterbäume laut Baumkataster ganz of-
Betonwüsten gern „Ghettopalme“.               auf seine eigenartig duftenden Blüten         fiziell in Parks und an Straßen wachsen?
Auch wenn die Linde als der Berliner          und produzieren aus seinem Nektar be-         Ein echtes Dilemma. So viele schöne,
Stadtbaum schlechthin gilt, hat der Göt-      sonders aromatischen Honig. Obendrein         ausgewachsene Bäume abzuholzen, ist
terbaum ihr insgeheim längst den Rang         ist der Götterbaum mit seinen riesigen,       natürlich keine Option – aus Kosten-, Ak-
abgelaufen. Ihn muss schließlich kein         exotisch anmutenden Blättern unleugbar        zeptanz- und auch Naturschutzgründen.
Grünflächenamt pflanzen, das erledigt er      attraktiv. Ein idealer Straßenbaum in Zei-    Denn alte Bäume durch Nachpflanzungen
selbst und wächst deshalb zu Abertausen-      ten des Klimawandels, eigentlich.             zu ersetzen, hat sich in letzter Zeit zuneh-
den im ganzen Stadtgebiet.                                                                  mend als Glücksspiel erwiesen. Allerdings
Nach Europa gebracht wurde der aus            Pflanzlicher Kraftprotz                       lassen sich die Götterbäume auch nicht
China stammende Baum aus der Fami-            Leider nur hört dieser pflanzliche Kraft-     daran hindern, reichlich Samen zu ver-
lie der Bittereschengewächse bereits um       protz nicht zu wuchern auf, sobald er         streuen – zumindest die weiblichen, denn
1750, und zwar als Futterpflanze einer        das Stadtgebiet hinter sich gelassen hat.     Ailanthus ist zweigeschlechtlich.
speziellen Seidenspinnerart, des Götter-      Wer in Pflasterfugen gedeiht, für den ist     Der Berliner Naturschutzbeirat schlägt
baumspinners. Die Produktion der so ge-       ein Trockenrasen schließlich der Garten       daher ein differenziertes Vorgehen vor:
nannten „Shantung-Seide“ floppte, aber        Eden. Und begünstigt vom Klimawandel          Jungpflanzen in Schutzgebieten entfer-
der Baum blieb und fand seinen Platz in       breitet sich der Götterbaum, bislang auf      nen und gegebenenfalls problematische
Parks und Gärten. Wie Himalaya-Spring-        seinen städtischen Wärmeinseln gefan-         „Mutterbäume“ in der Nähe zu fällen, in
kraut, Japanknöterich und Riesenbären-        gen, nun langsam auch im Umland aus,          sensiblen Gebieten ein Monitoring einzu-
klau, die einmal als hübsche Zierpflanzen     vor allem entlang der Autobahnen.             führen und ansonsten seinen Frieden mit
eingeführt wurden und sich als invasive       Naturschützer fürchten bereits ein ähn-       der „Ghettopalme“ zu machen. Ob die
Schreckstauden entpuppten, zeichnet           liches Desaster wie bei der invasiven         Götter mitspielen?             Alexandra Rigos

NATUR
NATUR IN
      IN BERLIN
         BERLIN 2/21
                3/19
SPEKTRUM | 13

                                                                                                 von Kranich, Seeadler und Schwarzspecht

Raus aufs Land!
                                                                                                 belohnt. Anreise: RE3 nach Angermünde, von
                                                                                                 dort aus mit dem WelterbeBus (Linie 496) bis
                                                                                                 Altkünkendorf Mitte
                                                                                                 www.tourismus-uckermark.de/angebote/wan-
                                                                                                 dern/rundweg-buchenwald-grumsin.html

Unsere 6 Lieblingsziele für Tagesausflüge nach Brandenburg                                       www.schorfheide-chorin-biosphaerenreservat.de

                                  3. Im Labyrinth der Wasserarme: Kanutour auf der
                                  renaturierten Havel
                                                 Seit vielen Jahren engagiert sich der
                                                 NABU bei der Renaturierung der Unter-
                                                 havel – höchste Zeit, die Erfolge bei einer
                                                 Kanutour in Augenschein zu nehmen. Ein            Störche in Linum
 Nachthimmel über dem Sternenpark                guter Ausgangspunkt ist die 1.000jährige

                                                                                                 5.die Storchenschmiede
                                                 Stadt Pritzerbe, wo der Naturpark West-
                                                                                                        Zu Besuch bei Meister Adebar:
1.Westhavelland                                  havelland beginnt. In 2er- oder 3er- Kanus
      Reise in die Dunkelheit: der Sternenpark   kann man Altarme, Buchten und verlas-                                   Linum
                                                 sene Tonförderlöcher auf dem Pritzerber         Das NABU-Umweltbildungszentrum „Stor-
Nur 70 Kilometer vom „lichtverschmutz-           See erkunden und dabei Eisvögel, Trauer-        chenschmiede“ bietet Ausstellungen und
ten“ Berlin entfernt offenbaren sich in          seeschwalben und Fischadler beobachten.         Führungen, beispielsweise zu den Linu-
dem frei zugänglichen Nachtschutzgebiet                                                          mer Teichen, dem größten binnenländi-
mit Einbruch der Dunkelheit ungetrübt                                                            schen Kranichrastplatz Mitteleuropas.
Sternenbilder und die Milchstraße in ih-                                                         Lohnenswert ist auch die Besichtigung
rer vollen Schönheit – klares Wetter und                                                         des neuen „Klima-Bildungsgartens“. An-
eine mondlose Nacht vorausgesetzt. An-                                                           reise: RE6 („Prignitz-Express“) nach Kremmen,
reise: RE2 nach Friesack, Neustadt Dosse oder                                                    von dort aus mit dem Fahrrad, oder RE6 nach
Breddin, RE4 nach Rathenow oder RB51 von                                                         Neuruppin, weiter mit dem Bus (nur wochen-
Rathenow nach Mögelin, Premnitz, Döberitz,        An der Unterhavel                              tags in der Schulzeit). storchenschmiede.org
Pritzerbe. www.sternenpark-westhavelland.de

                                                 Anreise: RE1 nach Brandenburg, von dort mit
                                                 der RB51 Richtung Rathenow bis Pritzerbe.
                                                 havelsehen.de, www.westhavelland-naturpark.de

                                                 4.  Durch den Urwald: Wandern im
 Bergbaufolgelandschaft in Grünhaus              Weltnaturerbe Grumsin
                                                 Der Rundwanderweg durch den von der               Bruchwald im Biesenthaler Becken

2.                                                                                               6.
                                                 UN ausgezeichneten Buchenwald Grum-
   Entdeckungstour in der Mondlandschaft: das    sin beginnt direkt neben der Kirche von             Wege duchs Moor: mit dem Fahrrad durch das
NABU-Schutzgebiet Grünhaus                       Altkünkendorf. Von hier aus geht es elf         Naturschutzgebiet Biesenthaler Becken
Zwischen Finsterwalde und Lauchham-              Kilometer auf und ab durch die eiszeitli-       Waldentwicklung und Moorsanierung
mer erstreckt sich im ehemaligen Nieder-         che Landschaft, vorbei an Waldseen, Kes-        sind nur einige der Themen, die sich
lausitzer Tagebaugebiet eine fast 2.000          selmooren bis hinauf zum höchsten Gip-          die NABU-Stiftung im Biesenthaler Be-
Hektar große Fläche, die sich in den ver-                                                        cken zur Aufgabe gemacht hat. Erfahr-
gangenen 20 Jahren ohne menschliche                                                              bar ist dieser Urwald von morgen auf
Einflüsse von einer Mondlandschaft in                                                            einem zwölf Kilometer langen Rund-
ein Naturparadies verwandelt hat. Hier                                                           weg. Ausgangs- und Endpunkt ist die
siedeln über 3.000 bedrohte Tier- und                                                            Straße „Am Heideberg“ in Biesenthal.
Pflanzenarten, darunter der Wolf. Eine                                                           Unterwegs empfehlen sich Abstecher
Wanderung durch die ehemaligen Koh-                                                              zu Fuß ins Moor. Anreise: RE3 nach Ebers-
legruben offenbart dem Besucher die                                                              walde, weiter mit der RB24 nach Biesenthal,
einzigartige Fauna und Flora. Anreise: RE2        Buchenwald Grumsin                             von dort aus per Fahrrad oder zu Fuß (4 km).
nach Cottbus, weiter mit dem RE10 oder der                                                       naturerbe.nabu.de/naturparadiese/branden-
RB43 nach Finsterwalde. Von dort aus mit dem                                                     burg/biesenthaler-becken
Fahrrad bis zum Grünhaus-Parkplatz (11 km).      fel der Uckermark, dem Blocksberg (139          naturparkmagazin.de/barnim/radtour-durch-
naturerbe.nabu.de/naturparadiese/branden-        Meter). Hexen tanzen dort zwar nicht,           das-naturschutzgebiet-biesenthaler-becken
burg/gruenhaus                                   dafür wird der Wanderer mit dem Ruf                                          Rotraut Przybyla

                                                                                                                                NATUR IN BERLIN 2/21
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