Neue Publikation in Leipzig - "Unsere Geschichte. Diktatur und Demokratie nach 1945" - Haus der Geschichte
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1.2021 2 € ISSN 1433-349X www.museumsmagazin.com AUSSTELLUNG IN LEIPZIG Neue Publikation in Leipzig „Unsere Geschichte. Diktatur und Demokratie nach 1945“ Neues Forschungsprojekt Zeitzeugeninterview trifft Künstliche Intelligenz
intro Sehnsüchtig warten wir auf die Öffnung von zwei neuen Ausstellungen, die hinter verschlossenen Türen schon jetzt für Sie bereitstehen. Denn seit dem 2. November 2020 sind unsere Häuser in Bonn, Leipzig und Berlin aufgrund der Corona-Pandemie erneut nicht für Besu- cherinnen und Besucher zugänglich. Noch ist ungewiss, wann wieder mit einem normalen Ausstellungsbetrieb zu rechnen ist. Nachdem die für Anfang November 2020 geplante Eröffnung der Wechselausstellung „Hits und Hymnen. Klang der Zeitgeschichte“ im Haus der Geschichte er- neut verschoben werden musste, haben wir kürzlich im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig die Wechselaus- stellung „Immer Ich. Faszination Selfie“ fertiggestellt, deren Start sich nun ebenfalls hinauszögert. Das für ein zeithistorisches Museum zunächst ungewöhnliche Ausstellungsthema ist auf den zweiten Blick durchaus museumsreif. „Selfies“ – also digitale Selbstporträts – sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Es handelt sich dabei um ein weltweites Phänomen, das unsere Gesellschaft prägt, verändert und oftmals kritisch diskutiert wird. Lösen bei den einen Touristen mit Selfie- Sticks und eingeübten Posen nur Kopfschütteln aus, ist für andere das Posten des Selfies im Internet ein Ausdruck ihrer Identität und gleichzeitig ein Kommuni- kationsmittel. Mit dem Siegeszug des Smartphones seit den 2010er Jahren sind der „Generation Selfie“ kaum noch Grenzen gesetzt. Die Ausstellung spürt diesem vielschichtigen Phänomen nach und hinterfragt die da- durch ausgelösten gesellschaftlichen Veränderungen, Chancen und Risiken. Daneben können sich unsere Be- sucherinnen und Besucher an zwei Selfie-Points auch selbst in Szene setzen. Bis Sie die Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig entdecken können, liefert das vorliegende museumsmagazin einen kleinen Vorgeschmack. Wir freuen uns darauf, Sie baldmöglichst an allen Standorten wieder mit einem attraktiven Ausstellungs- und Veran- staltungsprogramm begrüßen zu können. Mit besten Grüßen Dr. Hans Walter Hütter Präsident und Professor Selfie des deutschen Astronauten Alexander Gerst im Weltall während eines Außenbordeinsatzes im Rahmen der ISS-Expedition 41 am 7. Oktober 2014. Gerst war als Bordingenieur vom 28. Mai bis 10. November 2014 im All.
inhalt inaussicht HdG; Hits&Hymnen-Anz.pink A4-demnächst.qxp_Layout 1 08.02.21 17:13 Seite 1 inbonn inleipzig inberlin Demnächst Verlänger t bis 5.9.2021 Hits &Hymnen 30 Neue Publikation in Leipzig Hits und Hymnen KLANG DER ZEITGESCHICHTE Immer Ich NAHAUFNAHME OSTDEUTSCHLAND FOTOGRAFIEN VON JÜRGEN HOHMUTH Nahaufnahme Ostdeutschland 1990–1994 MUSEUM IN DER KULTURBRAUEREI 1.10.2020-11.4.2021 Öffnungszeiten Klang der Zeitgeschichte Dienstag – Freitag 9 – 19 Uhr, Samstag / Sonntag / Feiertage 10 – 18 Uhr Faszination Selfie Fotografien von Jürgen Hohmuth 1990 – 1994 Haus der Geschichte, Bonn Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Museum in der Kulturbrauerei, Berlin Eintritt frei Haus der Geschichte der Bundesrepublik Entwurf: Claudia Grotefendt, Bielefeld Bis 10.10.2021 März 2021 – Januar 2022 1.10.2020 – 5.9.2021 Deutschland Museumsmeile Willy-Brandt-Allee 14 53113 Bonn Telefon 0228/9165-0 Stiftung Telefax 0228/9165-302 Haus der Geschichte www.hdg.de der Bundesrepublik Deutschland 6 Faszination Selfie 32 Reichstagsumbau imfokus inbonn Unsere Geschichte Very British Ausstellung Tränenpalast Deutschland seit 1945 Ein deutscher Blick 10. Juli 2019 – 8. März 2020 Ort der deutschen Teilung 6 Immer Ich. Faszination Selfie 22 Erzählte Geschichte Haus der Geschichte, Bonn Di – Fr 9 – 19 Uhr Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Sa/So/Feiertage 10 – 18 Uhr Eintritt frei Tränenpalast, Berlin Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig trifft Künstliche Intelligenz Di – Fr 9 – 19 Uhr, Sa / So / Feiertag 10 – 18 Uhr 7.10.2020 – 11.4.2021 Di – Fr 9 – 19 Uhr, Sa / So / Feiertag 10 – 18 Uhr Software soll Emotionen in Zeitzeugeninterviews erkennen 14 Spieglein, Spieglein an der Wand … „Zukunft der 27. Europaforum Nach dem Mauerfall 24 Museumsmeile Willy-Brandt-Allee 14 Geschichtslandschaften 5.0 53113 Bonn Was sagen Selfies über uns aus? www.hdg.de Auf dem Weg in die digitale Zukunft des historischen Museums Erinnerung“ Podiumsdiskussion Kiezspaziergang im Prenzlauer Berg 16 Selbstdarsteller? Chancen und Herausforderungen In Kooperation mit dem Europahaus-Leipzig Museum in der Kulturbrauerei, Berlin Torsten Künstler und sein Selfie-Museum 26 Großprojekt startet der deutschen Erinnerungskultur e. V., dem Institut français Leipzig, dem Treffpunkt am Informationsschalter, Neue Dauerausstellung für Bonn Diskussion u.a. mit Prof. Dr. Andreas Polnischen Institut und der Stadt Leipzig endet am Kollwitzplatz 18 Bildikonen Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Zeitgeschichtliches Forum Leipzig Dauer 1,5 Stunden Selfies, die Geschichte schrieben 28 Sternstunden Deutschen Rabbinerkonferenz und lang- Hybridveranstaltung Jeden Samstag 11 Uhr Beachvolleyball-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin jähriger Direktor der Stiftung Topographie 29.5.2021, 17 Uhr 20 Was Sie schon immer wissen wollten … Kira Walkenhorst ganz in Weiß des Terrors, Dr. Axel Drecoll, Direktor der Das Glossar zur Ausstellung Gedenkstätte Sachsenhausen und inleipzig Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor Alle Termine finden nach Wiedereröffnung der Gedenkstätten Buchenwald und der Museen und gemäß der aktuell 30 „Unsere Geschichte. Mittelbau-Dora sowie Dr. Simone Mergen, geltenden Pandemieverordnung statt. Diktatur und Demokratie nach 1945“ Bildungsreferentin Stiftung Haus der Bitte informieren Sie sich auf www.hdg.de. Neue Publikation zur Dauerausstellung in Leipzig Geschichte Moderation: Esther Gardei, Deutsch- inberlin Israelische Gesellschaft Bonn In Kooperation mit der Deutsch-Israelischen Lebendiges 32 „Es war ein Abenteuer“ Gesellschaft Bonn Museum Online Rudi Meisel fotografierte den Reichstagsumbau Haus der Geschichte, Bonn www.hdg.de/lemo Online-Veranstaltung Besuchen Sie uns 36 Neue Transparenz 22.4.2021, 19 Uhr auf Facebook, Twitter und Instagram! Gläserne Wahlurne als Dauerleihgabe für das Humboldt Forum im Berliner Schloss Veranstaltungen in Bonn: Veranstaltungen in Leipzig: Veranstaltungen in Berlin: 38 inzukunft / impressum www.hdg.de/ www.hdg.de/ www.hdg.de / haus-der-geschichte/ zeitgeschichtliches-forum/ museum-in-der-kulturbrauerei / 39 imbilde veranstaltungen veranstaltungen veranstaltungen
imfokus Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig IMMER ICH FASZINATION SELFIE von Henrike Girmond Die Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen widmet sie sich einem weltweiten zeitgenössischen Phänomen und damit einem eher ungewöhnlichen Thema für ein historisches Museum zur deutschen Zeitgeschichte. Zum anderen konnte sie noch während ihres Entstehungsprozesses unmittelbar auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie reagieren. museumsmagazin 1.2021 7
imfokus Anfänglich war die Realisierung dieser Ausstellung als Kurzstreckensprint angelegt: Der Startschuss fiel im Frühjahr 2019, sportliche 15 Monate später, im Frühsom- mer 2020, sollte sie eröffnet werden. Doch auf der Ziel- geraden – Mitte März 2020 – kam der erste Lockdown. Die Medientechnik war eingekauft, Drehbücher für die Filmstationen verfasst, Ausstellungsobjekte weitgehend recherchiert, Texte dazu geschrieben. Die Planung für die Architektur stand, die Produktion sollte in Kürze begin- nen. Doch dann: Halt auf freier Strecke. Marathon statt Sprint Wochen und Monate der Umplanungen sowie der zweite Lockdown Anfang November 2020 folgten – die Kurzstrecke entpuppte sich als Langstreckenlauf: Die Architektur wurde entzerrt, Medienstationen zum berüh- rungslosen Abspielen von Filmen umfunktioniert, spiele- rische interaktive Elemente reduziert, stattdessen Alter- nativen wie eine QR-Code-Entdeckertour ersonnen und neue technische Möglichkeiten erprobt. Objekttransporte erwiesen sich plötzlich als Aben- teuer. So kamen Objektleihgaben aus Japan nur dank privater Beziehungen und über sagenhafte Kurierdienst- umwege wohlbehalten nach Leipzig. Pandemiebedingt mussten wir uns von einst schö- nen Ideen verabschieden: So erhielt die Ausstellung statt Ur-Selfie: der englische Fotograf Joseph Byron einer großformatigen Narziss-Skulptur aufgrund der er- im Selbstporträt, ca. 1910/1920 forderlichen Abstände eine deutlich kleinere Figur mit im- posantem Schattenwurf. Nach dieser Achterbahnfahrt überwiegen am Ende pure Freude und Dankbarkeit: Die Ausstellung steht und wartet auf ihr Publikum. DIE GENERATION SELFIE Faszination Selfie VERPASST DIE WELT Nicht weniger spannend als die äußeren Umstände HINTER SICH. der Entstehung erwies sich die inhaltliche Auseinander- Frank Patalong, Journalist, www.spiegel.de, 2015 setzung mit dem Thema: Selfies haben in den letzten Jah- ren unseren digitalen, aber auch analogen Alltag erobert. 93 Millionen Selfies werden schätzungsweise jeden Tag produziert. 27.500 digitale Selbstporträts fotografieren und „posten“ – also veröffentlichen – 18-Jährige voraus- sichtlich im Laufe ihres Lebens in den sozialen Netzwer- ken. Selfie-Szenen gibt es auf Werbeplakaten und Selfie- spezifische Produkte sind zur marktwirtschaftlichen Größe geworden. Selfies von Prominenten bebildern die Regenbogenpresse. Zudem werden Selfies als Politikum debattiert – und von Politikern gerne, nicht nur zu Wahl- kampfzeiten, eingesetzt. In zahlreichen Großstädten rund um den Globus, so auch in Köln und Berlin, entstehen sogenannte Selfie-Museen, die grellbunte Kulissen für Selfie-Enthusiasten bieten. Das Phänomen Selfie wird zunehmend von Journa- listen, Künstlern, Kultur- und Sozialwissenschaftlern wie auch von Psychologen höchst widersprüchlich diskutiert: Die satirische Fotomontage von Raphael Abgründig: Selfie auf einem Rohner macht das Berggasthaus Aescher- Wolkenkratzer in Dubai Wildkirchli zum Ableger einer Fast-Food- Kette. Als Fotomotiv und Selfie-Hintergrund ist der idyllische Gasthof heiß begehrt. museumsmagazin 1.2021 9
Halsbrecherischer Massenandrang: Die Auswüchse des weltweiten Selfie-Hypes nimmt Patrick Chappatte aufs Korn. Selfies nerven – Selfies machen Spaß! Selfies fördern nar- zisstische Persönlichkeiten – oder dienen sie der Identi- tätsfindung? Selfies führen zu einem Werteverlust in der Gesellschaft – im Gegenteil, Selfies sorgen für eine Demo- kratisierung der Gesellschaft. Die umfangreiche Literatur zum Thema macht deutlich, dass Selfies universell, allgegenwärtig, überra- schend vielschichtig, faszinierend und extrem polarisie- rend sind. Kritiker empfinden Selfies als „schrille Symp- tome eines narzisstischen Zeitalters“ und deuten sie als Symbole eines zunehmenden Kulturverfalls. Befürwor- ter wie der Leipziger Kulturwissenschaftler und Selfie- Experte Prof. Dr. Wolfgang Ullrich wiederum bewerten Selfies als „eine neue Phase der Kulturgeschichte“. Zwischen diesen konträren Positionen stehen Millionen Nutzer, die einfach nur Spaß an diesem zeitgemäßen Medium haben. Verändern Selfies unsere Gesellschaft? Wie verän- dern sie unser Verhalten – geht es wirklich nur um das eigene Ego? Welche Chancen, welche Risiken bringen sie mit sich? Anhand von Leitfragen wie diesen zeigt die Aus- stellung technische Voraussetzungen, fragt nach indivi- duellen Beweggründen, der Wirkungsmacht und den ge- samtgesellschaftlichen Folgen des globalen Selfie-Booms. Bild und Botschaft zugleich Indem der Besucher in der Ausstellung zunächst ei- nen verspiegelten Tunnel durchschreitet, taucht er in die Welt der Vorurteile und Attribute ein, die mit Selfies in Mit seinem animierten Kurzfilm „Selfies” Verbindung gebracht werden, bevor ihm auf einer groß- gewinnt der Schweizer Grafikkünstler Claudius Gentinetta 2018 zahlreiche formatigen Leinwand die digitale Bilderflut begegnet, die Auszeichnungen. täglich in den sozialen Netzwerken veröffentlicht wird. Einige Aufnahmen haben einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht und vielfältige Diskussionen ausgelöst. DIE REISENDEN SUCHEN Mit den grundlegenden Fragen der Definition, der Entstehungsgeschichte sowie den technischen Vorausset- DAS ECHTE, zungen für den Selfie-Boom beschäftigt sich die Ausstel- FINDEN AN BELIEBTEN ZIELEN lung im Folgenden. Sie thematisiert historische Vorbilder und eruiert Unterschiede zwischen klassischen Selbstpor- ABER NUR NOCH träts und Selfies. Dabei wird schnell deutlich: Selfies sind EINE ART DISNEYLAND. weitaus mehr als „nur“ Fotos, „nur“ digitale Selbstpor- träts. Durch das Teilen über die sozialen Medien werden Marco d’Eramo, Journalist, 2018 sie zum Medium der Kommunikation – weltweit. Der Siegeszug des digitalen Selbstporträts hängt eng mit der rasanten Entwicklung der Smartphone-Technik Die Popularität von Selfies spiegelt sich in einer reichhaltigen Produktpalette wider: Lego- und den sozialen Netzwerken zusammen. Technikaffine Figürchen halten Selfie-Sticks in ihren Händen. Besucher können in der Ausstellung Wegbereiter für den Siegeszug des Selfies entdecken, wie das 1999 exklusiv in Japan hergestellte erste Mobiltelefon mit integrierter Ka- mera „Toshiba Camesse“. Der Begriff „Selfie“ tauchte erstmals 2002 auf, als der australische Student Nathan Hope mit dem Kommen- tar „And sorry about the focus, it was a selfie“ im Online- Forum des Fernsehsenders ABC ein Foto seiner verletzten Unterlippe zeigte, um Rat für deren Behandlung einzu- holen. Aufnahmen mit dem aufwendigen Selfie-Stick für Spezialeffekte sind in Japan besonders zur Kirschblüte angesagt. 10 museumsmagazin 1.2021
imfokus Zunächst kaum beachtet, machte „Selfie“ 2013 im renommierten Oxford English Dictionary als „Wort des Jahres“ Karriere: Auch nicht englische Wörterbücher nahmen „Selfie“ bald in ihren jeweiligen nationalen Wort- schatz auf. Sei es aus sprachlicher, technischer, markt- wirtschaftlicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Perspektive – das Phänomen Selfie sorgt weltweit für Auf- sehen. Im Oktober 2019 bezeichnete die Frankfurter Rund- schau Rembrandt van Rijn, den berühmtesten niederlän- dischen Maler des 17. Jahrhunderts, als „Meister der Sel- fies“. Würde Rembrandt heute zum Smartphone greifen? Wer weiß. Können Selfies Teil von bildender Kunst sein? Durchaus. Die Weimarer Künstlerin Ulrike Theusner bau- te mit ihrer 2019 entstandenen Kreidezeichnung „Venus“ eine Brücke zwischen den Kulturtechniken von Selfie und Porträtmalerei. Das Gros der Selfies entsteht jedoch mit weniger ambitionierten Ansprüchen. Selfies sind selten – im Gegensatz zu klassischen Selbstporträts – für die Ewig- keit gedacht. Zahlreiche Politiker sind in den sozialen Netzwerken Verändern Selfies unsere Gesellschaft? aktiv, veröffentlichen dort Bilder und Botschaften, um sympathisch und volksnah zu wirken. Bei öffent- Neue Gesten, neue Verhaltensweisen, neue Bilder lichen Auftritten werden Selfie-Termine eingeplant – prägen den öffentlichen Raum. Sich selbst vor aller Augen Selfies mit potenziellen Wählern erhalten Auto- für eine Selfie-Aufnahme in Szene zu setzen, sorgt längst grammcharakter. nicht mehr für Aufsehen. Vor allem Reisen haben sich durch das Selfie-Phä- nomen verändert und sorgen mitunter für belastende Tou- hin Produzenten, Darsteller und Regisseure zugleich. ristenströme – sowohl vor bekannten Sehenswürdigkeiten Genau das dürfen, können und sollen die Besucher der als auch an entlegenen Orten, die dank Instagram und Co. Ausstellung „Immer Ich. Faszination Selfie“ auch wäh- längst keine Geheimtipps mehr sind. So geschehen mit rend des Rundgangs sein. Zwei interaktive Selfie-Points dem schweizerischen Berggasthaus Aescher-Wildkirchli, mit abwechslungsreichen Hintergrundszenarien laden das nach Postings von Prominenten in den sozialen Netz- zum Sich-selbst-Fotografieren ein – sei es mit dem eigenen werken plötzlich Hunderttausenden Gästen als begehrtes Smartphone oder mittels vor Ort installierter Kamera. Fotomotiv und Selfie-Hintergrund diente. Der Ansturm Wer möchte, kann damit auch zum Akteur der Ausstel- auf die einstige Idylle zwang die Pächter 2018 zur Einstel- lung werden und sein Selfie am Ende der Präsentation lung des Herbergsbetriebes. wiederfinden. Um in der allgegenwärtigen Bilderflut wahrgenom- men zu werden, müssen Selfies besonders witzig, schön, aufregend, einzigartig sein. Wie weit gehen Selfie-Anhän- ger, um hier mithalten zu können? Die Ausstellung thema- tisiert Grenzregionen des Selfie-Phänomens, verweist auf extreme Entwicklungen ebenso wie auf vielfältige Gegen- bewegungen. Rund 441 Millionen Fotos mit dem Hashtag „Me“ (#me) soll es bei Instagram geben. Die auf den ersten Blick offen- AUCH DIE GENERATION sichtliche Fokussierung auf „Me, Myself and I“ veranlasst Kritiker häufig zu dem Urteil, Selfies seien ein Indiz für SELFIE SUCHT DIE INNIGE zunehmende Selbstverliebtheit: „The Me Me Me Genera- LIEBE, DOCH BITTE NIE tion“ titelte Time Europe schon 2013. Im selben Jahr be- tonte Die Frankfurter Allgemeine Zeitung dagegen unter SO ENG, DASS NICHT der programmatischen Überschrift „Selfies. Ich knipse, NOCH EIN SMARTPHONE also bin ich“ deren identitätsstiftende Kraft. Andere verweisen auf das Novum der Selbstbestim- DAZWISCHEN PASST. mung über die eigene Bildwelt. Selfie-User seien immer- Autorenduo Christian Cohrs und Eva Oer, 2016 Das Selfie-Phänomen findet Einzug in die bildende Kunst: Handzeichnung „Venus” von Ulrike Theusner, 2019 museumsmagazin 1.2021 13
Ob im Fitnessstudio, vor dem Eiffelturm oder an touristischen Ausflugszielen: Das Selbstporträt BEI MEINEN URLAUBSBILDERN GAB ES NUR 25 ist Pflicht! Der Entertainer LIKES – DIE ANDEREN HATTEN ÜBER 50 – Riccardo Simonetti nutzt die Kommunikation der sozialen DA WAREN DIE FERIEN FÜR MICH GELAUFEN. Medien, um auf HIV- und Aids- Wohltätigkeitsprojekte aufmerk- Studie „Selfies ungeschminkt“, 2019 sam zu machen, etwa hier beim „Life Ball“ 2019 in Wien (r.). Was sagen Selfies über uns aus? SPIEGLEIN, SPIEGLEIN AN DER WAND … von Katrin Grajetzki Im Märchen „Schneewittchen“ der Brüder Grimm Die ständige Selbstbespiegelung, die Ichbezogenheit und Allerdings kennt die Selbstinszenierung im Internet Zuspruch und ermutigte gleichermaßen andere. Der En- befragt die Stiefmutter immerfort ihren Spiegel, den Fokus auf das eigene Äußere erkennen Kritiker auch keine Grenzen: Auf der Suche nach aufsehenerregenden tertainer Riccardo Simonetti nutzt seine starke Präsenz in der Selfie-Kultur wieder. In den sozialen Medien ver- Bildmotiven wählen Menschen lebensgefährliche Orte im Internet für sein Engagement gegen Ausgrenzung, die wer die Schönste im ganzen Land sei. Der Spiegel öffentlichen Millionen Nutzer ihre in jeder Lebenslage oder gehen mit ihren „Fotokulissen“ respektlos um, bei- er früher selbst erfuhr. Mit seiner Person und seinen Sel- bestätigt stets ihre Schönheit. Als er allerdings aufgenommenen Selfies. Alle sollen es wissen: Wir sind spielsweise mit Unfallstellen oder Mahn- und Gedenk- fies vermittelt er Mut zum Anderssein. Zur Präsentation eines Tages wahrheitsgemäß antwortet, dass nun verliebt, verlobt, verheiratet, im Fitnessstudio, im Urlaub stätten. In Deutschland warnen die Bundespolizei und seines Buches Raffi und sein pinkes Tutu im Jahr 2019 oder beim Essen. Für die perfekte Selbstinszenierung ste- die Deutsche Bahn mit großen Kampagnen vor Selfies im trug auch er ein pinkfarbenes Tutu. Gängige Rollenbil- ihre Stieftochter Schneewittchen die Schönste sei, hen Bildbearbeitungsprogramme sowie Selfie-Kosmetika Gleisbett. Insbesondere Mädchen wollen mit dem Bildmo- der will er überwinden. Die Selfie-Kultur ermöglicht vie- ist sie voller Neid und schmiedet kriminelle Pläne. zur Verfügung. tiv der Schienen unzertrennliche Freundschaft ausdrü- len Menschen, sichtbar zu sein. Dies sei auch eine Folge cken und verkennen dabei die tödliche Gefahr der heran- der Medialisierung der Gesellschaft, erklärt Medienpsy- Narzissmus? nahenden Züge. chologin Dr. Astrid Carolus in einer Dokumentation des Bayerischen Rundfunks. So habe es das Phänomen der Auch wenn heutzutage alle Altersgruppen Selbst- Gesehen werden Selbstinszenierung schon immer und überall gegeben. porträts mit dem Smartphone aufnehmen, so hat sich der Der Unterschied zu vergangenen Zeiten liege allerdings Begriff der „Generation Selfie“ etabliert. 85 Prozent der Während die einen Selfies für die Darstellung der darin, dass sich heutzutage eine breite Masse mit großer Jugendlichen machen Selfies, so das Ergebnis der Stu- eigenen Person nutzen, verbreiten andere mit ihren Sel- medialer Reichweite selbst darstellen könne. die „Selfies ungeschminkt“ aus dem Jahre 2019. Fast ein fies Botschaften für mehr Selbstvertrauen, Toleranz Bleibt am Ende die eingangs aufgeworfene Frage be- Drittel der Befragten zwischen 14 und 21 Jahren fotogra- und Vielfalt: Im Jahr 2019 wagte die WDR-Studioleiterin stehen, was Selfies über uns aussagen. Erleben wir die fiert sich täglich. Die Autoren der Studie schlussfolgern, Georgine Kellermann im Alter von 62 Jahren das Coming- Welt heute ichbezogener? Die ehrliche Antwort kann sich dass sich dahinter auch die Sehnsucht nach Anerkennung out als Transgender. Bis zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie ein jeder selbst im stillen Kämmerlein geben – oder den durch andere sowie der Wunsch nach Kontrolle des ei- als Georg Kellermann und trug ihre Pumps nur im Priva- Spiegel befragen. genen Erscheinungsbildes verbergen – nachvollziehbare ten. Durch Selfies in den sozialen Netzwerken ließ sie vie- Bedürfnisse im Teenageralter. le an ihrer Lebensgeschichte teilhaben. Sie erhielt großen 14 museumsmagazin 1.2021 museumsmagazin 1.2021 15
Torsten Künstler und sein Selfie-Museum SELBSTDARSTELLER? Interview: Ulrike Zander Das erste Selfie-Museum in Berlin-Prenzlauer Berg bietet Instagram-taugliche Foto- kulissen – eine Erlebniswelt, ausgestattet mit allem, was man für den „perfekten Post“ braucht. In rund 25 verschiedenen Fotosets gibt es poppige Motive, Glitzer- konfetti, Bällebäder, einen Berliner Partyraum, Instagram-typische Engelsflügel und einen Spätkauf, kurz „Späti“, in Knallpink. Entsprechend heißt das Museum „The WOW! Gallery“. Das museumsmagazin sprach mit Gründer Torsten Künstler, der als Regisseur einen Fotospielplatz kreiert hat. mm Handelt es sich bei „The Bei vergleichbaren Museumskon- mm Sie fördern den Social- mm Wie würden Sie die „Ge- gerade TikTok „in“. Vertrau- das in „The WOW! Gallery“ WOW! Gallery“ wirklich um ein zepten in der Welt hat sich „Selfie- Media-Hype junger Menschen neration Instagram“ beschrei- en Sie darauf, dass dieser gemacht wurde? Museum? Museum“ als Bezeichnung durch- demnach ganz bewusst? ben? Trend niemals abreißt? Künstler Schwierige Frage bei so Künstler Nicht im klassischen gesetzt, wobei ich den Begriff irre- Künstler Das Zielmedium, welches Künstler Es ist nicht nur eine Ge- Künstler Ja, absolut! Menschen viel Content auf unseren Feeds, Sinn. Wir sind eher ein zeitgemä- führend finde. Fast niemand kommt unsere Besucher wählen, um ihre neration. In Deutschland haben sind kreativ und wollen kom- aber zum Teil haben wir Fotos von ßes Pop-Art-Museum, welches die allein. Es ist ein gemeinschaftliches Fotos zu veröffentlichen, bleibt ihnen mittlerweile 21 Millionen Menschen munizieren, das ist kein Trend. professionellen Akrobatinnen und Besucher zur kreativen Interaktion Erlebnis und das nicht nur für die selbst überlassen. Dass dies heutzu- einen Instagram-Account. Diese Das ist unsere DNA. Die genann- Tänzerinnen in unseren Sets, bei mit unseren künstlerischen, pro- Generationen Y und Z, sondern auch tage in den meisten Fällen die ein- Plattform ist zurzeit noch die be- ten Plattformen haben das schon denen ich mich frage, wie so etwas fessionell ausgeleuchteten Instal- für ganze Familien. schlägigen Social-Media-Plattformen kannteste, aber TikTok, Snapchat lange erkannt und sind genau möglich ist. lationen einlädt. Bei uns sind die sind, ist nicht von der Hand zu weisen. und Co. finden auch immer mehr deshalb auch so außerordent- Besucher nicht stille Betrachter von mm Was hat Sie zu diesem Häufig stehen diese Plattformen in der Follower. Deren User kommunizie- lich erfolgreich. Ich sehe da auch mm Sie haben das „Selfie- Objekten. Sie werden aktiver Teil Selfie-Museum motiviert? Kritik, insbesondere junge Menschen ren überwiegend visuell und das nicht zwingend eine Verlagerung, Museum“ in einem leer ste- der Ausstellung als Fotograf, Mo- Künstler Bisher lag der Kern mei- eher zu isolieren als zusammenzu- mit sehr kreativen und ausdrucks- sondern eher eine Spezialisie- henden Karstadt-Warenhaus del, Make-up-Artist und so weiter. nes Schaffens im Kreieren von Kino- bringen. An diesem Punkt sehe ich starken Bildern. Wir Älteren soll- rung der Social-Media-Anbieter. am S-Bahnhof „Greifswalder Es ist ein Mix aus modernem Muse- filmen als Regisseur, Autor und unser Museum als Möglichkeit und ten nicht den Fehler machen, diese Die Inhalte, mit denen junge Men- Straße“ eröffnet. Wieso ha- um und Social-Media-Playground. Produzent. Daher muss ich mich Chance, sich wieder physisch zu be- Generation von „Digital Natives“ zu schen über soziale Netzwerke an ben Sie gerade diese Umge- zwangsläufig mit gesellschaftlichen gegnen und den Schaffensprozess des unterschätzen. Das sind meistens die Öffentlichkeit dringen, sind bung gewählt? Trends auseinandersetzen. Bei der Fotografierens und Darstellens als sehr gut ausgebildete, selbstbewuss- immer häufiger kreative und Künstler Wir haben sehr lange Recherche für das Drehbuch eines gemeinsame Aktivität in den Vorder- te und aufgeschlossene junge Leute, unterhaltsame Sketche oder Ge- nach einer entsprechend großen neuen Spielfilms habe ich mir die grund zu rücken. Geschichtlich gese- die progressiv die Technik ihrer Zeit sangseinlagen. Andere nutzen Fläche im Zentrum von Berlin „Generation Smartphone“ genauer hen gab es darüber hinaus schon im- nutzen, um sich künstlerisch auszu- ihre Reichweite, um zum Bei- gesucht. Mein Team und ich wa- angeschaut und da ist mir aufgefal- mer Selbstporträts. Meistens konnten drücken. spiel dem Thema Klimawandel ren sofort begeistert von der Idee, Torsten Künstler len, dass es eine sehr spannende Idee sich das aber eher wohlhabende oder mehr Gehör zu verschaffen. Die- diesem denkmalgeschützten Haus deutscher Filmregisseur, sein könnte, mit meinem Know-how adelige Kreise leisten. Den heutzutage mm Bisher hat sich der Trend, ser Trend der selbstbestimmten neues kreatives Leben einzuhau- Gründer der „The WOW!-Gallery“ allen Interessierten einen kreativen niedrigschwelligen Zugang zu techni- Selbstporträts in den sozialen kreativen Kommunikation wird chen. Dass „The WOW! Gallery“ Spielplatz zu bieten. Schon bestehen- schem Equipment ergänzen wir mit Netzwerken einzustellen, von bleiben. perfekt an die öffentlichen Ver- de vergleichbare Museumskonzepte professionellen Sets, welche sonst teu- Kanal zu Kanal verlagert: Zu- kehrsmittel angeschlossen ist, in den Metropolen der Welt belegten ren Film- und Theaterproduktionen nächst Facebook, dann YouTube, mm Was war bisher das kommt unseren umweltbewussten diesen Trend. vorbehalten sind. dann Instagram, momentan ist spektakulärste Selfie / Foto, Besuchern sehr entgegen. museumsmagazin 1.2021 17
imfokus Selfies, die Geschichte schrieben BILDIKONEN von Anne Martin GIBT ES NICHT AUCH SITUATIONEN, IN DENEN SICH EIN SELFIE GERADEZU VERBIETET? Diese Frage stellen sich viele, als 2013 US-Präsident Barack Obama, die däni- In der Flut der tagtäglich geposteten Selfies er- sche Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt und langen manche besondere Bedeutung und lösen der britische Premierminister David Cameron ihr Auf- einandertreffen bei der Trauerfeier für den früheren höchst unterschiedliche Diskussionen aus. Zu südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela recht diesen Bildikonen, die ihre Wucht nicht nur im unbekümmert für ein fröhliches Selfie nutzen. Die Sze- Internet, sondern fast ebenso nachhaltig über die ne, von einem Fotografen eingefangen, löst Spott und Kritik aus. Obama, Thorning-Schmidt und Cameron analogen Medien entfalten, gehören auch Aufnah- sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, es fehle ihnen an men, die das Entstehen eines Selfies festhalten. Taktgefühl. MITUNTER BESCHÄFTIGEN SELFIES SOGAR DIE JUSTIZ. Nicht nur langwierig und teuer, sondern auch höchst skurril ist der Rechtsstreit, der 2011 auf einige „Selfies“ SELFIES SPIELEN EINE ROLLE BEI DER DEBATTE UM folgt, die der Makake Naruto auf der Insel Sulawesi DIE DEUTSCHE FLÜCHTLINGSPOLITIK: Als Bundes- mit einer Kamera macht, die der britische Fotograf kanzlerin Angela Merkel im September 2015 eine Auf- David J. Slater kurz unbeobachtet in der Wildnis ste- nahmeeinrichtung für Asylbewerber in Berlin-Spandau hen lässt. Als Slater die Bilder unter seinem Namen besucht, bitten sie einige der Bewohner um ein ge- verbreitet, zieht die Tierschutzorganisation PETA vor meinsames Selfie. Angela Merkel ist dazu bereit und Gericht, um als vermeintliche Anwältin Narutos klären demonstriert auf diese Weise Volksnähe und Solidari- EIN VERMEINTLICH SPONTAN ENTSTANDENES SELFIE zu lassen, ob Slater den Affen um seine Urheberrechte tät mit den Neuangekommenen. Auch dem aus dem Irak ENTPUPPT SICH ALS KNALLHARTER MARKETING- betrogen habe. Das Gericht entscheidet letztendlich zu- geflüchteten Shaker Kedida gelingt auf diese Weise ein COUP: Bei der Oscar-Verleihung 2014 schart Modera- gunsten Slaters. Die Naruto-Selfies finden danach als DER KÜNSTLER AI WEIWEI, IN SEINER HEIMAT CHI- Foto mit der Kanzlerin. Das Agenturfoto der Szene geht torin Ellen DeGeneres einige weltbekannte Holly- ein sehr beliebtes Motiv Eingang in die Popkultur. NA AUS POLITISCHEN GRÜNDEN IMMER WIEDER BE- um die Welt und wird zu einem Symbol deutscher Will- wood-Größen für ein wahrhaft spektakuläres Selfie DRÄNGT UND VERFOLGT, SETZT SELFIES GANZ GEZIELT kommenskultur. Kritiker halten Merkel allerdings vor, um sich. Noch während der Veranstaltung jagt sie es EIN, um auf seine Lage aufmerksam zu machen – EIN mit solchen Bildern zur Flucht nach Deutschland gera- über Twitter, worauf der Kurznachrichtendienst zu- so auch ein Bild, das 2009 während einer Festnahme dezu einzuladen – ein Vorwurf, den andere als hane- sammenbricht. Das Foto wird zum bislang meistver- entsteht. Das später über Twitter verbreitete Bild er- büchen ebenso entschieden zurückweisen. breiteten Bild aller Zeiten, unzählige Nachahmungen reicht weltweit eine Öffentlichkeit, die sich mit dem und Parodien spiegeln seine Strahlkraft wider. Späte- Regimekritiker solidarisiert. Wegen des besonderen re Recherchen bringen ans Licht, dass die scheinbar Lichteffekts nennt Ai Weiwei das Selfie später „Illu- so zwanglos gemachte Aufnahme in Wahrheit von der mination“ und zeigt es in mehreren Ausstellungen, so Firma Samsung, dem Hauptsponsor der Oscar-Nacht, auch 2019 in der Kunsthalle Düsseldorf. als Werbeaktion langfristig geplant war. 18 museumsmagazin 1.2021 museumsmagazin 1.2021 19
SNAPCHAT Täglich genutzt seit: Täglich genutzt von: Das Glossar zur Ausstellung von: der deutschen WAS SIE SCHON Bevölkerung Erfolgsrezept: Hättest du gewusst, dass … INSTAGRAM der deutschen Text-, Film- und Fotobeiträge – Snaps – sind nur für wenige das Gespenst im Logo „Ghostface IMMER WISSEN seit: Bevölkerung Sekunden sichtbar, was den regelmäßigen Besuch der Chillah“ heißt und nach dem US-Rap- Kanäle – Channels – erfordert, um nichts zu verpassen. per „ Ghostface Killah“ benannt ist? WOLLTEN … von Klaus Geißler Erfolgsrezept: Schwerpunkt der zu Face- book gehörenden Platt- Hättest du Social Media (Im engeren Sin- Smartphone Internetfähiges eines Fotos oder Filmausschnitts form besteht im Teilen gewusst, dass … ne) Internetdienste, die es ihren Mobiltelefon, das sich v. a. durch besteht, dem eine zumeist humo- von Fotos und Videos, wo- das quadratische Nutzern erlauben, Online-Profile die Bedienung mittels Touch- ristische Aussage beigefügt wird. durch der Akzent stärker Standardformat von von sich zu erstellen, um sich mit screen sowie die Nutzung funktio- GIF Dateiformat für das Versen- auf (Selbst-)Präsentation Instagram-Fotos an die anderen Profilen zu vernetzen und naler Anwendungen – sog. Apps – den von Bildern; heute zumeist TWITTER statt auf (gegenseitiger) Optik von Polaroidauf- Inhalte miteinander auszutauschen. auszeichnet. synonym für sog. animierte GIFs seit: Kommunikation liegt. nahmen erinnern soll? Messenger(-Dienste) Anwen- Selfie-Stick Teleskopstab, der (kurze Bewegtbild-Animationen, dungen zum Nachrichtenversand per zur Befestigung eines Smart- die nach Ablauf automatisch wie- Internetverbindung; da für den An- phones oder einer Kamera dient, der von vorn beginnen). (Anm. d. wender zumeist kostenfrei, lösten sie um damit aus der Distanz Fotos – Red.: Animierte GIFs gelten eben- in den späten 2000er Jahren allmäh- v. a. Selfies – von sich selbst und so wie Emojis und Memes als lich die SMS als vorherrschende Me- seiner Umgebung zu machen. moderne „Internetphänomene“, Täglich genutzt von: thode zum Nachrichtenversand ab. Influencer Person, deren Inter- welche v. a. die Kommunikation in TIKTOK Hättest du seit: Post Einzelner Beitrag (z.B. Text- netprofil/Social-Media-Präsenz Messenger-Diensten erweitern.) gewusst, nachricht, Foto, Video o.ä.), der auf von sehr vielen anderen Personen #yolo Abkürzung für „you only dass … einem Social-Media-Kanal veröf- im Internet verfolgt wird, weshalb live once”; für Selfies genutzt, die der deutschen Bevölkerung Barack Obama fentlicht – geposted – wird; einige ihr ein erhöhter Einfluss auf die besonders außergewöhnliche Mo- mit 119 Mio. Dienste verwenden hierfür auch öffentliche Meinung wie auch auf mente, aber auch teils riskante Si- (gegründet als „musical.ly“, eigene Begriffe, Twitter bezeichnet Werbebotschaften zugeschrieben tuationen dokumentieren. Erfolgsrezept: Kurze, viral eingängige weltweit die seit 2018 TikTok) seine Beiträge z.B. als Tweets. wird. #fomo Abkürzung für „fear of Beiträge – Tweets – mit einem Limit von meisten Follo- Hättest du max. 140 Zeichen (seit 2017 bis zu 280); wer auf Twitter gewusst, dass … Teilen Alternativ auch sharen, be- Follower Person, die ihr(e) Inter- missing out”; für Beiträge ver- Beiträge können von Abonnenten eines hat? Und damit Erfolgsrezept: Selbstdreh das Teilen von zeichnet das Weiterleiten von Social- netprofil/Social-Media-Präsenz mit wendet – seltener für Selfies –, die Profils – Followern – an andere Nutzer Täglich genutzt von: Media-Inhalten an andere Nutzer. der einer anderen Person verlinkt, das Gefühl/die Sorge ausdrücken, 40 Mio. mehr als von eigenen kurzen Videos, Beiträgen mit Bezug auf weitergeleitet – retweetet – werden. die von Musik unterlegt wer- Alkoholkonsum, Nackt- Likes Durch Betätigung eines um regelmäßig deren Beiträge ver- an einem wichtigen Ereignis oder Donald Trump. den; dadurch auch gern von heit oder Homosexuali- Menü-Buttons – sog. Liken – brin- folgen zu können. (Anm. d. Red.: einer sozialen Interaktion nicht teil- professionellen Künstlern für tät auf dem Videoportal gen Social-Media-Nutzer „Gefällt Die Zahl der Follower einer Person haben zu können. der deutschen Bevölkerung mir“ für Beiträge anderer Nutzer sowie die Anzahl der Likes unter ih- #bff Abkürzung für „best friends ihr Marketing genutzt. untersagt ist? zum Ausdruck. ren Beiträgen gelten gemeinhin als forever“; genutzt für Selfies mit Hashtag Durch das Voranstellen Gradmesser für deren Bedeutung dem besten Freund/der besten des Sonderzeichens # können Be- im Internet und entscheiden dar- Freundin. griffe im Internet als Schlagworte über, ob sie oder er als Influencer #instagood Genutzt für Sel- Quellen: ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 und 2020, Eigenangaben StudiVZ, November 2011 gekennzeichnet werden; auf diese wahrgenommen wird.) fies, mit denen der Fotograf be- Täglich genutzt Weise lassen sich bestimmte Inhal- Emoji Piktografische Zeichen, die sonders zufrieden ist und die er von: te in den sozialen Medien schneller v. a. in Textnachrichten dazu ge- für besonders vorzeigbar hält Erfolgsrezept: filtern, bekannte Beispiele: #MeToo nutzt werden, ohne Worte zu (vgl. Instagramability). Verdrängt als kosten- #BlackLivesMatter #JeSuisCharlie. kommunizieren, etwa indem sie #celebrityselfie Genutzt für Sel- loser Internetdienst Filter Allgemein für Grafikfilter, eine Emotion ausdrücken (z. B. fies, die gemeinsam mit einer pro- der deutschen des Mutterkonzerns eine Funktion zur Bildbearbeitung = peinlich) oder eine Aussage ver- minenten Person gemacht wurden Bevölkerung Facebook die bis auf vielen Social-Media-Plattfor- sinnbildlichen (z. B. = Zustim- oder auf denen diese zumindest im dahin übliche Text men; ermöglicht die Veränderung mung). Bildhintergrund zu sehen ist. FACEBOOK von Fotos durch eine Vielzahl von Viral Adjektiv, das in wörtlicher #mirrorselfie Genutzt für Sel- Täglich genutzt von: kommunikation per seit: Konfigurationen, z. B. Farb-, Effekt- Anlehnung an die schnelle Verbrei- fies, für die sich der Fotograf selbst Zu Spitzenzeiten kostenpflichtiger SMS. 2011 bis zu 16 Mio. WHATSAPP oder Hintergrundfilter. tung von Viren verdeutlichen soll, im Spiegel ablichtete; besonders STUDIVZ seit: Instagramability Bezeichnet wie rasant sich bestimmte Inhalte beliebt sind Fitnessstudios und ver- seit: Nutzer, heute aber Hättest du kaum mehr von gewusst, dass … die Attraktivität bzw. „Fototauglich- im Internet verbreiten; Beispiel: ein spiegelte Fahrstühle. keit“ einer Person oder eines Ob- virales Internetvideo. #foodlove Genutzt für Schnapp- Erfolgsrezept: Bedeutung WhatsApp keinen ein- jekts für Beiträge auf Social Media. Blog Öffentliches „Internettage- schüsse von Speisen und Mahlzei- Bildung eines zigen Cent in Eigen- Duckface Häufig verwendeter buch“, das je nach Autor eine blo- ten; besonders beliebt bei Food- sozialen Netzwerks Hättest du werbung oder Nutzer- Täglich genutzt von: Gesichtsausdruck auf Selfies; da- ße Niederschrift von Gedanken Blogs. durch Hinzufügen – Hättest du Erfolgsrezept: gewusst, dass … akquise investiert? bei wird mit den Lippen ein (häufig und Meinungen sein kann als auch #fashion Genutzt für Selfies, die Adden – von digitalen gewusst, dass … Erobert als das auf Studenten bewusst übertriebener) Schmoll- den Charakter eines Journals bzw. v. a. die (in der Regel modische) „Freunden“ (anderen das Logo von Face- „Facebook-Klon“ spezialisierte Netz- mund geformt. einer Kolumne haben kann. Vie- Kleidung der/des Fotografierenden Nutzerprofilen); Mög- book deshalb blau den Markt, noch werk auch Partner- Sexting Kommunikation über se- le Blogs befassen sich mit einem in den Vordergrund stellt. lichkeit, auf Beiträge ist, weil sein Gründer bevor das US-ame- webseiten für Schü- der deutschen xuelle Inhalte in privaten Chats; im konkreten Thema, z. B. Ernährung, #travel Genutzt für Urlaubs- bzw. von anderen Nutzern (Mark Zuckerberg) rikanische Original ler („SchülerVZ“) Bevölkerung engeren Sinne bezeichnet es häu- Wissenschaft, Politik. Reiseselfies, oft mit Sehenswür- durch „Gefällt mir“ an einer Rot-Grün- in Deutschland und Berufstätige fig auch konkret das Versenden Meme Bezeichnet ein Internet- digkeiten oder Panoramablick im zu reagieren – Liken. Sehschwäche leidet? populär wird. („MeinVZ“) hatte? von Nackt-Selfies. phänomen, das in der Bildmontage Hintergrund.
Dann kamen die Polizisten mit Gummiknüppeln und dann habe ich versucht, die zu überzeugen, und war so empört und so in Rage, dass die mir auch nichts getan haben. Zeitzeuge Volker Schröder Software soll Emotionen in Zeitzeugeninterviews erkennen Warum möchten wir Emotionen in Zeitzeugeninterviews erkennen? Der Bestand im Zeitzeugenportal soll auf diese Weise analy- siert und schließlich nach verschiedenen Emotionen durch- suchbar gemacht werden. Erzählte Geschichte Mit der Kamera gefilmte Zeitzeugeninterviews sind fester Bestandteil musealer Ausstellungs- und Vermitt- Wie erkennt die Software Emotionen? lungspraxis. Sie ermöglichen individuelle und persön- liche Zugänge zu historischen Ereignissen. Emotionen Praktisch umgesetzt wird das Ganze, indem mithilfe trifft Künstliche Intelligenz spielen hierbei oft eine große Rolle, etwa indem sie den eines maschinellen Lernverfahrens („Deep Learning“) Algo- Betrachter Erlebtes mitfühlen lassen wie beispielsweise rithmen auf mehreren Ebenen (multimodal) trainiert werden. bei Volker Schröder, einem Zeitzeugen aus unserem Be- Das bedeutet konkret, dass unter anderem das gesprochene stand. Er demonstrierte im Jahr 1968 während der Stu- Wort und das entsprechende Transkript, die Stimme, also dentenproteste in West-Berlin gegen den Vietnamkrieg, beispielsweise Stimmlage, Tonalität und Sprechpausen, sowie die Notstandsgesetze und den Axel-Springer-Konzern. die Mimik der Person hinsichtlich vorkommender Emotionen von Nike Matthiesen Ergriffen erzählt er im Zeitzeugeninterview von der Si- analysiert werden. tuation, als er während einer Demonstration von einem Die KI-Anwendung soll uns dabei helfen, die Zeitzeugen- Wasserwerfer erfasst wurde. Auf einem historischen Foto interviews auf eine neue Weise zu erschließen und besser Seit Oktober 2020 arbeitet das Zeitzeugenteam der Stiftung Haus der Geschichte ist zu sehen, wie er resigniert die Arme in die Luft reißt. zu verstehen, welche Rolle Emotionen beim historischen Er- Noch heute berührt ihn diese Situation sehr. innern spielen. Das Projekt „Multimodales Mining von Zeit- gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- Im Video des Zeitzeugeninterviews werden verschie- zeugeninterviews zur Erschließung von audiovisuellem Kul- und Informationssysteme (IAIS) an einem Forschungsprojekt, in dem eine neuartige dene Emotionen sichtbar: Überraschung, Wut, Angst und turgut“ wird zunächst für zwei Jahre über die Beauftragte Verbindung von Zeitzeugeninterviews und Künstlicher Intelligenz (KI) hergestellt wird. auch Erleichterung, die die Erlebnisse der Demo maßgeb- der Bundesregierung für Kultur und Medien aus Mitteln der lich prägten. Genau diese Emotionen, die wir als Men- KI-Strategie der Bundesregierung finanziert. Ziel des Projektes ist es, in den nächsten zwei Jahren einen KI-basierten Prototypen schen beim Anschauen wahrnehmen, soll die KI-Software einer Software zu entwickeln, die Emotionen in Zeitzeugenvideos erkennt und automatisiert erkennen. Bisher wurde in der Auswertung anzeigt. Perspektivisch sollen dann genau diese erkannten Emotionen auf dem von Zeitzeugeninterviews allein die Transkription der er- zählten Inhalte berücksichtigt. Wir versuchen nun, diese Zeitzeugenportal sichtbar und recherchierbar sein. Auswertung um eine zentrale Komponente zu erweitern. o. Volker Schröder am 12. April 1968 Kick-off-Workshop mit dem Projektteam bei den Studentenprotesten in West-Berlin, am 8. Oktober 2020 aus dem Bestand von Ludwig Binder, „Oster- unruhen“: Mann in Wasserwerferstrahl o.r. Volker Schröder im Zeitzeugeninterview 22 museumsmagazin 1.2021
inbonn Auf dem Weg in die digitale Zukunft des historischen Museums Geschichts- landschaften 5.0 von Ruth Rosenberger Was bedeutet die allgegenwärtige Digitalisierung für historische Museen? Wie verändern sich das Medium Ausstellung und die Geschichtswissenschaft angesichts dieser Herausforderung? Und wie bleibt ein Museum auch für digital affine Besucher weiterhin attraktiv? Um Antworten auf diese Fragen zu geben, arbeiten Teams Der Titel „Geschichtslandschaften“ greift die im Zuge der 2017 neu eingerichteten Abteilung „Digitale Dienste“ der digitalen Transformation sich ausdifferenzierenden intensiv etwa an der Weiterentwicklung unserer digitalen Perspektiven auf, die Besucher aus den unterschiedlichs- Kommunikation und Vermittlung, an der Erneuerung un- ten Blickwinkeln auf das Angebot eines Museums haben: serer zentralen Objektmanagement-Software oder auch nicht nur vor Ort in der Ausstellung, sondern auch an ver- an der Frage, wie der Medieneinsatz in unseren Ausstel- schiedenen Orten im digitalen Raum, aber ebenso beim lungen zukunftsorientiert zu planen ist. All diese Schritte Besuch des Museumscafés, während des Aufenthalts im sind geleitet von den Maximen, nahtlose Übergänge zwi- Foyer oder beim Blick von außen auf das Museumsgebäude. schen digital und analog zu gestalten sowie das Beste aus Vor Ort und im Internet werden wir eine Landschaft aus beiden Bereichen miteinander zu verbinden, um den für Ausstellungen und Präsentationen mit wechselseitigen uns als historisches Museum passenden Weg im digitalen Aussichten und Einsichten kreieren. Zeitalter zu finden. Künstliche Intelligenz und Interaktivität Ausstellungen digital erweitern Dabei helfen uns auch die Erkenntnisse aus zwei Mit verschiedenen Programmen und Projekten be- weiteren Projekten, die wir nun verfolgen können. So geht steht nun die Möglichkeit, ausgewählte Perspektiven in den es im sogenannten KI-Projekt (vgl. auch S. 22/23) darum, nächsten Jahren noch gezielter und fundierter zu verfol- in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut IAIS neue, gen. Herausragend dabei ist das Programm „Geschichts- durch Künstliche Intelligenz gestützte digitale Methoden landschaften 5.0“, mit dem wir unsere neu zu gestaltenden zu entwickeln, um Emotionen in Zeitzeugeninterviews Dauerausstellungen an allen Stiftungsstandorten digital systematisch zu erkennen. Emotionen sind der wichtigs- erweitern und erneuern wollen. Dabei geht es um die Ent- te Zugang zu erzählter Geschichte. Dieser Grundgedanke wicklung neuer Formate und Methoden der Erzählung, der liegt auch unserem Teilprojekt „ZeitzeugenFragen“ zu- Vermittlung und der Darstellung von historischen Inhalten grunde, das im Rahmen des Verbunds „museum4punkt0. und Kontexten im Zusammenspiel zwischen digitaler und Digitale Strategien für das Museum der Zukunft“ durch analoger Welt. Eine zentrale Rolle spielt der Medienein- die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und satz in den Ausstellungen sowie ein neu zu organisieren- Medien gefördert wird. Hier wollen wir das Konzept einer des stiftungsweites Datenmanagement. Exemplarisches interaktiven Videoinstallation entwickeln, anhand derer Innovationsprojekt innerhalb dieses Programms ist die die Geschichte für Ausstellungsbesucher insbesondere Neuinszenierung der Panoramawand im Foyer des Hauses multiperspektivisch erfahrbar wird. der Geschichte als interaktives „Geschichtspanorama“. 24 museumsmagazin 1.2021 museumsmagazin 1.2021 25
inbonn Neue Dauerausstellung für Bonn Großprojekt startet von Thorsten Smidt Seit der Verabschiedung des Bundeshaushalts für das Jahr 2021 ist es offiziell: Die Stiftung Haus der Geschichte erhält über fünf Jahre hinweg zusätzliche Mittel, um die Dauerausstellung am Standort Bonn vollständig zu erneuern. Die Fertigstellung ist für den Herbst 2025 vorgesehen. Bis zum Sommer 2024 Die Jahre 1945 bis 1949 werden bislang bleibt die derzeitige Ausstellung noch geöffnet. auf einer ähnlich großen Fläche thematisiert wie die Jahre 1989 bis in die Gegenwart. Dieses Ungleichgewicht muss die neue Schon kurz nachdem die Stiftung 2019 in Anwesenheit dem zeitgemäßen Einsatz von Medien. Parallel wurde die Dauerausstellung ausgleichen. von Bundeskanzlerin Angela Merkel das 25-jährige Ju- Besucherforschung des Hauses intensiviert, um ein mög- biläum des Hauses der Geschichte in Bonn gefeiert hat- lichst genaues Bild über die sich wandelnden Zielgruppen te, begannen intern die Überlegungen, wie die Dauer- zu entwickeln und daraus Strategien für deren Ansprache ausstellung in die Zukunft geführt werden kann. Denn abzuleiten. trotz regelmäßig vorgenommener Aktualisierungen be- Die zugesagten Mittel ermöglichen ab Anfang 2021 ruht das wissenschaftliche, didaktische und gestalteri- den Start der Hauptprojektphase. Das Team, gebildet aus sche Konzept immer noch auf den Anfang der 1990er Mitarbeitern aller Standorte sowie temporär beschäftig- Jahre angestellten Grundüberlegungen. Der bestehende ten Kräften, nimmt die Arbeit auf. Schon im Frühjahr Kapitelzuschnitt führt zudem zu einem stetig anwach- 2021 soll den Gremien der Stiftung ein Exposé und im senden Ungleichgewicht: Während das erste Kapitel den Herbst das Ausstellungskonzept zur Diskussion vorgelegt Zeitraum von 1945 bis 1949 thematisiert, umfasst das werden. Besonderes Augenmerk gilt der wechselseitigen letzte Kapitel auf gleicher Fläche inzwischen mehr als Abstimmung mit den weiteren Dauerausstellungsprojek- 30 Jahre. ten der Stiftung: der Neukonzeption im Museum in der Kulturbrauerei in Berlin und der Teilüberarbeitung im Zeitgemäß Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. In großen Schritten folgen 2022 die Ausschreibung der Eine standortübergreifende Diskussionsrunde im Gestaltung, Anfang 2024 die Produktion und im Spätsom- Herbst 2019 bildete den Auftakt, die Vorprojektphase mer 2024 das Schließen der bestehenden Dauerausstel- begann. Unter ungewöhnlichen Bedingungen, dem ers- lung. Dann müssen 4.500 Quadratmeter komplett leer ten Lockdown im Frühjahr 2020, nahmen die Wissen- geräumt, also alle Objekte entnommen und die alte Aus- schaftler der Stiftung erste Recherchen vor, erarbeiteten stellungsarchitektur abgebaut werden, um anschließend Themenlisten und Gliederungsentwürfe. Vier Arbeits- den Neuaufbau und das Einbringen der neuen Exponate gruppen beschäftigten sich in Kreativ-Workshops mit vorzunehmen. Im Herbst 2025 soll es dann soweit sein: einzelnen Fragestellungen wie dem „roten Faden“, Leit- Das Haus der Geschichte in Bonn präsentiert eine attrakti- eindrücken, neuen Möglichkeiten der Partizipation oder ve und zeitgemäße neue Dauerausstellung. 26 museumsmagazin 1.2021
inbonn o. Kira Walkenhorst (r.) und Laura Ludwig (l.) gewinnen zusammen mm Wie geht es Ihnen in Zeiten dann auch offiziell richtig heiraten Walkenhorst Ich denke, dass es die Europameisterschaft, die Welt- des Lockdowns – wie treiben Sie durften. Von daher wurde das nicht immer noch einige Leute gibt, die Sternstunden meisterschaft und Olympia. Sport? kurzfristig entschieden, sondern war noch keine Akzeptanz für die gleich- r. Kira Walkenhorst (l.) heiratet ihre Walkenhorst Ja, Sport ist tatsäch- schon länger geplant. geschlechtliche Ehe aufbringen. Der Partnerin Maria Kleefisch (r.) 2017 lich in der jetzigen Zeit, wo der Lock- Schritt, die „Ehe für alle“ zu erfüllen, am Timmendorfer Strand. down wieder angeordnet ist und die mm Dann wählten Sie beide war auf jeden Fall richtig bzw. ein Kitas geschlossen sind (Anm. d. Red.: die Hochzeitskleidfarbe Weiß – Schritt in die richtige Richtung. Es Kira Walkenhorst hat zusammen mit die traditionelle Farbe der Un- gibt immer noch ein paar Bereiche, Beachvolleyball-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin ihrer Frau Drillinge), sehr schwer schuld. War das reine Romantik die im Gegensatz zu heterosexuellen Kira Walkenhorst ganz in Weiß durchzuführen. Die Tage sind sehr lang und anstrengend. Von daher oder fiel die Entscheidung ganz bewusst? Paaren noch nicht gleichgestellt sind – da ist in Deutschland auf jeden Fall habe ich aktuell nur Zeit, wenn die Walkenhorst Ja, bei den Hochzeits- noch Luft nach oben. Aber wir sind Kleinen den Mittagsschlaf machen, kleidern war es tatsächlich zufällig, auf dem richtigen Weg. Interview: Ulrike Zander also in der Mittagszeit, und dann dass wir uns beide ein weißes ausge- abends, wenn sie im Bett sind. Da sucht haben. Wir wussten gegensei- mm Ist die Beachvolleyball- lege ich gerade meine Sportstunden tig nichts voneinander. Da hatte jeder Szene insgesamt tolerant? hin. die freie Wahl und durfte sich selbst Walkenhorst Ja, im Beachvolleyball Als Kira Walkenhorst und Laura Ludwig am 18. August 2016 an der das aussuchen, was er gerne tragen geht es tatsächlich sehr offen und to- Copacabana in Rio de Janeiro olympisches Gold im Beachvolleyball mm Nachdem am 1. Oktober wollte. Letztlich kam es dann so, dass lerant zu. Natürlich weiß man, dass holten, war das ein historischer Sieg: Zum ersten Mal gewann 2017 das Gesetz über die „Ehe beide Weiß anhatten. im Fußball viele ihre Homosexualität für alle“ in Kraft getreten ist, noch verheimlichen und verschwei- ein europäisches Frauenteam eine Medaille bei Olympischen haben Sie Ihre langjährige Part- mm Mit den Hochzeitskleidern gen müssen, was mir für die Personen Spielen. W egen Verletzungsproblemen trennte sich das Team 2017. nerin Maria Kleefisch knapp vier ergänzt die Stiftung Haus der sehr leidtut. Aber wahrscheinlich gibt 2020 war Walkenhorst zurück und nahm mit ihrer neuen Partnerin Wochen später geheiratet. War Geschichte ihre zeithistorischen es da noch einmal eine andere Öffent- die Hochzeit schon lange geplant Sammlungen, in denen sich be- lichkeit und auch andere Zuschauer, Anna-Lena Grüne wieder an Beachvolleyball-Turnieren teil. Wenn die oder ein spontaner Entschluss? reits die Hochzeitsbekleidung andere Fans, die sich dafür interessie- Olympischen Spiele in Tokio 2021 für sie auch noch nicht infrage Walkenhorst Wir haben uns schon des ersten schwulen Ehepaares ren. Da ist Beachvolleyball dann doch kommen, so doch vielleicht Paris 2024. Nun hat sie der Stiftung im Mai 2017 verlobt. Damals dachten in Deutschland befindet. Hat die kleiner, familiärer und sehr offen. wir noch, dass wir eine Lebenspart- Akzeptanz gleichgeschlechtli- Auch international wird diesem Thema Haus der Geschichte ihr Hochzeitskleid zur Verfügung gestellt. nerschaft eingehen. Wir haben uns cher Paare in der Gesellschaft offen gegenübergestanden. Da kenne Warum das in ein Museum gehört, erklärt die Weltmeisterin gefreut, dass es doch noch vor unse- durch die „Ehe für alle“ zuge- ich keinen, der in irgendeiner Form und Olympiasiegerin im Gespräch mit dem museumsmagazin. rem Termin geändert wurde und wir nommen? schlechte Erfahrungen gemacht hat. 28 museumsmagazin 1.2021 museumsmagazin 1.2021 29
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