Neues vom meer Vor uns die Sintflut - angepasste Küstenschutzstrategien im Einklang mit Mensch und Natur!? - Stiftung Deutsches Meeresmuseum
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Neues vom Meer Vor uns die Sintflut - angepasste Küstenschutzstrategien im Einklang mit Mensch und Natur!? Dokumentation des 15. Podiumsgespräches am 20. November 2014 im OZEANEUM Stralsund www.comtess.uni-oldenburg.de
Neues vom Meer Vor uns die Sintflut - angepasste Küstenschutzstrategien im Einklang mit Mensch und Natur!? Dokumentation des 15. Podiumsgespräches am 20. November 2014 im OZEANEUM Stralsund Herausgegeben von Susanne Stoll-Kleemann, Harald Benke, Birthe Frenzel, Michael Kleyer, Martin Maier, Ines Martin, Marco Stadler und A. Cristina de la Vega-Leinert Greifswald, 2016 GEOZON
2 1 3 4 5 6 7 8 1) Ostzingst, 2) Bodstedt, 3) Extensive Landwirtschaft bei Michaelsdorf, 4) Kraniche bei Hohendorf, 5) Sperrwerk Boddenküste, 6) Zelte am Strand bei Zingst, 7) Nationalpark Ostzingst, 8) Feuchtwald Ostzingst
INHALT I Seite 6–10 BegrüSSungen II Seite 11–31 Vorträge III Seite 33–39 Podiumsgespräch Und Fragerunde
BENKE | 6 Begrüßung I „In Zukunft werden Küstenlandschaften (…) sich verändern, sowohl aufgrund klimatischer Veränderungen als auch durch zunehmende Nutzungskonflikte.“ Harald Benke Sehr geehrter Herr Minister Backhaus, sehr geehrte Frau keine Schrumpfkur, sondern ein wichtiger und produktiver Prof. Stoll-Kleemann, sehr geehrte Referentinnen und Baustein auf dem Weg in eine wirtschaftlich erfolgreiche Referenten, liebe Kolleginnen und Kollegen und sehr ge- und lebenswerte Zukunft.“ Klimaschutz kann sich also loh- ehrte Damen und Herren! nen und kann sowohl ökologisch als auch ökonomisch ein Gewinn sein. Die Fragen, die sich uns heute stellen, sind Das 15. Podiumsgespräch mit dem heutigen Thema „Vor jedoch ganz konkret: Wann kommt die Flut an unsere Küs- uns die Sintflut – Angepasste Küstenschutzstrategien im ten und wie kann man sich klug darauf vorbereiten? Wie Einklang mit Mensch und Natur“, veranstaltet in Koope- können ein ausgewogenes Wassermanagement und eine ration mit dem Lehrstuhl für Nachhaltigkeitswissenschaft alternative Kohlenstoffspeicherung mit einer multiplen und Angewandte Geographie der Universität Greifswald, Landnutzung einhergehen? Welche möglichen Effekte auf findet in diesem Jahr nicht wie gewohnt im Forum Meeres- die Biodiversität sind zu erwarten? Welche Rolle soll die museum statt, sondern erstmalig hier im Ozeaneum, dem Landschaftspflege spielen? Welche Zielkonflikte gibt es bei jüngsten Kind der Stiftung Deutsches Meeresmuseum. Das der Nutzung entsprechender Ökosystemdienstleistungen? Deutsche Meeresmuseum setzt damit seine traditionsrei- Wie kann ein nachhaltiges Küstenzonenmanagement aus- chen Podiumsgespräche zu aktuellen Themen in der Reihe sehen und welche internationalen Erfahrungen gibt es? „Neues vom Meer“ fort. Dabei versteht sich das Deutsche Meeresmuseum nicht nur als tolles Ausstellungshaus mit eindrucksvollen Ausstellungen und Aquarien, sondern ins- besondere auch als Vermittler zwischen Forschung, Praxis und der Öffentlichkeit. Ich freue mich, dass so viele Personen unserer Einladung gefolgt sind. Es sind zahlreiche Vertreter von Vereinen, Be- hörden und Verbänden anwesend, bspw. Vertreter der Was- ser- und Bodenverbände, aber auch des Bauernverbandes. Ich hoffe, dass die heutige Veranstaltung dazu beitragen kann, den Dialog und das gegenseitige Verständnis für die zum Teil sehr unterschiedlichen Positionen zum heutigen Thema zu fördern. Bei unserem heutigen Thema gibt es In Zukunft werden Küstenlandschaften, die als Sehnsuchts- vielfältige Bezüge zur aktuellen Politik: So wurde von Bund orte mit hoher regionaler Identität verknüpft sind, somit und Ländern bspw. auf einem Sondergipfel in Berlin zum vielen neuen Herausforderungen entgegentreten müssen. Hochwasserschutz ein umfassendes Maßnahmenbündel Sie werden sich verändern, sowohl aufgrund klimatischer zum Schutz vor künftigen Hochwassern beschlossen. Die Veränderungen als auch durch zunehmende Nutzungs- Umweltminister von Bund und Ländern verabschiedeten konflikte. All diese Fragen beleuchtet auch das COMTESS auf ihrer Konferenz in Heidelberg eine detaillierte Liste mit Forschungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung Projekten, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden und Forschung, an dem unter anderem unser diesjähriger soll. Dazu gehören beispielsweise Deichrückverlegungen Kooperationspartner, die Universität Greifswald beteiligt ist. und Flutpolder sowie die Beseitigung von Schwachstellen Frau Prof. Stoll-Kleemann wird uns dazu im Anschluss noch bei bestehenden Hochwasserschutzanlagen. Zum ersten umfassend in ihrem Beitrag informieren. Mal gibt es damit eine bundesweite Aufstellung mit über- regional wirkenden Maßnahmen. Wahrscheinlich wird Herr Meine Damen und Herren, ich wünsche uns allen einen ho- Minister später darauf noch näher eingehen. Die Allianz hen Wissensinput durch die nun folgenden Fachvorträge Umweltstiftung führte im Mai dieses Jahres eines ihrer viel und die sich anschließende, hoffentlich spannende Dis- beachteten Benediktbeurer Gespräche durch. Der Fokus der kussion. Ich heiße Sie nochmals herzlich willkommen in der dort diskutierten Sintflut lag vor allem auf den immer häu- wunderschönen Hansestadt Stralsund und speziell hier im figer auftretenden Hochwasserereignissen im Binnenland. Ozeaneum. Vor dem Weltklimagipfel 2014 sagte unsere Bundesum- Dr. Harald Benke weltministerin Frau Dr. Barbara Hendricks: „Klimaschutz ist Direktor des Deutschen Meeresmuseums Stralsund
BACKHAUS | 7 Begrüßung II „Der Küsten- und Hochwasserschutz ist eine außerordentlich wichtige, permanente gesellschaftliche Aufgabe, der wir uns zu stellen haben.“ Till Backhaus Vielen Dank für die freundliche Begrüßung, Herr Klehn, wicklung eines aktiven Hochwasserschutzes im Binnen- Herr Benke. Ich bin sehr froh, dass ich heute mal wieder land bereitgestellt werden. im für mich schönsten Museum Deutschlands und Euro- pas sein darf und dass so viele Fachleute hier sind. Ich bin Hochwasser- und Küstenschutz kann einen aktiven Beitrag auch der Universität Greifswald sehr dankbar, dass Sie zum Natur- und Ressourcenschutz leisten, gleichzeitig ei- diese Veranstaltung flankiert und mit vorbereitet hat. nen positiven Beitrag für die Landbewirtschaftung und die Wirtschaftspolitik; er bedeutet nicht zuletzt aber auch ak- Der Küsten- und Hochwasserschutz ist ein dynamischer tive Sozialpolitik, wenn damit eine größere Sicherheit an Prozess, der uns auch über die nächsten Jahrhunder- den Küsten erreicht wird. Küsten- und Hochwasserschutz te zunehmend begleiten wird. In jüngster Vergangenheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Extreme Hoch- haben die beiden Extremhochwasser in den Jahren 2002 wasser und Extremniederschläge werden künftig wohl eher und 2013 Schäden von ca. 22 Milliarden Euro verursacht, zunehmen; der uns umgebende Naturraum wird sich stän- neben der schrecklichen Tatsache, dass dabei auch Men- dig dynamisch verändern. Die Ostseeküste in M-V ist auf schen ums Leben gekommen sind. Nun ist es uns in den mehr als zwei Dritteln ihrer Länge insgesamt am Zurück- letzten Jahren gelungen, eine Gemeinschaftsaufgabe für gehen – dabei erscheint der gemittelte Rückgangsbetrag den Hochwasserschutz in Deutschland auf den Weg zu von 35 cm auf den ersten Blick vielleicht relativ gering, birgt bringen und ein bundesweites Hochwasserschutzpro- aber insbesondere in intensiv genutzten Regionen erheb- gramm zu verabschieden; M-V war maßgeblich an dessen liche Konfliktpotenziale, da der Bedarf an Ausgleichs- und Ausgestaltung beteiligt. Dieses Programm geht jetzt in die Ersatzflächen weiter steigen wird. Umsetzung und die Bundesumweltministerin hat auf der Umweltministerkonferenz erklärt, dass für die nächsten Küstenschutz ist eine Pflichtaufgabe des Staates. Was sind Die Küste 20 Jahre 5,4 Milliarden Euro reine Bundesmittel zur Ent- die grundsätzlichen Herausforderungen, vor denen wir in 100 km Landesküstenschutzdünen Gesamtlänge: 1.945 km 230 km Landesküstenschutzdeiche Außenküste: 377 km davon 140 km Steilküste 80 km Buhnensysteme Binnenküste: 1.568 km DIe Küste Mecklenburg-Vorpommerns Stralsund, den 20.11.2014 2
BACKHAUS | 8 Geplante Küstenschutzmaßnahmen Wiederholungsaufspülung Absperrbauwerk Deich Wellenbrecher Dammbauwerk Sonstiges Ufermauer, HWS-Wand Ausgleichsmaßnahme Buhnenbau Stralsund, den 20.11.2014 Geplante Küstenschutzmaßnahmen 5 Bezug auf den Küsten- und Hochwasserschutz stehen? in der Regel landwirtschaftlich geprägte Flächen, die dann Den Themen der folgenden Fachvorträge ist klar zu entneh- gegebenenfalls auch mal überflutet werden können. Anders men, dass wir uns an der Küste eben in einer Kulturland- wäre dieses hydraulische System nicht finanzierbar. schaft befinden, die demzufolge durch den Mensch ganz klar geprägt worden ist. Das Spannungsfeld wird bspw. Auf einer Länge von über 100 km werden die Siedlungs- deutlich, wenn wir heute auch über die Wiederherstellung räume in M-V durch Dünen geschützt, deren Erhalt durch der natürlichen Überflutungsdynamik tiefliegender Küsten- regelmäßiges Sandaufspülen und Dünenverstärkung ge- gebiete reden – meist sind dies Küstenüberflutungsmoore. währleistet werden muss. Seit 1990 wurden insgesamt in Ein aktiver Moorschutz ist somit unabdingbar, sonst ist die diesem Bereich 350 Millionen Euro an reinen Investitionen Quittung an anderen Stellen zu bezahlen. Der Rückbau be- getätigt. Zusätzlich wurden knapp 50 Millionen Euro in die stehender Hochwasser- oder Küstenschutzanlagen und die Unterhaltung und in Pflegemaßnahmen der Küstenschutz- Anpassung an die landwirtschaftliche Nutzung ist eine der anlagen investiert (vgl. Abbildung). 50 % davon sind in den Kernaufgaben für die Zukunft. letzten 20 Jahren in die Sandaufspülung gegangen; hier wurden ca. 16 Millionen m3 Sand aufgespült. Mit dieser Die Sicherung der Küste und der Schutz gegen Sturmflu- Dynamik müssen wir uns auch künftig auseinandersetzen; ten hat in M-V Tradition. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts be- Aufspülsande sind langfristig zu sichern. Aus diesem Grund gannen die Menschen durch einen aktiven und komplexen ist im neuen Landesentwicklungsprogramm die Sicherung Küstenschutz, sich vor Sturmfluten zu schützen und das mariner und maritimer Sandlagerstätten ausdrücklich in- regelmäßig vom Meer genommene Land einzudeichen oder tegriert worden. zu sichern. Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Küsten- und Insgesamt haben wir 2.000 km Küste, davon entfallen Hochwasserschutz ist eine außerordentlich wichtige, per- 1.568 km auf den inneren Bereich der Küste. Von diesen manente gesellschaftliche Aufgabe, der wir uns zu stellen sind an den inneren Gewässern etwa 1.060 km potenziell haben. Wenn dieses System sich nicht in einem dynami- überflutungsgefährdet und werden im Wesentlichen durch schen Prozess weiterentwickeln kann, keine Sicherungs- Deiche geschützt (vgl. Abbildung). In diesen ländlich ge- maßnahmen vorgenommen werden, kann dies zu erhebli- prägten Gebieten hinter den Deichen liegen landwirtschaft- chen Problemen führen. Ich wünsche dieser Veranstaltung lich genutzte Flächen und Siedlungsräume. Hier wird zu- einen guten Verlauf und eine fruchtbare Gemeinschaftsdis- künftig eine Neuorganisation von Deichsystemen erforder- kussion. Vielen, vielen Dank. lich sein: Im Regelfall werden bebaute Gebiete mit einem Ortskern durch separate Deiche, das heißt gegen extreme Dr. Till Backhaus Sturmflutereignisse ausgelegte Deiche, gesichert sein. Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Alles, was außerhalb davon ist, zählt dann in Kategorie II, Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern
S T O L L- K L E E M A N N | 9 Begrüßung III „COMTESS wird auf der Grundlage seines umfangreichen Forschungsprogramms einen Beitrag zum Entwurf eines multifunktionalen Küstenmanagements liefern.“ Susanne Stoll-Kleemann Sehr geehrter Herr Minister Dr. Backhaus, sehr geehrter küste – und um die Wechselwirkungen zwischen Landma- Herr Direktor Dr. Benke, sehr geehrte Frau Andersohn vom nagement und Ökosystemdienstleistungen. Das heißt, es Projektträger, sehr geehrte Referentinnen und Referen- sind konkrete Handlungsoptionen zu erarbeiten, um eine ten, liebe Studenten und Mitarbeiter der Uni Greifswald! nachhaltige Nutzung dieser Landschaften sicherzustellen. Ich freue mich wirklich, dass Sie so zahlreich erschienen Das COMTESS-Projekt möchte den Entscheidungsträgern sind und wir alle miteinander ins Gespräch kommen. Ich fundierte Grundlagen für ein multifunktionales Küstenma- begrüße Sie ganz herzlich zu diesem Podiumsgespräch. nagement liefern, wenn es bspw. um die Veränderung der Ich möchte Ihnen nachfolgend unser COMTESS-Projekt Entwässerungsstrukturen und Küstenschutzsysteme geht. vorstellen. Dazu werden die Ökosystemdienstleistungen der Land- schaften, also die Funktionsfähigkeit des Landschafts- COMTESS steht für „Sustainable Coastal Land Management: haushaltes, mit unterschiedlichen Annahmen in verschie- Trade-offs in Ecosystems Services“, zu deutsch: „Nachhal- denen Szenarien flächenhaft für Modellflächen (insgesamt tiges Küstenmanagement: Zielkonflikte bei der Nutzung 6.600 ha) ermittelt. Der Zeitrahmen dieser Szenarien geht von Ökosystemdienstleistungen“. Bei diesem Projekt geht bis zum Jahr 2100. es um Klimawandel und Küstenschutz; unser Lehrstuhl ist der sozialwissenschaftliche Teilpartner dieses Projektes. Den verschiedenen Szenarien liegen dabei verschiedene Die Leitung des bis Ende 2015 laufenden Gesamtprojektes Zukunftsvisionen für Anpassungen in Küstenregionen zu- hat Prof. Kleyer von der Universität Oldenburg. grunde: Szenario 1 bspw. Vorschläge von Bewohnern und Betroffenen, Szenario 2 eine angepasste Landnutzung. Bei Worum geht es bei COMTESS? Es geht um die Entwick- diesem Szenario geht man von einem gewissen Rückzug lung von Klimaanpassungsstrategien für Küstenregionen und einer Anpassung der landwirtschaftlichen Bewirtschaf- – sowohl für die Ostseeküste als auch für die Nordsee- tung aus. Das Szenario 3 untersucht die Potenziale, Koh- Anpassungen in Küstenregionen
S T O L L- K L E E M A N N | 1 0 COMTESS Untersuchungsgebiet Fischland-Darß-Zingst lenstoff im Rahmen von Torfbildung und Schilfwachstum zu ressant sind hier nicht zuletzt die Unterschiede zwischen speichern. Szenario 4 ist das sog. Trendszenario: Was wür- den Regionen Ostsee und Nordsee in der partizipativen de passieren, wenn wir so weiter machen wie bisher, ohne Evaluierung und der daraus resultierenden Identifizierung dass wir uns anpassen? von Landnutzungsstrategien. Fragen wie „Wie werden die jeweiligen Anpassungsszenarien bewertet?“ und „Gibt es Durchgeführt wurden zahlreiche ökologische, ökonomi- eine Präferenz für eins dieser vier Szenarien?“ spielen sche und sozialwissenschaftliche Analysen. Auf sozialwis- hierbei eine wichtige Rolle. senschaftlicher Seite kamen dabei im Rahmen des Pro- jektes bspw. Fokusgruppen, World-Cafés und Expertenin- Wenngleich die Umsetzung sämtlicher Ergebnisse letztlich terviews in der gesamten Region als Erhebungsmethoden immer den regionalen und überregionalen Entscheidern zum Einsatz. Die prognostizierten Veränderungen in der obliegt, wird COMTESS auf der Grundlage seines umfangrei- Landnutzung betreffen natürlich die Ökosysteme und die chen Forschungsprogramms einen sowohl wissenschaftli- Biodiversität, aber eben auch unmittelbar die in der Re- chen als auch praktischen Beitrag zum Entwurf eines mul- gion wohnenden Menschen. Deshalb ist es unabdingbar, tifunktionalen Küstenmanagements liefern. diese in die Untersuchungen miteinzubeziehen, mit ihnen zu reden und sie zum Wert der manchmal sogar konträren Prof. Dr. Susanne Stoll-Kleemann Ökosystemdienstleistungen zu befragen. Dies findet im Lehrstuhl für Nachhaltigkeitswissenschaften und Angewandte Teilprojekt „Handlungsprozesse der Akteure“ statt. Inte- Geographie der Universität Greifswald „Die prognostizierten Veränderungen in der Landnutzung betreffen die Ökosysteme und die Biodiversität, aber eben auch unmittelbar die in der Region wohnenden Menschen.“ Susanne Stoll-Kleemann
VORTRÄGE I Seite 12–16 MARCUS RECKERMANN II Seite 17–19 KNUT SOMMERMEIER III Seite 20–22 JOHN COUWENBERG IV Seite 23–25 GERNOT HAFFNER V Seite 26 CHRISTIAN EHLERS / MARC FIEGE VI SEITE 27–28 RAINER HÖLL VII SEITE 29–31 ANNE CRISTINA DE LA VEGA-LEINERT
RECKERMANN | 12 Vortrag I Klimatrends Ostsee Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit dem wissen- Speist man sämtliche Faktoren, die zum Klimawandel bei- schaftlichen Hintergrund zum Thema Klimawandel an der tragen könnten, in die uns zur Verfügung stehenden Model- Ostsee. Ausgehend vom globalen Klimawandel werden be- le und lässt diese laufen, kann die Temperaturkurve relativ reits beobachtete und prognostizierte Entwicklungen zum gut simuliert werden und ist ein Temperaturanstieg deutlich regionalen Klimawandel im Ostseeraum vorgestellt und sichtbar. Lässt man hingegen alle vom Menschen verursach- diskutiert. ten Faktoren wie bspw. den CO2-Ausstoß weg, dann lässt sich der beobachtete Anstieg gar nicht mehr simulieren. Dafür ist zunächst zu klären, worin der Unterschied zwi- Dies ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass der größte Teil des schen Wetter und Klima eigentlich besteht: Das Wetter ist Temperaturanstiegs mit 90 %iger Sicherheit auf menschen- der atmosphärische Zustand hier und jetzt; laut Brockhaus gemachte Treibhausgase in der Atmosphäre zurückgeht. „Zustand und Änderung der unteren Atmosphäre (Tropo- sphäre) an einem Ort“. Das Klima hingegen ist das über lan- Regionaler Klimawandel ge Zeiträume beobachtete Wetter, sozusagen die Statistik des Wetters oder auch eine Art Mittelwert des Wetters. Man Regional manifestiert sich der Klimawandel natürlich sehr braucht mindestens 30 Jahre, um zuverlässige klimatische unterschiedlich. Wichtige politische Entscheidungen zur Aussagen treffen zu können. Anpassung an den Klimawandel müssen somit unbedingt regional getroffen werden; hierfür braucht es belastbare Globaler Klimawandel Daten und Informationen. Der IPCC erstellt zwar regelmä- ßig die globalen Sachstandsberichte, kann jedoch keine zu- Aus den letzten Weltklimaberichten des IPCC (Intergovern- verlässigen Aussagen für die unterschiedlichsten Regionen mental Panel on Climate Change) geht ganz klar hervor, treffen. Aus diesem Grund werden derzeit überall auf der dass eine Erderwärmung messbar ist. So kann ein Anstieg Welt regionale Klimaberichte erstellt – so auch die BACC- der globalen Luft- und Ozeantemperatur anhand gemesse- Ostseeberichte von 2008 und 2015 (Assessment of Climate ner Daten eindeutig nachgewiesen werden. Damit verbun- Change for the Baltic Sea Basin; www.baltic.earth/BACC2). den ist ein schnelleres Abschmelzen der Polkappen sowie ein Anstieg der Meeresspiegel. Die Ostseeberichte gehen in erster Linie folgenden Fragen nach: Wie hat sich das Klima in der Ostseeregion bis zum heutigen Tag verändert? Wie wird es sich voraussichtlich in diesem Jahrhundert entwickeln? Welche Auswirkungen hat der Klimawandel in der Region? Für den jüngsten Be- richt (2015) wurden über 2.000 wissenschaftliche Publi- kationen ausgewertet; es haben 141 Autoren aus 14 Län- dern mitgearbeitet – aus dem gesamten Ostseeraum und darüber hinaus. Auch fand eine enge Zusammenarbeit mit HELCOM, der Helsinki-Kommission zum Schutz der Mee- resumwelt der Ostsee, statt. Dieser Vortrag fasst die Arbeit des BACC Autorenkonsortiums zusammen. Ausgewählte Ergebnisse Bezogen auf die Lufttemperatur in der Ostseeregion ist ein Trend zur Erwärmung sichtbar; dieser ist regional und saisonal unterschiedlich. Mittelt man die Daten über das Jahr, dann beträgt die gemessene Erwärmung für den Zeit- raum 1871 bis 2011 im Norden etwa 1,1°C und im Süden 0,8°C. („Norden“ bedeutet in dem Fall nördlich der Linie Stockholm-Tallinn, „Süden“ heißt südlich davon; beide Re- gionen sind verschiedenen Klimabereichen zuzuordnen.) Bisher gemessene Veränderungen der Meereisbedeckung. Rückläufiger Auch wenn, wie anhand der zahlreichen gemittelten Punkte Trend der jährlichen maximalen Eisausdehnung an der Ostsee (MIB). Trend der MIB während der letzten 100 Jahre – 34 000 km2/100 Jahre aus viel kleineren Messungen deutlich wird, eine große Un- oder ~ 20 %/100 Jahre. Winter 2007/2008 geringste je gemessene Eis- sicherheit in den Daten steckt, ist statistisch gesehen ein bedeckung. (Quelle: BACC II, 2015, Seite 10, Springer Verlag) eindeutiger Erwärmungstrend zu sehen.
RECKERMANN | 13 Bisher gemessene Veränderungen des Meeresspiegels. Absolut gemessener Meeresspiegelanstieg (1800–2000): 1,3 mm/a – 1,8 mm/a, also ver- gleichbar mit dem globalen Anstieg (1,7 mm/a ± 0,5). Jährliches Meeresspiegelmittel für 14 schwedische Aufzeichnungen des Meeresspiegels, für die absolute Landhebung bereinigt und mit dem Niveau von 1886 verglichen. Schwarze Linie: Gauß-Filter Mittelwert. Rote Linie: Stockholmer Meeresspiegel Zeitreihe (von Hammarklint 2009). (Quelle: BACC II, 2015, Seite 164, Springer Verlag) Anders bei den Niederschlägen: Hier gibt es große regiona- Abfluss ist mehr über den Winter verteilt – jedoch ist auch le und jahreszeitliche Unterschiede und somit eine große hier kein langfristiger Trend zu sehen. dekadische Variabilität, das heißt Änderungen zwischen den Jahrzehnten. Generell ist seit 1900 über das Jahr ge- Die Eisbedeckung auf Flüssen und deren Dauer nimmt über mittelt eine leichte Zunahme der Niederschläge zu sehen; die Jahrzehnte ab. Auch die Eisdicke, gemessen in Zenti- die Schwankungsbreite ist jedoch sehr hoch. metern, verringert sich. Hier manifestiert sich der Klima- wandel in eindeutigen Kennzeichen. Gleiches trifft für die Ähnliches kann für den Wind resp. die Windgeschwindigkeit Permafrostböden im Norden Skandinaviens und Russlands beschrieben werden: eine sehr hohe Variabilität der Wind- zu: Deren im Sommer auftauende Schicht vergrößert sich stärken über die Jahrzehnte sowie über die Jahreszeiten. Es sukzessive. Ein Anzeichen dafür, dass es dort wärmer ge- lässt sich kein wirklicher Trend zu Veränderungen ableiten. worden ist. Ein weiteres Anzeichen dafür ist die Erwärmung des Wassers, und zwar auch des Tiefenwassers. Seit 1990 Beim Abfluss, dem sogenannten Run-off, sind ebenfalls hat sich das Oberflächenwasser im Bottnischen Meerbusen dekadische Schwankungen und saisonale Unterschiede und auch im Finnischen Meerbusen deutlich erwärmt: um auszumachen – der Frühjahrspeak fällt geringer aus, der 1°C innerhalb von zwei Jahrzehnten, auch im tiefen Wasser. „Regional manifestiert sich der Klimawandel sehr unterschiedlich. Wichtige politische Entscheidungen zur Anpassung an den Klimawandel müssen somit unbedingt regional getroffen werden.“ Marcus Reckermann
RECKERMANN | 14 Mittlere jährliche und saisona- le Anomalien der bodennahen Lufttemperatur. (Bezogen auf 1960–1991) für das Ostseebecken 1871–2011, berechnet für einen Gitterpunktdatensatz von 5° mal 5° geographischer Länge und Breite, Box-Mittelwert übernommen vom CRUTEM3v Datensatz (Brohan et al. 2006) basierend auf Beobach- tungsstationen an Land (von oben nach unten a jährlich, b Winter (DJF), c Frühling (MAM), d Sommer (JJA), e Herbst (SON)). Blau um- fasst das Ostseebecken nördlich von 60°N und Rot südlich von 60°N. Die Punkte stellen die einzelnen Jahre dar und die geglätteten Kur- ven (Gauss-Filter, σ = 3) heben die Variabilität von Zeitskalen hervor, die länger sind als 10 Jahre. (Quel- le: BACC II, 2015, Seite 6, Springer Verlag) Die Zahl der milden Eiswinter nimmt statistisch gesehen Um einigermaßen realistische Prognosen für die Zukunft ab; der Winter 2007/2008 hatte die geringste je gemes- abgeben zu können, werden Computermodelle herange- sene Eisbedeckung. Trotzdem ist zu berücksichtigen, dass zogen. Dabei lässt man verschiedene Modelle gleichzeitig wir es hier in diesen Breiten mit einer großen natürlichen laufen und variiert deren Anfangs- und Randbedingungen, jahreszeitlichen Variabilität zu tun haben. um die verschiedenen denkbaren Möglichkeiten in der Zu- kunft abzudecken. Das heißt, es handelt sich dabei nicht Bezogen auf die Auswirkungen des prognostizierten Mee- um konkrete Vorhersagen, sondern um mögliche Versionen resspiegelanstiegs gibt es wieder regionale Unterschiede: der Zukunft. Noch vor 12.000 Jahren war der Ostseeraum von kilometer- dicken Eispanzern bedeckt. Mit dem Abschmelzen dieser Ei- Bei der Lufttemperaturänderung im Sommer werden zu- spanzer wurde die Erdkruste entlastet; sie hebt sich seitdem nächst relativ geringe Änderungen deutlich, zwischen 1 im nördlichen Bereich um ca. 10 mm pro Jahr. Im Süden da- und 2°C. Im Winter fällt die Erwärmung etwas deutlicher gegen ist keine Landhebung zu verzeichnen, sondern eher aus; im Norden ist die stärkste Erwärmung zu erwarten. noch eine ganz leichte Landsenkung. Das heißt, die Auswir- Dasselbe gilt für den Niederschlag: Im Süden nehmen die kungen des Meeresspiegelanstiegs, welcher für die Ostsee Sommerniederschläge mit höherer Wahrscheinlichkeit ab mit 1,3 bis 1,8 mm pro Jahr angegeben wird, werden im süd- und es wird insgesamt trockener. Im Winter ist damit zu lichen Ostseeraum viel eher zu spüren sein als im Norden. rechnen, dass es insgesamt feuchter wird.
h’s crust. However, the pattern of trends over the However, it should be remembered that due RECKERMANN | 15 mean sea level [m] STOC 0.4 −7.0 0.2 64˚ 0 100 200 −6.4 −8.2 −6.9 SWIN 0.0 −7.7 −7.4 −0.2 62˚ −2.0 −7.1 KOLO −0.4 −7.8 −6.7 −0.6 0.4 −5.8 1800 1820 1840 1860 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 60˚ −4.9 −1.2 0.4 −0.4 −5.6 −3.7 0.6 0.4 0.1 −5.3 −3.9 −2.3 −1.9 0.6 0.2 56˚ 58˚ 0.1 −3.8 STOC 1.0 0.8 0.6 −2.8 −1.9 0.9 0.4 0.4 0 50 −0.1 1.2 1.0 0.4 1 −0.2 0.2 0.4 56˚ −1.0 −1.1 0. 0.6 55˚ 0.6 6 0.4 0.1 1.1 0. 1.1 8 1 0.8 1.2 1.2 0.6 1 54˚ 1.4 1.4 0.9 KOLO 1.1 1.2 1.1 1.5 1.0 54˚ 2.8 1.4 SWIN 1.3 2.8 SWIN 1.3 KOLO 8˚ 10˚ 12˚ 14˚ 16˚ 15˚ 5˚ 10˚ 20˚ 25˚ Hebung der Erdkruste unter der Ostsee wirkt dem globalen Anstieg entgegen. Negative Zahlen zeigen Landhebung (mm pro Jahr) an. Im Südwesten aps of secular (100Ostseeküste der deutschen years) RSL changes, gibt es keine based Landhebung sondernon eine tide at Stockholm, leichte Senkung Swinoujscie (positive Zahlen). (SWIN) (Quelle: BACC II, 2015, and Seite 165, Kolobrzeg (KOL) verändert) urements of the entire Baltic Sea region (left panel) and, in period before and after 1860. The symbols represent the the southern Für Baltic den Wind Sea coast zeigen die(right Modellepanel keinenbelow) together eindeutigen Trend; den different Nordenreference vorher; das stations entspricht(dotsin etwawarnemünde, auch dem, was triangles s in the linear beimtrend ofist Abfluss theeine (arbitrarily leichte Zunahmeshifted) annual RSLs zu verzeichnen. Die für squares Smögen) den südlichen (redrawnerwartet Ostseebereich from Richter et al. 2011) werden kann. Eisbedeckung wird insbesondere im Norden abnehmen. Für den Anstieg des Meeresspiegels sagt der IPCC-Bericht je Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eindeutige An- nach Szenario 0,26 bis 0,82 Meter bis zum Jahr 2100 für stiege in der Temperatur, in der Luft, im Wasser und im Mee- Winter T Veränderung 50stes Perzentil (°C) Sommer T Veränderung 50stes Perzentil (°C) Prognostizierte Veränderung der bodennahen Lufttemperatur für 2070-2099 im Vergleich zu 1961-1990, Winter und Sommer. (Quelle: BACCC II, 2015, Seite 221, Springer Verlag)
RECKERMANN | 16 Winter T Veränderung 50stes Perzentil (%) Sommer T Veränderung 50stes Perzentil (%) Prognostizierte Veränderung der durchschnittlichen Niederschlagsmenge für 2070–2099 im Vergleich zu 1961–1990, Winter und Sommer. (Quelle: BACCC II, 2015, Seite 221, Springer Verlag) resspiegel zu beobachten sind. Damit verbunden sind Ver- zahlreichen menschengemachten Faktoren, die für diese änderungen der Eisbedeckung und der Eisschmelze. Auch Änderungen verantwortlich sind. Denn neben dem men- das Thema Küstenerosion ist in diesem Zusammenhang von schengemachten Klimawandel spielen bspw. Überdün- Bedeutung. Größere Unsicherheiten gibt es bezüglich Nie- gung, Landnutzung, Fragmentierung der Landschaft, Ver- derschlag und Wind. Und – wenngleich sich die Anzeichen schmutzung und Überfischung der Meere eine nicht uner- mehren, dass Extremwetterereignisse zunehmen werden, hebliche Rolle. Auf der anderen Seite kann man versuchen, sind diese Szenarien jedoch noch immer mit großen Unsi- aus den klimatischen Veränderungen etwas Positives für cherheiten behaftet und wissenschaftlich noch nicht hinrei- die Region abzuleiten, bspw. für den Tourismus, für die Ge- chend belegt. Grundsätzlich sind Modellierungen natürlich sundheit und das Wohlbefinden, insbesondere im Norden. auch immer nur so gut wie die in die Modellierung einflie- Aber auch für die Land- und Forstwirtschaft können sich ßenden Inputdaten und damit nie 100 %ig „korrekt“. verbesserte und veränderte Wachstumsbedingungen er- geben: So werden aufgrund der höheren CO2-Gehalte der Für die Zukunft ist eine weitere Erwärmung in der Region Luft positive Effekte für die Vegetation erwartet. zu erwarten, verbunden mit einem Meeresspiegelanstieg und den daraus resultierenden Konsequenzen (bspw. wer- Dr. Marcus Reckermann den die Kosten für Anpassungsmaßnahmen und Küsten- Helmholtz-Zentrum Geesthacht, schutz steigen). Dabei ist der Klimawandel nur einer von International Baltic Earth Secretariat, Head Fazit Der Ostseebericht befasst sich mit Fragen, wie sich das Klima in der Ostseeregion bis zum heutigen Tag Der größte Teil des Temperaturanstiegs ist mit 90 %iger verändert hat, wie es sich voraussichtlich in diesem Sicherheit auf menschengemachte Treibhausgase in Jahrhundert entwickeln wird und welche Auswirkun- der Atmosphäre zurückzuführen. gen der Klimawandel in der Region hat. Regional manifestiert sich der Klimawandel sehr unter- Eindeutige Anstiege sind in der Temperatur, in der Luft, schiedlich. Wichtige politische Entscheidungen zur An- im Wasser und im Meeresspiegel zu beobachten. Da- passung an den Klimawandel sind regional zu treffen; mit verbunden sind Veränderungen der Eisbedeckung wofür es belastbare Daten und Informationen braucht. und der Eisschmelze sowie bei der Küstenerosion.
SOMMERMEIER | 17 Vortrag II Küstenschutzstrategie des Landes Der Küsten- und Hochwasserschutz in Mecklenburg-Vor- Meter in den nächsten Jahren zurückgehen; auf Fischland/ pommern gliedert sich im Wesentlichen in zwei Bereiche: Darß bspw. um 60 m in 100 Jahren. Diese Rückgangsten- den Schutz gegen Überflutung bei Sturmfluten – und damit denz lässt sich durch die Verwendung und Auswertung von gegen kurzfristige Einzelereignisse – und zum anderen geht historischem Kartenmaterial [z.B. Preußisches Messtisch- es um den Landverlust durch Küstenrückgang infolge kurz- blatt] bis zu dem Zeitpunkt bestimmen, wo durch Küsten- und langfristiger Einzelereignisse. Bei einer sehr schweren schutzmaßnahmen der Küstenrückgang verhindert wird. Sturmflut wären großräumige Gebiete in Mecklenburg-Vor- pommern potenziell überflutungsgefährdet, wenn die Küs- Zu den Grundsätzen des Küstenschutzes in M-V zählt, dass tenschutzanlagen versagen würden, und zwar 1.080 km². In Küstenschutzmaßnahmen auf im Zusammenhang bebau- diesem Bereich leben 180.000 Menschen und es befinden te Gebiete beschränkt sind. Außerhalb solcher Bereiche soll sich dort auch Werte in einer Höhe von ca. drei Milliarden möglichst keine Beeinträchtigung der natürlichen Küsten- Euro; beides gilt es zu schützen. Sämtliche Hochwasser- und Sedimentdynamik erfolgen, insbesondere keine Fest- schutzanlagen sind dabei immer auf festgelegte statisti- legung aktiver Steilküsten, sie sind wichtige Sedimentliefe- sche Wiederkehrsintervalle ausgebaut; was darüber hinaus ranten. Das heißt, Küstenschutz berücksichtigt immer die kommt, lässt sich kaum abschätzen. Belange des Naturschutzes. Ein weiterer Grundsatz ist der Erhalt einer durchgehenden Schutzlinie an der Außenküste Entlang der Außenküste befindet sich die Ostseeküste auf zum Schutz gegen Durchbrüche in die inneren Küstenge- Gefährdungspotential M-V einer Länge von 245 km im Rückgang. Würde kein Küsten- schutz durchgeführt, dann würde die Küste um mehrere wässer. So geht es bei den überflutungsgefährdeten küstenbereichen – wie dem Fischland, Staatliches Amt für Zingst, der Landwirtschaft Flach- Insel Use- und Umwelt Mittleres Mecklenburg - 45 m - 25 m - 115 m - 60 m - 70 m - 210 m - 20 m - 35 m - 50 m/100 a - 90 m 1.080 km² potentiell überflutungsgefährdete Fläche (BHW-Fall) 245 km rückgangsgefährdete Außenküste 180.000 Küstenbewohner betroffen monetäres Schadenspotential = 2,9 Mrd. € Gefährdungspotenzial in Mecklenburg-Vorpommern
SOMMERMEIER | 18 „Bei einer sehr schweren Sturmflut wären großräumige Gebiete in Mecklenburg-Vorpommern potenziell überflutungsgefährdet, wenn die Küstenschutzanlagen versagen würden.“ Knut Sommermeier dom – insbesondere darum, dass eine schwere Sturmflut Die Gesamtaufwendungen für sämtliche Küstenschutz- sich nicht in die inneren Küstengewässer fortsetzt. (Bei ei- maßnahmen verteilen sich wie folgt: 35,9 % der Mittel flie- ner sehr schweren Sturmflut auf dem Fischland bspw. wird ßen in die Aufspülung, 19,5 % in den Deichbau, 15,2 % in von einem Bemessungswasserstand von 2,8 m NHN ausge- den Buhnenbau, 12,4 % in Sperrwerke, 5,8 % in Ufermau- gangen, während dieser an den inneren Küstengewässern ern, der Rest verteilt sich auf andere Maßnahmen. Für die um ca. 1 m geringer ist.) Landesküstenschutzdünen wird aus marinen Gebieten Sand gewonnen. Durch den natürlichen Prozess des Küs- Perspektivisch geht es aber auch um die Neuorganisation tenrückgangs muss der Sand in regelmäßigen Abständen der Binnenküsten-Deichsyteme (Deichverlegung, -verkür- wieder aufgespült werden. In einem Regelwerk zu marinen zung) sowie die Entwicklung baulicher Anpassungsstrate- Aufspülsanden wird klar geregelt, wie, wo und in welchem gien für den städtischen Hochwasserschutz. An den inne- Ausmaß naturnaher Abbau mariner Sande erfolgen darf. ren Küstengewässern gibt es mehrere 100 km Deiche, die zu unterhalten, zu pflegen und auf ein bestimmtes Maß Pro Jahr werden ca. 500.000 m³ Sand benötigt, um den auszubauen sind – eine Aufgabe für die nächsten Jahr- natürlichen Küstenrückgang auszugleichen. Um die Rege- zehnte. Zu berücksichtigen sind hierfür einerseits natür- nerationsfähigkeit der Abbaugebiete langfristig zu erhal- lich die Investitionskosten in den Deichbau, aber auch die ten, wird jeweils nicht mehr als ½ m Sand streifenweise Küsten- und Hochwasserschutzmaßnahmen Unterhaltskosten für den Erhalt einer Anlage über lange entnommen. Das wiederum macht relativ große Flächen 2014 - 2020 Zeiträume. zur Entnahme erforderlich. Wie jedoch in Monitoringun- Staatliches Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg Wiederholungsaufspülung Absperrbauwerk Deich Wellenbrecher Dammbauwerk Sonstiges Ufermauer, HWS-Wand Ausgleichsmaßnahme 18 Buhnenbau Küsten- und Hochwasserschutzmaßnahmen 2014–2020
Aktuelle und zukünftige Entwicklung Staatliches Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg SOMMERMEIER | 19 Küsten- und Hochwasserschutz. Aktuelle und zukünftige Entwick- lung (Quelle: IPCC, Dronkers et.al., 1990) tersuchungen nachgewiesen wurde, stellt sich innerhalb Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Gesellschaft für weniger Jahre wieder nahezu vollständig eine Biozönose die natürlichen Prozesse an den Küsten zu sensibilisieren her. Zukünftig ist mit der Erhöhung der Wellenhöhen, mit ist. Durch Küstenschutzanlagen kann ein bestimmtes Si- Extremwellenhöhen und mit einer erheblichen Zunahme cherheitsmaß gewährleistet werden. Im Vorsorgemaß von des küstenparallelen Sedimenttransports zu rechnen. Das 0,5 m sind klimabedingte Änderungen bei der Errichtung hat zur Folge, dass die zur Aufrechterhaltung der Küsten- von Küstenschutzanlagen berücksichtigt. schutzstrategie benötigten Sandmengen perspektivisch eher noch steigen werden. Dennoch ist das Wissen über mögliche Risiken, die sich aus höheren Sturmfluten oder aus unsicheren Kenntnis- Im Forschungsprojekt RADOST wurden unterschiedliche sen über natürliche Prozesse ergeben von großer Bedeu- Strategien des potenziell möglichen Küstenschutzes in An- tung. Prinzipiell gilt für alle Arten von Küstenschutzmaß- satz gebracht und die möglichen Konsequenzen analysiert. nahmen, dass Schaden an Menschen und deren Gütern Die Ergebnisse fließen in Planungsprozesse ein. Das For- abzuwenden ist. Dies kann jedoch nur durch gemeinsame schungsvorhaben DredgDikes untersuchte die Möglichkei- Anstrengungen unterschiedlichster gesellschaftlicher Be- ten des Einsatzes von Baggergut im Deichbau. Hier erfolgte reiche gelingen. eine enge Zusammenarbeit mit dem Wasser- und Schiff- fahrtsamt. So diente die Baggerung der Sandfalle in War- Dipl.-Ing. Knut Sommermeier nemünde dazu, das Sandmaterial vor Hohe Düne wieder in Staatliches Amt für Landwirtschaft und Umwelt, den Kreislauf des Sedimenttransportes hineinzubringen. Mittleres Mecklenburg, Dezernat Küste, Rostock Fazit Erhalt einer durchgehenden Schutzlinie an der Außen- Küstenschutz ist auf im Zusammenhang bebaute Ge- küste zum Schutz gegen Durchbrüche in die inneren biete beschränkt. Küstengewässer. Außerhalb von im Zusammenhang bebauten Gebieten Perspektivisch: Neuorganisation der Binnenküsten- möglichst keine Beeinträchtigung der natürlichen Küs- Deichsyteme (Deichverlegung, -verkürzung) sowie Ent- ten-und Sedimentdynamik (insbesondere keine Fest- wicklung baulicher Anpassungsstrategien für den städ- legung aktiver Steilküsten, da Sedimentlieferanten). tischen Hochwasserschutz.
COUWENBERG | 20 Vortrag III Moorwelt wird nass Weltweit emittieren entwässerte Moore ca. zwei Milliarden tives Land Jahr für Jahr verloren – Moorentwässerung für Tonnen CO2 pro Jahr – seit 1990 stiegen die Emissionen die Landwirtschaft vernichtet so die eigene Existenzgrund- um ein Viertel. Je tiefer der Wasserstand, desto höher die lage dieser Landwirtschaft. Daneben hat die Moorentwäs- Emissionen. Wenngleich entwässerte Moore nur weniger serung auch negative Folgen für die Gewässerqualität, für als ein halbes Prozent der Landfläche der Erde ausmachen, die Eutrophierung in Schutzgebieten. gehen von ihnen 5 % des gesamten, durch Menschen ver- ursachten Treibhausgasausstoßes aus. Hauptverursacher Wiedervernässung ist hierbei Indonesien, wo großflächig Ölpalmen auf Moo- ren angebaut werden; die EU steht an zweiter Stelle. So ist Moore können wiedervernässt werden. Während ein ent- bspw. tiefentwässertes Grünland auf Moor für eine Emissi- wässertes Moor CO2 ausgast, wird ein wiedervernässtes on von fast 30 t CO2 pro Hektar und Jahr verantwortlich; das Moor im Optimalfall wieder CO2 speichern, in jedem Fall wird entspricht ca. 145.000 km mit dem Pkw. Wird auf einem es die Treibhausgasemissionen enorm verringern. Außer- entwässerten Moor Ackerbau betrieben und werden dort dem kühlen die nassen Moore die Landschaft; die Strah- bspw. Kartoffeln angebaut, so sind es 37 t CO2 pro Hektar lungsenergie geht nicht in die Erwärmung der Atmosphäre, und Jahr (= 185.000 km). sondern in die Verdunstung. Je höher der Wasserstand, desto mehr verdunstet und desto größer ist der kühlende Zusammen emittieren die Moore in Deutschland etwas Effekt; in der unteren Atmosphäre entsteht weniger Wärme. mehr als 40 Millionen t CO2 pro Jahr. Das verursacht nicht Auch das ist ein positiver Beitrag zum Thema Klimaanpas- nur Treibhausgase, sondern der Moorboden selbst geht in sung. die Luft und oxidiert, das führt zu Sackung und zum soge- nannten „Teufelskreis der Moornutzung“: Um ein Moor troc- In den meisten Regionen würde es reichen, die Entwässe- ken nutzen zu können, wird es entwässert. Das führt dazu, rung einfach abzuschalten, dann bliebe genügend Wasser dass das Moor sackt. Im Ergebnis dessen kommt die Ober- in der Landschaft, um auch große Flächen wieder nass zu fläche wieder näher an den Grundwasserstand, das Moor kriegen; dies hat bereits das Moorschutzprogramm ge- vernässt wieder, es wird tiefer entwässert, das Moor sackt zeigt. Andernorts ist ggf. Grund- oder Flusswasser zur Wie- weiter, wird wieder nass usw. Auf diese Weise geht produk- dervernässung heranzuziehen. Moorwiedervernässung löst viele dieser Probleme Entwässerter Torf Nasser Torf Nasser Verringerung von Treibhausgas- Torf Van de Riet et al. 2014 emissionen durch Moorwieder- vernässung
COUWENBERG | 21 Je höher Je höher der der Wasserstand, Wasserstand, desto desto höher höher die die Kühlung: Kühlung: mehr Energie mehr Energie für für Verdunstung Verdunstung weniger für weniger für Wärme Wärme >1m 1 - 0,75 m 0,75-0,5 m 0,5-0,25 m 0,25-0,1 m 0,1-0 m >1m 1 - 0,75 m 0,75-0,5 m 0,5-0,25 m 0,25-0,1 m 0,1-0 m Wasserstand unter Flur Wasserstand unter Flur Vorhandene Energie umgesetzt Energie umgesetzt in Vorhandene Energie umgesetzt Energie umgesetzt in Strahlung in Verdunstung Wärme Strahlung in Verdunstung Wärme Nasse Moore kühlen die Landschaft In Bezug auf Hochwasserereignisse ertragen nasse Moore Paludikultur eine Überflutung natürlich wesentlich besser und es kommt zu weitaus geringeren Schäden. Dem Wasser kann Raum All diese Vorteile resultieren aus wiedervernässten Mooren, gegeben werden, in diese Flächen hineinzugehen; das mil- was nicht bedeutet, dass man diese dann nicht mehr nut- dert die Auswirkungen von Hochwasserereignissen. zen kann. Es bedarf eben nur einer anderen Kultur – der Paludikultur. Dies ist die landwirtschaftliche Nutzung nas- Zudem reinigen Moore das Wasser, sie filtern einen gro- ser Hoch- und Niedermoore. In einem umfangreichen For- ßen Teil der Nährstoffe aus dem Wasser heraus, vergleich- schungsprojekt – der „Vorpommern Initiative Paludikultur bar mit technischen Wasserkläranlagen, nur wesentlich VIP“ – haben wir uns mit diesem Thema auseinanderge- kostengünstiger. Wiedervernässung bringt auch wieder setzt, haben deren Umsetzung getestet, haben neue Pro- Wasser zurück in die Landschaft; der Grundwasserstand dukte entwickelt, den Anbau von Pflanzen und den Einsatz in der Landschaft steigt an, was sich in Trockenzeiten, die von Maschinen getestet und – sogar den „Forschungspreis perspektivisch in unseren Sommern wohl eher zunehmen nachhaltige Entwicklung“ damit gewonnen. Die Paludikultur werden, positiv auswirkt. Nasse Moore sind verbindende bietet dabei eine ganze Reihe von Vorteilen: Sie stoppt die Elemente, grüne Netzwerke in der Landschaft. Sie sorgen Moorsackung, verringert THG-Emissionen, erhält Produkti- für eine Erhöhung der Biodiversität, wie zum Beispiel für on und Arbeit im ländlichen Raum, bietet regionale nach- die Vogelpopulation vor und nach der Wiedervernässung. haltige Wertschöpfung, regionalisiert die Rohstoff-/Ener- „Zusammen emittieren die Moore in Deutschland etwas mehr als 40 Millionen t CO2 pro Jahr. Nasse Moore sind verbindende Elemente, grüne Netzwerke in der Landschaft.“ John Couwenberg
Moorwiedervernässung ist sehr gut für die Moorbiodiversität COUWENBERG | 22 Moorwiedervernässung ist sehr gut für die Moorbiodiversität Vogelpopulation vor und nach der Wiedervernässung gie-Versorgung, verbessert die Landschaftshydrologie und Neuland für die Landwirte, sondern auch für die Natur- das Mesoklima, verringert den Nährstoffaustrag in Vorfluter schützer. Nasses Land muss eben nicht nur strikten Natur- und Meer und bietet Habitate für seltene Arten. schutz bedeuten, sondern kann auch produktives Land sein. Dennoch gibt es natürlich auch Widerstände; Regeln und Was brauchen wir? Wir brauchen Pilotbetriebe, Landwirte, Gesetze sind noch nicht angepasst. So ist Schilfanbau die zeigen, dass es funktioniert. Wir brauchen Planungssi- bspw. keine Landwirtschaft. Das bedeutet für den Landwirt, cherheit für die nächsten 20 bis 40 Jahre, um zu zeigen, der Schilf anbauen will, er erhält keine Direktzahlungen. Ein dass es funktioniert. Darüber hinaus Investitionszuschüs- anderes Beispiel: Torfmoosanbau ist kein Grünland. Das se, angepasste Technik, Produktionslinien sowie eine ge- heißt, die Wiedervernässung eines Hochmoorgrünlandes, zielte Beratung in der Gesellschaft und bei den Landwirten. um dort Torfmoose anzubauen, ist gleichbedeutend mit ei- Die Paludikultur bietet einen langen, aber notwendigen Weg nem Grünlandumbruch und damit untersagt. Mit anderen raus aus der summerischen Wüste, denn: Die Moore müs- Worten: Die Paludikultur ist noch Neuland und erfordert eine sen einfach nass. Anpassung der ganzen Produktionskette – der Gewächse, der Technik, der Infrastruktur/Logistik, der Produkte, der Dr. John Couwenberg Wertschöpfungskonzepte (integrativ). Das ist nicht nur Moor- und Paläoökologie, Universität Greifswald Fazit ckenzeiten), erhöhen die Moorbiodiversität deutlich und Wenngleich entwässerte Moore nur weniger als ein hal- verbinden Landschaften (Grünes Netzwerk mit vielen bes Prozent der Landfläche der Erde ausmachen, gehen Synergien). von ihnen 5 % des gesamten, durch Menschen verur- sachten Treibhausgasausstoßes aus. In Deutschland Die Paludikultur ist die landwirtschaftliche Nutzung nas- emittieren entwässerte More ca. 40 Millionen t CO2 pro ser Hoch- und Niedermoore. Sie stoppt die Moorsackung, Jahr. verringert THG-Emissionen, erhält Produktion und Arbeit im ländlichen Raum, bietet regionale nachhaltige Wert- Nasse Moore speichern CO2 und verringern damit die schöpfung, regionalisiert die Rohstoff-/Energie-Versor- Treibhausgasemissionen, kühlen die Landschaft, halten gung, verbessert die Landschaftshydrologie und das viele Nährstoffe zurück, mildern Hoichwasserereignis- Mesoklima, verringert den Nährstoffaustrag in Vorfluter se, halten Grundwasser im Einzugsgebiet (gut für Tro- und Meer und bietet Habitate für seltene Arten.
HAFFNER | 23 Vortrag IV Küstenüberflutungsmoor Sundische Wiese Vorgestellt wird nachfolgend das Renaturierungsprojekt ausgewiesen. In den Verantwortungsbereich des National- Sundische Wiese im Nationalpark Vorpommersche Bod- parkamtes Vorpommern gehören die beiden Schutzgebiete denlandschaft. Träger des Vorhabens ist das Staatliche Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft mit ei- Amt für Landwirtschaft und Umwelt Stralsund, das Landes- ner 371 km langen Küstenlinie (davon 71 km Außenküste amt für Umwelt, Naturschutz und Geologie war Planfest- und 300 km Boddenküste) und der Nationalpark Jasmund, stellungsbehörde, das Nationalparkamt ist die zuständige Deutschlands kleinster Nationalpark. untere Forst- und Naturschutzbehörde und sorgt für Bera- tung und ökologische Bauberatung während der gesamten Neben der Sicherstellung der natürlichen Entwicklung/dem Umsetzung. Prozessschutz, der für alle Land- und Wasserbereiche gilt, trägt der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft Nationalpark als Zielsetzung bedeutet einen dynamischen besondere Verantwortung für wandernde Tierarten. Das Ansatz, das heißt Prozessschutz; die Landschaft soll sich sind alljährlich bis zu 70.000 Kraniche, aber auch große An- so entwickeln, wie sie es unter natürlichen Bedingungen sammlungen von Goldregenpfeifern, Kiebitzen u. a. Nicht zu tut. Vorgabe des Bundesnaturschutzgesetzes ist die Nut- vergessen die Verantwortung für vom Aussterben bedrohte zungsfreiheit auf mindestens 50 % der Fläche. Deutschland Brutarten wie bspw. Zwergseeschwalben, die gerade auf die hat derzeit nicht einmal 0,5 % der Fläche als Nationalparks Neulandbereiche angewiesen sind. Der Nationalpark ist in zwei Schutzzonen eingeteilt. Schuttzzone 1 - Kernzone, Schutzzone 2 - Entwicklungs- und Pflegezone Gernot Haffner / Nationalparkamt Vorpommern Stralsund, 20. November 2014
HAFFNER | 24 Vorland Nord 278 ha Polder Nord 642 ha Polder Süd 1.018 ha Vorland Süd 145 ha Quelle: StALU Vorpommern Bereich der Sundische Wiese im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft Der Nationalpark ist in zwei Schutzzonen eingeteilt: die nicht folgenlos bleibt. Die Bäume sterben ab. Es entstehen Schutzzone 1 (Kernzone) Gernot Haffner und die Schutzzone / Nationalparkamt 2 (Entwick- Vorpommern Röhrichte. Stralsund, 20. November Alles natürlich 2014 und im Sinne einer natürlichen lungs- und Pflegezone), die touristisch wesentlich stärker Dynamik. In Richtung Osten lässt die Transportenergie des genutzt ist und in der teilweise auch Wirtschaft stattfindet. Meeres langsam nach, der Sand sedimentiert und es bil- Bei der Entwicklung des Nationalparks wurden verschiedene den sich erste Vegetationsdecken – Flutrasen, Andelrasen Zielbereiche ausgewiesen, und zwar für die Naturlandschaft – und nach und nach entstehen dort Inselbereiche. Es ist (Wasser, Land, Waldbereich) und die Kulturlandschaft. eine Ausgleichsküste. An einer Stelle wird abgebaut und auf der anderen Seite entsteht neues Land. In dem Bereich der Sundischen Wiese, in dem ein wesent- licher Teil des Renaturierungsprojektes greift, geht es um Vorland Süd die Wasserregime und die Nutzung der Flächen. Das Gebiet Ostzingst lässt sich in vier Bereiche gliedern: Außerhalb des Die Vorlandfläche Süd ist ein natürliches Prielsystem und alten Seedeiches liegt das Vorland mit einem Zustand, wie reich strukturiert, mit scharfen Kanten durch den Rinder- er unseren Schutzzielen entspricht. Ebenso das Vorland tritt. Das Küstenüberflutungsmoor ragt weit aus dem Bod- Süd, auch ausgedeicht, ein Küstenüberflutungsmoor in den hinaus, es wird temporär überflutet. Hier gibt es Sand- guter Ausprägung, beweidet durch Rinder und durch diese und Torfmächtigkeiten von bis zu 40 cm, die erhalten wer- in gutem Zustand gehalten. Dazwischen die beiden gepol- den und durch die regelmäßigen Überflutungen der freien derten Flächen. Die Polderfläche Nord, ehemals militärisch Dynamik nicht mineralisiert werden. genutzt, soll sich nach Schlitzung des Seedeiches rein na- türlich entwickeln. Die Polderfläche Süd, komplett gepol- dert und Ergebnis der sehr gründlichen DDR-Komplexmeli- Vorland Nord 278 ha oration, soll dann entwickelt werden. Beide Polderbereiche sollen so entwickelt werden wie die jeweils davorliegenden Vorländer. Vorland Nord Hier findet Landnahme durch das Meer statt und küstenpa- rallele Transportprozesse setzen sein (vgl. Abbildung). Da, wo der Boden durchwurzelt ist und sich organische Subs- tanz im Boden befindet, hält er sich etwas länger, aber auch diese Flächen werden durch das Meer aufgearbeitet. Das Meer nimmt Einfluss auf das dahinterliegende Land, spült Sand ein, sorgt für eine höhere Salinität, was natürlich auch Landnahme Gernot Haffner / durch das Meer Nationalparkamt Vorpommern Stralsund, 20. November 2014
HAFFNER | 25 „Nationalpark als Zielsetzung bedeutet einen dynamischen Ansatz, das heißt Prozessschutz; die Landschaft soll sich so entwickeln, wie sie es unter natürlichen Bedingungen tut.“ Gernot Haffner Polder Gräben zu verfüllen und flache, ortsangepasste Priele zu schaffen. Die Priele sollen dann alle tiefgelegenen Flä- Im Polder Nord befinden sich Waldbereiche und alte Rest- chen anschließen, sodass das Wasser nicht nur einströ- straßen. Die Waldbereiche sollen sich auf den höheren La- men, sondern auch wieder ausströmen kann. Der See- gen natürlich entwickeln, wenn der Bereich dann komplett deich wird an fünf Stellen auf 50 m geschlitzt. Das hat der eigenen Dynamik überlassen wird. zur Folge, dass auch dort das Wasser einströmen und abfließen kann. Der ehemals intensiv landwirtschaftlich genutzte Polder Süd hat eine lange Nutzungsgeschichte. Hier finden sich Nach Umsetzung sämtlicher Maßnahmen wird das Ge- Entwässerungsgräben, Schöpfwerkgräben und Schöpfwer- biet dann Ruhe vor weiteren Eingriffen haben, wird es im ke. Es wurde zu DDR-Zeiten gepflügt und Mais angebaut Norden eine dem Nationalparkschutzziel entsprechende – mit den entsprechenden Folgen: Abbau der organischen Prozessschutzzone geben und im Südteil ein dem Ar- Substanz im Boden, Absacken der Böden, zum Teil bis auf ten- und Biotopschutz sowie den besonderen Verpflich- den mineralischen Grund runter, etc. Diese Flächen werden tungen im Küstenbereich angepasstes Küstenüberflu- deshalb nach der Renaturierung erst mal kein Salzgrasland tungsmoor mit einer extensiven landwirtschaftlichen werden, sondern geschlossene Wasserflächen. Nutzung, auf dem sich Salzbinsenrasen ansiedeln soll. Ein Küstenüberflutungsmoor ist regelmäßigen Überflu- Deichbau und Deichrückbau tungen immer gewachsen und wird nach zurückziehen- dem Wasser auch wieder beweidbar und ertragsfähig Der Deich wurde als Riegeldeich auf den Ostzingst gebaut, sein. Das Wasser lässt Nährstofffrachten zurück, trägt um die südliche Boddenküste zu schützen, sodass das also auch dazu bei, dass der Bodden von Nährstoffen Meerwasser gar nicht erst bis in den Bodden eindringt. Er ganz wesentlich entlastet wird und erhöht die Salinität verbindet den neuen Seedeich mit dem Boddendeich und der Flächen, sodass Salzgrasland entstehen kann. Zu- schließt Zingst mit ein. Auf den Deich wurde ein Radwan- künftig sollen sich hier Strukturen wie im Bereich des derweg gebaut. Vorlandes einstellen. Der Boddendeich, der nun keine Funktion mehr hat, wird Gernot Haffner komplett zurückgebaut; das Material wird genutzt, um die Amtsleiter Nationalparkamt Vorpommern Fazit Das Renaturierungsgebiet Ostzingst lässt sich in die vier Nationalpark als Zielsetzung bedeutet einen dyna- Bereiche Vorland Nord, Vorland Süd und die dazwischen mischen Ansatz, das heißt Prozessschutz; die Land- liegenden gepolderten Flächen gliedern. schaft soll sich so entwickeln, wie sie es unter natürli- chen Bedingungen tut. Es wurde ein neuer Deich als Riegeldeich auf den Ost- zingst gebaut. Nicht mehr benötigte Deiche und Gebäu- Der Nationalpark ist in zwei Schutzzonen eingeteilt: de werden zurückgebaut. Anschließend wird das Gebiet die Schutzzone 1 (Kernzone) und die Schutzzone 2 komplett sich selbst überlassen, sodass sich ein funk- (Entwicklungs- und Pflegezone). Schutzzone 2 ist tionierendes Küstenüberflutungsmoor herausbilden touristisch und zum Teil auch wirtschaftlich wesent- kann, dass regelmäßigen Überflutungen standhält und lich stärker genutzt. das Heimat bedrohter Tier- und Pflanzenarten ist.
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