NICHT VON DIESER WELT - Der Standard

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NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
der Standard

                      Nr. 3   •   November 2017

         NICHT
          VON DIESER
               WELT
          Die Suche nach Leben
          fern der Erde

€ 5,90
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
2

    siemens.at/ingenuityforlife
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
EDITORIAL

                                                                                                                              IST DA DRAUSSEN
                                                                                                                              IRGENDJEMAND?
                                                                        Dass Leben zumindest theoretisch nicht nur auf                           viele, endgültige Beweise keine. Längst hat die             O liv e r Sc h o p f hat wieder einen ganz-
                                                                        der Erde möglich ist, weiß man ja schon seit                             Suche nach Exoplaneten auch einen Aspekt,              seitigen Cartoon zum Thema beigesteuert.
                                                                        langem, mit der Entdeckung von erdähnlichen                              den man anfangs vielleicht gar nicht mitdenken         Tanja Traxle r hat bei der Magazinproduktion
                                                                        Planeten außerhalb des Sonnensystems wird                                wollte: Gibt es eine alternative Welt, nur für         den Blick auf das große Ganze nie verloren.
                                                                        diese Vermutung noch verstärkt. Das befeuert                             den Fall, dass es auf der Erde nicht mehr geht?        Grafisch umgesetzt wurde das Heft von
                                                                        auch wieder die Suche nach extraterrestrischen                               Die dritte Ausgabe des Magazins                    Iv o nne Stark und Arm in Karne r.
                                                                        biologischen Strukturen. Warum sollte ausge-                             FORSCHUNG beleuchtet dieses Themenfeld                      Wir wünschen Ihnen eine spannende
                                                                        rechnet die Erde der einzige Ort sein, wo Leben                          auf unterschiedlichste Weise – unter anderem           Lektüre.                                Pe te r Ille ts c h k o
                                                                        existiert? Jedoch entsprechen kleine grüne                               mit einem Text von Österreichs bekanntester
                                                                        Männchen oder wütende echsenartige Monster                               Exoplanetenforscherin, Lis a Kalte ne g g e r,
                                                                        eher menschlichen Fantasien als realistischen                            und einem Beitrag der Wissenschaftsforsche-
                                                                        Vorstellungen. Schon einen Einzeller irgendwo                            rin H e lg a N o w o tny . Die ehemalige Präsidentin
                                                                                                                                                                                                                                              Auf dem Cover
                                                                        zu finden wäre derzeit eine Sensation.                                   des Europäischen Forschungsrats ERC singt                                                    dieses Magazins
                                                                            Natürlich hat die Suche nach Leben und                               ein Loblied auf die Neugier als Basis für jede                                               ist der Teleskop-
                                                                        Lebensmöglichkeiten fernab der Erde nichts                               Art der Grundlagenforschung im All und auf                                                   verbund Atacama
                                                                                                                                                                                                                                              Large Millimeter
                                                                        mit Verschwörungstheorien von Ufo-Gläubi-                                der Erde.                                                                                    Array, kurz Alma,
                                                                        gen, sondern vielmehr etwas mit dem Men-                                     Journalismus ist auch Teamarbeit, deswegen                                               in der chilenischen
                                                                        schen selbst zu tun. Wir fragen uns doch schon                           sehen Sie auf dieser Seite die Namen und Bilder                                              Atacama-Wüste
                                                                                                                                                                                                                                              zu sehen – dahinter
                                                                        seit Menschengedenken, wie alles, was unseren                            von Kolleginnen und Kollegen, ohne die dieses                                                die Milchstraße.
                                                                        Planeten ausmacht, begann. Theorien gibt es                              Magazin nicht zustande gekommen wäre.                                                        Foto: Eso / B. Tafreshi

                                                                                                                                    Wie man mit historischen                                            Die US-amerikanische
                                                                                                                                    Fakten perfekte Erklärungen                                         Philosophin Susan Schneider
                                                                                                                                    liefert, weiß Daniela Yeoh.                                         erwartet superintelligente
                                                                                                                                    Sie hat mit Fatih Aydogdu die                                       Außerirdische. Tanja Traxler
                                                                                                                                    Grafiken des Magazins umge-                                         hat sie gefragt, was diese
                                                                                                                                    setzt, S. 24–26, 28–29, 42–43.                                      Annahme stützt, S. 39–41.

                                                                                                                                    Auch ein kleines Land wie                                           Irgendwo da draußen gibt es
                                                                                                                                    Österreich ist im Weltraum                                          außerirdisches Leben. Davon
                                                                                                                                    vertreten. Mit welchen Tech-                                        ist Jill Tarter, Ikone der Alien-
                                                                                                                                    nologien und Schwerpunkten,                                         jäger, felsenfest überzeugt.
                                                                                                                                    hat Alois Pumhösel zusam-                                           Karin Krichmayr hat mit ihr
                                                                                                                                    mengetragen, S. 50–55.                                              gesprochen, S. 19–22.

                                                                                                                                    Einer der wichtigsten Durch-                                        Maschinen werden Menschen
                                                                                                                                    brüche in jüngster Zeit war die                                     immer ähnlicher – und zwar
                                                                                                                                    Entdeckung von Exoplaneten                                          nicht nur im Kino. Beate
                                                                                                                                    um den Stern Trappist-1.                                            Hausbichler analysiert,
                                                                                                                                    David Rennert erklärt die                                           warum das angsteinflößend
                                                                                                                                    Hintergründe, S. 44–47.                                             ist, S. 66–68.
Fotos: Seywald (2), Schopf, Lukas Ilgner, IFK / Jan Dreer, Corn

                                                                                                                                                    IMPRESSUM UND OFFENLEGUNG
                                                                  Foto: Seywald (3), privat (3)

                                                                                                                   Redaktion: Peter Illetschko (Leitung) Grafisches Konzept, Layout und Produktion: Ivonne Stark, Armin Karner
                                                                                                          Bildbearbeitung: Otto Beigelbeck, Lukas Friesenbichler, Heidi Seywald Infografik: Fatih Aydogdu Anzeigen: Gerhard W. Stöger
                                                                                                                                    Herausgeber: Oscar Bronner Geschäftsführung: Mag. Alexander Mitteräcker
                                                                                                                                  Chefredaktion: Dipl.-Biol. Martin Kotynek Stellvertretung: Mag. Rainer Schüller
                                                                                                                            Eigentümerin (100 %) / Medieninhaberin, Verlagsort, Redaktions- und Verwaltungsadresse:
                                                                                                                                   Standard Verlagsgesellschaft m.b.H., A–1030 Wien, Vordere Zollamtsstraße 13
                                                                                                                 Hersteller, Herstellungs- und Erscheinungsort: Leykam Druck GmbH & Co KG, 7201 Neudörfl, Bickfordstraße 21.
                                                                                                  FORSCHUNG berichtet über Wissenschaft und Forschung im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Trends als Magazin der Tageszeitung der Standard.
                                                                                                                               Offenlegung gem. § 25 Abs. 2 und 3 MedienG siehe: http://derStandard.at/Offenlegung

                                                                                                                                                                          3
                                                                                                                                                                      MAGAZ IN
                                                                                                                                                                 FORSCH UNG
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
INHALT

                            8–10
                            Sind wir allein?
                            Der Mensch sucht nach einem
                            Ebenbild im All – und stößt vorerst
                            auf raue Mengen an Exoplaneten

                                                                                                                                             Foto: Eso
                            11–13
                            Die Wiege des Lebens
                            Auf der Suche nach Spuren,
                            wie Leben auf die Erde kam
                                                                                                                                    36–38
                                                                                                                                    Reine Raumfahrt
                                                                                                                                    Wie die biologische Kontamination
                            14–18                                                                                                   ferner Welten verhindert wird
                            Besuch in
                            Houston
1 – AUSSERIRDISCHES LEBEN

                            Reportage aus dem
                            Space Center der US-
                            Weltraumbehörde                                                                                         39–41
                            Nasa                                                                                                    Superintelligente Aliens
                                                                                                                                    Die Philosophin Susan Schneider

                                                                                                      Foto: Nasa
                                                                                                                                    erforscht, wie Aliens denken

                            19–22
                            Die Alienjägerin
                            Die Astronomin Jill Tarter will       28–29                                                             42–43
                            fremde Zivilisationen aufspüren       Suche nach Leben in                                               Meilensteine der
                                                                  unserer Nachbarschaft                                             Exoplanetenforschung
                                                                  Die Kandidaten für außerirdisches                                 Was wir bisher über ferne Welten
                            23–26                                 Leben im Sonnensystem                                             herausgefunden haben
                            Roter, toter Planet?
                            Der Mars steht im Zentrum neuer
                            Missionen zur Suche nach Leben
                                                                  30–35                                                             44–47
                                                                  Außerirdische Filmstars                                           Alternative Erden
                                                                  Eine fantastische Reise durch die                                 Warum das Planetensystem
                                                                  Geschichte der Science-Fiction                                    Trappist-1 so vielversprechend ist
                                                                                                                                                                         Illustration: Nasa / JPL-Caltech

                                   Foto: AP/Nasa
                                                                                                      Foto: Picturedesk/Interfoto

                            27
                            Kant über Außerirdische
                            Der Philosoph Immanuel Kant
                            drang gedanklich zu Aliens vor

                                                                            4
                                                                        MAGAZ IN
                                                                    FORSCH UNG
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
INHALT

                                                                                2 — MENSCH & MASCHINE
                                                                                                                                                         Foto: iStock
                                                                                                        66–68
50–55                                                                                                   Unheimliche Maschine
Weltraumtechnik
                                                                                                        Organisches und Künstliches wird
made in Austria
                                                                                                        einander immer ähnlicher – über
Österreichs Beiträge zu                                                                                 eine Beziehung voller Unbehagen
Technologien für den Weltraum

                                                                                                        69–71
                                                                                                        Mein Freund, der Roboter
56–57
Nanosatelliten und                                                                                      Die Roboterpsychologin Martina Mara
                                                                                                        erforscht das Verhältnis von Mensch
private Investitionen
                                                                                                        und Maschine
Interview mit dem FFG-
Geschäftsführer Klaus Pseiner

                                                                                                        72–74
                                                                                                        Totale Vernetzung
                                                                                                        Wie das Internet der Dinge die
                                                                                                        Gesellschaft vor ethische und
                                                                                                        rechtliche Herausforderungen
                                                                                                        stellt
                                      Illustration: Universität Wien

                                                                                                        3 — RAUM & ZEIT

                                                                                                                          78–81
                                                                                                                          Wie die Zelle altert
                                                                                                                          Bei der Autophagie werden in
                                                                                                                          der Zelle schadhafte Bestandteile
58–60                                                                                                                     abgebaut
Kleiner blauer Punkt
Gastkommentar der Exoplaneten-
forscherin Lisa Kaltenegger

                     Cartoon:
                     Außerirdisches
     62
                                                                                                                                                              Foto: Getty Images / iStock

63
Allzu irdische Ängste
Wenn eine Gesellschaft von
Ängsten dominiert wird, fürchtet                                                                                                      82
man sich noch lieber vor Ufos
                                                                                                                                      Schlusspunkt:
                                                                                                                                      Ein Plädoyer für
                                                                                                                                      die Neugierde

                                                                            5
                                                                         MAGAZ IN
                                                                       FORSCH UNG
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
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  NICHT
VON DIESER
  WELT

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       MAGAZ IN
     FORSCH UNG
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
Tore in neue Welten:
             Kosmisches Winter-
             wunderland nannten
             Nasa-Astronomen dieses
             Bild, das aus den Aufnah-
             men mehrerer Teleskope
             zusammengesetzt ist.
             Es zeigt die Region NGC
             6357, einen Cluster von
             jungen, heißen Sternen,
             5500 Lichtjahre von der
             Erde entfernt.
             Foto:
             X-ray: Nasa/CXC/PSU/
             L. Townsley et al;
             Optical: UKIRT;
             Infrared: Nasa/JPL-Caltech

     7
  MAGAZ IN
FORSCH UNG
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
LEBEN FERN DER ERDE

                                                                         Dreisonnenuntergang: So könnte der Himmel des
                                                                         Exoplaneten Gliese 667Cd in Richtung seines
                                                                         Muttersterns Gliese 667C aussehen. Im Hintergrund
                                                                         sind die weiteren Sterne des Dreifachsystems zu
                                                                         sehen. Das 22 Lichtjahre entfernte System enthält
                                                                         mindestens einen erdähnlichen Planeten in der
                                                                         habitablen Zone.
                                                                         Illustration: Eso / M. Kornmesser

                                Erde an Aliens:
                                 Bitte melden!
                                Kaum eine Frage fasziniert die Menschheit mehr als jene, ob wir allein im Universum
                                 sind oder nicht. Bei der Suche nach einer zweiten Erde sind Weltraumforscher auf
                                    raue Mengen an Exoplaneten gestoßen, von denen viele Leben beherbergen
                                  könnten. Was treibt uns an, fremde Sphären zu erspähen und Kontakt zu außer-
                                 irdischen Zivilisationen aufzunehmen? Über eine Mission mit lauter Unbekannten.

                                                                     TEXT: KARIN KRICHMAYR

EXOPLANET                                                   Es ist ausgerechnet Kurt Waldheim, der im Na-        Lüge aufbaute. Denn auch der Rest dieses Zeug-
Ein extrasolarer Planet ist ein planetarer                  men der gesamten Menschheit zu den poten-            nisses der Menschheit, das immerhin eine ge-
Himmelskörper, der von der Schwerkraft                      ziellen Bewohnern fremder Welten spricht.            schätzte Lebensdauer von 500 Millionen Jahren
eines Sterns beeinflusst ist, der außerhalb                 Natürlich nur, sofern irgendeine Lebensform          hat, gibt ein recht verfälschtes Bild des Planeten
unseres eigenen Sonnensystems liegt.                        da draußen Ohren hat und herausfindet, wie           ab. In den 55 Grüßen, 115 Bildern, den Musikstü-
Bisher wurden fast 3700 Exoplaneten                         man eine Hi-Fi-Anlage baut, auf der man eine         cken und Erdgeräuschen werden weniger glor-
identifiziert.                                              Schallplatte mit 16 2/3 Umdrehungen pro Minu-        reiche irdische Eigenheiten wie Kriege, Hunger
                                                            te abspielen kann. Genau das ist nämlich die er-     oder sterbende Wale nicht dokumentiert.
                                                            forderliche Geschwindigkeit, um den Inhalt der
                                                            Golden Records zu entziffern, die 1977, vor ge-                  Platzverschwendung
               HABITABLE ZONE                               nau 40 Jahren, an Bord der interstellaren Voya-      Einmal abgesehen davon, dass die Wahrschein-
               Als habitable oder bewohnbare Zone be-       ger-Raumsonden ins All katapultiert wurden.          lichkeit äußerst gering ist, dass irgendjemand
               zeichnet man den Bereich rund um einen       Waldheims Wehrmachtsvergangenheit hatte              dereinst etwas mit dieser Nachricht anfangen
               Stern, in dem die richtige Temperatur        noch nicht die Welt aufgerüttelt, und so sprach      kann – ist es vielleicht etwas zutiefst Menschli-
               herrscht, damit es auf einem Planeten in     der spätere österreichische Bundespräsident in       ches, sich sogar jenseits des Sonnensystems
               dieser Zone flüssiges Wasser geben kann.     seiner damaligen Funktion als UN-Generalse-          besser darzustellen, als man ist? Oder streben
               Um das Entstehen von Leben zu begünsti-      kretär die ersten Grußworte, die in die vergol-      wir vielleicht gerade deswegen hinaus in den
               gen, sind aber noch weitere Bedingungen      deten Scheiben eingraviert wurden – mit einem        Kosmos, um uns zu einer besseren Spezies zu
               nötig, etwa eine Masse, die eine schützen-   unüberhörbaren österreichischen Akzent.              entwickeln?
               de Atmosphäre an den Planeten binden             Es passt ganz gut, dass diese erste mündliche        Kaum eine Frage löst zugleich so viel Faszi-
               kann und geologische Aktivitäten wie         Botschaft an Außerirdische von einem Mann            nation und Ehrfurcht aus wie jene, ob wir allei-
               Plattentektonik und Vulkanismus erlaubt.     verlesen wurde, dessen Leben zum Teil auf einer      ne sind in diesem unfassbar großen Universum.

                                                                                        8
                                                                                  MAGAZ IN
                                                                            FORSCH UNG
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
LEBEN FERN DER ERDE

                          SETI
                          Die Abkürzung steht für die Suche nach
                          extraterrestrischer Intelligenz. Seit 1960
                          werdenwissenschaftlicheProjektebetrie-
                          ben, die mit Teleskopen vor allem Fre-
                          quenzen aus dem Radiobereich des elek-
                          tromagnetischen Spektrums abhören – in
                          der Hoffnung, Signale einer außerirdi-
                          schen Zivilisation zu entdecken.

Auf kaum einem Gebiet sind Fakten und Fanta-                                  mit außerirdischem Leben beschäftigten, im               ne Sterne umkreisen, wurden bereits identifi-
sie so eng miteinander verwoben. „Wenn es nur                                 besten Fall damit rechnen, schief angeschaut             ziert, tausende Kandidaten müssen noch ge-
uns gibt, wäre das eine fürchterliche Platzver-                               zu werden. Im schlechteren Fall wurden ihnen             nauer überprüft werden. Etwa drei Dutzend der
schwendung“, brachte es der Astronom Carl                                     sämtliche Fördergelder gestrichen. Zu sehr hat-          bereits entdeckten Planeten dürften in der ha-
Sagan auf den Punkt. Sagan war Pionier der                                    ten angebliche Ufo-Sichtungen und andere eso-            bitablen Zone ihres Sterns liegen, das heißt,
Astrobiologie, die sich mit möglichem Leben                                   terische Phänomene wie Kornkreise die Suche              dass Bedingungen vorliegen, die erdähnliches
abseits der Erde beschäftigt. Er war Wegberei-                                nach außerirdischem Leben in eine pseudowis-             Leben theoretisch möglich machen.
ter der modernen Suche nach extraterrestri-                                   senschaftliche Schmuddelecke gedrängt.                       Die Verarbeitung der Kepler-Daten ist noch
scher Intelligenz (Seti) – und Mastermind hinter                                                                                       lange nicht abgeschlossen und bringt ständig
dem Golden-Record-Projekt. Die Datenplatte,                                                 Wissensexplosion                           neue Erkenntnisse ans Licht. Dabei nimmt
die auf Voyager 1 montiert ist, hat 2012 als ers-                             Mit den Erfolgen von Sonden, bemannten                   Kepler, dessen Treibstoff gerade noch ein Jahr
tes menschengemachtes Objekt unser Sonnen-                                    Raummissionen und Hightech-Observatorien                 reichen dürfte, nur ein Vierhundertstel des
system verlassen und wird in etwa 40.000 Jah-                                 hat sich dieses Bild allmählich gewandelt. Spä-          Sternenhimmels unter die Lupe. Und selbst vor
ren den rund 17 Lichtjahre von der Sonne ent-                                 testens mit der 2009 gestarteten Kepler-Mis-             unserer eigenen Haustür steht die Suche noch
fernten Stern Gliese 445 passieren.                                           sion erweiterte sich das Wissen um den extra-            am Anfang. Auf dem Mars könnte es vor langer
    Seit den ersten Versuchen einer Kontakt-                                  solaren Raum explosionsartig. Seither ist klar:          Zeit Leben gegeben haben. Unter der Eis-
aufnahme hat sich unsere Perspektive auf das                                  Ein Sternensystem mit Planeten wie das unsere            schicht des Saturnmonds Enceladus hat die
Universum gewaltig verändert. Nach einer an-                                  ist keineswegs eine Seltenheit, sondern der              Raumsonde Cassini einen riesigen Ozean ent-
fänglichen Euphorie mussten Forscher, die sich                                Normalfall. Nahezu 3700 Exoplaneten, die fer-            deckt, und auch der Saturnmond Titan und der     →

Jungunternehmen aus dem österreichischen Gründerzentrum der Weltraumagentur ESA

GRAZ. Das zukünftige Eigenheim                                                                              idealen Rahmenbedingungen, um           Umwelt- und Wetterbeobachtung
betreten, ehe die ersten Bagger                                                                             das Start-up optimal weiterzuent-       der ESA und trägt dazu bei, den
aufgefahren sind – daran tüfteln                                                                            wickeln. Wir sind der Brutkasten        Klimawandel zu erforschen“,
Wolfgang Walcher und sein Team                                                                              für Jungunternehmen, die Welt-          erklärt Horst Bischof, Vizerektor
seit mittlerweile mehr als zwei                                                                             raumforschung in Form von               für Forschung an der TU Graz.
Jahren: „Robotic Eyes“, so der                                                                              alltagsrelevanten Produkten auf
                                       FOTO: SCIENCE PARK GRAZ

Name des Unternehmens, lässt                                                                                den Boden bringen“, betont der
Baupläne als Hologramm in der                                                                               ESA-BIC-Geschäftsführer, der nach
Realität erscheinen. „Noch nie                                                                              dem ersten Jahr zufrieden Bilanz        ESA BUSINESS INCUBATION
zuvor war es möglich, auf derart                                                                            zieht: „Wir haben in diesem             CENTER (BIC)
hohem Level Architektur, die                                                                                Zeitraum hunderte hochkarätige
nur auf dem Papier existiert, im                                                                            Kontakte hergestellt und mit
Raum in einer solchen Qualität                                   ESA-Botschafter Martin Mössler             ‚Robotic Eyes‘ das erste ESA-BIC-
darzustellen“, erzählt Walcher. Die                                                                         Unternehmen auf den Markt
Entwicklungen von „Robotic Eyes“                                                                            begleitet.“ Dieser Erfolg sei auf
gehen im Kern auf Weltraum-                                      men worden sind und damit auf              viele Faktoren zurückzuführen, die
Know-how zurück: GPS zur                                         unterschiedlichsten Ebenen                 direkte Einbettung in die inoffizielle
Positionsbestimmung und ESA-                                     subventioniert werden. Die                 „Weltraumhauptstadt“ Graz sei
Satellitendaten zur Identifikation                                Anforderungen an die Start-ups             aber wesentlich für die Entwick-
von Höhenmodellen sind das Tor                                   sind genau definiert, unterstreicht         lung der Start-ups. Allen voran die
zu Walchers virtueller Realität.                                 der Geschäftsführer des Gründer-           Technische Universität Graz: Erst
                                                                 zentrums und Botschafter der               Mitte dieses Jahres verkündete die
                                                                 Europäischen Raumfahrtagentur              Hochschule den Bau des neuen
Aktuell ist „Robotic Eyes“ eines                                 ESA, Martin Mössler: „Die Jung-            Kleinsatelliten „Pretty“ – gemein-                     www.esa-bic.at
von sechs heimischen Unterneh-                                   unternehmen müssen über eine               sam mit dem Industrieunterneh-
men, die in das ESA-Entwicklungs-                                brillante, international skalierbare       men RUAG – für die Europäische
programm im Business Incubation                                  Geschäftsidee mit Space-Bezug              Weltraumagentur ESA. „Der neue
Center (BIC) in Graz aufgenom-                                   verfügen. Wir schaffen dann die            ‚Cubesat‘ ist Teil der weltweiten

                                                                                                        9
                                                                                                  MAGAZ IN
                                                                                              FOR SCHUN G
NICHT VON DIESER WELT - Der Standard
LEBEN FERN DER ERDE

                              PLANETENJAGD
                              Die allermeisten Exoplaneten sind viel zu weit entfernt, um sie direkt
                              beobachten zu können. Die bisher erfolgreichste Methode, Exoplaneten
                              aufzuspüren, ist, den Transit eines Planeten zu beobachten. Während
                              seiner Umlaufbahn verdunkelt er seine Sonne in regelmäßigen Abstän-
                              den. Aus den Helligkeitsschwankungen kann man auf die Umlaufzeit
                              schließen. Eine weitere gängige Methode ist die Messung der Radial-
                              geschwindigkeit. Die Anziehungskraft eines Planeten beeinflusst auch
                              die Masse seines Sterns, wodurch eine periodische Bewegung entsteht.
                              Dieser Wackeleffekt gibt Hinweise auf die Umlaufgeschwindigkeit des
                              Exoplaneten.

→   Jupitermond Europa dürften jede Menge Eis-             Geschichte eingegangene Gedankenspielerei          chung offen, ob es tatsächlich so etwas wie eine
    wasser und Kohlenwasserstoffe beherbergen –            mündete 1961 in die Drake-Gleichung. Der           zweite Erde gibt, auf der sich ähnliche Prozesse
    eine Umgebung, in der Mikroorganismen ge-              amerikanische Astrophysiker Frank Drake war        abgespielt haben wie auf unserem Planeten,
    deihen könnten. Der jüngste Forschungszweig            der Erste, der einen Lauschangriff auf das Uni-    und die über Millionen von Jahren dazu geführt
    beschäftigt sich nun mit der Suche nach lebens-        versum startete: Er fahndete systematisch mit-     haben, dass ähnlich intelligentes Leben ent-
    freundlichen Exomonden.                                hilfe von Radioteleskopen nach Signalen            standen ist. Nach wie vor ist außerdem unklar,
        Doch auch wenn die heutigen Versuche, le-          außerirdischer Intelligenz und organisierte in     ob außerirdisches Leben überhaupt auf den ge-
    bensfreundliche oder gar belebte Planeten zu           der Folge die erste Seti-Konferenz.                suchten Elementen Kohlenstoff, Wasser-,
    finden, nicht mehr so unbeholfen sind wie frü-             Die Drake-Gleichung dient zur Abschät-         Sauer- und Stickstoff basieren muss und nicht
    her, bleibt doch die Frage: Was treibt die Men-        zung der Anzahl der Zivilisationen in unserer      etwa in Form irgendeiner selbstorganisierten
    schen an, in fremde Sphären zu streben, mehr           Galaxie. Es ist eine Gleichung mit lauter Unbe-    Staubwolke in den Tiefen des Alls existiert.
    oder weniger auf gut Glück ins Universum zu            kannten. Sie basiert auf verschiedenen Annah-          Gelegenheiten, um Antworten auf diese
    spähen, das schätzungsweise mehr als eine Bil-         men, etwa über die Zahl der Sterne, die pro Jahr   Fragen zu finden, wird es viele geben. Einige
    lion Galaxien umfasst? Ist es eine Art Kolonisie-      entstehen, über die Zahl der lebensfreundli-       neue Superweltraumteleskope werden schon
    rungsdrang, auch unter dem Aspekt, einen Er-           chen Planeten in ihren Systemen, Annahmen          bald an die Kepler-Mission anknüpfen – allen
    satzplaneten für die selbstzerstörerische              zu den Wahrscheinlichkeiten für die Entste-        voran das James-Webb-Teleskop, das per Infra-
    Menschheit zu finden? Oder geht es doch eher           hung primitiven und komplexen Lebens auf           rot die Atmosphäre von Planeten da draußen
    um die Suche nach einem Ebenbild, das ermög-           diesen Planeten und letztlich zur Frage, wie       analysieren wird. Und es gibt auch eine Art
    licht, mehr über uns selbst und das Leben auf          lange eine technologische Zivilisation in der      Nachfolgeprojekt für die Golden Records: Die
    der Erde zu erfahren?                                  Lage wäre, Funkwellen zu übertragen.               Breakthrough-Initiative des russischen Millio-
                                                               Nimmt man bei allen Annahmen den nie-          närs Yuri Milner plant nicht nur, per Laser eine
              Begegnungssehnsucht                          drigsten und den höchsten Wert, kommt man          Flotte von Miniraumschiffen zu unseren Nach-
    „Der Mensch ist ein ultrasoziales Wesen“, sagt         auf eine Bandbreite von mindestens 20 bis ma-      barn im Doppelsternsystem Alpha Centauri zu
    Joachim Fischer von der Philosophischen Fa-            ximal 50 Millionen Sternen, von denen wir ein      schleudern, sondern hat mit Breakthrough
    kultät der TU Dresden. „Es ist eine urmenschli-        Signal empfangen könnten, rechnet Ben Miller       Message einen Wettbewerb angekündigt, mit
    che Eigenschaft, sich in andere hineinzuverset-        in seinem kürzlich im Penguin-Verlag auf           dem eine mögliche intergalaktische Nachricht
    zen und sie verstehen zu wollen.“ Der Mensch           Deutsch erschienenen Buch Anybody Out              vorbereitet werden soll – hoffentlich eine, die
    habe eine Sehnsucht nach Begegnung und da-             There? vor. Natürlich lässt auch die Drake-Glei-   die Menschheit zumindest ehrlich beschreibt.
    nach, sich selbst in fremder Gestalt zu spiegeln,
    erläuterte Fischer, Co-Autor des Buches Sozio-
    logie der Weltraumfahrt (Transcript 2014), im
    Oktober in der 3-sat-Wissenschaftssendung
    Scobel. Die gesamte Kosmologie könne auch als
    Weltflucht gedeutet werden, die dazu dient,                                                                                        Botschaft ins All:
    einem „Weltgrund“ näherzukommen, einem                                                                                             Das Cover der
    tieferen Sinn für unser Leben auf der Erde.                                                                                        Golden Record, die vor
        Ganz anders sah das der deutsche Physik-                                                                                       40 Jahren an Bord
    nobelpreisträger und Fortschrittskritiker Max                                                                                      der Voyager ins All
    Born. Die Raumfahrt sei ein „extravaganter Lu-                                                                                     geschickt wurde, enthält
    xus“, der weder zum Wohlstand der Mensch-                                                                                          die Gebrauchsanleitung
    heit noch zu Glück und Zufriedenheit beitragen                                                                                     für das Abspielen der
    würde. Die Raumfahrt sei „ein Triumph des                                                                                          Datenplatte.
    Verstandes, aber ein tragisches Versagen der                                                                                       Foto: AP Photo / Nasa
    Vernunft“, lautete 1958 sein Urteil.
        Andere Forscher, wie etwa der italienische
    Physiker Enrico Fermi, ebenfalls Nobelpreis-
    träger, stellten weniger die Frage nach dem
    Sinn der Raumfahrt, sondern danach, warum
    uns die Außerirdischen noch immer keinen
    Besuch abgestattet hatten, wenn doch in den
    immensen Weiten des Universums die Wahr-
    scheinlichkeit dafür ziemlich hoch sein müsste.
    Die unter dem Namen Fermi-Paradoxon in die

                                                                                     10
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                                                                            FORSCH UNG
LEBEN FERN DER ERDE

     Die Wiege des Lebens
                               Wann, wie und wo Leben auf der Erde entstanden ist, beschäftigt bis heute
                               verschiedenste Bereiche der Wissenschaft. In heißen Quellen oder doch im
                               Meer? Oder ist es gar nicht auf der Erde selbst entstanden und wurde per
                                  Kometeneinschlag importiert? Eine wissenschaftliche Spurensuche.
                                                             TEXTE: ROBERT CZEPEL

    DIE ÄLTESTEN LEBENSSPUREN

„Als ich das las, dachte ich mir: Jetzt geht das   Auch Strukturen im Nuvvuagittuq-Grünstein-       Existenz allenfalls indirekt. Jedenfalls nicht so
wieder los!“ Martin Whitehouse, Geologe am         gürtel in der kanadischen Provinz Quebec oder    zweifelsfrei, wie das bei versteinerten Knochen
Stockholmer Reichsmuseum für Naturgeschich-        im Isua-Gneis am Rande des grönländischen        der Fall ist.
te, hatte keine rechte Freude mit einer kürzlich   Eisschildes wurden schon als älteste Mikrofos-       Fazit: Mit Geologie kommt man auf der Su-
im Fachblatt Nature (Bd. 549, S. 516) erschiene-   silien der Erde bezeichnet – und auch hier ka-   che nach dem Ursprung des Lebens zwar weit,
nen Studie. Und das, obwohl darin von einem        men alsbald Zweifel auf. Denn Einzeller sind     aber nicht weit genug. Der Anfang verliert sich
aufsehenerregenden Fund berichtet wurde: den       fragil, im Gestein zeigt sich ihre vergangene    im Dunkel der Erdgeschichte.
bislang ältesten Lebensspuren auf der Erde.
     Ein Team um Tsuyoshi Komiya, Universität
Tokio, hatte in der Saglek-Region in Labrador
in Kanada Graphitkörner aus uraltem Gestein
untersucht und darin ein ungewöhnliches Ver-
hältnis der Kohlenstoff-Isotope C12 und C13
nachgewiesen. Das deutet darauf hin, so schrie-
ben zumindest Komiya und Kollegen in Nature,
dass dieser Kohlenstoff einst Teil urtümlicher
Lebewesen war – Einzeller, die vor 3,95 Milliar-
den Jahren in dieser Region lebten.
     Dieser Interpretation stimmen allerdings
nicht alle Fachkollegen zu. Whitehouse etwa                                                                                   Am Mistaken Point in
hält die Altersbestimmung des Gesteins für un-                                                                                Neufundland befindet
sicher und sagt seinen japanischen Kollegen vo-                                                                               sich das besterhaltene
raus, die wissenschaftliche Sensation könnte                                                                                  präkambrische Fossil.
bei näherer Überprüfung „wie ein Kartenhaus                                                                                   Foto: Mistaken Point
in sich zusammenstürzen“. Derlei Debatten                                                                                     Ambassadors /
gab es in den vergangenen Jahren des Öfteren.                                                                                 Barrett & MacKay

                                                                         11
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                                                                 FORSCH UNG
LEBEN FERN DER ERDE

                                                                                                        Diese Aufnahme zeigt
                                                                                                        den Krater Aelia an
                                                                                                        der Oberfläche des
                                                                                                        Asteroiden Vesta.
                                                                                                        Foto: Reuters / Nasa /
                                                                                                        JPL Caltech

   URSPRUNG DES LEBENS: WANN?

Im Jahr 1650 versuchte der irische Theologe            Wobei das Wasser nicht nur irdischen Ur-             Was das mit der Entstehung des Lebens auf
James Ussher das Alter der Erde mithilfe von       sprungs gewesen sein muss. Wie Untersuchun-          der Erde zu hat? Für Leben – zumindest so, wie
Angaben aus der Bibel zu bestimmen – und           gen des Asteroiden Vesta zeigen (Science, Bd.        wir es kennen – ist Wasser unverzichtbar. Da-
schloss messerscharf: Die Schöpfung fand am        346, S. 623), führt auch dieser messbare Men-        raus ergibt sich ein nach geologischen Maßstä-
Sonntag, dem 23. Oktober 4004 v. Chr., statt.      gen Wasser mit sich. Wasser, das wohl durch          ben relativ schmales Zeitfenster: Vor 4,4 Mil-
Das deckt sich nicht ganz mit den Befunden der     Einschläge von Meteoriten auf seine Oberflä-         liarden Jahren besaß die junge Erde bereits ge-
modernen Geologie und Astronomie, die das          che gelangt ist. Gut möglich, dass Ähnliches         nug Wasser für die Entstehung des Lebens. Vor
Alter der Erde auf rund 4,5 Milliarden Jahre da-   auch mit der jungen Erde geschah – und ein Teil      knapp vier Milliarden Jahren waren vermutlich
tieren. Die ersten Meere auf dem noch jungen       der heute existierenden Ozeane eigentlich aus        schon primitive Zellen da. Dazwischen muss es
Planeten könnten sich laut neueren Berechnun-      dem All stammt.                                      passiert sein. Die Frage ist nur: Wie und wo?
gen bereits 100 Millionen Jahre danach gebil-
det haben (Nature, Bd. 409, S. 175).

                                                                               In fast dreitausend
                                                                               Meter Wassertiefe
                                                                               befindet sich diese
                                                                               Tiefseequelle auf dem
                                                                               Mittelatlantischen
                                                                               Rücken.
                                                                               Foto: Marum,
                                                                               Universität Bremen

     URSPRUNG DES LEBENS: WO?

Schon Charles Darwin äußerte 1871 in einem         ten relativ hohe Konzentrationen an Zink, Man-
Brief an den Botaniker Joseph Hooker die Ver-      gan und Phosphor sowie ein hohes Verhältnis
mutung, das Leben könnte dereinst in einem         von Kalium zu Natrium (PNAS, Bd. 109, S.
„warm little pond“, also in einem kleinen Tüm-     5156). All das ist auch typisch für den Stoffwech-
pel, entstanden sein. Damit bewies er – wie so     sel heute lebender Zellen.
oft – einen guten Riecher: Laut dem Biophy-             Mulkidjanian glaubt, dass das kein Zufall
siker Armen Mulkidjanian von der Universität       ist. Sollte er recht behalten, wäre das Leben also
Osnabrück könnten nämlich Dämpfe aus den           an Land entstanden und nicht, wie früher ver-
Tiefen der Erde den Urkeim des Lebens ge-          mutet, im Meer. Gleichwohl ist damit die alter-
zeugt haben. Und zwar in geothermischen            native Theorie nicht vom Tisch. Hydrotherma-
Quellen, wie sie heute noch im Yellowstone-        le Quellen auf dem Meeresgrund gelten nach
Nationalpark zu finden sind.                       wie vor als gute Kandidaten für die „Urzeu-
    Für diese Hypothese spricht die chemische      gung“. Oder, wie man heute sagt: für die Bil-
Zusammensetzung dieser Quellen: Sie beinhal-       dung des ersten Replikators.

                                                                          12
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                                                                  FORSCH UNG
LEBEN FERN DER ERDE

    DIE SUCHE NACH DEM URKEIM

Der Replikator – nein, dieser Begriff entstammt    formation in den Zellen von Pflanzen, Tieren       ten die beiden Amerikaner Thomas Cech und
nicht der neuesten Blade Runner-Verfilmung         inklusive Mensch, doch sie ist chemisch träge.     Walter Altmann, dass ein der DNA ähnliches
von Denis Villeneuve, sondern der theoreti-        Ohne Proteine ist die DNA gewissermaßen hilf-      Molekül, die RNA, die Fähigkeit hat, beides zu
schen Chemie: Der Replikator ist ein Ding, das     los. Die Proteine wiederum, die „Exekutive“ in     tun: Information zu speichern und chemische
Kopien seiner selbst herstellt. Es geht um jenes   der lebenden Zelle, gäbe es nicht, wenn die An-    Reaktionen anzutreiben. Die RNA übernimmt
Molekül, das sich zum ersten Mal durch Muta-       leitung für ihre Herstellung nicht in der DNA      noch heute eine wichtige Rolle in der Verarbei-
tion und Selektion entwickelt hat. Jenes Mole-     festgeschrieben wäre.                              tung der genetischen Information. Sie könnte
kül, das die Stunde null der Evolution markiert.       Beide Moleküle können nicht ohne das je-       das Molekül sein, das die Geschichte des Le-
    Dazu bedarf es einer gewissen chemischen       weils andere existieren. Das ist im Grunde eine    bens angestoßen hat. Sollte diese Hypothese
Reaktionsfreudigkeit. Die DNA stellt bei der       Neuformulierung des klassischen Henne-Ei-          stimmen, wäre sie ein Relikt der Lebenszeu-
Fortpflanzung zweifelsfrei Kopien ihrer selbst     Problems, aus dem es anscheinend kein Entrin-      gung, eine Art chemisches Fossil, das alle Lebe-
her. Sie ist das „Back-up“ der genetischen In-     nen gibt. Oder doch? In den 1980ern entdeck-       wesen, Mensch inklusive, im Inneren tragen.

                                                                                                                                Die DNA-Doppelhelix
                                                                                                                                ist chemisch zu träge,
                                                                                                                                um die Stunde null der
                                                                                                                                Evolution zu markieren.
                                                                                                                                Diese Aufgabe könnte
                                                                                                                                einem ähnlichen Molekül,
                                                                                                                                der RNA, zukommen.
                                                                                                                                Illustration: iStock/Getty

          LEBEN AUS DEM ALL?

Die Hypothese der urzeitlichen „RNA-Welt“          Wächtershäuser: Er geht davon aus, dass die
(der Begriff stammt vom Harvard-Forscher           Urzeugung an der Oberfläche von Eisen-
Walter Gilbert) hat nur einen Schönheitsfehler.    Schwefel-Mineralien passiert ist – Moleküle, die
Bislang ist es nicht gelungen, Leben im Labor      noch heute in der Umgebung von Tiefseevulka-
aus unbelebten chemischen Zutaten herzustel-       nen entstehen und Energie für spontane Reak-
len. Was in gewisser Hinsicht nicht verwundert:    tionen liefern.
Die Evolution hatte dafür hunderte Millionen           Bliebe freilich noch die Möglichkeit, dass
Jahre Zeit, und der Prozess lässt sich wohl auch   das Leben gar nicht auf der Erde entstanden ist,
nicht beliebig beschleunigen. Zumal es für das     sondern irgendwo da draußen im Weltall. In
Rezept der Ursuppe derart viele Variationsmög-     diesem Fall müssten die Urkeime des Lebens
lichkeiten gibt, dass sich noch Generationen       per Kometen- oder Asteroideneinschlag auf
von Forschern an der experimentellen Antwort       unseren Planeten gelangt sein. Nobelpreisträ-
auf die Frage aller Fragen abarbeiten können.      ger Francis Crick war einer derjenigen, die sich
     So kursieren denn nach wie vor alternative    für diese Hypothese starkgemacht haben. In
Modelle im Diskurs der Biochemiker. Der            seinem Buch What Mad Pursuit notierte er:
Schotte Graham Cairns-Smith vermutete etwa,        „Das Leben auf der Erde entwickelte sich aus
dass die Urgene aus einem ganz anderen Mate-       Mikroorganismen, die zu uns gesandt wurden.
rial bestanden, nämlich aus Tonmineralen, die      Oder es stammt von einem unbemannten
der RNA in einem späteren Stadium der Evolu-       Raumschiff einer fernen Zivilisation.“ Ob
tion erst auf die Sprünge halfen. Ähnlich argu-    Crick, der alte Spötter, das wirklich ernst ge-
mentiert der Münchner Biochemiker Günter           meint hat, ist bis heute unklar.

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  MAGAZ IN
FORSCH UNG
LEBEN FERN DER ERDE

Tauchen mit der
US-amerikanischen
Astronautin Peggy
Whitson.
Foto: Nasa

                       Houston,
                     wir haben kein
                        Problem
                       Am Lyndon B. Johnson Center in Houston wird Besuchern ein Einblick in die
                        Geschichte und Gegenwart der US-Raumfahrt gegeben. Man sieht die alte
                     Bodenstation und jenen zwölf Meter tiefen Pool, in dem künftige Astronauten mit
                        Raumanzug Außenbordarbeiten trainieren. Der Mond könnte schon in den
                          2030er-Jahren eine Art Zwischenstation auf dem Weg zum Mars sein.

                                                   REPORTAGE: PETER ILLETSCHKO

                    Einlass in das historische Mission Control Cen-         der amerikanischen, der europäischen, der ka-
                    ter: Die alte Bodenstation der amerikanischen           nadischen, der japanischen und der russischen
                    Weltraumbehörde Nasa in Houston, Texas hat              Weltraumbehörde betrieben wird. Ein Zutritt
                    etwas Ikonografisches. Zwischen den museal              zu diesem Mission Control Center ist leider
                    wirkenden Computern waren hier in der Ver-              nicht gestattet, die Nasa hat aber für Besucher
                    gangenheit Sätze zu hören, die mittlerweile             einen dem Original nachgebauten Ausstel-
                    Einzug in die Popgeschichte gehalten haben.             lungsraum eingerichtet – mit Live-Bildern von
                    Zum Beispiel: „Houston, Tranquility Base here.          der ISS. Am 5. Oktober 2017, dem Tag dieses
                    The Eagle has landed.“ Mit diesem Funkspruch            Besuchs aus Österreich, waren da Reparatur-
                    wurde am 20. Juli 1969 verkündet, dass Neil             arbeiten an einem Roboterarm im Gange, eine
                    Armstrong und Buzz Aldrin mit dem Lander der            „extravehicular activity“ (EVA) mit zwei Astro-
                    Apollo-11-Mission erfolgreich auf dem Mond              nauten. Als laienhafter Beobachter konnte man
                    aufgesetzt hatten. Auch an einen anderen Satz           sich nur wundern, wie es den Raumfahrern ge-
                    muss man sich hier zwangsläufig erinnern:               lang, diese Operation durchzuführen. „Pretty
                    „Houston, we’ve had a problem.“ Damit be-               critical“, wie Joel R. Montalbano, Deputy Pro-
                    schrieb Kommandant Jim Lovell die Lage an               gram Manager der Nasa, später meint.
                    Bord der Apollo-13-Mission im April 1970,                   Ground control to Major Tom: Was du hier
                    nachdem ein Sauerstofftank explodiert war.              machst, beeindruckt uns. In den USA hat man
                                                                            tatsächlich größten Respekt vor der Arbeit von
                            Hektische Betriebsamkeit                        Astronauten und Astronautinnen. Sie sind die
                    Heute wird dieses geschichtsträchtige Mission           Helden dieser technologisch gesteuerten Ex-
                    Control Center nur geöffnet, um Besuchern ein           ploration, die ersten, die mutigsten, die klügs-
                    Gefühl von der einstigen Atmosphäre zu geben.           ten Menschen, nicht nur, aber auch, weil sie
                    Man spürt ja förmlich die Betriebsamkeit der            sich den Weg von der Erde ins All zutrauen. Das
                    Ingenieure, hört vielleicht die Funkdurchsagen,         Image ist natürlich nicht nur durch Erfolge wie
                    kann sich jedenfalls gut vorstellen, wie die            die Landung auf dem Mond entstanden. Auch
                    Stimmung bei Erfolgen und in Krisensituatio-            Tragödien haben dazu beigetragen. Ein Symbol
                    nen war. Bis Mitte der 1990er-Jahre war das             vergangener Raumfahrerzeiten erinnert daran:
                    Zentrum in Betrieb, seither gibt es eine neue           Auf dem 655 Hektar großen Gelände hier in
                    Bodenstation, von der aus alle Weltraumflüge            Houston thront ein nachgebautes Spaceshuttle
                    der Nasa begleitet werden – natürlich auch alle         auf einer jener umgebauten Boeing-Maschi-
                    Manöver rund um die Internationale Raumsta-             nen, die zum Rücktransport der Weltraumfähre
                    tion (International Space Station, ISS), die von        benutzt wurden. Man kann sich ja noch an die       →

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LEBEN FERN DER ERDE

                                                                        Das Spaceshuttle
                                                                        Endeavour wird
                                                                        nach Haue geflogen –
                                                                        vorbei an der
                                                                        Golden-Gate-Brücke
                                                                        in San Francisco.
                                                                        Foto: Reuters /
                                                                        Josh Edelson / Pool

→   Fotos erinnern, die zeigten, wie das Flugzeug           te mit dem nötigen Pathos: nicht nur, um Fuß-
    die Shuttles huckepack nahm. Da gab es aber             abdrücke und Fahnen zu hinterlassen, sondern
    auch jene Explosion im Jahr 1986, die alle sechs        auch um eine Zwischenstation auf dem Weg
    Crewmitglieder des Spaceshuttles Challenger             zum Mars und darüber hinaus zu errichten.
    in den Tod riss. 2003 brach die Raumfähre Co-           Eine Art Gateway, wie Montalbano bestätigt.
    lumbia beim Landeanflug auseinander. Wieder             Dass Pence damit den Erkenntnisgewinn über
    starben die Astronauten.                                mögliche Lebensformen auf dem Mars antrei-
         Nun freut man sich auf die Rückkehr zur be-        ben will, darf getrost bezweifelt werden. Ihm
    mannten Raumfahrt. An diesem Tag im Okto-               geht es mit Sicherheit vor allem um die Rolle
    ber war das Thema in Houston omnipräsent:               der USA in Phasen der Exploration.
    Der amerikanische Vizepräsident Mike Pence                  Ein Tor zu dieser neuen Welt könnte sich
    hielt als Vorsitzender des National Space Coun-         für die Nasa nach dem prognostizierten Ende
    cil eine Rede über die bemannte Raumfahrt.              der ISS im Jahr 2024 öffnen: Die Behörde zieht
    Besucher des Space Center konnten das über              ernsthaft in Erwägung, eine Art Haltestelle auf
    Fernsehschirme mitverfolgen. Pence betonte              dem Erdtrabanten zu bauen, die den Weg zum
    dabei, die USA wieder zum wichtigsten Land im           Mars erleichtern könnte. Dafür bräuchte es
    Weltraum machen zu wollen. Man müsse wie-               aber vor allem medizinische Versorgung. Der-
    der zum Mond fliegen, forderte er, und ergänz-          zeit könne man im Notfall von überall in der

                Landung der Orion-
                Kapsel im Golf von
                Mexiko: Der erste
                Bergungstest seit den
                Apollo-Missionen.
                Foto: AP/Mulligan

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LEBEN FERN DER ERDE

         westlichen Welt in spätestens drei Stunden zu      grund einer Entmineralisierung auch zu Kno-
         einem Arzt kommen. „Vom Mond aus bräuchte          chenschwund. Astronauten müssen nach der
         man sechs Tage“, sagt Montalbano. Das ist na-      Landung auf der Erde weggetragen werden. Sie
         türlich zu lange.                                  würden sonst beim Auftreten umfallen.
              Eine Reise zum Mars sei nicht vor den 2030-       Derzeit, sagt Montalbano, sind Raumfahrer
         er-Jahren möglich, betont der Experte. Davor       etwa sechs Monate auf der ISS. Dann reicht es
         gebe es noch zahllose technische Fragen zu klä-    aber auch. Die Reise zum Mars würde inklusive
         ren. Eine der einfachsten: Ein Funkspruch wür-     Aufenthalt und Rückkehr deutlich länger dau-
         de eine gute Dreiviertelstunde brauchen, bis er    ern. Man schätzt: zwei Jahre. Wie könnte man
         auf der Erde ankommt. Montalbano mit Ironie:       also den psychischen Belastungsfaktoren be-
         „Auf einen Satz wie ‚Houston, wir haben ein        gegnen, die während des Abenteuers auftreten?
         Problem‘ könnten wir dann zwar reagieren,          Kaum Freiraum fern von Natur und der Familie
         aber es wäre vielleicht zu spät.“ Entscheidend     auf der Erde. Auf der ISS freuen sich Astronau-
         sei, welchen körperlichen und psychischen Be-      ten vor allem über das Essen, sagt Montalbano.
         lastungen die Astronauten bei einem Flug zum       Aber ob das auch bei der Langzeitmission Mars
         Mars ausgesetzt seien.                             ein Mittel gegen seelische Tiefs wäre?
                                                                Das Besuchsprogramm ist dicht gedrängt,
                  Auftreten und umfallen                    die nächste Station ist der Astronauten-Swim-
         Dazu muss man wissen: Die Zirkulation des          mingpool. Er hat natürlich ganz andere Dimen-
         Blutes ist im All auf jeden Fall gestört. Es       sionen als ein gewöhnlicher Pool im Schwimm-
         kommt zum Blutstau im Kopf. Astronauten kla-       bad. 202 Fuß Länge, das sind etwa 62 Meter. In
         gen daher über Kopfschmerzen. Medizinische         einer Tiefe von etwa 40 Fuß (zwölf Meter) liegt
         Tests haben außerdem gezeigt, dass man im All      eine Nachbildung der Internationalen Raum-
         Muskelzellen abbaut, weil sie nicht bean-          station. Astronauten im Raumfahreranzug
         sprucht werden: Der Mensch wiegt ja in dieser      üben hier unter Wasser die Bewegungen wäh-
         Ausnahmesituation der Schwerelosigkeit             rend eines durchschnittlich sechs Stunden dau-
         nichts. Betroffen sind daher jene Muskelpar-       ernden Außenbordeinsatzes.
         tien, die zum Gehen oder zum Aufstehen ver-            Über Bildschirme kann man die von Tau-
         wendet werden. Schließlich kommt es auf-           chern begleiteten Trainingsaktivitäten beob-      →

                                                                                                              Perspektiven durch Praxis!

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LEBEN FERN DER ERDE

                    →   achten. Tauchlehrer erzählen, was genau im               Freude, als sie eine außerirdische Lebensform
                        Moment passiert. An vielen Geräten steht, dass           entdecken. Sie ahnen noch nicht, dass diese he-
                        man sie nicht berühren soll – auch am Modell             ranwachsen und recht gefräßig werden wird.
                        des Raumschiffs Orion, das in einer nahe gele-           Eine recht schauerliche Geschichte, an deren
                        genen Fabrikshalle steht: „Don’t touch!“ Vize-           Ende auch die ISS zerstört wird. „Ich habe den
                        präsident Mike Pence hat das im Sommer igno-             Film noch nicht gesehen“, sagt ein Nasa-Mana-
                        riert, die Außenschale der Kapsel berührt und            ger. Er könne also auch nicht sagen, ob auch nur
                        einige Aufregung in Social-Media-Foren verur-            irgendetwas daran realistisch sei. Er wisse nur,
                        sacht. Orion soll für künftige bemannte Missio-          dass Astronautinnen über den Weltraumthriller
                        nen genutzt werden.                                      Gravity mit George Clooney und Sandra Bullock
                                                                                 gelästert haben. Die Hauptdarstellerin habe
                                      Paranoia im Kino                           nach jedem Außenbordeinsatz ausgeschaut wie
                        Während die Besucher weiterspazieren, spricht            ein frisch gestyltes Model. „Das hätten wir auch
                        man über Hollywoods Zugang zur Raumfahrt.                gern geschafft“, sollen die Damen gesagt haben.
                        Nasa-Mitarbeiter zeigen sich amüsiert. Über die              Aber für das Image der Raumfahrt muss es
                        Angst vor Aliens, jene Paranoia, die in aktuellen        das vielleicht geben: nicht nur Heldengeschich-
                        Science-Fiction-Filmen vorherrscht, können sie           ten aus der Vergangenheit, sondern auch My-
                        nicht wirklich etwas sagen. Das sei vermutlich           thenbildungen im Kino.
                        eine „Modeerscheinung“. Life zum Beispiel er-
                                                                                 Der Besuch in Houston erfolgte auf Einladung des Rats für
                        zählt von der Crew der ISS und ihrer großen              Forschung und Technologieentwicklung.

Die Bodenstation
während der
Apollo-15-Mission.
Im Hintergrund:
Die Astronauten
Dave Randolph Scott
und Jim Irwin bei der
Arbeit.
Foto: Nasa

                                                                            18
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                                                                  FORSCH UNG
LEBEN FERN DER ERDE

  „Wir suchen
  Mathematiker
   im All, nicht
    Mikroben“
Sie ist die Ikone aller Alienjäger: Jill Tarter widmete sich ihre ganze Karriere lang der
Suche nach Signalen aus dem All. Ihr Schaffen diente als Blaupause für Carl Sagans
    Roman „Contact“, der 1997 mit Jodie Foster in der Hauptrolle verfilmt wurde.
  2012 trat sie als Direktorin des Seti-Instituts zurück, an Ruhestand denkt sie aber
noch lange nicht. Wohl aber an galaktische Technologien und kosmische Klingeltöne.

                                  INTERVIEW: KARIN KRICHMAYR

Es ist gar nicht so einfach, mit Jill Tarter in Kon-   ner Forschung konnte niemand beweisen, dass
takt zu treten – ausgerechnet mit einer der über-      es außerhalb unseres Sonnensystems Planeten
zeugendsten Forscherinnen, die dafür eintreten,        gibt. Heute wissen wir: Es gibt mehr Planeten als
dass die Menschheit alles versuchen müsse, um          Sterne in der Galaxie. Außerdem hatten wir da-
Kontakt mit Zivilisationen aufzunehmen, die            mals eine sehr beschränkte Sicht auf die Bedin-
möglicherweise von irgendeinem Planeten da             gungen, unter denen Leben möglich ist. Heute
draußen Signale an uns senden. Nachdem selt-           kennen wir extremophile Lebensformen, die in
same Mail- und andere Verbindungsschwierig-            kochender Batteriesäure leben können, im Eis,
keiten ausgeräumt sind, erreichen wir die um-          ohne Sonnenlicht, unter großem Druck. Das
triebige Astronomin dann endlich am Telefon.           Wissen über Exoplaneten und über Extremophi-
                                                       le lassen das Universum heute lebensfreundli-
Sie begannen als Studentin in den 1970er-Jah-          cher erscheinen als früher.
ren, im Auftrag der Nasa nach Radiosignalen
zu suchen, die von außerirdischem Leben zeu-           Seti-Forschung basiert auf der Annahme, dass
gen könnten. Wie hat sich die Suche nach extra-        es hochentwickelte Zivilisationen gibt, die kom-
terrestrischer Intelligenz (abgekürzt: Seti,           plexe Signale durch das Universum senden kön-
Anm.) seither verändert?                               nen. Heute wäre schon jede Form von Bakte-
Tarter: Erstens hat sich die Rechenleistung der        rium auf einem Exoplaneten eine Sensation.
Computer exponentiell verbessert, was uns er-          Tarter: Wir suchen eher nach außeridischen Ma-
möglicht hat, mehr und mehr Radiofrequenzen            thematikern anstatt nach Mikroben. Wir suchen
aufzufangen. Zweitens wissen wir heute viel            nach Technologie als Stellvertreter für Intelli-
mehr über die Natur des Kosmos. Zu Beginn mei-         genz.                                               →

                                                                 19
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                                                         FORSCH UNG
Die Menschheit muss
             lernen, in Zeitspannen
             von tausenden Jahren
             zu denken, ist Jill Tarter
             überzeugt.
             Foto: Getty Images /
             Juan Naharro Gimenez

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  MAGAZ IN
FORSCH UNG
LEBEN FERN DER ERDE

→   Wie stellen Sie sich das Leben da draußen vor?        Tarter: Die Distanzen zwischen den Sternen sind     Millionen Radiokanälen gleichzeitig und bewe-
    Tarter: Ich glaube, meine Vorstellungskraft ist       tatsächlich riesig. Wenn uns jemand ein Signal      gen uns von den ersten 100 Millionen Kanälen zu
    nicht groß genug, um zu erfassen, was die Natur       von der anderen Seite unserer Galaxie senden        den nächsten. Das braucht viel Zeit. Ziel ist es, je-
    erfinden kann. Eine Lebensform, die eine Tech-        würde, könnte es hunderttausend Jahre dauern,       den Stern mit Frequenzen im Bereich von einem
    nologie entwickelt, die interstellare Distanzen       bis es hier ankommt. Aber wir haben auch eine       bis zu zehn Millionen Megahertz zu scannen, auf-
    überwinden kann, ist vermutlich nicht mikros-         wirklich produktive Verbindung mit den alten        gesplittet in Kanäle, die ein Hertz breit sind. Noch
    kopisch klein, sondern mehr als einen Meter           Griechen und Römern, mit Shakespeare – sie ha-      haben wir aber nicht die Rechenleistung dazu.
    groß. Um große Strukturen und astronomische           ben mit ihren Werken Information vorwärts in
    Bauwerke zu konstruieren, ist möglicherweise          die Zeit getragen. Und es könnte sein, dass etwas   Wie werden die Daten aus dem All verarbeitet?
    eine Art zentraler Prozessor nötig. Ich beneide ja    Ähnliches mit fernen Technologien passiert.         Tarter: Wir machen Echtzeit-Exploration. Wenn
    den Tintenfisch um seine Fähigkeit, seine Form        Auch wenn die Konversation einseitig wäre,          wir Daten vom Teleskop bekommen, werden sie
    zu verändern – sein Gehirn scheint über den gan-      gäbe es viel zu lernen.                             sofort analysiert, wir speichern sie nicht. Die He-
    zen Körper verteilt zu sein, wohingegen komple-                                                           rausforderung ist, Interferenzen, also Signale,
    xes Leben auf der Erde Intelligenz an einem Ort       Nach welchen Kriterien wählen Sie die Sterne        die von menschlicher Technologie stammen,
    bündelt. Die Zeitspanne, um den Teil, den wir         aus, die Sie belauschen?                            von Signalen zu unterscheiden, die von außer-
    Gehirnnennen,miteinemanderenKörperteilzu              Tarter: Als wir 2011 das Allen Telescope Array      halb der Erde kommen könnten. Sobald ein Sig-
    verbinden, ist so kurz, weil die Distanz klein ist.   (benannt nach dem Microsoft-Mitgründer Paul Al-     nal eingefangen wird, wird es automatisiert ver-
    Das könnte eine gemeinsame Eigenschaft intel-         len, der den Bau finanziell ermöglichte, Anm.) in   folgt. Wir arbeiten aber nicht nur mit Radio-
    ligenter Wesen sein – aber es weiß einfach nie-       Betrieb nahmen, konzentrierten wir uns auf          signalen. Seit 2000 beschäftigen wir uns auch
    mand.                                                 Kandidaten für Exoplaneten, die verschiedene        mit optischen Signalen. Wir suchen nach sehr
                                                          Observatorien wie das Kepler-Teleskop defi-         hellen optischen Impulsen, die nur eine Mil-
    Das Seti-Institut im kalifornischen Mountain          niert hatten. Nun wissen wir aus den gesammel-      liardstelsekunde andauern – Signale, die man
    View sucht seit 1984 nach Signalen aus dem All        ten Kepler-Daten, dass es viel mehr Planeten als    nur mit Lasertechnologie erzeugen kann. Wir
    – bisher ohne Erfolg. Und selbst wenn ein Signal      SterneinderGalaxiegibt.Alsohabenwir20.000           möchten unsere Suche auch auf Infrarotwellen
    abgefangen würde: Die Distanzen sind so groß,         der erdnächsten Sterne ausgewählt.                  ausdehnen, was bald möglich sein wird.
    dass wir mit unserer heutigen Technologie
    nicht mit jemandem interagieren könnten, der          Wie gehen Sie bei der Suche vor?                    Was, wenn eine andere Zivilisation völlig ande-
    Signale aussendet. Wie oft haben Sie daran ge-        Tarter: Die Teleskope arbeiten zwölf Stunden pro    re Technologien als elektromagnetische Strah-
    dacht, aufzugeben?                                    Tag. Momentan scannen wir unsere Ziele mit 100      lung oder Laser verwendet?                              →

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    subject
    Wir stellen uns den Fragen der Zei

                                                                                 21
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                                                                         FOR SCHUN G
LEBEN FERN DER ERDE

→   Tarter: Wir denken auch über Technologien                  chen, wäre das Signal da. Ich denke, wir sollten      Das Seti-Institut finanziert sich aus privaten
    nach, die noch gar nicht erfunden sind, aber an-           uns jetzt auf die Suche beschränken und erst          Spenden und mithilfe von Mäzenen wie dem
    derswo schon existieren könnten. Es könnte                 dann Signale aussenden, wenn wir erwachsen            russischen Unternehmer Yuri Milner. Was ha-
    sein, dass irgendeine seltsame Form von Zeta-              geworden sind als technologische Gesellschaft.        ben die Geldgeber von ihrer Investition?
    Strahlen, oder wie auch immer diese Technolo-                                                                    Tarter: Ein Signal aufzufangen wäre die Antwort
    gie heißen mag, die erste Wahl für eine interstel-         Der Film „Contact“ von 1997, für deren Haupt-         auf eine der wichtigsten Fragen der Menschheit:
    lare Kommunikation ist. Auch wenn wir dort                 figur Sie Patin standen, handelt weite Strecken       zu verstehen, wie wir uns in den Kosmos einfügen.
    noch nicht sind, müssen wir uns das Recht vor-             davon, wie schwierig es ist, als Seti-Forscherin      Und noch direkter: Es wäre ein Weg zu verstehen,
    behalten, in Zukunft klüger zu werden und dann             ernst genommen zu werden. Müssen Sie sich im-         ob wir als Spezies potenziell eine lange Zukunft
    nach den entsprechenden Signalen suchen.                   mer noch rechtfertigen?                               vor uns haben. Wir sind in der Lage, unseren Pla-
                                                               Tarter: Ja, sicher – obwohl wir in den vergange-      neten so zu verändern, dass er unbewohnbar wird
    Was halten Sie davon, aktiv Signale von der                nen Jahrzehnten viel dafür getan haben, um            für Leben, wie wir es kennen. Wenn wir ein Signal
    Erde auszusenden? Sie haben einmal gemeint,                unsere wissenschaftliche Forschung zu rechtfer-       einer außerirdischen Technologie entdecken
    dass die Menschheit noch zu jung und primitiv              tigen und zu vermitteln, dass es nicht um kleine      würden, und sei es nur ein kosmischer Klingelton,
    dafür sei.                                                 grüne Männchen in Ufos geht. Immerhin fangen          wüssten wir, dass es möglich wäre, als Zivilisation
    Tarter: Darüber gibt es derzeit eine rege Diskus-          die Leute nicht mehr nur zu kichern an, wenn wir      über sehr lange Zeit zu überleben und unsere heu-
    sion in der Seti-Community. Meine Ansicht ist,             darüber sprechen, was wir tun. Dennoch ist es         tige technologische Adoleszenz zu überwinden,
    dass die Menschheit momentan so schwach or-                schwierig, den Leuten klarzumachen: So hart wir       wie es der Astrobiologe Carl Sagan ausgedrückt
    ganisiert ist, dass sie kaum ein Projekt vollenden         auch arbeiten – es kann sein, dass diese Art der      hat. Denn man kann davon ausgehen, dass eine
    kann, das fünf Jahre dauert. Wenn man ein Sig-             Erforschung noch Generationen lang andauern           außerirdische künstliche Intelligenz langlebig ist.
    nal für ein paar Jahre überträgt, und das war es           kann, bevor sie erfolgreich ist. Doch Tatsache ist,   Wenn jemand an Ihrer Tür klingelt, wissen Sie
    dann, müsste der intendierte Empfänger exakt               dass ein so unfassbar großer Raum zu erforschen       nicht, wer es ist und wo er herkommt, aber Sie wis-
    zur richtigen Zeit in unsere Richtung schauen,             ist. Wir sollten also nicht überrascht sein, dass     sen, da ist jemand draußen und hat lang genug da-
    um das Signal zu entdecken. Das ist sehr unwahr-           wir noch nichts gefunden haben. Die Seti-For-         rauf bestanden, dass Sie ihn finden.
    scheinlich. Wenn man so ein Projekt ernsthaft              schung, die wir seit 50 Jahren betreiben, ist ver-
    betreiben will, muss man in sehr großen Zeit-              gleichbar mit einem Glas Wasser, das wir aus          Wie lange wird es dauern, bis jemand an unse-
    spannen von tausenden Jahren denken. Wenn                  dem Ozean holen, um dann zu schauen, ob wir           rer Tür klingelt?
    dann eine andere Zivilisation beginnen würde,              einen Fisch gefangen haben. Nichts drin? Wir          Tarter: Das kann ich nicht sagen. Es könnte sehr
    ihre Werkzeuge zu benutzen, um nach uns zu su-             haben einfach noch nicht genug gesucht.               lange dauern – oder morgen passieren.

    ZUR PERSON
    Jill Tarter
    ist amerikanische Astronomin und war bis 2012 Direk-
    torin am Seti (Search for Extraterrestrial Intelligence)
    Institut in Mountain View, Kalifornien. Derzeit hält sie
    den Bernard M. Oliver Chair am Seti-Institut. Die 1944
    geborene Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Pu-
    blikationen leitete etliche Observationsprogramme
    und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit
    dem Lifetime Achievement Award der Women in
    Aerospace. Kürzlich erschien die Biografie „Making
    Contact“ von Sarah Scoles bei Pegasus.

                                                                                                                     Jill Tarter auf einer Plattform des Arecibo-
                                                                                                                     Observatoriums in Puerto Rico, eines der
                                                                                                                     Radioteleskope, die sie bei ihrer Suche nach
                                                                                                                     extraterrestrischen Zivilisationen nutzte.
                                                                                                                     Foto: Getty Images / The Life Images Collection / Acey Harper

                                                                                       22
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                                                                              FORSCH UNG
LEBEN FERN DER ERDE

                                                                                                          Tagesanbruch auf
                                                                                                          dem Mars. Er wird bald
                                                                                                          neuen Besuch erhalten –
                                                                                                          vorerst von Robotern.
                                                                                                          Illustration: Nasa/JPL-Caltech

       Roter Planet,
       toter Planet?
 Die Bedingungen auf dem Mars sind äußerst lebensfeindlich. Das war freilich nicht
    immer so. Astrobiologen spekulieren, dass marsianisches Leben sogar früher
     entstanden sein könnte als jenes auf der Erde. Zwei aktuell bevorstehende
  Missionen stehen ganz im Zeichen der Suche nach Lebensspuren. Mikroben mit
           Vorliebe fürs Extrem könnten für eine Überraschung sorgen.

                                     TEXT: ROBERT CZEPEL

Zur Zeit des Kalten Krieges erzählte man sich in        Marsoberfläche während einer Sonneneruption
Russland folgenden Witz: „Gibt es Leben auf             passiert. „Da wird es – radioaktiv gesehen –
dem Mars? Nein, dort auch nicht.“ Dem kapita-           ziemlich heiß. Für Leben sieht es unter diesen
listischen Kontrahenten aus Übersee blieb es            Bedingungen schlecht aus.“
vorbehalten, die Pointe naturwissenschaftlich               Das war nicht immer so. In Urzeiten war der
zu untermauern: Die Viking-Mission der Ame-             Mars der Erde nicht unähnlich. Da gab es ver-
rikaner porträtierte den Mars in den 1970ern            mutlich Seen oder Meere, eine dichtere Atmo-
als kalten, trockenen und ausgesprochen un-             sphäre und vielleicht auch nährstoffreiche
wirtlichen Planeten. Jüngere Untersuchungen             Zonen, in denen sich einfache Lebensformen
bestätigen dieses Bild. Der Mars ist, wie For-          entwickeln konnten. Mit Betonung auf „viel-
scher der Universität Edinburgh im Juli heraus-         leicht“. Sollte es so gewesen sein, gäbe es
gefunden haben, von einer antibakteriellen              jedenfalls die Möglichkeit, dass das Leben auf
Schicht aus Perchlorat und Wasserstoffperoxid           dem Roten Planeten Spuren hinterlassen hat.
überzogen, die in Kombination mit der UV-               Nach solch chemischen Fossilien haben schon
Strahlung der Sonne wie ein potentes Desinfek-          einige Missionen Ausschau gehalten. Bislang
tionsmittel wirkt.                                      ohne Erfolg. Einen Beweis für extraterrestri-
     „Da der Mars kein Magnetfeld besitzt, kann         sches Leben hat man nicht in der Hand.
er sich nicht vor kosmischen Einflüssen ab-                 Das könnte auch daran liegen, dass die bis-
schirmen. Er wird permanent von Strahlung               her gelandeten Rover für diese große Aufgabe
bombardiert“, sagt der österreichische Welt-            noch gar nicht gerüstet waren. Curiosity etwa,
raumforscher Wolfgang Baumjohann. Der Ro-               der seit 2012 rollende Roboter der Nasa, unter-
ver Curiosity hat etwa gemessen, was auf der            sucht die Marsoberfläche vor allem in geologi-    →

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