Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna

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Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna
MAGAZIN FÜR UNNA

                               Juni – Juli– August 2021
                                               Nr. 103

        ZUR JAHRESMITTE
         AUSSERDEM IN DIESER AUSGABE:
 VOGEL DES JAHRES: ROTKEHLCHEN • PUPPENSPIEL
  GESCHICHTE EINES DENKMALS • REISEBERICHT
Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna
Herbst-Blatt                     Nr. 103 06.2021                                         Editorial 2

Inhalt                                               Liebe Leserin, lieber Leser!

 3       Christian Modrok – ein Nachruf              Es ist noch gar nicht so lange her, dass unser
 4       Unna um 1860                                Magazin die 100. Ausgabe feiern konnte.
                                                     Mancher zweifelte, ob es wohl weiter geht?
 6       Im Reigen des Jahres
                                                     Inzwischen halten Sie die Nr. 103 in den
 8       Kriegerdenkmal auf dem Alten Markt
                                                     Händen. Es ging also weiter mit der bekann-
10       Puppenspiel
                                                     ten Freude und Aktivität in unserer Redakti-
12       Humor in Unna und Westfalen
                                                     on – trotz aller Einschränkungen durch die
14       Sprache bleibt immer lebendig
                                                     teuflische Pandemie.
16       Rotkehlchen flattert zum Sieg               Mit dieser Sommerausgabe stehen wir schon
17       Sprücheklopfer                              in dem grünen Teil des Jahres.
18       Augenblicke                                 Ein 400 Jahre altes Lied beginnt mit den
20       Mehr als ein Geschenk                       Worten „Nach grüner Farb mein Herz ver-
21       Coronazeit ist Wartezeit                    langt.“
22       Löwen auf der Wanderung                     Grün ist die beliebteste aller Farben. Sie
24       Der Rolls Royce der kleinen Leute           steht für Leben und Wachstum, für das Posi-
         Über 40 Jahre Rollator                      tive. Schließlich ermöglicht die Photosyn-
                                                     these den wichtigsten photochemischen Pro-
                                                     zess auf der Erde. Mit Hilfe des grünen Ka-
Impressum                                            talysators Chlorophyll entstand alles Leben
                                                     auf unserer Erdkugel.
Herausgeberin: Kreisstadt Unna
Postadresse:     Fässchen, Hertinger Straße 12
                 59423 Unna
Internet:        www.unna.de/herbstblatt/
V.i.S.d.P:       Dr. Bärbel Beutner
Internet:        Marc Christopher Krug
Redaktion:       Andrea Irslinger, Bärbel Beutner,
                 Benigna Blaß, Brigitte Paschedag,
                 Franz Wiemann, Hans Borghoff,
                 Klaus W. Busse, Klaus Thorwarth,
                 Reinhild Giese
Seniorenarbeit Kreisstadt Unna:
                 Linda Brümmer
                 Tel.: 02303/103-687
Titelfoto und Gestaltung: Andrea Irslinger
Druck:           WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang       Die Strahlung der Sonne setzt Energie und
                                                     Sauerstoff frei, Kohlendioxid wird verringert!
Auflage:         2000
                                                     Alle Farben haben eine Bedeutung:
                                                     Grün ist die Farbe der Hoffnung!
                                                     Wir hoffen für Sie und wünschen Ihnen eine
                                                     gute Jahreszeit im Grünen der Natur und ei-
                                                     ne Wiederkehr zur alten Lebensfreude.
         Das nächste
                                                     Im Namen der Redaktion
          mit der Nr. 104 erscheint
                                                     Klaus Thorwarth
             im September 2021!
                                                     Foto: Andrea Irslinger
Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna
3   Nachruf                                            Nr. 103 06.2021   Herbst-Blatt

                                 Christian Modrok
                                      - ein Nachruf -
    Wir trauern um Christian Modrok, unse-        firma, die für die Bergbauindustrie pro-
    ren langjährigen Mitarbeiter und vertrau-     duzierte.
    ten Wegbegleiter in der Herbst-Blatt-         Nach 1980 war er noch jahrelang für ei-
    Redaktion. Noch kurz vor dem Jahres-          ne Duisburger Firma und später für ein
    wechsel konnte er seinen 88. Geburtstag       Gelsenkirchener Werk im Maschinenbau
    begehen. Umso größer war dann auch            tätig, die ebenfalls für das Bergbauwe-
    unsere Betroffenheit, als wir Anfang          sen produzierten. Anlässlich mehrerer
    Februar von seinem so                                       Auslandseinsätze für diese
    plötzlichen Tod erfuhren.                                   beiden Firmen gelangte er
    Uns allen bleiben seine mit                                 in verschiedene Länder
    viel Humor verfassten Zei-                                  Westeuropas, beispielswei-
    len in Erinnerung. Ob es                                    se nach Frankreich, Eng-
    sich um die so nett und ver-                                land und Belgien.
    ständlich formulierten Er-                                  Einmal zur Ruhe gesetzt,
    läuterungen zu Themen der                                   entschloss er sich schon
    Technik handelte oder um                                    früh, für das Herbst-Blatt zu
    die liebenswürdigen Zeilen                                  schreiben. Schon bald ge-
    des Esels Balduin. Gerne                                    hörte er zum „Harten Kern“
    schlüpfte er in diese zwei                                  des Teams und reichte an-
    Rollen, einmal in die des                                   fangs zahlreiche Reisebe-
    Großvaters, der wechselweise den Laien        richte von Touren ins Ausland ein, die er
    oder auch schon mal den Enkelkindern          zusammen mit seiner Frau gemacht hat-
    Probleme technischer Natur erläuterte.        te. Auch schlossen sich zahlreiche Be-
    Und in der Rolle des Esels Balduin und        richte von Fahrradausflügen und Wan-
    seines Treibers gelang es ihm, mit spit-      derungen an, ehe ihm in der Redaktion
    zer Feder so manchen unzumutbar er-           endgültig die Rolle des Eseltreibers zu-
    scheinenden Zustand, Neuerungen oder          fiel. Zusätzlich noch brachte er seine fo-
    Veränderungen in der Stadt satirisch          totechnischen Kenntnisse ein, wenn es
    verfasst zu Papier zu bringen.                beispielsweise um eine grafische Gestal-
    Das ursprünglich aus Oberschlesien            tung, eine Fotocollage oder um einen
    stammende Ehepaar Christian und Bri-          Titelbildentwurf ging.
    gitte Modrok zog es im Jahr 1980 im           Wir schätzten seine innere Ruhe und
    Rahmen einer Familienzusammenfüh-             Gelassenheit, nie machte er viel Aufhe-
    rung nach Unna. Gebürtig aus Hinden-          bens um seine Person. Erst wenn er die
    burg und Gleiwitz, wo Christian Modrok        Notwendigkeit erkannte, Klartext spre-
    seine Ausbildung zum Ingenieur (nach          chen zu müssen, ergriff er das Wort. Für
    polnischem Standard magister inzynier)        uns ist Christian Modrok unersetzlich.
    erfuhr, hielt es ihn dort für 25 Jahre. Un-   Auch darum werden wir ihn sehr ver-
    gehindert und allseitig wegen seiner be-      missen.
    ruflichen Qualifikation geachtet, arbeite-    Für die Redaktion
    te er für eine polnische Maschinenbau-        Franz Wiemann
Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna
Herbst-Blatt             Nr. 103 06.2021                                         Geschichte   4

                                 Unna um 1860
                               - von Klaus Thorwarth -
Unnas Stadtkirche ist unbestritten prägend     In einer Zusammenstellung mit Fakten über
für unsere Stadt und ihre Umgebung. Aber       dieses „Alte Unna“ beziehe ich mich im Fol-
darüber ist gerade in jüngster Zeit, so auch   genden auf das Buch des Hofrates Moritz
im Herbst-Blatt, genügend geschrieben wor-     Friedrich Essellen. Unna gehörte damals zum
den. In unmittelbarer Nachbarschaft zur        Kreis Hamm. Der Titel des Buches lautet:
Stadtkirche befindet sich eins der ältesten    „Beschreibung und kurze Geschichte des
Viertel.                                       Kreises Hamm und der einzelnen Ortschaften
Für Besucher der Stadt mag das Bronzemo-       in demselben“.
dell in der Straße „Krummfuß“ zur Orientie-    Man erfährt darin beispielsweise, dass es in
rung dienen. Es basiert auf einer historisch   jenem Jahr 5.640 Einwohner gab, davon
bedeutsamen Flurkarte aus dem Jahr 1828,       4.573 Evangelische, 1.000 Katholische und
die jetzt fast 200 Jahre alt ist.              103 Juden.
                                                                 Besonderes Ansehen in der
                                                                 Bevölkerung hatten die
                                                                 zahlreichen    Burgmänner
                                                                 und Adligen. Die Herren
                                                                 „von Arnsberg“ stellten
                                                                 zahlreiche Bürgermeister.
                                                                 Sie stammen vom Grafen
                                                                 von Arnsberg ab. Daran
                                                                 erinnert heute noch der
                                                                 „Aspers Weg“.
                                                                 Neben den Angehörigen
                                                                 zahlreicher, heute oft aus-
                                                                 gestorbener Berufsgruppen
                                                                 gab es an Tagelöhnern 147
                                                                 Männer und 181 Frauen.
                                                                 Das Braugewerbe war we-
                                                                 gen der Fruchtbarkeit des
                                                                 Ackerbodens      erstaunlich
                                                                 gut vertreten. Es gab vier
                                                                 Gasthöfe, sieben Gastwirt-
                                                                 schaften, vier Speisewirte
                                                                 und 30 Schankwirte.
                                                                 Die Gesamtzahl aller Gast-
                                                                 stätten war so auffallend,
                                                                 dass der Historiker Dr.
                                                                 Ernst Nolte versicherte, er
                                                                 habe keine Stadt mit einem
                                                                 so großen Angebot gefun-
                                                                 den.
                                                                 Rund um die Stadtkirche
                                                                 lag der Friedhof der Chris-
                                                                 ten, der Kirchhof. Er wurde
Gotha
                                                                 1000 Jahre genutzt, von der
Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna
5   Geschichte                                         Nr. 103 06.2021      Herbst-Blatt
Zeit Karls des Großen bis zur Zeit Friedrichs   Der aufkommende Reichtum zeigte sich am
des Großen.                                     überzeugendsten in der 84 m hohen spätgoti-
1794 untersagte der preußische Staat die Be-    schen Stadtkirche. Sie wirkt so einheitlich,
stattung Verstorbener in bewohnten Gebieten,    entstand aber in drei Bauabschnitten in fast
insbesondere in Kirchengebäuden. Ein weite-     150 Jahren; ein Wunder der Architektur.
rer Friedhof, der „Bauernfriedhof“ befand       Noch beeindruckender als heute überragte sie
sich an der Massener Straße auf dem Gelän-      weit sichtbar die kleinen Häuser der Acker-
de der ehemaligen Linden-Brauerei. Hier         bürger.
wurden Bauern aus der Umgebung beerdigt,        Die Kirche war und ist von größter Bedeu-
auch Katholiken und Reformierte. Daneben        tung und wurde das Wahrzeichen der Stadt.
entstand später der heutige Westfriedhof.       Könnte sie sprechen, würde sie sagen:
Essellen erwähnt einen jüdischen Friedhof
im Stadtgraben am Morgentor.                       „Ich steh in Eurer Mitte,
Erst 1854 entstand der heutige Friedhof für        was hab ich nicht gesehn..
die Juden an der Massener Straße.                  Sah Krieg und Frieden walten,
Erstaunlich ist der Viehbestand, meist inner-      Geschlechter komm‘n und geh‘n
halb der Mauern: 297 Pferde, sechs Esel, 582       Seit vielen hundert Jahren
Stück Rindvieh, 771 Schafe, 843 Ziegen und         präg ich der Stadt Gesicht,
922 Schweine wurden gezählt.                       und sonntags, wenn ich rufe,
Nach der für die Grafschaft Mark entschei-         dann kommt ihr – oder nicht.
denden Schlacht von Worringen (1288) wur-          Wie auch vergeh‘n die Zeiten,
de Unna zur Stadt erhoben und mit vielen           Freud, Leid, Geburt und Tod,
Rechten beliehen, auch dem Recht, die Sied-        ich steh an Eurer Seiten –
lung mit hohen Mauern zu sichern. Diese be-        als Weiser – hin zu Gott.“
wahrten die Stadt in zahlreichen kriegeri-
schen Auseinandersetzungen vor der voll-        Karte: Katasteramt Landkreis Unna,
ständigen Vernichtung.                          Foto und Verse: Klaus Thorwarth
Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna
Herbst-Blatt             Nr. 103 06.2021                                           Literatur   6

                           Im Reigen des Jahres
                                  - von Klaus Busse -

In zwei weiteren Folgen werden Ihnen aus       Monatssprüche
dem Tagebuch der englischen Autorin
Edith Holden Flora und Fauna im Wandel         „Mai verregnet, Juni heiß -
                                               und das Jahr lohnt deinen Fleiß.“
der Jahreszeiten aufgezeigt. Von ihren Be-
obachtungen in der Natur, niedergeschrie-      „Ist der Juni feucht und warm,
ben im Tagebuch von 1906, gebe ich eine        wird der Bauer niemals arm.“
gekürzte Fassung wieder.
Tages- und jahreszeitlicher Einklang ist die   „Im Juni winkt die Liebe den ersten Gruß.
                                               Es kost‘ der Zephyr auf rosichten Spuren,
Bestätigung für die Sehnsucht der Men-         es erwacht die Sehnsucht in der Welt,
schen nach der Geborgenheit in der Natur.      und auf den vollblühenden Fluren
                                               neu üppiges Leben schwellt.“
                                               Theodor Körner
JUNI
                                               „Ich sah des Sommers letzte Rose steh‘n ,
Im Kalender der alten Römer war Juni der        sie war, als ob sie bluten könnne, rot;
vierte Monat des Jahres. Ovid sagt, dass       Da sprach ich schaudernd im vorübergeh‘n:
dieser Monat seinen Namen zu Ehren der         So weit im Leben ist zu nah am Tod!“
Göttin Juno erhielt, während andere Auto-      Friedrich Hebbel
ren einen Zusammenhang mit dem Konsu-
lat des Junius Brutus annehmen. Aber
wahrscheinlich hatte der Name eine land-
wirtschaftliche Bedeutung und bezeichnete
ursprünglich den Monat, in dem die Feld-
früchte reifen. Die Angelsachsen nannten
ihn „den trockenen Monat“ oder „Mitsom-
mernacht“ und auch im Unterschied zu Juli
– den ersten milden Monat.
Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna
7   Literatur                                        Nr. 103 06.2021      Herbst-Blatt
                                              AUGUST
                                              Wie lebendig das Herz auch schlägt, keine
                                              Unruhe mehr die Seele bewegt.
                                              Der Monat August erhielt seinen jetzigen
                                              Namen nach dem Kaiser Augustus, der
                                              zwar nicht im August zur Welt kam, in die-
                                              sem Monat aber seinen größten Triumph
                                              feierte.
                                              Da der Juli 31 Tage zählte und der August
                                              nur 30, wurde es für notwendig befunden,
                                              dem letztgenannten Monat einen Tag hin-
                                              zuzufügen, damit der August dem Julius in
                                              keiner Weise unterlegen wäre. (Enc. Brit.)

                                              Monatssprüche
JULI
                                              „Fällt St. Swithin auch noch so viel Regen,
Der Juli ist in unserem Kalender der sie-     Bartholomäus wird alles trocken fegen.“
bente Monat des Jahres, er war ursprüng-
lich der fünfte und als solcher von den Rö-   „Bartholomäus Tag zu aller Zeit
                                              hält kalten Tau für uns bereit.“
mern „Quinctilis“ benannt. Der spätere Na-
me „Julius“ wurde ihm zu Ehren von Julius     „Ist der 24. August sonnig und klar,
Caesar gegeben, der in diesem Monat ge-       wird der Herbst gut in diesem Jahr.“
boren war.                                    „Du Freudentag der Sommerzeit,
Die Angelsachsen nannten den Juli „Moed-      der Sinne größte Lust,
monat“ oder „Mead-month“ nach den dank        zieh an dein schönstes Königskleid
blühenden Wiesen (englisch: meadows),         und komme nun, August!“
oder auch „afterea Lida“ – „Der zweite mil-
de Monat“, im Unterschied zum Juni, den
sie als „ersten milden Monat“ bezeichneten.

Monatssprüche
„Wenn St. Swithin Regen fällt,
der Regen vierzig Tage hält,
herrscht St. Swithin Trockenheit,
bleibt es trocken lange Zeit.“
„Ein Bienenschwarm im Mai
ist wert ein Fuder Heu,
ein Bienenschwarm im Jun‘
ist wert ein fettes Huhn,
jedoch der im Julei ist nicht                 Quellen:
                                              Das Tagebuch der Edith Holden – Friedrich W. Heye Verlag
‘mal wert ein Ei.“                            GmbH, München/Hamburg
                                              Theodors Körner´s, Sämtliche Werke – Leipzig Philipp
„Im Juli denke an die Roggenernte.“           Reclam jun.
                                              Reigen des Jahres – Hyperion Verlag, Freiburg im Breisgau
„Der September die reifere Kraft              365 Weisheiten ferner Länder – Coppenrath Verlag GmbH,
des Lebens begrüßt.“                          Münster
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               Kriegerdenkmal auf dem Alten Markt
                                  - von Hans Borghoff -

Nach dem von Preußen gewonnenen Krieg           In dem Beschluss des Rates vom 13.12.1932
gegen Frankreich 1870/71 sollte auch in Un-     wurde die Entscheidung zur Instandsetzung
na der Gefallenen gedacht werden. Nachdem       vertagt.
von zwei Sachverständigen ein Gutachten         Der Marine-Verein Unna schrieb am
erstellt worden war, beschloss der Rat der      18.05.1933 dem Rat: „Nicht versäumen
Stadt Unna, den Architekten Flügge und          möchten wir, die Instandsetzung des Krieger-
Nordmann (Essen) den Auftrag zu erteilen,       denkmals auf dem Marktplatz nachdrücklich
ein Kriegerdenkmal zu errichten. Die Kosten     zu unterstützen.“
wurden auf 17.000 Mark veranschlagt, wovon      In der Antwort vom 22.05.1933 beschloss
8.200 Mark bei der städtischen Sparkasse        der Rat: „… das Kriegerdenkmal auf dem
zinsbar angelegt waren. Das Denkmal sollte      Altmarkt zu reinigen und die vier Ecklater-
ursprünglich auf dem Kirchplatz stehen.         nen zu beseitigen.“
Aber es gab Bedenken wegen der Figur eines      W. Rogge, Bau- und Kunstschlosserei in Un-
Kriegers darauf. Man entschied sich daher zu    na, bot in einem Schreiben vom 22.08.1933:
der Germaniafigur mit Fahne. Letztendlich       „… vier Stück achteckige schmiedeeiserne
wurde der alte Markt zum Standort, etwa         Laternen in guter handwerksmässiger Aus-
dort, wo heute der Brunnen ist.                 führung zum Preis von RM (Reichsmark)
Die Grundsteinlegung erfolgte am 22.03.1884     45,00 je Stück“ zur Erneuerung an. Aller-
mit einer Feier und der Rede des Bürger-        dings ohne Verglasung und Gasapparate.
meisters Eichholz. Eine Bleikapsel mit einer    Georg Eckhardt, Bildhauer in Unna, legte am
Urkunde wurde eingemauert.                      10.02.1933 ein dreiseitiges detailliertes Ange-
Bei der Einweihung am 16.11.1884 waren          bot vor, welches eine Summe von 460,96 RM
alle Vereine der Stadt anwesend. Gefeiert       enthielt. Ein „Kostenvoranschlag-Nachtrag“
wurde aber schon ausgiebig einen Tag vorher.    betrug nur noch 339,20 RM. Beigelegt ist
Mit den Jahren wurde das Denkmal unan-          eine detaillierte Zeichnung für die Restaurie-
sehnlich und marode.                            rung des Denkmals.
In einem Brief vom 06.11.1932 der Kyffhäu-
ser-Vereine an den Magistrat der Stadt Unna
hieß es, dass „das Kriegerdenkmal auf dem
alten Markt (sich) nicht in dem Zustand be-
findet, der eines Denkmals für die gefallenen
Söhne unsrer Stadt würdig wäre“. Weiter
wurde um die Instandsetzung der Laternen –
da diese eine Gefahr für die Öffentlichkeit
darstellen – und um einen Anstrich gebeten.
Außerdem wurde moniert, dass die Markt-
stände zu nah am Denkmal aufgestellt seien.
Das Stadtbauamt bestätigte am 28.11.1932:
„Der augenblickliche Zustand des Krieger-
denkmales bildet für den Altmarkt der Stadt
wahrlich keine Zierde.“
Heinrich Holt, Malermeister in Unna, reichte
ein Angebot über 75,20 Mark ein.
Gerhard Wigger, Spezialgeschäft in Unna, bot
„die Laternen für Gas, jedoch ohne Gasappa-
rate“ das Stück für 120,00 Mark der Stadt an.
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9 Geschichte                                               Nr. 103 06.2021       Herbst-Blatt
                                                    zungen in einem Zustand, welcher der Würde
                                                    des Andenkens nicht entspricht.“
                                                    Da sich wohl seitens der Stadt nichts tat, un-
                                                    terbreitete die Nationalsozialistische Deut-
                                                    sche Arbeiterpartei am 06.02.1939 dem Rat
                                                    der Stadt Unna: „… Vorschlag auf Verle-
                                                    gung des Denkmals in Erwägung zu zie-
                                                    hen ...“ mit der Idee, den Wochenmarkt auf
                                                    den Neumarkt zu verlegen: „… auch die Be-
                                                    wohner von Königsborn hätten keinen all zu
                                                    weiten Weg ...“
                                                    In einem Schreiben vom 09.02.1939 wurde
                                                    der Provinzialkonservator in Münster nach
                                                    seiner Meinung zur Verlegung des Denkmals
                                                    befragt. Dieser befürwortete in seinem Schrei-
                                                    ben vom 04.03.1939 die Verlegung, da er es
                                                    als künstlerisch „minderwertig“ erachtete.
Teilansicht einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1906
                                                    Am 10.03.1939 mahnte der Reichskrieger-
                                                    bund die Überholung des Denkmals an und
In der Ratssitzung vom 26.10.1933 wurde be-         bestand auf dem Standort.
schlossen, das Geld für die neuen Lampen zu         Unter Punkt 10 der Tagesordnung vom Rat
genehmigen. In der Sitzung vom 01.11.1933           der Stadt vom 03.04.1939 ist zu lesen: „Im
wurde der Auftrag an den Schlossermeister           Interesse des Verkehrs scheint es unbedingt
Rogge vergeben. Für eine ordnungsgemäße             wünschenswert, daß das Denkmal entfernt
Unterhaltung wurden weitere Mittel aber             wird.“ Weiter heißt es, dass der alte Markt
nicht bereitgestellt.                               inzwischen „… in erster Linie als Parkplatz
Bei der nächste Sitzung wurde dem Bildhau-          dient.“
er Eckhardt dann doch der Auftrag erteilt,          Der Bildhauer Eckhardt machte dem Bürger-
einige Teile des Sockels mittels Dübel für          meister am 25.04.1939 daraufhin ein Angebot
36,00 RM zu erneuern.                               für den Abbruch des Denkmals über 380,- RM.
Vom 09.08.1934 gab es die handschriftliche          Der Reichskriegerbund/Kyffhäuser wider-
Meldung, dass zwei Schüler, 10 und 13 Jahre         sprach in dem Schreiben vom 10.05.1939
alt, namentlich bekannt und „als Täter“ von         vehement einer Verlegung und mahnte ein
zwei Marktfrauen erkannt, beschuldigt wur-          Gutachten eines Prof. Hosäus in Berlin an.
den, das Denkmal beschädigt zu haben. Der           Mit dieser schriftlichen Bitte endet die Akte
Schaden war wohl so gering, dass eine For-          U-K VII / 3 27 im Stadtarchiv.
derung an die Eltern unterblieb.                    Am 23.05.1939 erschien im Hellweger An-
Da wohl das Denkmal noch immer nicht ei-            zeiger ein Artikel mit der Überschrift: „Das
nes Denkmals würdig erschien, machte                Kriegerdenkmal verschwindet. Was wird nun
Arthur Susen, Glas-Reinigungsinstitut in Un-        daraus?“
na, in einem Schreiben vom 06.12.1937 an            Mittlerweile war das Schicksal des Denkmals
den Bürgermeister Kloeber ein Angebot zur           selbst der Westfälischen Landeszeitung –
Reinigung des Kriegerdenkmals zum Preis             Rote Erde am 24.05.1939 einen Artikel wert.
von 159,12 RM. Das Angebot wurde aber               „Der Wiederaufbau des Denkmals ist nicht
nicht angenommen.                                   billig, und er hat nur symbolischen Sinn.“
Der Verkehrs- und Heimatverein Unna, Vor-           Letztendlich wurde vom November 1932 bis
sitzender Justitzrat Eylardi, bemerkte in ei-       zum Mai 1939 das Kriegerdenkmal Gegen-
nem Schreiben vom 09.07.1938: „Das Krie-            stand von Wünschen der Vereine und der
gerdenkmal auf dem Marktplatz zu Unna               Entscheidung des Stadtrates.
befindet sich zufolge jahrelanger Verschmut-        Zeichnung: Akte Stadtarchiv, Ansichtskarte: Privatarchiv
Nr. 103 Juni - Juli-August 2021 - ZUR JAHRESMITTE - Kreisstadt Unna
Herbst-Blatt             Nr. 103 06.2021                                            Kultur 10

                                   Puppenspiel
                                - von Bärbel Beutner -
Als der Weihnachtsmarkt 2020 in Unna we-       chen. Die Puppenbühne „versetzte mich um
gen Corona ausfiel, blieb noch die Hoff-       tausend Jahre rückwärts... in einen mittelal-
nung, dass Kaspar und der Hund Flocki          terlichen Burghof“ – und die Puppen sind
auftreten könnten, vielleicht in der Masse-    für den Jungen lebendig. „... diese seltsa-
ner Straße im abgesperrten Bezirk, aber        men Bewegungen, diese feinen oder
doch mit Ritter Tunichgut und dem Bock-        schnarrenden Puppenstimmchen, die denn
wurstlied. Die Nachricht, dass die Puppen-     doch wirklich aus ihrem Munde kamen – es
bühne trotz aller Bemühungen nicht „live“,     war ein unheimliches Leben in diesen klei-
sondern „nur“ als Stream zu den Kindern        nen Figuren.“
kommen konnte, sorgte dann für eine ganze      Später hat Paul Gelegenheit, die Puppen-
Seite im „Stadtspiegel“ vom 2. Dezember        bühne bei Tageslicht und von der Rückseite
2020.                                          zu sehen – „ein Gerüst aus Latten und Bret-
„Jonni Krauses Puppenbühne“ gehört seit        tern, worüber einige buntbekleckste Lein-
46 Jahren in Unna zur Adventszeit. Der         wandstücke hingen“. Trostlos sieht es aus,
Kaspar besiegt den Räuber und die Hexe         und die Puppen hängen an einem Eisen-
und verjagt den Teufel, und der freche Flo-    draht, „elendig“, als seien sie tot.
cki fährt ihm mit seiner Werbung für die       „Herzfaden“ heißt der Roman von Thomas
Bockwurst, die für einen guten Zweck ver-      Hettche, der die Geschichte der „Augs-
kauft wird, in die Parade. Die Kinder be-      burger Puppenkiste“ und der Familie
klatschen die Puppen, feuern sie an und        Oehmichen schildert. Walter Oehmichen,
warnen sie, so wie schon ihre Eltern dem       Schauspieler und Theaterdirektor in Augs-
Kaspar und seiner Truppe zugejubelt haben.     burg, entdeckte, als er im 2. Weltkrieg ein-
Worin liegt das Faszinierende eines Pup-       gezogen wurde, in Frankreich in einer
penspiels? In „Jonni‘s Puppenbühne“ sind       Schule in Calais ein Puppentheater ohne
es Handpuppen, aber ob Handpuppen oder         Puppen, bastelte selbst welche, klapprige,
Marionetten – wie ist es möglich, dass ein     unansehnliche Dinger, und spielte seinen
einfacher Puppenkopf und ein Stück Stoff       Kameraden Stücke vor. „Und meine Kame-
oder ein paar bemalte, mit Drähten zusam-      raden, alles harte Kerle, die grauenvolle
mengehaltene Holzstücke Menschen jeden         Dinge erlebt hatten, wurden plötzlich wie-
Alters so in ihren Bann ziehen?                der zu Kindern. Es kam mir so vor, als wäre
Denn das Puppenspiel war zunächst nicht        mir das als Schauspieler auf der Bühne nie-
nur eine Unterhaltung für Kinder. Es er-       mals so gut gelungen.“
freute allgemein das Publikum und schaffte     Das ist der „Herzfaden“, der von der Hand
es in die Weltliteratur.                       des Puppenspielers zum Zuschauer führt.
Ein allerliebstes Beispiel für die Bedeutung   Der Puppenspieler Oehmichen erklärt das
des Puppenspiels ist die Novelle „Pole Pop-    so: „Marionetten sind unfertige Menschen.
penspäler“ von Theodor Storm (1817–            Und alles, was wir (die Spieler) machen, ist
1888). In der kleinen Stadt an der Nordsee     unfertig. Denn was machen wir? Wir wa-
(Husum wird es wohl sein) kommt der            ckeln mit einem Stück Holz! Alles andere
„Mechanikus und Puppenspieler Herr Josef       geschieht im Kopf des Zuschauers.“
Tendler aus der Residenzstadt München“         Doch das „Stück Holz“ überwindet die
an. Paul Paulsen, Sohn eines Kunstdrechs-      Grenze zwischen Leben und Tod. Die Pup-
lers, darf am Abend die Aufführung besu-       pe kann „sterben“ und wieder lebendig wer-
11 Kultur                                              Nr. 103 06.2021   Herbst-Blatt
den, was nur im Märchen möglich ist und          einer Oper besucht regelmäßig ein Mario-
in der magischen Welt des Kindes. „Ein           nettentheater „auf dem Markte“ „für den
Schauspieler spielt das Sterben, eine Mario-     Pöbel“ und erklärt einem Gesprächspartner,
nette aber stirbt tatsächlich“, erklärt Walter   was er von dem „Gliedermann“ lernt. Er
Oehmichen. Wenn sie nicht mehr bewegt            lernt die Grazie, die sich daraus ergibt, dass
wird, ist sie ein totes Holz und wird dann       jede Bewegung einen Schwerpunkt hat,
doch wieder lebendig.                            dem die Glieder folgen. Der „Maschinist“,
Den „Herzfaden“ können auch Handpuppen           also der Puppenspieler, findet diesen
auslegen und den Zuschauer glauben ma-           Schwerpunkt und lässt die Puppe tanzen;
chen, dass sie Könige, Ungeheuer und             der Tänzer muss ihn in seiner Seele finden,
                                                                     um die Bewegungen fol-
                                                                     gen zu lassen.
                                                                     Walter Oehmichen er-
                                                                     klärt die Bewegung der
                                                                     Puppen so: „Die Fäden,
                                                                     an denen sie hängen,
                                                                     setzen genau in ihrem
                                                                     Zentrum an, weshalb
                                                                     man denkt, ihre Bewe-
                                                                     gungen hätten so etwas
                                                                     wie eine Seele. Dabei
                                                                     folgen ihre Glieder bloß
                                                                     dem Gesetz der Schwe-
                                                                     re. Das sie aber gar nicht
                                                                     kennen. So wenig wie
                                                                     Eitelkeit.“
                                                                     Denn das ist entschei-
                                                                     dend. „Die Puppe ziert
                                                                     sich niemals“, heißt es
                                                                     bei Kleist. Sie hat kein
                                                                     Bewusstsein ihrer selbst
Spaßmacher sind. In einer Aufführung im          und ist sich ihrer Grazie nicht bewusst. Sie
Kindergarten hat der Wolf soeben das Rot-        befindet sich sozusagen im Zustand der
käppchen verspeist, trotz der lauten War-        Unschuld. Der Mensch, der „vom Baume
nungen der Kinder. Nun lacht er hämisch.         der Erkenntnis“ gegessen hat und nun um
„Kinder, euer Geschrei hat gar nichts ge-        seine Grazie weiß, hat sie damit schon ver-
nützt. Ich habe das Rotkäppchen doch ge-         loren und kann sie nur mit großer Mühe,
fressen! Ein leckerer Braten!“ Da hält ein       wenn überhaupt, zurückgewinnen.
kleiner Junge es nicht mehr aus. Er springt      Mögen Kaspar und Flocki auf dem nächs-
auf. „Aber gleich kommt der Jäger! Der           ten Weihnachtsmarkt in Unna wieder den
schneidet dir den Bauch auf! Das sollste         „Herzfaden“ zu den Kindern herstellen
mal sehn!“                                       können. Und nicht nur zu den Kindern,
Die Marionetten aber lehren die Menschen         denn auch Erwachsene brauchen in schwe-
etwas Wichtiges über Bewegung und Schwer-        ren Zeiten das Märchen und die magische
kraft, wie Heinrich von Kleist (1777–            Welt.
1811) in seiner Abhandlung „Über das Ma-
                                                 Foto: Franz Wiemann
rionettentheater“ darlegt. Der erste Tänzer
Herbst-Blatt                  Nr. 103 06.2021                                         Humor 12

                       Humor in Unna und Westfalen
                                    - von Klaus Thorwarth -

Was ist Humor? „Humor ist, wenn man              Der Humor in Westfalen ist hintergründig
trotzdem lacht“. Diese Formulierung geht         und verhalten, bescheiden und nie übertrie-
auf den deutschen Schriftsteller Otto Julius     ben.
Bierbaum (1865–1910) zurück.                     Er ist deftig, doch auch tiefsinnig und warm-
Etwas genauer: Humor zeigt ein Mensch, der       herzig. Manchmal zeigt er auch eine ver-
den alltäglichen Problemen mit heiterer Ge-      schmitzte Pfiffigkeit, eine Bauernschläue.
lassenheit begegnet.
                                                 Hier einige Beispiele aus unserer Stadt:
Bei der Stoffsuche zu diesem Artikel fand
ich ein aufschlussreiches Buch:                  Die Unnaer hielten früher auffallend viele
 „Ganz Deutschland lacht – Die Landschaften      Esel. Dadurch bekamen die Bürger den Spott-
des deutschen Humors“                            namen „Unnaer Esel“. Erstaunlich – sie nah-
Es ist bekannt, dass andere Länder andere        men den Namen immer mit Humor. Das un-
Arten von Witz haben. Der englische Witz         terscheidet sie von den Bürgern anderer Orte!
ist anders als der französische, der amerika-
nische anders als der russische Witz, usw.       1933 entstand die neue katholische Kirche
Doch selbst wo deutsch gesprochen wird,          mit dem ungewöhnlichen Bild eines Esels.
gibt es viele Varianten von Witzen. Dabei        Dahinter versteckte der Pfarrer Stratmann sei-
gibt es kaum eine Übereinstimmung. Das er-       ne Freude, dass er die störrischen Nazis über-
wähnte Buch bringt 1500 Witze. In 22 ein-        listet hatte. Gegen alle Widerstände hatte er
zelnen Kapiteln finden sich jeweils zahlrei-     den Kirchbau durchgesetzt. Den humorvollen
che Beispiele für den Humor verschiedener        Spaß gab er aber nicht zu, sondern erklärte
Landschaften.                                    ihn mit ähnlichen Darstellungen, die an vie-
                                                 len mittelalterlichen Kirchen zu sehen sind.
Die Westfalen hält man eher für humorlos.        Dieses Reliefbild vom Glockenturm an St.
Ein Vorurteil!                                   Katharina war Vorbild für den bedeutenden
Wo in deutschen Landen hätte es folgendes        Künstler Josef Baron aus Hemmerde. Er
gegeben:                                         schuf die bronzene Eselsskulptur am Markt-
Ein Prediger auf der Kanzel droht mit Höl-       brunnen, das am häufigsten fotografierte
lenglut und Verdammnis, plötzlich aber           Kunstwerk in Unna. Die Aufstellung ist ein
bringt er scherzhafte Späße, dass die Kirche     weiteres Beispiel für die positive Einstellung
von befreiendem Lachern erdröhnt.                der Bürger zu ihrem „Symboltier.“

Eselsparade am Rathaus Unna
13 Humor                                                   Nr. 103 06.2021      Herbst-Blatt
Höhepunkt aber für die Sympathie der Bür-
ger sind 25 teure, künstlerisch gestaltete bun-
te Esel. Sie stehen seit wenigen Jahren über
die ganze Stadt verteilt.

In dem Buch „Lachendes Westfalen“ findet
sich die Geschichte eines Beckumers, der
hier am Markt bei einem Wirt einkehrte, der
weithin als Original bekannt war.
Provozierend laut fragte der Gast, was denn
in Unna ein Esel koste. „Was ein Esel kostet,
willste wissen? Das kommt ganz auf die Grö-
ße an. Die kleinsten sind die teuersten, weil
sie die seltensten sind. Die nächstgrößeren         Mönch und Nonne am Haus Markt 10
kosten 20 Taler. Drei handbreit größer unge-
fähr die Hälfte und für solch große, wie Du         Etwas Einmaliges befindet sich am Haus
einer bist, bezahlt man höchstens zwei bis          Markt 10. Es ist über 400 Jahre alt und gilt
drei Handkäse, weil von dieser Sorte viele          als schönstes Fachwerkhaus der Stadt. Links
aus Deiner Gegend nach Unna kommen!“                oben findet sich eine Abbildung, auf der ein
Umgehend verließ der Beckumer das Gast-             Mönch sich über eine Nonne „hermacht“ ,
haus. Er wurde nie wieder in Unna gesehen.          sehr zum Entsetzen eines Kindes. Das Bild
                                                    gilt als Protest des reformierten Hausbesit-
Das heutige „Cafe Extrablatt“ war früher das        zers gegen Luther und seine Lehre.
dritte Rathaus der Stadt. Unter den Bögen ver-
steckt sich ein plattdeutscher Spruch, übersetzt:   Heiterkeit und Lachen sind eine wichtige und
„Das Schwerste ist gleich geschafft,                notwendige Seite des Lebens.
wenn in unserm Arm ist Kraft“.                      Dem Menschen das Glück des Lachens
Im Originaltext findet man die lateinischen         zu bringen, ist eine gute Tat.
Worte „asinus enormis“, deutsch: „enormer           Auch in Westfalen.
Esel“.
                                                    Zum Schluss eine Erinnerung an den Kardi-
Die namenlose Brücke über den Verkehrs-             nal Graf Galen in Münster. Er war in der Na-
ring sollte nach Vorschlag des Herbst-Blatt-        zizeit ein ebenso mutiger wie für die Macht-
Magazins den Namen „Eselsbrücke“ erhal-             haber unbequemer Mann. Einmal wandte er
ten. Der Unnaer Rat stimmte dem einstimmig          sich in einer Predigt gegen die Jugenderzie-
zu und zeigte damit Sinn für Humor. Der Be-         hung durch die Hitlerjugend. Da rief jemand
griff „Eselsbrücke“ hat ja viele Bedeutungen.       dazwischen: „Wie kann ein Mann, der keine
In diesem Fall hilft die Brücke den                 Kinder hat, über Kindererziehung sprechen
„zweibeinigen Eseln“ von Unna, aus dem              wollen!“
Häusermeer ungefährdet über die Verkehrs-           Galen stutzte, sagte aber dann recht schlag-
flut ins Grüne zu gelangen. Früher führte hier      fertig: „Eine solch persönliche Kritik am
wohl eine Eselsbrücke über den reißenden            Führer kann ich hier nicht zulassen ...“
Bornekamp-Bach.
                                                    Literaturtipps:
Bei der gut geplanten Namens-Taufe gab es           „Ganz Deutschland lacht“ bei Desch
eine Panne: Ein Fernsehteam des WDR                 Klaus Seifert: 2 x 66 „UN-glaubliche Geschichten“
musste unverrichteter Dinge umkehren. Die           mit humorvollen Bildern von Andrea Agner
                                                    Wikipedia.de: Humor
Brücke war noch nicht im Navi zu finden …
                                                    Fotos: Hellweger Anzeiger, Klaus Thorwarth
Schade, ein humorvoller TV-Bericht kam
nicht zustande.
Herbst-Blatt              Nr. 103 06.2021                                             Kultur 14

                     Sprache bleibt immer lebendig
                                 - von Franz Wiemann -
Man ist mit zunehmendem Alter schon mal          Stimme der stets freundlichen Telefonistin,
irritiert, wenn sich gewisse Dinge in der Ge-    die beim Herstellen einer Telefonverbindung
sellschaft zu schnell verändern. Das trifft in   half. Auch hierfür gibt es im Englischen mit
starkem Maße auch auf unsere Sprache zu:         dem Wort Miss eine Entsprechung. Diese
Ungewöhnliche neue Wörter finden da mit-         Form der Anrede wurde ebenfalls zu Recht
unter ihren Eingang. Ganz aktuell findet zur-    abgeschafft. Was hatte es die Öffentlichkeit
zeit eine wenig nachvollziehbare Diskussion      denn schon zu interessieren, wenn durch die
darüber statt, wie wir uns in der Schriftspra-   Benutzung der Wörter Miss oder Fräulein der
che möglichst geschlechtergerecht zu verhal-     Zustand der Noch-Nicht-Verehelichung be-
ten haben.                                       kannt wurde? Jedes Bürschchen war gleich ein
Am dritten Sonntag im Februar 2021 ver-          Herr. Frauen dagegen gelang es erst durch
nahm ich im Radio die Meldung, heute sei         ihre Heirat ernst genommen zu werden?
der Tag der Muttersprache. Soweit so gut.        Es war der zusehends mehr verwirklichten
Nur wenige Tage zuvor hatte ich jedoch in        Gleichberechtigung zuzuschreiben, dass neue
der F.A.Z. gelesen, dass es bald nicht mehr      Wörter und Berufsbezeichnungen in Umlauf
schicklich sein würde, von Muttermilch zu        kamen. Ein populäres Beispiel dafür war das
sprechen. Größer konnte der Widerspruch          Verhalten der ehemaligen Gesundheitsminis-
nicht sein, dachte ich mir. Muttersprache        terin Frau Dr. Elisabeth Schwarzhaupt
geht noch, aber das Wort Muttermilch nicht?      (CDU). Als sie 1961 zu Beginn der 3. Amts-
Wir müssen uns in Zukunft wohl noch von          zeit von Konrad Adenauer als erste Frau ein
mehreren vertrauten Begriffen verabschie-        Ministeramt bekleiden sollte, wurde sie am
den, die wir so arglos mit der Muttermilch       Tag ihrer Vereidigung gefragt, ob man sie
aufgesogen haben. Zum Beispiel der Mutter-       nun als Frau Minister oder als Ministerin
tag. Und all das, weil sich in vielen Wörtern    ansprechen sollte. Sie erwiderte, dass sie
eine Herabwürdigung der Frau ausdrückt? In       Wert lege auf die Anrede als Ministerin. Dies
England führt man zurzeit übrigens eine ähn-     begründete sie sowohl mit ihrer Weiblichkeit
lich gelagerte Diskussion: Der Gebrauch des      als auch mit dem Umstand, dass sich ja alle
Wortes „breastfeeding“, das Pendant für          auf „-er“ endenden Berufsbezeichnungen mit
Muttermilch, soll in Krankenhäusern einge-       Leichtigkeit umformen ließen.
schränkt bzw. durch „chestfeeding“ ersetzt       Dieser Logik konnte man sich nicht entzie-
werden. Die Erwähnung der vorgeschlagenen        hen: Die Berufsbezeichnung Lehrer wurde,
deutschen Kunstwörter, die als Ersatz herhal-    zum Beispiel, rasch erweitert um „Lehre-
ten sollen, erspare ich mir lieber. Als hätten   rin“. Aber Briefbote und Briefbotin? Aber
wir keine anderen Sorgen!                        lassen wir zunächst einmal alle Haarspalte-
Eine fast vergleichbare Diskussion wurde         rei. Auf die Diskussion um die per Sternchen
übrigens schon einmal in den frühen 60er         (Symbol *) fast krampfhaft herbeigeführte
Jahren geführt. Auf den Prüfstand kamen so       Gleichberechtigung will ich hier nicht einge-
manche althergebrachte Formulierungen, wie       hen.
beispielsweise die Redewendung „Mein lie-        Bisher ist die Frage noch nicht berührt wor-
bes Fräulein“. Als erzieherische Ermahnung       den, wie es dazu kommt, dass in der Sprache
soll sie ja in manchen Haushalten durchaus       ständig Neues entsteht. Gibt es eine neue
noch Geltung haben(!), hört man. Die Til-        Weltsicht der Dinge? Liegt es gar an der
gung des Wortes hatte aber seine Berechti-       Weltsprache Englisch? Auffällig geworden
gung, denn das berühmte Fräulein vom A mt        ist es, wenn jemand meint, sich unbedingt
hatte längst ausgedient. Gelegentlich ver-       eines englischen statt eines deutschen Wor-
misste schon mal der ein oder andere die         tes bedienen zu müssen.
15 Kultur                                             Nr. 103 06.2021     Herbst-Blatt
Als Student der Germanistik und Linguistik      Eine lustige Anekdote machte in meiner Fa-
hört man im Verlauf des Studiums unweiger-      milie väterlicherseits die Runde. Mein Paten-
lich folgenden Satz: Sprache sei immer die      onkel, namens August und gelernter
Abbildung des unmittelbaren Geschehens un-      Schmied, war im Zweiten Weltkrieg als
seres Alltags. „Die sprachliche Benennung       Stabsbeschlagmeister in Nordfrankreich sta-
von Gegenständen (Zeichen) bestimmt sich        tioniert. Zuständig war seine Einheit für die
durch die Notwendigkeit ihres Gebrauchs.“       Beschlagung der im Einsatz befindlichen
Dieser Satz wird übrigens dem österreichi-      Pferde. Mit dem Eigentümer des Bauernho-
schen Kommunikationswissenschaftler Paul        fes, auf dem sie einquartiert waren, gab es
Watzlawick zugeschrieben.                       ziemlich schnell eine augenzwinkernde Art
Folgendes recht lustige Beispiel kann dies      der Verständigung. Mit der französischen
untermauern helfen. Es herrschte gerade das     Sprache zunächst nicht vertraut, hatte mein
Schnee- und Eischaos in der zweiten Febru-      Onkel es sich angewöhnt, jede Frage mit der
arwoche dieses Jahres. In einer Kölner Fern-    Wendung „Qu‘est-ce-dat-denn-für‘n-Ding?“
sehreportage äußerte sich eine ältere Dame      zu beginnen. Dem Franzosen wiederum ge-
dazu, dass ihr Zug ausgefallen sei. So gar      fiel es, dass der Schmied vor Ort auch schon
nicht auf den Mund gefallen sagte sie:          mal seinen kaputten Pflug reparierte. So
„Meine Enkel warten auf mich. Sie spielen       wurde nach und nach das ein oder andere
mit ihren Handys schon ‘Oma-Tracking‘, als
wäre ich ein Paket, das sie erwarten.“
Welch eine geniale Wortschöpfung, dachte
ich mir spontan. Sie konnte nämlich ihr Ver-
sprechen, sich um die Enkelkinder zu küm-
mern, nicht einlösen.
Hier greift erneut das Lehrverständnis des
oben erwähnten Wissenschaftlers: Damit
sich Sender (hier: Sprecher) und Empfänger
(Zuhörer) miteinander verständigen können,
ist es nötig, dass sie sich vom sprachlichen
Empfinden her auf ein und derselben Ebene
bewegen. Sich in der Not auch mal „mit
Händen und Füßen“ verständlich machen zu
müssen, ist wohl schon jedem mal passiert.      Werkstück aus Armeebeständen gegen guten
Entscheidend ist demnach die jeweilige Situ-    französischen Wein oder Cognac getauscht.
ation.                                          „Eine Hand wäscht die andere“, lautete halt
Zwei Beispiele können dies verdeutlichen.       die Maxime.
Als im späten 18. Jh. unter Napoleon franzö-    Noch bis weit in die 60er Jahre hinein mach-
sische Soldaten nach Deutschland einmar-        te diese Anekdote in meiner Familie die
schierten, fiel ihnen auf, dass bei dem Lärm,   Runde. Und zwar hauptsächlich dann, wenn
den sie auf den Straßen erzeugten, die Bürger   die beiden Beteiligten sich in ihren Heimat-
in den Städten durch kleine Mansardenfens-      orten Münster und Lille gegenseitig besuch-
ter lugten und sich verwundert fragten: „Was    ten. So waren sie, mehr oder weniger unge-
ist das?“ Die Franzosen verbanden mit der       wollt, in die Vorreiterrolle für die erst später
Frage die ihnen offenbar nicht bekannten        etablierte „Deutsch-Französische Freund-
Dachfenster. Später bürgerte sich für diese     schaft“ geschlüpft.
Art von Klappfenstern in leicht abgewandel-     Was können wir daraus lernen? Not macht
ter Schriftform im Französischen das Wort       nicht nur erfinderisch, sie kann mitunter
„Vasistas“ ein. Der Begriff ist seit 1776 be-   auch Völkerverbindendes leisten.
legt.                                           Grafik im Kettenschmiede-Museum Fröndenberg
Herbst-Blatt              Nr. 103 06.2021                                                  Natur   16

                     Rotkehlchen flattert zum Sieg
                                  - von Benigna Blass -

Normalerweise wird der Vogel des Jahres         Revier sehr hart und stark verteidigt. Hat
durch den Naturschutzbund gewählt, doch         sich ein Paar gefunden, so wird das napfarti-
dieses Jahr, ein Jubiläumsjahr (50-jähriges     ge Nest in kleinen Baumhöhlen, Hecken
Bestehen des NABU), durfte die Bevölke-         oder in Nischen nur vom Weibchen gebaut.
rung den Vogel aussuchen. Unter zehn Ar-        Es ist sehr vorsichtig, wird sie beobachtet,
ten wie die Stadttaube, Rauchschwalbe und       so legt es das Nistmaterial nieder und holt es
Kiebitz wurde das Rotkehlchen von 450.000       erst später wieder ab, denn es gibt viele
Menschen zum V ogel des Jahres 2021 no-         Nesträuber und der Kuckuck bevorzugt ihr
miniert. Es ist keine bedrohte Vogelart, son-   Nest. Die vier bis fünf weißlich-rotbraun
dern ein beliebter Wald- und Gartenvogel.       punktierten Eier bebrütet es 14 Tage allein,
Sein orangerotes Brustgefieder hat ihm den      während das Männchen sie mit Nahrung
Namen gegeben. Männchen und Weibchen            versorgt. Sind die Kleinen nach 12–15 Ta-
sehen gleich aus. Sie haben keine Scheu vor     gen geschlüpft, so bringt die Mutter die Ei-
Menschen. Arbeitet man im Garten, so            erschalen viele Meter weit weg, ebenso die
schauen sie mit ihren großen Augen zu, und      Kotsäckchen, manchmal sogar in die Nähe
warten, ob nicht eine kleine Larve, eine        von anderen Nestern. Schlüpft ein weibli-
Ameise oder ein Würmchen zum Vorschein          ches Küken, so legt es im nächsten Jahr Eier
kommt.                                          mit dem gleichen Muster wie die ihrer Mut-
Mit ihrem melodischen, perlenden Gesang         ter. Beide Elternteile füttern die Kleinen, die
wecken uns die 14 cm großen Rotkehlchen         nach 15 Tagen gemeinsam das Nest verlas-
auf, am frühen Morgen, ehe die Sonne auf-       sen. Sie werden noch lange mit Nahrung
geht. Ihr Lied begleitet uns in die Abend-      versorgt, und ihnen wird gezeigt, wie und
dämmerung das ganze Jahr hindurch – nicht       wo sie Nahrung finden können, wie Spin-
nur zur Paarungszeit, da aber besonders laut    nen, Insekten oder kleine Käfer. Besonders
und eindringlich. Sie können bis zu 275 Me-     beliebt sind Blattläuse, im Herbst sogar Sa-
lodien singen, auch imitieren sie ande-             men und Beeren. Nicht selten ist die Fut-
re Vögel wie Meisen und Buch-                            terbeschaffung die Aufgabe des Va-
finken. Die Rotkehlchen                                   ters, da die Mutter für die zweite
sind gesellige Vögel, sie                                 Brut wieder ein neues Nest baut,
kennen den Gesang                                       denn die Lebenserwartung beträgt
ihrer Nachbarn und                                   höchstens fünf Jahre.
kommen mit ih-                                       Das Rotkehlchen lebt in Europa, Asien
nen gut aus,                                         und Afrika, nur in Island ist es nicht zu
doch kommt                                           finden.
ein Fremder                                         Einige Kuriositäten habe ich gelesen:
hinzu, so                                          In einem Bergwerk hatte sich ein Rot-
wird das                                          kehlchen verirrt und durch seinen Gesang
                                                 wurde es gerettet.
                                                Eines Abends kam eine Frau ins Schlafzim-
                                                               mer und fand ein Rotkehlchen-
                                                               nest in ihrem Bett, sie ließ das
                                                               Fenster offen und schlief in ei-
                                                               nem anderen Zimmer.
                                                             Foto: David Reed/pixabay.de
17 Gedanken                                          Nr. 103 06.2021   Herbst-Blatt
                              Sprücheklopfer ...
                          - Gastbeitrag von Edith Weber -

Mein Sohn bat mich vor einigen Jahren,        Irgendwann vor Jahren wurde ich einmal
doch bitte einmal alle meine Sprüche, die     im Verlauf eines Gesprächs gefragt, ob und
ich ihm im Laufe seines mittlerweile 30jäh-   welche Lebensmaxime ich mit auf den
rigen Lebens mit auf den Weg gegeben hat-     Weg ins Leben bekommen habe. Und mir
te, aufzuschreiben.                           fiel spontan als Antwort eben die erwähnte
Diese Bitte ließ mich grübeln … War oder      Lebensweisheit ein, denn sie bestimmte in
bin ich tatsächlich solch eine Sprücheklop-   erster Linie seit meiner Kindheit meine Le-
ferin?                                        bens- und Denkweise.
Und ja! Ich bin es! Ich habe schnell mal      Heute mag dieser Spruch antiquiert er-
einen Spruch zur Hand, machte mir die Bit-    scheinen – wer wendet solche Sprüche
te meines Sohnes bewusst.                     heute noch an? –, aber ich bin meiner Mut-
Genauer betrachtet wurde auch ich mit         ter immer wieder dankbar für ihre
Sprüchen – oder sollte ich besser „Le-        „spruchreife“ Erziehung – und ganz beson-
bensweisheiten“ sagen? – erzogen, die ich     ders für diese prägende Lebensweisheit.
an meine Kinder in den passenden Situatio-    Und auch, wenn es antiquiert ist, so bin ich
nen weitergegeben habe. Und reflektierend     fest davon überzeugt, dass Kinder auch
stelle ich fest, dass diese „Sprüche“ mir     heute – besser: gerade heute – solche
Richtschnur, Trost, Halt, Werte und Auf-      Sprichworte brauchen, die ihnen Werte
munterung gaben – je nachdem, wann, wo        vermitteln und ihnen begreiflich machen,
und wie mir meine Mutter den jeweiligen       dass wir alle nur ein Rädchen im großen
Spruch zu Ohren brachte.                      Ganzen sind.
Heute noch wirken diese Sprüche in mir        In diesem Sinne wünsche ich eine gute Zeit
nach. Manche tiefere Bedeutung eines          … und klopfe gerne mal wieder einen
Sprichwortes erkannte ich erst mit den Jah-   Spruch …
ren oder erst, als ich selbst Mutter war.
                                              Foto: Andrea Irslinger
So hörte ich zum Beispiel schon ganz früh
„Was Du nicht willst, das man Dir tu,
das füg auch keinem andern zu!“
Als Kind konnte ich mit der Bedeutung der
Worte wenig anfangen, begriff aber sehr
schnell an der Reaktion meiner Mutter oder
des Gegenüber, dass ich mich so verhalten
hatte, dass es dem Anderen nicht gefiel
oder ihm mein Verhalten sogar weh tat.
Erst später wurde mir die gewaltige Aussa-
ge dieses Spruches klar.
Manches Mal dachte ich leider zu spät da-
ran, ob der Andere tatsächlich wollte, was
ich da gerade tat. Aber dieser Spruch ließ
mich nachdenken über mein Handeln, ließ
mich „Entschuldigung“ sagen und machte
mich mitfühlend …
Herbst-Blatt              Nr. 103 06.2021                                        Besinnliches 18

                                     Augenblicke
                          - Gastbeitrag von Rita Bergmann -

Alles ist anders in dieser Zeit, auch das Spa-   Wir lassen uns nicht unterkriegen. Es gibt
zierengehen.                                     immer einen Weg.
Ich liebe es, wenn mir am großen Fluss der       Wenn in einer solchen Begegnung auch nur
frische Wind um die Nase weht. Von mei-          flüchtige Kontakte entstehen, so spüre ich
nem Wohnblock aus laufe ich nur zwei Mi-         dennoch die Kraft und das Belebende.
nuten, dann stehe ich an der kleinen Straße      Eine bunte Frau auf dem Fahrrad kommt
und blicke hinunter auf den mächtigen            angeradelt. Sie trägt eine rote Mütze und
Rhein. Es ist um die Mittagszeit. Die Sonne      einen gleichfarbigen Schal, orange Hosen
sendet ihre ersten wärmenden Strahlen und        und olivgrüne Stiefel. Interessiert folge ich
umfängt mich. Wohlig schließe ich die Au-        ihr mit den Augen. Unerwartet hält sie ihr
gen und hole tief Luft. Eine Ahnung von          Fahrrad an und fragt mich:
nahendem Frühling macht mich weit.               „Haben Sie etwas mit Tanzen zu tun? Wa-
Es ist eine Momentaufnahme, ich gönne mir        ren Sie das, im März 2020, noch vor dem
diesen Augenblick. Dann schlendere ich           Lockdown im Bootshaus?“
zum Ufer hinunter. Mein Weg führt mich           Auf mein unwillkürliches Nicken hin erklärt
immer zuerst zum Geländer der Uferprome-         sie weiter: Ich war dort, und es hat mir sehr
nade. Von dort habe ich einen guten Über-        gut gefallen. Machen Sie weiter mit dem
blick über den aktuellen Wasserstand.            freien Tanzen, wenn das alles vorbei ist?
In der Zeit des großen Regens sah ich hin        Ja, sobald es wieder möglich ist. So lange
und wieder ein junges Elternpaar, dessen         kann es nicht mehr dauern. Vielleicht sehen
Kleinkind in Gummistiefeln und bunter Re-        wir uns bald.
genkleidung im Morast saß und hingegeben         Oh ja, dann bin ich dabei. Endlich wieder
mit Stöckchen im Schlick spielte, und dann       mit anderen Menschen tanzen können.
lustvoll durch die Pfützen platschte. Ohne       Sie steigt auf ihr Fahrrad und radelt gutge-
sich vom ewigen Regen beeindrucken zu            launt mit einem Winken davon.
lassen, verfolgten Mutter und Vater stolz die    Die schnell vorbeiziehenden Wolken verde-
Bewegungen ihres Kindes und lächelten            cken immer wieder die Sonne, und der auf-
ihm aufmunternd zu. Manche Vorüberge-            kommende Wind nimmt zu. Es frischt auf.
hende blickten irritiert, in anderen lächelte    Von dem netten Gespräch eben noch erfüllt
das eigene Kind.                                 komme ich beschwingt in einem kleinen
In diesem Jahr verändert sich so vieles. Der     Park an. In dem Moment schickt die Sonne
tägliche Spaziergang wird mir immer wich-        noch einmal wärmende Strahlen. Hier am
tiger. Spazierengehen, flanieren, sich ab-       mächtigsten Baum angekommen mache ich
sichtslos treiben lassen. Dabei in die Ge-       kurz Halt und richte mein Gesicht in die
sichter der Entgegenkommenden blicken.           Sonne. Wie zur Begrüßung lehne mich an
Und erkennen, ob mich diese als Menschen         seinen starken Baumstamm, schmiege ich
tatsächlich wahrnehmen oder in sich ver-         mich an ihn und berühre seine bemooste
schlossen vorbei gehen. Es ist ein Spiel: Ich    Rinde.
freue mich, wenn mich fremde Augen anlä-         Zwei Tage später setzt sich die Sonne durch.
cheln, mich als menschliches Wesen wahr-         Aufs Neue mache ich mich auf den Weg
nehmen. Wie gestern der interessierte Blick      und probiere es mit Schlendern, Trödeln,
und das Augenspiel mit einer netten Frau         Promenieren. Heute führt mich mein Weg
meines Alters. Ihre verschmitzten Augen          an das gegenüberliegende Ufer. Am Auf-
winkten mir zu, sie schien zu signalisieren:     gang zur großen Autobahnbrücke angekom-
19 Besinnliches                                          Nr. 103 06.2021   Herbst-Blatt

men wechsle ich oben ins Marschieren, die         Friedlich, ja friedlich ist es hier.
lauten Fahrgeräusche beschleunigen meinen         Auf meinem heutigen Weg haderte ich noch
Schritt.                                          mit mir. Jetzt, wo vieles wegfällt, was mir
Bald liegt die laute Autobahnbrücke hinter        Struktur im Alltag gibt, fühle ich mich
mir. Am anderen Ufer angelangt, blicke ich        manchmal wie aus einem warmen Nest ge-
auf einen der reizvollsten Uferabschnitte mit     worfen. Ohne meine geliebte Arbeit als
seinen weiten Rheinwiesen und Uferbäu-            Tanztherapeutin bei einem öffentlichen Trä-
men.                                              ger (Minijob), und außerdem Kursleiterin
Hier ist ein Paradies für Leute wie mich.         für freies Tanzen erscheint mir mein Leben
Hier gibt es weder Straßen noch asphaltierte      mitunter trist. Mir fehlen einerseits die Auf-
Wege, nur weitläufige Wiesen, und lehmige         gaben und andererseits Resonanz der Men-
Pfade dehnen sich entlang des alten Stro-         schen, mit denen ich arbeite.
mes. Ich liebe diesen himmlischen Flecken,        Früher gab es Momente, in denen ich Zeit
beschwingt ziehe ich meine Schuhe aus und         für mich allein ersehnte. Ohne Ablenkung.
laufe barfuß weiter. In einer der steinigen       Mir selbst mehr Raum zu geben, mich selbst
Buchten bin ich an meinem Lieblingsplatz.         besser zu erkennen und zu verstehen. Da
Es ist die Ruhe, die hier herrscht. Ein Ort, an   war wieder der Satz von Sokrates: Erkenne
dem die Sonne am längsten scheint. Begleitet      dich selbst. Und jetzt habe ich das Glück,
vom leisen Geräusch der Wellen, die in ewig       der beinahe einjährige Stillstand schenkt mir
gleichem Rhythmus ans Ufer plätschern.            unerwartet viel freie Zeit. Wenn da nicht
Ich lass mich auf einem größeren Stein nie-       plötzlich so ein Widerstand wäre …
der und genieße die wärmende Sonne. Junge         Heute Abend gehe ich zu mir. Hoffentlich
Paare schlendern vorbei, Leute mit ihren          bin ich da …
Hunden. Von meinem Platz sehe ich den             Ich bleibe auf meinem Stein hocken, bis ei-
großen Schiffen auf dem Rhein zu und den          ne leise Ahnung aufscheint, was den Wider-
Wellen, die sie nach sich ziehen. In meinem       stand ausmacht.
Blickwinkel tauchen zwei herumtollende            Für heute ist es genug. Morgen ist ein neuer
Hunde auf, sie toben zum Wasser, einer            Tag. Ich pilgere nach Hause.
springt hinein, der andere scheut eher das
                                                  Foto: Rita Bergmann
Wasser. Eine Freude, ihnen bei ihrem Spiel
zuzusehen.
Herbst-Blatt             Nr. 103 06.2021                                     Gesundheit 20

                          Mehr als ein Geschenk
                                   - von Anne Nühm -

Die Redaktionsmitglieder des Herbstblattes    Berufsausbildung, eine eigene Familie und
sind ständig auf der Suche nach neuen The-    ein Haus. Es gelang ihr, alle ihre Ziele zu
men, die für die Leser/innen von Interesse    verwirklichen, bis der bereits erwähnte
sein könnten. Anne macht jedoch immer         Rollstuhl ihre Zukunft zu sein schien. Lei-
wieder die Erfahrung, dass es das Leben       der haben viele Menschen in ihrem Leben
selbst ist, das die schönsten Geschichten     dieses Hilfsmittel zu akzeptieren.
schreibt. So wie diese, die sie vor einigen   Eine Schwangerschaft wird von der Umge-
Monaten erlebt hat:                           bung immer wieder als ein freudiges Ereig-
Sie war mal wieder unterwegs. Gedanken-       nis empfunden. Aber unter den Gegeben-
versunken schlenderte sie durch die Stadt.    heiten, die ein Rollstuhl mit sich bringt –
Plötzlich nahm sie eine junge Frau wahr.      wie sollte das gehen? Schon allein die
Das könnte – nein das kann ... nicht sein.    Treppen zur oberen Etage ihres Hauses
Denn wie Anne erfahren hatte, saß Monika      würden zu einer Herausforderung werden
seit geraumer Zeit in einem Rollstuhl. Ihre   …
Beine machten immer wieder neue Proble-       Die junge Frau kam näher auf Anne zu. Es
me. Mal war es eine Zerrung, ein Bänder-      wurde ein Lächeln ausgetauscht. Zaghaft
riss … Die Häufung der Beeinträchtigungen     nannte Anne deren Name: „Monika?“–
war auffällig, beunruhigend und schlecht      „Ja, das bin ich.“ „Ich freue mich, dich zu
einzuschätzen. Aber Monika wollte sich        sehen, aber wie ist das möglich?“ Dann er-
nicht davon abhalten lassen, ein ganz nor-    fuhr Anne die Geschichte, die wie ein
males Leben zu führen. Dazu gehörten eine     Wunder wirkt:
21 Gesundheit                                              Nr. 103 06.2021   Herbst-Blatt
Als schwangere Rollstuhlfahrerin hielten es         nicht regelmäßig Kontakt haben, gibt es
die Ärzte für unumgänglich, Monika vor-             immer wieder mal das eine oder andere Le-
sorglich Thrombosespritzen zu verabrei-             benszeichen. Bei einer Begegnung erfuhr
chen. Diese hatten auf den Organismus ei-           Anne, dass Monikas Leben schon wieder
ne besondere Wirkung. Denn sie verbesser-           einer Prüfung ausgesetzt war. Sie erhielt
ten den Gesundheitszustand in der Art, dass         die Diagnose „Corona“. Schock! Warum
die akuten Probleme der Beine immer mehr            werden manchen Menschen immer und im-
verschwanden. Die Fortschritte setzten sich         mer wieder Schwierigkeiten in den Weg
fort, so dass die werdende Mutter sogar in-         gelegt? Besonders tragisch war es, dass
nerhalb von wenigen Wochen den Roll-                Monika einen schweren Krankheitsverlauf
stuhl verlassen konnte. Die Ärzte fanden            hatte: Sie musste beatmet werden. Mehrere
heraus, dass ihre Patientin ein Blutgerinn-         Wochen stand nicht fest, ob sie den Kampf
sel im Rückenmark gehabt hatte, das durch           gegen den Tod meistern werde. Aber Mo-
die Thrombosespritzen aufgelöst worden              nika wäre nicht Monika. Wieder nahm sie
war.                                                die Herausforderung an und kämpfte. Mit
Das inzwischen geborene gesunde Mäd-                Erfolg! Ganz langsam arbeitete sie sich ins
chen hat somit ihrer Mutter zweifaches              Leben zurück. Mit viel Anstrengung und
Glück geschenkt. Es hat nicht nur den               Konzentration lernte sie wieder selbständig
Traum einer Familie vervollständigt, son-           zu atmen. Das Beatmungsgerät konnte ab-
dern zugleich auch nebenbei dafür gesorgt,          geschaltet werden …
dass ihre Mama ein ganz normales gesun-             Heute ist Monika wieder bei ihrer Familie,
des Leben einer jungen Frau ohne eine               für die sie schon so viel gekämpft hat. Aber
Gehhilfe führen darf.                               genau die Familie ist es, die ihr sicherlich
An dieser Stelle könnte die Geschichte von          auch die Kraft für den unermüdlichen Le-
Monika enden. Tut sie aber nicht. Uner-             benswillen gegeben hat.
wartet gab es eine Fortsetzung:
                                                    Foto: lena/pixabay.de
Monikas Mutter und Anne verbindet eine
jahrelange Freundschaft. Auch wenn sie

                                 Coronazeit ist Wartezeit
                                  - Gastbeitrag von Petra Hülsken -
   Warten auf die nächsten Regierungsmaßnahmen
   Warten auf ein Ende des Lockdowns
   Warten auf Tests und Impfungen
   Warten auf Menschen, die man vermisst
   Warten auf Umarmungen, Herzlichkeit und Nähe
   Warten auf Urlaub und Reisen
   Warten auf gute Nachrichten
   Warten auf das Leben von damals
   Warten auf Lebendigkeit
   Zeichnung: Andrea Irslinger
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