Nr. 109 Dezember 2022 - Januar - Februar 2023 - WINTERZEIT
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MAGAZIN FÜR UNNA Dezember 2022 – Januar – Februar 2023 Nr. 109 WINTERZEIT AUSSERDEM IN DIESER AUSGABE: ROYALES • SATIRE: HUND, KATZE, ESEL GESCHICHTE DES RADIOS • O DU FRÖHLICHE
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Editorial 2 Inhalt Eine schlaflose Nacht brachte mich zum Schreiben dieser Zeilen: 3 Begegnung mit Trollen und andere Ansichten Liebe Leserin, lieber Leser 4 Gurkensalat zur Weihnachten So heißt es in jeder neuen Ausgabe auf Seite Die Tiefkühlkost 2 im Editorial vom Herbst-Blatt. Hiermit 5 Die Mistel werden an erster Stelle die Damen schriftlich 6 Das Ende einer Ära angeredet. 8 Bockwurst mit Brötchen für die Queen In einer gendergerechten Form der Anrede 9 Hätten Sie es gewusst? liest man jetzt öfter in den Zeitungen und Natron statt Backpulver Zeitschriften, gelegentlich auch schon mal 10 Karl der Große und der Königshof im Herbst-Blatt: Liebe Leser*innen, ... in Unna Die beiden Geschlechter werden lediglich 12 Wie kommt die Apfelsine auf den mit dem Colon „:“ verbunden. Jetzt stehen Weihnachtsteller? plötzlich die Männer an erster Stelle der 14 Barry schriftlichen Anrede. Wurden die Männer da- 15 Der Winter ist ein rechter Mann durch emanzipiert? Oder ist die neue schrift- 16 Ich heiße Langohr! liche Anrede aus Sparsamkeitsgründen ent- 18 O du fröhliche, o du selige standen?, frage ich mich. 19 Geht doch … Hund und Katze Gegenüber der vorher üblichen Form der An- 19 Buch-Gutschein – frei nach Eugen Roth rede fallen die Worte Lieber Leser weg. Bei 20 Herbrecht und die Wechselfälschungen der neuen Form kommen die Buchstaben 22 Wie geht‘s? Wie kommt‘s? *innen dazu. Also machen jetzt acht Buchsta- Erlebnisse mit einer Krücke ben einer gekürzten Anrede den Unterschied 23 Mit guten Sprüchen ins Neue Jahr aus. Sparsamkeit? Ja! 24 Die Anfänge, Radio zu hören Ein Rechenbeispiel: Die Zeitung „Die Welt“ Impressum druckt pro Tag 21.300 Exemplare. Wie viel Herausgeberin: Kreisstadt Unna macht dann die Einsparung an Druckerfarbe Hertinger Straße 12, 59423 Unna Internet: www.unna.de, Suchbegriff: herbstblatt V.i.S.d.P: Dr. Bärbel Beutner Internet: Marc Christopher Krug Redaktion: Andrea Irslinger, Bärbel Beutner, Benigna Blaß, Brigitte Paschedag, Franz Wiemann, Hans Borghoff, Klaus W. Busse, Klaus Thorwarth, Reinhild Giese Seniorenarbeit Kreisstadt Unna: Linda Brümmer Tel.: 02303/103-687 für einen Tag, eine Woche, und … und, und Postanschrift: Rathausplatz 1, 59423 Unna aus? Das kann nur ein Fachmann hochrech- Titelfoto: Franz Wiemann nen. Und das ist ein Beispiel von nur einer Gestaltung: Andrea Irslinger (!) Zeitung. Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang Auflage: 1500 Liebe Frauen, wir Männer bleiben gerne an zweiter Stelle. Wir fangen euch gerne auf! Das nächste mit der Nr. 110 erscheint Im Namen der Redaktion Hans Borghoff im März 2023! Foto: Andreas Hermsdorf/pixelio.de
3 Unterwegs Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt Begegnung mit Trollen und andere Ansichten - von Franz Wiemann - Dass Reisen bildet, ist unbenommen richtig. hat dann die ganze Stadtkulisse einschließ- Eine elftägige Reise nach Oslo hat mich da- lich Hafenanlagen vor sich liegen. Im Vor- rin erneut bestätigt. Von Stadtansichten, über feld Karten für eine Vorstellung zu erwerben Museen und Architektur bis hin zur Gastro- ist empfehlenswert. Für uns war die Auffüh- nomie scheint sich in der Landeshauptstadt rung des Klassikers Giselle ein einmaliges ganz Norwegen zu spiegeln. Balletterlebnis: Uns bot sich eine einzige tan- Da die Stadt am nördlichen Ufer eines Fjords zende Feenwelt. gelegen ist, sind Eindrücke der Schifffahrt In der Innenstadt und noch weit darüber hin- immer präsent. Ob nun Kreuzfahrtschiffe, aus begegnet man auf Schritt und Tritt Bei- zahlreiche Fähren, Frachtschiffe, Privatjach- spielen von Kunst und Kultur. Egal ob in ten bzw. Segelboote, immer ist auf dem Was- Parks – hier nur als Beispiel der unbedingt zu ser etwas los. So schnell langweilig wird ei- empfehlende Vigelandspark –, ob vor öffent- nem in dieser Stadt nicht. Zusätzlich hatten lichen Verwaltungsgebäuden oder in Muse- wir auch noch mit dem Wetter Glück. In der en: Nie zuvor habe ich eine solche Fülle von Regel ist noch Mitte September so hoch im Skulpturen und Denkmälern verschiedenster Norden Europas nicht unbedingt mit wär- Kunstrichtungen gesehen. menden Sonnenstrahlen zu rechnen. Schon das rein äußerlich schlicht und klotzig wirkende Osloer Rathaus, erbaut 1933, fängt einen im Innern wie im äußeren Bereich mit Darstellungen aus der nordischen Mytholo- gie ein. Ob es sich um Sagengestalten han- delt, wie zum Beispiel Sigurd und Guttorm, oder Bildnisse von Göttergestalten. Odin als der Oberste des Göttergeschlechts der Asen und auch Freya, die Wanengöttin der Liebe und der Ehe, sind allgegenwärtig. Selbst von Wesentliche Schwerpunkte für uns waren die Trollen, Riesen und Geistern, die vornehm- vielen Museen, darunter besonders zu emp- lich in Kinderbüchern Gestalt angenommen fehlen das Munch Museum, das neu eröffne- haben, wird man dort belehrt. Kaum ein Künst- te Nationalmuseum sowie das etwas außer- ler scheint sich der Vielschichtigkeit dieser lan- halb gelegene Freilichtmuseum Folkemuseet. destypischen Gestalten entziehen zu können. Die hauptsächlichen Sehenswürdigkeiten sind Ein wahres Kaleidoskop der norwegischen fast alle fußläufig zu erreichen. Unbedingt zu Landesgeschichte wiederum wird einem in empfehlen ist auch das FRAM-Museum, das der frei zugänglichen Bürgerhalle geboten. dem Polarforscher und Erschließer der Nord- Das geschieht mal in großflächigen, wand- West Passage Fridjof Nansen (1861–1930) füllenden Fresken, in Form von Holzschnitz- gewidmet ist. Und gleich um die Ecke das arbeiten, Darstellungen aus Keramik und Kon Tiki-Museum. Das dichte Straßenbahn- auch in Form von Skulpturen bzw. Wandre- und Busliniennetz trägt einen überall hin, so- liefs. Schließlich ist die prachtvoll ausgestal- gar bis hinauf zum Holmenkollen mit seiner tete Bürgerhalle alljährlich am 10. Dezember spektakulären Skisprunganlage und der tollen Ort der Verleihung des Friedensnobelpreises. Aussicht über den Fjord. Eine wirklich sehenswerte Landeshauptstadt, Ein spektakulärer Sonnenuntergang lässt sich für die man sich unbedingt mehr Zeit neh- auf dem Dach der vor sechs Jahren eröffne- men sollte als nur ein paar Stunden während ten neuen Oper erleben: Zu Fuß gelangt man einer Kreuzfahrt. auf einer riesigen Schräge oben hinauf und Foto: Franz Wiemann
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Berühmte Frauen 4 Gurkensalat zu Weihnachten Die Tiefkühlkost - von Brigitte Paschedag - Es war in den ersten Nachkriegsjahren. Der bereits nach zwei Jahren ab, aber die Univer- Kaufmann um die Ecke – den gab es damals sität verweigerte ihr den wissenschaftlichen noch – nahm meine Mutter beiseite und flüs- Grad, da sie eine Frau war. Trotzdem setzte terte ihr geheimnisvoll zu, er habe zu Weih- sie ihr Studium fort und tatsächlich erhielt nachten etwas ganz Besonderes im Angebot: sie schließlich den Doktorgrad. Sie ist wohl gefrorenes Gemüse. Das müsse aber sofort bis heute der einzige Mensch, dem der Ma- bestellt werden. gistergrad verweigert, aber der Doktorgrad Meine Mutter sagte zu, und so konnte sie am zuerkannt wurde. Heiligen Abend das begehrte Gemüse, eine Da auch die Arbeitgeber eine wissenschaft- geschnittene Schlangengurke, abholen. Also lich ausgebildete Frau als Kuriosum empfan- gab es diesmal keinen Schweinebraten mit den, gründete sie einen eigenen Betrieb, das Rotkohl, sondern mit Gurken- Philadelphia Clinical Laborato- salat. Zu der Zeit wirklich et- ry. Sie befasste sich hauptsäch- was Besonderes. lich mit der Analyse von Bakte- Die Tiefkühlkost ist heute nicht rien und forschte über verunrei- mehr wegzudenken, zumal es nigte Milch. Die von ihr gefor- inzwischen in fast jedem Haus- derten hygienischen Standards halt einen Kühlschrank gibt, in wurden später in den gesamten dessen Gefrierfach die gefrore- USA verbindlich. ne Ware aufbewahrt werden Harvey W. Wiley, ein alter kann. Freund der Familie Pennington, Bis es zu dieser Erfindung kam, suchte dringend jemanden, der lief man immer Gefahr, sich an eine neue Form der Nahrungs- verdorbenen Lebensmitteln zu mittelkonservierung untersuch- infizieren, was nicht selten zum te. Mary erschien ihm als die Tod, zumindest aber zu einer schweren Er- geeignetste Person dafür, aber er wusste krankung führte. Dieses Problem wurde be- auch, dass man ihr, da sie eine Frau war, sonders groß, als immer mehr Menschen den Zugang zum Beamtentum verweigern vom Land in die Stadt zogen und Lebensmit- würde. Also unterschrieb sie ihr Gesuch mit tel über größere Entfernung ohne Kühlung „M.E. Pennington.“ Bis man herausfand, transportiert werden mussten. Es musste also dass man eine Frau berufen hatte, war sie eine Lösung des Problems her. längst in ihrem Beruf etabliert. Hier tat sich besonders Mary Engle Penning- Mary Engle Pennington hat die Tiefkühlkost ton hervor. Sie hatte eine theoretisch- zwar nicht erfunden, aber sie hat den richti- wissenschaftliche Ausbildung, wandte aber gen Punkt bei der Temperatur gefunden, an ihr Wissen schon bald in der Praxis an. Ihre dem die Nahrungsmittel weder wegen zu Entwürfe und Modelle sowie ihre Vorschläge großer Wärme verschimmelten noch wegen für Transport und Lagerung verderblicher zu großer Kälte austrockneten. Ihre Neuerun- Lebensmittel leiteten eine Veränderung unse- gen im Bereich der Kühltechnik gewannen rer Ernährungsweise ein. besonders im Ersten Weltkrieg an Bedeu- Mary Engle Pennington wurde am 8. Okto- tung. Deshalb wurde ihr von Präsident ber 1872 in Nashville geboren. Ihre offenbar Hoover eine Medaille für außerordentliche fortschrittliche Quäkerfamilie erlaubte ihr zu Verdienste verliehen. studieren. Mary legte die Magisterprüfung Foto: wikipedia.de
5 Natur Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt Die Mistel - von Benigna Blaß - An einem sonnigen Spätherbsttag ging ich die Samen nicht, sie werden ausgeschieden durch Unna spazieren. Plötzlich fiel mein und bleiben im Baum hängen. Blick auf einen schon entlaubten Baum, an Hat sich der Samen festgesetzt, bildet er im dem ich viele runde Nester entdeckte. Ich ersten Jahr nur Wurzeln. Vier Jahre lang ist fragte mich, welche Vögel mögen diese gro- das Wachstum gering, erst im fünften Jahr ßen Nester gebaut haben. Doch beim näheren blüht die Mistel zum ersten Mal. Sie kann Hinsehen erkannte ich, dass diese Nester rund einen Durchmesser von 1 Meter erreichen und aus grünen Blättern bestehen, die auch und bis zu 70 Jahre alt werden. im Winter grün bleiben. Es sind die Misteln, Da sie eine immergrüne Pflanze ist, und hoch oben im Baum wächst, gibt es viele geheim- nisvolle Geschichten. Für Menschen früherer Zeiten war sie ein Sinnbild der ersehnten ewiger Jugend. Bei den Kelten, so wie bei Asterix und Obelix schnitt der Druide die Zweige in einer Voll- mondnacht mit einer goldenen Sichel ab, um seinen Zaubertrank vorzubereiten, der Mut, Kraft und Unbesiegbarkeit verleihen sollte. Ein Mistelamulett war bei den Kelten sehr beliebt, es schützte sie in allen Lebenslagen. Auch in unserer Zeit ist die Mistel ein wichti- ger Gesundheitsträger. Mistelblättertee wirkt beruhigend, blutdrucksenkend und gegen Ge- lenkerkrankungen. Zur Stärkung des Immun- systems sind Mistelarzneien gefragt. Ein die sich auf diesem Baum angesiedelt haben. Weihnachtbrauch, der aus England und Sie sind Halbschmarotzer, denn ihre Wurzeln Nordamerika stammt, hat bei uns großen Zu- saugen vom Wirtsbaum Mineralsalze und spruch gefunden. Hängt man einen Mistel- Wasser auf, doch sie bilden auch selbst Nähr- zweig in den Tür- stoffe und betreiben Photosynthese. Die Blätter rahmen, so darf nehmen Kohlenstoffdioxid aus der Luft auf ein Mann, wenn und wandeln es in Sauerstoff und Zucker um. eine Frau darun- Wie kommt diese Pflanze auf den Baum? Im ter steht, sie ohne Frühling, bevor der Baum Blätter bekommt zu fragen, küs- blüht die Mistel. Erst im Spätherbst und sen. Winter werden die 1 cm großen, runden Auch auf vielen weißlich-glasigen Früchte reif. Im Inneren Weihnachtskarten befindet sich nur ein Samenkörnchen in ei- sind Mistelzwei- nem zähen Schleim. Dieser wurde früher als ge, meist mit ro- Leim zum Vogelfang genutzt. Vielen Vö- ten Schleifen, dargestellt. Man soll die Mis- geln, besonders der Misteldrossel, dienen die telzweige trocken in eine Vase stellen oder Beeren im Winter als Nahrung. Manchmal als Büschel dekorativ aufhängen. bleibt der Schleim mit dem Samenkorn an Schöne Weihnachten wünsche ich Ihnen und ihrem Schnabel hängen, sie streifen diese an einen dicken Kuss von Ihrem Liebsten. einem anderen Ast ab. Der Magen verdaut Fotos: Benigna Blass, Franz Wiemann
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Zeitgeschichte 6 Das Ende einer Ära - von Bärbel Beutner- „Eine Ära ist zu Ende gegangen!“ Auf al- Schule im Kino gesehen hatte. Ich war mit len Kanälen zeigte das Fernsehen die feier- meinen Eltern und einer Freundin im Kino. liche Beisetzung der britischen Königin Als alberne Grundschülerinnen kicherten Elisabeth II. am 19. September 2022. wir über einige der historischen Kostüme. Das Begräbnis war ein Jahrhundert-Ereig- Der heutige König Charles III. konnte nis, dem das 70jährige Thronjubiläum der schon über die Brüstung der Empore gu- Queen, ebenfalls ein Jahrhundert-Ereignis, cken, wo er mit seiner Tante Margarete im Juni 2022 vorangegangen war. Alle Er- dem Jahrhundert-Ereignis beiwohnte. Seine eignisse um „die Queen“ – sie ist längst Schwester Anne versuchte nach einigen Trod- nicht mehr nur „eine deln zu grapschen. Königin“ – haben Zehn Jahre nach unse- Jahrhundert-Format: rem Kino-Besuch fand ihre glanzvolle Krö- der erste Besuch der nung 1952, ein glo- Queen in Deutschland bales Medien-Ereig- statt. Im Mai 1965 nis, ihre Weltreisen, besuchte Elisabeth II. ihre lange Regie- die Bundesrepublik, rungszeit, ihre Pflicht- ein Versöhnungsakt erfüllung bis zu ih- nach dem Krieg, eine rem Tod. Wiederaufnahme der Unser Redaktions- Deutschen in die Völ- mitglied Ingrid Faust kergemeinschaft, ein (†) schrieb im Herbst- Jahrhundert-Ereignis – Blatt Nr. 68 im Sep- und Unna wurde da- tember 2012 zum rin einbezogen. 60jährigen Thron- Daran erinnerten sich jubiläum. Die Redak- die Herbst-Blätter bei tionsmitglieder wa- dem 70jährigen Thron- ren bei der Krönung jubiläum Elisabeths noch Kinder, Fernse- II., und sie beschlos- hen gab es nicht, sen nachzuforschen. aber im Radio kamen Das Redaktionsmit- Nachrichten und am glied Hans Borghoff Abend eine Anspra- konnte uns mit älte- che der Gekrönten. „Die Stimme ist noch ren Berichten des „Hellweger Anzeigers“ ganz klar!“, sagte meine Mutter damals mit versorgen. Der königliche Sonderzug hielt Bewunderung angesichts der Strapazen eine Nacht im Bahnhof Lenningsen, und am dieses Tages. Nach Jahrzehnten ließ die 20.05.1965 schrieb der HA über „Die rol- Monarchin verlauten, dass die Fahrt in der lende Residenz der Königin“. Kritiker der goldenen Märchenkutsche eine recht unbe- Monarchie dürften bei diesem Artikel Was- queme Rumpeltour gewesen sein soll… ser auf die Mühle bekommen. Die rollende Unsere Ingrid Faust erinnerte sich an den Residenz bestand aus 15 Waggons. Wagen Krönungs-Film, den sie offenbar mit der Nr. 8 enthielt das Appartement der Königin
7 Zeitgeschichte Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt mit Salon, Schlafraum, Bad und Abteile für den Zug werfen und übergab einen Kasten die Kammerzofen. „Die Möbel dieses Sa- Lindenbier – außerhalb des Protokolls. lon-Wagens sind champagnerfarben, Vor- Das Herbst-Blatt hatte viel Material zusam- hänge und Tapeten aus grauer französi- mengetragen, aber da es nur vierteljährlich scher Seide.“ Prinz Philip, die große Liebe erscheint, wurde es von den Ereignissen der Königin, bewohnte Wagen Nr. 9, Nr. „eingeholt“. Am 8. September 2022 endete 10 war der Speisewagen und Nr. 14 „der die Ära der „Jahrhundert-Queen“, und der Kino- und Fernsehwagen“. Die Redakti- HA erinnerte am 10. September 2022 an onsmitglieder des HB, meist Kriegs- und die Tage 1965, als in Unna große Historie Nachkriegskinder, „stolperten“ über Wa- stattfand. „Königin Elisabeth verbrachte gen Nr. 7, die „Kleiderkammer“, wo auf eine ruhige Nacht“ in Bönen-Lenningsen. einer 12 Meter langen Stange Kleider und Der Bericht von 1965 wurde unter dieser Anzüge hingen ... Aber egal – für die Un- Überschrift noch einmal eingefügt. Der naer war es wie in einem Kreis Unna habe „für er- Märchen. Dass der Kö- holsame Ruhe der hohen nigszug über Massen und Gäste gesorgt“. Und das Königsborn fuhr, war ja war damals eine gute Tat. nur ein Teil der Sensation. 1965 hatte man schon Ebenso sensationell: Unna Fernsehen, und der Be- brachte einen königlichen such der Queen wurde Hoflieferanten hervor. laufend übertragen. „Es Die Bäckerei Cramer be- wird gequeent!“, hieß es, fand sich 1965 in der wenn alles vor dem Appa- „Katharinenstraße“, die es rat saß, um mitzubekom- heute nicht mehr gibt. Da- men, wie die Hofknickse mals war es eine Laden- ausfielen und welche Hüte zeile. Das ganze Viertel getragen wurden. Einmal mit dem Kino „Tonhalle“, war Elisabeth am Ende mit der Gastwirtschaft ihrer Kräfte. Nach einem „Wittler“ an der Endstation der Straßen- Opernbesuch wurden ihr die Künstler vor- bahn von Dortmund, mit dem „Marien- gestellt, aber sie konnte nur noch huldvoll heim“ vor der Katharinenkirche – alles ist mit dem Kopf nicken; Lächeln ging nicht fort. Heute stehen dort das Rathaus, der mehr. „Mein Gott, wie ist sie erledigt!“, „Katharinen-Treff“ und der „Katharinen- sagte meine Mutter voller Mitgefühl. hof“. Die Bäckerei Cramer verkaufte Soft- „Erledigt“ – das ist mehr als „erschöpft“. eis, eine Besonderheit in der Eislandschaft Im Ruhrpott sagt man: „Ich bin alle!“ Kein Unnas damals mit den „Dolomiten“ an der Wunder bei den Strapazen einer solchen Bahnhofstraße und den Gebrüdern Jokisch Reise. weiter oben in der Stadt. Zwei Tage vor ihrem Tod arbeitete die Nun bekam Bäckermeister Heinz Cramer 96jährige Monarchin noch – die Welt sah 1965 den Auftrag, für Ihre Majestät Früh- es mit Bewunderung. Ihr Amt sei ein Kno- stücksbrötchen zu backen. Der HA berich- chenjob gewesen – sagte man offen. Aber tete ausführlich über die Übergabe der 200 Unna hat ihr einst eine Erholungspause ge- „Queens-Brötchen“, die fortan im Sorti- schenkt. ment der Bäckerei eine Starrolle innehat- Fotos: wikipedia.de ten. Heinz Cramer konnte einen Blick in
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Lokales 8 Bockwurst mit Brötchen für die Queen Eine unvergessliche Begegnung mit Königin Elisabeth von England - Gastbeitrag von Jürgen Sprave - Der Tod der englischen Königin Elisabeth gerne begrüßt, aber diese ließ sich zum am 8. September dieses Jahres gibt Anlass, großen Bedauern nur kurz blicken. Doch auf ein besonderes Ereignis in unserer Nä- der Dorflehrer Otto Schröder gab so he zurückzublicken. schnell nicht auf. Am frühen Morgen stellte Im Mai 1965 weilte die Monarchin auf ei- er sich mit seiner Schulklasse am Bahnhof nem Staatsbesuch in Deutschland, in des- auf und brachte der Königin mit dem Lied sen Rahmen sie auch einer in Soest statio- „Die Morgenfrühe ist unsere Zeit“ ein Ständchen. Nach vier Strophen riefen die Kin- der: „Wir grüßen Ihre Majestät, wir grüßen Ihre Majestät!“ Zunächst ge- schah nichts, doch dann, so wird erzählt, sei ein Begleiter der Queen aus- gestiegen und habe den Chor darauf hingewie- sen, dass es richtig „Eure Majestät“ heiße. Nach- dem die Kinder ihren Gruß noch einmal in richtiger Form laut skan- diert hätten, habe sich Elisabeth an einem Fens- ter des Zuges tatsächlich sehen lassen und sogar nierten britischen Truppeneinheit einen gewunken. Auch wenn die Ortsbevöl- Besuch abstatten wollte. Auf dem Weg kerung die berühmte Reisende kaum dorthin verbrachte sie die Nacht vom 25. zu Gesicht be- auf den 26. Mai in ihrem Sonderzug auf kam, orderten ihre einem Gleis des seit 1962 still gelegten Bediensteten im Bahnhofs Bönen-Lenningsen, der an der Dorfgasthaus zum Eisenbahnstrecke von Dortmund über Wel- Abendessen Bock- ver nach Soest lag. Das Bahnhofsgebäude wurst mit Brötchen besteht heute noch. Um 21.09 Uhr traf der und zum Früh- Zug samt ihrem illustren Fahrgast ein und stück bei einem am darauffolgenden Morgen um 9.35 Uhr Bäcker in Unna fuhr er Richtung Soest weiter. Das war na- frische Brötchen, türlich ein Riesenereignis für die Dorfbe- die eigens für sie wohner. Sie hätten die Königin mit aller gebacken wurden. Hochachtung und in aller Form liebend Deshalb hing im
9 Lokales Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt Schaufenster der Bäckerei noch eine Zeit mit der Königin in Lenningsen, obwohl lang das Schild mit der Aufschrift „König- man dort längst weitere Vorkehrungen für liche Hofbäckerei“. einen angemessenen Empfang getroffen Fünfzig Jahre später, also 2015: Wieder hatte. So hatte man an der Front des Bahn- weilte Elisabeth auf einem Staatsbesuch in hofgebäudes ein blau-weiß-rotes Banner Deutschland. Zu dieser Zeit – es sind die angebracht mit der Aufschrift: „50th visita- Tage vom 22. bis zum 25. Mai – feierte der tion aniversary of Her majesty Queen Eli- Schützenverein Bramey-Lenningsen-Flie- sabeth II. – 25.05.1965 The Queen was he- rich das Schützenfest mit Königsschießen – re. 25.05.2015 The Queen is back.“ Das genau 50 Jahre nach dem Besuch der engli- Bahnhofsschild „Bahnhof Lenningsen“ än- schen Königin im Dorf. Also war der Tag derte man in „Bahnhof Elisabeth-Ruh“. eines Goldjubiläums gekommen. Ausge- Außerdem legte man am Bahnhof einen rechnet in diesen Tagen weilte die Queen Rosengarten mit sog. „Elisabeth-Rosen“ erneut auf einem Staatsbesuch in Deutsch- an. Schließlich plante man einen Hofball land. So schickte der Schützenverein ein mit eleganter Damenrobe „in Lang“ und Einladungsschreiben an den Buckingham das Tragen von Bärenfellmützen im Schüt- Palace und an den damaligen Bundespräsi- zenumzug durch das Dorf. Alles vergeb- denten Joachim Gauck. Der Königshof lich. zeigte sich erfreut und geehrt, man bedank- Dennoch: Der Besuch der Queen of England te sich höflich und sagte eine wohlwollen- ist bis heute in Lenningsen unvergessen. de Prüfung der Einladung zu. Natürlich Fotos: Franz Wiemann, Ulla Lönne-Wiemann kam es nicht zu einer zweiten Begegnung Hätten Sie es gewusst? Natron statt Backpulver - von Benigna Blaß - Hätten Sie gewusst, dass man zum Backen statt Backpulver Natron neh- men kann? Es ist viel ergiebiger. Statt 2 Teelöffel Backpulver nur 1 Teelöffel Natron. Für die Weihnachtsbäckerei eignet es sich besonders. Nur eines muss man beachten: Etwas Säure soll dazugegeben werden: einen kleinen Schuss Zitronensaft. Foto: Benigna Blaß
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Geschichte 10 Karl der Große und der Königshof in Unna - von Klaus Thorwarth - Schon vor 2000 Jahren existierte in unseren tenhellweg – Ostenhellweg bis zum Masse- Breiten ein langer Handelsweg vom Westen ner Hellweg. Dann verlieren sich die Spuren in den Osten, von Brügge bis nach Nov- des Namens bis zur Wiederaufnahme am gorod. Uelzener Hellweg und weiter in östlicher Ein nicht unbedeutender Teil dieser Strecke Richtung. In Unna wurde er stattdessen zur ist unser westfälischer Hellweg, ein heller Hansastrasse und Victoriastrasse. Weg, der durch lichtes Gelände und nicht Ein Nachteil für Unna war, dass der Hell- durch finsteren Urwald führte. weg nicht durch die Ansiedlung verlief wie Er wurde um 800 zur „Heerstrasse“ für die in Soest und in Dortmund. So fehlten die Truppen des Frankenkönigs Karl I. ausge- wichtigen Wegezölle. Der ursprüngliche baut, den man später „den Großen“ nannte. Hellweg führte nördlich an Unna vorbei. Es Dadurch sicherte sich der christliche König gab aber von Massen her einen Zuweg bis einen Anmarschweg in einem 30-jährigen zu einem 6. Stadttor, dem Reckerdingstor, Krieg gegen die heidnischen Sachsen. End- das später verschwand. punkt des Heerzuges war 772 die Eroberung Die von dort zum Markt führende Straße der Eresburg und die Zerstörung der Irmin- hieß 421 Jahre lang, von 1526 bis 1947, sul, eines Heiligtums der Sachsen. „Königstrasse“. 14 Generationen hielten al- Zwischen 775 und 804 führte der König so die Erinnerung an den Frankenkönig mindestens 11 Heerzüge über die Hellweg- wach. Noch vor wenigen Jahren trafen Strecke. Am Ende der Tagesmärsche sich die alten Anwohner stolz unter wurde von den Franken alle 14 bis dem Titel W ir Königssträsser. 18 km eine Etappenstation ange- 1949 mussten dann alle „belas- legt, ein sogenannter „Königs- teten Namen“ auf Veranlas- hof“, häufig auch „Pfalz“ ge- sung der Besatzungs-Behörden nannt. Diese dienten dem sicheren geändert werden. Im Zuge der Schutz und boten Unterbringung Entnazifizierung betraf das auch und Verpflegung. In Unna gilt die Königstrasse. dieser Bereich als Ort der ers- Östlich vom Unnaer Markt zo- ten Ansiedlung. gen die fränkischen Truppen Ich empfehle gern unser weiter an den sicheren, Hellweg-Museum: Im Ein- hoch gelegenen Platz über gang ist die Marschroute dem Wasser des Borne- mit den Etappen-Orten kamp-Baches. Dort er- anschaulich dargestellt richteten sie ihren „Kö- und kommentiert: von nigshof“. Das Gelände Duisburg am Rhein heißt heute „Krumm- über Essen – Bochum fuß“. Hier befindet sich – Dortmund – Unna – ein Modell der Stadt Werl – Erwitte – Ge- um 1860, gestiftet von seke – bis Paderborn. den Rotariern. In der Die Straßenbezeich- Nähe entstand vermut- nung Hellweg ist uns lich auch eine erste pri- nicht nur aus Dort- mitive Kirche, um diese mund bekannt: Wes- herum für 1000 Jahre
11 Geschichte Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt der Friedhof der Unna- er Bürger. Leider hat man bei späteren Baumaßnah- men nie kritisch nach Spuren im Boden ge- sucht. Schade! Vom „Königshof“ zogen die fränkischen Truppen weiter in nordöstlicher Richtung zum eigentli- chen Hellweg. Diese Zuwegung hieß seit 1878 Hellwegstraße, seit 1908 Hellweg, da sie zum eigentlichen Hellweg führte. Heute kann man etwa 40 Namen finden, die Seit vielen, vielen Jahren mit dem Hellweg zu tun haben. Ein Beispiel ist Unna wohlbekannt, ist der „Hellweger Anzeiger“. Ein Vergleich weil Unna nah am Haarstrang zeigt, dass in Unna der Name so häufig ver- und fast am Hellweg stand, wendet wird wie in keiner anderen Ort- Ja, schon zu ew‘gen Zeiten, schaft am Hellweg! Zum Schluss eine Stro- zieh‘n Händler durch das Land phe aus dem Lied vom „Unnaer Wind“. Es und mancher Kaiser auch schon ist das beliebteste Lied bei den kleinen Kon- diesen Weg noch fand. zerten der Volksmusikanten des SGV und Foto: Klaus Thorwarth; Karte: Westfälische Salzroute Heimatvereins. Hellweg, Helmut Papenberg Und hier für Geschichts-Interessierte ein viel- leicht wichtiger Hinweis: Das städtische Mu- seum in Obermarsberg zeigt noch bis zum 18. Dezember 2022 eine Ausstellung über Karl den Großen und seinen Feldzug gegen die heidnischen Sachsen. Es wird dort die Einnahme der Eresburg und die damit einher- gehende Zerstörung der Irminsul, ein wich- tiges heidnisches Symbol der Sachsen, the- matisiert. Man braucht nur die Website www.Museum-der-Stadt-Marsberg.de anzu- klicken, und viel Wissenswertes dürfte dort auch noch nach Schließung der Ausstellung nachzulesen sein.
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Historie 12 Wie kommt die Apfelsine auf den Weihnachtsteller? - von Franz Wiemann - Es weihnachtet sehr in unseren Breiten. Viel- rie als sehr hilfreich. Großen Schautafeln leicht erscheint uns die Stimmung in diesem konnte man vor Ort entnehmen, dass mit Be- Jahr ein wenig getrübt. Es sind nicht allein ginn der Barockzeit ein neuer baulicher Mo- die Zwänge zur Energieeinsparung, die bei detrend entstanden war. Die Bauherren neu- uns die sonst üppig erstrahlenden Lichterket- er Schlösser, in der Mehrheit Landesfürsten ten etwas verblassen lassen. Auch werden die und reiche Adelsfamilien, legten großen Wunschlisten der Kinder nicht ganz so reich- Wert darauf, ihrem Besitz eine Orangerie lich ausfallen, denke ich mir. hinzufügen zu können. Schließlich konnte Wie haben es da, so frage ich mich aber, in man mit solch einem Gebäude ganz gehörig den 50er und 60er Jahren meine Eltern im- sein Prestige aufpolieren. mer wieder geschafft, unsere Weihnachts- Orangerien wurden zu attraktiven Orten der wünsche zu erfüllen? Eigentlich gab es ja Begegnung und des Gedankenaustausches herzlich wenig: Es mangelte an Allem. Und unter Gleichgesinnten. Dort ließ sich vor- doch erinnere ich mich daran, dass meine trefflich philosophieren über die Auswirkun- Mutter Wert darauf legte, jedem der sechs gen der Renaissance und damit über das Kinder zusätzlich zu der Handvoll Süßigkei- Wiederaufleben antiker Vorstellungen vom ten noch eine Apfelsine auf den Weihnachts- „ewigen Leben“. Die Rückerinnerung an das teller zu legen. „Ihr braucht die Vitamine, sogenannte „Goldene Zeitalter“ in der Anti- Kinder“, teilte sie uns ganz lapidar mit. ke kam einer Verinnerlichung paradiesischer Dass A scorbinsäure – bei uns eher als Vita- Zustände gleich. Und immer eng verbunden min C bekannt – dem Körper guttut, weiß inzwischen wohl jedes Kind. Sie beugt Er- kältungen vor. Allen Zitrusfrüchten ist zu eigen, dass die hoch konzentrierte Säure den Stoffwechselprozess in unserem Körper we- sentlich mit reguliert, weiß die Wissenschaft. Den Konsumenten war die so positive Wir- kung bei ihrem Verzehr ursprünglich wohl gar nicht so bewusst. Dass die klimatischen Bedingungen ihr Wachstum in unseren Brei- tengraden gar nicht erst zulassen, verzögerte diese Erkenntnis ganz erheblich. Welchem Umstand aber ist es zu verdanken, dass die einmal als „China-Apfel“ bekannt gewordene Frucht, auf holländisch Sinaasap- pel, bei uns später dann doch ihren Sieges- zug antreten konnte? Aufschlussreich in dieser Hinsicht war eine Reise nach Sachsen-Anhalt. Die sehr sehens- werten Parkanlagen von Wörlitz, genauer bekannt als „Gartenreich Dessau-Wörlitz“, waren eins unserer Ziele. Dabei erwies sich für mich die Besichtigung des Schlosses von Oranienbaum mit der dazugehörigen Orange-
13 Historie Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt damit war die Zitrusfrucht. Man bezeichnete ren Zitrone erkannt. Sie benutzten sie als sie auch als „Goldener Apfel“. Aphrodisiakum, aber auch als Heilmittel. Orangerien standen im 17. und 18. Jahrhun- Und später in der Antike hatte die Zitrus- dert vornehmlich als Synonym für die frucht bei den Griechen und Römern große „Sammlung von exotischen, nicht winterfes- Symbolkraft. Fanden doch ihre Essenzen und ten Gewächsen“, so bei Wikipedia nachzule- Aromen Eingang in zahlreiche Kochrezepte, sen. Als eine Art Vorläufer unserer heutigen in Tinkturen und Gesundheitscremes. Gewächshäuser dienten sie der Aufbewah- Das änderte sich erst in der Zeit der Renais- rung diverser exotischer Bäume und Früchte. sance. Mit dem Bekanntwerden auch der Zum Schutz vor winterlicher Kälte fand dort, süßlich schmeckenden Frucht, der ‚Citrus von der Ananas bis zur Zitrusfrucht, alles cinensis‘, durch Importe arabischer Kaufleu- seinen Platz. Ab dem 18. Jahrhundert wurde te nach Sizilien – das war im Jahr 1450 – war es üblich, diesen Begriff auch auf Gebäude auch im Norden eine neue Begehrlichkeit zu übertragen, in denen fürstliche Samm- entstanden. Ihren wahren Siegeszug trat die lungen untergebracht waren. Ein Besuch Apfelsine, der „China-Apfel“, allerdings erst des Wasserschlosses Nordkirchen, auch als Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts an mit „Versailles von Westfalen“ bekannt, kann dem gestiegenen Welthandel, dem so ge- einen schnell darin bestätigen. nannten Kolonialwarenhandel. Doch zurück zur Entstehungsgeschichte des Es waren vor allen Dingen holländische Ortes Oranienbaum. Kaufleute, die sie neben Kaffee, Kakao und Zunächst war dies nur einer Heirat zu ver- Tabak vermehrt über die Seehäfen Antwer- danken. Im Zuge seiner Vermählung mit der pen, Rotterdam und Hamburg einführten. holländische Prinzessin Henriette Catharina Der Mythos vom späteren „Weihnachts- von Oranien (1637–1708) vermachte Fürst apfel“ war geboren. Johann Georg II. von Anhalt-Dessau im Jahr Als die ersten Sendungen von Orangen im 1659 den Ort Nischwitz seiner Angetrauten Jahr 1856 im Hamburger Hafen eintrafen, zum Hochzeitsgeschenk. Der Ort musste hätten sie zunächst noch wenig appetitlich weichen, die ortsansässigen Leibeigenen, ausgesehen. So wusste die Zeitung „Die überwiegend Landarbeiter und kleine Hand- Welt“ in ihrer Weihnachtsausgabe vom werker, wurden zwangsweise umgesiedelt. 23.12.2009 zu berichten. Erst den für Über- Auf fürstlichem Grund entstand somit Platz seetransporte entwickelten Apfelsinenkisten für eine neue Kleinstadt samt Schloss und sei es zu verdanken gewesen, dass sich das Orangerie. Letztere galt für viele Jahre als besserte. Zusätzlich noch in hübschem Papier die größte und modernste ihrer Art in Mittel- eingewickelt, waren sie jetzt besser geschützt europa. Das zog viele fürstliche Besucher an. vor Kontamination und Schimmelbildung. In Bemerkt sei noch, dass in dem Ortsnamen den Jahren 1898 und 1899 hat sich ihr Im- von Oranienbaum der niederländische Be- portanteil in Deutschland mehr als verdop- griff Oranien einbezogen ist. Er drückt den pelt. Die ersten Früchte verzierten zur Jahr- Bezug zur hessischen Linie des holländi- hundertwende unsere Gabentische. Inzwi- schen Königshauses Nassau-Oranien aus. schen war Sizilien, das Land „… wo die Zit- Kurzum: Der Name schien Programm zu ronen blüh‘n“, zu einem beliebten Reiseland sein. Denn schon bald setzte vor Ort, ange- geworden. regt von der holländischen Prinzessin, die Von all dem hat der kleine Junge nichts ge- Züchtung und Kultivierung von Zitrusfrüch- wusst. Aber er weiß heute noch, wie gut die ten ein. Bis dahin war in Europa allerdings Apfelsine vom Weihnachtsteller geschmeckt nur die herb schmeckende Zitrusfrucht hat. ‚Citrus auratium‘ verbreitet. Schon die ägyp- Foto: knipseline/pixelio.de, Franz Wiemann tischen Pharaonen hätten den Wert der bitte-
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Familie 14 Barry - von Anne Nühm - Nach mehreren Jahren der russischen ihm, Barry zu greifen und an das sichere Kriegsgefangenschaft war es endlich so- Ufer zu holen. weit. Er hatte überlebt und konnte in die Mit diesem Erlebnis war der Bann gebro- Heimat zurück. Die Eltern hatten ihn zwar chen. Zwischen Mensch und Tier entstand im Krankenhaus besucht und ihren eigenen eine tiefe Verbundenheit. Sohn fast nicht wiedererkannt. So sehr hat- Der Arbeitsmarkt in Norddeutschland war te ihn die Zeit im Lager gezeichnet. Aber zur damaligen Zeit überlaufen. Um eine jetzt war er wieder stabil und konnte nach Familie zu gründen, war der ehemalige Hause. Soldat gezwungen, über die Landesgrenzen In der Pulverstraße im Vorort von Ham- hinaus Arbeit zu suchen. Das brachte ihn burg wusste niemand von seiner Entlassung und seine Frau nach Dortmund. Für Barry aus der Klinik. Dort hatte sich einiges geändert. Zum Beispiel hatte der Vater ei- nen neuen Wachhund ge- kauft. Er lag auf der Straße und nahm seine Aufgabe sehr ernst. Den Sohn kannte er nicht und schätzte ihn als Fremdling ein. Dementspre- chend wurde er angeknurrt und verbellt. Darauf wurde die Familie aufmerksam und konnte den Sohn endlich in die Arme schließen. Barry, der Schäferhund, hatte das bisher unbekannte Familien- mitglied von da an zu ak- zeptieren. Mit der Zeit ließ er es zu und konnte zumin- dest Gassi geführt werden. An einem kalten Wintertag entschied sich gab es dort aber keine Zukunft. So wurden der Sohn, die Runde an der Elbe entlang zu die beiden Freunde getrennt. Den damit gehen. Am Rand des Flusses hatte sich eine verbundenen Trennungsschmerz hat Barry Eisschicht gebildet, die von Barry unter- nicht verkraftet und ist vor Sehnsucht nach schätzt wurde. Er sprang darauf, brach ein kurzer Zeit verstorben. Im Ruhrgebiet hat und geriet unter die Eisschicht. Sein neues der junge Mann eine Familie gegründet, Herrchen erkannte sofort die Situation und Arbeit und eine neue Existenz gefunden, wusste, dass das Tier Hilfe brauchte. Des- darüber hinaus aber nie wieder einen so tie- halb zog er die Schuhe aus, bat seine rischen Freund wie Barry. Freundin, die er im Krankenhaus kennen- Foto: Dirk Müller/pixelio.de gelernt hatte, seine Beine zu fassen. Er kroch unter die Eisfläche. So gelang es
15 Literatur Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt Der Winter ist ein rechter Mann - eingeleitet von Franz Wiemann - Passend zum bevorstehenden Kälteein- hundert an, wie zum Beispiel „Der Win- bruch wollen wir Ihnen dieses Winterge- ter ist ein scharfer Gast“. In ironischer dicht in Erinnerung rufen. Es geht zu- Form wird hier der Winter personifiziert. rück auf Matthias Claudius, der es im Wir sind allenfalls stille Beobachter, Jahr 1782 unter dem Titel „Hinter dem wohlwissend, dass der Frühling ganz be- Ofen zu singen“ veröffentlicht hat. Clau- stimmt zurückkehren wird. dius knüpft mit diesem Gedicht an be- Alle acht Strophen drucken wir Ihnen ab: kannte Winterlieder aus dem 16. Jahr- Die Ironie spüren Sie als Leser selbst. Der Winter ist ein rechter Mann, Sein Schloss von Eis liegt ganz hinaus kernfest und auf die Dauer. beim Nordpol an dem Strande; Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an, doch hat er auch ein Sommerhaus und scheut nicht süß und sauer. im lieben Schweizerlande. War je ein Mann gesund, ist er‘s; Da ist er denn bald dort, bald hier, er krankt und kränkelt nimmer, gut‘ Regiment zu führen. weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs Und wenn er durchzieht, stehen wir und schläft im kalten Zimmer. und seh‘n ihn an … und frieren. Er zieht sein Hemd im Freien an, Matthias Claudius und läßt‘s vorher nicht wärmen; und spottet über Fluß im Zahn und Kolik in Gedärmen. Aus Blumen und aus Vogelsang weiß er sich nichts zu machen; hasst warmen Drang und warmen Klang und alle warmen Sachen. Doch wenn die Füchse bellen sehr, wenn‘s Holz im Ofen knittert, und um den Ofen Knecht und Herr die Hände reibt und zittert, Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht und Teich und Seen krachen: Das klingt ihm gut, das hasst er nicht, dann will er tot sich lachen. Foto: Daniela, Debra Ernst/pixelio.de
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Erzählung 16 „Ich heiße Langohr!“ - Gastbeitrag von Erhard Kayser - „Ich muss schnell einen Esel haben!“ Jo- diesem Weg einfach einsam, weil ich nie- scheew schien sehr nervös zu sein. Er hatte manden habe, der sich mit mir unterhält. seine Geldbörse in der Hand. „Du weißt ja, Dies ist eine sehr langweilige Reise!“ es ist wegen Herodes!“ Als er das sagte, Gott hörte natürlich ihr Klagen, und er gab blickte er sich mehrmals um, um sicher zu dem Esel sofort eine Stimme. Als besonders gehen, dass niemand ihn gehört hatte. weises Tier fing der Esel zu sprechen an, Nathan sagte: „Ich habe nur einen sehr alten indem er das Nächstliegende sofort sagte. Esel. Aber er ist durch viele seiner Reisen Dann aber leitete er schnell auf das Wichtige sehr weise geworden, kennt viele Wege und über. Er sprach über die lange Reise, die wird deine Frau und das kleine Kind gut tra- weiter zu schaffenden Kilometer und das an- gen können.“ „Auch einen langen und müh- gestrebte Ziel. samen Weg?“, fragte Joscheew. „Was nützt Er sagte: „Mein Name ist ‚Langohr‘. Ich mir ein weises Tier? Es kommt nur darauf trage das Jesus-Kind und seine Mutter Mir- an, dass es unterwegs nicht müde wird und jam nach Ägypten. Den Weg kenne ich seine Last erst dann ablegt, wenn es Abend schon, in den Vorjahren war ich schon ein- wird und wir rasten wollen.“ mal hier. Wir haben jetzt den Sinai hinter Ohne weiteres Handeln zahlte Joscheew den uns und kommen zur heiligen Stadt On. Sie Preis für den Esel. Es war einfach keine Zeit heißt auch Heliopolis, weil hier der Tempel mehr zu verlieren. – Der Käufer hatte eine für den mächtigen Sonnengott Re steht!“ solche Eile, dass Nathan ihm nicht einmal den Namen des Grautieres mitteilen konnte! Joscheew zog also los, und es dauerte viele, viele Wochen, bis sie endlich ihr Ziel, das Ufer des Nils, erreicht hatten. Vorne ging Joscheew mit dem Wan- derstab, der Provianttasche und dem Wasserschlauch. Den Esel führte er an der Leine hinter sich her. Tagsüber wanderten sie, und in der Nacht versuchten sie, unter dem gewölbten Sternen- himmel zu schlafen. An einem Morgen sagte Mirjam: „Unser Esel hat keinen Namen. Ich wer- de ihn ,Langohr‘ nennen!“ Als sie das Sinai-Gebirge er- reicht hatten, wurde Mirjam missmutig. Sie sagte zu Jo- scheew: „Du bist ja ein Mann, der sehr wenig redet. Unser Kind kann noch nicht richtig sprechen. Ich fühle mich auf
17 Erzählung Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt Als sie unter Führung des Esels nach On und Schein gewesen, und das Jesus-Kind kamen, verhüllte sich die Sonne vor Scham, hatte diese Macht entlarvt. weil sie jetzt, wo Jesus da war, einer stärke- Der weitere Weg der kleinen Gruppe führte ren Macht begegnete. Als sie das endlich zur römischen Festung „Babylon“ am Ufer anerkannt hatte, bemühte sie sich, den Weg des Nils. Hier lebten die Legionäre aus der Wanderer gut zu bescheinen. Rom, der größten Stadt der Welt. Sie lebten Nachdem sie On hinter sich gelassen hatten, direkt in der Festung. Joscheew bekam bei meldete sich der weise Esel wieder zu Wort: den Römern sofort eine Anstellung. Er war „Ich war schon einmal als Tourist hier. Des- nämlich von Beruf Zimmermann und konn- wegen gebe ich einen guten Rat: „Besucht te für die Römer Türen und Fenster zim- auch die Pyramiden hier in der Nähe. Sie mern, damit sie es in der Festung gemütli- sind nur etwa 30 Kilometer entfernt. Sie cher hatten. Als Arbeiter war er sehr beliebt. Er sprach nicht viel, aber er war im- mer pünktlich und fleißig, und die römischen Befehlshaber konnten sich auf ihn verlassen. Im Lauf der Zeit – aus dem Wi- ckelkind Jesus war inzwischen ein Kind von sechs Jahren geworden – machte Jesus sich neue Freunde. Er besorgte sich einen riesigen Strauß roter Rosen, die an bestimmter Stelle am Nil wuchsen, und über- reichte sie einzeln den Frauen der römischen Soldaten. Sie staunten zeugen von der Macht der Pharaonen und nicht schlecht und freuten sich sehr. Was sie von der Macht der alles bescheinenden Son- aber nicht wussten war: Jesus wollte mit ne. Sie sind so gebaut, dass ein weißer diesen Blumen sagen: Wer eine Blume hält, Kalksteinmantel sie einhüllt, von der Spitze der kann keine Waffe halten. Gott, der die bis zur Basis. Der Mantel wurde angelegt, Blumen wachsen lässt, ist gegen Krieg und damit die Macht, die von dem Gebäude aus- Vernichtung auf allen Seiten. geht, weit und hell in das Land hinein strah- Dann kam der Tag, als die kleine Reise- len kann.“ gruppe wieder den Heimweg ins Land Pa- Kurze Zeit später kamen sie tatsächlich zu lästina und nach Nazareth nahm. Wie ge- den Pyramiden. Wie der weise Esel erklärt wohnt, führte sie der weise Esel. Er sagte: hatte, die Pyramiden standen hell glänzend „Jesus ist hier im Land Ägypten außeror- im Sonnenlicht. Da erhob sich wunderbarer- dentlich beliebt. Seine Blumen haben je- weise das Jesuskind auf seinem Esel und dem, der sie bekam, eine große Freude ge- ließ sich an die Pyramiden heranführen. Es macht. Ich vermute, dass hier eines Tages – streckte nur seinen kleinen Arm aus, berühr- in nicht allzu ferner Zeit – Gedenkhäuser te die Kalksteinplatten, und es begann zu für dieses besondere Kind gebaut werden!“ rumpeln und zu krachen. Von der Spitze an Darüber wunderte sich Mirjam sehr. Aber lösten sich die herrlichen Kalksteinplatten was der Esel bisher geäußert hatte, war sehr und fielen alle nacheinander auf den Boden. klug und überzeugend gewesen. Warum Die vormals strahlende Pyramide war nun auch nicht dies. nicht mehr schön. Ihre Macht war nur Trug Fotos: Erhard Kayser
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Liedgut 18 O du fröhliche, o du selige - nacherzählt von Klaus Thorwarth - Alle Jahre wieder sind zu Weihnachten die erkrankten auf das Schwerste. Die Hungers- Kirchen gefüllt, wie sonst nie im Jahr. Und not der Kinder, die an alle Türen der Stadt zum Schluss erheben sich alle und stimmen klopfte, war unerträglich. Da entschlossen lautstark ein in die drei Strophen des Liedes sich die Eheleute, sich der verwahrlosten Kinder anzunehmen. Sie nahmen sie in ein O du fröhliche, o du selige, eigens gegründetes Heim auf und gaben gnadenbringende Weihnachtszeit. ihnen zu essen und zu trinken. Und somit Und eine wunderbare Ergriffenheit erfasst auch ein wenig Hoffnung. jeden. Kein anderes Lied kann ein Gefühl Eines Nachts, als Falk wieder einmal tief be- von Wärme und Festlichkeit so tief in jeden drückt allein durch die verschneiten Straßen Besucher hineintragen. ging, hörte er einen Kriegsgefangenen eine wunderbare Melodie pfeifen. Er erfuhr, dass Woher kommt dieses uns so ergreifende Lied? es ein sizilianisches Volkslied war, das ihn Bekannt ist, dass seine Melodie auf dem Ma- sehr berührte. Ganz langsam entstanden in rienlied O sanctissima beruht, das angeblich seinem Kopf die drei Strophen, die auch uns aus Sizilien stammt. Das uns heute so be- beim Weihnachtsgottesdienst immer so tief kannte Weihnachtslied entstand viele Jahre ergreifen. später im Jahr 1813. In der Zeit der Befrei- ungskriege hatten Seuchen furchtbar um sich Gut 200 Jahre später wurde mir bewusst, wie gegriffen. tief verankert diese Melodie in den Men- Der in Weimar lebende Legationsrat Johan- schen ist. Ich saß mit einem Unnaer Freun- nes Daniel Falk ging eines Abends tief nie- deskreis in einer italienischen Pizzeria und dergeschlagen allein durch die Straßen der wir stimmten leise dieses Lied an. Plötzlich Stadt. Denn vier seiner sechs Kinder waren wurden wir ganz still, als wir merkten, wie inzwischen den Krankheiten zum Opfer ge- unser italienischer Wirt Domenico auf die- fallen. Die Verzweiflung der Menschen war ses, sein Heimatlied, ganz betroffen und trau- grenzenlos, die Not der Bevölkerung unbe- rig reagierte. schreiblich. Auch er selbst und seine Frau Foto: Klaus Thorwarth
19 Literatur Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt Geht doch … Hund und Katze Miezel, eine schlaue Katze, Molly, ein begabter Hund, Wohnhaft an demselben Platze, Hassten sich aus Herzensgrund. Schon der Ausdruck ihrer Mienen, Bei gesträubter Haarfrisur, Zeigt es deutlich: Zwischen ihnen Ist von Liebe keine Spur. Oh, wie jämmerlich miauen Doch wenn Miezel in dem Baume, Die drei Kinderchen daheim. Wo sie meistens hin entwich, Molly eilt, sie zu beschauen, Friedlich dasitzt, wie im Träume, Und ihr Herz geht aus dem Leim. Dann ist Molly außer sich. Und sie trägt sie kurz entschlossen Beide lebten in der Scheune, Zu der eignen Lagerstatt, Die gefüllt mit frischem Heu. Wo sie nunmehr fünf Genossen Alle beide hatten Kleine, An der Brust zu Gaste hat. Molly zwei und Miezel drei. Mensch mit traurigem Gesichte, Einst zur Jagd ging Miezel wieder Sprich nicht nur von Leid und Streit. Auf das Feld. Da geht es bumm. Selbst in Brehms Naturgeschichte Der Herr Förster schoss sie nieder. Findet sich Barmherzigkeit. Ihre Lebenszeit ist um. Text: Wilhelm Busch; Foto: Reinhild Giese Buch-Gutschein - frei nach Eugen Roth - Ein Mensch, der manches Buch gern hätte, und darauf wag‘ ich jede Wette, ward stets von Freunden und Bekannten, sowie natürlich auch Verwandten, „umhäuft“ von Büchern ohne Zahl, die oft zu lesen eine Qual. Indes bekam er leider oft, nicht jenes Buch, das er erhofft ... Dem Menschen kann geholfen sein: ganz einfach – mit dem Buch-Gutschein! Zeichnung: Andrea Irslinger
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Lokales 20 Herbrecht und die Wechselfälschungen Der Prozess des früheren Bankiers Heinrich Herbrecht vor der Strafkammer in Dortmund - von Hans Borghoff - Heinrich Herbrecht stand wegen 111-facher luste gewesen sein. So habe er an Schulte Wechselfälschungen, sowie der Unterschla- Korten bei Welver 150.000 Mark, an gung in drei Fällen am 28. Oktober 1892 vor Röchling & Rentrop in Unna 250.000 Mark, Gericht. Es ging zuerst um die Summe von an den Unternehmer Goldhagen 120.000 800.00 Mark. Mark, an Krupp in Unna 70.000 Mark verlo- Im Jahr 1845 wurde Herbrecht in Unna ge- ren. boren, ging hier zur Schule, bevor er in Köln Seinem Schwager, Oberstabsarzt Dr. Kirch- drei Jahre lang den Beruf des Kaufmanns hoff, unterschlug Herbrecht zwei amerikani- erlernte. Anschließend fing er im Spediti- sche Eisenbahnbons zu je 1000 Dollar. Ei- onsgeschäft seines Vaters an. nen weiteren Wechsel über 7.123 Mark, ak- Nach dem Tod des Vaters, der das Spediti- zeptiert vom Gutsbesitzer Schulte-Kunp in onsgeschäft auf Bankgeschäfte erweitert Heeren. Einem Anderen hatte Herbrecht hatte, waren die Geschäfte auf die Witwe Staatsschuldscheine zu je 500 und 1000 übergegangen. Herbrecht arbeitete als Pro- Mark unterschlagen. Zahlreiche Unterneh- kurist mit dem Buchhalter Hertrich zusam- men in Unna kamen dadurch mehr oder we- men. Dieser war zuvor Steindrucker und Li- niger in wirtschaftliche Schwierigkeiten. thograph gewesen, was ihm bei den späreren Die Reichsbank in Unna habe 150.000 Mark Fälschungen zu Hilfe kam. Obwohl das Vermögen 600.000 Mark betrug, stand das Geschäft schwach da. Das Problem soll mit ausstehenden Zahlungen angefangen haben. Um das Problem zu lösen, nahmen sie sich längst verfal- lene und bezahlte Wechsel vor, bei welchen sie mittels Säure, dem sogenannten „Tin- tentod“, Datum und Summe löschten und mit frischen Da- ten sowie neuen Summen die alten Wechsel auf neu trimm- ten. Der Buchhalter Hertrich war dabei wohl so gut, dass es selbst in den Banken nicht auf- fiel. In den Wechselstuben hatte Herbrecht die falschen Wechsel mit „vacat“ vermerkt. Die Fälschungen sollen im Jahr 1885 angefangen haben. Grund dafür sollen große Ver-
21 Lokales Nr. 109 12.2022 Herbst-Blatt Hertrich sich am Abend des 12. November 1891 erschossen hatte. Herbrechts Verteidiger, Rechtsan- walt Kohn, gab sein Bestes. So wurden alle Vergehen als eine ein- heitliche Handlung angesehen. Zu- gute kam Herbrecht auch sein voll- umfängliches Geständnis. Das Urteil fiel folgendermaßen aus: Unter Anrechnung der Unter- suchungshaft von 6 Monaten: 3½ Jahre Gefängnis und 3 Jahre Ehrver- lust (existierte bis zur Strafrechtsre- form 1969). Minus gehabt, die aber durch hypotheka- Für die Herbrecht‘schen Grundstücke und risch eingetragene Kaution gedeckt waren. Gebäude wurden 312.000 Mark geboten. Verluste hatten dagegen die Sparkasse in Für das Haus an der Bahnhofstraße nebst Unna mit 60.000 Mark und die Reichsbank- Garten sowie für den Garten vor dem Was- stelle in Münster mit etwa 230.000 Mark. sertor wurden weitere 82.000 Mark geboten. Die Voruntersuchung war vom Amtsge- Die Gläubigerversammlung genehmigte die richtsrat Seidenstücker aus Unna vorgenom- Schlussverteilung. Von den berücksichtigten men worden. Forderungen konnten nur 31.700 Mark zur Aus dem Verkauf von Grundbesitz, einem Auszahlung kommen. Gutsverkauf, sowie Aktiva kam nur eine Nach der Sterbeurkunde im Stadtarchiv Un- kleine Summe zusammen. Die Gesamt- na verstarb Heinrich Herbrecht im Alter von schulden betrugen aber 910.014 Mark. Sein 69 Jahren 1915 ledig und kinderlos. Bruder und sein Schwager hatten alles ver- Quelle der Anzeige: Stadtarchiv Unna/Hellweger loren. Anzeiger und Bote 18.11.1891 Herbrecht war nach einer Reise, auf der er Foto: Stadtarchiv Unna, aus 140 Jahre Sparkasse in Unna, Bankhaus Herbrecht, Bahnhofstraße 40/Ecke Nordring Geld auftreiben wollte, verhaftet worden. Er stand allein vor Gericht, da sein Buchhalter Frohe Weihnachten und ein gesundes neues Jahr wünscht Ihnen die Redaktion! Foto: Franz Wiemann
Herbst-Blatt Nr. 109 12.2022 Gesundheit 22 Wie geht‘s? Wie kommt‘s? Erlebnisse mit einer Krücke - von Bärbel Beutner- Das Herbst-Blatt will seiner Leserschaft gerechten Wohnung, wegen des erhöhten Freude bereiten und Mut zusprechen. Alters- Toilettensitzes ... Und das alles bewirkt die erscheinungen, Krankheiten, Gebrechen je- unschuldige Krücke, die ein Nachbar aus der Art werden folglich ausgeschaltet. Wenn dem Sperrmüll gezogen hat … man aber durch die Fußgängerzone geht, Der schönste Dialog fand auf dem Wochen- sieht man viele von Krücken Gestützte wan- markt statt. Begegnung mit einer Bekannten. deln, und zahlreiche Rollatoren kommen ei- „Wie geht‘s?“ Antwort: „Das sieht man doch. nem entgegen. In der Fernsehzeitung steht Ich brauche immer noch eine Krücke! immer wieder, dass Arthrose eine echte („Gehhilfe“ wäre ein Volkskrankheit sei, gegen die gewisse Wun- vornehmeres Wort.) dermittel helfen. Weiterführende Fra- Wenn man selbst wegen Arthrose humpelt, ge: „Wie kommt‘s?“ sieht die Welt plötzlich anders aus. Alle We- „Arthrose im Knie!“ ge ziehen sich in die Länge, man muss abwä- Der medizinische gen, welchen Weg man überhaupt nimmt: Vortrag, der da- möglichst ohne Unebenheiten, ohne Straßen- raufhin folgte, war überquerungen wegen der Bordsteinhöhe, die überaus lehrreich. Ästhetik des Straßenpflasters oder sein histo- Den Auftakt bildete risches Profil – das alles hat längst seine Be- das eigene Rücken- deutung verloren. leiden. Ob es die Der Anblick der Krücke ruft bei den Passan- Wirbelsäule war, ten verschiedene Reaktionen hervor. Hilfsbe- habe man nicht reitschaft zeigt sich wohltuend, erst recht, genau feststellen wenn man freundlich darum bittet. Es kann können. Mit dem aber auch gute Ratschläge hageln, besonders Gelenkrheuma der von Leuten, die man nur flüchtig kennt. „Sie Cousine 2. Grades sollten besser einen Rollator nehmen! Meine ließ sich eine Verbindung zu der Arthrose im Mutter wollte auch keinen Rollator, bis sie Knie herstellen. Ein angeheirateter Onkel endlich einsah, wie bequem das ist!“ – musste mehrmals operiert werden, weil die „Sollten Sie nicht besser zwei Krücken neh- Schulter ... Als das Arthrose-Knie nicht mehr men? Dann können Sie sich doch besser ab- länger stehen wollte und um Beendigung des stützen! Wie? Sie können dann nichts tra- Gespräches gebeten wurde, gab es leichte gen? Ein Rucksack ist doch praktisch!“ – Verstimmung … „Hatten Sie eine Hüftoperation? Ach so, Wertvoll ist auch der Lernzuwachs an Volks- Arthrose im Knie! Das habe ich auch. Ich gut und Hausmitteln, den man durch so ein habe mir Spritzen ins Knie geben lassen! Soll Knie gewinnen kann. Umschläge mit Quark ich Ihnen die Telefonnummer von Dr. XY oder Kohlblättern werden öfter genannt. Ein geben? Man muss da allerdings ein Dreivier- Teilnehmer bei einer Tagung schwor auf ei- teljahr auf einen Termin warten!“ ne Salbe, die eigentlich für Pferde gedacht ist, Die Menschen sind rührend besorgt. Ein Be- aber allen großen Sportlern helfen würde. kannter rät zum Einzug in eine Seniorenresi- Krankheiten sind eben ein unerschöpfliches denz. „Da wohnt doch auch der 95jährige Dr. Thema. Menschen sind merkwürdige Wesen. Soundso! Da haben Sie doch Anschluss!“ Foto: pixabay.de Eine andere Dame rät zu einer behinderten-
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