PERSPEKTIVEN UND HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE LEHRERBILDUNG IN NRW
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Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Bildung Sonderheft April 2018 »PERSPEKTIVEN UND HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE LEHRERBILDUNG IN NRW« Tagungsdokumentation des NRW-Netzwerktreffens im Kontext der Qualitätsoffensive Lehrerbildung in Essen am 23. November 2017 www.schulministerium.nrw.de
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 INHALT Vorworte 3 Kompetenzorientierung 30 > Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und > Prof. Dr. Maik Walpuski, Dr. Andreas Seifert, Bildung NRW Prof. Dr. Johannes König > Prof. Dr. Isabell van Ackeren, Prorektorin für Studium und Lehre, Universität Duisburg-Essen MILeNa 33 > Ulrich Wehrhöfer, Abteilungsleiter »Lehreraus- > Dr. Bernadette Schorn, Dr. Christian Salinga, und -fortbildung« im Ministerium für Schule Alexandra Kwiecien, Prof. Dr. Heidrun Heinke und Bildung NRW Förderung des (wissenschaftlichen) Einleitung 6 Nachwuchses im Lehramt 36 > Dr. Julia Sacher, Dr. Julia Suckut, Professionsentwicklung in der Dr. Carolin Dempki, Dr. Lilian Streblow, Lehrerbildung 7 Prof. Dr. Martin Heinrich > Interview mit Prof. Dr. Julia Košinar Bilanz und Ausblick 38 Planungsmodelle für inklusiven > Prof. Dr. Stefan Rumann, Unterricht 13 Dr. Günther Wolfswinkler > Natascha Stahl-Morabito, Prof. Dr. Conny Melzer Kurzdarstellung der QLb-Projekte 40 Vielfalt und Inklusion in der in Nordrhein-Westfalen Lehrerausbildung 17 > Prof. Dr. Ulf Gebken, Doris Kluge-Schöpp, Roxanne Papenberg, Prof. Dr. Petra Scherer, Helena Sträter Das Berufskolleg 20 > Prof. Dr. Ursula Bylinski, Melanie Wiegelmann, Carolin Heere, Lutz Thelen Videos in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern 23 > Prof. Dr. Manfred Holodynski, Prof. Dr. Kornelia Möller, Prof. Dr. Johannes König Praxiserfahrung reflektieren 26 > Dr. Judith Schellenbach-Zell, Nadine Franken, Dr. Silvia Greiten, Felician Führer, Dr. Antje Wehner Reflektierte (Ausbildungs-)Praxis für »Reflektierte Praktikerinnen und Praktiker«? 28 > Prof. Dr. Martin Heinrich, Nicole Valdorf, Dr. Lilian Streblow 2
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, das Ziel der Fachtagung »Impulse 2017 – Perspektiven & Herausforderungen für die Lehrerbildung in Nordrhein- Westfalen« am 23. November 2017 war es unter anderem, die Zusammenarbeit zwischen der ersten universitären Phase der Lehrerausbildung und der zweiten Phase zu fördern. Denn nur wenn Hochschullehre und Schul- praxis systematisch miteinander verzahnt sind und sich ein »roter Faden« durch die Lehrerausbildung zieht, Ministerin Yvonne Gebauer können die zukünftigen Lehrkräfte gut auf die Heraus- forderungen in der Schule vorbereitet werden. tierte Verfahren und das Einwerben von Drittmitteln Die Qualität der Lehrerausbildung entscheidet mit über wurde die Lehrerbildung stärker in den Fokus der Hoch- die Zukunft des Unterrichts. Für die qualitative Wei- schulleitungen gerückt und die konzeptionelle Arbeit in terentwicklung der Lehrerbildung haben wir mit der diesem Bereich intensiviert. Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes (LABG) 2009 einen tiefgreifenden Umbau vorgenommen, der Wir wollen hier aber nicht stehen bleiben, sondern die sich nach meiner Wahrnehmung insgesamt sehr positiv Lehrerbildung weiterentwickeln. Dies wird aber nur auf die Lehrerbildung in Nordrhein-Westfalen auswirkt. in einem langfristig angelegten Prozess möglich sein Die Grundstrukturen der nordrhein-westfälischen und erfordert sorgfältige Vorarbeiten. Zunächst müssen Lehrerausbildung gelten nicht umsonst bundesweit als Fragen der Schulentwicklung geklärt sein, an denen Vorzeigemodell. sich die Lehrerausbildung ausrichten muss. Zudem ist in Fragen der Lehrerausbildung eine vorauslaufende eva- Am Beispiel des Praxissemesters zeigt sich besonders, luierende Einschätzung des IST-Standes erforderlich, die welche Chancen in der Kooperation der Universitäten uns der Bericht der Landesregierung an den Landtag im mit den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung Jahr 2020 bringen soll. Dieser wird gemeinsam mit den (ZfsL) liegen. Für eine gute Begleitung in der schul- Hochschulen und auch anderen Akteuren der Lehreraus- praktischen Phase des Studiums brauchen wir aber vor bildung erarbeitet werden und entsprechend unserer allem auch engagierte Schulen, die die Praktikantinnen Verpflichtung im LABG den Entwicklungsstand und die und Praktikanten gut aufnehmen. Für den personellen Qualität der Lehrerausbildung darstellen. Einsatz an den Schulen investiert Nordrhein-Westfalen laufend über 200 Lehrerstellen (Anrechnungsstunden). Die Arbeit an der Qualitätsentwicklung der Lehreraus- Die sich kontinuierlich intensivierende Kooperation bildung ist mir ein wichtiges Anliegen und auch das Ziel zwischen Hochschulen, ZfsL und Schulen leistet nicht dieser Publikation. zuletzt einen wertvollen Beitrag zur Sicherung der An- schlussfähigkeit zwischen der ersten und zweiten Phase Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich, dass sie mit der Lehrerausbildung. Ich danke im Besonderen auch dieser Tagungsdokumentation ihre Erkenntnisse vertie- den Schulen für ihre engagierte Unterstützung. fen und zu neuen Ideen inspiriert werden. Ich freue mich, dass die Bemühungen des Landes auch durch das bundesweite Programm »Qualitätsoffensive Ihre Lehrerbildung« von Bund und Ländern flankiert werden. Der Wettbewerb »Qualitätsoffensive Lehrerbildung« ist eine große Chance für die lehrerbildenden Universitäten in Nordrhein-Westfalen. Durch das wettbewerbsorien- Yvonne Gebauer 3
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 Sehr geehrte Leserinnen und Leser, über Ihr Interesse an der Lehrerbildung und an neuen Impulsen in diesem Bereich freue ich mich sehr! Wir erleben derzeit grundlegende gesellschaftliche Wandlungsprozesse. In diesen Zeiten werden besonders hohe Erwartungen an Schule und Lehrerbildung ge- richtet. Sie werden derzeit besonders durch zahlreiche Querschnittsthemen herausgefordert. Beispielhaft seien hier Inklusion, Flucht und Migration sowie Digitalisie- rung genannt. Prof. Dr. Isabell van Ackeren, Prorektorin für Studium und Lehre, Universität Duisburg-Essen Den Herausforderungen stellen sich alle lehrerbildenden Standorte im Land mit einem hohen professionalisieren- lich müssen wir nicht an allen Standorten das Rad neu den Anspruch, der zugleich angesichts des hohen Lehrer- erfinden: Welche standortübergreifenden Maßnahmen bedarfs und des Problems zahlreicher Seiteneinstiege sind denkbar, bei denen standortspezifische Expertise unter Druck geraten ist. arbeitsteilig eingebracht und voneinander gelernt werden kann? Wie können erprobte Modelle zugäng- Bei der Bearbeitung der Herausforderungen gibt es zu- lich gemacht werden? Wie können der Aufbau und die gleich einen gemeinsamen Rahmen, der vor allem durch redaktionelle Verwaltung eines gemeinsamen Material- das noch nicht sehr alte Lehrerausbildungsgesetz und das pools aussehen? Auf welche Weise können Innovationen Kerncurriuculum gesetzt ist. Zudem gibt es mit diesem der QLb systematisch in der zweiten Ausbildungsphase Rahmen in Nordrhein-Westfalen im bundesweiten Ver- Verwendung finden und wie können die Expertise und gleich auch besondere Strukturen, etwa bei der Ausgestal- Bedarfslage der zweiten Phase in Entwicklungsprozesse tung des Praxissemesters, das in Kooperation zwischen einbezogen werden? dem Ministerium für Schule und Bildung, den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung, den Schulen und Inklusion, reflektierte Praxiserfahrung, Videografie, Universitäten gemeinsam entwickelt und evaluations- Nachwuchsförderung und Kompetenzmessung sind, gestützt weiterentwickelt wurde. Dabei hat sich das wenn auch nicht ausschließlich, zentrale Themenfelder, Muster der gemeinsamen Verständigung auf Augenhöhe die im Rahmen der Veranstaltung bearbeitet wurden zwischen den lehrerbildenden Einrichtungen und dem und nun noch stärker standortübergreifend gedacht und Schulministerium in Nordrhein-Westfalen sehr bewährt. bearbeitet werden können. In der Lehrerbildung engagierte Akteure sind auch Ende Ich würde mich freuen, wenn Sie in diesem Heft Impulse 2017 in Essen zur »Impulse-Tagung« zusammengekom- für Ihren Blick auf und Ihre Tätigkeit in der Lehrerbil- men. Ein zentraler Rahmen war die Beteiligung einiger dung gewinnen können! lehrerbildender Standorte an der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLb). Ihre Innovationskraft sollte dabei gemeinsam und flächendeckend für unsere Schüle- Ihre rinnen und Schüler zwischen geförderten und nicht geförderten Hochschulen der QLb geteilt werden. So greifen gute Konzepte natürlich nicht nur im Kontext der Qualitätsoffensive. Isabell van Ackeren In Essen haben wir ausgelotet, wo und wie durch regionale Kooperationen Mehrwert entsteht. Schließ- 4
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, die aktuellen Herausforderungen und Aufgaben der Lehrerausbildung für die Bildungspolitik werden sein, für alle Schulformen eine moderne Unterrichts- und Schulentwicklung so zu gewährleisten, dass einerseits der Umgang mit Heterogenität im Sinne eines weiten Inklusionsbegriffes und andererseits auch das Lernen in der digitalen Welt optimal ermöglicht werden. Ulrich Wehrhöfer, Abteilungsleiter »Lehreraus- und -fortbildung« im Ministerium für Schule und Bildung NRW Mit der Verabschiedung der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ (2016) haben sich die Länder auf einen verbindlichen Rahmen für die für unsere Gesell- schaft wichtige Zukunftsfrage der „Digitalisierung“ Ausbildung ansehen. So haben sich mit Blick auf das geeinigt. Kenntnisse und Wissen für ein Lernen in der Praxissemester inzwischen nachhaltige Kooperations- digitalen Welt sind heute eine wichtige Bedingung für strukturen unter den Beteiligten, d.h. den Hochschul- eine erfolgreiche Schul- und Berufslaufbahn. Die Ent- lehrkräften, Seminarausbilderinnen und -ausbildern wicklung und das Erwerben der notwendigen Kompe- sowie Lehrkräften an den Schulen, entwickelt. Besonders tenzen für ein Leben in einer digitalen Welt betreffen herausstellen möchte ich die Entstehung der Fachver- alle Unterrichtsfächer. Bereits heute sind in den Bil- bünde, die die Schulpraxis in die Fächer bringen. Ich dungs- und Lehrplänen der Länder wichtige Referenzen würde es allerdings begrüßen, wenn die Bildungs- und für die bildungspolitischen Grundlagen des Lernens in Unterrichtsforschung neben den wichtigen empirischen der digitalen Welt festgehalten. Ergebnissen, die sie präsentiert, verstärkt auch konst- ruktive Vorschläge für die Schulpraxis, zum Beispiel für Im Hinblick auf den Vorbereitungsdienst stellt die Modelle eines besseren Unterrichts entwickelt. Diese Landesregierung den Zentren für schulpraktische Modelle sind dringender denn je. Lehrerausbildung für die Jahre 2017 bis 2019 rund 11 Mio. Euro zum Aufbau einer zukunftsfähigen digi- Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass diese talen Infrastruktur zur Verfügung. Somit werden für Publikation mit dazu beiträgt, die Lehrerausbildung qua- Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter beste litativ weiterzuentwickeln und die bisherigen gemein- Ausbildungsbedingungen für das Lernen in der Digita- samen Erfolge der Akteure sichtbarer zu machen. len Welt bereitgestellt. Flankierend zu diesem Vorhaben werden Seminarausbilderinnen und Seminarausbilder umfassend geschult. Qualifizierungen zum professio- nellen, lernförderlichen Einsatz von digitalen Medien und modernen Kommunikationstechnologien werden in enger Kooperation zwischen den Verantwortlichen in Ulrich Wehrhöfer der Lehrerausbildung und der Lehrefortbildung entwi- ckelt und umgesetzt. Was die Praxisphasen angeht, so ist das „Praxissemester“ in Nordrhein-Westfalen aus meiner Sicht eine Erfolgs- geschichte. Das zeigen unter anderem die Ergebnisse der ersten Evaluation des Praxissemesters aus dem Jahr 2016. Hier konnten wir feststellen, dass die Studierenden das Praxissemester als einen großen Gewinn in ihrer 5
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 EINLEITUNG Am 23. November 2017 fand in Essen die Netzwerkta- punkte lassen sich identifizieren, in denen sich die gung Impulse 2017 – Herausforderungen und Perspek- geförderten Hochschulen mit unterschiedlichen Akzent- tiven für die Lehrerbildung in NRW statt. Auf Einladung setzungen profilieren: Vielfalt und Inklusion, die Stär- des Ministeriums für Schule und Bildung NRW und der kung der Schulpraxis in der universitären Ausbildungs- Universität Duisburg-Essen versammelten sich Vertre- phase, unter anderem durch den vermehrten Einsatz terinnen und Vertreter aller nordrhein-westfälischen von Videografie, Nachwuchsförderung und Kompetenz- lehrerbildenden Universitäten, der Zentren für schul- messung. Diese Schwerpunkte prägten die Diskussion, praktische Lehrerausbildung und assoziierter Fachhoch- strukturierten die Workshop-Phase am 23. November schulen. Ergänzt wurde der Kreis durch Akteurinnen 2017 und gliedern diese Tagungsdokumentation. und Akteure aus dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft und dem Ministerium für Schule und Zu den zentralen Zielen der Veranstaltung zählten die Bildung. Insgesamt kamen damit mehr als 250 Gäste ins wechselseitige Einsichtnahme in die Zwischenstände Ruhrgebiet, um Herausforderungen der Lehrerbildung der Projekte, die Diskussion übergreifender Entwicklun- in Nordrhein-Westfalen zu diskutieren und den Aus- gen der nordrhein-westfälischen Lehrerbildung und die tausch zur Entwicklung von gemeinsamen Perspektiven Identifikation von Bereichen, in denen Kooperationen zu nutzen. Synergieeffekte versprechen. So stand der Vernetzungs- gedanke aller lehrerbildenden Standorte und der zwei- Der Zeitpunkt war kein zufälliger. Die Tagung fand statt ten Phase der Lehrerbildung im Fokus der Veranstaltung. zur Hälfte der ersten Förderphase der Qualitätsoffen- Entsprechend wurden die Workshops von mehr als einer sive Lehrerbildung – kurz QLb – einem gemeinsamen Hochschule, zum Teil auch in Kooperation mit Vertrete- Programm des Bundes und der Länder, das bis zu 500 rinnen und Vertretern der ZfsL, durchgeführt. Millionen Euro für die Stärkung und Entwicklung der Lehrerbildung bereitstellt. Zwischen 2015 und 2023 sol- Diese Sonderausgabe von Schule NRW soll nun Ihnen, len durch die Förderlinie nachhaltige und systematische liebe Leserinnen und Leser, Einblicke vermitteln, an Reformen entwickelt und umgesetzt werden (weitere welchem Punkt die Lehrerbildung, insbesondere das Informationen zum Programm unter Lehramtsstudium, in Nordrhein-Westfalen aktuell aus www.qualitaetsoffensive-lehrerbildung.de) Sicht der jeweiligen Autorinnen und Autoren steht, welche Innovationen geplant und umgesetzt werden Die QLb beschleunigt im hohen Maße die Ausbildungs- und welchen Herausforderungen es gemeinsam zu reform in Nordrhein-Westfalen. Vier Förderschwer- begegnen gilt. Alle Fotos (soweit nicht anders angegeben): Alexandra Roth 6
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 PROFESSIONSENTWICKLUNG IN DER LEHRERBILDUNG Interview mit Prof. Dr. Julia Košinár Welches Verständnis haben angehende Lehrpersonen Frau Košinár, Nordrhein-Westfalen hat in den vergan- von der eigenen Professionsentwicklung, wie begeg- gen Jahren die Praxisphasen in der universitären Ausbil- nen sie den Anforderungen der Berufspraxis und unter dung grundlegend geändert, 2009 wurde zum Beispiel welchen Voraussetzungen bewältigen sie diese? Diese das – gemeinsam mit den ZfsL verantworte – Praxisse- Kernfragen der Lehrerbildung stellte Frau Prof. Dr. Julia mester im Master geschaffen, 2016 dann das Eignungs- Košinár in den Mittelpunkt ihrer Keynote und hat diese und Orientierungspraktikum in der Studieneingangs- im Gespräch mit Günther Wolfswinkler und Nicola phase verpflichtend festgeschrieben. Worin sehen Sie Großebrahm, Mitarbeitende des Zentrums für Lehrer- zentrale Herausforderungen für diesen Praxiskanon? bildung der Universität Duisburg-Essen, erörtert. Sie Košinár: Beide Praktika eröffnen in ihrer Abfolge wichtige skizziert ein Spannungsfeld, in dem sie einerseits den Professionalisierungsmöglichkeiten. Studierende nehmen begrenzten Einfluss der Ausbildungsinstitutionen auf ein Lehramtsstudium mit bestimmten Bildern von Schule die Professionalisierungsprozesse von Studierenden so- und Unterricht auf. Dahinter liegen schulbiografisch wie Referendarinnen und Referendaren herausarbeitet. geprägte Überzeugungen und Vorstellungen vom Lehren Andererseits zeigt Frau Košinár, wie durch eine genaue und Lernen. Nicht alle diese Bilder sind der professionellen Analyse der verschiedenen Formen der Bearbeitung Entwicklung zuträglich. Ein Eignungs- und Orientierungs- von Anforderungen in der Schulpraxis entscheidende praktikum ist aus meiner Sicht unbedingt notwendig, um Entwicklungsimpulse gegeben werden können. Studierende an diese Bilder heranzuführen und beste- hende Vorstellungen mit ihnen auf einer allgemeinen Zur Person: Prof. Dr. Julia Ebene zu reflektieren und zu irritieren. Sonst besteht die Košinár folgte nach einer Gefahr, dass mitgebrachte Vorstellungen sich verfestigen mehrjährigen wissenschaftli- oder sogar verstärken können. Im Praxissemester und im chen Tätigkeit an der Universität Referendariat steigen die Anforderungen an die Studie- Bremen dem Ruf an die Pädago- renden und es besteht die Gefahr der unreflektierten Re- gische Hochschule der FH Nord- produktion mitgebrachter Überzeugungen. Gelingt es al- westschweiz und übernahm lerdings, diese Konzepte rechtzeitig zu irritieren, bietet ein Prof. Dr. Julia Košinár, damit die Leitung der Professur Langzeitpraktikum hervorragende Möglichkeiten für die Professorin für Professionsentwick- für Professionsentwicklung. Zu Professionalisierung: in den Rhythmus eines Schulhalb- lung, Fachhochschule ihren Arbeitsschwerpunkten jahres einzutauchen, die Verantwortungsbereiche einer Nordwestschweiz zählen die Leitung der Berufs- Lehrkraft auch außerhalb des Unterrichts kennenzulernen praktischen Studien im Institut und, besonders wichtig, Innovationen aus der Ausbildung Primarstufe, Professionalisie- in die Schule einzubringen und eigene Ideen auszuprobie- rungsforschung und -entwicklung sowie die Weiterbildung ren. Treten dann Krisen auf und werden Entwicklungspro- von Praxislehrpersonen (Mentorinnen und Mentoren). Frau zesse verhindert, müssen wir mit den Studierenden ihre Košinár nutzt qualitative Studien mit fallbasierten und Form der Anforderungsbearbeitung erörtern. längsschnittlichen Verfahren, um zentrale Anforderungs- bereiche angehender Lehrpersonen zu identifizieren, Typo- Sie haben darauf verwiesen, dass spezifische Formen logien der Anforderungsbearbeitung in der Schulpraxis zu der Anforderungsbearbeitung durch Studierende generieren und Professionalisierungsverläufe zu rekonstruie- problematisch für die Professionsentwicklung werden ren. Im Fokus stehen individuelle und kontextuelle Gelingens- können. Würden Sie uns zunächst etwas näher erläu- und Misslingensbedingungen der Professionalisierung. tern, was dies für Anforderungen sind? 7
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 Košinár: Gerne. Lassen Sie mich dazu das Entwicklungs- meine Aufgabe als zukünftige Lehrperson«. Ebenso aufgabenkonzept erläutern: Wir gehen davon aus, dass kann es sein, dass sich Studierende nicht zutrauen, eine es Bündel von Anforderungen gibt, die sich in verschie- Anforderung zu bewältigen. In dem Moment, in dem dene Kategorien von Entwicklungsaufgaben einordnen eine Anforderung nicht als relevant oder bewältigbar lassen. So unterscheiden Keller-Schneider und Hericks eingeschätzt wird, wird diese nicht bearbeitet – ein (2011) für den Berufseinstieg von Lehrpersonen die vier Entwicklungsprozess bleibt aus. Kategorien identitätsbildende Rollenfindung, anerken- nende Klassenführung, mitgestaltende Kooperation und In dem Schaubild markieren Sie diese Prozessstufe als adressatenbezogene Vermittlung. In einer Interview- »Widerstand«. studie konnten wir zeigen, dass diese Aufgabenkatego- Košinár: Ja. Unsere Studien zeigen, dass die Studieren- rien des Berufseinstiegs auch für Studierende Relevanz den mit einem entsprechenden Deutungsmuster in den besitzen. Zudem konnten wir noch eine fünfte Kategorie Widerstand gegen diese Entwicklungsaufgabe gehen. herausarbeiten, die wir »sich in Ausbildung befinden« Dies muss nicht einmal bewusst geschehen, es begegnet genannt haben. Dahinter verbergen sich Anforderungen, uns dann in Aussagen wie zum Beispiel »die Lehrperson die durch die Ausbildungssituation entstehen, wie zum hat in dieser Klasse bestimmte Regeln und Rituale, die Beispiel: ich werde bewertet, ich versuche, es richtig und überhaupt nicht zu mir passen und deswegen komme allen recht zu machen, ich muss sehr schnell Struktur ich mit der Klasse nicht zurecht«. Nach Hericks (2006) und Gegebenheiten einer fremden Klasse erfassen und müssen Entwicklungsaufgaben wahrgenommen oder versuchen, darauf adäquat zu reagieren. bearbeitet werden, damit es zu einer Progression von Kompetenz und zu einer Stabilisierung von beruflicher Mit diesen fünf allgemeinen Entwicklungsaufgaben wer- Identität kommt. Gehen Studierende in den Widerstand, den Studierende in Form von Anforderungen in konkre- bricht hier die Entwicklung schon vor einer »Annahme ten Unterrichtssituationen, in der Auseinandersetzung der Anforderung« (siehe Abbildung 1) ab. mit ihren Mentorinnen und Mentoren und durch Erwar- tungen seitens der Hochschule und der ZfsL konfrontiert. Die »habituelle Struktur« bestimmt also die Art und Weise, wie Studierende Entwicklungsaufgaben inter- Diese Entwicklungsaufgaben sollten im Sinne der Profes- pretieren. Können Sie diese Deutungsmuster für unse- sionsentwicklung bearbeitet werden. Und jetzt kommen rer Leserinnen und Leser etwas systematisieren? die biografisch verfestigten Deutungsmuster ins Spiel? Košinár: Selbstverständlich. Wir sprechen hier von Košinár: Genau. Studierende, Referendarinnen und Orientierungsrahmen. Der Begriff stammt aus der doku- Referendare werden mit Anforderungen konfrontiert, mentarischen Methode (Bohnsack, 2013). Wir haben Stu- die sie bearbeiten müssen, um sich professionell zu dierende sehr offen über ihre Praxiserfahrungen befragt. entwickeln. Am Beginn eines Entwicklungsprozesses Aus der Rekonstruktion ihrer Erzählungen konnten wir steht eine Irritation oder Krise (siehe Abbildung 1). drei Vergleichsdimensionen identifizieren: Diese Begriffe verweisen zunächst nur darauf, dass 1. die Bedeutung der Praktika für die Studierenden bisherige Routinen für die Bewältigung einer Anforde- 2. die Konstituierung und Bearbeitung von Anforderun- rung nicht mehr greifen und dies auch so erlebt wird. gen und Eigentlich sollte dann eine Lösungssuche einsetzen. 3. die Rolle der betreuenden Lehrperson. Ob und wie das geschieht, hängt von der »habituellen Struktur des Subjektes« ab. Damit bezeichnen wir die Entlang dieser Dimensionen wurden die Fälle analysiert. durch soziale Herkunft und (schul-)biografische Erfah- rungen geprägten Orientierungen. Demgemäß sind die Wir konnten vier Orientierungsrahmen rekonstruieren, »Bilder« oder »Deutungsmuster«, von denen wir oben deren Relationierung in vier Typen mündete (siehe gesprochen haben, höchst individuell. So kann es sein, Abbildung 2, Seite 10). Aber Vorsicht: Was Situationsdeu- dass eine Anforderung im Referenzsystem der Stu- tungen und Handlungen ausmacht, liegt nicht per se auf dierenden überhaupt nicht relevant ist. Uns begegnet der bewussten Ebene, d. h. die Studierenden haben uns das in Aussagen wie zum Beispiel »das ist ja gar nicht dies nicht einfach in der dargestellten Form erzählt, son- 8
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 Abbildung 1: Professionalisierungsmodell: (Entwicklungs-)Prozesse beim Lösen von Erfahrungskrisen dern wir haben dies über einen ziemlich aufwendigen sicherlich mit dem Typus »Vermeidung«. Studierende, Prozess aus den Interviews rekonstruiert. Diese Typen die wir diesem Typ zuordnen konnten, erleben das sind also nicht auf der expliziten Bewusstseinsebene Praktikum von Beginn an als Bewertungsraum. Ziel verortet und sollten von daher nicht einfach zum Gegen- ist es, das Praktikum so gut es geht zu überstehen und stand einer Beratungssituation gemacht werden. mit einer guten Bewertung abzuschließen. Defizite sollen möglichst nicht auffallen. Die Studierenden Bevor wir auf den praktischen Nutzen für die Ausbil- versuchen sich anzupassen und den angenommenen dung und Begleitung eingehen, würden wir gerne noch Erwartungen entsprechend zu agieren. Dabei verlas- etwas mehr über diese vier Typen erfahren. Da hätten sen sie jedoch ihren eigenen Referenzrahmen nicht wir zum einen den Typ »Entwicklung«. Ein Selbstläufer und verhindern damit den notwendigen persönlichen in der Ausbildung? Auseinandersetzungsprozess. Charakteristisch für Košinár: Sicher, in Bezug darauf, ob Anforderungen bzw. Studierende dieses Typus ist auch, dass sie sich nicht Irritationen angenommen und bearbeitet werden, lässt selbstverantwortlich für den eigenen Professionali- sich ganz klar sagen: Der Entwicklungstypus macht das. sierungsprozess zeigen. Sie setzen sich nicht mit den Studierende, die wir diesem Typus zuordnen konnten, Anforderungen auseinander, weil sie überhaupt nicht haben ein starkes berufsbezogenes Verständnis. Sie erkennen, dass es ihre Aufgabe ist, Entwicklungsziele gehen ganz bewusst ins Praktikum mit dem Ziel, ihre zu definieren. Für Ausbilderinnen und Ausbilder be- Professionalität zu entwickeln. Dafür setzen sie sich deutet das, immer wieder in einen kommunikativen Entwicklungsziele und können diese Dank einer entwi- Klärungsprozess hinsichtlich der Anforderungen zu ge- ckelten pädagogischen und fachdidaktischen Fach- hen. Erschwert wird dieser Austausch häufig dadurch, sprache auch benennen. Dadurch werden sie von den dass es den Studierenden an der notwendigen Reflexi- Ausbilderinnen und Ausbildern auf Augenhöhe wahr- vität und Fachsprache mangelt. Diese Vermeidungs- genommen. Diese Studierenden, Referendarinnen und haltung kann sehr defensiv und ängstlich ausgeprägt Referendare begrüßen Professionelle als Expertinnen sein, wir konnten aber auch Studierende ausmachen, und Experten, die ihnen, falls erforderlich, beratend zur die strategisch agieren und Anpassung als Mittel der Seite stehen. Problematischer verhält es sich hingegen Konfliktvermeidung nutzen. 9
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 Abbildung 2: Typen der Anforderungsbearbeitung Der Kontrast zwischen einem sehr aktiv agierenden, Ich komme nun zum letzten Typus, den wir »Bewäh- selbstbewussten Typus und einem eher passiv-reakti- rung« genannt haben. Studierende, die wir diesem Typus ven Typus ist hier sehr stark ausgeprägt. Sind dies die zugeordnet haben, orientieren sich sehr stark an ihren entscheidenden Prädiktoren für Professionalisierungs- Ausbilderinnen und Ausbildern, da sie sich selbst als verläufe? defizitär erleben. Oft sind das Studierende, die mit einem Košinár: Nein. Die Gegenüberstellung von defensiv und ganz großen Ideal ins Studium gehen, die schon lange selbstbewusst allein trägt hier nicht. So konnten wir den Wunsch haben, Lehrerin oder Lehrer zu werden. Sie einen dritten Typus herausarbeiten, den wir »Selbst- bringen einen sehr starken pädagogischen Impetus mit, verwirklichung« genannt haben. Die entsprechenden sprich, die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler Studierenden betrachten ein Praktikum als Entfaltungs- liegt ihnen am Herzen. Existentiell ist es für diese Studie- raum, der es ihnen ermöglicht, eigene Vorstellungen von renden, eine Bestätigung hinsichtlich ihrer Eignung zu Unterricht zu realisieren. Dahinter stehen Annahmen erfahren. Dafür versuchen sie, Schritt für Schritt nach den wie »ich weiß, wie Schule und Unterricht funktionie- Vorgaben der Ausbilderinnen und Ausbilder an Entwick- ren«. Ausbilderinnen und Ausbilder werden erlebt als lungszielen zu arbeiten. Kritik ist für sie sehr problema- Personen, die den Studierenden entweder den Raum tisch, da sie befürchten, dass am Ende des Praktikums ihre geben, die eigenen Vorstellungen zu realisieren oder Eignung für den Beruf in Frage gestellt wird. aber ihnen Steine in den Weg legen. Didaktische Fragen im Praktikum werden unter pragmatischen Gesichts- Die Typologie kann uns also helfen festzustellen, wo die punkten betrachtet mit dem Ziel, zu überlegen, wie sie Studierenden gerade stehen und mit welcher Ansprache den späteren Lehrberuf so gestalten können, dass er und Lernumgebung sie abgeholt werden können. Kann zu ihnen und ihren Ressourcen passt. Ausbilderinnen man damit sagen, kein Typus ist per se ungeeignet? und Ausbilder müssen Studierende dieses Typus immer Košinár: Ja genau. Aus einer pädagogischen Perspektive wieder mit den objektiven Anforderungen und indivi- gehen wir grundsätzlich von einer großen Entwick- duellen Entwicklungsaufgaben konfrontieren und eine lungsfähigkeit des Menschen aus. Darauf weisen auch Auseinandersetzung damit einfordern. die Befunde von Maier und Rauin (2007) hin, die anhand 10
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 einer Längsschnittstudie zeigen konnten, dass eine Viel- machen«. Das ist gut gemeint von den Ausbildenden. zahl von sogenannten Riskantstudierenden später im Ich kann das auch verstehen. Sie wollen die Studieren- Beruf Fuß fassen konnte. Dennoch kann man auf der Ba- den nicht alleine lassen, sondern ihnen einen Rucksack sis der Typiken eine prognostische Tendenz ausmachen, packen. Studierende nehmen das natürlich sehr gerne ob Entwicklungsaufgaben angenommen und bearbeitet an. Zudem haben wir keine Fehlerkultur: Krisenerfah- werden. Und hier müssen wir ansetzen. rungen werden mit den Ausbilderinnen und Ausbildern oft erst gar nicht geteilt, sei es aus Angst durchzu- Das ist das Stichwort, um uns noch einmal den ausbil- fallen oder eine schlechte Note zu bekommen, sei es denden Institutionen in Nordrhein-Westfalen zuzu- aus Schamgefühl, zum Beispiel mit einer Klasse nicht wenden. Am Praxissemester sind Universität, ZfsL und zurecht zu kommen. die Schule gleichermaßen beteiligt. Was können die Beteiligten leisten, um den Professionalisierungspro- Viel effektiver wäre ein gemeinsames Einlassen und ein zess der Studierenden bestmöglich zu unterstützen? miteinander Durchleben einer Krise. Hier müssen wir Košinár: Zunächst begrüße ich sehr, dass im Praxis- alle, die wir an Lehrerbildung beteiligt sind, Irritationen semester alle drei Institutionen beteiligt sind. So fließen der Studierenden Raum geben und diese gemeinsam die unterschiedlichen Logiken und Kulturen von Praxis mit ihnen aushalten. In unserem Reflexionsseminar an und Wissenschaft in die Lehrerausbildung ein. Grund- der Pädagogischen Hochschule machen wir mit Studie- lage der Zusammenarbeit ist, dass diese Logiken wech- renden zu Beginn der Ausbildung biografische Reflexi- selseitig Anerkennung finden. Mit unterschiedlichen onsübungen. Wir arbeiten heraus, dass Krise zunächst Logiken meine ich übrigens nicht eine Differenzierung nur bedeutet, dass Handlungsroutinen versagen und ein nach dem bekannten Theorie-Praxis-Schema: Die entsprechendes Muster erschüttert wird. Und sich auf Universitäten sind für die Theorie, die Schulen und ZfsL dieser Basis tragfähige Lösungen entwickeln lassen. Auf für die Praxis zuständig. Dieser künstliche Graben im dieser Erkenntnis können Ausbilderinnen und Ausbilder Theorie-Praxis-Verhältnis muss dringend aufgelöst wer- dann in den Langzeitpraktika aufbauen, wenn Studie- den. Natürlich sind die Möglichkeiten, die Voraussetzun- rende vor Entwicklungsaufgaben stehen, bei denen ihre gen und die Ressourcen der jeweiligen Institution sehr Routinen versagen. Dann wird die Krise zur Herausfor- unterschiedlich und bedingen eine unterschiedliche derung, auf die ich mich einzulassen kann und die mir Ausbildungspraxis, das ist natürlich völlig klar. Umso schlussendlich eine tolle Möglichkeit bietet, mich als wichtiger sind Austausch und Abstimmung zwischen Lehrperson zu entwickeln. den Institutionen. Die Krise aushalten ist also das eine, die gemeinsame Hierfür könnte ein gemeinsames Ziel sein, die Studie- Lösungssuche das andere? renden – auch gegen möglichen Widerstand – anzure- Košinár: Aus einer Krise alleine lernen Sie nichts. Wenn gen, sich mit den anstehenden Entwicklungsaufgaben Studierende alleine vor der Klasse stehen und merken, auseinanderzusetzen? ihre Routinen versagen, ihr Plan funktioniert nicht, dann Košinár: Exakt. Wir wollen nachhaltige Veränderungen kommt häufig Panik auf. Und in einer solchen »Überle- im Sinne der Professionalisierung erwirken und gemein- benssituation« versuchen Studierende nur, einigermaßen sam die mitgebrachten, beruflichen Überzeugungen gut durchzukommen. Das verschlimmert sich noch, wenn und Orientierungen der Studierenden irritieren. Gelingt die Ausbildenden hinten drinsitzen und sich Notizen dies, ist der erste Schritt getan, dass Studierende sich machen, während sich vorne jemand abzappelt. Und das möglichen Krisen produktiv zuwenden können. Das ist ist auch nicht in einer Nachbesprechung zu retten, wo der Handlungsauftrag für alle drei Institutionen. Und der Student oder die Studentin sowieso nichts aufnimmt, hier liegen entscheidende Fallstricke: In der Ausbil- weil das Adrenalin noch in den Adern rauscht. dungspraxis besteht oft der Wunsch, die Irritationen der Studierenden schnell aufzulösen. Einige Mentorinnen Hingegen halte ich die Ansätze des Co-Planings und und Mentoren reagieren dann mit Tipps und Tricks des Co-Teachings von Studierenden und Ausbildenden »beim nächsten Mal solltest du besser dieses und jenes für äußerst gewinnbringend. Ideen werden zusammen 11
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 entwickelt, umgesetzt und verantwortet. Damit schaffen Zweitens Neugier: Wir haben viele Mentorinnen und wir in den Praktika Situationen, in die die Expertise der Mentoren, die über ihren Austausch mit Studierenden Ausbilderinnen und Ausbilder in die Unterrichtsplanung eine Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs realisieren mit eingebracht wird und die Studierenden bei der Um- und sich auch ganz praktisch Inspiration für ihre Unter- setzung hinterher nicht alleine da stehen. Das entspricht richtsgestaltung versprechen. Diese Einstellung hilft zum meinem Konzept einer modernen Lehrerausbildung. einen, den oben genannten, künstlichen Graben zwi- schen Theorie und Praxis zuzuschütten und zum anderen Unterrichtsnachbesprechungen halten Sie nicht für ist dies die Grundlage für einen konstruktiven Prozess des effektiv? gemeinsamen Nachdenkens über Unterricht und über Košinár: Doch, wenn die zeitliche Distanz zur »Überle- das Schülerlernen. So kann wirklich Neues entstehen. benssituation« gegeben ist und für Studierende Fragen der Bewertung in der Beratungssituation nicht domi- Drittens Wissen: Dazu gehören Kenntnisse über die Pro- nant sind. Für die Reflexion sind die Problemartikulation zessstruktur des Erfahrungslernens und der Professio- und die Versprachlichung der gedankenexperimentellen nalisierung sowie die Kompetenzen, die notwendig sind, Lösungssuche natürlich unverzichtbare Bestandteile dieses Wissen in Beratungs- und Begleitsituationen des Professionalisierungsprozesses. Dies lässt sich im einzubringen. Dabei gilt es, die unterschiedlichen Vor- Rahmen sogenannter Erfahrungsgemeinschaften üben, aussetzungen der Studierenden zu rezipieren und indivi- die neben den Mentorinnen und Mentoren auch die duellen Professionalisierungsprozessen Raum zu geben. Peergroup der Mitstudierenden, Mitreferendarinnen Unser Einfluss ist begrenzt, aber durchaus vorhanden! und -referendaren einbeziehen. Vielen Dank für Ihre Impulse, um dieser Herausforde- In dem Zusammenhang möchte ich noch einen Aspekt rung zu begegnen und Lehrerausbildung zu gestalten. nennen, der für alle Institutionen relevant ist: Videogra- phie von Unterricht. Die universitäre Ausbildung nutzt ZUM WEITERLESEN zunehmend kasuistische Zugänge, um fallorientiert und Bohnsack, R. (2013). Dokumentarische Methode. In R. methodisch kontrolliert Unterricht zu analysieren. Videos Bohnsack, W. Marotzki & M. Meuser (Hrsg.), Hauptbe- kommen in diesem Zusammenhang eine immer größere griffe Qualitativer Sozialforschung (S. 40-44). Opladen: Bedeutung zu. Auch in der Schule bietet Videomaterial ein Leske + Budrich. großes Potenzial zur Nachbesprechung von Unterricht, in Keller-Schneider, M. & Hericks, U. (2011). Beanspruchung, denen alle Akteure dann gemeinsam in einer Distanz über Professionalisierung und Entwicklungsaufgaben im den Unterricht nachdenken können. Daher wirklich mein Berufseinstieg von LehrerInnen. Journal für Lehrerin- Appell an Schulen und auch an Mentorinnen und Mento- nen- und Lehrerbildung, 11 (1), S. 20-31. ren, Videographie zu unterstützen und als ein relevantes Košinár, J. (2014). Professionalisierungsverläufe in der Element in der Lehrerbildung von heute zu begreifen. Lehrerausbildung. Anforderungsbearbeitung und Kom- petenzentwicklung im Referendariat. Opladen: Barbara Können wir bilanzierend hier nochmal die Rolle der Budrich. schulischen Mentorinnen und Mentoren in den Blick Košinár, J., Schmid, E. & Diebold, N. (2016). Anforde- nehmen? Was braucht es? rungswahrnehmung und -bearbeitung Studierender in Košinár: Ganz im Ernst: Erstens gute Nerven. Studierende den Berufspraktischen Studien. In: J. Košinár, S. Leine- professionalisieren sich durch krisenhafte Erfahrungen. weber & E. Schmid (Hrsg.), Schulpraktische Professionali- sierung: Entwicklungsprozesse angehender Lehrpersonen Und diese Erfahrungen müssen sie auch machen dürfen. (S. 139-154). Münster: Waxmann. Ich plädiere deutlich für eine Abkehr vom »Meisterleh- rerprinzip«, bei dem die oder der Studierende die Praxis- Rauin U. & Maier, U. (2007). Subjektive Einschätzungen des Kompetenzerwerbs in der Lehramtsausbildung. In lehrperson kopieren soll. Lassen Sie Studierende bei der M. Lüders & J. Wissinger (Hrsg.), Forschung zur Lehrer- Lösungssuche experimentell vorgehen, lassen Sie auch bildung (S. 103-133). Münster: Waxmann. das Riskante zu. Also auch keine Schließung der Experi- mentierfreude durch Tipps und Tricks. 12
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 PLANUNGSMODELLE FÜR INKLUSIVEN UNTERRICHT Welche Kompetenzen benötigen Lehramtsstudierende für die zweite Phase der Lehrerausbildung? Lehrerinnen und Lehrer sehen des Handlungsfelds Studium sich heute mit einem ausge- inklusiv innerhalb der Zukunfts- sprochen vielseitigen Berufsbild strategie Lehrerausbildung der konfrontiert. Dennoch bleibt Universität zu Köln gemeinsam das Unterrichten eine zentrale mit Dozierenden und Studieren- Tätigkeit, für die die Grundlage den einige dieser Kompetenzen in Wissen, Handlungskompetenz herausgegriffen worden, um auf und Einstellungen in Studium Natascha Stahl-Morabito, Zentrum für schulprak- dieser Basis zu überlegen, ob und tische Lehrerausbildung, Gelsenkirchen; und Referendariat erworben Prof. Dr. Conny Melzer, Humanwissenschaftliche wenn ja wie, die erste und die werden sollten (European Agency Fakultät, Universität zu Köln zweite Phase der Lehrerbildung for Development in Special Needs besser voneinander profitieren Education, 2012, S. 13; Melzer, können und um aus Sicht der Hillenbrand, Sprenger & Hennemann, 2015). Die Heraus- Unterrichtspraxis heraus darzustellen, warum diese forderungen, die insbesondere durch Integration und Kompetenzen für das Unterrichten bedeutsam sind: Inklusion entstehen, wie auch der im Schulgesetz für 1. Lehrerinnen und Lehrer kooperieren zielgerichtet mit Nordrhein-Westfalen rechtlich verankerte Anspruch auf verschiedenen Menschen in verschiedenen Professionen. individuelle Förderung, führen zu einer veränderten Un- 2. Sie diagnostizieren in Unterrichtsfächern und Ent- terrichtsrealität und bedingen dementsprechend auch wicklungsbereichen und leiten aus diesen diagnos- Konsequenzen für alle Phasen der Lehrerbildung. tischen Erkenntnissen passende Handlungen und Strategien ab. Unter diesem Aspekt setzt sich der vorliegende Beitrag 3. Sie beherrschen die Fächer, die sie unterrichten. in Anlehnung an den gleichnamigen Workshop mit der 4. Sie erkennen persönliche und systemische Diskri- Frage auseinander, welche Kompetenzen angehende minierung von Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrer in Studium und Referendariat arbeiten daran, diese abzubauen. erwerben sollten, damit sie sich nach der Ausbildung gut 5. Sie erkennen »Lücken« und bauen eine fragende, for- gerüstet den anspruchsvollen Aufgaben widmen können schende Haltung sich selbst und dem System Schule und welchen Beitrag Universität sowie Zentrum für schul- gegenüber auf und suchen aktiv nach Antworten. praktische Lehrerausbildung (ZfsL) dazu leisten können. Die Aufgabe, zunehmend in Kooperation und/oder unter Welche Kompetenzen sollten angehende Lehre- Einhalten von Absprachen, Unterricht zu planen und rinnen und Lehrer in Studium und Referendariat diese Planung auch so zu verschriften, dass in Teams erwerben? damit gearbeitet werden kann, wird erleichtert, wenn Für die ersten beiden Phasen der Lehrerausbildung Unterrichtende sich auf der Basis von Modellen über regeln zentrale Vorgaben, welche Kompetenzen ange- den zu planenden Unterricht verständigen können. hende Lehrerinnen und Lehrer erwerben müssen. Für den Vorbereitungsdienst werden diese in den Hand- Planungshilfen für Unterricht und Differenzierung lungsfeldern des Kerncurriculums spezifiziert und in im Rahmen der Ausbildung konkreten Handlungssituationen integriert erwor- Im Rahmen der Ausbildung sollten angehende Lehre- ben. Zudem sind im Rahmen der Zukunftswerkstatt rinnen und Lehrer deswegen verschiedene Modelle ken- 13
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 nenlernen, nach denen Unterricht und Differenzierung zierung genutzt. Dieses Differenzierungsmodell für das geplant werden können, damit sie während der Aus- Gemeinsame Lernen setzt voraus, dass alle Lernenden bildung und im Anschluss daran die für sie sinnvollen einer Lerngruppe an gleichen bzw. ähnlichen Themen Aspekte auswählen und nutzen können. Dabei geht es arbeiten und beinhaltet das zielgleiche sowie das nicht darum, in vorgegebenen Rastern pedantisch alle zieldifferente Lernen. Eine zentrale Grundlage ist – wie leeren Felder zu füllen, sondern einen Denkanstoß für in jedem Unterricht, der den rechtlichen Anspruch auf die Planung und ggf. eine Grundlage für ein kooperati- individuelle Förderung verfolgt – der Gedanke, dass sich ves Planungsgespräch zu haben. Beispielsweise sind dies unterschiedliche Kompetenzerwartungen auf der Basis > Anforderungsbereiche I-III gemäß der Lehrpläne in der individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen Nordrhein-Westfalen und Schüler ergeben. Eine solide Erhebung der Lern- > Differenzierungsmatrix nach Sasse (Sasse & Schu- ausgangslage ist dabei immer die Grundlage jeglicher leck, 2013) Differenzierung. Denn aus unterschiedlichen Kompeten- > Inklusionsdidaktische Netze nach Kahlert und zerwartungen ergeben sich individuelle Maßnahmen Heimlich (2012) zur Herausforderung und Unterstützung. Differenzie- > Förderpädagogische Netze nach Flott-Tönjes und rung ist nicht nur dann notwendig, wenn zieldifferent andere (2017) gearbeitet wird, sondern muss durchgehendes Prinzip > Aneignungsniveaus nach Klauß (2009) von Unterricht sein, damit tatsächlich individuell geför- dert werden kann (siehe Abbildung 1). Im Verlauf des Berufslebens werden Unterrichtende diese Planungsmasken nach und nach verändern und Diese Raute ist auch als Repräsentation der Schülerschaft für ihren alltäglichen Einsatz optimieren. einer Lerngruppe vorstellbar: mit Leistungen am oberen und unteren Ende der in den Lehrplänen verankerten Alle fünf Modelle kommen in der Ausbildung Lehramts- Kompetenzerwartungen und darüber hinaus oder anwärterinnen und -anwärtern zum Einsatz, haben sich darunter. Die meisten Schülerinnen und Schüler sind als praktikabel erwiesen und haben Vor- und Nachteile. gemäß Wember (2013) in der Basisstufe einzuordnen. Im Folgenden wird ein Planungsmodell exemplarisch Sie erfüllen die Kompetenzerwartungen der Lehrpläne herausgegriffen. für das Fach und das Alter und benötigen dafür keine außergewöhnliche Unterstützung. Im ursprünglichen Differenzierung am Beispiel der »Wember-Raute« Modell ist lediglich der Bereich der Unterstützungsstufe Im Seminar Sonderpädagogische Förderung des Zen- II als zieldifferent (Bildungsgang Geistige Entwicklung trums für die schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) und Bildungsgang Lernen) angedacht. Unter Berücksich- Gelsenkirchen wird im Rahmen der Ausbildung unter tigung der in den Aufgabensammlungen zu den Lehrplä- anderem intensiv das Modell von Wember zur Differen- nen in NRW entwickelten Anforderungsbereiche muss sichergestellt werden, dass die Lernenden, die im Bereich der Unterstützungsstufe arbeiten, nicht im Anforde- rungsbereich I des Reproduzierens verbleiben, sondern ihrem Lernniveau entsprechend auch in den Anforde- rungsbereich III der eigenen Konstruktion gelangen. Im Rahmen der Ausbildung der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter im Seminar Sonderpädagogische Förderung im Fach Englisch kommt folgende Beschrei- bung der gestaffelten Kompetenzerwartungen und Maßnahmen zum Einsatz (siehe Abbildung 2). Vision: Universal Design of Learning »Ziel einer inklusiven Schule ist es, das Selbst sich so ent- Abbildung 1: Planungsmodell nach Wember (2013) 14
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 Abbildung 2: Planungsmodell nach Wember (2013) mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und individuellen Maßnahmen zur Unterstützung und Heraus- forderung wickeln zu lassen, dass es zu persönlicher Exzellenz fin- von Lernergebnissen sowie multiple Möglichkeiten der det, um Chancen einer Selbstbehauptung im nachschu- Förderung von Motivation und Bindung (vgl. Schlüter, lischen Leben zu erhöhen« (Reich, 2014, S. 223). Um diese Melle & Wember, 2016). UDL möchte also Barrieren im Vision, die persönliche Exzellenz für alle Lernenden, Unterricht identifizieren und beseitigen und geht damit verfolgen und vielleicht auch erreichen zu können, muss grundsätzlich von den gleichen Lernzielen für alle Ler- ein inklusiv ausgerichtetes Bildungssystem weit über nenden aus. Differenzierung wäre dann ein zusätzliches die Begriffe von Differenzierung und Individualisierung Instrument, um individuelle Maßnahmen für einzelne hinausgehen. Eine Möglichkeit, inklusiven Unterricht Schülerinnen und Schüler, gegebenenfalls auch lern- zu gestalten, die aktuell viel Beachtung findet, ist das zieldifferent und in allen Unterstützungs- und Erweite- Universal Design for Learning (UDL). Das UDL setzt dabei rungsstufen, anzubieten. noch vor einer Differenzierung bei der gesamten Klasse an. Es ist ein wissenschaftlich basiertes Rahmenkonzept AUTORINNEN praktischen Handelns, stellt flexible Wege der Infor- mationspräsentation dar und reduziert Barrieren im Unterricht, behält dabei aber eine hohe Erwartung an Natascha Stahl-Morabito, Zentrum für schulpraktische die Leistungen der Schülerinnen und Schüler (Edyburn, Lehrerausbildung, Seminar Sonderpädagogik, Lüttinghofallee 5, 45896 Gelsenkirchen 2010, S. 34). Das Konzept hilft also zu verstehen, wie der Zugang (Access) und Bindung zum und im Lernen funktioniert, was als Grundvoraussetzung für erfolg- Prof. Dr. Conny Melzer, Professur Sonderpädagogische reiches Lernen angesehen werden kann. Dazu werden Grundlagen, Department für Heilpädagogik, Human- drei Prinzipien konsequent umgesetzt: multiple Mittel wissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln Gronewaldstraße 2, 50931 Köln der Präsentation von Informationen, multiple Mittel der Verarbeitung von Informationen und Darstellung 15
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 ZUM WEITERLESEN Edyburn, D.L. (2010): Would you Recognize Universal Design for Learning if you saw it? Ten Propositions for new Directions fort he second Decade of UDL. In: Learning Disability Quarterly, 33, S. 33-41. European Agency for Development in Special Needs Education (2012): Ein Profil für inklusive Lehrerinnen und Lehrer. Brüs- sel: Europäische Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung. Flott-Tönjes, U.; Albers, S.; Ludwig, M.; Schumacher, H.; Storcks-Kemming, B.; Thamm, J. & Witt, H. (2017): Fördern planen. Ein sonderpädagogisches Planungs- und Beratungskonzept für Förderschulen und Schulen des Gemeinsamen Lernens. Oberhau- sen: Athena. Heimlich, U. & Kahlert, J. (2012): Inklusion in Schule und Unterricht. Stuttgart: Kohlhammer. Kahlert, Joachim & Heimlich, Ulrich (2012): Inklusionsdidaktische Netze – Konturen eines Unterrichts für alle (dargestellt am Beispiel des Sachunterrichts. In: Heimlich, Ulrich & Kahlert, Joachim: Inklusion in Schule und Unterricht. Stuttgart: Kohlhammer. S. 153-190. Klauß, T. (2009): Wie gestalten wir Lernangebote, die wirklich alle einbeziehen? Manuskript zum gleichnamigen Workshop. Tagung: Berufsorientierung in Tagesstätten – Lernwege und Bildungsbedarfe von Menschen mit schweren und mehrfa- chen Behinderungen. Melzer, C.; Hillenbrand, C.; Sprenger, D. & Hennemann, T. (2015): Aufgaben von Lehrkräften in inklusiven Bildungssystemen – Review internationaler Studien? In: Erziehungswissenschaft, 26 (51), 61-80. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2016): Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen. Abrufbar: www.lpa1.nrw.de/AB2/Staatspruefung/index.html Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2008): Lernaufgaben Englisch Grundschule. Abrufbar: www.schulentwicklung.nrw.de/materialdatenbank/material/view/2069 Reich, Kersten (2014): Inklusive Didaktik. Weinheim und Basel: Beltz. Sasse, A. & Schulzeck, U. (2013): Differenzierungsmatritzen als Modell der Planung und Reflexion inklusiven Unterrichts – zum Zwischenstand in einem Schulversuch. Thüringen: Thüringer Institut für Lehrerfortbildung. Schlüter, A.; Melle, I. & Wember, F. (2016): Unterrichtsgestaltung in Klassen des Gemeinsamen Lernens: Universal Design for Learning. Sonderpädagogische Förderung heute, 61 (3), 270-284. Wember, Franz (2013): Herausforderung Inklusion: Ein präventiv orientiertes Modell schulischen Lernens und vier zentrale Bedingungen inklusiver Unterrichtsentwicklung. In Zeitschrift für Heilpädagogik 10/2013. S. 380-388. 16
SONDERHEFT TAGUNGSDOKUMENTATION | 04 / 2018 VIELFALT UND INKLUSION IN DER LEHRERAUSBILDUNG Entwicklungen in den Fächern Sport und Mathematik Einleitung BA-/MA-Struktur zwar der Bereich »Diagnose und Prof. Dr. Ulf Gebken, Vielfalt und Inklusion ist Förderung« als verpflichtendes Element festgehalten, Doris Kluge-Schöpp, Roxanne Papenberg, eines von drei Handlungsfel- jedoch war ein Schwerpunkt Inklusion noch nicht Prof. Dr. Petra Scherer, dern des Projekts ProViel im sichtbar. Das Gesetz zur Änderung des LABG 2016 in Helena Sträter, Universität Duisburg- Rahmen der Qualitätsoffen- Nordrhein-Westfalen sieht durch verpflichtende Cre- Essen sive Lehrerbildung (QLb). Das dits für inklusionsrelevante Fragestellungen Inklusion Handlungsfeld gliedert sich auch als klare Verantwortung der Fächer. Ferner ist in in die Bereiche Sprachförde- den erweiterten KMK-Standards, den Empfehlungen rung und Inklusion mit neun Teilprojekten, darunter die zur Lehrerbildung für eine »Schule der Vielfalt«, der Fachdidaktiken Mathematik und Sport. Für den Work- Schwerpunkt Inklusion zukünftig prominent veran- shop am 23. November haben sich diese beiden zusam- kert, sowohl in den Bildungswissenschaften als auch mengeschlossen, um gemeinsam über inklusionsrele- in den Fächern. vante Entwicklungen und Perspektiven in ihren Fächern zu sprechen. Im bisherigen Verlauf des Projekts gelang In der konkreten Ausgestaltung einer fachspezifischen es, die Inklusionsthematik in der Lehrerausbildung inklusionsorientierten Lehrerausbildung ist die Berück- an der Universität Duisburg-Essen – sowohl in den im sichtigung der Ausgangslage, sowohl die Sicht der Stu- Projekt mitwirkenden Fachdidaktiken als auch fächer- dierenden als auch die der Lehrenden, von Bedeutung. übergreifend – in den Blick zu nehmen, zu diskutieren Neben der Berücksichtigung dieser Vorerfahrungen und weiterzuentwickeln. So wurde z.B. von den ProViel- sowie Einstellungen und Beliefs sollten Lehramtsstu- Beteiligten ein Vorschlag für ein gemeinsames Leitbild dierende fachdidaktische Grundlagen ergänzt durch Inklusion entwickelt, das gemeinsam mit den lehramts- sonderpädagogische Ansätze erwerben und Konzepte ausbildenden Fächern der Universität Duisburg-Essen für unterrichtliche Umsetzungen kennenlernen, ergänzt diskutiert wird. In stetigem Austausch mit weiteren durch entsprechende Praxiserfahrungen. (außer-)universitären Akteuren soll das Thema Inklu- sion weiter vorangetrieben werden. Konkrete Beispiele: Sport Das Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften Zur fachspezifischen Lehrerausbildung (ISBW) der Universität Duisburg-Essen reagierte auf die Inklusion stellt an die Bildungswissenschaften und Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention Fachdidaktiken neue Anforderungen und wirft Fra- 2009 und des LAGB 2016 mit einer verstärkten Imple- gen der strukturellen und inhaltlichen Ausgestaltung mentierung von inklusionsrelevanten Inhalten in den der Lehreraus- und -fortbildung auf. Dabei sind die sportpraktischen und theoriegeleiteten Seminaren. Im Ausgangsbedingungen (für Lehrämter, Fächer und Rahmen des Projekts ProViel und in Zusammenarbeit Standorte) sehr verschieden: Es existieren Standorte mit mit dem außeruniversitären Partner DJK Franz-Sales- und ohne Sonderpädagogik, und auch eine vielfältige Haus (FSH) wurde ein Fortbildungskonzept für Lehrende Struktur sowie Studienumfänge für die einzelnen Schul- entwickelt und umgesetzt, das neben einer praktischen formen und die jeweiligen Unterrichtsfächer. Einheit Raum für Diskussionsrunden und einen sport- artspezifischen Austausch in Kleingruppen umfasst. Im Lehrerausbildungsgesetz (LABG) 2009 wurde in Schlüsselakteure stellten bei der Durchführung am Nordrhein-Westfalen mit der Umstellung auf die ISBW die sportlichen Leiter sowie Athleten des FSH dar. 17
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