Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW

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Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
Gewerkscha
                                                    Erziehung und Wissenscha

Erziehung & Wissenschaft        06/2021
Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW

                            Wir brauchen
                            einen NeuanfangBUNDESTAGSWAHL 2021
Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
2 GASTKOMMENTAR

                                                              Foto: WZB/David Ausserhofer
       JUTTA                                                                                                                        NICOLA

                                                                                                                     Foto: privat
ALLMENDINGER                                                                                                                        BRANDT

              Vorfahrt für Kinder
               Die Corona-Pandemie zeigt einmal mehr: Kinder brauchen                       erfahren. Immer noch werden die Auswirkungen des stark
               gute Kitas und Schulen. Sie haben in den langen Monaten                      eingeschränkten Kita- und Schulbetriebs nicht ausreichend
               des Distanzunterrichts deutlich mehr Zeit als zuvor an Spie-                 berücksichtigt. Während es für Gastronomie, Hotels und Fit-
               lekonsolen und Bildschirmen verbracht, sich weniger be-                      nessstudios eine Öffnungsperspektive gibt, müssen Kinder
               wegt, waren von ihren Freunden getrennt. All dies wirkt sich                 vielerorts weiterhin an jedem zweiten Tag alleine zu Hause
               negativ auf ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten,                     lernen, allenfalls angeleitet von oft erschöpften und pädago-
               auf ihre psychische und körperliche Gesundheit aus. Außer-                   gisch nicht geschulten Eltern.
               dem fehlt bei Kita- und Schulschließungen ein wichtiges Ins-                 Schule und Kita brauchen nun vor allem eines: Priorität.
               trument zur Nachverfolgung häuslicher Gewalt.                                Dabei gilt es, Kinder, die aufgrund ihres Elternhauses oder
               Kinder, die zu Hause ein unterstützendes Umfeld vorfin-                      anderer Gründe weniger Chancen haben, besonders zu för-
               den und selbstständig zu arbeiten wissen, haben weniger                      dern. Eine Mindestbildung muss gewährleistet, Bildungs-
               unter diesen Folgen zu leiden. Der Lockdown trifft vor al-                   armut bekämpft werden. Der Bund muss und kann helfen.
               lem benachteiligte Kinder hart. Ihre Eltern haben weder                      Wie könnte das konkret aussehen? Michael Wrase und ­Jutta
               Zeit noch Geld oder die Kompetenzen, um beim Lernen zu                       Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin haben
               Hause zu unterstützen. Der Lernprozess leidet, Bildungs-                     kürzlich ein Bildungs- und Teilhabegesetz vorgeschlagen
               und Berufschancen schwinden. Wir wissen, dass die durch                      sowie die sozialpädagogische Förderung im Ganztag und
               die Schulschließung entgangene Bildung dauerhafte Fol-                       Leistungen nach dem Eingliederungsrecht. Das führt nicht
               gen für Kinder haben wird: für ihre Schul- und Berufslauf-                   zwingend zu mehr Bildungsgerechtigkeit, doch wie der Min-
               bahn, ihr Lebenseinkommen, ihre Gesundheit und Lebens-                       destlohn zieht es immerhin einen Sicherungsboden nach
               erwartung.                                                                   unten ein.
               Es ist inzwischen allgemein anerkannt, dass schwächere                       Damit würde Kindern die so notwendige Bildung gegeben
               Schulkinder stärker unterstützt werden müssen, Lernpro-                      werden, deren Bedeutung weit über die Erwerbstätigkeit
               gramme sind darauf ausgerichtet. Auch die Bedeutung früh-                    hinausgeht: Sie ermöglicht ihnen die Aussicht, gesund zu
               kindlicher Bildung findet ganz andere Beachtung als noch                     bleiben, mit etwas Zuversicht den Herausforderungen des
               vor zehn Jahren. Gleichwohl beeinflusst in Deutschland die                   Lebens zu begegnen und sich den Veränderungen unserer
               soziale und finanzielle Stellung der Eltern noch immer Lern­                 Gesellschaft nicht hilflos ausgeliefert zu fühlen. Solange wir
               erfolge von Kindern in viel stärkerem Maße als im Durch-                     Kindern dieses Minimum an Chancen versagen, können wir
               schnitt der Staaten der Organisation für wirtschaftliche                     ihnen die Schuld für Schwierigkeiten auf ihrem Bildungs-
               Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Rund 70 Prozent                       und Lebensweg nicht zuschieben. Das Versagen liegt bei uns
               der hiesigen Schulen mit besonders vielen benachteiligten                    als Gesellschaft, nicht bei ihnen.
               Kindern berichten von einem Mangel an Lehrkräften, der die
               Unterrichtskapazität hemmt – deutlich mehr als vergleich-                    Jutta Allmendinger,
               bare Schulen in anderen OECD-Ländern.                                        Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB)
               Der wichtigste Schluss aus diesen Befunden: Unsere Kin-                      Nicola Brandt,
               der und deren Bildung müssen eine höhere Wertschätzung                       Leiterin des OECD Berlin Centre

  Erziehung und Wissenschaft | 06/2021
Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
INHALT   3

                                                                   Prämie
Inhalt                                                           des Monat
                                                                           s
                                                                     Seite 5
                                                                                            IMPRESSUM
                                                                                            Erziehung und Wissenschaft
                                                                                            Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 73. Jg.

                                                                                            Herausgeberin:
                                                                                            Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
                                                                                            im Deutschen Gewerkschaftsbund
                                                                                            Vorsitzende: Marlis Tepe
                                                                                            Redaktionsleiter: Ulf Rödde
Gastkommentar                                                                               Redaktion: Jürgen Amendt
                                                                                            Redaktionsassistentin: Katja Wenzel
Vorfahrt für Kinder                                                             Seite 2    Postanschrift der Redaktion:
                                                                                            Reifenberger Straße 21
                                                                                            60489 Frankfurt am Main
Impressum                                                                       Seite 3    Telefon 069 78973-0
                                                                                            Fax 069 78973-202
                                                                                            katja.wenzel@gew.de
                                                                                            www.gew.de
Auf einen Blick                                                                 Seite 4    facebook.com/GEW.DieBildungsgewerkschaft
                                                                                            twitter.com/gew_bund

Prämie des Monats                                                               Seite 5    Redaktionsschluss ist in der Regel
                                                                                            der 7. eines jeden Monats.
                                                                                            Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich.
                                                                                            Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste und Internet
Schwerpunkt: Bundestagswahl 2021                                                            ­sowie Vervielfältigung auf Datenträger der „Erziehung
                                                                                             und Wissenschaft“ auch auszugweise nur nach vorheri-
1. Anforderungen an die neue Bundesregierung: Weiter denken nach Corona         Seite 6     ger schriftlicher Genehmigung der Redaktion.
2. Recht auf Bildung und Chancengleichheit: Versprechen, nicht eingelöst        Seite 8    Die E&W finden Sie als PDF auf der GEW-Website unter:
3. Schwachstellen des Schulsystems: Weg mit der Gießkanne!                      Seite 14   www.gew.de/eundw.
                                                                                            Hier wird die E&W auch archiviert.
4. Prof. Aladin El-Mafaalani zur Schulpolitik: „Wir brauchen einen Neuanfang“   Seite 16
                                                                                            Gestaltung:
5. Finanzierung der Ganztagsbetreuung: „Der Bund muss auf Qualität bestehen!“   Seite 18   Werbeagentur Zimmermann GmbH
                                                                                            Kurhessenstraße 14
6. Investitionen in die frühkindliche Bildung: Früher und gezielter fördern     Seite 20   60431 Frankfurt am Main
7. Überfällige Reformen an den Hochschulen: Soziale Schieflage                  Seite 22   Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitglieds-
8. Verschärfte Situation in der Jugendhilfe: Mehr Geld und Personal nötig       Seite 24   beitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der
                                                                                            Bezugspreis jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30
9. Freiberufliche in der Weiterbildung: Kein Unterricht, kein Honorar           Seite 26   Zustellgebühr inkl. MwSt. Für die Mitglieder der
                                                                                            Landesverbände Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen,
10. GEW fordert gesetzliche Ausbildungsplatzgarantie: Von Österreich lernen     Seite 28   Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland,
11. Reform des Sozialgesetzbuches VIII: Die Pädagogik verliert                  Seite 30   Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen werden die
                                                                                            jeweiligen Landeszeitungen der E&W beigelegt. Für un-
                                                                                            verlangt eingesandte Manuskripte und Rezensionsexem-
                                                                                            plare wird keine Verantwortung übernommen. Die mit
Schule                                                                                      dem Namen des Verfassers gekennzeichneten Beiträge
                                                                                            stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder
1.   PISA-Sonderstudie zur Lesekompetenz: Schlecht lesen = schlecht surfen      Seite 31   der Herausgeberin dar.
2.   Linderung der Pandemiefolgen: Aufholen für Akademikerkinder                Seite 32   Verlag mit Anzeigenabteilung:
3.   Kampagnenstart zu sexuellem Missbrauch: Tatort Schule                      Seite 36   Stamm Verlag GmbH
                                                                                            Goldammerweg 16
4.   Neue Studie zur Bildungsfinanzierung: Immenser Nachholbedarf               Seite 38   45134 Essen
                                                                                            Verantwortlich für Anzeigen: Mathias Müller
5.   GEW-Umfrage: Eingeschränkte Lernmittelfreiheit                             Seite 44   Telefon 0201 84300-0
                                                                                            Fax 0201 472590
                                                                                            anzeigen@stamm.de
Gesellschaftspolitik                                                                        www.erziehungundwissenschaft.de
                                                                                            gültige Anzeigenpreisliste Nr. 41
Rechtsextreme nutzen Distanzlernen für ihre Zwecke: „Querdenken“ im Harz        Seite 34   vom 01.01.2019,
                                                                                            Anzeigenschluss
                                                                                            ca. am 5. des Vormonats
Internationales                                                                             Nutzungsrechte für digitale Pressespiegel erhalten Sie
Privatisierung in Afrika: Schulbildung nur für Privilegierte?                   Seite 40   über die PMG Presse-Monitor GmbH unter
                                                                                            www.presse-monitor.de

fair childhood – Bildung statt Kinderarbeit                                                 Erfüllungsort und Gerichtsstand: Frankfurt am Main

Gegen Kinderarbeit in Albanien: „Wir warten nicht auf Anweisungen von oben“     Seite 42

Mitgliederforum                                                                 Seite 46
                                                                                            ISSN 0342-0671
                                                                                                                                                      e
Diesmal	                                                                        Seite 48   Die E&W wird auf 100 Prozent chlorfrei
                                                                                            gebleichtem Recyclingpapier gedruckt.
                                                                                                                                                   emi
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Beihefter in der Mitte dieser Ausgabe                                                                                                        -      n
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                                                                                                                                           a
                                                                                                                                        r
GEW-Positionen zur Bundestagswahl 2021
                                                                                                                                  c    o
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                                                                                                                              C
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Titel: Werbeagentur Zimmermann
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Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
4 AUF EINEN BLICK

                Aufruf für mehr Investitionen                                                                 erklärten die Berechnung der BAföG-Sätze zwischen Oktober
                Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu Investitio-                                    2014 und Februar 2015 für verfassungswidrig und setzten das
                nen in Schulen und Bildung während und nach der Corona-                                       Verfahren aus. Sie verwiesen den Fall an das Bundesverfas-
                Pandemie aufgerufen. Engagierte Schulleitungen, tolle Lehr-                                   sungsgericht. Die Studentin hält den BAföG-Satz in Höhe von
                kräfte und wegweisende Ideen reichten nicht aus, sagte er                                     monatlich 373 Euro im Vergleich zu Hartz-IV-Leistungen für
                Mitte Mai bei der Verleihung des Deutschen Schulpreises                                       Arbeitslose für zu niedrig. Zuvor war die Studentin vor dem
                2020/21 Spezial. „Damit Schulen sich entwickeln, ihre Schüle-                                 Verwaltungsgericht Osnabrück und vor dem Oberverwal-
                rinnen und Schüler wirksam fördern und negative Folgen der                                    tungsgericht Lüneburg mit ihrer Klage ­gescheitert.
                Schließungen abmildern können, brauchen sie jetzt die Unter-                                  Die GEW sieht sich durch die Entscheidung in ihrer Kritik an
                stützung von Gesellschaft und Politik. Sie benötigen Aufmerk-                                 der Entwicklung der staatlichen Studienförderung bestätigt.
                samkeit, Engagement und auch Geld.“ Die Bekämpfung der                                        „50 Jahre nach dem Start ist das BAföG auf einem historischen
                Pandemie lasse die öffentliche Verschuldung steigen, sagte                                    Tiefpunkt angekommen“, erklärte Vorstandsmitglied Andreas
                Steinmeier. „Der Kassensturz wird kommen – aber an Bildung                                    Keller. „Damit wieder deutlich mehr Studierende unterstützt
                dürfen wir nicht sparen.“                                                                     werden, müssen die Fördersätze und Freibeträge kräftig an-
                Der Bundespräsident sagte weiter, er habe schon vor der Pan-                                  gehoben und künftig automatisch angepasst sowie wieder als
                demie beklagt, dass der Bildungserfolg hierzulande immer                                      Vollzuschuss gezahlt werden.“ (s. Seite 22 f.).
                noch viel zu stark von der Herkunft der Kinder und den finan-
                ziellen Möglichkeiten der Familien abhänge. Es sei bitter, dass                               Neues KMK-Gremium
                Leistungsunterschiede in der Corona-Zeit nun noch größer                                      Ferienstreit, vergleichbare Abi-Aufgaben, Lernbedingungen
                werden könnten (s. Seite 6 ff. und Seite 32 f.).                                              und Abschlüsse – diese und andere Herausforderungen des
                                                                                                              deutschen Bildungssystems will die Kultusministerkonferenz
                Weniger Ausbildungsverträge                                                                   der Länder (KMK) künftig mit Hilfe eines neuen Expertengre-
                Im Corona-Jahr 2020 ist die Zahl der neu abgeschlossenen                                      miums besser bewältigen. Die KMK setzte dafür Anfang Mai
                Ausbildungsverträge auf den niedrigsten Stand seit der Wie-                                   eine „Ständige wissenschaftliche Kommission“ ein und berief
                dervereinigung gefallen. Nur noch 467.500 Menschen began-                                     16 Mitglieder. Es handelt sich um Wissenschaftlerinnen und
                nen 2020 eine Lehre. Das geht aus dem Anfang Mai veröffent-                                   Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, etwa aus den
                lichten Berufsbildungsbericht der Bundesregierung hervor.                                     Bereichen Sprachförderung, frühkindliche Bildung, Berufsbil-
                Selbst in Zeiten der Finanzkrise 2008 war der Einbruch nicht                                  dungsforschung oder Schulpädagogik.
                so drastisch ausgefallen.                                                                     Ihre Aufgabe soll es nach KMK-Angaben sein, die Länder in
                Viele junge Menschen blicken daher pessimistisch in ihre                                      Fragen der Weiterentwicklung des Bildungswesens zu bera-
                berufliche Zukunft. Das geht aus einer Ende April veröffent-                                  ten. Es gehe dabei um die „Sicherung und Entwicklung der
                lichten repräsentativen Umfrage im Auftrag der Bertelsmann                                    Qualität“, die „Verbesserung der Vergleichbarkeit des Bil-
                Stiftung hervor. Rund 71 Prozent von gut 1.700 Befragten                                      dungswesens“ und Strategien „zu für die Länder in ihrer Ge-
                zwischen 14 und 20 Jahren meinen, dass sich ihre Chancen                                      samtheit relevanten Bildungsthemen“.
                auf dem Ausbildungsmarkt durch die Corona-Pandemie                                            Das Gremium hat eine lange Vorgeschichte: Ursprünglich
                verschlechtert haben. Bei Jugendlichen mit niedriger Schul-                                   war die Einrichtung eines „Nationalen Bildungsrates“ unter
                bildung sind es sogar 78 Prozent. Mehr als jeder Zweite (53                                   Beteiligung des Bundes geplant, um die 16 deutschen Bil-
                Prozent) war bei der Befragung                                                                dungssysteme – für Bildung ist jedes Bundesland selbst zu-
                                                                                  Foto: IMAGO/Becker&Bredel

                im Febru­ar und März der Auffas-                                                              ständig – besser aufeinander abzustimmen (s. E&W 1/2020
                sung, dass die Politik wenig bis                                                              und 12/2020). Hintergrund war unter anderem die Dauerde-
                gar nichts für junge Leute tue, die                                                           batte über die Vergleichbarkeit des Abiturs und der immer
                einen Ausbildungsplatz suchen.                                                                wiederkehrende Streit über die Sommerferienplanung. Bay-
                Wer demnächst ein Studium                                                                     ern und Baden-Württemberg waren nach langen Beratun-
                beginnen möchte, sieht die Si- Die Zahl der neu ab-                                           gen aber aus dem Vorhaben ausgestiegen, weil sie zu viel
                tuation laut Umfrage dagegen geschlossenen Ausbil-                                            Einfluss aus Berlin auf ihre Bildungspolitik befürchteten und
                deutlich positiver. Lediglich ein dungsverträge ist im                                        hatten das Projekt damit gekippt. Die GEW kritisiert, dass
                knappes Viertel der Befragten vergangenen Jahr auf den                                        das KMK-Gremium allein aus Wissenschaftlern besteht und
                hält die Chancen auf einen Stu- niedrigsten Stand seit                                        die Interessensvertretung der Beschäftigten ausgeschlossen
                dienplatz infolge der Pandemie der Wiedervereinigung                                          bleibt.
                für beeinträchtigt (s. Seite 28 f.). gefallen.

                BAföG-Satz verfassungswidrig?                                                                   In eigener Sache
                Der BAföG-Bedarfssatz liegt nach Auffassung des Bundesver-                                      Die Drucklegung dieser Ausgabe der E&W erfolgte am
                waltungsgerichts unter dem notwendigen Existenzminimum                                          25. Mai 2021. Aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der
                und könnte daher verfassungswidrig sein. Dies geht aus ei-                                      Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie
                ner Entscheidung des Leipziger Gerichts von Ende Mai her-                                       konnten daher nicht mehr berücksichtigt werden.
                vor. Geklagt hatte eine Studentin aus Osnabrück. Die Richter

   Erziehung und Wissenschaft | 06/2021
Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
Mitmachen lohnt sich ...
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                                                      Prämie des Monats Juni:
                                                      Zwei Fahrradtaschen
                                                      Fahrradtaschen aus robuster LKW-Plane mit Reißverschluss, Schnellverschluss,
                                                      einstellbarem Schulter-Trageriemen und zwei Einhängehaken für den Gepäckträger

         Neues Mitglied werben und Prämie online anfordern
         www.gew.de/praemienwerbung                                                                                                                            *Dieses Angebot gilt nicht für Mitglieder
                                                                                                                                                                 des GEW-Landesverbandes Niedersachsen.

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                                                                                                                                                                                                            E&W-Prämie des Monats Juni 2021/Fahrradtaschen
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                                       Vorname/Name                                                               GEW-Landesverband

                                       Straße/Nr.                                                                 Telefon                                Fax

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                                       Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M., Fax: 0 69 / 7 89 73-102
Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
6 BUNDESTAGSWAHL 2021

              Weiter denken
              Weiter denken
              nach Corona
              nach Corona
               // Die Schere zwischen Arm und              anderen Bereichen, und die Inzidenz-       abgesichert sind, werden immer mehr
               Reich geht in Deutschland immer             zahlen in armen Stadtteilen sind höher     abgehängt. Sie haben nicht die Zeit oder
               weiter auseinander. Im Septem-              als anderswo.                              die Kraft, sich am politischen Diskurs zu
               ber wird ein neuer Bundestag                Die soziale Ungleichheit zeigt sich auch   beteiligen. Mit den sozialen Benachtei-
               gewählt, und es wird eine neue              im Bildungsbereich. Arme Familien          ligungen gehen auch gesundheitliche
               Bundesregierung geben. Diese                mit mehreren Kindern in viel zu klei-      einher. Das muss sich ändern. Kita und
               muss die Umwelt in den Blick                nen Wohnungen können nicht jedem           Schule müssen in die Lage versetzt wer-
               nehmen, aber auch die Armut                 Kind ein digitales Endgerät und einen      den, diesen Menschen mehr zu bieten.
               bekämpfen. //                               eigenen Schularbeitsplatz zur Verfü-       Meine 30 Reisen im Rahmen von „GEW
                                                           gung stellen. Sie haben auch nicht die     in Bildung unterwegs“ haben immer
               Das „Ungleichheitsvirus“ – so betitelt      Möglichkeit, im Garten zu spielen. Die     wieder gezeigt, dass die mangelhaf-
               die Nothilfe- und Entwicklungsorga-         soziale Schere geht durch die Corona-      te personelle und finanzielle Ausstat-
               nisation Oxfam ihren Bericht über die       Pandemie auch in Deutschland weiter        tung von Kitas und Schulen besonders
               zunehmende weltweite Ungleichheit           auseinander.                               benachteiligte Stadtteile trifft. Mein
               zwischen Arm und Reich im Januar                                                       Besuch der Herbert-Grillo-Gesamt-
               2021. Oxfam rechnet vor, dass allein        Arm und bildungsfern                       schule in Duisburg-Marxloh war beein-
               das Vermögen von Jeff Bezos, dem Chef       Die Politik kennt die Folgen von Armut     druckend, die Schüler:innen arbeiteten
               von Amazon, zwischen Februar 2019           für die Bildung. Aber sie handelt unzu-    selbstständig und halfen sich gegen-
               und Dezember 2020 um 60 Milliarden          reichend. PISA belegt seit 2001 regel-     seitig. Aber der Schulleiter berichtete,
               US-Dollar gewachsen ist. Der Reichtum       mäßig, dass die Chancen der Kinder in      dass das Internet zusammenbricht,
               des Tesla-Gründers Elon Musk hat sich       Deutschland, einen Berufsabschluss         wenn die 60 (!) Laptops für etwa 700
               sogar um 131 Milliarden US-Dollar ver-      zu erreichen – sei es über die berufli-    Schüler:innen gleichzeitig in Betrieb
               mehrt. Die Organisation verlangt einen      che Bildung oder die Hochschule – für      sind. An Grundschulen in Marxloh gebe
               Weckruf für eine demokratischere und        Mädchen und Jungen aus armen Ver-          es Klassen, in denen bis zu 60 Prozent
               gerechtere Weltwirtschaft und fordert       hältnissen ungleich niedriger sind. Das    der Eltern Analphabeten seien. Die
               die Regierungen zum Handeln auf: Su-        zeigen auch die seit 2004 alle zwei        Schule wünscht sich, einen gemeinsa-
               perreiche und Großkonzerne müssten          ­Jahre erscheinenden Nationalen Bil-       men Bildungsstandort Marxloh aufzu-
               ihren Beitrag in der Krise zahlen.                                                     bauen – ein Vorzeigeprojekt ähnlich wie
               Auch der Armutsbericht der Bundes-                                                     in Berlin-Neukölln am Campus Rütli. Mit
               regierung stellt im April 2021 klar: Es       „Die soziale S­ chere                    einer solchen Strahlkraft, dass sowohl
               gibt immer mehr Arme, und die soziale         geht durch die Corona-                   Lehrpersonal als auch Eltern für ihre
               Ungleichheit verfestigt sich, während                                                  Kinder diesen wählen.
               gleichzeitig die obere Hälfte der Bevöl-      Pandemie auch in                         Hinter dem Projekt stehen die Schullei-
               kerung 99,5 Prozent des Gesamtver-
               mögens besitzt. Arbeit schützt nicht
                                                             Deutschland weiter                       tungen von sechs Marxloher Schulen,
                                                                                                      darunter Grund- und Gesamtschulen,
               vor Armut. Hinzu kommt: Wer einmal            ausei­nander.“                           Gymnasium und berufsbildende Schu-
               arm ist, bleibt arm. Sozialer Aufstieg                                                 len. Sie benötigen ausgebildete Lehr-
               durch Beschäftigung, Bildung und Ei-                                                   kräfte in multiprofessionellen Teams,
               gentumserwerb bleibt oft ein leeres         dungsberichte immer wieder. Zwar           in denen Dolmet­   scher:innen, interkul-
               Versprechen. Diese Situation wird           steigt die Bildungsbeteiligung, aber       turelle Berater:innen, Schul­sozial­ar­
               durch die Corona-Pandemie erheblich         das Risiko, bildungsarm zu bleiben, ist    bei­ter:innen, Integrations­hel­fer:innen,
               verschärft: Menschen mit geringem           weiterhin hoch. Arm, bildungsfern, mit     Künst­ler:innen und Logo­päd:innen zu-
               Einkommen müssen häufiger Einkom-           Zuwanderungsgeschichte und/oder mit        sammen arbeiten. Den Grundschulen
               mensverluste hinnehmen, und diese           alleinerziehendem Elternteil, das sind     fehlen Lehrkräfte. Nur ein Viertel der
               fallen bei ihnen stärker aus als bei Bes-   die größten Risiken für gute Zukunfts-     Stellen konnte im Sommer 2018 besetzt
               serverdienenden.                            chancen.                                   werden. Den Kindern fehlten damit
               Pandemieausbrüche treffen Menschen          Menschen, die Zeitungen nicht wirk-        3.400 Unterrichtsstunden pro Woche.
               in prekären Arbeitsverhältnissen wie        lich lesen, Diskussionen nicht verfolgen   Gerade an solch benachteiligten Stand-
               in der Fleischindustrie heftiger als in     können, Ängste entwickeln, nicht sozial    orten wirkt sich die Pandemie besonders

  Erziehung und Wissenschaft | 06/2021
Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
BUNDESTAGSWAHL 2021                                                                     7

                                                                                                                                                                  Von allen drei Risikolagen betroffen:
                                                                                                                                                                        Unter 3 Prozent
                                                   10        11        20
                                                                                                                                                                        3 bis unter 4 Prozent
                                         Schleswig-Holstein                                                                                                             4 bis unter 5 Prozent
                                                                                      10 11 20                                                                          5 Prozent und mehr
                                                                             Schleswig-Holstein
                                                                                                                         14         8        27

                                                                                                                                                                                                               Grafik: zplusz · Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder,
                                                                                                                          8 27      14
                                                                            11        13    22                   Mecklenburg-                                           Soziale Risikolage
                                                                                                     11    13    22  Mecklenburg-                                       Bildungsbezogene Risikolage
                                                                                                                 Vorpommern
                                                                                                                     Vorpommern
                                                                            Hamburg                  Hamburg                                                            Finanzielle Risikolage

                       20   24    35
                                                        20   24        TF
                                                                       35
                                                                                                TF
                                                        Bremen
                       Bremen                                                                                                                15    16    24
                                                                                      10   13       20
                                                                                                                                        15    16 Berlin
                                                                                                                                                   24

                                                                                                                                                                                                               Mikrozensus, eigene Berechnungen
                                                                                 Niedersachsen                                                                                       10 12 20
                                                   10        13        20                                                                         Berlin
                                                                                                                                                       10     7    21
                                                                                                                                                                                     Deutschland
                                                                                                                14       8     27                       Brandenburg
                                          13  Niedersachsen
                                               17 25                                                       Sachsen-Anhalt                                                                       10 12 20
                                   Nordrhein-Westfalen                                                                                                  10    7         21
                                                                                                                                                                                                Deutschland
                                                                                           14        8         27                                   Brandenburg
                                                                                                                                        10    6    21
            13    17   25                                                             Sachsen-Anhalt
                                                                                           11 6 21                                       Sachsen
                                                                                                    Thüringen
    Nordrhein-Westfalen                                           10    14       21
                                                                   Hessen
                                    8    12    21
                                                                                                                             10         6     21                          Die Einnahmen des Staates müs-
                                  Rheinland-Pfalz
                                                                        11            6     21                                                                            sen verbessert werden, um das
                                                                                                                              Sachsen
                                                                       Thüringen                                                                                          Bildungssystem zu stärken. Die
                             10     14        21                                                                                                                         GEW fordert deshalb: Schulden-
                                    9    13    20                                                                                                                     bremse abschaffen, Einnahmesei-
                                 Hessen
                                   Saarland
     8     12    21                                           6        10     15
                                                                                                           6         9    13                                      te durch gerechtere Steuern stärken,
                                                                                                           Bayern
  Rheinland-Pfalz                                  Baden-Württemberg                                                                                              überfällige Investitionen in Bildung tä-
                                                                                                                                                                  tigen! Fachkräftemangel, Investitions-
                                                                                                                                                                  stau, digitale Ausstattung, Ganztag, po-
                                                                                                                                                                  litische Bildung und gute Arbeit müssen
                                                                                                                                                                  auf die Tagesordnung der Politik und
     9     13    20                                                                                                                                               der Parteien (s. Beihefter „GEW-Posi-
     Saarland                                                                         6         9         13                                                      tionen zur Bundestagswahl“ in dieser
                             6     10     15                                                                                                                      E&W). Deshalb: nachhaltige Investitio-
                                                                                       Bayern
                  Baden-Württemberg                                                                                                                               nen in den Bildungsbereich!
                                                                  –
                                  , die jün ger als 18 Jahre sind                                                                                                 Alle Menschen brauchen Teilhabe und
                       r Menschen                    t                                                                                                            Chancen. Deshalb fordert die GEW bei-
         Risikolagen de018 nach Ländern in Prozen                                                                                                                 spielsweise mehr Sprach-Kitas und e­ inen
                      2
                                                                                                                                                                  besseren Fachkräfteschlüssel, multipro­-
                                                                                                                                                                  fessionelle Teams in den Schulen und
negativ aus. In ganz Deutschland                                             der Wirtschaft muss nicht                                                            die Beseitigung des Investitionsstaus.
nimmt der Mangel an Lehrkräften in                                  nur die Umwelt in den Blick nehmen,                                                           Wir wollen, dass die Schulen inklusiv
solchen Stadtteilen und in abgelegenen                            sondern auch die Armut. Die Wirtschaft                                                          werden. In den benachteiligten Stadt-
Orten in der Fläche deutlich zu.                                  muss gerechter werden. In den DGB-                                                              teilen brauchen wir erhebliche zusätz-
                                                                  Gewerkschaften kämpfen wir deshalb                                                              liche Ressourcen nach Sozialindex. Der
Ungleichheit bekämpfen                                            für bessere Tariflöhne, für Allgemein-                                                          Zugang zu Hochschulen und zur Weiter-
Was tun? Im Wahlkampf vor der Bun-                                verbindlichkeit der Tarifverträge, für                                                          bildung muss durch eine BAföG-Reform
destagswahl stellen die Parteien den                              einen höheren Mindestlohn. Die Städte                                                           erleichtert werden.
Bürger:innen ihre Lösungen auch für                               dürfen nicht weiter in Arm und Reich                                                            Wir brauchen eine Diskussion darüber,
dieses Problem vor. Darüber hinaus fin-                           getrennt sein, Wohnungen nicht an In-                                                           wie wir in diesem Land leben wollen.
det Ähnliches bei den Landtagswahlen                              vestmentfonds verkauft werden. Das                                                              Die Pandemie hat die Schwachstellen in
in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern                                 Wohnen muss bezahlbar werden.                                                                   Deutschland und weltweit aufgedeckt.
und Thüringen sowie den Kommunal-                                 Wir erwarten eine Bildungsoffensive                                                             Die Politik muss handeln. Wir haben
wahlen in Niedersachsen und den Be-                               statt der Drohung, dass die Corona-                                                             Vorschläge, die umgesetzt werden müs-
zirkswahlen in Berlin statt.                                      Schulden möglichst schnell getilgt wer-                                                         sen. Wir mischen uns ein.
Es kann kein „Weiter so!“ geben. Wir                              den müssten und deshalb in Zukunft
wollen, dass die Schere nicht weiter                              nicht mehr Geld für Bildung da sei. Geld                                                        Marlis Tepe,
auseinandergeht. Die Transformation                               ist vorhanden, nur falsch konzentriert.                                                         GEW-Vorsitzende

                                                                                                                                                                                         Erziehung und Wissenschaft | 06/2021
Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
8 BUNDESTAGSWAHL 2021

               Bildung soll der Türöffner für gesell-
               schaftliche Teilhabe und Wohlstand
               sein. Für arme Familien blieb diese
               Tür in der fast vergangenen Legislatur­
               periode von Schwarz-Rot häufig
               geschlossen.

                                                                                                                                                    Foto: Kay Herschelmann
              Versprechen, nicht eingelöst
               // Wenn eine Bundestagswahl                  als Hügel bilanziert, zu zahlreich die      verharrt seit 2014 „auf einem relativ
               naht, sind Reden über das Recht              Kompromisse, zu wenig ambitioniert          konstanten Niveau von ca. 6,5 Prozent“.
               auf Bildung für alle und die                 die Vorhaben. Es sagt also schon viel       Die nächste Regierung dürfte vor al-
               Herstellung gleicher Chancen                 aus, dass er bald 13 Jahre später immer     lem an der Verwirklichung des neuen
               nie fern. Ein Blick quer durch das           noch als Referenz gilt – mit vor allem      Rechtsanspruchs auf einen Ganztags-
               Bildungssystem zeigt, wie groß               zwei gescheiterten Zielen. Erstens: die     grundschulplatz gemessen werden: Im
               die Baustellen sind – und wie                Halbierung der notorisch hohen Zahl         Mai brachte das Kabinett das Ganztags-
               wenig die Versprechen in der                 der Schulabbrecherinnen und -abbre-         förderungsgesetz auf den Weg, das ab
               Vergangenheit eingelöst wurden.              cher. Diese sank von 2008 bis 2013 von      dem Schuljahr 2026/27 jedem Kind, das
               Weil – von der Kita bis in die               8 auf 5,7 Prozent, seitdem steigt sie       eingeschult wird, das Recht auf mindes-
               Erwachsenenbildung – viel zu                 aber wieder: 2018 verließen 6,8 Pro-        tens acht Unterrichts- und Betreuungs-
               wenig investiert wird. //                    zent der Jugendlichen die Schule ohne       stunden täglich montags bis freitags
                                                            Abschluss; mit der Corona-Pandemie          in der (vierjährigen) Grundschule ver-
               Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel           dürften es weit mehr geworden sein.         schafft (s. Seite 18).
               (CDU) im Herbst nach 16 Amtsjahren                                                       Philipp Lorenz leitet in Berlin-Wedding
               nicht wieder antritt, wird es an Rückbli-    Enges Personalkorsett                       eine Grundschule, die in schwieriger
               cken nicht mangeln. Einer aus der Welt       Zweitens: Nicht einmal das in Dresden       Umgebung vieles von dem umsetzt, was
               der Bildung führt zurück in ihre erste der   mühsam vereinbarte finanzielle Gerüst       es in Zukunft viel häufiger braucht: Sie
               vier Amtszeiten, in eine Reise durch Ki-     steht. 2015 sollten 10 Prozent des Brut-    ist gebunden; alle Kinder verbringen so
               tas, Schulen, Ausbildungsbetriebe und        toinlandsprodukts (BIP) in Bildung und      gleich viel Zeit in der Schule. Durch das
               Hochschulen, mit der Erkenntnis: „Wir        Forschung investiert werden, darunter       Berliner Bonusprogramm für sogenann-
               müssen eine Bildungsrepublik werden.“        7 in die Bildung. Während die 3-Pro-        te Brennpunktschulen gibt es 100.000
               So kam es zu dem Dresdner Bildungs-          zent-Hürde in der Forschung längst          Euro im Jahr extra, von denen man sich
               gipfel von 2008; wer heute noch einmal       übersprungen wurde, will das bei der        zusätzliche Sozialarbeit und Sprachver-
               über diesen nachliest, stellt fest: Unter    Bildung einfach nicht gelingen: Ihr An-     mittlung leisten kann. Außerdem wur-
               Bildungsexpertinnen und -experten            teil, konstatiert der Nationale Bildungs-   de eine Stelle umgewidmet, um einen
               wurde der Gipfel bereits damals eher         bericht „Bildung in Deutschland 2020“,      Psychologen einzustellen. „Das ist Gold

  Erziehung und Wissenschaft | 06/2021
Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
BUNDESTAGSWAHL 2021                  9          JOURIST DC80
                                                                                   Dokumentenkamera
wert“, sagt Lorenz, „nicht nur für        gogin Lisa Lewien ist wissenschaft­
die Arbeit mit den Schülerinnen           liche Mitarbeiterin an einem Qua-
und Schülern – auch im Kontakt            litätspakt-Projekt an der TU Dres-
mit den Eltern.“                          den. Sie hält es für überfällig, den
Lorenz ist stolz auf die Schule, stellt   Personalschlüssel im Lehramtsstu-
sie gern vor – und lässt dennoch          dium aufzustocken: „Ohne Dritt-
keinen Zweifel aufkommen, wie             mittel ist gute Lehre kaum noch
hart erkämpft das Erreichte, wie          möglich“, berichtet sie, „es gibt zu
eng das Personalkorsett ist: „Die         wenige Seminare, in denen Studie-
Kinder kommen mit einem riesigen          rende nachhaltig arbeiten, ebenso        •   Ultra-HD-Auflösung
Spektrum an Kompetenzen – und             zu wenig Begleitung in die Berufs-       •   USB-Verbindung
leider auch Defiziten, sprachlich         praxis.“ Folglich könnten Metho-
                                                                                   •   A3-Aufnahmen
bis motorisch. Im Grunde müssten          den und didaktische Instrumente
wir den ganzen Tag radikal indivi-        „kaum ausprobiert, gelernt und           •   Für PC und Mac
dualisierten Unterricht anbieten.         professionell begleitet verbessert“      •   Robust und leicht
Das wiederum können wir schlicht          werden. Lewien: „Und das so wich-
nicht leisten.“ Dafür braucht es –        tige Thema Inklusion fällt laufend
und das gilt natürlich nicht nur für      unter den Tisch.“                        Preis: EUR 129,-
seine, sondern für alle Schulen –         Das Lehramtsstudium steht bei-           inkl. MwSt.
eine Lehrkräfteausstattung von 110        spielhaft für einen Hochschulbe-
Prozent; mehr, wenn – wie an allen        trieb, der mit der – ebenfalls in
Berliner Grundschulen – Querein-          Dresden beschlossenen, aber nie
steigerinnen und -einsteiger einge-       ausfinanzierten – Erhöhung der
arbeitet werden. Außerdem Zeit für        Studierendenquote nicht Schritt          Eine Dokumentenkamera
den Austausch in den multiprofes-         halten kann: Von gut zwei auf na-        für den Online- und Präsenzunterricht
sionellen Teams – auch für die über       hezu drei Millionen stieg die Stu-
einen freien Träger beschäftigten         dierendenzahl seit 2008. Helfen          Zahlreiche zufriedene Lehrkräfte und unabhängige Tests
Erzieherinnen und Erzieher. „Zu-          sollten erst die sogenannten Hoch-       bestätigen: Die Dokumentenkamera JOURIST DC80 ist un-
dem sollte ein Sozialarbeiter pro         schulpakte zwischen Bund und             gemein praktisch. Die Kamera ermöglicht es den Schülerin-
Jahrgangsstufe, bei uns sind das          Ländern – die aber nichts daran          nen und Schülern, auch kleinteilige Handlungen wie natur-
vier Klassen mit rund 100 Kindern,        änderten, dass sich nach Berech-         wissenschaftliche Versuche oder Rechenoperationen im
Standard sein“, sagt Lorenz.              nungen von Volkswirtin Mecht-
                                                                                   Detail nachzuvollziehen. Und das zu einem attraktiven Preis.
Auch Platz wird benötigt. „Eigent-        hild Schrooten zwischen 2010 und
lich braucht jede Klasse einen            2017 der Ausgabenanteil weg von          Der verwendete Sensor mit Ultra-HD-Auflösung liefert ein
Klassen- und einen Teilungsraum“,         der Lehre hin zu Forschung und           detailreiches Bild. Der Kameraarm ist schwenkbar und lässt
erklärt Lorenz, und sagt dazu, das        Entwicklung verschob. Seit diesem        sich ideal ausrichten.
klinge angesichts der massiven            Jahr werden die Hochschulen durch
                                                                                   Drehen, spiegeln oder zoomen Sie das Bild, wie Sie es be-
Raumnot an Schulen fast wie ein           den „Zukunftsvertrag Studium und
„Weihnachtsmannwunsch“. Diese             Lehre stärken“ mit 1,88 Milliarden       nötigen. Frieren Sie die Kameraaufnahme ein, nehmen Sie
Not wiederum steht in direktem            Euro jährlich (ab 2024 mit 2,05 Mil-     ein Bild oder Video auf.
Zusammenhang mit dem nach wie             liarden) unterstützt (s. Seite 22 f.).
vor massiven Investitionsstau, der        Dank einer „bisher nie dagewese-
                                                                                   Jourist Verlags GmbH, Tel: 040-21098290
auch an der Schule von Lorenz groß        nen finanziellen Kraftanstrengung“,      Produktdatenblatt: www.scanner.expert
ist. Außerdem kann sich die Wed-          wie Bundesbildungsministerin Anja        Wir garantieren eine umgehende Lieferung und bieten
ding-Schule vieles nur leisten, weil      Karliczek (CDU) 2019 nach zähen
                                                                                   einen kostenlosen telefonischen Support an.
mehr als jede zweite Familie staat-       Verhandlungen konstatierte.
liche Transferleistungen erhält; nur      Aber was kommt davon an? Un-
dann kommt man nämlich in das             ter dem Motto „#stop the cuts!“
Berliner Bonusprogramm.                   protestierten Studierende und
                                          Hochschulbeschäftigte im April
Universitäre Lehre verliert               von Hamburg über Göttingen bis
Auch die Vorbereitung der Lehr-           Marburg. „In sehr vielen Bundes-
kräfte auf die komplexe Realität          ländern sind Hochschulen struktu-
an Schulen steht nicht da, wo sie         rell unterfinanziert“, erklärte eine
sollte; 2023 läuft zudem die 2013         Sprecherin der Mittelbauinitiative
gestartete „Qualitätsoffensive Leh­-      bei einer Kundgebung an der Uni
rerbildung“ aus. Die Berufspäda­          Hamburg; angesichts des- >>>
Wir brauchen einen Neuanfang - Erziehung & Wissenschaft 06/2021 - GEW
10 BUNDESTAGSWAHL 2021

           >>>   sen, wie viel Arbeit in den Zukunftsver-     und in einen persönlichen Austausch                               bände rufen seit Jahren gebetsmühlen-
                 trag floss, sei das „ärgerlich“. „Ihr seid   mit den Dozierenden gehen können“,                                haft nach einer echten Reform – nun ist
                 exzellent – wir sind insolvent“, hieß es     erklärt Bayer. Damit wird die Rolle der                           auch die Hochschulrektorenkonferenz
                 auf dem Plakat neben ihr.                    berüchtigten „Repetitorien“, in die an-                           (HRK) im Boot. Sie fordert seit Ende Ap-
                 Daria Bayer, wissenschaftliche Mitar-        gehende Examenskandidaten Tausende                                ril eine höhere Förderquote und eben-
                 beiterin am Rechtshaus – der juristi-        Euro stecken, noch wichtiger – und der                            so höhere Fördersätze, außerdem eine
                 schen Fakultät der Universität Ham-          Vorsprung der privilegierteren Studie-                            Liberalisierung der Regelstudienzeit, in
                 burg –, beschreibt, womit Beschäftigte       renden immer größer.                                              der aktuell nur jeder Dritte sein Studi-
                 wie Studierende an der Exzellenzuni-                                                                           um abschließt. Außerdem spricht sich
                 versität konfrontiert sind: „Weil Geld       Gewissheit Altersarmut                                            nun auch die HRK für einen Wegfall der
                 fehlt, werden weniger Lehrbeauftragte        Auch die staatliche Studienförderung                              Altersgrenze und flexible Lösungen für
                 engagiert und Stellen an den Lehrstüh-       bietet immer weniger sozialen Aus-                                Teilzeitstudierende aus. Denn: Auf eine
                 len vakant gehalten. Die Lücken füllen       gleich. Kaum mehr als jeder achte Stu-                            Studienrealität, die längst nicht mehr
                 diejenigen, die ohnehin oft nur auf hal-     dierende erhält das seit 2015 vollstän-                           jener der 1970er-Jahre entspricht, wur-
                                                                                                                                de das BAföG-System ebenfalls nicht
                                                                                                                                vorbereitet. Studierende, die nicht auf
                                                                                                                                traditionellem Weg kommen, sind sehr
                                                                                                                                oft älter als 30 Jahre – das ist die heu-
                                                                                                                                tige Altersgrenze für eine Förderung –,
                                                                                                                                Frauen noch häufiger als Männer. Ein
                                                                                                                                Teilzeitstudium ist bis heute nur über
                                                                                                                                einen Ausnahmeantrag förderfähig.
                                                                                                                                Aufgabe des Bundes sind auch die
                                                                                                                                Inte­gra­tionskurse, in denen Neuzuge­
                                                                                                                                wanderte aus Nicht-EU-Staaten Grund-
                                                                                                                                kenntnisse in Deutsch sowie der Ge-
                                                                                                                                schichte und der gesellschaftlichen
                                                                                                                                Realität der Bundesrepublik erhalten
                                                                                                                                sollen – und müssen. Das gelingt immer
                                                                                                                                seltener: Laut Nationalem Bildungsbe-
                                                                                                                                richt sinken die Abschlussquoten seit
                                                                                                                                2015 „kontinuierlich“, den Deutsch­-Test
                                                                                                                                auf B1-Niveau bestanden 2018 nur 52
                                                                                                                                Prozent. Das Bundesamt für Migration
                                                                                                                                und Flüchtlinge (BAMF) hat zum Jahres-
                                                                                                                                wechsel seine Finanzierung der Kurse
                                                                                                      Foto: Dominik Buschardt

                                                                                                                                zwar erhöht, dies jedoch nur unzurei-
                                                                                                                                chend: Statt 3,90 Euro pro Teilnehmen-
                                                                                                                                dem und Stunde erhalten die Kursveran-
                                                                                                                                stalter nun 4,40 Euro; die Honorare der
                                                                                                                                freiberuflichen Lehrkräfte erhöhen sich
                 Auf dem Bildungsgipfel in Dresden beschlossen Bund und Länder 2008, bis zum Jahr                               auf rund 41 Euro pro Stunde. Das Prin-
                 2015 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und 3 Prozent in Forschung zu                              zip bleibt: Wer Zugewanderte auf das
                 investieren. Dieses Ziel wurde bis heute nicht erreicht.                                                       Leben in Deutschland vorbereitet, muss
                                                                                                                                sich dafür weiterhin auf eigene Kosten
                                                                                                                                mit Zertifikaten für Deutsch als Fremd-
                 ben Stellen und befristet beschäftigt        dig vom Bund finanzierte BAföG, in den                            sprache/Deutsch als Zweitsprache aus-
                 sind. So bleibt noch weniger Zeit für die    1970er-Jahren war es fast jeder zweite                            bilden – und hat einen Job ohne jede
                 eigene Forschung und Lehre.“ Auch sie        (s. Seite 22 f.). Experten wie der Bil-                           Sicherheit; die Corona-Pandemie mach-
                 beschreibt eine Bildungswelt, unter der      dungsökonom Dieter Dohmen halten                                  te das noch einmal überdeutlich.
                 vor allem die leiden, die man in Sonn-       zudem angesichts der massiv gestiege-                             Spricht man mit Ingo Langenbach, er-
                 tagsreden so gerne mitzunehmen vor-          nen Kosten, unter anderem der Miete,                              zählt der erst einmal mit Freude, seinen
                 gibt. Zum Wintersemester werden bei          eine Anhebung um 25 Prozent für er-                               Kurs hätten im vergangenen Jahr trotz
                 den Juristen sämtliche Arbeitsgemein-        forderlich – statt einer Steigerung von 5                         Pandemie fast alle bestanden. Dass es
                 schaften gestrichen. „Diese sind die ein-    Prozent, wie es sie 2019 gab, gefolgt von                         insgesamt hakt, wundert ihn nicht: Die
                 zigen Gelegenheiten, bei denen Jura-         2 Prozent 2020. Die GEW, das Deutsche                             Kurse seien oft viel zu groß, zudem oft
                 Studierende konkret an Fällen arbeiten       Studentenwerk und Studierendenver-                                wild zusammengewürfelt – ohne Rück-         >>>

    Erziehung und Wissenschaft | 06/2021
RATGEBER: Smartes Zuhause                                                                                        ANZEIGE

Endlich WLAN in allen Ecken
Der neue WLAN-Standard Wi-Fi 6 sorgt nicht                                           TOP-BERATUNG
nur für eine schnellere Datenübertragung, sondern
auch für ein stabiles, flächendeckendes Netz.
                                                                                     UND -SERVICE
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Bestens für die Zukunft gerüstet                                                     Lösung für Ihre Wohnsituation und
                                                                                     helfen Ihnen bei der Einrichtung:
Mit dem neuen WLAN-Standard Wi-Fi 6        es außerdem auch gleich den pas-
surfen Sie nicht nur signifikant schnel-   senden Router der neuesten Genera-        in Ihrem Telekom Shop,
ler als bisher, sondern können nun         tion: Der Speedport Smart 4 erlaubt       unter 0800 33 03000
auch viel mehr Geräte ohne Qualitäts-      im WLAN sensationelle Geschwindig-        und telekom.de/heimvernetzung
verlust miteinander verbinden – selbst     keiten von bis zu 6.000 MBit/s und
in Umgebungen mit einer hohen              dient gleichzeitig als Mesh- und
WLAN-Dichte wie z. B. in Mehr-             Smart-Home-Basis. Zudem besteht
familienhäusern. Perfekt, um gleich-       der Router aus recyceltem Kunststoff                                           JETZT
zeitig Datenströme mit höchster            und wird nach Vermietung wieder auf-      Darf’s noch etwas mehr sein?          NEU
Kapazität und Geschwindigkeit zu
empfangen. Obendrein wird durch
                                           bereitet.
                                                                                     DIGITAL HOME
Optimierungen des Sendeverhaltens
die Akkulaufzeit der verbundenen
                                           Beste Voraussetzungen für                 SERVICE
Geräte verlängert.                         Smart Home und IPTV
                                                                                     Das dauerhafte Rundum-sorglos-Paket
                                           Ein gut funktionierendes Heimnetz
                                                                                     fürs Heimnetz:
                                           bildet auch die ideale Grundlage,
Voller Empfang auf Schritt und Tritt       um Ihr Zuhause zu einem Smart             • Problemlösung, Installation, Datensiche-
Der brandneue Mesh-Repeater der            Home zu machen. Entdecken Sie               rung – auch nach der Ersteinrichtung
Telekom, der Speed Home WLAN,              eine Vielzahl praktischer Alltagshelfer
garantiert dank des neuen Standards        wie Kameras oder Bewegungsmelder,         • Je nach Paket sogar mit
eine optimale WLAN-Abdeckung in            die Ihr Zuhause noch sicherer und           Vor-Ort-Service
Ihrem Zuhause. Bei der Mesh-Techno-        energieeffizienter machen – ganz          • Beratung unabhängig vom Internet-
logie erzeugen mehrere Zugangspunk-        einfach per App steuerbar. Auch für         anbieter oder Betriebssystem
te ein flächendeckendes WLAN. Ihre         MagentaTV bietet der schnelle
Geräte müssen sich daher nicht immer       Speedport Smart 4 so beste Vor-           Mehr unter 0800 33 05500 oder
wieder neu einwählen, sondern blei-        aussetzungen: Genießen Sie brillante      telekom.de/digital-home-service
ben dauerhaft im Netz verbunden –          und störungsfreie Unterhaltung in
egal, wie häufig Sie sich zwischen Ih-     Ultra-HD-Qualität. Obendrein ver-
ren Räumen oder Etagen bewegen.            stärkt die MagentaTV Box sogar Ihr
Neben dem Speed Home WLAN gibt             WLAN-Signal.
12 BUNDESTAGSWAHL 2021

           >>>   sicht auf Herkunftsländer, Religion und       Bedarf in den Ganztagsgrundschulen.          zu kompensieren, und fehlende Zeit für
                 vor allem die Bildungsbiografie: „Ob je-      Zugleich fallen die Betreuungsverhält-       Teamsitzungen und Gespräche mit Lei-
                 mand drei Jahre in der Schule war oder        nisse auseinander; in manchen Ländern        tung sowie Eltern bis zum Verfassen von
                 mit einem Hochschulabschluss kommt,           im Osten kommen auf eine Erzieherin          Sprachlerntagebüchern und Entwick-
                 ist ein Riesenunterschied“, erklärt Lan-      fast doppelt so viele Kinder wie in Ba-      lungsberichten.“ Auch hier leiden vor al-
                 genbach. Die Träger, fügt der Germanist       den-Württemberg (s. Seite 20 f.). Mit        lem die, die es am nötigsten hätten: In-
                 mit mehreren – selbstfinanzierten – Zu-       bundesweitem Blick gilt laut der Organi-     klusion, sagt Erkisi, habe sich auch in der
                 satzqualifizierungen hinzu, treffe dabei      sation für wirtschaftliche Zusammenar-       Kita längst zum „Reizwort“ entwickelt:
                 meist keine Schuld: „Die müssen sehen,        beit und Entwicklung (OECD): Jede drit-      „Das zusätzliche Personal erweist sich
                 dass sie ihre Kurse voll bekommen,            te Fachkraft in Deutschland steht unter      oft als Mogelpackung. Integrationser-
                 sonst gerät prompt die BAMF-Finanzie-         Stress, jede vierte überlegt, ihren Beruf    zieherinnen und -erzieher übernehmen
                 rung in Gefahr.“ Die Forderung, die er        aufzugeben.                                  meist ganz normale Aufgaben. Die Kin-
                 mit Blick auf die Corona-Pandemie in          Die GEW fordert seit Jahren ein bun-         der, die mehr Begleitung benötigen, sind
                 einem offenen Brief mit der Überschrift       desweit einheitliches und verbindliches      aber trotzdem da.“ Bei der Förderung
                 „Aus Daseinsvorsorge wird Daseinsver-         Kita-Qualitätsgesetz (s. Seite 20 f.). Der   von Mädchen und Jungen aus zugewan-
                 sagen!“ aufstellt: „Integration ist eine      Erzieher Cem Erkisi, Personalratsvor-        derten Familien gelte das Gleiche: „Auch
                 Daueraufgabe“, es müsse „sinnvolle            sitzender bei den Kita-Eigenbetrieben        Mehrsprachigkeit ist nur dann eine Res-
                 und faire Dauerlösungen geben anstatt         Süd-Ost in Berlin, zeigte sich im April      source, wenn man sie fördert.“ Das 2016
                 der Gewissheit auf Altersarmut“.              nach einem Workshop zu einem sol-            gestartete Bundesprogramm Sprach-Ki-
                                                               chen Gesetz, veranstaltet von der GEW,       tas, in dem Kindertagesstätten mit mehr
                 Reizwort Inklusion                            der Arbeiterwohlfahrt und dem Bun-           als 40 Prozent Kindern nichtdeutscher
                 Nach Ansicht vieler Expertinnen und Ex-       desverband Katholischer Tageseinrich-        Herkunft mitmachen können und dann
                 perten noch viel zu sehr Ländersache ist      tungen für Kinder, vorsichtig optimis-       eine halbe zusätzliche Stelle bekommen,
                 die seit 2013 qua Rechtsanspruch mas-         tisch: „Mein Eindruck ist, dass in den       sei angesichts des Bedarfs „ein Tropfen
                 siv ausgeweitete frühkindliche Bildung        Parteien ankommt: Es geht weder ohne         auf den heißen Stein“. Außerdem fehl-
                 und Betreuung. Laut Institut der Deut-        zusätzliche Mittel noch ohne eine bun-       ten Erzieherinnen und Erzieher, die für
                 schen Wirtschaft (IW) fehlen allein für       desweite Regelung.“                          den frühkindlichen Spracherwerb qua-
                 die Kinder, die jünger als drei Jahre sind,   Fragt man ihn, woran es den Kitas, in        lifiziert sind. Erkisi: „Solange der Beruf
                 rund 342.000 öffentlich geförderte Be-        seinem Fall denen in Berlin-Neukölln,        nicht attraktiver wird, kommen wir nicht
                 treuungsplätze in Kita und Tagespflege;       am meisten mangelt, weiß er kaum,            ­weiter.“
                 laut Bundesfamilienministerium zudem          wo er beginnen soll: „Es greift so vieles
                 bis 2025 rund 190.000 Erzieherinnen           inei­nander: von der Fachkraft-Kind-Re-      Jeannette Goddar,
                 und Erzieher – nicht eingerechnet der         lation über die Unmöglichkeit, Ausfälle      freie Journalistin

                                         Auch ein zweites Ziel des Dresdner Bildungsgipfels 2008
                                         ist nicht erreicht worden: Die Zahl der Schulabbreche-
                                         rinnen und -abbrecher sollte halbiert werden. Sie ist bis
                                         heute nur geringfügig gesunken.
                                                                                                                                                          Foto: Kay Herschelmann

    Erziehung und Wissenschaft | 06/2021
WAS TUN GEGEN
      VERSCHWÖRUNGS-
      IDEOLOGIEN?

                                                               e    m  o k ratie
                                                            D
                                                                            n–
                                                                 stärke haft
                                                            i v i l g e sellsc
                                                          Z                   n
                                                                     förder
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14 BUNDESTAGSWAHL 2021

                 Kinder und Jugendliche,
                 die in ärmeren Kommunen
                 aufwachsen, sind dreifach
                 benachteiligt: Sie leben
                 oft in schlechteren Wohn-
                 gegenden, lernen in maroden
                 Schulen und leiden unter den
                 Auswirkungen von Arbeits­
                 losigkeit. Schulbildung darf
                 daher in Zukunft nicht
                 mehr wie bisher nach
                 dem Gießkannenprinzip
                 finanziert werden. Die
                 Gelder müssen nach
                 einem Sozialindex

                                                                                                                                                  Foto: mauritius images/Maren Winter/Alamy
                 fließen.

                 Weg mit der Gießkanne!
                 // Schwachstellen des Schulsys-          der Persönlichkeit und vom Leistungs-      bis zum Schuljahr 2030/31 in den wei-
                 tems haben sich in der Corona-           stand der Kinder zu machen. Die Eltern     terführenden Schulen zwei Drittel der
                 Pandemie noch deutlicher                 hoffen, dass das Personalkarussell nicht   benötigten Fachlehrerinnen und -lehrer
                 gezeigt als zuvor. Die GEW for-          von neuem startet.                         fehlen. Klemm ist überzeugt, dass sich
                 dert deshalb klare Signale gegen                                                    die Untersuchungsergebnisse auf ganz
                 den Fachkräftemangel, mehr               Multiprofessionalität stärken              Deutschland übertragen lassen.
                 Investitionen in Gebäude, einen          Es hätte die Pandemie nicht gebraucht,     Die GEW warnt schon lange vor den
                 Schub bei der Digitalisierung            um den Fachkräftemangel an den             Folgen des Personalmangels – nicht nur
                 und Bundesressourcen für eine            Schulen offenzulegen. Aber die Krise       mit Blick auf bestimmte Fächer, sondern
                 gerechtere Bildung. //                   verschärft selbst die Lage an den          auch wegen des geplanten Rechtsan-
                                                          Gymnasien, die im Vergleich etwa zu        spruchs auf Ganztag in den Grundschu-
                 Für die 7. Klasse eines Gymnasiums in    Grund- oder Berufsschulen noch ganz        len ab 2025 (s. Seite 18). Für eine quali-
                 Frankfurt am Main war es der dritte      gut dastehen. Überall zeigt sich jetzt,    tativ hochwertige Ganztagsgrundschule
                 Lehrerinnenwechsel in Mathe inner-       dass Personal fehlt, um Distanz- oder      braucht es nach Berechnungen der GEW
                 halb eines Jahres. Schon in normalen     Wechselunterricht sinnvoll zu gestal-      in den nächsten fünf Jahren mindestens
                 Zeiten kein Idealzustand, im Lockdown    ten und Kinder in kleineren Gruppen        50.000 zusätzliche Lehrkräfte.
                 mit Distanzunterricht aber eine Kata­    zu betreuen. Vor allem in den MINT-        Vor der Bundestagswahl fordert die Ge-
                 strophe. Die Schülerinnen und Schüler    Fächern (Mathe, Informatik, Natur-         werkschaft deshalb beim Kampf gegen
                 kennen ihre neue Lehrerin nicht von      wissenschaft, Technik) mangelt es an       den Fachkräftemangel eine „nationale
                 Angesicht zu Angesicht. Auch die jun-    Personal. Nach einer Prognose des Bil-     Kraftanstrengung“. Zwar könne der Bund
                 ge Pädagogin hat die Kinder noch nie     dungswissenschaftlers Klaus Klemm für      nicht direkt in Personal investieren, sagt
                 „offline“ gesehen. Sie muss versuchen,   die Telekom Stiftung* (s. E&W 4/2021)      Ilka Hoffmann, im GEW-Vorstand verant-
                 sich in Videokonferenzen ein Bild von    werden allein in Nordrhein-Westfalen       wortlich für den Bereich Schule. „Aber er

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BUNDESTAGSWAHL 2021                 15

kann den Kommunen helfen und dafür          „Der NC muss bundesweit abgeschafft         rungsstau. In einer Untersuchung für die
sorgen, dass die Digitalisierung voran-     werden“, fordert Hoffmann: „Wir brau-       Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)
kommt und etwa Systemadministrato-          chen jetzt eine starke Offensive für        bilanzierte das Deutsche Institut für Ur-
rinnen und -administratoren die Schulen     neue Studienplätze.“ Gleichzeitig setzt     banistik den Investitionsbedarf im ver-
dauerhaft unterstützen.“                    die GEW auch auf gut qualifizierte          gangenen Jahr auf rund 44,2 Milliarden
Mit Hilfe eines Bund-Länder-Kommu-          Quereinsteigerinnen und Quereinstei-        Euro. Nach Einschätzung der KfW könnte
nen-Programms könnten nach An-              ger ins Lehramt, denn ohne diese ist der    die Corona-Krise für die Schulinfrastruk-
sicht der GEW auch multiprofessio-          Fachkräftemangel an den Schulen vor-        tur und die Digitalisierung zu einer an-
nelle Teams in den Schulen aufgebaut        erst nicht zu beheben. „Dafür brauchen      haltenden Belastungsprobe werden. Die
werden, um allen Kindern gerecht zu         wir Qualitätsstandards und ausgebilde-      Kommunen als Schulträger, so das Fazit,
       werden. Gemeinsam könnten            te Fachkräfte, die diese Kolleginnen und    brauchten deshalb mehr Unterstützung.
           dann Themen in den Blick         Kollegen betreuen.“ In Berlin etwa, wo      Auch Tepe fordert den Bund auf, sich fi-
               genommen werden, die         mittlerweile jede zweite Lehrkraft quer-    nanziell mehr zu engagieren: „Gute Ge-
                 in der Corona-Krise im-    einsteige, mache man gute Erfahrungen       bäude und eine gute digitale Versorgung
                  mer weiter ins Abseits    mit Mentoring-Programmen. Hoffmann          sind nicht über Nacht zu erreichen, not-
                  geraten – etwa die        ist überzeugt, dass die Einstellungspo-     falls muss man das in einem Zehnjahres-
                 Umsetzung der Inklusi-     litik an den Schulen generell verändert     plan verbindlich angehen.“
               on. „Länder wie Kanada       werden müsse, weil sich das Lernen          Vorankommen müssen Bund und Län-
             haben in der Pandemie          und Lehren weiterentwickelt: „Die Pan-      der auch beim Thema Fort- und Wei-
               wieder gezeigt, wie man      demie zeigt, dass es immer mehr Kinder      terbildung der Lehrkräfte. Die GEW will
                besser durch Krisen         mit Unterstützungsbedarf gibt. In einer     eine Offensive anstoßen, die sowohl
                  kommt, wenn auch          Gymnasialklasse mag es vielleicht nicht     den Umgang mit Diversität als auch die
                    Berufsgruppen wie       so entscheidend sein, wie viele Kinder      Digitalisierung im Blick hat. Die Corona-
                     Sozialarbeiterinnen    von einer Lehrkraft unterrichtet wer-       Ausnahmesituation zeigt, wie unter-
                      und Sozialarbeiter    den. Aber in einem sozialen Brennpunkt      schiedlich vorbereitet Lehrerinnen und
                      oder Pflegekräfte     ist die Klassengröße und damit die Lehr-    Lehrer auf den digitalen Wandel sind.
                     an den Schulen mit-    kräftezuweisung ein wichtiger Faktor.“      Während die eine Lehrkraft regelmäßig
                    arbeiten“, sagt Hoff-                                               Videokonferenzen macht und Feedback
               mann. Dringend nötig ist     Mehr Chancengleichheit                      übers Lernportal gibt, unterrichtet die
              aus Sicht der Gewerkschaft    Die GEW setzt deshalb auf eine flexible-    andere mit Arbeitsblättern, weil Technik
           außerdem, Grundschullehr-        re Steuerung bei der Zuweisung finan-       und/oder Know-how fehlen. Schon vor
kräfte sowie Lehrerinnen und Lehrer         zieller und personeller Ressourcen als      der Pandemie hatten Studien gezeigt,
an weiterführenden Schulen durch eine       Hebel für mehr Chancengleichheit. Es        dass es großen Nachholbedarf gibt. So
bessere Bezahlung in allen Bundeslän-       dürfe weder vom Wohnort noch vom            betonte eine Sonderauswertung der
dern aufzuwerten.                           sozialen Status der Eltern abhängen,        ­PISA-Studie 2018, dass Pädagoginnen
Geld allein wird den Fachkräftemangel       welche Bildungsangebote ein Kind be-         und Pädagogen in Deutschland zu wenig
allerdings nicht beheben. Denn das Pro-     komme, mahnt die GEW-Vorsitzende             Fortbildungsmöglichkeiten hätten. Die
blem beginnt bei der Ausbildung an den      Marlis Tepe. Sie schlägt vor, Bundes-        Folge: Weniger als 44 Prozent der Schul-
Hochschulen. Zwar ist das Interesse am      ressourcen nach einem Sozialindex zu         leitungen hielten ihre Lehrkräfte für
Lehramt hoch, jedoch bremsen viele          verteilen. Das bedeutet: weg von der         kompetent, neue Technologien didak-
Hochschulen die Studieninteressierten       bisher üblichen Gießkannen-Zuweisung         tisch sinnvoll anzuwenden. Im Worst-
mit einem Numerus clausus (NC) aus.         an die Länder nach dem sogenannten           Case-Szenario heißt das: schlechter
Die GEW spricht von einem „hausge-          Königsteiner Schlüssel. Schulen in är-       ­Unterricht trotz guter Technik.
machten Fachkräftemangel“, den vor al-      meren Kommunen müssten anders
lem die Länder zu verantworten hätten.      behandelt werden als Einrichtungen in       Katja Irle,
Nach einer Expertise des ehemaligen         prosperierenden Regionen, sagt auch         freie Journalistin
Berliner Bildungsstaatssekretärs Mark       Hoffmann und spricht von einer drei-
Rackles zur Lehrkräftebildung 2021**        fachen Benachteiligung: „Kinder und
(s. E&W 11/2020) haben in den vergan-       Jugendliche in armen Kommunen leben         *Klaus Klemm: Lehrkräftemangel in
genen Jahren nur drei Bundesländer          in der Regel in schlechteren Wohnge-        den MINT-Fächern: Kein Ende in Sicht.
bedarfsdeckend ausgebildet. Zwar er-        genden, lernen in maroden Schulen           Zur Bedarfs- und Angebotsentwicklung
höhten zehn der 16 Länder mittlerweile      und leiden unter den Auswirkungen von       in den allgemeinbildenden Schulen der
die Zahl der Studienplätze. Andere bau-     Arbeitslosigkeit. Von gleichwertigen        Sekundarstufen I und II am Beispiel
ten aber Plätze ab. Immerhin hat zum        Lebensverhältnissen, wie sie die Verfas-    Nordrhein-Westfalens, Dezember 2020
Beispiel Bayern jüngst den NC für das       sung vorsieht, sind wir noch weit weg.“     **Mark Rackles: Lehrkräftebildung 2021
Grundschullehramt aufgehoben, um            Apropos marode Schulen: Seit Jahren         – Wege aus der föderalen Sackgasse,
mehr Studierende auszubilden.               gibt es von München bis Kiel einen Sanie-   September 2020

                                                                                                             Erziehung und Wissenschaft | 06/2021
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