Print PANAMA PAPERS "Die journalistische Antwort auf die Globalisierung" - WDR
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print Mai 2016 DAS MAGAZIN DES WDR PANAMA PAPERS „Die journalistische Antwort auf die Globalisierung“ UEFA EURO 2016: Opdenhövels Countdown Salzburger Stier: WDR 5 und der Radio-Oscar Neues Studiokonzept: House of WDR
Foto: WDR/Nightjack Ltd./Rogers LONDON CALLING Die amerikanische PR-Expertin Liz Garvey (Brit Marling) soll das Image der Londoner Polizei aufmöbeln. Und das während Pleiten, Pech und Pannen sowie ein fieser Scharfschütze Chief constable Richard Miller (James Nesbitt) in Atem halten. Die Pilotfolge der Polizei-Dramedy „Babylon“ inszenierte Danny Boyle („Slumdog Millio- naire“). Die „New York Times“ fand „die Witze ziemlich gut, auch wenn wir die meisten davon nicht drucken können, denn es geht furchtbar oft um Analsex.“ Das WDR Fernsehen zeigt die Pilotfolge am 10. Mai, 23.30 Uhr. 2
MISSION POETICAL Foto: WDR/von Mangoldt Eine außergewöhnliche Gruppenreise im Jahre 1966: Günter Grass war dabei, Hans Magnus Enzensberger, Marcel Reich-Ranicki. Und der junge Peter Handke, den sie „das Mädchen“ nannten. Er attestierte den Kollegen im Gegenzug „Beschreibungsimpotenz“. 80 Schriftsteller und Kritiker waren an die Universität Princeton eingeladen worden, um ein Treffen der „Gruppe 47“ abzuhalten. Mit „Princeton 66“ liefert Jörg Magenau eine amüsante fiktive Reportage über „das große Auswärtsspiel der deutschsprachigen Literatur“. »WDR 3 Lesung«, 14.05., 15.05 Uhr. 3
TANZ DEN TATORT Foto: WDR/Menke Foto: WDR/Falke „Der Fred Astaire von Münster? Da haben Sie Ihren Mund aber mal wieder ziemlich voll genommen.“ Staatsan- wältin Klemm (Mechthild Großmann) ist nicht überzeugt von Professor Boernes (Jan Josef Liefers) Tanzkünsten, dennoch dient ihr der eitle Pathologe beim Tanzkurs der TSG Münster als Partner. Als eine Tänzerin tot aufge- funden wird, befinden sich die beiden schon mal im richtigen Milieu. Dann taucht im Wald ein Männerfuß auf, was den Fall verkompliziert, denn jeder weiß: „Ein Fuß kommt selten allein“. »Tatort«, 8. Mai, 20.15 Uhr im Ersten. 4
LICHTER UND DENKER Foto: WDR/Grande Horst Lichter, der Mundartgastronom unter den Fernsehköchen, hat jetzt seine Radiokolumne bei WDR 4. Unter dem Titel »Lichter al dente« nimmt der Schnauzbartträger „kein Salatblatt vor den Mund“. Ob er sich über Angeber-Edel-Mineralwasser aufregt oder zum bewussteren Fleischkonsum anregt: Er befasst sich unverblümt mit Themen, die ihn bewegen – samstagsmorgens in »Hallo, NRW!« Und weil das Ganze im freundlichen rhei- nischen Singsang daher kommt, kann man dem knuffigen Sahne-Fan wieder nix übel nehmen. 5
VIVALDI, BRUDER! Foto: WDR/Langer Foto: WDR/Falke Nie war es so einfach, zusammen mit Rapper MoTrip zu singen: Im Rahmen des „Vivaldi-Experiments“ können Jugendliche Mitglied in einem virtuellen Chor werden. Sie müssen nur ein Video mit dem Refrain des Songs „Auserwählt“ hochladen. Das wird beim Abschlusskonzert mit dem WDR Funkhausorchester am 30. September präsentiert. Außerdem sind alle eingeladen, gemeinsam mit ihren LehrerInnen Projekte rund um Kompositionen von Antonio Vivaldi zu entwickeln. Playback, Lehrmaterial und alle Infos unter schulkonzert.ard.de 6
Inhalt Editorial Titel 20 Panama Papers: Interview über die Beteiligung des WDR an den Recherchen und den Putin-Scoop House of WDR Foto: WDR/Fußwinkel 8 Neues Studiokonzept: Das House-of- WDR-Studio sorgt für frisches Design bei vielen WDR-Sendungen 12 Neue Sendung: »Westart live« macht Kultur zum Erlebnis Kabarett 16 Salzburger Stier: WDR 5 und der Radio- Oscar des Kabaretts 19 Salzburger Stier: Interview mit dem Liebe Leserinnen und Leser, deutschen Preisträger 2016, Martin Zingsheim selten hat mich etwas so elektrisiert wie die Geschichte über die Recherchen zu den Dokumentarfilm Panama Papers: 400 JournalistInnen aus 26 Lutz Hachmeister gelingt mit dem Foto: WDR/Dahmen Dokumentarfilm „Der Hannover-Komplex“ über 70 Ländern arbeiten gleichzeitig ein Jahr lang an einer Story. Und alle halten Heiß auf die ein Sittenbild der niedersächsischen Landeshauptstadt dicht, der Scoop gelingt. Ein besonders optimistisch stimmender Aspekt: Betei- EURO 2016 28 Fußball Was jetzt schon Freude auf die EURO 2016 ligte Journalisten aus Ländern, in denen die Pressefreiheit nicht als Grundrecht 28 Matthias Opdenhövel hat im 34 macht: Matthias Opdenhövel im Interview „Kleine“ Fußballvereine groß im Bild: gilt, fühlen sich angesichts der weltweiten vergangenen Jahr den schwarzen Kooperation geschützt. Der Finaltag der Amateure Der WDR war an den Recherchen zu den Freitag im Stade de France in Paris TV kompakt russischen Finanzströmen beteiligt, die erlebt. Trotzdem überwiegt seine 38 Bettina Böttinger interessiert sich für Ihre in Putins Umfeld führten. Wir sprachen Vorfreude auf das sportliche Ereignis Meinung / phoenix macht die Morde der mit drei WDR-Journalistinnen, die selbst RAF das ganze Jahr über zum Thema 2016: die UEFA EURO in Frankreich. das Handwerk des investigativen Journa- Medienmenschen lismus beherrschen, über Hintergründe 39 Jukka-Pekka Saraste und die neue Saison (siehe Seite 20): Sonia Seymour Mikich, des WDR Sinfonieorchesters / Ingrid Chefredakteurin Fernsehen, Monika Schmitz neue Unternehmenssprecherin Wagener, Leiterin des Investigativen des WDR Ressorts, und Petra Blum, die im Recherche- Online Team Russland arbeitete. 40 Mit der Elefanten-App entdecken die Drei- bis Sechsjährigen die digitale Welt Ich wünsche Ihnen eine Panorama spannende Lektüre! 44 WDR-Koproduktionen im Wettbewerb Maja Lendzian um die Goldene Palme in Cannes / Warum die „Aktuelle Stunde“ 2021 nach Köln umzieht / CIVIS Medienpreis für zwei junge WDR-Autorinnen/ WDR Medienforum in Berlin Foto: WDR/Borm Berufsbilder STRATMANNS ABSCHIED 46 Elke Whitfield ist On-Air-Designerin Tschüss, Doktor! 48 Im Gespräch Auf ein Pils mit Ludger Stratmann 48 Nach 15 Jahren ist Schluss, Jupp Stratmann schließt sein TV- 50 Glosse Christian Gottschalk macht sich Gedanken Kneipentheater. Vor Aufzeichnung der letzten Sendung erzählte darüber, wer jetzt bei schönem Wetter uns der Doktor auf ein Pils, warum er aufhört und was seine Fans eigentlich zu Hause Fernsehen guckt in seinem letzten Bühnenprogramm erwartet. 51 Service / Impressum 7
OF WDR Mit dem House of WDR führt der Sender ein neues Studiokonzept ein. Herzstück sind drei große LED-Flächen. Sie geben jeder Sendung ihren eigenen, unverwechselbaren, aber trotzdem WDR-typischen „Look“. Christian Gottschalk (Text) und Herby Sachs (Fotos) haben sich das umgestaltete Studio E während der Proben für das neue Kulturformat »Westart live« angesehen. 9
House of WDR »Servicezeit« wird zu »frauTV«: Sozusagen „auf Knopfdruck“ verändern die LED-Wände die Studiodeko der im House of WDR produzierten Sendungen. „Wir haben maximal dreieinhalb Stun- Diese neuen Gestaltungselemente lassen sich Markensegments auf. Und wir haben einen den für Umbau, Soundcheck und Proben. auf Knopfdruck „umbauen“ – ohne Zeitverzug bestimmten Markenfarbton: rot. Man sieht Dann gehen wir auf Sendung“, sagt Thomas sozusagen von jetzt auf gleich. Die reale Welt immer: Wir sind hier beim WDR Fernsehen.“ Menke. Der Regisseur drückt aufs Tempo, der Sofas, Theken und Bühnenelemente hinkt Und auch für Moderatoren und ihre denn das Team im Studio simuliert heute notgedrungen hinterher und jeder Umbau Gäste bringt die neue Technik Vorteile: „den Super-GAU“, scherzt Menke. Dieser kostet wertvolle Zeit. Im Gegensatz zum virtuellen Studio steht „Unfall“ ist eine fünfköpfige-Band, die live Für die Designer sind die Flächen mit niemand mehr vor leeren grünen Wänden, in der Sendung spielt. Millionen kleiner Lichtpunkte dagegen „der auf die später per Software die Studioum- Am 3. Mai beginnt im House of WDR schönste digitale Wechselrahmen, den man gebung gelegt wird. Alle sehen, in welcher die Produktion von fünf Sendungen: »markt«, sich wünschen kann“, sagt Michael Frei- Umgebung sie sich befinden. Das macht »Servicezeit«, »daheim + unterwegs«, »frauTV« wald, Leiter der Abteilung On-Air-Design. es wesentlich einfacher, sich natürlich im und das neue Kulturformat »Westart live« Erst jetzt gibt es fernsehtaugliche LED- Studio zu bewegen, erklärt Freiwald. „In (siehe Seite 12). Das Team übt deshalb den Wände in dieser hohen Auflösung. „Design- dem Moment, in dem man mehr Gäste hat, Umbau von »Servicezeit« auf wie zum Beispiel bei »West ART«, »Westart live«. Am Rand der Pro- duktionsfläche im Studio E steht „Ein großes Re-Design wie und für die Gespräche eine ent- sprechende Atmosphäre schaffen nun die »Servicezeit«-Küche, die Platz machen musste für das große dieses, das erlebt der Sender möchte, ist eine reale Deko eindeu- tig im Vorteil.“ Das virtuelle Studio »Westart«-Sofa, das gerade noch zusammengebaut wird. Sechs rote nur alle zehn Jahre.“ eignet sich dagegen weiterhin für bestimmte Magazinformen, zum Stühle sorgen für Verwirrung: Wer- Beispiel die ebenfalls im Studio E Michael Freiwald, Leiter On-Air-Design den sie jetzt gebraucht oder soll das produzierten Sendungen »Monitor«, runde Podest frei bleiben? Der Auf- »Weltspiegel« und »Brennpunkt«. nahmeleiter weiß: Die Sitzmöbel kommen erst entwicklung im Fernsehen ist immer tech- Dieser Wechsel zwischen virtueller und später zum Einsatz, das Podest dient zunächst nik-getrieben“, so Freiwald. „Wir hatten realer Produktion spart Kosten, ist aber, als Bühne für eine Stand-up-Komödiantin. jetzt die Chance, wegzukommen von Moni- so Markus Gerlach, Leiter der Studiopro- Nur wo können die Stühle am sinnvollsten toren in Szenenbildern, dem Fernseher im duktion, „die große Herausforderung, da zwischengelagert werden? Das bleibt zunächst Fernseher. Ein großes Re-Design wie die- knappe Vorbereitungs-, Umschalt- und Pro- ein ungelöstes Problem. Eine halbe Stunde ses, das erlebt der Sender nur alle zehn duktionszeiten bei einer Regie berücksich- war für den Umbau eingeplant, zwischen Jahre.“ Das neue House of WDR-Konzept tigt werden müssen“. anderen Sendungen bleibt sogar noch weni- ist, so Freiwald, besonders effizient und Im House of WDR haben gerade The ger Zeit, nämlich nur eine Viertelstunde. Der wirtschaftlich: „Aber nicht nur das. Der Fläsh aus Rheinbach, die „Super-GAU“- Grund: Drei LED-Flächen, die größte knapp andere Vorteil ist die Markenprägung. Man Band, ihre Herausforderung gemeistert. acht Meter auf zwei Meter fünfzig, sorgen nun erkennt über die Stilistik den Sender. Wir Sie haben den Soundcheck als Double für hauptsächlich für das Design der Sendung. greifen im Szenenbild die Schräge des WDR- die Senkrechtstarter AnnenMayKantereit 10
House of WDR hinter sich, die in der ersten Ausgabe von Das Beleuchterpult »Westart live« zu Gast sind. Alles hat zusam- des House of WDR: men mit dem Aufbau schon mal erheblich Für alle Sendungen wurde auch das länger gedauert als geplant. Moderator Mat- Lichtdesign effi- thias Bongard ist inzwischen geschminkt zienter eingesetzt, und trägt seinen guten Moderationsanzug. um Umbauzeiten Aber vor allem dient die heutige Probe der zu verkürzen. Technik und den Abläufen. Auch Bongard übt zusammen mit den Kameraleuten seine „Gänge“. Die führen auch schon mal hinter die Kulissen in die Katakomben des WDR, in denen in der ersten Sendung eine Kunst- aktion stattfindet. Man darf ruhig sehen, dass das hier ein Studio ist, ein Arbeitsplatz, so die Philosophie von House of WDR. Bei der Gestaltung des Studios haben bleibt. „Schneller!“, klingt Menkes Stimme Regie und On-Air-Design enger zusammen- aus den Studio-Lautsprechern, der Kamera- gearbeitet als je zuvor. Die Kameraführung, mann mit der handlichen „Steadycam“ vor die Positionen der Moderatoren, die Möb- der Brust dreht eine Runde um die „Studio- lierung, die Lichtstimmung, die Farbigkeit gäste“, heute dargestellt von drei Kabelhil- der Grafiken, die Kleidung der Moderato- fen und dem Feuerwehrmann, während die ren: alles muss zusammen passen. Das Ziel Band spielt. Im Sekundentakt schneidet der exakten Vorbereitung: Die Sendungen Menke die Bilder der fünf Kameras – kna- werden „industriell“ mit festen Zeit- und ckige Rock‘n‘Roll-Bilder. Regievorgaben, einem universellen Licht- Menkes Fazit am Ende der Probe: Der design und weniger Personal produziert, die Zeitplan muss noch einmal überarbeitet Studiobelegung durch eine bessere Schicht- werden. Die Band mit Aufbau und Sound- auslastung mit bis zu drei Sendungen pro check, das dauerte alles länger als geplant. Schicht optimiert. Das spart Kosten. Irgendwo muss das Team also Zeit einspa- ren. Bongard ist zuversichtlich, dass am Drei Sendungen pro Schicht 2. Mai alles funktionieren wird: „Ich glaube, bei der ersten Sendung sind alle so kon- Michael Freiwald (Leiter On-Air-Design, r.) und Michael Worringen (Redaktionsleiter Präsentation Die »Westart live«-Probe zeigt aller- zentriert, dass es klappt. Bei der zweiten und Programmdesign) haben für das neue Studio dings, dass trotz „Industrialisierung“ noch Sendung habe ich mehr Angst vor großen zusammengearbeitet. immer Raum für spontane Gestaltung Pannen.“ 11
House of WDR KULTUR OHNE KORSETT Das Kulturformat »Westart live« wird spontan und schräg. Ab 2. Mai sorgt die von Matthias Bongard moderierte Sendung montagabends ab 22.40 Uhr dafür, dass niemand einschläft. Gäste der neuen Sendung, die auch im House of WDR produziert wird, sind Schauspieler Dominique Horwitz, Kulturreporterin Anja Backhaus, Kolumnistin Noah Sow, Literatur- kritiker Denis Scheck und die Pop-Band AnnenMayKantereit. Bekommt viel Freiheiten im neuen Studio: Matthias Bongard freut sich auf Spontanes, Unperfektes und Improvisiertes bei »Westart live«. Fotos: WDR/Sachs 12
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Das Licht wird eingerichtet: Matthias Bongard mit Doubles auf der Couch. „Ich freue mich auf ein Fernsehen, das nicht durchgestylt ist. Das heißt jetzt nicht, dass unsere Sendung anarchisch wird, sondern dass man Zeit hat, Sachen zu vertiefen, dass man spontan sein kann und nicht in ein Korsett gepresst wird“, sagt »Westart live«-Moderator Matthias Bongard. Die neue, 80-minütige und „total umgekrempelte“ Live-Sendung ersetzt das »Westart Maga- zin«, sagt der Redaktionsleiter Klaus Reimann. »Westart live« sei „kein Kulturmagazin im klassischen Sinne mehr, sondern ein überraschendes Kulturformat, das wir vollkommen neu gedacht haben. Wir haben nicht mehr dieses Prinzip: ein Moderator, sechs Filmbeiträge, ein Gast.“ Kultur wird erlebbar und zum Erlebnis Im Gespräch mit Regisseur André Müller Die Idee: weniger über Kultur zu berichten, sondern Kultur In den Beiträgen sucht die Redaktion ebenfalls nach „anderen für den Zuschauer erlebbar und zum Erlebnis zu machen. Und Vermittlungswegen“. „Wir gucken nicht von oben drauf und erklä- zwar sowohl in den Beiträgen als auch im Studio, wo zur Premi- ren dem Zuschauer die Kunst.“ Außerdem lädt das »Westart«-Team ere ein Pop-Kracher live spielt: die „immer mal wieder Leute ein, die Kölner Newcomer AnnenMayK- live eine Kunstaktion machen“, antereit. Dominique Horwitz, „Wir wollen dafür sorgen, so der WDR-Redakteur. ebenfalls Gast der ersten Sen- Es darf also schräg zugehen, dung, wird nicht nur sein neues- dass die Gäste etwas machen, Hauptsache nie langweilig. „Es tes Projekt vorstellen und dann soll viel passieren, wer ist mon- wieder gehen. „Wir wollen, dass was sie sonst nicht machen.“ tags um 22.40 Uhr schon live auf die Gäste in Bezug zueinander Sendung? Das ist ein Alleinstel- Klaus Reimann, »Westart«-Redaktionsleiter kommen, überraschende Begeg- lungsmerkmal“, sagt Reimann, nungen inszenieren, dafür sor- „aber wir müssen eben auch dafür gen, dass sie etwas machen, was sie sonst nicht machen“, erklärt sorgen, dass keiner einschläft.“ Reimann. Gemeinsam musizieren beispielsweise. Subjektiv und Regie und Redaktion wollen während der Sendung möglichst meinungsfreudig sollen Sendung und Gäste sein. Der mündige flexibel bleiben: „Wenn sich live etwas auftut, mit dem wir nicht gerech- Zuschauer kann selbst entscheiden, so Reimann, ob er mit Kul- net haben, wenn sich ein bestimmter Esprit zwischen den Gästen turreporterin Anja Backhaus, Kolumnistin Noah Sow oder Lite- entwickelt oder eine interessante Diskussion, dann lassen wir das raturkritiker Denis Scheck, der live im Studio rezensiert, einer laufen. Wenn ein guter Fernsehmoment entsteht, dann muss eben Meinung ist. ein anderes Thema dran glauben.“ 14
House of WDR Der Kamerakran bringt neue Perspektiven. Das Unvorhersehbare, das Unperfekte ist Bestandteil der berühmte Fünf-Minuten-Vorher-Angst. Aber bisher freue ich Sendung. Wenn man mal eine Kamera sieht oder jemand von der mich erst mal. Ich versuche mir die ganze Zeit zu sagen: Ist ja Ausstattung durchs Bild läuft, dann ist das eben so. „Natürliche nur Fernsehen. Kann eigentlich nichts passieren.“ Lässigkeit“ nennt Reimann das Prinzip, „und ich denke, wir haben Christian Gottschalk einen Moderator, dem dieses Format auf den Leib geschnitten ist“. »Westart live« Und der scheint – noch – die Ruhe selbst zu sein. „Ich habe wohl einen Hang dazu, das Risiko zu gehen“, sagt Matthias Bongard. WDR Fernsehen „Eine Live-Sendung von 80 Minuten könnte einem eigentlich MO / 2. Mai / 22:40 Angst machen. Vielleicht kommt die noch kurz vorher. Die Künftig in Köln »daheim + unterwegs« Die Redaktion von »daheim + unterwegs« (»d+u«) ist im April von Düsseldorf nach Köln umgezogen und sendet vom 2. Mai an aus dem neuen Studio „House of WDR“, natürlich nach wie vor live. Den Umzug im laufenden Sendebetrieb beschreibt »d+u«-Redaktionsleiter Holger Cappell als „logistische Meisterleis- tung in allen Gewerken“. Die Herausforderung: innerhalb von vier Tagen täglich zehn Arbeitsplätze im Funkhaus Düsseldorf ab- und im Filmhaus Köln wieder aufzubauen. „Vorgesehen sind ein Puffertag – und null Tage Eingewöhnungs- zeit.“ Die »d+u«-Zuschauer finden in ihrer Sendung wie bisher viel Vertrautes und Bewährtes: nämlich Information und Unterhaltung aus und für NRW, die Freut sich auf das neue Studio und ist gespannt auf die gesamte Vielfalt der Regionen und der Menschen, die hier leben, so Cappell Möglichkeiten: »d+u«-Moderatorin Laura Rohrbeck. Foto: WDR weiter. „Es wird getalkt, gekocht und gewerkelt, aber mit dem Wechsel ins neue Studio erhält »daheim + unterwegs« eine andere Anmutung.“ Der deutlichste Unterschied: „In Düsseldorf haben wir eine Wohnküche inszeniert, künftig werden wir mit LED-Wänden statt haptischer Requisiten arbeiten.“ Der Redaktionsleiter sieht das positiv: „Wir werden authentischer, stehen dazu, dass wir aus einem Studio kommen.“ Ein Kamerakran ermöglicht neue optische Eindrücke wie etwa große Schwenks. „Aus Regiesicht ein Quantensprung“, freut sich der Redaktionsleiter. Noch kein »daheim + unterwegs« Ersatz ist allerdings für den Studiogarten am Düsseldorfer Funkhaus gefunden, aus dem Garten- und andere bunte Themen gesendet wurden. Man prüfe die Möglichkeiten des „Urban Gardenings“ in WDR Fernsehen Außenbereichen der Kölner WDR-Gebäude, kündigt Cappell an. BaB MO bis FR / 16:15 – 18:00 15
Der Salzburger Stier, der renommierteste Radio-Kabarettpreis im deutschsprachi- gen Raum, wird dieses Jahr in Paderborn verliehen. WDR 5 präsentiert zusammen mit dem KulturBüro-OWL das Treffen hochkarätiger Kabarettkünstler mit zahl- Anja Iven reichen Sendungen und Aufzeichnungen. Foto: WDR/Fußwinkel Damit stellt WDR 5 einmal mehr unter Beweis, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Förderer der Kultur im Land nicht wegzudenken ist. OSCAR des Kabaretts Unter dem Motto „Paderborn macht ernst mit lustig“ feiert inhaltlich muss es funktionieren. Jedes Land hat eigene Charak- die Stadt Paderborn vom 3. bis 21. Mai ein großes Kabarettfestival teristika: Das Kabarett aus Deutschland sei klar getaktet, sehr rund um den Salzburger Stier. Höhepunkte sind der Eröffnungs- deutlich und oft hart, so die Leiterin der Radio-Unterhaltung. In abend des Preisverleihungswochenendes, „Olaf Schubert und Österreich dagegen würde mehr erzählt, mit mehr Emotionen und seine Freunde“ (20.5.), und natürlich die Verleihung des Stiers an gleichzeitig auch viel schwarzem Humor. Das Schweizer Kabarett die drei Preisträger Martin Zingsheim aus Deutschland (siehe Inter- habe nicht so ein hohes Tempo, sei nicht so unverschämt direkt view auf Seite 19), Gery Seidl aus Österreich und Uta Köbernick wie das deutsche, dafür sehr präzise und oft mit clownesken oder aus der Schweiz (21.5.). „Damit ist Paderborn auch Schauplatz akrobatischen Elementen verknüpft. einer der größten Radiokooperationen Europas“, sagt Anja Iven, die Unterhaltungschefin im WDR-Hörfunk. WDR 5-Kabarettfest am 9. Mai Hinter dem Salzburger Stier stehen die Unterhaltungsprofis öffentlich-rechtlicher Radiostationen aus Deutschland, Öster- Für die Radiohörer entsteht durch die Stier-Kooperation reich, der Schweiz und Südtirol, zusammengeschlossen in der ein besonderer Reiz: „Sie erhalten Einblicke in andere Humor- Arbeitsgemeinschaft für Unterhaltung deutschsprachiger Sender facetten und die Kleinkunstszenen unserer Nachbarländer“, sagt (AUDS). Sie stellen drei Jury-Gremien, die jedes Jahr den Stier an Anja Iven. je einen Künstler oder eine Künstlerin vergeben. WDR 5 wird zahlreiche Veranstaltungen rund um den Salz- burger Stier aufzeichnen, allen Anstalten der AUDS zur Verfügung Was ist in der Schweiz lustig? stellen und natürlich auch selbst im Programm senden, allen voran den Eröffnungsabend sowie den Preisträgerabend (alle Sendeter- Die Entscheidung, wer den Stier bekommt, ist jedes Jahr aufs mine siehe Kasten S. 38). „Außerdem sind wir mit unserem WDR 5- Neue eine Herausforderung. „Wir müssen Künstler finden, die Kabarettfest am 9. Mai in Paderborn vertreten“, so die Leiterin sowohl sprachlich als auch von der Präsentation her in allen drei der Hörfunk-Unterhaltung, die zusammen mit dem Paderborner Ländern beim Publikum ankommen“, erklärt Anja Iven, die in der KulturBüro-OWL und unterstützt vom WDR-Studio Bielefeld für deutschen Jury sitzt. Denn das Programm der Künstler muss für die Organisation der Stier-Veranstaltungen sowie des WDR 5- Radiohörer überall gleichermaßen verständlich sein. Iven: „Wenn Kabarettfestes zuständig ist. Am 9. Mai treten gleich drei Preisträ- ein Österreicher sein Programm auf Hochdeutsch spielt, dann ist ger des Salzburger Stiers auf: Simone Solga (2015), Fritz Eckenga dieser typisch österreichische ‚Schmäh‘ einfach ein anderer.“ Auch (2012) und Wilfried Schmickler (2010). ➔ 16
17 Foto: WDR/Bosbach
Kabarett Das „WDR 5-Kabarettfest“ Rund 90 Veranstaltungen zeigt nicht nur zur Stier-Verlei- aus den Bereichen Kabarett, hung, wie WDR 5 mehrmals im Satire und Comedy sowie Lie- Jahr hochkarätige Kabarett- und dermacher-Konzerte schneidet Comedy-Künstler in allen Lan- die WDR-Hörfunk-Unterhal- desteilen Nordrhein-Westfalens tung alleine 2016 mit, um sie präsentiert. Unverzichtbar dafür live oder zu einem späteren sind gut organisierte Partner Zeitpunkt im WDR-Hörfunk zu vor Ort: Kleinkunstbühnen präsentieren. „Wir achten dabei oder Kulturveranstalter, die auf eine ausgewogene Mischung die jeweilige Szene und das aus prominenten Namen sowie Publikum kennen und wissen, Newcomern der verschiedenen welche Veranstaltung sich für Kleinkunst-Genres“, sagt die welchen Ort eignet. Eine Koope- Unterhaltungschefin. Von vie- Uta Köbernick (l.) gewinnt den Preis der Schweizer Jury, Gery Seidl wird von ration mit Vorteilen für beide den Österreichern ausgezeichnet. Foto: WDR/Rederlechner; WDR/Gelles len Veranstaltungen sind außer- Seiten: „Gerade für kleinere dem kurze Videos oder Mit- Veranstalter ist es oft schwierig, schnitte im Internet abrufbar: große Namen für ihre Veranstal- „Die Radiohörer erhalten Einblicke comedy.wdr.de oder auch tungen zu bekommen. Wir als wdr5.de. WDR haben die entsprechenden in andere Humorfacetten und Kontakte und arbeiten seit Jah- „Unser Kulturauftrag“ ren mit den Künstlern zusam- die Kleinkunstszenen unserer men. So bringen wir auch in fast Das Wortprogramm WDR 5 allen Landesteilen Kabarett und Nachbarländer.“ habe die meisten Unterhaltungs- Comedy auf die Bühne – und programmplätze innerhalb der bekommen tolle Unterhaltung, die wir in unseren Hörfunkpro- ARD, betont Anja Iven. Dazu gehören unter anderem Sendungen grammen wiederum in ganz NRW verbreiten“, erklärt Anja Iven wie »Unterhaltung am Wochenende« (samstags, 15.05-17.00 Uhr), die erfolgreiche Kulturförderung. Mit dabei sind Künstler aus ganz wo Eigenproduktionen von Kabarettveranstaltungen sowie Mit- Deutschland sowie dem Ausland, besonderes Augenmerk liegt Iven schnitte von Kleinkunstbühnen präsentiert werden, und »Satire zufolge auf Künstlern aus NRW und dem Nachwuchs. „Die Ent- Deluxe« (samstags, 11.05-12.00 Uhr), die satirische Aufarbeitung der wicklung geht immer weiter, es kommen immer neue und begabte vergangenen Woche mit Axel Naumer und Henning Bornemann. Künstler“, erklärt Anja Iven. „Wir sehen uns ständig junge Talente Und auch in den anderen WDR-Programmen gehören Satire, Kaba- an, und wenn sie Potenzial haben, arbeiten wir mit ihnen zusam- rett und Comedy zum guten Ton. „Die Unterhaltung ist eine der men. Wir suchen Inhalte ihrer Programme aus, die zum Radio ureigenen Aufgaben des Radios“, sagt Anja Iven. „Wir halten daran passen, oder sie schreiben als Autoren für unsere Unterhaltungs- fest: Sie gehört zu unserem Kulturauftrag.“ Katrin Pokahr sendungen.“ So baue man eine Verbindung zwischen Künstlern und Radio auf und nicht selten eine jahrelange Zusammenarbeit. www.salzburgerstier.wdr5.de Salzburger Stier, Festival und Preisverleihung: Sendungen in WDR 5 14. Mai, 15:05 – 17:00 WDR 5-Kabarettfest mit Simone Solga, 4. Juni, 15:05 – 17:00 (Wdh. am 30. Juli, 15:05 – 17:00 und in »U22 Fritz Eckenga und Wilfried Schmickler, moderiert von Matthias – Unterhaltung nach zehn« am 7.6. und 8.7., jeweils um 22.05): Brodowy und Ingo Börchers (Veranstaltung vom 9. Mai, 19:30). Olaf Schubert und seine Freunde – der Eröffnungsabend des Wiederholung in »U22 – Unterhaltung nach zehn« am 17. und Preisverleihungswochenendes (Veranstaltung vom 20. Mai, 19:30) 18.5., jeweils um 22:05. 11. Juni, 15:05 – 17:00 und in »U22 – Unterhaltung nach zehn« Am 21.5., 11:05 – 12:00: »Satire Deluxe« mit Axel Naumer und 14.6. und 15.6., jeweils um 22.05: Zwei Füße für ein Halleluja – Henning Bornemann live aus Paderborn Mit einem Regenten unterwegs. Jochen Malmsheimer und Uwe 26. Mai, 20:05-22:00 WDR spezial: Best of Rainald Grebe Rössler (Veranstaltung vom 14. Mai, 19:30) (Veranstaltung vom 11. Mai, 19:30) 28. Mai, 15:05-17:00 (Wdh. am 23. Juli., 15:05-17:00 und in Tickets für alle Veranstaltungen bei den Vorverkaufsstellen »U22 – Unterhaltung nach zehn« am 31.5. und 1.6., jeweils um Paderborner Ticket Center, 05251/299750, www.paderhalle.de, 22:05): Preisträgerabend des Salzburger Stiers mit Ausschnitten TicketDirect, 05251/280512, www.ticket-direct.de, sowie aus den aktuellen Programmen der PreisträgerInnen Uta Köbernick, unter www.eventim.de. Gery Seidl und Martin Zingsheim, Moderation: Matthias Brodowy (Veranstaltung vom 21. Mai, 19:30) 18
Kabarett „Der Preis ist eine Sahnehaube, mindestens“ „Wir hatten keine Lieder, was wir hatten, ist, freut mich wirklich sehr. das war Pech“, singt Martin Zingsheim Moment: Ich nehme das mit über die 1990er Jahre und reiht die meist- dem Sahnehäubchen zurück. gespielten Titelverfehlungen dieser Der Salzburger Stier ist eine Zeit auch noch gnadenlos (und brillant) Sahnehaube, mindestens. aneinander. Der Kölner Kabarettist ist bekannt für wilde Assoziationsketten, Wie entstehen Ihre Programme? schnelle Pointen und eine große The- Die Texte entstehen tat- menvielfalt. Sie reicht von den 90ern sächlich so wild und abenteuer- über Gott und die Welt bis hin zu Ve- lich, wie sie dann auf der Bühne ganismus und der Idee, Geisteswis- auch klingen. Es gibt ungezählte senschaftler als promovierte Einheizer Satzfetzen, skizzierte Ideen, nie im Museum einzusetzen. Was Martin beendete Songanfänge und halb Zingsheim (32) macht, kommt an: Seit fertiggestellte Pointen auf mei- er 2011 mit seinem ersten Solopro- nem Laptop, meinem Handy, gramm auf Tour gegangen ist, wurde er auf Aufnahmegeräten und auf mit 18 Kabarett- und Comedy-Preisen herkömmlichen Zetteln. Krea- ausgezeichnet. Am 20. Mai kommt ein Der Deutsche Preisträger Martin Zingsheim Foto: WDR/Rodriguez tivität, Inspiration und Geistes- weiterer hinzu. blitze sind ja nicht gerade der machen kann. Wir Humoristen treten klassische „Nine-to-five-Job“, und irgend- Herzlichen Glückwunsch zum Salzburger einfach im Theater auf wie jeden Abend wie bin ich daher als Autor dieser wahn- Stier, auch bekannt als „Radio-Oscar“! Was und vergessen ganz, dass draußen vor witzigen Shows mehr Passagier als Kapitän macht das Radio für Sie und Ihre Kunst zu der Tür der Ü-Wagen steht – purer Luxus! und immer davon abhängig, dass mir am einem wichtigen Medium? Fernsehen macht auch unheimlich Spaß, Ende doch irgendetwas einfällt. Danke, also für den Glückwunsch. aber nur das Radio fängt den Kabarettis- Fürs Radio aber auch. Denn tatsächlich ten gewissermaßen in seinem natürlichen Sie gelten als Senkrechtstarter der deut- ist das Radio, insbesondere der WDR- Lebensraum ein, dem Kleinkunsttheater schen Kabarett- und Comedy-Szene. Wie Hörfunk, für mich glücklicherweise von im unmittelbaren Kontakt zum Publikum – wird man in kurzer Zeit so erfolgreich? Anfang an ein entscheidender Begleiter ohne Rücksicht auf Kameras und auf- Und: Wie geht es weiter? und Förderer meiner künstlerischen Arbeit wendig illuminierte Kulissen. Ich mache mir nichts vor: Erfolg ist gewesen. Es bestätigt sich immer wieder doch nie wirklich planbar, oder? Und der Eindruck, dass man durchs Fernsehen Der WDR als entscheidender Förderer kann auch nicht der Antrieb sein. Ich zwar kurzfristig sehr viele Menschen für persönlich bin gänzlich unstrategisch sich gewinnen kann, beim Radio aber fast Zu den Preisträgern des Salzburger Stiers angetreten, mache seit jeher einfach das, schon so etwas wie langfristige Freund- gehören Wilfried Schmickler, Fritz Eckenga, was ich selber für lustig und relevant schaften zwischen Komiker und Publi- Dieter Hildebrandt, Nessi Tausendschön halte, und schließe schlicht und ergrei- kum entstehen können. Häufig höre ich und viele andere. Was bedeutet er für Sie fend von mir aufs Publikum. Scheint zu abends im Theater von Zuschauern: „Wir und Ihre Arbeit? klappen. Pläne habe ich eigentlich stets haben Sie ja neulich in der »Unterhaltung Solange Wilfried Schmickler und die zu viele als zu wenige. Ich werde mit einer am Wochenende« gehört.“ Wenn ich dann wunderbare Nessi keinen Protest gegen wunderbaren Band meine Lieblingslie- frage, was ich denn dort gespielt habe, finde meine Auszeichnung einlegen, lese ich der aus den ersten fünf Jahren Zingsheim ich nicht selten heraus, dass sie in Wahr- meinen Namen persönlich furchtbar gerne spielen. Im Herbst wird mein erstes Buch heit eine Sendung von vor zwei oder drei in dieser heroischen Reihe. Ich war künst- erscheinen, ich bastle fleißig am nächsten Jahren meinen – oder wie der Radiohörer lerisch nie beschränkt auf eine bestimmte Solo-Programm, ein Geheimprojekt mit eben sagt: neulich. Region in Deutschland, sondern von dem WDR Funkhausorchester steht an, Anfang an quer durch den ganzen deutsch- und über alles andere hat man mir verbo- Funktioniert die Mischung aus Wort und sprachigen Raum zwischen Kiel, Mün- ten zu sprechen. Vielleicht sehe ich sogar Musik, die Sie auf der Bühne präsentieren, chen, Zürich und Wien unterwegs. Dass irgendwann meine Familie wieder, das im Radio besonders gut? nun ein Preis als hochrangiges Kabarett- wäre ein echt wichtiges Projekt. Mann, Das Tolle am Radio ist ja, dass es Sahnehäubchen folgt, der ebenso regionen- dieser WDR macht mich fertig! sich als Medium so herrlich unsichtbar und sogar länderübergreifend ausgerichtet Mit Martin Zingsheim sprach Katrin Pokahr 19
PANAMA „Die journalistische Antwort auf die Globalisierung“ Illustration: von Zubinski 20
PAPERS Es war wie ein Fotos: WDR/Görgen Paukenschlag: Am 3. April gingen Medienhäuser weltweit mit den Recherche-Ergeb- nissen zu den sogenannten Panama Papers an die Öffentlichkeit. Die Auswertung geleakter Doku- mente der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca offenbarte, wer seine Geldflüsse über Briefkastenfirmen zu verschleiern sucht. Ebenso interessant wie die illustren Namen waren die Umstände, unter denen sie zutage gefördert wur- den: Ein riesiges internationales Netzwerk von Journalistinnen und Journalisten hatte ein Jahr lang im Verborgenen an den Enthüllungen gear- beitet. Der WDR war an dieser Sternstunde des investigativen Journalismus beteiligt. Christine Schilha sprach über das Abenteuer mit Sonia Seymour Mikich, WDR Chefredakteurin Fernsehen, Monika Wagener, Leiterin des Investigativen Ressorts, und der freien Journalistin Petra Blum, die für den WDR im Recherche-Team Russland Putins Machtelite auf der Spur war. 21
Titel 400 Journalistinnen und Journalisten aus muss solche Dokumente auch lesen und über 70 Ländern arbeiten gleichzeitig an verstehen können. einer Story – gab es jemals zuvor etwas Ähnliches? Und woher können Sie das, Frau Blum? WAGEN ER : Es gab noch nie ein BLUM: Ich bin ausgebildete Wirt- derart großes Datenleak. Aber es gab mit schaftsjournalistin und habe beim Han- OffshoreLeaks, LuxLeaks und SwissLeaks delsblatt und bei der Wirtschaftswoche Vorläuferprojekte des ICIJ (Internationales gearbeitet. Außerdem war ich bei Swiss- Konsortium Investigativer Journalisten, Leaks schon dabei. die Red.), bei denen es auch um Steuer- oasen und Geldwäsche ging und wir teil- Wie wurde dann festgelegt, wer was macht? weise mitrecherchiert haben. WAGENER: Im September waren wir BLUM: Da lag aber höchstens ein bei einem Treffen von 150 beteiligten Jour- Bruchteil der Datenmenge der Panama nalisten in München. Da hatten wir erste Papers vor. Einblicke, was diese Daten bergen. Es gab MIKICH: Ich würde das schon his- Vorträge zur Verstrickung des isländischen torisch nennen. Die Panama Papers wer- Ministerpräsidenten Sigmundur DavÍð den vor allem wegen der transnationalen Gunnlaugsson oder von Fifa-Beteiligten – Kooperation in die Geschichte des Jour- zu allem, was sich da schon andeutete. nalismus eingehen. Hervorragende Leute BLUM: Da haben sich dann die Teams haben zugunsten der journalistischen formiert. Ich habe mit hochkarätigen Tiefe das Konkurrenzgebaren beiseite Kollegen aus den USA, Großbritannien, gelassen – das kann man gar nicht hoch Russland und der Schweiz die russischen genug schätzen. Und alle haben ein Jahr Finanzströme untersucht. lang ihre Arbeit geheim gehalten. In einer so geschwätzigen Branche wie der unseren: Brauchten Sie da russische Sprachkennt- großartig! nisse? WAGENER: Es ist die journalistische BLUM: Nein, die Daten lagen in der Antwort auf die Globalisierung. Die Regel auf Englisch, Deutsch und Spanisch Wirtschaftskriminellen verschieben ihre vor. Wir hatten aber auch Unterstützung Gelder ja auch multinational. von Journalisten der unabhängigen rus- sischen Zeitung „Novaya Gazeta“ und „Das Projekt hat gezeigt, dass die Zeit der des „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP – Netzwerk Einzelkämpfer im Journalismus vorbei ist. investigativer Journalisten aus Osteuropa und Zentralasien, die Red.). Der einsame Schnüffler gehört ins analoge Wo haben Sie gearbeitet, und wie lief die Zeitalter.“ Sonia Seymour Mikich Kommunikation? BLUM: Ich habe von zu Hause aus Wie kam es zur Beteiligung des WDR? gearbeitet. Da wir alle über den Globus WAGENER: Die Daten wurden vor verteilt waren, brauchte ich nur Rechner, einem Jahr Frederik Obermaier und Bas- Skype und Headset. Manchmal, wenn tian Obermayer von der Süddeutschen ich jemanden aus dem Team kontaktie- Zeitung anonym zugespielt. Die haben ren wollte, habe ich zur Sicherheit erst im sie an das ICIJ weitergegeben, eine Non- Internet geschaut, welche Tageszeit der Profit-Organisation, die investigative Pro- Kollege gerade hat. Das ICIJ hatte aber auch jekte dieser Größenordnung koordiniert. ein doppelt gesichertes Online-Forum für Da wir eine Recherchekooperation mit uns eingerichtet, über das wir uns austau- der Süddeutschen und dem NDR haben, schen konnten. war klar, dass wir mitmachen. Vor neun WAGENER: Petra und ich haben uns Monaten hat uns Hans Leyendecker, der verschlüsselte Mails geschickt oder uns die Leiter des SZ-Investigativressorts, ange- Unterlagen persönlich vorbei gebracht. sprochen. Ich habe dann Petra Blum ins Einmal war ein Umschlag im Haus ver- Boot geholt, weil sie eine Datenschnüffle- schwunden – da war die Aufregung groß. rin mit dem nötigen Background ist. Man Er ist aber zum Glück wieder aufgetaucht. 22
Titel Die Recherchen führten in Putins Umfeld. Wie wertet man 11,5 Millionen Daten aus? Der ist mit Kritikern nicht zimperlich ... BLUM: 2,6 Terabyte kann niemand in MIKICH: Das ist vor allem für die einem Leben auswerten. Der Datensatz war russischen Kollegen gefährlich. Die sind obendrein auch noch sehr vielschichtig identifizierbar, treten öffentlich auf. Vor zusammengesetzt: Da waren PDF-Doku- deren Mut ziehe ich den Hut. mente drin, Bilddateien, E-Mails, einge- BLUM: Absolut! scannte Briefe. Eine Suchmaschine hat WAGENER : Roman Anin von der zunächst alle Daten zu relevanten Namen „Novaya Gazeta“ sagt aber auch, dass das herausgefiltert. Die konnten wir dann wei- internationale Netzwerk für ihn ein Schutz ter auswerten. Das ICIJ-Data-Team stellt sei, ohne den es viel gefährlicher gewesen ständig sicher, dass wir darauf zugreifen wäre, solche Enthüllungen zu veröffent- können, aber keine Hacker drankommen. lichen. MIK ICH: Das Projekt hat gezeigt, dass die Zeit der Einzelkämpfer im Jour- „Es waren nur wenige eingeweiht. Wir haben nalismus vorbei ist. Der einsame Schnüffler gehört ins analoge Zeitalter. auch die Moskauer WDR-Kollegen aus den WAGENER: Im digitalen Zeitalter sind solche Leaks natürlich auch erst mög- Recherchen herausgehalten, um sie nicht in lich geworden. Früher hätte man unbe- merkt tonnenweise Papier aus dem Büro Schwierigkeiten zu bringen.“ Monika Wagener tragen müssen. War es manchmal auch langweilig, sich da Wer im WDR war eingeweiht? durchzuwühlen? WAGENER: Ganz wenige nur. Unser BLUM: Anfangs schon, wenn man die Abteilungsleiter Udo Grätz natürlich und Geschichte noch nicht sieht. Wir haben irgendwann habe ich Tibet Sinha von der uns zu dritt nur vier Briefkastenfirmen Programmgruppe Europa und Ausland wirklich genau angeschaut. Das Beson- informiert, weil die Recherchen vermut- dere an diesem Russland-Datensatz war lich Auswirkungen auf unser Studio in die große Menge an Verträgen – manchmal Moskau haben werden. Wir haben aber drei in einer E-Mail mit jeweils 50 Seiten. auch bewusst entschieden, die Moskauer Ich hatte am Schluss zwölf Ordner voll WDR-Kollegen aus den Recherchen her- mit dem Zeug, die habe ich inzwischen auszuhalten, um sie nicht in Schwierig- verbrannt. Das muss erst mal intensiv keiten zu bringen. Selbst beim Dreh für gelesen werden, bevor man überhaupt eine die gemeinsame ARD-Dokumentation ungefähre Vorstellung davon hat, welche mit dem NDR waren sie außen vor. Erst Geschichte das erzählen könnte. als die Sperrfrist näher rückte, haben wir mehr und mehr Kollegen auf den Scoop Und wie kommt man dann von den Daten vorbereitet. zur Geschichte? MIKICH: Auch mir wurde zunächst BLUM: Man geht Verdachtsmomenten nur gesagt: „Wir haben da ein dickes Ding, nach und recherchiert Hintergründe. Wir mehr darfst du nicht wissen.“ Ich durfte haben uns intensiv mit dem Bankenwesen nur bezahlen (lacht). Da braucht man als in Russland befasst und mit Putins Ver- Chefredakteurin schon sehr viel Vertrauen. gangenheit, seinem Freundeskreis, seiner Aber es hat sich gelohnt! Für mich ist das Machtelite. Irgendwann war uns klar, dass Projekt Sauerstoff für unseren Job, der wir das alles gegenchecken lassen müs- einen ja ganz oft enttäuscht und zynisch sen, um sicher zu gehen, dass wir nicht die macht. Es war eine Leistung, die uns wie- falsche Geschichte aus den Puzzleteilen der dahin gebracht hat, wo wir hingehören, zusammensetzen. Jeder ist dann in seinem nämlich in die Position der vierten Gewalt. Land mit den geschwärzten Verträgen zu Deshalb habe ich überhaupt mit dem Jour- den entsprechenden Experten gegangen. Da nalismus angefangen: um Korruption, braucht man vertrauenswürdige Kontakte. Machtmissbrauch, Demokratiedefizite, Das macht man erst ganz zum Schluss, kurz Menschenrechtsverletzungen öffentlich bevor man die Betroffenen mit der Recher- zu machen. che konfrontiert. ➔ 23
Titel WAGEN ER : Das ist immer eine Wir haben keinen Jagdinstinkt, es geht spannende, aber nicht ganz ungefährli- uns nicht darum, dass jemand zurück- che Phase. Denn dann wissen sie, dass tritt. ihnen was droht. Putin hat auch gleich MIK ICH: Ich bin überzeugt, dass in einer Pressekonferenz verkünden las- diese Recherche den Blick wieder auf die sen, dass eine große Verschwörung gegen Notwendigkeit von Investigation gelenkt ihn bevorstehe. Er hatte ja immer gesagt, hat. Eine solche Erfolgsgeschichte hilft uns dass es unpatriotisch sei, Offshore-Firmen aus der Glaubwürdigkeitskrise und wirft zu haben. Nun stellt sich heraus: Seine ein Licht darauf, wozu gerade die Öffent- engsten Vertrauten haben welche, und er lich-Rechtlichen fähig sind. Die ersten 48 Stunden nach der Veröffentlichung lief ich mit einem breiten Lächeln herum. „Bei manchen Themen geht die Arbeit Gibt das ICIJ Daten an Ermittlungsbehörden jetzt erst richtig los. Beim ersten Datensatz heraus? MIKICH: Nein. Anders als bei Wiki- haben wir mal ausgerechnet: Eine Person Leaks werden die Daten auch nicht kom- plett veröffentlicht. Das ist im Grunde ein hätte 26 Jahre gebraucht, um sich das Wertestreit zwischen dem Journalismus, der dazu da ist, zu redigieren, kuratieren alles anzuschauen.“ Petra Blum und gegenzuchecken, und Aktivisten, die absolute Transparenz fordern und alles ins Netz stellen, ohne sich um die Konsequen- findet’s gar nicht tragisch. Das ist fast noch zen zu scheren. verdächtiger als die Enthüllungen selbst. WAGENER : Wenn Politiker oder MIKICH: Es geht um die moralische Prominente eine Briefkastenfirma haben, Dimension. Viele sagen: Ja ja, das hat man ist das schon mal anders zu bewerten als doch alles schon gewusst, und es ist ja nicht wenn Frau Mayer eine hat und wir nicht illegal, eine Briefkastenfirma zu gründen. wissen, ob sie ihre Steuern dafür bezahlt. Aber legal ist noch lange nicht legitim. Selbstverständlich müssen in beiden Fäl- Interessant ist doch, in welche Nähe sich len die Betroffenen gehört werden und es vermeintlich ehrenwerte Politiker zu Dik- darf keine Vorverurteilung stattfinden, tatoren, Waffenhändlern, Drogenbossen aber das öffentliche Interesse an einer und anderen Kriminellen begeben. Verdachtsberichterstattung ist bei öffent- lich bekannten Personen natürlich eher Gibt es wirklich harmlose Gründe für eine gegeben. Briefkastenfirma? MIKICH: Oft wird die gierige Ehefrau Woher wissen Sie überhaupt, dass die Daten genannt, vor der man das Geld in Sicherheit echt sind? bringen will … WAGENER: Eine Reihe von Doku- WAGENER: Zum Beispiel, wenn einer menten hatten schon einmal in Gerichts- um seinen Pflichtteil beim Erbe gebracht verfahren eine Rolle gespielt. Die Kollegen werden soll. Das ist aber auch fies, oder? von der SZ haben festgestellt, dass sie iden- tisch sind. Bei Diskrepanzen hätte man In Russland gibt es weder juristische Konse- die komplette Quelle anzweifeln müssen. quenzen, noch regt sich ziviler Widerstand. Zahlreiche weitere Recherchen haben die Frustriert Sie das nicht? Echtheit der Dokumente verifiziert. MIKICH: Russland ist eine ermüdete Gesellschaft, es gibt keine breite demokrati- Wie finanziert man eigentlich ein so zeit- sche Opposition mehr und kaum noch freie aufwendiges Projekt mit unbekanntem Presse. Da kann man nicht viel erwarten. Ausgang? BLUM: Aber die Geschichte ist um WAGENER: Der WDR hat seit zwei die Welt gegangen und hat hohe Wellen Jahren das Investigative Ressort, das genau geschlagen. für so etwas da ist: sendungsunabhängige, WAGENER : Das Befriedigende ist ergebnisoffene Recherche für die cross- ja, die Zusammenhänge zu verstehen. mediale Verwertung. 24
Titel Illustration: von Zubinski Derzeit kommen täglich neue Nachrichten erst richtig los. Beim ersten Datensatz »Weltspiegel« extra: Panama Papers – zu den Panama Papers ans Licht. Gibt es da haben wir mal ausgerechnet: Eine Person Wie eine Enthüllung die Welt erschüttert eine festgelegte Dramaturgie? hätte 26 Jahre gebraucht, um sich das alles http://q-r.to/panama BLUM: Wir hatten im Dezember ein anzuschauen. Dann sind immer noch mehr Treffen in London, da haben wir den Zeit- Daten dazugekommen. Weitere Informationen und Sendungen plan für die Putin-Geschichte internatio- zu den Panama Papers: nal koordiniert, weil wir das Risiko für die Sind internationale Netzwerke die Zukunft http://q-r.to/panamainfos russischen Kollegen möglichst minimie- des Journalismus? ren wollten. Auch für die anderen großen MIKICH: Unbedingt! Zumindest des Geschichten haben wir dann einen groben Journalismus, den wir vertreten. Ressour- Fahrplan erstellt. cen zu bündeln ist finanziell notwendig. Und WAGENER : In Deutschland spre- inhaltlich klug: Solche Teams können breiter chen wir uns mit der SZ und dem NDR ab. und tiefer recherchieren. Obendrein ist die Es gibt noch ein paar Geschichten, die die Wirkung viel größer, Nachrichten verpuffen Kollegen momentan einfach nicht schaf- nicht so leicht. Umweltsünden, Korruption, fen. Die kommen noch irgendwann. Machtmissbrauch – das sind alles große internationale Themen, die man gemeinsam Ist die Auswertung des Leaks abgeschlossen? angehen muss. Die Panama Papers sind die BLUM: Nein! Das geht weiter. Bei Blaupause, und ich bin froh, dass wir dabei manchen Themen geht die Arbeit jetzt waren. 25
Dokumentarfilm Hannover-Connection: AWD-Gründer Carsten Maschmeyer (2. v. r.) mit dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, seiner Frau Doris Schröder-Köpf (r.) und der Schauspielerin Veronica Ferres, Maschmeyers Ehefrau Foto: WDR/picture-alliance/dpa MAN KENNT SICH, MAN HILFT SICH Eigentlich wollte Lutz Hachmeister einen Film über die Causa Wulff machen. Letzt- endlich ist „Der Hannover-Komplex“ ein Sittenbild der niedersächsischen Landes- hauptstadt geworden, in der sich Politik und Wirtschaft traditionell sehr nahestehen. 26
Dokumentarfilm Korruptionsfälle in der bundesdeutschen ebenfalls zu Wort kommt, war nach dem Geschichte gegeben als die von Glogowski Abitur klar: „Wenn du was werden willst, und Wulff, meint Lutz Hachmeister. „Aber musst du hier weg.“ Hachmeister fragt sich diese Engmaschigkeit eines parteienüber- jedoch auch, wie es kommt, dass aus einer greifenden Netzwerks aus Politik, Wirt- so kleinen Stadt mit Langeweile-Image so schaft und High Society ist schon sehr viele bundesdeutsche Spitzenpolitiker her- einzigartig“, sagt der Filmemacher über vorgegangen sind. Hannover. In einer Stadt mit nur etwas Außenminister Frank-Walter Stein- über 500 000 Einwohnern seien die Bedin- meier, Wirtschafts- und Energieminister gungen dafür ideal. Sigmar Gabriel oder Verteidigungsminis- terin Ursula von der Leyen stammen aus „Paradies der Bemittelten“ dem politisch-personellen Kraftzentrum Hannover. Letztere ist die Tochter von Schon zu Beginn von „Der Hanno- Ernst Albrecht, der von 1976 bis 1990 hier ver-Komplex“ ahnt man, was gemeint Ministerpräsident war. Manche sahen ist. Der Anwalt Götz von Fromberg lässt damals in dem dauerlächelnden Konser- sich von seinem Chauffeur durch die vativen mit der Vorzeigefamilie einen Stadt fahren, erklärt, wer wo in Han- niedersächsischen Kennedy. Die Atom- nover sitzt und was zu sagen hat, und kraftgegner in Gorleben nannten den grüßt dabei immer mal durchs Fens- ehemaligen Geschäftsführer des Gebäck- ter, wen er so kennt. Und er kennt viele. herstellers Bahlsen verächtlich „Graf Keks“. Legendär sind seine Herrenabende, wo Hachmeister widmet ihm, ebenso wie dem „Genossen der Bosse“ Gerhard Schröder, eine längere Passage seines Films. Die These vom Underdog-Bewusstsein „Ich glaube, was die Hannoversche Gesellschaft ausmacht, ist eine Art Under- dog-Bewusstsein“, so die These Hachmeis- ters, „man hält zusammen, man trifft sich auf Maschmeyers Sommerfest oder bei Fromberg im Partykeller, weil man das unterschätzte Label Hannover selbstbe- Medienforscher, Publizist, Regisseur – Lutz Hachmeister, der langjährige Leiter des Grimme- wusst nach außen tragen will.“ „Er hat sich verheddert in einem Instituts, hat viele Professionen. Für diese Mit dem tiefen Fall Wulffs endet der Geflecht von Beziehungen, zu denen er WDR-Produktion war er einmal mehr als Film „Der Hannover-Komplex“ (Hach- nicht die nötige Distanz gehabt hat – eine Dokumentarfilmer tätig. Foto: laif/Akhtar meisters Buch mit gleichnamigem Titel wichtige Voraussetzung für das Amt“, das erscheint im Mai). Nach Bild-Berichten sagte Christian Wulff (CDU) über Gerhard sich die niedersächsische Hautevolee in über Urlaube in Maschmeyers Luxusvilla Glogowski (SPD), nachdem dieser 1999 ungezwungener Atmosphäre trifft, von auf Mallorca und andere Vorteilsnahmen wegen Korruptionsvorwürfen vom Amt Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder über hinterließ der Bundespräsident auf dem des niedersächsischen Ministerpräsiden- Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer Anruf beantworter von Chefredakteur ten zurückgetreten war. „Glogo“, wie er bis zu den Musikern der Rockband Scorpions. Kai Diekmann eine wütende Beschwerde. von Parteifreunden genannt wurde, hatte Auch Frank Hanebuth war gern gesehener Grünen-Politiker Jürgen Trittin, dessen sich das Bier und den Kaffee für seine Gast, schließlich war er der oberste Hells Karriere ebenfalls in Hannover begann, Hochzeitsfeier von ortsansässigen Unter- Angel von Hannover und Frombergs Man- meint dazu: „Er hat nicht verstanden, dass nehmen schenken lassen. 13 Jahre später dant. Er sorgte im Steintorviertel, wo der das, was in Hannover normal war, in Berlin stolperte Wulff selbst über diverse Gefällig- Anwalt mehrere Immobilien besitzt, für nicht mehr funktioniert.“ CSh keiten unter Freunden – darunter ein sehr „Ordnung“. günstiger Kredit für sein Hannoveraner Der Schriftsteller und Philosoph Theo- Der Hannover-Komplex Eigenheim. Das kostete ihn das Amt des dor Lessing empfand seine Heimatstadt Das Erste Bundespräsidenten. Hannover als „Paradies der Mittelstädte, MO / 2. Mai / 22:45 Köln hat seinen Klüngel, die CSU des Mittelstands, der Bemittelten und ihre Amigos, überall wäscht eine Hand die jeder Mittelmäßigkeit“. Für den Zeit-Chef- WDR FERNSEHEN andere. Es habe weitaus schwerwiegendere redakteur Giovanni di Lorenzo, der im Film MI / 4. Mai / 23:55 27
UEFA EURO 2016: OPDI-M 28
M ALE VORBEREITUNG Selbst am Schreibtisch dreht sich alles um Fußball. Am 10. Juli steigt das Finale der UEFA EURO 2016 in Paris. Doch schon längst steht beim EURO-Team des WDR, der innerhalb der ARD die Feder- führung übernommen hat, das große Turnier im Mittelpunkt. Sascha Woltersdorf (Interview) und Ludolf Dahmen (Fotografie) haben Moderator Matthias Opdenhövel in seinem Büro besucht. „Opdi“ präsentiert und analysiert gemeinsam mit Mehmet Scholl die Top- spiele der EM. Und logisch: Der deutschen Elf traut er den Titel zu. 29
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