ÄTNA AZULEJOS FEUERWASSER BIENNALE

 
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ÄTNA AZULEJOS FEUERWASSER BIENNALE
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              NOVEMBER 2019

ÄTNA
AZULEJOS
FEUERWASSER
BIENNALE
ÄTNA AZULEJOS FEUERWASSER BIENNALE
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                                                                                                  3

editorial

   FENYA,
   FEUERWASSER,
   FERNE.

   Geschätzte Leserinnen und Leser

   Wofür brennen Sie? Eine Passion hat die Kraft, Grenzen neu zu definieren und Dinge zu
   erschaffen, die über das Gewohnte hinausgehen. Die Werke von Künstlern leben ebenso von
   diesem inneren Feuer wie auch die grossen Errungenschaften von Forschern oder die Ent-
   deckungen von Abenteurern.

   Die vorliegende Ausgabe steht ganz im Zeichen dieser Leidenschaft, dieses «heiligen Feu-
   ers»: Begleiten Sie Martin Mühlegg auf seiner Vulkanexpedition im tiefsten Süden Italiens,
   wo der Ätna noch heute aktiv ist. Sascha Rettig lädt Sie ein zu einer Tour auf dem Tennes-
   see-Whiskey-Trail, wo das Feuerwasser des Wilden Westens herkommt. Was die Azulejos,
   die Wahrzeichen Portugals, mit Feuer zu tun haben, erfahren Sie von Gabriela Beck. Über
   eine andere Art des Feuers – jenes, das im Herzen entfacht wird – berichtet Marco Iezzi in
   seinem Porträt über die aussergewöhnliche Beziehung von Felix und Fenya.

   «Interesting Times» ist das Hauptmotiv von Gregor Lüthys Bericht über die Biennale in
   Venedig, wo die Kunst zu heissen Diskussionen anregt, und Augenspezialist Prof. Dr. med.
   Wolfang Bernauer legt den Fokus auf ein Dorf in Griechenland, das er in seinem Fotoband
   porträtiert, den wir Ihnen in dieser Ausgabe vorstellen. Unser medizinischer Artikel von Dr.
   med. Felicitas Witte ist dieses Mal dem Thema Rheumatologie und Biosimilars gewidmet.

   Grosse Leidenschaft haben auch Sie gezeigt, geschätzte Leserinnen und Leser, mit der Teil-
   nahme an unserer Umfrage zum medico JOURNAL und dem Wettbewerb «Ärzte testen An-
   zeigen», deren Auswertung Sie auf Seite 20 finden. Herzlichen Dank!

   Viel Vergnügen beim Lesen wünschen Ihnen.

   Marc Schwitter                           Rolf Ryter
   Redaktion                                Verlag
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inhalt
     06   Publireportagen

12   MEDIZIN
     Biosimilars helfen sparen

     20   Ärzte testen Anzeigen:
          Die Sieger stehen fest!

                                        80    KUNST
                                              Fotografie – Die Zeit anhalten

                                              94   Biennale Venedig
                                                   Die Welt braucht Künstlerinnen

32   REISEN
     Ätna – Leben auf Lava

     46   «Tennessee Whiskey Trail»
          Mehr als Feuerwasser

     60   Azulejos – Im Feuer geboren

                                        106   MENSCHEN
                                              Feuer und Fenya – Felix hatte keine
                                              Ahnung von Pferden, jetzt hat er Fenya
ÄTNA AZULEJOS FEUERWASSER BIENNALE
medico JOURNAL – MEDIZIN

                                                                                                                                               steigende Ausgaben für gentechnisch hergestellte Medikamen-          Etanercept, Adalimumab, Certolizumab und Golimumab die
                                                                                                                                               te in der Rheumatologie. Waren es 2013 nach Berechnungen             Gelenkzerstörung bei rheumatoider Arthritis signifikant mehr
                                                                                                                                               von curafutura «nur» 386 Millionen Franken pro Jahr, sind es heu-    als Placebo. Der Effekt betrug etwa 0,9 Prozent pro Jahr bei
                                                                                                                                               te 571 Millionen Franken. «Hierzulande fehlen die Anreize, Bio-      einer Biologika- beziehungsweise Biosimilar-Monotherapie und
                                                                                                                                               similars zu verschreiben», sagt Martina Weiss, Leiterin Verträge     1,2 Prozent, wenn die Präparate mit Methotrexat kombiniert
                                                                                                                                               und Vergütung Arzneimittel und Medizinprodukte bei der Hel-          wurden. Es machte dabei keinen Unterschied, ob der Patient
                                                                                                                                               sana-Krankenversicherung. «Die Originalpräparate sind immer          ein Original-Biologikum oder ein Biosimilar bekam. «Man
                                                                                                                                               noch marktführend, und die Ärzte setzen Biosimilars nur zöger-       kann seinen Patienten versichern, dass Biosimilars genauso
                                                                                                                                               lich ein. Wir hinken anderen europäischen Ländern klar hinter-       gut wirken wie Biologika», sagt Stephan Krähenbühl, Chef der
                                                                                                                                               her.» Warum Ärzte so zögern, habe verschiedene Gründe. Zum           Arzneimittelkommission am Universitätsspital Basel. «Bis jetzt
                                                                                                                                               einen wolle der Arzt seine therapeutische Freiheit behalten. Zum     gab es bei den Biosimilars, die in der Schweiz auf dem Markt sind,
                                                                                                                                               anderen gäbe es keine verbindlichen Vorgaben für die Ärzte,          keine Unterschiede, die die Wirksamkeit oder die Sicherheit der
                                                                                                                                               wirtschaftlich zu verschreiben. «Ausserdem merken wir immer          Therapien klinisch relevant beeinträchtigt haben.»
                                                                          verschrieben hierzulande noch eher selten ein Biosimilar, sagt       wieder, dass die Hersteller von Originalpräparaten vielen Ärzten
                                                                          Diego Kyburz, Chefarzt Rheumatologie am Universitätsspi-             Rabatte gewähren», sagt Weiss. «All das dämpft natürlich den         Ungünstig: Negative Einstellung
                                                                          tal Basel und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für         stärkeren Einsatz von Biosimilars.»                                  Gelegentlich wurde in den Studien jedoch vom Nocebo-Effekt
                                                                          Rheumatologie: «Vor allem bei der Neueinstellung. Dabei gibt es                                                                           berichtet: Eine negative Einstellung gegenüber dem Biosimilar
                                                                          inzwischen genügend Studien, die gezeigt haben, dass sowohl          Swissmedic prüft Biosimilars penibel                                 wirkt sich ungünstig auf den Behandlungserfolg aus. So brach
                                                                          eine Neueinstellung als auch ein Wechsel bei gleicher Wirksam-       Der Begriff Biosimilar mag unglücklich gewählt sein, aber er ist     beispielsweise in einer Studie aus den Niederlanden3 jeder
                                                                          keit und Sicherheit möglich sind.»                                   im Grunde genommen korrekt: Im Gegensatz zu Generika sind            vierte der 192 Patienten die Therapie nach Umstellung auf ein
                                                                                                                                               Biosimilars nämlich keine identische Kopie vom Originalpräparat,     Biosimilar vom Rheumamittel Infliximab ab, weil er das Gefühl
                                                                          Mit biologisch hergestellten Medikamenten, die gegen rheuma-         sondern unterscheiden sich minimalst. Das ist jedoch ein             hatte, es wirke nicht, weil er Nebenwirkungen bekam oder wegen
                                                                          tische Krankheiten eingesetzt werden, machten Pharmafirmen           Merkmal aller gentechnisch hergestellten Medikamente und             beidem. In einer Untersuchung aus Dänemark4 setzte jeder elfte
                                                                          im Jahr 2018 einen Umsatz von 571 Millionen Franken – Biosi-         keines, das Biosimilars von Biologika unterscheidet. Selbst          der 802 Patienten das Infliximab-Biosimilar nach der Umstellung
                                        Erosionen und Gelenkspalt-        milars nahmen dabei nur einen Anteil von 2,7 Prozent ein. «Als       jede neue Charge eines Biologikums ist nie identisch mit             ab, weil es angeblich nicht wirkte – dabei war seine entzündliche
                                        verschmälerung an diversen        die ersten Biosimilars auf den Markt kamen, haben viele Kollegen     der vorherigen. «Das können sie auch gar nicht sein, weil es         Arthritis genauso kontrolliert wie vorher. Wird die Therapie in
                                        MCP-Gelenken und in den
                                        Handgelenken.                     wegen des Begriffs gedacht, die seien ja nur ähnlich und deshalb     grosse und komplizierte Moleküle sind, die in lebenden Zellen        einem negativen Kontext gegeben, so fanden Forscher von der
                                        © Diego Kyburz, Unispital Basel   nicht austauschbar», sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der       hergestellt werden», sagt Ludwig. «An einem Baum ist ja auch         Universität in Turin heraus,5 – 7 kommt es zu einem Anstieg von
                                                                          Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ).             kein Blatt identisch mit einem anderen.» Die Swissmedic prüft        Schmerz-Botenstoffen und erhöhter Nervenaktivität in den
                                                                          «Die Pharmalobby der Originalhersteller benutzte regelmässig         jedoch penibel, ob sich der Unterschied zwischen Biosimilar          Hirnregionen, die in die Verarbeitung von Schmerz involviert
Biologisch hergestellte Medikamente sind ein
                                                                          den Slogan ‹Ähnlich, aber nicht gleich›, um Ärzte von der Ver-       und Original-Biologikum – welches oft als Referenzarzneimittel       sind. Eine grosse Rolle spielt aber offenbar, ob der Patient weiss,
Segen für viele Patienten – zum Beispiel in der                                                                                                bezeichnet wird – in Grenzen hält. So muss die Pharmafirma           dass er ein Biosimilar bekommt. In doppelblinden Studien, in
                                                                          ordnung von Biosimilars abzuhalten.» Diese Schlagzeile griffen
Rheumatologie. Doch die Medikamente sind                                  viele Journalisten auf, sogar Fachjournalisten. Offenbar hatte       nachweisen, dass sich ihr Biosimilar nur so minimal vom              denen weder Arzt noch Patient wussten, ob dieser ein Biosimilar
enorm teuer und eine grosse Belastung unseres                             sich kaum jemand damals die Mühe gemacht, zu verstehen, was          Original-Biologikum unterscheidet, dass Wirksamkeit und              bekam, brachen viel weniger Patienten die Therapie ab.8
Gesundheitssystems, gerade bei chronischen                                Biosimilars genau sind. Kein Wunder, dass Ärzte zögern, abgese-      Sicherheit im Vergleich zum Original nicht beeinflusst werden.
Krankheiten. Dabei gibt es seit Jahren preiswerte                         hen davon mangelt es im Alltag oft an Zeit, sich über Biosimilars    Der Fokus liegt beim Zulassungsprozess auf der Qualität, bei der     Mio. CHF      Umsätze Biologicals Rheumatologie 2014 – 2018
Nachahmerprodukte, Biosimilars genannt.                                   genau zu informieren. Doch niemand braucht sich in komplizier-       Präklinik und Klinik kann das Dossier reduziert sein, weil auf das   600
                                                                          te Fachliteratur zu vertiefen: Das Kapitel über Biologika und Bio-   Referenzpräparat Bezug genommen werden kann.
Schweizer Ärzte zögern jedoch und verschreiben
                                                                          similars im alljährlich erscheinenden Arzneiverordnungs-Report                                                                            500
immer noch fünfmal häufiger Original-Biologika                                                                                                 Bei der Behandlung mit Biosimilars muss man unterscheiden,
                                                                          in Deutschland ist auch für Schweizer Ärzte eine gute Grundlage
als Biosimilars. Das verursacht unnötige Kosten                           für unabhängige Informationen über die Präparate und die ein-        ob ein Patient neu ein gentechnisch hergestelltes Medikament
                                                                                                                                                                                                                    400
in Millionenhöhe. Die Regierung plant jetzt                               schlägigen Studien.1                                                 bekommen soll oder ob er schon eines hat und der Arzt
Massnahmen, die hohen Ausgaben einzudämmen.                                                                                                    eine Umstellung vorschlägt. «Dass man problemlos neu mit
                                                                                                                                                                                                                    300
                                                                          Es fehlen die Anreize                                                einem Biosimilar beginnen kann statt mit einem Biologikum,
Fragt man Rheumatologen, was sie von Biosimilars halten,                  Fünf Mal häufiger verschreiben Rheumatologen hierzulande ein         zweifeln inzwischen weniger Kollegen an», sagt Ludwig.
hört man selbst von so manch einem gestandenen Professor:                 Original-Biologikum als ein Biosimilar, hat Andreas Schiesser,       «Aber beim Wechsel zögern immer noch zu viele.» Dabei                200

Biosimilars würden ja gar nicht so gut wirken, sie seien ja nur si-       Tarifexperte beim Krankenversicherungsverband curafutura,            haben inzwischen Dutzende von Studien gezeigt, dass ein
milar – also ähnlich – und nicht gleich. Lieber bleibe man beim           ausgerechnet. Das verursache enorme Kosten, sagt er. «In den         Wechsel weder Sicherheit noch Wirksamkeit der Therapie               100
herkömmlichen Original-Biologikum. Biologika sind ein Segen               meisten Fällen sind die völlig unnötig.» Bis zu 40 Millionen Fran-   beeinflusst. Biosimilars sind Biologika ebenbürtig, das bestätigt
für viele Patienten, denn damit lassen sich Krankheiten in vie-           ken, so ergaben Schiessers Berechnungen, könnte die Schweiz          auch eine ganz aktuelle Netzwerk-Metaanalyse aus 36                     0
len Fällen beherrschen oder gar heilen, so auch bei vielen Pati-          pro Jahr sparen, wenn Ärzte öfter Biosimilars verschreiben wür-      randomisierten klinischen Studien2 – vom Studiendesign her                  2014            2015             2016      2017        2018

enten mit rheumatischen Krankheiten. Doch Rheumatologen                   den. Sparen tut not: Seit Jahren verzeichnen die Kassen stetig       eine Topqualität. Im Vergleich zu Placebo reduzierten Infliximab,               Total Originale    Total Biosimilars
ÄTNA AZULEJOS FEUERWASSER BIENNALE
medico JOURNAL – MEDIZIN

Mehr Zeit für Patientenaufklärung                                                      Original-Biologika und ihre Biosimilars. In der Schweiz                        Ein Paradies für Originalhersteller
Ganz so einfach wie bei der Substitution von Generika sei                              sind im Vergleich zur Europäischen Union noch wenige                           Hierzulande herrschen für die Hersteller von Originalpräparaten
es aber nicht, sagt Klaus Krüger, Sprecher der Kommission                              Biosimilars auf dem Markt, die gegen rheumatische                              im Vergleich zu anderen Ländern – etwa Deutschland –
Pharmakotherapie bei der Deutschen Gesellschaft für                                    Krankheiten eingesetzt werden.                                                 paradiesische Zustände. Das Gesetz lässt Arzt und Apotheker
Rheumatologie. «In Deutschland werden wir demnächst zehn                                                                                                              ziemlich viel Freiraum, sodass der Patient eher ein teures
verschiedene Biosimilars von Adalimumab haben. Jedes                                    Wirkstoff                Original-Biologikum      Biosimilar                  Originalpräparat bekommt statt eines preiswerteren
hat seine eigene Fertigspritze oder seinen eigenen Pen, die                             Adalimumab               Humira®                  AMGEVITA® SureClick (Pen)   Nachahmer-Medikamentes. Schreibt man seinem Patienten
unterschiedlich angewendet werden. Wer erklärt das dem                                                                                    AMGEVITA® (Spritze)         zum Beispiel «Aspirin® Cardio» auf ein Rezept und notiert
                                                                                                                                          Hyrimoz® SensoReady (Pen)
Patienten?» Er schlägt in seiner Praxis in München rund 8 von                                                                                                         dazu nicht, dass es unbedingt das Original-Aspirin sein muss,
                                                                                                                                          Hyrimoz® (Spritze)
10 Patienten einen Umstieg auf ein Biosimilar vor, und bei den                                                                                                        darf der Apotheker dem Patienten das preiswerte Generikum
                                                                                        Etanercept (Injektion)   Enbrel® MyClic (Pen)     Benepali®
meisten klappe das problemlos. «Man muss sich aber Zeit für                                                      Enbrel® (Spritze)        Erelzi® SensoReady (Pen)
                                                                                                                                                                      Acetylsalicylsäure abgeben. Er muss das aber nicht, sondern
den Patienten nehmen, um ihm den Wechsel zu erläutern.»                                                                                   Erelzi® (Spritze)           kann dem Patienten auch das teurere Aspirin verkaufen. Der
                                                                                        Infliximab (Infusion)    Remicade®                Remsima®
                                                                                                                                                                      Apotheker hat also ein Recht, ein Generikum zu geben, ist
Vergessen wird bei der ganzen Diskussion oft, was Patienten über                                                                          Inflectra®                  dazu aber nicht gezwungen. Für den Patienten kann dies
die neue Regel denken. Warum sollten sie mit einem Austausch                            Rituximab (Infusion)     MabThera®                Truxima®                    höhere Kosten bedeuten. Dieses Substitutionsrecht gilt für alle
einverstanden sein, wenn sie sich an eine andere Spritze gewöhnen                                                                         Rixathon®                   Medikamente, die auf der Spezialitätenliste stehen, Biosimilars
sollen? Wenn ein Risiko besteht, dass das Biosimilar vielleicht bei                                                                                                   fallen aber nicht darunter. Die Verschreibung von preiswerten
ihnen nicht so gut wirkt, auch wenn dieses Risiko sehr klein ist?                      Amgevita® und Hyrimoz® sind ab 1. November 2019                                Biosimilars könnte das neue Referenzpreissystem fördern, das
                                                                                       in der Spezialitätenliste aufgeführt.
«Ich könnte mir gut vorstellen, ein Biosimilar zu nehmen», sagt                                                                                                       der Bundesrat einführen will. Damit würden – vereinfacht gesagt
Jeanette Prautzsch, die seit Jahren unter rheumatoider Arthritis                                                                                                      – die Kassen nur einen Preis zahlen, der unter dem des Original-
leidet. «Ich möchte gerne etwas tun, um im Gesundheitssystem                                                                                                          Biologikums liegen könnte. Möchte der Patient trotzdem
zu sparen, aber das möchte ich vorher in Ruhe mit meinem Arzt                                                                                                         unbedingt das Original, müsste er die Differenz dazuzahlen,
besprechen.» Finanziell hat ein Patient von der Umstellung nichts                                                                                                     sofern der Arzt nicht explizit das Biologikum verschrieben hat                                  Literatur
– die Jahrestherapiekosten sind bei beiden Mitteln so hoch, dass                                                                                                      und dafür medizinische Gründe vorliegen. «Wir fordern das                                       1. U. Schwabe et al. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, https://doi.org/10.1007/978-3-
                                                                                                                                                                                                                                                                      662-59046-1_4. 2. Graudal N et al. Int J Mol Sci 2019: 20: 4350. 3. Tweehuysen L et al. Arthritis
der Patient auch für ein Biosimilar den maximalen Selbstbehalt                                                                                                        Referenzpreissystem schon lange», sagt Martina Weiss. «Wenn                                     Rheumatol 2018; 70: 60-68. 4. Glintborg B et al. Annals of the Rheumatic Diseases 2017; 76:
                                                                                                                                                                                                                                                                      1426-1431. 5. Carlino E, Benedetti F. Neuroscience 2016; 338: 19-26. 6. Benedetti F et al.
zahlen muss. «Es kommt dem Patienten aber indirekt zugute»,                                                                                                           bei patentabgelaufenen Medikamenten nicht gespart wird,
                                                                                                                                                                                                                                                                      Neuroscience 2007; 147: 260-271. 7. Palermo S et al. Hum Brain Mapp 2015; 36: 1648-1661.
sagt Martina Weiss von der Helsana. «Geben Versicherungen                                                                                                             können wir uns Innovation bald nicht mehr leisten.»                                             8. Odinet JS et al. Manag Care Spec Pharm 2018; 24: 952-959.

weniger Geld aus, bleiben die Prämien stabil.»

                                                                                                                                                                       Biologikum                                               Arzneimittel, deren Wirkstoffe biologische Stoffe sind, die biologischen Ursprungs sind oder aus biologischem
Bezüge, Kosten und Personen mit Bezügen für Biologika und Biosimilars nach Geschlecht mit Anteilen                                                                     (biologisches Arzneimittel,                              Ursprungsmaterial erzeugt werden.
am Gesamtmedikamentenmarkt (2010 – 2016), Hochrechnung für die gesamte Schweiz.                                                                                        Biopharmazeutikum)

                                                                                                                                                                       Biosimilar                                               Arzneimittel, deren arzneilich wirksamer Bestandteil strukturell Ähnlichkeiten (biosimilar) mit einem
               2010                 2011                 2012              2013               2014               2015               2016                seit 2010      (biosimilares Arzneimittel,                              bereits zugelassenen Biologikum (Referenzarzneimittel) besitzt und eine identische pharmakologische
               (Anteil in %*)       (Anteil in %*)       (Anteil in %*)    (Anteil in %*)     (Anteil in %*)     (Anteil in %*)     (Anteil in %*)      (in %)         USA: follow-on-biological)                               Wirkung ausübt.

 Anzahl Bezüge (in Tausend)                                                                                                                                            Bioidenticals                                            Arzneimittel, die in derselben Produktionsstätte im selben Herstellungsverfahren produziert werden und
                                                                                                                                                                       (bioidentische Arzneimittel)                             unter unterschiedlichen Fertigarzneimittelnamen durch unterschiedliche Pharmafirmen vertrieben werden.
 Total             337.3 (0.4)             452.3 (0.5)      546.9 (0.6)       712.5 (0.7)         803.1 (0.8)        855.8 (0.8)         948.7 (0.9)        +281.3
                                                                                                                                                                       Referenzarzneimittel                                     Bereits in der EU zugelassene Biologika, mit denen bei der Zulassung von Biosimilars eine ausreichende
 Frauen            213.0 (0.3)             284.1 (0.3)      341.6 (0.4)       435.6 (0.4)         491.8 (0.5)        519.6 (0.5)         575.0 (0.5)        +270.0     (Originalarzneimittel, Originator, Innovator)            Ähnlichkeit belegt werden muss.
 Kosten (in Millionen CHF)                                                                                                                                             Austauschbarkeit                                         Die medizinische Praxis, ein Arzneimittel gegen ein anderes auszutauschen, welches in der gegebenen
                                                                                                                                                                       («Interchangeability»)                                   Indikation den gleichen klinischen Effekt in jedem beliebigen Patienten erzielt.
 Total            560.0 (10.7)            779.4 (13.7)     915.0 (15.4) 1'076.1 (17.6) 1'108.2 (17.6) 1'141.3 (17.1) 1'283.9 (18.1)                         +229.3
                                                                                                                                                                       Switch, Switching                                        Die Umstellung eines bestimmten Patienten durch den behandelnden Arzt von einem Arzneimittel auf ein
 Frauen            348.7 (6.7)             466.3 (8.2)      542.7 (9.2)      623.2 (10.2)       647.4 (10.3)         661.0 (9.9)        729.1 (10.3)        +209.1
                                                                                                                                                                                                                                anderes, welches in der gegebenen Indikation den gleichen klinischen Effekt erzielt.
 Anzahl Personen mit Bezügen (in Tausend)                                                                                                                              Substitution                                             Der automatische Austausch eines Arzneimittels gegen ein anderes durch den Apotheker bei der Abgabe in der
 Total               56.8 (1.0)             78.5 (1.4)        98.5 (1.7)      120.2 (2.0)           138.2 (2.3        155.7 (2.5         174.4 (2.7)        +307.0                                                              Apotheke, welches in der gegebenen Indikation den gleichen klinischen Effekt erzielt, ohne Wissen des Arztes.

 Frauen              35.1 (0.6)             50.2 (0.9)         64.4 (1.1        80.5 (1.3)          93.7 (1.5)       106.5 (1.7)         118.7 (1.9)        +338.2    Quelle: Kurki P, van Aerts L, Wolff-Holz E et al.: Interchangeability of biosimilars: a European perspective. BioDrugs 2017; 31: 83-91

* Total Bezüge (in Tausend): 2010: 85‘180; 2011: 91‘258; 2012: 94‘656; 2013: 99‘089; 2014: 102‘790; 2015: 106‘764; 2016: 111‘126
  Total Kosten (in Millionen): 2010: 5‘232; 2011: 5‘692; 2012: 5‘952; 2013: 6‘123; 2014: 6‘280; 2015: 6‘677; 2016: 7‘087
  Total Personen (in Tausend): 2010: 5‘529; 2011: 5‘713; 2012: 5‘817; 2013: 5‘980; 2014: 6‘058; 2015: 6‘227; 2016: 6‘356

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Text: Dr. med. Felicitas Witte
Quelle: Helsana Arzneimittelreport 2017
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                                                                                              33

                          Ätna
                           LEBEN AUF LAVA

                           Erstarrte Lavaströme, riesige Aschewolken,
                           bizarre Felsen, schwarzer Kies und
                           Hunderte von «Bambini-Kratern»:
                           Im Osten Siziliens hat der Vulkan Ätna
                           eine einzigartige Landschaft erschaffen.
                           Noch sind wir weit weg vom Ätna, und schon zeigt er uns, wie mäch-
                           tig er ist. «Der Flug WK398 nach Catania ist wegen eines Vulkanaus-
                           bruches auf unbestimmte Zeit verschoben», tönt es um fünf Uhr
                           nachmittags aus den Lautsprechern am Flughafen Kloten. Drei
                           Stunden später sitzen wir noch am Gate B08 und bekommen einen
                           Essensgutschein auf die Bordkarte geladen. Es heisst, wir würden
                           mit fünf Stunden Verspätung abheben. Weil eine neue Crew ein-
                           springen muss und die Maschine beim letzten Flug Vogelschlag
                           erlitten hat, heben wir schliesslich erst kurz vor Mitternacht ab. Als
                           wir in Catania ankommen, sind die Büros der Autoverleiher längst
                           geschlossen. Wie viele andere Passagiere aus Zürich versuchen wir
                           auf dem kalten Steinboden des Flughafens etwas Schlaf zu finden.
                           Im Morgengrauen begeben wir uns vor das Flughafengebäude und
                           blicken hinauf zum Ätna. Aus seinem Südostkrater dringt weisser
                           Dampf. Aus dem westlich gelegenen Bocca Nuova (neuer Schlund)
                           steigt eine dunkle Rauchfahne auf. Aus fast 40 Kilometern Entfer-
                           nung wirkt sie klein, in Wirklichkeit ist sie mehrere hundert Meter
                           hoch. Weil der Wind sie in die Anflugschneise geblasen hatte, konn-
                           ten gestern stündlich nur vier Maschinen landen. Wir fragen uns, ob
                           wir bei dieser Aktivität die auf morgen gebuchte Expedition zu den
                           Gipfelkratern unternehmen können.

                           links: Der Seitenkrater Silvestri inferiore ist bei einem Ausbruch Ende des 19. Jh. entstanden.
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                                                                                                                                                                                                                                                                            35

Zwei Platten und viel Energie
V      or einer Million Jahren lag an der Stelle, wo sich heute der
       Ätna erhebt, eine Meeresbucht. Darunter stiess ein Aus-
läufer der afrikanischen Kontinentalplatte, der apulische Sporn,
gegen die eurasische Platte. Entlang der Grenze zwischen die-
sen beiden Platten, die von der heutigen Südspitze Siziliens
über 1000 Kilometer nordwärts verläuft, bildeten sich enorme
Kräfte, die unter anderem die Alpen erschaffen haben. Bei Nea-
pel (Vesuv), auf den Liparischen Inseln (Stromboli und Vulcano)
und bei Catania (Ätna) öffneten diese Kräfte dem Magma aus
dem Erdinnern den Weg an die Oberfläche.

Seit einer halben Million Jahren kommt es dort, wo sich heute
der Ätna erhebt, immer wieder zu heftigen Ausbrüchen. Innert
der letzten 100'000 Jahre haben die Eruptionen das Lavagestein
über 3300 Meter hoch aufeinandergeschichtet. Bis heute ist der
Vulkan ständig in Bewegung. Seine exakte Höhe ändert immer
wieder. 1968 und 1979 sind zwei neue Gipfelkrater entstanden.
An den Hängen des Ätna haben sich Hunderte von Seitenkratern
gebildet. Die Einheimischen nennen sie «Bambini» (Kinder).

                                                                                                                                                              Zwei Tage nach unserer Ankunft nehmen wir die Serpentinen zur     Wir blicken hinunter in Richtung Catania und sehen ein gutes
                                                                                                                                                              Ätna Station Süd unter die Räder. Weil wir etwas zu früh ankom-   Dutzend von Ätnas «Kindern». Sie liegen wie schmucke Spiel-
                                                                                                                                                              men, unternehmen wir einen Spaziergang auf den Krater des         zeuge verstreut in der Landschaft. Einige sind noch in «rohem»
                                                                                                                                                              Monte Silvestri inferiore, der sich gleich neben dem Parkplatz    Zustand: Ihre Oberfläche besteht aus schwarzem Lavastein und
                                                                                                                                                              erhebt und bei einem Ausbruch Ende des 18. Jahrhunderts ent-      -sand. Andere sind mittlerweile von Pinien oder Kastanienbäu-
                                                                                                                                                              standen ist. Unter unseren Füssen klirrt der glasig-metallische   men bewachsen.
                                                                      links: Mit den Offroad-Bussen kann man bis einen Kilometer an den Krater heranfahren.
                                                                      rechts: Mit geführten Touren kommt man in die Nähe der Gipfelkrater.                    Lava-Kies. Dieses Geräusch wird uns den ganzen Tag begleiten.
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                                                                                    37

Drei Kilometer            I   n der Regel dauern die Ausbrüche aus den Nebenkratern
                              nicht lange. Meist verschliesst erstarrte Lava die unterirdi-
                          schen Kanäle nach wenigen Tagen. Trotzdem können die «Bam-
                          bini» enorme Schäden anrichten. Aus dem Monpeloso beim

breiter Lavastrom         Städtchen Nicolosi ergoss sich im Jahr 252 ein drei Kilometer
                          breiter Lavastrom, der auf seinem Weg zur Küste des Ionischen
                          Meeres Catania verwüstete. 1669 ereignete sich eine weitere
                          Eruption, die Catania erneut zerstörte.

                          Sizilien bildet einen Riegel im Mittelmeer. Deshalb haben sich
                          hier nicht nur Kontinentalplatten, sondern auch verschiede-
                          ne Völker und Kulturen aneinandergerieben. Griechen, Römer,
                          Araber und Normannen haben auf der grössten Insel des Mit-
                          telmeers ihre Spuren hinterlassen. In der Ätna-Region und im
                          Südosten haben Lavaströme und Erdbeben diese Spuren ver-
                          wischt. Catania ist zur Barockzeit – wie etliche andere Städte in
                          der Region – in einem Schachbrettmuster neu aufgebaut wor-
                          den. Diese Bauten und die langen Strassenachsen prägen das
                          Bild der pulsierenden Stadt bis heute.

                          Nach dem Spaziergang auf dem Silvestri-Krater nimmt uns der
                          Geologe Domenico Domanti in Empfang. Wir sind Teil einer
                          Expedition, die wir bei der Guide Vulcanologiche Etna Nord ge-
                          bucht haben (Kosten mit Seilbahn 100 Euro). Mit einem Helm
                          und mitgebrachtem Proviant ausgerüstet, fahren wir mit einer
                          Gondelbahn und einem Offroad-Bus auf knapp 3000 Meter hin-
                          auf zum Torre del Filosofo.

                          Nun sind wir noch einen Kilometer entfernt von den Gipfelkra-
                          tern. Aus dem Südostkrater steigt noch immer weisser Was-
                          serdampf. Im Bocca Nuova erklingt im Abstand von ein paar
                          Minuten ein Grollen, gefolgt von einer grauen Aschewolke, die
                          sich explosionsartig ausbreitet und schnell in die Höhe steigt. In
                          unserem Kopfkino laufen Youtube-Filme mit Aschewolken und
                          rennenden Menschen ab. Was sollen wir tun, wenn die Eruptio-
                          nen stärker werden? Domanti rät uns, nicht wegzurennen. Wir
                          sollen nach oben schauen, damit wir den fliegenden Steinen
                          ausweichen können.

                          WAS SOLLEN
                          WIR TUN, WENN DIE
                          ERUPTIONEN
                          STÄRKER WERDEN?

                          links: Die Aussicht vom Barbagallo-Krater ist grandios.
ÄTNA AZULEJOS FEUERWASSER BIENNALE
medico JOURNAL – REISEN                                                            38

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links: Durch diese kleine Schlucht floss vor 18 Jahren glühende Lava.
rechts: Das antike griechische Theater von Taormina mit dem Ätna im Hintergrund.
oben: Am Südhang des Ätna spriessen Gräser.
ÄTNA AZULEJOS FEUERWASSER BIENNALE
medico JOURNAL – REISEN

Surreale Landschaft
S   o weit kommt es aber nicht. Als wir uns den Kratern auf ei-
    nen halben Kilometer angenähert haben, erreicht uns ein
Funkspruch der Polizei, die hier oben ständig auf Patrouille ist. Die
                                                                        de. Manche von den Ätna-Bergführern arbeiten im Winter als Ski-
                                                                        lehrer. Domanti schwärmt von Skitouren in der Nähe des Kraters,
                                                                        die man bis in den Mai hinein unternehmen kann. Die Lifte haben
Eruptionen seien zu stark, wir müssten umkehren, heisst es.             eine kurze Halbwertszeit: Circa alle zehn Jahre reissen Lavaströ-
                                                                        me Masten um. Beim Ausbruch von 2001 konnte die Talstation
Südlich des frei zugänglichen Torre del Filosofo sind wir nicht         der Seilbahn mit einem eilig gebauten Erdwall vor der Zerstörung
mehr allein. Das traumhafte Wetter und die Eruptionen haben             gerettet werden.
Hunderte von Schaulustigen angelockt. Aber auch hier, bei den
Barbagallo-Kratern, bieten sich uns spektakuläre Anblicke. Der          Nachdem wir auf den Ätna gestiegen sind, wollen wir ihn umrun-
Himmel ist tiefblau, Kumuluswolken steigen auf. Darunter breitet        den. Wir beginnen in Taormina, wo wir einen der berühmtesten
sich die surreal geformte, dunkle Landschaft aus mit ihren stau-        Anblicke Siziliens sehen: Der Ätna hinter der Bühne des antiken
bigen Kratern und bizarr geformtem Lavabrocken. An manchen              griechischen Theaters. Danach probieren wir in der Pasticceria
Stellen dringt aus gelbem, schwefelhaltigem Gestein Dampf auf.          Etna üppige sizilianische Feinkost. Mandorle (Mandelkonfekt),
Andere Bereiche sind vom oxydierten Eisen rot gefärbt.                  Cannoli (frittierte Teigrollen mit süsser Ricottafüllung) und Marzi-
                                                                        pan (in der Form von Früchten) sind die beliebtesten Süssigkeiten.
Die Menschen in ihren bunten Kleidern wirken wie ausgestanzte           Wir erhalten Mandelküchlein, die so schwer sind wie bei uns ein
Trickfilmfiguren. Surreal wirken auch die Skilifte, die man hier, we-   stattlicher Kuchen. Zwei fingergrosse Mandorle sind so nahrhaft
nige Hundert Kilometer entfernt von Afrika, nicht erwarten wür-         wie ein ganzes Frühstück.

oben: Die Küste von Giardini-Naxos bei Taormina.
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Das Leben kommt zurück
                                                                                      Unsere Rundfahrt führt weiter über Lavafelder nach Bronte. Im
                                                                                      Mittelalter wurde dieses Städtchen mehrmals von Lavaströmen
                                                                                      heimgesucht und schwer beschädigt. Im 19. Jahrhundert näher-
                                                                                      te sich die Lava der Stadt bis auf wenige Meter. Der Vulkan hat
                                                                                      auch Wohlstand gebracht: Dank des guten Bodens gedeihen hier

I   n Sichtweite des griechischen Theaters liegt ein Kreuzfahrt-
    schiff vor Anker, um Taormina sind unzählige Busse geparkt.
Im Minutentakt ziehen Touristengruppen an unserem Tischchen
                                                                                      die besten Pistazien Siziliens.

                                                                                      Wir setzen unsere Rundfahrt fort nach Nicolsi am Südhang des
vor der Pasticceria vorbei. Manche Führer benutzen Lautsprecher.
Bald flüchten wir aus dem überfüllten Städtchen und machen uns
                                                                     DIE SCHMUCKE     Ätna. Auch dieses Städtchen hat viele Geschichten von Zerstö-
                                                                                      rung zu erzählen. Zum Abschluss unserer Rundreise besichtigen
auf den Weg in ruhigere Gegenden.
                                                                     BAROCKKIRCHE     wir die Kirche von Fleri. Am Weihnachtstag 2018 rutschte der
                                                                                      Osthang des Ätna zwei Meter Richtung Meer. Die damit verbun-
Auf der Nordseite des Ätna dehnt sich auf mehreren Hundert
Quadratkilometern erstarrte Lava aus. Ein Teil davon stammt von
                                                                       SANTA MARIA    denen Erdbeben beschädigten die Kirche schwer. Die Bruch-
                                                                                      stücke des eingestürzten Turms sind noch nicht weggeschafft.      oben: In der Trattoria LinguaGrossa gibts lokale Gerichte.

einem Ausbruch im Jahr 1981. Die Lava schoss damals hundert
Meter hoch aus einem Seitenkrater. Sie begrub auf ihrem 20 Kilo-
                                                                      DELLE GRAZIE.   Warnschilder und Barrieren mahnen vor der Kraft dieses Berges.
                                                                                                                                                        links: Auf der fruchtbaren Erde um den Ätna wachsen feine Mandarinen.
                                                                                                                                                        rechts: Ein Erdbeben beschädigte die Kirche von Fleri an Weihnachten 2018 schwer.

meter langen Weg bis zum Fluss Alcantara das Dörfchen Passo-
pisciara und viel Kulturland unter sich.

Nach einigen Jahrzehnten bildet sich auf diesen scharfkantigen
Felslandschaften wieder Humus. Es wachsen Gräser, später Gins-
ter und Bäume. Hartgesottene Bauern und Selbstversorger hau-
en die Lavasteine zurecht und bauen daraus Terrassiermauern
und Häuser, legen Gärten und Obstplantagen an. Der Aufwand
lohnt sich: Die Erde ist dank ihres hohen Gehaltes an Mineralien
sehr fruchtbar.

Am Rand einer solchen Zunge liegt das Städtchen Linguaglossa.
Hier besichtigen wir die schmucke Barockkirche Santa Maria delle
Grazie. Wir sitzen auf der Piazza und lauschen dem schrillen Glo-
ckenspiel, das mittags erklingt und im Notfall die Bevölkerung vor
Ausbrüchen warnt. Anschliessend begeben wir uns in die Trat-
toria LinguaGrossa (Fette Zunge). Dort bekommen wir wunder-
bare Orecchiette mit Broccoli und Salsiccia (Schweinswurst) und
ein zartes Stinco Agnello (Lammhaxe) serviert. Dazu trinken wir
den herben Weisswein Sciare Vive, der unweit von Linguaglossa
wächst und gekeltert wird.
medico JOURNAL – REISEN

Man weiss nie,
was passieren wird
A       n den Hängen des Ätna sind Hunderte von kleinen Me-
        tallpfählen mit Solarpanels verstreut. Darin befinden sich
GPS-Sender. Wenn sich ihre Position um wenige Millimeter ver-
ändert, wird dies am Istituto Nazionale di Geofisica e Volcano-
logica in Catania (INGV) registriert. Weil die Computer auch mit
topografischen Daten gefüttert sind, lässt sich der Verlauf all-
fälliger Lavaströme genau voraussagen. Evakuierungs- und Ein-
satzpläne von Rettungskräften befinden sich in den Schubladen
der Verwaltungen.

Wirklich präzise Vorhersagen können aber auch die Geologen
des INGV nicht machen. Beim letzten grösseren Ausbruch des
Strombolis im vergangenen Sommer sind den Menschen nur
fünf Minuten geblieben, um sich in Sicherheit zu bringen. In den
Ortschaften um den Ätna bitten die Menschen täglich Heilige
um Verschonung. Wenn es rumpelt, hängen sie in Catania den
Schleier der heiligen Agathe vor die Tore. Dies hat offenbar ge-
wirkt: Seit Ende des 17. Jahrhunderts hat kein Lavastrom mehr
                                                                     oben: Mit einem Geologen auf der Tour zum Krater.
die Stadt erreicht.                                                  unten: Das Gebiet um Torre del Filosofo ist ein beliebtes Fotosujet.

                                                                     AUSFLÜGE AUF DEN ÄTNA

                                                                     Von der Station Ätna Süd entweder zu
                                                                     Fuss (1,5 bis 2 Stunden) oder mit Seilbahn
                                                                     und Bus (50 Euro) zum Torre del Filosofo
                                                                     und dem Barbagallo-Krater (3000 Meter).
                                                                     Geführte Touren zum Krater mit Guide
                                                                     Vulcanologiche Etna Nord.
                                                                     www.guidevulcanologicheetna.it

                                                                     RUNDREISE UM DEN ÄTNA

                                                                     Taormina (antikes griechisches Theater,
                                                                     Altstadt, Süssigkeiten in der Pasticceria
                                                                     Etna) – Linguaglossa (Barockkirche Santa
                                                                     Maria delle Grazie, Trattoria LinguaGrossa)
                                                                     – erstarrte Lavaströme westlich von
                                                                     Linguaglossa – Bronte – Nicolosi
                                                                     (Osteria 1877) – Fleri (von Erdbeben
                                                                     beschädigte Kirche).
Text und Bilder:
Martin Mühlegg
medico JOURNAL – REISEN                                                                        46

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                               MEHR ALS
                          Feuerwasser
                               Von Big Playern unter den Whiskey-
                               Herstellern bis zu experimentierfreudigen
                               Craft-Destillerien: Auf einer hochprozentigen
                               Tour über den «Tennessee Whiskey Trail»
                               kann man eine ganze Bandbreite von Spirituo-
                               sen entdecken. Die feinen Craft-Whiskeys
                               brennen zwar nach wie vor im Abgang, haben
                               aber sonst kaum noch was mit den Rachen-
                               putzern aus dem Wilden Westen gemein.

                               Aus vielen Western sind diese Momente bestens bekannt, und die
                               Wirklichkeit sah auch nicht viel schmerzfreier aus. Wenn es damals
                               im Wilden Westen einen Cowboy, einen Gauner oder Revolverhel-
                               den bei einer Schiesserei erwischt hatte, blieb bei der Versorgung
                               des Einschusslochs keine andere Wahl: Der Ersthelfer schnappte
                               sich, sofern greifbar, eine Flasche Whiskey und liess erstmal ordent-
                               lich Hochprozentiges in die Wunde laufen, um sie zu desinfizieren.
                               Eine schmerzhafte Angelegenheit, auf die der Betroffene ent-
                               sprechend reagierte: mit einem Schrei aus vollem Hals. Trinken war
                               deutlich angenehmer, auch wenn das raue Zeug heftig brennend
                               die Kehle runterlief. Kein Wunder, dass die US-Ureinwohner den Ra-
                               chenputzern aus Mais oder Getreide den Beinamen «Feuerwasser»
                               verpassten.

                               links: Tasting bei «Chattanooga Whiskey» – in jedem Glas ein andere Geschmackserfahrung.
medico JOURNAL – REISEN                                                                                                                                                                                                                                                         48

                                                                                                                                                                                                                                                                                49

Z       ur Wunddesinfektion wird der Whiskey heutzutage nicht
        mehr verwendet – obwohl es durchaus funktionieren
würde. Nein, er wird getrunken, in der Regel sogar gern und
nicht nur für den schnellen Rausch. Der Bundesstaat Tennes-
see im Süden der USA ist dabei besonders berühmt für seine
vanilligen Bourbon-Whiskeys, bietet aber darüber hinaus eine
ganze Bandbreite an anderen Spirituosen. Rund 30 Destilleri-
en kann man auf dem sogenannten «Tennessee Whiskey Trail»
ansteuern, über den man ganz nebenbei die unterschiedlichen
Gesichter des Bundesstaates erkunden kann: vom gemütlichen
Landleben über die Natur der Smoky Mountains bis zu Städten
wie Chattanooga mit alternativem Flair. Gemeinsam haben sie,
dass sie alle sehr unterschiedlich sind, mit eigener Atmosphäre
und sehr eigenem Charakter.

Der weltweit bekannteste Tennessee-Whiskey dürfte «Jack
Daniel’s» sein. Selbst bei regnerischem Wetter sieht man dort
bei einem Destillerie-Besuch und einem Abstecher zum Orts-
zentrum mit dem urigen General Store die ländlich idyllischen
Bilder des berühmten Werbespots vor dem inneren Auge ab-
laufen. Wenn man sich zwischen den hoch gestapelten Fäs-
sern im «Barrel House» durch einige der Whiskeys probiert,
liegt tatsächlich ein Hauch von Vanille in der Luft. Auch heute
noch wird jede Flasche im beschaulichen Lynchburg produziert
– ironischerweise einem «trockenen County», in dem es mit
Ausnahme der Destillerie selbst bis heute illegal ist, den Whis-
key zu verkaufen. Anders als viele andere Destillerien, die durch
die Prohibition in den 1920ern verschwanden, überlebte «Jack
Daniel’s» die Durststrecke dieser Verbotsjahre. Über die Jahr-
zehnte etablierte sie sich sogar als eine der weltweit bekannten
Bourbon-Marken – nicht zuletzt durch die werbeträchtige Hilfe
Frank Sinatras, zu dessen Lieblingsgetränken dieser Whiskey
zählte.

Gegründet wurde die älteste registrierte Destillerie der USA
1866 von Jasper Newton «Jack» Daniel, der als Skulptur heu-
te vor der Quelle des Wassers steht, mit dem er schon damals                                                                                                    nischen Traum: Er war ein Junge aus armen Verhältnissen, der        Whiskey Experimental Distillery» in der gleichnamigen Stadt am
den Whiskey herstellte. Seine Geschichte spiegelt den amerika-                                                                                                  seine Familie freiwillig verliess und von Nathan Green, dem Skla-   anderen Ende der Skala. Der Name ist dabei Programm: Im alten
                                                                                                                                                                ven seines Ziehvaters Dan Call, das Brennen lernte – und damit      Backsteinbau genau gegenüber der historischen Bahnhofsta-
                                                                                                                                                                den Grundstein für sein höchst erfolgreiches Unternehmen            tion, die durch den Song «Chattanooga Choo Choo» weltweit
                                                                    DER WELTWEIT                                                                                legte. Bis heute wird der Whiskey dort nach einem speziellen        bekannt wurde, arbeitet Chef-Destiller Grant McCracken regel-
                                                                                                                                                                Verfahren gefiltert, das ihn nach den offiziellen Regularien erst   mässig an neuen, teils abenteuerlichen Ideen. Meist brennt er
                                                                    BEKANNTESTE                                                                                 zu einem echten Tennessee-Whiskey macht: Beim sogenann-             sogenannte Tennessee High Malts, die auf sehr unterschiedliche
                                                                                                                                                                ten «Charcoal Mellowing» läuft Tropfen für Tropfen durch eigens     Weise gelagert werden – etwa in ehemaligen Bierfässern. Fast im
                                                                    TENNESSEE-WHISKEY                                                                           hergestellte Holzkohle und macht das Feuerwasser dabei noch         Monatstakt kommt so eine neue Kreation heraus.
                                                                                                                                                                runder und sanfter im Geschmack.
                                                                    DÜRFTE «JACK                                                                                                                                                    Auch die «Short Mountain»-Brennerei, die Billy Kaufman mit sei-
                                                                                                                                                                Als Kontrast zum millionenschweren Global Player «Jack Da-          nen zwei Brüdern betreibt, gehört zu den kleinen Destillerien.
                                                                    DANIEL’S» SEIN.                                                                             niel’s», der zu den meistverkauften Spirituosen der Welt zählt,     Auf einer Farm in Woodbury, versteckt im hügeligen Hinterland
                                                                                                                                                                kann man auf dem Whiskey-Trail durch Tennessee auch neue Mi-        von Cannon County, stellt er mit zwei Chef-Brennern 30 000
                                                                    links: Auch «Jack Daniel’s» bietet weit mehr als den bekannten Standard-Whiskey.
                                                                                                                                                                kro-Craft-Destillerien entdecken. Verglichen mit «Jack Daniel’s»    Flaschen pro Jahr her, maximal. Die Brennblasen befinden sich
                                                                    rechts: «Whiskey to the People» – erst Gesetzesänderungen in Tennessee vor wenigen Jahren
                                                                    machten das möglich.                                                                        bewegt sich die kleine, vielfach ausgezeichnete «Chattanooga        in einem holzverkleideten Gebäude gleich hinter der Auffahrt.
medico JOURNAL – REISEN                                                                     50

                                                                                            51

links: Vorsicht, heiss! Zumindest, wenn die Brennblase bei
«Chattanooga Whiskey» in Betrieb ist.
rechts: Hillbilly-stilecht bei der Moonshine-Produktion mit Latzhose und langem Vollbart.
oben: Leuchtend fruchtig – eine von zahlreichen Moonshine-Schnaps-Variationen.
medico JOURNAL – REISEN                                                                                                 52

                                                                                                                        53

                                                                         Auch die Whiskey-Fässer lagern darin. Einen Katzensprung
                                                    ZUNÄCHST BETRIEB     weiter findet man einen Tasting Room mit Restaurant, wo man

                                                    ER LANDWIRTSCHAFT,   sich durch die Produkte probieren kann. Angefangen hat Kauf-
                                                                         man mit Moonshine – so hiess der Schnaps, den die Menschen
                                                    HIELT KÜHE UND       einst heimlich zu Hause brannten. Mittlerweile sind aber auch
                                                                         die Whiskeys und Bourbons im Sortiment, die erst Jahre in den
oben: Mitten auf dem Lande in Tennessee liegt die
«Short Mountain»-Brennerei.                         BAUTE GETREIDE AN,   Fässern reifen mussten. Dazu zählen so eigenwillige Kreationen
unten: Landwirtschaft und Schnapsbrennerei statt
                                                                         wie kirschgeräucherter Schokoladen-Roggen-Whiskey, der bis-
Grossstadtleben: Billy Kaufman zog vor Jahren auf
einen Bauernhof in den Südstaaten.                  NACHHALTIG ...       lang der einzige Bio-Roggen-Whiskey auf dem US-Markt ist.

                                                                         Vor rund 17 Jahren kam Kaufman, dessen Urgrossvater einst
                                                                         das «Samsonite»-Koffer-Imperium gründete, hierher. Nachdem
                                                                         er als Art Director in Los Angeles an Filmen und Werbeclips ge-
                                                                         arbeitet hatte, hatte er genug vom Leben in der Grossstadt. Er
                                                                         brauchte mehr Realität, etwas Echtes: «Ich wollte im Wald und
                                                                         in der Natur leben», sagt der muskulöse Endvierziger mit dem
                                                                         markant getrimmten Bart. Den Ort für diese radikale Luftverän-
                                                                         derung fand er in dieser Farm in Tennessee. Zunächst betrieb
                                                                         er Landwirtschaft, hielt Kühe und baute Getreide an, nachhaltig
                                                                         und in Bioqualität. Als sich die Gesetzeslage in dem Bundes-
                                                                         staat änderte, begann er ausserdem Hochprozentiges herzu-
                                                                         stellen, ausschliesslich mit natürlichen Zutaten.

                                                                         Von der Veranda des Restaurants hat man einen Blick in die Um-
                                                                         gebung: auf Wiesen, Hügel, Wälder und die Weite dieser Gegend
                                                                         in der Mitte von Nirgendwo, die eigentlich nicht die offensichtli-
                                                                         che Wahl für jemanden wie ihn scheint. «Der Süden hat mir zu-
                                                                         nächst auch ein bisschen Angst gemacht und war furchteinflös-
                                                                         send für einen schwulen Juden wie mich.» Doch der Ort hat für
                                                                         die ländlichen Verhältnisse eine recht grosse LGBT-Community.
                                                                         «Auch Freunde von mir lebten bereits hier – ich wollte ja auch
                                                                         nicht der einzige Schwule im Dorf sein.»

                                                                         Angefeindet wurde Kaufman in den Jahren nie. Höchstens ei-
                                                                         nen Witz, eine Anspielung gäbe es manchmal. «Ich wusste gar
                                                                         nicht, dass ein Mann, der gay ist, straight Whiskey herstellen
                                                                         kann», heisst es dann etwa augenzwinkernd. Kaufman ist aber
                                                                         längst nicht der erste Moonshiner auf dem Grundstück: Die
                                                                         Farm gehörte vor rund 100 Jahren einem Mann namens Cooper
                                                                         Melton, der wegen einer Liebesaffäre dort erschossen worden
                                                                         sein soll. «Ausserdem gehörte er zu den Männern, die Al Capone
                                                                         mit Moonshine versorgt haben sollen», sagt Kaufman.

                                                                         Die Smoky Mountains waren so abgelegen, dass sie ideale Be-
                                                                         dingungen für die Schwarzbrennerei boten. Über viele, viele Jah-
                                                                         re hinweg wurde dort in den Bergen wie verrückt, klammheim-
                                                                         lich und ganz im Verborgenen, Schnaps hergestellt. Dabei half
                                                                         der Nebel, der dem Nationalpark den Namen gab. Wattig legt er
                                                                         sich auch heute auf das Bergpanorama und sorgt für eine mysti-
                                                                         sche Atmosphäre. Früher war der Nebel eine ideale Tarnung für
                                                                         den Rauch, der aus den Brennblasen der Schwarzbrenner zog,
                                                                         wenn sie Moonshine herstellten.
medico JOURNAL – REISEN                                                         54

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links: Im Barrel House bei «Jack Daniel’s» lagern einige der Whiskey-Schätze.
rechts: In Lynchburg steht alles im Zeichen des weltbekannten Feuerwassers.
oben: Die Brennerei ist ein Touristenmagnet in der Kleinstadt.
medico JOURNAL – REISEN

Seit ein paar Jahren erst ist die Produktion des berühmten             Noch heute kenne jeder irgendjemanden, in dessen Familie
Schnapses nicht mehr verboten. Er darf ganz legal hergestellt          Moonshine gebrannt wurde. «Das wurde von Generation zu
und verkauft werden und hat sich schnell zum trendigen Hoch-           Generation so weitergegeben», erklärt der drahtige Mitfünf-
prozentigen entwickelt. Die «Ole Smoky Moonshine»-Destille-            ziger mit breitem Southern-Slang. Die Prohibition kurbelte die
rie war die erste offiziell lizensierte Destillerie in Ost-Tennessee   Schnaps-Nachfrage damals ordentlich an. Auch jetzt boomt
und lädt in Tasting Rooms in Gatlinburg und im benachbarten Pi-        das Business wieder. Johnny Bakers Neffe erkannte nach der
geon Forge Besucher zum Durchprobieren des Sortiments ein              Legalisierung 2009 mit ein paar Freunden das Potenzial und zog
– also jenen beiden Städten, die zwar das Tor zum Nationalpark,        daher bereits ein Jahr später die Moonshine-Destillerie auf.
aber mit ihrem grellen, günstigen Unterhaltungstourismus für
rund zwei Millionen Touristen im Jahr auch einen krassen Kon-          Dass Moonshine der Schnaps der «Hillbillies» ist, also der Hinter-
trast zur Natur der Smokys bilden.                                     wäldler, wie auch die Bewohner der Smoky Mountains mitunter
                                                                       spöttisch genannt werden, schadet der Beliebtheit nicht. Im Ge-
Den Reiz des Verbotenen hat er so natürlich nicht mehr. Die            genteil, das Image der Schwarzbrenner und ihres Schnapses ist
vielen neuen Produzenten spielen aber noch damit und den               sicher ein entscheidendes Verkaufsargument. «Ole Smoky Moon-
Assoziationen mit der Historie, als der Moonshine während der          shine» bedient es und spielt damit: Die Angestellten in den Shops
Prohibition an Mafia-Grössen verkauft und im Schutz der Nacht          tragen Jeans-Latzhosen. Draussen spielt eine Bluegrass-Band.
– daher auch der Name – quer durch die USA transportiert wur-          Und der Moonshine wird stilecht in Einmachgläsern verkauft –
de. «Als Bosse des organisierten Verbrechens herausfanden,             und gern daraus getrunken. In den Shops von «Ole Smoky» sind
dass in den Südstaaten Maisschnaps hergestellt wird, schickten         die Regale voll mit den Gläsern, aus denen der Schnaps in bun-
sie Trucks runter», erklärt Johnny Baker von «Ole Smoky Moon-          ten Farben herausleuchtet. An den Theken kann man sich gross-
shine». «Die Schwarzbrenner wussten allerdings nicht, wie gross        zügig und kostenlos durch die zahlreichen Sorten probieren. Die
die Nachfrage sein wird und wie viele Trucks kämen, um Schnaps         reichen vom «Original» über Moonshine mit eingelegten Kirschen
zu kaufen.» Deshalb mussten die Fahrer, die sogenannten                und Pfirsichen bis zu Geschmacksrichtungen mit Zimt, Apple Pie
Moonshine-Runner, die meist im Schutz der Nacht und in hals-           oder Eierlikör. Anders als bei «Ole Smoky» herrscht in der «Old
brecherischen Manövern auf den verschlungenen Strassen der             Forge Distillery» in Pigeon Forge keine laute Partystimmung. Es
Gegend unterwegs waren, schnell sein, um ihre Spirituosen als          geht eher ruhig zu in der Brennerei, die im alten Teil der Stadt
Erste loszuwerden. Die Stock-Car-Rennen der NASCAR sollen              liegt, der an eine Zeit erinnert, als die Entertainment-Hochburg
im beschleunigten Schnapsschmuggel ihren Ursprung haben.               noch eine Kleinstadt war: in einem Viertel mit historischen Holz-

                                                                                                           links: Hier wird «Jack Daniel’s» destilliert.
medico JOURNAL – REISEN

                                 häusern, Töpferei, General Store, einem Restaurant und einer
                                 Mühle, die bis heute betrieben wird. Beim Tasting dort tauchen
                                 noch einmal andere Geschmacksrichtungen auf, zum Teil noch
                                 ein paar Umdrehungen abenteuerlicher, mit Sorten wie French
                                 Toast oder Kaffee. Auch sonst wird in dieser Craft-Brennerei ein
                                 ganz anderer Ansatz verfolgt.

                                 Der mehrfach ausgezeichnete Chef-Brenner Keener Shanton
                                 betont immer wieder, dass ihm das Handwerk bei der Herstellung
                                 wichtig ist. Einige Getreidesorten, die er als Zutaten verwen-
                                 det, werden noch in der historischen Mühle nebenan gemahlen.
                                 Keener geht es hier nicht um globale Verbreitung, sondern um die
                                 Herstellung kleinerer Mengen. Ein bisschen so wie damals, wenn
                                 man so will: wie zur Zeit der Moonshine-Schwarzbrennerei – aller-
                                 dings als Feuerwasser in der experimentierfreudigen Qualitäts-
                                 variante und viel zu schade, um damit Wunden zu desinfizieren.

                                 www.tnwhiskeytrail.com
                                 www.tennessee.de

                                 links: Keener Shanton experimentiert mit Moonshine-Schnaps-Geschmäckern
                                 in der «Old Forge Destillery».

Text und Bilder: Sascha Rettig
medico JOURNAL – REISEN                                                                     60

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                          Azulejos
                             IM FEUER GEBOREN

                             Sie gelten als Wahrzeichen Portugals.
                             Man sieht sie an Hauswänden, auf Park-
                             bänken und in Metrostationen – Mosaike
                             aus bemalten, glasierten Keramikfliesen
                             als kunstvolle Wandbilder und praktische
                             Fassadenverkleidung. Dabei haben sie ihren
                             Ursprung gar nicht in Portugal.

                             Die Kachelbilder zeigen mal Fabeltiere, mal Helden oder Heili-
                             ge und zaubern einen bunten Glanz ins Antlitz vieler portugiesi-
                             scher Städte. Sogar Bahnhöfe und Kirchen tragen den nationalen
                             Schmuck. Dennoch stammt der Begriff «Azulejo» nicht von «azul»,
                             dem portugiesischen Wort für «blau», sondern geht auf das Arabi-
                             sche zurück, auf «al-zuleycha», was so viel wie «poliertes Steinchen»
                             bedeutet. Ursprünglich zur Zierde orientalischer Moscheen ver-
                             wendet, schmückten die farbenprächtigen Fliesen später die Pa-
                             läste weltlicher Adliger und wurden schliesslich zum Exportschlager,
                             erschwinglich für jedermann.

                             links: Medersa Attarine in Fes, Marokko. Foto: Gabriela Beck
medico JOURNAL – REISEN                                                                                                                                                                                                                 62

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Muster für die Ewigkeit
K      onzentriert zielt Mohammed Zamuri auf das kaum kür-
       biskerngrosse Stück gebrannten Ton, das er zwischen
staubbedecktem Daumen und Zeigefinger in Position hält. Dann
schlägt er mit dem klobigen, an den Enden abgeflachten Meis-
selhammer vorsichtig ein weiteres Bröckchen ab. «Die schmale
Halsform mit den anmutig gebogenen Seiten ist am schwierigs-
ten», verrät er. Seit seinem zwölften Lebensjahr arbeitet Mo-
hammed im Töpferviertel von Fès. Nach 30 Jahren Training ist er
nun «Maalam Nakach», Kunststeinmetz. Unter seinen geübten
Hammerschlägen entstehen aus farbig glasierten Terrakotta-
kacheln kleine Formstücke wie der achteckige Stern, das Trapez,
der schräge Winkel, die der Mosaikleger anschliessend kunstvoll
in Putzmörtel zu geometrischen Mustern zusammensetzt: den
bekannten marokkanischen Zellij.

                                                                                                                         Da in der islamischen Kunst die Abbildung von Mensch und          fünfhundert Jahre voraus: Sie entwarfen bereits sogenannte
                                                                                                                         Tier als Nachahmung des göttlichen Schöpfungsprozesses            quasikristalline Muster – bei uns erst seit 1974 durch den Ma-
                                                                                                                         und demnach als Blasphemie gilt, wurden stattdessen abs-          thematiker Roger Penrose bekannt – in denen sich zwar einzel-
                                                                                                                         trakte Ornamente verwendet. Die einzelnen Elemente wurden         ne Teile wiederholen, aber nie das Muster als Ganzes. Sie sind
                                                                                                                         zu komplizierten Mustern aus sich wiederholenden vieleckigen      so aufwendig und genau konstruiert, wie es mit Messlatte und
                                                                                                                         oder kreisförmigen Teilflächen gelegt, die sich optisch überde-   Zirkel kaum zu erreichen ist. Wie beim Blick durch ein Kaleidos-
                                                                  links: Kunststeinmetz Mohammed Zamuri.
                                                                  Foto: Gabriela Beck
                                                                  mitte: Zellij. Foto © Pixabay                          cken oder miteinander verflochten sind. Dabei waren islamische    kop verursachen die sich scheinbar unendlich wiederholenden
                                                                  rechts: Sheikh Safi ad-Din-Schrein in Ardabil, Iran.
                                                                  Foto: Puria Berenji / Unsplash                         Mosaikkünstler im Mittelalter der westlichen Welt um mehr als     Dessins bei längerer Betrachtung ein leichtes Schwindelgefühl.
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Bunte Fliesen
erreichen Europa
D       ie Mauren brachten die Glasurtechnik auf die Iberische
        Halbinsel, wo sie ab dem 8. Jahrhundert weite Teile im
Süden beherrschten. Die Region unterlag mehr und mehr den
kulturellen Einflüssen aus dem Nahen und Mittleren Osten so-
wie aus Nordafrika. Baumeister und Handwerker eiferten der
Architektur von Bagdad, Samarra, Tunis und den Städten Irans
nach. Somit fanden auch Fliesen vermehrt Verwendung. Höhe-
punkte spanisch-muselmanischer Baukunst waren der Bau der
grossen Moschee in Córdoba mit ihren 856 Säulen und die Al-
hambra in Granada, das letzte islamische Monument der Iberi-
schen Halbinsel. Besonders sehenswert sind die Fliesen im Saal
der zwei Brüder und im Gefangenenturm.

rechts: Alhambra in Granada, Spanien. Foto: Bernhard Stärck / Pixabay
unten: Alhambra. Foto: David Mark / Pixabay
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Die Glasurtechnik
wird erwachsen
A      nfangs wurden die Scherben lediglich einfarbig glasiert
       und gebrannt. Die Mosaike wurden anschliessend aus
kleinen Formstücken zusammengesetzt, die zuvor aufwendig
mit Hammer und Zange zurechtgeklopft wurden, genannt Alica-
tado-Technik. Um die hohen Handwerkerkosten zu reduzieren,
löste das Cuerda-Seca-Verfahren, bei dem gefettete Schnüre in
eingeritzte Vertiefungen gelegt wurden, bereits im 11. Jahrhun-
dert diese Vorgehensweise ab. Die Schnüre verhinderten, dass
die farbigen Bleiglasuren ineinanderliefen. Die Fliesen erhielten
dadurch eine reliefartige Oberfläche und konnten nun als ganze
Stücke versetzt werden. Eine weitere Beschleunigung des Ar-
beitsprozesses brachte im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts
die Technik der Cuenca oder Arista. Dabei wird das Muster als
Ganzes mit einem Holzmodel – einer Hohlform – in den noch
weichen Ton eingeprägt, sodass die Felder vertieft, die Konturen
erhaben sind. Die Grate (Aristas) verhindern das Überlaufen der
Glasuren zwischen den Näpfen (Cuencas).

Erst das Majolika-Verfahren aus Italien, bei dem die Tonwa-
re zweimal gebrannt wird, erleichterte im 16. Jahrhundert die
Fertigung nachhaltig. Nach einem ersten Brand bei mässiger
Temperatur wird der Scherben mit einer opak-weissen Zinn-
glasur beschichtet, die stark saugend wirkt und daher der ideale
Untergrund für die sogenannten Scharffeuerfarben ist, die vor
dem abschliessenden Scharfbrand unmittelbar auf die Glasur
aufgetragen werden. Der Nachteil: Nur wenige Farbstoffe, al-
lesamt Metalloxide, vertragen die sehr hohen Temperaturen
des Scharfbrands von 1300 bis 1410 Grad Celsius: Kobaltblau,
Manganviolett und Antimongelb. Der Vorteil: Die Künstler konn-
ten den Scherben nun grossflächig mit ihren Motiven bemalen
und in einem zweiten Brand mit der Scherbe verschmelzen. Die
Dekoration wird von der Glasur versiegelt und geschützt. Im
19. Jahrhundert ermöglicht die chemische Industrie die Her-
stellung weiterer Farbtöne in Form von Chromoxiden. Grün,
Schwarz und Braun kommen dazu. Schliesslich weitere gelbrote
und gelbbraune Nuancen aus Wolfram-, Molybdän-, Titan- und
Vanadinverbindungen.

rechts: Cuerda-Seca-Technik aus dem späten 14. Jh.
Foto © Metropolitan Museum of Art
medico JOURNAL – REISEN                                                           68

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links: Detail aus Fes, Marokko. Foto: Gabriela Beck
rechts: Sherdor Medrese in Samarkand, Usbekistan. Foto: Logga Wiggler / Pixabay
oben: Detail Muster. Foto: Logga Wiggler / Pixabay
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Überdimensionierte
Nachttöpfe
I   m Jahr 1498 lernte König Manuel I. von Portugal in Spanien
    mit glasierten Fliesen geschmückte Bauwerke kennen. Er
war so begeistert, dass er sich von arabischen Handwerkern in
Sevilla bunte Reliefkacheln für seinen Palast in Sintra nahe Lis-
sabon anfertigen liess. Schnell fanden sie ihren Weg auch in die
Landsitze der Adligen, wo sie die Säle mit Jagd- oder Schlacht-
szenen schmückten. Auch portugiesische Seefahrer brachten
neue Motivideen mit. Nach Vorbild des im 17. Jahrhundert bei
der feinen Gesellschaft in Mode gekommenen China-Porzellans
setzten sich dafür blau-weisse Kacheln durch. Wanderbewegun-
gen der Handwerker zwischen Holland und Portugal führten zu
Austausch und Weiterentwicklung künstlerischer Darstellung.
Auch in Portugal wurden Fliesen nun eher von Künstlern bemalt.
Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts brachten Kaufleute eine neue
Idee aus Brasilien mit: Das Kacheln der Aussenwände. Das war        Die einfache Bevölkerung hatte für die mit bunter, glänzen-
einerseits praktisch – die Fliesen haben eine kühlende Wirkung      der Keramik belegten Häuser indes anfangs nicht viel übrig: Sie
auf das Gebäude und schützen es vor Feuchtigkeit – andererseits     nannten sie spöttisch «casas de penico» – Nachttopf-Häuser.
konnten die Heimkehrer damit zeigen, wie weit sie es gebracht       Schliesslich griffen aber auch Bauern und Fischer zum Schutz der
hatten. Vermögen und Einfluss einer Familie konnte so schon am      Fassaden ihrer Häuser zur Fliesenhaut. Viele liessen auch ein Bild-
handgearbeiteten Fliesenfries zur Schau gestellt werden.            nis der Muttergottes oder eines Patrons anbringen – zum Schutz
                                                                    vor Feuer und Erdbeben. Die Herstellung mit Presspulver und im
                                                                    Siebdruckverfahren mit Schablonen in den Fabriken bei Porto
                                                                    hatte die Motivkacheln für jedermann erschwinglich gemacht.

                                                                    links: Hausfassade in Porto, Portugal. Foto: Jure Tufekcic / Unsplash
                                                                    oben: Motiv einer Jagdszene. Foto © Turismo de Portugal
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