ÄTNA AZULEJOS FEUERWASSER BIENNALE
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2 3 editorial FENYA, FEUERWASSER, FERNE. Geschätzte Leserinnen und Leser Wofür brennen Sie? Eine Passion hat die Kraft, Grenzen neu zu definieren und Dinge zu erschaffen, die über das Gewohnte hinausgehen. Die Werke von Künstlern leben ebenso von diesem inneren Feuer wie auch die grossen Errungenschaften von Forschern oder die Ent- deckungen von Abenteurern. Die vorliegende Ausgabe steht ganz im Zeichen dieser Leidenschaft, dieses «heiligen Feu- ers»: Begleiten Sie Martin Mühlegg auf seiner Vulkanexpedition im tiefsten Süden Italiens, wo der Ätna noch heute aktiv ist. Sascha Rettig lädt Sie ein zu einer Tour auf dem Tennes- see-Whiskey-Trail, wo das Feuerwasser des Wilden Westens herkommt. Was die Azulejos, die Wahrzeichen Portugals, mit Feuer zu tun haben, erfahren Sie von Gabriela Beck. Über eine andere Art des Feuers – jenes, das im Herzen entfacht wird – berichtet Marco Iezzi in seinem Porträt über die aussergewöhnliche Beziehung von Felix und Fenya. «Interesting Times» ist das Hauptmotiv von Gregor Lüthys Bericht über die Biennale in Venedig, wo die Kunst zu heissen Diskussionen anregt, und Augenspezialist Prof. Dr. med. Wolfang Bernauer legt den Fokus auf ein Dorf in Griechenland, das er in seinem Fotoband porträtiert, den wir Ihnen in dieser Ausgabe vorstellen. Unser medizinischer Artikel von Dr. med. Felicitas Witte ist dieses Mal dem Thema Rheumatologie und Biosimilars gewidmet. Grosse Leidenschaft haben auch Sie gezeigt, geschätzte Leserinnen und Leser, mit der Teil- nahme an unserer Umfrage zum medico JOURNAL und dem Wettbewerb «Ärzte testen An- zeigen», deren Auswertung Sie auf Seite 20 finden. Herzlichen Dank! Viel Vergnügen beim Lesen wünschen Ihnen. Marc Schwitter Rolf Ryter Redaktion Verlag
4 5 inhalt 06 Publireportagen 12 MEDIZIN Biosimilars helfen sparen 20 Ärzte testen Anzeigen: Die Sieger stehen fest! 80 KUNST Fotografie – Die Zeit anhalten 94 Biennale Venedig Die Welt braucht Künstlerinnen 32 REISEN Ätna – Leben auf Lava 46 «Tennessee Whiskey Trail» Mehr als Feuerwasser 60 Azulejos – Im Feuer geboren 106 MENSCHEN Feuer und Fenya – Felix hatte keine Ahnung von Pferden, jetzt hat er Fenya
medico JOURNAL – MEDIZIN steigende Ausgaben für gentechnisch hergestellte Medikamen- Etanercept, Adalimumab, Certolizumab und Golimumab die te in der Rheumatologie. Waren es 2013 nach Berechnungen Gelenkzerstörung bei rheumatoider Arthritis signifikant mehr von curafutura «nur» 386 Millionen Franken pro Jahr, sind es heu- als Placebo. Der Effekt betrug etwa 0,9 Prozent pro Jahr bei te 571 Millionen Franken. «Hierzulande fehlen die Anreize, Bio- einer Biologika- beziehungsweise Biosimilar-Monotherapie und similars zu verschreiben», sagt Martina Weiss, Leiterin Verträge 1,2 Prozent, wenn die Präparate mit Methotrexat kombiniert und Vergütung Arzneimittel und Medizinprodukte bei der Hel- wurden. Es machte dabei keinen Unterschied, ob der Patient sana-Krankenversicherung. «Die Originalpräparate sind immer ein Original-Biologikum oder ein Biosimilar bekam. «Man noch marktführend, und die Ärzte setzen Biosimilars nur zöger- kann seinen Patienten versichern, dass Biosimilars genauso lich ein. Wir hinken anderen europäischen Ländern klar hinter- gut wirken wie Biologika», sagt Stephan Krähenbühl, Chef der her.» Warum Ärzte so zögern, habe verschiedene Gründe. Zum Arzneimittelkommission am Universitätsspital Basel. «Bis jetzt einen wolle der Arzt seine therapeutische Freiheit behalten. Zum gab es bei den Biosimilars, die in der Schweiz auf dem Markt sind, anderen gäbe es keine verbindlichen Vorgaben für die Ärzte, keine Unterschiede, die die Wirksamkeit oder die Sicherheit der wirtschaftlich zu verschreiben. «Ausserdem merken wir immer Therapien klinisch relevant beeinträchtigt haben.» verschrieben hierzulande noch eher selten ein Biosimilar, sagt wieder, dass die Hersteller von Originalpräparaten vielen Ärzten Diego Kyburz, Chefarzt Rheumatologie am Universitätsspi- Rabatte gewähren», sagt Weiss. «All das dämpft natürlich den Ungünstig: Negative Einstellung tal Basel und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für stärkeren Einsatz von Biosimilars.» Gelegentlich wurde in den Studien jedoch vom Nocebo-Effekt Rheumatologie: «Vor allem bei der Neueinstellung. Dabei gibt es berichtet: Eine negative Einstellung gegenüber dem Biosimilar inzwischen genügend Studien, die gezeigt haben, dass sowohl Swissmedic prüft Biosimilars penibel wirkt sich ungünstig auf den Behandlungserfolg aus. So brach eine Neueinstellung als auch ein Wechsel bei gleicher Wirksam- Der Begriff Biosimilar mag unglücklich gewählt sein, aber er ist beispielsweise in einer Studie aus den Niederlanden3 jeder keit und Sicherheit möglich sind.» im Grunde genommen korrekt: Im Gegensatz zu Generika sind vierte der 192 Patienten die Therapie nach Umstellung auf ein Biosimilars nämlich keine identische Kopie vom Originalpräparat, Biosimilar vom Rheumamittel Infliximab ab, weil er das Gefühl Mit biologisch hergestellten Medikamenten, die gegen rheuma- sondern unterscheiden sich minimalst. Das ist jedoch ein hatte, es wirke nicht, weil er Nebenwirkungen bekam oder wegen tische Krankheiten eingesetzt werden, machten Pharmafirmen Merkmal aller gentechnisch hergestellten Medikamente und beidem. In einer Untersuchung aus Dänemark4 setzte jeder elfte im Jahr 2018 einen Umsatz von 571 Millionen Franken – Biosi- keines, das Biosimilars von Biologika unterscheidet. Selbst der 802 Patienten das Infliximab-Biosimilar nach der Umstellung Erosionen und Gelenkspalt- milars nahmen dabei nur einen Anteil von 2,7 Prozent ein. «Als jede neue Charge eines Biologikums ist nie identisch mit ab, weil es angeblich nicht wirkte – dabei war seine entzündliche verschmälerung an diversen die ersten Biosimilars auf den Markt kamen, haben viele Kollegen der vorherigen. «Das können sie auch gar nicht sein, weil es Arthritis genauso kontrolliert wie vorher. Wird die Therapie in MCP-Gelenken und in den Handgelenken. wegen des Begriffs gedacht, die seien ja nur ähnlich und deshalb grosse und komplizierte Moleküle sind, die in lebenden Zellen einem negativen Kontext gegeben, so fanden Forscher von der © Diego Kyburz, Unispital Basel nicht austauschbar», sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der hergestellt werden», sagt Ludwig. «An einem Baum ist ja auch Universität in Turin heraus,5 – 7 kommt es zu einem Anstieg von Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). kein Blatt identisch mit einem anderen.» Die Swissmedic prüft Schmerz-Botenstoffen und erhöhter Nervenaktivität in den «Die Pharmalobby der Originalhersteller benutzte regelmässig jedoch penibel, ob sich der Unterschied zwischen Biosimilar Hirnregionen, die in die Verarbeitung von Schmerz involviert Biologisch hergestellte Medikamente sind ein den Slogan ‹Ähnlich, aber nicht gleich›, um Ärzte von der Ver- und Original-Biologikum – welches oft als Referenzarzneimittel sind. Eine grosse Rolle spielt aber offenbar, ob der Patient weiss, Segen für viele Patienten – zum Beispiel in der bezeichnet wird – in Grenzen hält. So muss die Pharmafirma dass er ein Biosimilar bekommt. In doppelblinden Studien, in ordnung von Biosimilars abzuhalten.» Diese Schlagzeile griffen Rheumatologie. Doch die Medikamente sind viele Journalisten auf, sogar Fachjournalisten. Offenbar hatte nachweisen, dass sich ihr Biosimilar nur so minimal vom denen weder Arzt noch Patient wussten, ob dieser ein Biosimilar enorm teuer und eine grosse Belastung unseres sich kaum jemand damals die Mühe gemacht, zu verstehen, was Original-Biologikum unterscheidet, dass Wirksamkeit und bekam, brachen viel weniger Patienten die Therapie ab.8 Gesundheitssystems, gerade bei chronischen Biosimilars genau sind. Kein Wunder, dass Ärzte zögern, abgese- Sicherheit im Vergleich zum Original nicht beeinflusst werden. Krankheiten. Dabei gibt es seit Jahren preiswerte hen davon mangelt es im Alltag oft an Zeit, sich über Biosimilars Der Fokus liegt beim Zulassungsprozess auf der Qualität, bei der Mio. CHF Umsätze Biologicals Rheumatologie 2014 – 2018 Nachahmerprodukte, Biosimilars genannt. genau zu informieren. Doch niemand braucht sich in komplizier- Präklinik und Klinik kann das Dossier reduziert sein, weil auf das 600 te Fachliteratur zu vertiefen: Das Kapitel über Biologika und Bio- Referenzpräparat Bezug genommen werden kann. Schweizer Ärzte zögern jedoch und verschreiben similars im alljährlich erscheinenden Arzneiverordnungs-Report 500 immer noch fünfmal häufiger Original-Biologika Bei der Behandlung mit Biosimilars muss man unterscheiden, in Deutschland ist auch für Schweizer Ärzte eine gute Grundlage als Biosimilars. Das verursacht unnötige Kosten für unabhängige Informationen über die Präparate und die ein- ob ein Patient neu ein gentechnisch hergestelltes Medikament 400 in Millionenhöhe. Die Regierung plant jetzt schlägigen Studien.1 bekommen soll oder ob er schon eines hat und der Arzt Massnahmen, die hohen Ausgaben einzudämmen. eine Umstellung vorschlägt. «Dass man problemlos neu mit 300 Es fehlen die Anreize einem Biosimilar beginnen kann statt mit einem Biologikum, Fragt man Rheumatologen, was sie von Biosimilars halten, Fünf Mal häufiger verschreiben Rheumatologen hierzulande ein zweifeln inzwischen weniger Kollegen an», sagt Ludwig. hört man selbst von so manch einem gestandenen Professor: Original-Biologikum als ein Biosimilar, hat Andreas Schiesser, «Aber beim Wechsel zögern immer noch zu viele.» Dabei 200 Biosimilars würden ja gar nicht so gut wirken, sie seien ja nur si- Tarifexperte beim Krankenversicherungsverband curafutura, haben inzwischen Dutzende von Studien gezeigt, dass ein milar – also ähnlich – und nicht gleich. Lieber bleibe man beim ausgerechnet. Das verursache enorme Kosten, sagt er. «In den Wechsel weder Sicherheit noch Wirksamkeit der Therapie 100 herkömmlichen Original-Biologikum. Biologika sind ein Segen meisten Fällen sind die völlig unnötig.» Bis zu 40 Millionen Fran- beeinflusst. Biosimilars sind Biologika ebenbürtig, das bestätigt für viele Patienten, denn damit lassen sich Krankheiten in vie- ken, so ergaben Schiessers Berechnungen, könnte die Schweiz auch eine ganz aktuelle Netzwerk-Metaanalyse aus 36 0 len Fällen beherrschen oder gar heilen, so auch bei vielen Pati- pro Jahr sparen, wenn Ärzte öfter Biosimilars verschreiben wür- randomisierten klinischen Studien2 – vom Studiendesign her 2014 2015 2016 2017 2018 enten mit rheumatischen Krankheiten. Doch Rheumatologen den. Sparen tut not: Seit Jahren verzeichnen die Kassen stetig eine Topqualität. Im Vergleich zu Placebo reduzierten Infliximab, Total Originale Total Biosimilars
medico JOURNAL – MEDIZIN Mehr Zeit für Patientenaufklärung Original-Biologika und ihre Biosimilars. In der Schweiz Ein Paradies für Originalhersteller Ganz so einfach wie bei der Substitution von Generika sei sind im Vergleich zur Europäischen Union noch wenige Hierzulande herrschen für die Hersteller von Originalpräparaten es aber nicht, sagt Klaus Krüger, Sprecher der Kommission Biosimilars auf dem Markt, die gegen rheumatische im Vergleich zu anderen Ländern – etwa Deutschland – Pharmakotherapie bei der Deutschen Gesellschaft für Krankheiten eingesetzt werden. paradiesische Zustände. Das Gesetz lässt Arzt und Apotheker Rheumatologie. «In Deutschland werden wir demnächst zehn ziemlich viel Freiraum, sodass der Patient eher ein teures verschiedene Biosimilars von Adalimumab haben. Jedes Wirkstoff Original-Biologikum Biosimilar Originalpräparat bekommt statt eines preiswerteren hat seine eigene Fertigspritze oder seinen eigenen Pen, die Adalimumab Humira® AMGEVITA® SureClick (Pen) Nachahmer-Medikamentes. Schreibt man seinem Patienten unterschiedlich angewendet werden. Wer erklärt das dem AMGEVITA® (Spritze) zum Beispiel «Aspirin® Cardio» auf ein Rezept und notiert Hyrimoz® SensoReady (Pen) Patienten?» Er schlägt in seiner Praxis in München rund 8 von dazu nicht, dass es unbedingt das Original-Aspirin sein muss, Hyrimoz® (Spritze) 10 Patienten einen Umstieg auf ein Biosimilar vor, und bei den darf der Apotheker dem Patienten das preiswerte Generikum Etanercept (Injektion) Enbrel® MyClic (Pen) Benepali® meisten klappe das problemlos. «Man muss sich aber Zeit für Enbrel® (Spritze) Erelzi® SensoReady (Pen) Acetylsalicylsäure abgeben. Er muss das aber nicht, sondern den Patienten nehmen, um ihm den Wechsel zu erläutern.» Erelzi® (Spritze) kann dem Patienten auch das teurere Aspirin verkaufen. Der Infliximab (Infusion) Remicade® Remsima® Apotheker hat also ein Recht, ein Generikum zu geben, ist Vergessen wird bei der ganzen Diskussion oft, was Patienten über Inflectra® dazu aber nicht gezwungen. Für den Patienten kann dies die neue Regel denken. Warum sollten sie mit einem Austausch Rituximab (Infusion) MabThera® Truxima® höhere Kosten bedeuten. Dieses Substitutionsrecht gilt für alle einverstanden sein, wenn sie sich an eine andere Spritze gewöhnen Rixathon® Medikamente, die auf der Spezialitätenliste stehen, Biosimilars sollen? Wenn ein Risiko besteht, dass das Biosimilar vielleicht bei fallen aber nicht darunter. Die Verschreibung von preiswerten ihnen nicht so gut wirkt, auch wenn dieses Risiko sehr klein ist? Amgevita® und Hyrimoz® sind ab 1. November 2019 Biosimilars könnte das neue Referenzpreissystem fördern, das in der Spezialitätenliste aufgeführt. «Ich könnte mir gut vorstellen, ein Biosimilar zu nehmen», sagt der Bundesrat einführen will. Damit würden – vereinfacht gesagt Jeanette Prautzsch, die seit Jahren unter rheumatoider Arthritis – die Kassen nur einen Preis zahlen, der unter dem des Original- leidet. «Ich möchte gerne etwas tun, um im Gesundheitssystem Biologikums liegen könnte. Möchte der Patient trotzdem zu sparen, aber das möchte ich vorher in Ruhe mit meinem Arzt unbedingt das Original, müsste er die Differenz dazuzahlen, besprechen.» Finanziell hat ein Patient von der Umstellung nichts sofern der Arzt nicht explizit das Biologikum verschrieben hat Literatur – die Jahrestherapiekosten sind bei beiden Mitteln so hoch, dass und dafür medizinische Gründe vorliegen. «Wir fordern das 1. U. Schwabe et al. (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2019, https://doi.org/10.1007/978-3- 662-59046-1_4. 2. Graudal N et al. Int J Mol Sci 2019: 20: 4350. 3. Tweehuysen L et al. Arthritis der Patient auch für ein Biosimilar den maximalen Selbstbehalt Referenzpreissystem schon lange», sagt Martina Weiss. «Wenn Rheumatol 2018; 70: 60-68. 4. Glintborg B et al. Annals of the Rheumatic Diseases 2017; 76: 1426-1431. 5. Carlino E, Benedetti F. Neuroscience 2016; 338: 19-26. 6. Benedetti F et al. zahlen muss. «Es kommt dem Patienten aber indirekt zugute», bei patentabgelaufenen Medikamenten nicht gespart wird, Neuroscience 2007; 147: 260-271. 7. Palermo S et al. Hum Brain Mapp 2015; 36: 1648-1661. sagt Martina Weiss von der Helsana. «Geben Versicherungen können wir uns Innovation bald nicht mehr leisten.» 8. Odinet JS et al. Manag Care Spec Pharm 2018; 24: 952-959. weniger Geld aus, bleiben die Prämien stabil.» Biologikum Arzneimittel, deren Wirkstoffe biologische Stoffe sind, die biologischen Ursprungs sind oder aus biologischem Bezüge, Kosten und Personen mit Bezügen für Biologika und Biosimilars nach Geschlecht mit Anteilen (biologisches Arzneimittel, Ursprungsmaterial erzeugt werden. am Gesamtmedikamentenmarkt (2010 – 2016), Hochrechnung für die gesamte Schweiz. Biopharmazeutikum) Biosimilar Arzneimittel, deren arzneilich wirksamer Bestandteil strukturell Ähnlichkeiten (biosimilar) mit einem 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 seit 2010 (biosimilares Arzneimittel, bereits zugelassenen Biologikum (Referenzarzneimittel) besitzt und eine identische pharmakologische (Anteil in %*) (Anteil in %*) (Anteil in %*) (Anteil in %*) (Anteil in %*) (Anteil in %*) (Anteil in %*) (in %) USA: follow-on-biological) Wirkung ausübt. Anzahl Bezüge (in Tausend) Bioidenticals Arzneimittel, die in derselben Produktionsstätte im selben Herstellungsverfahren produziert werden und (bioidentische Arzneimittel) unter unterschiedlichen Fertigarzneimittelnamen durch unterschiedliche Pharmafirmen vertrieben werden. Total 337.3 (0.4) 452.3 (0.5) 546.9 (0.6) 712.5 (0.7) 803.1 (0.8) 855.8 (0.8) 948.7 (0.9) +281.3 Referenzarzneimittel Bereits in der EU zugelassene Biologika, mit denen bei der Zulassung von Biosimilars eine ausreichende Frauen 213.0 (0.3) 284.1 (0.3) 341.6 (0.4) 435.6 (0.4) 491.8 (0.5) 519.6 (0.5) 575.0 (0.5) +270.0 (Originalarzneimittel, Originator, Innovator) Ähnlichkeit belegt werden muss. Kosten (in Millionen CHF) Austauschbarkeit Die medizinische Praxis, ein Arzneimittel gegen ein anderes auszutauschen, welches in der gegebenen («Interchangeability») Indikation den gleichen klinischen Effekt in jedem beliebigen Patienten erzielt. Total 560.0 (10.7) 779.4 (13.7) 915.0 (15.4) 1'076.1 (17.6) 1'108.2 (17.6) 1'141.3 (17.1) 1'283.9 (18.1) +229.3 Switch, Switching Die Umstellung eines bestimmten Patienten durch den behandelnden Arzt von einem Arzneimittel auf ein Frauen 348.7 (6.7) 466.3 (8.2) 542.7 (9.2) 623.2 (10.2) 647.4 (10.3) 661.0 (9.9) 729.1 (10.3) +209.1 anderes, welches in der gegebenen Indikation den gleichen klinischen Effekt erzielt. Anzahl Personen mit Bezügen (in Tausend) Substitution Der automatische Austausch eines Arzneimittels gegen ein anderes durch den Apotheker bei der Abgabe in der Total 56.8 (1.0) 78.5 (1.4) 98.5 (1.7) 120.2 (2.0) 138.2 (2.3 155.7 (2.5 174.4 (2.7) +307.0 Apotheke, welches in der gegebenen Indikation den gleichen klinischen Effekt erzielt, ohne Wissen des Arztes. Frauen 35.1 (0.6) 50.2 (0.9) 64.4 (1.1 80.5 (1.3) 93.7 (1.5) 106.5 (1.7) 118.7 (1.9) +338.2 Quelle: Kurki P, van Aerts L, Wolff-Holz E et al.: Interchangeability of biosimilars: a European perspective. BioDrugs 2017; 31: 83-91 * Total Bezüge (in Tausend): 2010: 85‘180; 2011: 91‘258; 2012: 94‘656; 2013: 99‘089; 2014: 102‘790; 2015: 106‘764; 2016: 111‘126 Total Kosten (in Millionen): 2010: 5‘232; 2011: 5‘692; 2012: 5‘952; 2013: 6‘123; 2014: 6‘280; 2015: 6‘677; 2016: 7‘087 Total Personen (in Tausend): 2010: 5‘529; 2011: 5‘713; 2012: 5‘817; 2013: 5‘980; 2014: 6‘058; 2015: 6‘227; 2016: 6‘356 Text: Dr. med. Felicitas Witte Quelle: Helsana Arzneimittelreport 2017
medico JOURNAL – REISEN 32 33 Ätna LEBEN AUF LAVA Erstarrte Lavaströme, riesige Aschewolken, bizarre Felsen, schwarzer Kies und Hunderte von «Bambini-Kratern»: Im Osten Siziliens hat der Vulkan Ätna eine einzigartige Landschaft erschaffen. Noch sind wir weit weg vom Ätna, und schon zeigt er uns, wie mäch- tig er ist. «Der Flug WK398 nach Catania ist wegen eines Vulkanaus- bruches auf unbestimmte Zeit verschoben», tönt es um fünf Uhr nachmittags aus den Lautsprechern am Flughafen Kloten. Drei Stunden später sitzen wir noch am Gate B08 und bekommen einen Essensgutschein auf die Bordkarte geladen. Es heisst, wir würden mit fünf Stunden Verspätung abheben. Weil eine neue Crew ein- springen muss und die Maschine beim letzten Flug Vogelschlag erlitten hat, heben wir schliesslich erst kurz vor Mitternacht ab. Als wir in Catania ankommen, sind die Büros der Autoverleiher längst geschlossen. Wie viele andere Passagiere aus Zürich versuchen wir auf dem kalten Steinboden des Flughafens etwas Schlaf zu finden. Im Morgengrauen begeben wir uns vor das Flughafengebäude und blicken hinauf zum Ätna. Aus seinem Südostkrater dringt weisser Dampf. Aus dem westlich gelegenen Bocca Nuova (neuer Schlund) steigt eine dunkle Rauchfahne auf. Aus fast 40 Kilometern Entfer- nung wirkt sie klein, in Wirklichkeit ist sie mehrere hundert Meter hoch. Weil der Wind sie in die Anflugschneise geblasen hatte, konn- ten gestern stündlich nur vier Maschinen landen. Wir fragen uns, ob wir bei dieser Aktivität die auf morgen gebuchte Expedition zu den Gipfelkratern unternehmen können. links: Der Seitenkrater Silvestri inferiore ist bei einem Ausbruch Ende des 19. Jh. entstanden.
medico JOURNAL – REISEN 34 35 Zwei Platten und viel Energie V or einer Million Jahren lag an der Stelle, wo sich heute der Ätna erhebt, eine Meeresbucht. Darunter stiess ein Aus- läufer der afrikanischen Kontinentalplatte, der apulische Sporn, gegen die eurasische Platte. Entlang der Grenze zwischen die- sen beiden Platten, die von der heutigen Südspitze Siziliens über 1000 Kilometer nordwärts verläuft, bildeten sich enorme Kräfte, die unter anderem die Alpen erschaffen haben. Bei Nea- pel (Vesuv), auf den Liparischen Inseln (Stromboli und Vulcano) und bei Catania (Ätna) öffneten diese Kräfte dem Magma aus dem Erdinnern den Weg an die Oberfläche. Seit einer halben Million Jahren kommt es dort, wo sich heute der Ätna erhebt, immer wieder zu heftigen Ausbrüchen. Innert der letzten 100'000 Jahre haben die Eruptionen das Lavagestein über 3300 Meter hoch aufeinandergeschichtet. Bis heute ist der Vulkan ständig in Bewegung. Seine exakte Höhe ändert immer wieder. 1968 und 1979 sind zwei neue Gipfelkrater entstanden. An den Hängen des Ätna haben sich Hunderte von Seitenkratern gebildet. Die Einheimischen nennen sie «Bambini» (Kinder). Zwei Tage nach unserer Ankunft nehmen wir die Serpentinen zur Wir blicken hinunter in Richtung Catania und sehen ein gutes Ätna Station Süd unter die Räder. Weil wir etwas zu früh ankom- Dutzend von Ätnas «Kindern». Sie liegen wie schmucke Spiel- men, unternehmen wir einen Spaziergang auf den Krater des zeuge verstreut in der Landschaft. Einige sind noch in «rohem» Monte Silvestri inferiore, der sich gleich neben dem Parkplatz Zustand: Ihre Oberfläche besteht aus schwarzem Lavastein und erhebt und bei einem Ausbruch Ende des 18. Jahrhunderts ent- -sand. Andere sind mittlerweile von Pinien oder Kastanienbäu- standen ist. Unter unseren Füssen klirrt der glasig-metallische men bewachsen. links: Mit den Offroad-Bussen kann man bis einen Kilometer an den Krater heranfahren. rechts: Mit geführten Touren kommt man in die Nähe der Gipfelkrater. Lava-Kies. Dieses Geräusch wird uns den ganzen Tag begleiten.
medico JOURNAL – REISEN 36 37 Drei Kilometer I n der Regel dauern die Ausbrüche aus den Nebenkratern nicht lange. Meist verschliesst erstarrte Lava die unterirdi- schen Kanäle nach wenigen Tagen. Trotzdem können die «Bam- bini» enorme Schäden anrichten. Aus dem Monpeloso beim breiter Lavastrom Städtchen Nicolosi ergoss sich im Jahr 252 ein drei Kilometer breiter Lavastrom, der auf seinem Weg zur Küste des Ionischen Meeres Catania verwüstete. 1669 ereignete sich eine weitere Eruption, die Catania erneut zerstörte. Sizilien bildet einen Riegel im Mittelmeer. Deshalb haben sich hier nicht nur Kontinentalplatten, sondern auch verschiede- ne Völker und Kulturen aneinandergerieben. Griechen, Römer, Araber und Normannen haben auf der grössten Insel des Mit- telmeers ihre Spuren hinterlassen. In der Ätna-Region und im Südosten haben Lavaströme und Erdbeben diese Spuren ver- wischt. Catania ist zur Barockzeit – wie etliche andere Städte in der Region – in einem Schachbrettmuster neu aufgebaut wor- den. Diese Bauten und die langen Strassenachsen prägen das Bild der pulsierenden Stadt bis heute. Nach dem Spaziergang auf dem Silvestri-Krater nimmt uns der Geologe Domenico Domanti in Empfang. Wir sind Teil einer Expedition, die wir bei der Guide Vulcanologiche Etna Nord ge- bucht haben (Kosten mit Seilbahn 100 Euro). Mit einem Helm und mitgebrachtem Proviant ausgerüstet, fahren wir mit einer Gondelbahn und einem Offroad-Bus auf knapp 3000 Meter hin- auf zum Torre del Filosofo. Nun sind wir noch einen Kilometer entfernt von den Gipfelkra- tern. Aus dem Südostkrater steigt noch immer weisser Was- serdampf. Im Bocca Nuova erklingt im Abstand von ein paar Minuten ein Grollen, gefolgt von einer grauen Aschewolke, die sich explosionsartig ausbreitet und schnell in die Höhe steigt. In unserem Kopfkino laufen Youtube-Filme mit Aschewolken und rennenden Menschen ab. Was sollen wir tun, wenn die Eruptio- nen stärker werden? Domanti rät uns, nicht wegzurennen. Wir sollen nach oben schauen, damit wir den fliegenden Steinen ausweichen können. WAS SOLLEN WIR TUN, WENN DIE ERUPTIONEN STÄRKER WERDEN? links: Die Aussicht vom Barbagallo-Krater ist grandios.
medico JOURNAL – REISEN 38 39 links: Durch diese kleine Schlucht floss vor 18 Jahren glühende Lava. rechts: Das antike griechische Theater von Taormina mit dem Ätna im Hintergrund. oben: Am Südhang des Ätna spriessen Gräser.
medico JOURNAL – REISEN Surreale Landschaft S o weit kommt es aber nicht. Als wir uns den Kratern auf ei- nen halben Kilometer angenähert haben, erreicht uns ein Funkspruch der Polizei, die hier oben ständig auf Patrouille ist. Die de. Manche von den Ätna-Bergführern arbeiten im Winter als Ski- lehrer. Domanti schwärmt von Skitouren in der Nähe des Kraters, die man bis in den Mai hinein unternehmen kann. Die Lifte haben Eruptionen seien zu stark, wir müssten umkehren, heisst es. eine kurze Halbwertszeit: Circa alle zehn Jahre reissen Lavaströ- me Masten um. Beim Ausbruch von 2001 konnte die Talstation Südlich des frei zugänglichen Torre del Filosofo sind wir nicht der Seilbahn mit einem eilig gebauten Erdwall vor der Zerstörung mehr allein. Das traumhafte Wetter und die Eruptionen haben gerettet werden. Hunderte von Schaulustigen angelockt. Aber auch hier, bei den Barbagallo-Kratern, bieten sich uns spektakuläre Anblicke. Der Nachdem wir auf den Ätna gestiegen sind, wollen wir ihn umrun- Himmel ist tiefblau, Kumuluswolken steigen auf. Darunter breitet den. Wir beginnen in Taormina, wo wir einen der berühmtesten sich die surreal geformte, dunkle Landschaft aus mit ihren stau- Anblicke Siziliens sehen: Der Ätna hinter der Bühne des antiken bigen Kratern und bizarr geformtem Lavabrocken. An manchen griechischen Theaters. Danach probieren wir in der Pasticceria Stellen dringt aus gelbem, schwefelhaltigem Gestein Dampf auf. Etna üppige sizilianische Feinkost. Mandorle (Mandelkonfekt), Andere Bereiche sind vom oxydierten Eisen rot gefärbt. Cannoli (frittierte Teigrollen mit süsser Ricottafüllung) und Marzi- pan (in der Form von Früchten) sind die beliebtesten Süssigkeiten. Die Menschen in ihren bunten Kleidern wirken wie ausgestanzte Wir erhalten Mandelküchlein, die so schwer sind wie bei uns ein Trickfilmfiguren. Surreal wirken auch die Skilifte, die man hier, we- stattlicher Kuchen. Zwei fingergrosse Mandorle sind so nahrhaft nige Hundert Kilometer entfernt von Afrika, nicht erwarten wür- wie ein ganzes Frühstück. oben: Die Küste von Giardini-Naxos bei Taormina.
medico JOURNAL – REISEN 42 43 Das Leben kommt zurück Unsere Rundfahrt führt weiter über Lavafelder nach Bronte. Im Mittelalter wurde dieses Städtchen mehrmals von Lavaströmen heimgesucht und schwer beschädigt. Im 19. Jahrhundert näher- te sich die Lava der Stadt bis auf wenige Meter. Der Vulkan hat auch Wohlstand gebracht: Dank des guten Bodens gedeihen hier I n Sichtweite des griechischen Theaters liegt ein Kreuzfahrt- schiff vor Anker, um Taormina sind unzählige Busse geparkt. Im Minutentakt ziehen Touristengruppen an unserem Tischchen die besten Pistazien Siziliens. Wir setzen unsere Rundfahrt fort nach Nicolsi am Südhang des vor der Pasticceria vorbei. Manche Führer benutzen Lautsprecher. Bald flüchten wir aus dem überfüllten Städtchen und machen uns DIE SCHMUCKE Ätna. Auch dieses Städtchen hat viele Geschichten von Zerstö- rung zu erzählen. Zum Abschluss unserer Rundreise besichtigen auf den Weg in ruhigere Gegenden. BAROCKKIRCHE wir die Kirche von Fleri. Am Weihnachtstag 2018 rutschte der Osthang des Ätna zwei Meter Richtung Meer. Die damit verbun- Auf der Nordseite des Ätna dehnt sich auf mehreren Hundert Quadratkilometern erstarrte Lava aus. Ein Teil davon stammt von SANTA MARIA denen Erdbeben beschädigten die Kirche schwer. Die Bruch- stücke des eingestürzten Turms sind noch nicht weggeschafft. oben: In der Trattoria LinguaGrossa gibts lokale Gerichte. einem Ausbruch im Jahr 1981. Die Lava schoss damals hundert Meter hoch aus einem Seitenkrater. Sie begrub auf ihrem 20 Kilo- DELLE GRAZIE. Warnschilder und Barrieren mahnen vor der Kraft dieses Berges. links: Auf der fruchtbaren Erde um den Ätna wachsen feine Mandarinen. rechts: Ein Erdbeben beschädigte die Kirche von Fleri an Weihnachten 2018 schwer. meter langen Weg bis zum Fluss Alcantara das Dörfchen Passo- pisciara und viel Kulturland unter sich. Nach einigen Jahrzehnten bildet sich auf diesen scharfkantigen Felslandschaften wieder Humus. Es wachsen Gräser, später Gins- ter und Bäume. Hartgesottene Bauern und Selbstversorger hau- en die Lavasteine zurecht und bauen daraus Terrassiermauern und Häuser, legen Gärten und Obstplantagen an. Der Aufwand lohnt sich: Die Erde ist dank ihres hohen Gehaltes an Mineralien sehr fruchtbar. Am Rand einer solchen Zunge liegt das Städtchen Linguaglossa. Hier besichtigen wir die schmucke Barockkirche Santa Maria delle Grazie. Wir sitzen auf der Piazza und lauschen dem schrillen Glo- ckenspiel, das mittags erklingt und im Notfall die Bevölkerung vor Ausbrüchen warnt. Anschliessend begeben wir uns in die Trat- toria LinguaGrossa (Fette Zunge). Dort bekommen wir wunder- bare Orecchiette mit Broccoli und Salsiccia (Schweinswurst) und ein zartes Stinco Agnello (Lammhaxe) serviert. Dazu trinken wir den herben Weisswein Sciare Vive, der unweit von Linguaglossa wächst und gekeltert wird.
medico JOURNAL – REISEN Man weiss nie, was passieren wird A n den Hängen des Ätna sind Hunderte von kleinen Me- tallpfählen mit Solarpanels verstreut. Darin befinden sich GPS-Sender. Wenn sich ihre Position um wenige Millimeter ver- ändert, wird dies am Istituto Nazionale di Geofisica e Volcano- logica in Catania (INGV) registriert. Weil die Computer auch mit topografischen Daten gefüttert sind, lässt sich der Verlauf all- fälliger Lavaströme genau voraussagen. Evakuierungs- und Ein- satzpläne von Rettungskräften befinden sich in den Schubladen der Verwaltungen. Wirklich präzise Vorhersagen können aber auch die Geologen des INGV nicht machen. Beim letzten grösseren Ausbruch des Strombolis im vergangenen Sommer sind den Menschen nur fünf Minuten geblieben, um sich in Sicherheit zu bringen. In den Ortschaften um den Ätna bitten die Menschen täglich Heilige um Verschonung. Wenn es rumpelt, hängen sie in Catania den Schleier der heiligen Agathe vor die Tore. Dies hat offenbar ge- wirkt: Seit Ende des 17. Jahrhunderts hat kein Lavastrom mehr oben: Mit einem Geologen auf der Tour zum Krater. die Stadt erreicht. unten: Das Gebiet um Torre del Filosofo ist ein beliebtes Fotosujet. AUSFLÜGE AUF DEN ÄTNA Von der Station Ätna Süd entweder zu Fuss (1,5 bis 2 Stunden) oder mit Seilbahn und Bus (50 Euro) zum Torre del Filosofo und dem Barbagallo-Krater (3000 Meter). Geführte Touren zum Krater mit Guide Vulcanologiche Etna Nord. www.guidevulcanologicheetna.it RUNDREISE UM DEN ÄTNA Taormina (antikes griechisches Theater, Altstadt, Süssigkeiten in der Pasticceria Etna) – Linguaglossa (Barockkirche Santa Maria delle Grazie, Trattoria LinguaGrossa) – erstarrte Lavaströme westlich von Linguaglossa – Bronte – Nicolosi (Osteria 1877) – Fleri (von Erdbeben beschädigte Kirche). Text und Bilder: Martin Mühlegg
medico JOURNAL – REISEN 46 47 MEHR ALS Feuerwasser Von Big Playern unter den Whiskey- Herstellern bis zu experimentierfreudigen Craft-Destillerien: Auf einer hochprozentigen Tour über den «Tennessee Whiskey Trail» kann man eine ganze Bandbreite von Spirituo- sen entdecken. Die feinen Craft-Whiskeys brennen zwar nach wie vor im Abgang, haben aber sonst kaum noch was mit den Rachen- putzern aus dem Wilden Westen gemein. Aus vielen Western sind diese Momente bestens bekannt, und die Wirklichkeit sah auch nicht viel schmerzfreier aus. Wenn es damals im Wilden Westen einen Cowboy, einen Gauner oder Revolverhel- den bei einer Schiesserei erwischt hatte, blieb bei der Versorgung des Einschusslochs keine andere Wahl: Der Ersthelfer schnappte sich, sofern greifbar, eine Flasche Whiskey und liess erstmal ordent- lich Hochprozentiges in die Wunde laufen, um sie zu desinfizieren. Eine schmerzhafte Angelegenheit, auf die der Betroffene ent- sprechend reagierte: mit einem Schrei aus vollem Hals. Trinken war deutlich angenehmer, auch wenn das raue Zeug heftig brennend die Kehle runterlief. Kein Wunder, dass die US-Ureinwohner den Ra- chenputzern aus Mais oder Getreide den Beinamen «Feuerwasser» verpassten. links: Tasting bei «Chattanooga Whiskey» – in jedem Glas ein andere Geschmackserfahrung.
medico JOURNAL – REISEN 48 49 Z ur Wunddesinfektion wird der Whiskey heutzutage nicht mehr verwendet – obwohl es durchaus funktionieren würde. Nein, er wird getrunken, in der Regel sogar gern und nicht nur für den schnellen Rausch. Der Bundesstaat Tennes- see im Süden der USA ist dabei besonders berühmt für seine vanilligen Bourbon-Whiskeys, bietet aber darüber hinaus eine ganze Bandbreite an anderen Spirituosen. Rund 30 Destilleri- en kann man auf dem sogenannten «Tennessee Whiskey Trail» ansteuern, über den man ganz nebenbei die unterschiedlichen Gesichter des Bundesstaates erkunden kann: vom gemütlichen Landleben über die Natur der Smoky Mountains bis zu Städten wie Chattanooga mit alternativem Flair. Gemeinsam haben sie, dass sie alle sehr unterschiedlich sind, mit eigener Atmosphäre und sehr eigenem Charakter. Der weltweit bekannteste Tennessee-Whiskey dürfte «Jack Daniel’s» sein. Selbst bei regnerischem Wetter sieht man dort bei einem Destillerie-Besuch und einem Abstecher zum Orts- zentrum mit dem urigen General Store die ländlich idyllischen Bilder des berühmten Werbespots vor dem inneren Auge ab- laufen. Wenn man sich zwischen den hoch gestapelten Fäs- sern im «Barrel House» durch einige der Whiskeys probiert, liegt tatsächlich ein Hauch von Vanille in der Luft. Auch heute noch wird jede Flasche im beschaulichen Lynchburg produziert – ironischerweise einem «trockenen County», in dem es mit Ausnahme der Destillerie selbst bis heute illegal ist, den Whis- key zu verkaufen. Anders als viele andere Destillerien, die durch die Prohibition in den 1920ern verschwanden, überlebte «Jack Daniel’s» die Durststrecke dieser Verbotsjahre. Über die Jahr- zehnte etablierte sie sich sogar als eine der weltweit bekannten Bourbon-Marken – nicht zuletzt durch die werbeträchtige Hilfe Frank Sinatras, zu dessen Lieblingsgetränken dieser Whiskey zählte. Gegründet wurde die älteste registrierte Destillerie der USA 1866 von Jasper Newton «Jack» Daniel, der als Skulptur heu- te vor der Quelle des Wassers steht, mit dem er schon damals nischen Traum: Er war ein Junge aus armen Verhältnissen, der Whiskey Experimental Distillery» in der gleichnamigen Stadt am den Whiskey herstellte. Seine Geschichte spiegelt den amerika- seine Familie freiwillig verliess und von Nathan Green, dem Skla- anderen Ende der Skala. Der Name ist dabei Programm: Im alten ven seines Ziehvaters Dan Call, das Brennen lernte – und damit Backsteinbau genau gegenüber der historischen Bahnhofsta- den Grundstein für sein höchst erfolgreiches Unternehmen tion, die durch den Song «Chattanooga Choo Choo» weltweit DER WELTWEIT legte. Bis heute wird der Whiskey dort nach einem speziellen bekannt wurde, arbeitet Chef-Destiller Grant McCracken regel- Verfahren gefiltert, das ihn nach den offiziellen Regularien erst mässig an neuen, teils abenteuerlichen Ideen. Meist brennt er BEKANNTESTE zu einem echten Tennessee-Whiskey macht: Beim sogenann- sogenannte Tennessee High Malts, die auf sehr unterschiedliche ten «Charcoal Mellowing» läuft Tropfen für Tropfen durch eigens Weise gelagert werden – etwa in ehemaligen Bierfässern. Fast im TENNESSEE-WHISKEY hergestellte Holzkohle und macht das Feuerwasser dabei noch Monatstakt kommt so eine neue Kreation heraus. runder und sanfter im Geschmack. DÜRFTE «JACK Auch die «Short Mountain»-Brennerei, die Billy Kaufman mit sei- Als Kontrast zum millionenschweren Global Player «Jack Da- nen zwei Brüdern betreibt, gehört zu den kleinen Destillerien. DANIEL’S» SEIN. niel’s», der zu den meistverkauften Spirituosen der Welt zählt, Auf einer Farm in Woodbury, versteckt im hügeligen Hinterland kann man auf dem Whiskey-Trail durch Tennessee auch neue Mi- von Cannon County, stellt er mit zwei Chef-Brennern 30 000 links: Auch «Jack Daniel’s» bietet weit mehr als den bekannten Standard-Whiskey. kro-Craft-Destillerien entdecken. Verglichen mit «Jack Daniel’s» Flaschen pro Jahr her, maximal. Die Brennblasen befinden sich rechts: «Whiskey to the People» – erst Gesetzesänderungen in Tennessee vor wenigen Jahren machten das möglich. bewegt sich die kleine, vielfach ausgezeichnete «Chattanooga in einem holzverkleideten Gebäude gleich hinter der Auffahrt.
medico JOURNAL – REISEN 50 51 links: Vorsicht, heiss! Zumindest, wenn die Brennblase bei «Chattanooga Whiskey» in Betrieb ist. rechts: Hillbilly-stilecht bei der Moonshine-Produktion mit Latzhose und langem Vollbart. oben: Leuchtend fruchtig – eine von zahlreichen Moonshine-Schnaps-Variationen.
medico JOURNAL – REISEN 52 53 Auch die Whiskey-Fässer lagern darin. Einen Katzensprung ZUNÄCHST BETRIEB weiter findet man einen Tasting Room mit Restaurant, wo man ER LANDWIRTSCHAFT, sich durch die Produkte probieren kann. Angefangen hat Kauf- man mit Moonshine – so hiess der Schnaps, den die Menschen HIELT KÜHE UND einst heimlich zu Hause brannten. Mittlerweile sind aber auch die Whiskeys und Bourbons im Sortiment, die erst Jahre in den oben: Mitten auf dem Lande in Tennessee liegt die «Short Mountain»-Brennerei. BAUTE GETREIDE AN, Fässern reifen mussten. Dazu zählen so eigenwillige Kreationen unten: Landwirtschaft und Schnapsbrennerei statt wie kirschgeräucherter Schokoladen-Roggen-Whiskey, der bis- Grossstadtleben: Billy Kaufman zog vor Jahren auf einen Bauernhof in den Südstaaten. NACHHALTIG ... lang der einzige Bio-Roggen-Whiskey auf dem US-Markt ist. Vor rund 17 Jahren kam Kaufman, dessen Urgrossvater einst das «Samsonite»-Koffer-Imperium gründete, hierher. Nachdem er als Art Director in Los Angeles an Filmen und Werbeclips ge- arbeitet hatte, hatte er genug vom Leben in der Grossstadt. Er brauchte mehr Realität, etwas Echtes: «Ich wollte im Wald und in der Natur leben», sagt der muskulöse Endvierziger mit dem markant getrimmten Bart. Den Ort für diese radikale Luftverän- derung fand er in dieser Farm in Tennessee. Zunächst betrieb er Landwirtschaft, hielt Kühe und baute Getreide an, nachhaltig und in Bioqualität. Als sich die Gesetzeslage in dem Bundes- staat änderte, begann er ausserdem Hochprozentiges herzu- stellen, ausschliesslich mit natürlichen Zutaten. Von der Veranda des Restaurants hat man einen Blick in die Um- gebung: auf Wiesen, Hügel, Wälder und die Weite dieser Gegend in der Mitte von Nirgendwo, die eigentlich nicht die offensichtli- che Wahl für jemanden wie ihn scheint. «Der Süden hat mir zu- nächst auch ein bisschen Angst gemacht und war furchteinflös- send für einen schwulen Juden wie mich.» Doch der Ort hat für die ländlichen Verhältnisse eine recht grosse LGBT-Community. «Auch Freunde von mir lebten bereits hier – ich wollte ja auch nicht der einzige Schwule im Dorf sein.» Angefeindet wurde Kaufman in den Jahren nie. Höchstens ei- nen Witz, eine Anspielung gäbe es manchmal. «Ich wusste gar nicht, dass ein Mann, der gay ist, straight Whiskey herstellen kann», heisst es dann etwa augenzwinkernd. Kaufman ist aber längst nicht der erste Moonshiner auf dem Grundstück: Die Farm gehörte vor rund 100 Jahren einem Mann namens Cooper Melton, der wegen einer Liebesaffäre dort erschossen worden sein soll. «Ausserdem gehörte er zu den Männern, die Al Capone mit Moonshine versorgt haben sollen», sagt Kaufman. Die Smoky Mountains waren so abgelegen, dass sie ideale Be- dingungen für die Schwarzbrennerei boten. Über viele, viele Jah- re hinweg wurde dort in den Bergen wie verrückt, klammheim- lich und ganz im Verborgenen, Schnaps hergestellt. Dabei half der Nebel, der dem Nationalpark den Namen gab. Wattig legt er sich auch heute auf das Bergpanorama und sorgt für eine mysti- sche Atmosphäre. Früher war der Nebel eine ideale Tarnung für den Rauch, der aus den Brennblasen der Schwarzbrenner zog, wenn sie Moonshine herstellten.
medico JOURNAL – REISEN 54 55 links: Im Barrel House bei «Jack Daniel’s» lagern einige der Whiskey-Schätze. rechts: In Lynchburg steht alles im Zeichen des weltbekannten Feuerwassers. oben: Die Brennerei ist ein Touristenmagnet in der Kleinstadt.
medico JOURNAL – REISEN Seit ein paar Jahren erst ist die Produktion des berühmten Noch heute kenne jeder irgendjemanden, in dessen Familie Schnapses nicht mehr verboten. Er darf ganz legal hergestellt Moonshine gebrannt wurde. «Das wurde von Generation zu und verkauft werden und hat sich schnell zum trendigen Hoch- Generation so weitergegeben», erklärt der drahtige Mitfünf- prozentigen entwickelt. Die «Ole Smoky Moonshine»-Destille- ziger mit breitem Southern-Slang. Die Prohibition kurbelte die rie war die erste offiziell lizensierte Destillerie in Ost-Tennessee Schnaps-Nachfrage damals ordentlich an. Auch jetzt boomt und lädt in Tasting Rooms in Gatlinburg und im benachbarten Pi- das Business wieder. Johnny Bakers Neffe erkannte nach der geon Forge Besucher zum Durchprobieren des Sortiments ein Legalisierung 2009 mit ein paar Freunden das Potenzial und zog – also jenen beiden Städten, die zwar das Tor zum Nationalpark, daher bereits ein Jahr später die Moonshine-Destillerie auf. aber mit ihrem grellen, günstigen Unterhaltungstourismus für rund zwei Millionen Touristen im Jahr auch einen krassen Kon- Dass Moonshine der Schnaps der «Hillbillies» ist, also der Hinter- trast zur Natur der Smokys bilden. wäldler, wie auch die Bewohner der Smoky Mountains mitunter spöttisch genannt werden, schadet der Beliebtheit nicht. Im Ge- Den Reiz des Verbotenen hat er so natürlich nicht mehr. Die genteil, das Image der Schwarzbrenner und ihres Schnapses ist vielen neuen Produzenten spielen aber noch damit und den sicher ein entscheidendes Verkaufsargument. «Ole Smoky Moon- Assoziationen mit der Historie, als der Moonshine während der shine» bedient es und spielt damit: Die Angestellten in den Shops Prohibition an Mafia-Grössen verkauft und im Schutz der Nacht tragen Jeans-Latzhosen. Draussen spielt eine Bluegrass-Band. – daher auch der Name – quer durch die USA transportiert wur- Und der Moonshine wird stilecht in Einmachgläsern verkauft – de. «Als Bosse des organisierten Verbrechens herausfanden, und gern daraus getrunken. In den Shops von «Ole Smoky» sind dass in den Südstaaten Maisschnaps hergestellt wird, schickten die Regale voll mit den Gläsern, aus denen der Schnaps in bun- sie Trucks runter», erklärt Johnny Baker von «Ole Smoky Moon- ten Farben herausleuchtet. An den Theken kann man sich gross- shine». «Die Schwarzbrenner wussten allerdings nicht, wie gross zügig und kostenlos durch die zahlreichen Sorten probieren. Die die Nachfrage sein wird und wie viele Trucks kämen, um Schnaps reichen vom «Original» über Moonshine mit eingelegten Kirschen zu kaufen.» Deshalb mussten die Fahrer, die sogenannten und Pfirsichen bis zu Geschmacksrichtungen mit Zimt, Apple Pie Moonshine-Runner, die meist im Schutz der Nacht und in hals- oder Eierlikör. Anders als bei «Ole Smoky» herrscht in der «Old brecherischen Manövern auf den verschlungenen Strassen der Forge Distillery» in Pigeon Forge keine laute Partystimmung. Es Gegend unterwegs waren, schnell sein, um ihre Spirituosen als geht eher ruhig zu in der Brennerei, die im alten Teil der Stadt Erste loszuwerden. Die Stock-Car-Rennen der NASCAR sollen liegt, der an eine Zeit erinnert, als die Entertainment-Hochburg im beschleunigten Schnapsschmuggel ihren Ursprung haben. noch eine Kleinstadt war: in einem Viertel mit historischen Holz- links: Hier wird «Jack Daniel’s» destilliert.
medico JOURNAL – REISEN häusern, Töpferei, General Store, einem Restaurant und einer Mühle, die bis heute betrieben wird. Beim Tasting dort tauchen noch einmal andere Geschmacksrichtungen auf, zum Teil noch ein paar Umdrehungen abenteuerlicher, mit Sorten wie French Toast oder Kaffee. Auch sonst wird in dieser Craft-Brennerei ein ganz anderer Ansatz verfolgt. Der mehrfach ausgezeichnete Chef-Brenner Keener Shanton betont immer wieder, dass ihm das Handwerk bei der Herstellung wichtig ist. Einige Getreidesorten, die er als Zutaten verwen- det, werden noch in der historischen Mühle nebenan gemahlen. Keener geht es hier nicht um globale Verbreitung, sondern um die Herstellung kleinerer Mengen. Ein bisschen so wie damals, wenn man so will: wie zur Zeit der Moonshine-Schwarzbrennerei – aller- dings als Feuerwasser in der experimentierfreudigen Qualitäts- variante und viel zu schade, um damit Wunden zu desinfizieren. www.tnwhiskeytrail.com www.tennessee.de links: Keener Shanton experimentiert mit Moonshine-Schnaps-Geschmäckern in der «Old Forge Destillery». Text und Bilder: Sascha Rettig
medico JOURNAL – REISEN 60 61 Azulejos IM FEUER GEBOREN Sie gelten als Wahrzeichen Portugals. Man sieht sie an Hauswänden, auf Park- bänken und in Metrostationen – Mosaike aus bemalten, glasierten Keramikfliesen als kunstvolle Wandbilder und praktische Fassadenverkleidung. Dabei haben sie ihren Ursprung gar nicht in Portugal. Die Kachelbilder zeigen mal Fabeltiere, mal Helden oder Heili- ge und zaubern einen bunten Glanz ins Antlitz vieler portugiesi- scher Städte. Sogar Bahnhöfe und Kirchen tragen den nationalen Schmuck. Dennoch stammt der Begriff «Azulejo» nicht von «azul», dem portugiesischen Wort für «blau», sondern geht auf das Arabi- sche zurück, auf «al-zuleycha», was so viel wie «poliertes Steinchen» bedeutet. Ursprünglich zur Zierde orientalischer Moscheen ver- wendet, schmückten die farbenprächtigen Fliesen später die Pa- läste weltlicher Adliger und wurden schliesslich zum Exportschlager, erschwinglich für jedermann. links: Medersa Attarine in Fes, Marokko. Foto: Gabriela Beck
medico JOURNAL – REISEN 62 63 Muster für die Ewigkeit K onzentriert zielt Mohammed Zamuri auf das kaum kür- biskerngrosse Stück gebrannten Ton, das er zwischen staubbedecktem Daumen und Zeigefinger in Position hält. Dann schlägt er mit dem klobigen, an den Enden abgeflachten Meis- selhammer vorsichtig ein weiteres Bröckchen ab. «Die schmale Halsform mit den anmutig gebogenen Seiten ist am schwierigs- ten», verrät er. Seit seinem zwölften Lebensjahr arbeitet Mo- hammed im Töpferviertel von Fès. Nach 30 Jahren Training ist er nun «Maalam Nakach», Kunststeinmetz. Unter seinen geübten Hammerschlägen entstehen aus farbig glasierten Terrakotta- kacheln kleine Formstücke wie der achteckige Stern, das Trapez, der schräge Winkel, die der Mosaikleger anschliessend kunstvoll in Putzmörtel zu geometrischen Mustern zusammensetzt: den bekannten marokkanischen Zellij. Da in der islamischen Kunst die Abbildung von Mensch und fünfhundert Jahre voraus: Sie entwarfen bereits sogenannte Tier als Nachahmung des göttlichen Schöpfungsprozesses quasikristalline Muster – bei uns erst seit 1974 durch den Ma- und demnach als Blasphemie gilt, wurden stattdessen abs- thematiker Roger Penrose bekannt – in denen sich zwar einzel- trakte Ornamente verwendet. Die einzelnen Elemente wurden ne Teile wiederholen, aber nie das Muster als Ganzes. Sie sind zu komplizierten Mustern aus sich wiederholenden vieleckigen so aufwendig und genau konstruiert, wie es mit Messlatte und oder kreisförmigen Teilflächen gelegt, die sich optisch überde- Zirkel kaum zu erreichen ist. Wie beim Blick durch ein Kaleidos- links: Kunststeinmetz Mohammed Zamuri. Foto: Gabriela Beck mitte: Zellij. Foto © Pixabay cken oder miteinander verflochten sind. Dabei waren islamische kop verursachen die sich scheinbar unendlich wiederholenden rechts: Sheikh Safi ad-Din-Schrein in Ardabil, Iran. Foto: Puria Berenji / Unsplash Mosaikkünstler im Mittelalter der westlichen Welt um mehr als Dessins bei längerer Betrachtung ein leichtes Schwindelgefühl.
medico JOURNAL – REISEN Bunte Fliesen erreichen Europa D ie Mauren brachten die Glasurtechnik auf die Iberische Halbinsel, wo sie ab dem 8. Jahrhundert weite Teile im Süden beherrschten. Die Region unterlag mehr und mehr den kulturellen Einflüssen aus dem Nahen und Mittleren Osten so- wie aus Nordafrika. Baumeister und Handwerker eiferten der Architektur von Bagdad, Samarra, Tunis und den Städten Irans nach. Somit fanden auch Fliesen vermehrt Verwendung. Höhe- punkte spanisch-muselmanischer Baukunst waren der Bau der grossen Moschee in Córdoba mit ihren 856 Säulen und die Al- hambra in Granada, das letzte islamische Monument der Iberi- schen Halbinsel. Besonders sehenswert sind die Fliesen im Saal der zwei Brüder und im Gefangenenturm. rechts: Alhambra in Granada, Spanien. Foto: Bernhard Stärck / Pixabay unten: Alhambra. Foto: David Mark / Pixabay
medico JOURNAL – REISEN Die Glasurtechnik wird erwachsen A nfangs wurden die Scherben lediglich einfarbig glasiert und gebrannt. Die Mosaike wurden anschliessend aus kleinen Formstücken zusammengesetzt, die zuvor aufwendig mit Hammer und Zange zurechtgeklopft wurden, genannt Alica- tado-Technik. Um die hohen Handwerkerkosten zu reduzieren, löste das Cuerda-Seca-Verfahren, bei dem gefettete Schnüre in eingeritzte Vertiefungen gelegt wurden, bereits im 11. Jahrhun- dert diese Vorgehensweise ab. Die Schnüre verhinderten, dass die farbigen Bleiglasuren ineinanderliefen. Die Fliesen erhielten dadurch eine reliefartige Oberfläche und konnten nun als ganze Stücke versetzt werden. Eine weitere Beschleunigung des Ar- beitsprozesses brachte im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts die Technik der Cuenca oder Arista. Dabei wird das Muster als Ganzes mit einem Holzmodel – einer Hohlform – in den noch weichen Ton eingeprägt, sodass die Felder vertieft, die Konturen erhaben sind. Die Grate (Aristas) verhindern das Überlaufen der Glasuren zwischen den Näpfen (Cuencas). Erst das Majolika-Verfahren aus Italien, bei dem die Tonwa- re zweimal gebrannt wird, erleichterte im 16. Jahrhundert die Fertigung nachhaltig. Nach einem ersten Brand bei mässiger Temperatur wird der Scherben mit einer opak-weissen Zinn- glasur beschichtet, die stark saugend wirkt und daher der ideale Untergrund für die sogenannten Scharffeuerfarben ist, die vor dem abschliessenden Scharfbrand unmittelbar auf die Glasur aufgetragen werden. Der Nachteil: Nur wenige Farbstoffe, al- lesamt Metalloxide, vertragen die sehr hohen Temperaturen des Scharfbrands von 1300 bis 1410 Grad Celsius: Kobaltblau, Manganviolett und Antimongelb. Der Vorteil: Die Künstler konn- ten den Scherben nun grossflächig mit ihren Motiven bemalen und in einem zweiten Brand mit der Scherbe verschmelzen. Die Dekoration wird von der Glasur versiegelt und geschützt. Im 19. Jahrhundert ermöglicht die chemische Industrie die Her- stellung weiterer Farbtöne in Form von Chromoxiden. Grün, Schwarz und Braun kommen dazu. Schliesslich weitere gelbrote und gelbbraune Nuancen aus Wolfram-, Molybdän-, Titan- und Vanadinverbindungen. rechts: Cuerda-Seca-Technik aus dem späten 14. Jh. Foto © Metropolitan Museum of Art
medico JOURNAL – REISEN 68 69 links: Detail aus Fes, Marokko. Foto: Gabriela Beck rechts: Sherdor Medrese in Samarkand, Usbekistan. Foto: Logga Wiggler / Pixabay oben: Detail Muster. Foto: Logga Wiggler / Pixabay
medico JOURNAL – REISEN Überdimensionierte Nachttöpfe I m Jahr 1498 lernte König Manuel I. von Portugal in Spanien mit glasierten Fliesen geschmückte Bauwerke kennen. Er war so begeistert, dass er sich von arabischen Handwerkern in Sevilla bunte Reliefkacheln für seinen Palast in Sintra nahe Lis- sabon anfertigen liess. Schnell fanden sie ihren Weg auch in die Landsitze der Adligen, wo sie die Säle mit Jagd- oder Schlacht- szenen schmückten. Auch portugiesische Seefahrer brachten neue Motivideen mit. Nach Vorbild des im 17. Jahrhundert bei der feinen Gesellschaft in Mode gekommenen China-Porzellans setzten sich dafür blau-weisse Kacheln durch. Wanderbewegun- gen der Handwerker zwischen Holland und Portugal führten zu Austausch und Weiterentwicklung künstlerischer Darstellung. Auch in Portugal wurden Fliesen nun eher von Künstlern bemalt. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts brachten Kaufleute eine neue Idee aus Brasilien mit: Das Kacheln der Aussenwände. Das war Die einfache Bevölkerung hatte für die mit bunter, glänzen- einerseits praktisch – die Fliesen haben eine kühlende Wirkung der Keramik belegten Häuser indes anfangs nicht viel übrig: Sie auf das Gebäude und schützen es vor Feuchtigkeit – andererseits nannten sie spöttisch «casas de penico» – Nachttopf-Häuser. konnten die Heimkehrer damit zeigen, wie weit sie es gebracht Schliesslich griffen aber auch Bauern und Fischer zum Schutz der hatten. Vermögen und Einfluss einer Familie konnte so schon am Fassaden ihrer Häuser zur Fliesenhaut. Viele liessen auch ein Bild- handgearbeiteten Fliesenfries zur Schau gestellt werden. nis der Muttergottes oder eines Patrons anbringen – zum Schutz vor Feuer und Erdbeben. Die Herstellung mit Presspulver und im Siebdruckverfahren mit Schablonen in den Fabriken bei Porto hatte die Motivkacheln für jedermann erschwinglich gemacht. links: Hausfassade in Porto, Portugal. Foto: Jure Tufekcic / Unsplash oben: Motiv einer Jagdszene. Foto © Turismo de Portugal
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