Rechtspopulismus in Berlin - Rassismus als Bindeglied zwischen der "Mitte" der Gesellschaft und Neonazismus?
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Eine Broschüre des Bündnisses »Rechtspopulismus stoppen« Rechtspopulismus in Berlin Rassismus als Bindeglied zwischen der »Mitte« der Gesellschaft und Neonazismus?
Seite 2 | Rechtspopulismus in Berlin Inhalt 03 Editorial 05 »Rechtspopulismus« keine Randerscheinung, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem Dirk Stegemann 08 Was ist »Rechtspopulismus«? Christoph Butterwegge 13 Klassen, Rassen & Kriege - kapitalistische Realität Sevim Dağdelen 17 Die »Pro Bewegung« - antimuslimischer Kulturrassismus von rechtrsaußen Alexander Häusler 22 »Pro Deutschland« - eine »Bürgerbewegung« auf dem Weg in die Hauptstadt Maik Baumgärtner 26 Versteckspiel!? - Rechtspopulismus in Gestalt von Bürgerbewegungen Daniel Gollasch 28 Sarrazin schafft sich ab: mit Rassismus Clara Luhr und Jan Rauchfuß 30 Die »Bürgerbewegung Pax Europa« - Ein Verein für »Islamkritik« Antifaschistisches Infoblatt 32 »Die Freiheit« - Eine neue Rechtsaußen-Partei nach europäischem Vorbild? Maik Baumgärtner 37 Thesen zu einer emanzipatorischen Religionskritik Chaze 41 Frauen und Homosexuelle im Clash of Civilizations. Mit Rassismus gegen Sexismus und Homophobie? Koray Yılmaz-Günay 45 Der Topos »Deutschenfeindlichkeit« in rechtspopulistischen Diskursen Yasemin Shooman 48 Was ist Rassismus? Dr. Hendrik Cremer 53 Rechts-populär? Empfehlungen zum Umgang mit rechtspopulistischen Parteien und Argumenten Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) 56 Handlungsoptionen entwickeln - Praxisansatz des Bündnisses »Rechtspopulismus stoppen« Bündnis »Rechtspopulismus stoppen« Herausgeber: Fotos: Matthias Zickrow (S. 1, 3, 11, 12, 16, 20, 24, 29, 31, Bündnis »Rechtspopulismus stoppen« 40, 43, 48, 52, 57), Lothar Eberhardt (S. 15, 35, 51), Po Ming Stendalerstrasse 4, 10559 Berlin Cheung (S. 43), Christian Jäger (S. 27), Thomas Rassloff (S. 36), www.rechtspopulismusstoppen.blogsport.de Thomas Voigt »VoThoGrafie« (S. 44), Bündnis »Rechtspopulis- Erscheinungsdatum: Juli 2011 mus stoppen« (S. 59, 60) Auflage: 9.000 Stück Die Rechte der jeweiligen Texte liegen bei den Autor_innen. Druckerei: Dreigroschendruck Berlin Layout: Michael Mallé (www.stadtbild-grafik.de)
ndesparteitag Proteste gegen den Bu chl an d« in Schöneberg von »Pro Deuts 17. Juli 2010 Liebe Leser_innen, haben Sie schon einmal etwas über Rechtspopulismus ge- enthält sehr unterschiedlich ausgerichtete Beiträge, um hört oder gelesen und fragen sich immer noch, was über- Diskussionsangebote zu machen. So verschieden die poli- haupt dahinter steckt? Sicher schon. Und vermutlich im tische und inhaltliche Motivation der am Bündnis beteilig- Zusammenhang mit Vereinen, Organisationen und Par- ten Gruppen und Einzelpersonen ist, sich gegen rechtspo- teien, die mit dem Label »rechtspopulistisch« belegt wer- pulistische Aktivitäten zu engagieren, so verschieden sind den. Gerade in Berlin treten mit »Pro Deutschland« und auch die Lösungsansätze. Mit der Broschüre geht es uns »Die Freiheit« zu den Wahlen im September Parteien an, nicht darum, allumfassend die Komplexität der Phänome- die als rechtspopulistisch eingestuft werden. Doch welches ne Rechtspopulismus, Rassismus und Sozialchauvinismus Phänomen soll dieser Begriff umschreiben. Welche Poli- sowie deren Kausalitäten sowohl untereinander wie auch tik-, Interaktions- und Kommunikationsform sowie poli- mit anderen Themen abzubilden. Uns geht es vielmehr in tische Ideologie bzw. Programmatik ist kennzeichnend für einem ersten Schritt um die Einigung über weltanschau- so definierte Gruppierungen? Welche Überschneidun- liche, parteipolitische und religiöse Grenzen hinweg auf gen und/ oder Abgrenzungen bestehen zum Rassismus; einen grunddemokratischen Nenner: den zunehmenden schließlich tauchen beide immer wieder als Begriffspaar Rechtsruck in der Gesellschaft, sei es in den Medien, in auf? Was hat es mit dem Bündnis »Rechtspopulismus der Politik allgemein und in den etablierten Parteien im stoppen« auf sich, was will es und gegen bzw. für wen oder Besonderen zu thematisieren und Rassismus wie auch was engagiert es sich seit Mai 2010 mit vielfältigen Akti- Sozialchauvinismus überall dort entgegenzutreten, wo er vitäten? auftritt. Wir setzen uns dabei kreativ sowohl inhaltlich wie Wir, das Bündnis »Rechtspopulismus stoppen«1, gehen aktionsorientiert mit den aktuellen Entwicklungen, den als »breiter Zusammenschluss aus antifaschistischen und Strukturen und ihren Akteur_innen auseinander. antirassistischen Initiativen, translesbischwulen Gruppen, Für eine angemessene Behandlung der mit dem Thema Migrant_innenselbstorganisationen, zivilgesellschaftlich verbundenen Fragen haben wir versucht, Autor_innen und politisches Gruppen, Parteien, Gewerkschaften und zu gewinnen, die sich über unterschiedliche Zugänge seit Einzelpersonen« genau diesen Fragen nach. Die über ein- Jahren damit beschäftigen, wie und warum sich nazisti- jährige Beschäftigung damit sowie die Rechtsverschiebung sche Kernideologeme wie Rassismus und Sozialchauvinis- in öffentlichen Debatten zu diesem Themenkomplex sind mus nicht nur mitten in der Gesellschaft, sondern auch Anlass gewesen, diese erste Broschüre herauszugeben. Sie immer wieder und beständig aus ihr heraus produzieren.
Seite 4 | Rechtspopulismus in Berlin Mit den in der Broschüre enthaltenen Beiträgen ist uns fuß macht verständlich, warum sowohl neonazistische das hoffentlich gut gelungen. So führt Dirk Stegemann wie auch »rechtspopulistische« und rassistische Parteien als Sprecher des Bündnisses »Rechtspopulismus stoppen« um eine Person wie Thilo Sarrazin als Mitglied buhlen in das Thema »Rechtspopulismus« ein, das im Anschluss und meinen, mit ihren menschenverachtenden Ideo- mit dem Beitrag von Christoph Butterwegge dahinge- logien schon immer recht gehabt zu haben. Der Aspekt hend vertieft wird, dass er ein Deutungsmuster und einen der Machtasymmetrie zwischen Mehrheitsgesellschaft Definitionsversuch von »Rechtspopulismus« unternimmt und marginalisierten Minderheiten soll aber zunehmend sowie auf die Zusammenhänge zwischen sozialen Verwer- auch durch die Konstruktion einer vermeintlich existen- fungen und der Verschleierung ihrer zentralen Ursachen ten »Deutschenfeindlichkeit« verschleiert werden. Der durch Ethnisierung, Biologisierung und Kulturalisierung Herkunft dieses Konstruktes sowie den möglichen Hin- hinweist. Ausgrenzungs- bzw. Abgrenzungsideologien, vor tergründen und der Frage, wer dieses warum und wofür allem Rassismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus, schon seit längerem verwendet, geht Yasemin Shooman sind in letzter Konsequenz kapitalistischen Gesellschaften in ihrem Beitrag nach. Dies ist vor dem Hintergrund der wesenseigen, wie Sevim Dağdelen in ihrem Beitrag aus- Anklageerhebung gegen vier Jugendliche zwischen 14 und führt. Was zählt, ist Leistung und das Prinzip der öko- 17 Jahren, die in Berlin-Lichtenberg einen 30-Jährigen zu- nomischen Verwertbarkeit. Dies ist der Nährboden auch sammenschlugen und -traten auch notwendig; denn den für Rechtspopulist_innen, die sowohl innen- als auch Beschuldigten werden neben versuchtem Mord aus Hab- außenpolitisch soziale Konflikte, wie sie sich aus der kapi- gier weitere niedere Beweggründe, darunter auch »Deut- talistischen Konkurrenz ergeben, rassistisch umzudeuten schenfeindlichkeit« als Form von Rassismus, vorgeworfen. versuchen. Den Bogen von Thilo Sarrazin über die anschließende In Deutschland zählen eine Reihe von selbsternannten öffentliche Auseinandersetzung mit dem Rassismusbe- Bürgerbewegungen, »Pro«-Gruppen und Parteien, ob in griff und –vorwurf sowie ihre Folgen schlägt anschließend verharmlosender Selbst- oder in Fremdbezeichnung zu Hendrik Cremer. Er thematisiert u.a. die Kategorisierung jenen, die als »rechtspopulistisch« bezeichnet werden. von Menschen, die rassistische Dimensionen annimmt, Mit diesen und ihrer im Gegensatz zu Gruppen, Orga- wenn sie in Zusammenhang mit Hierarchisierungen und nisationen und Parteien des Nazi-Spektrums suggerier- Abwertungen von Gruppen verbunden wird. Die Strate- ten »Saubermannfunktion« beschäftigt sich Alexander gie, Rassisten zu fragen, ob sie rassistisch sind, bezeichnet Häusler. Dabei geht er auf das ideologische Kernstück er zu Recht als sinnlos. »rechtspopulistischer« Politik ein – den Rassismus gegen Von ihren Ansätzen für eine emanzipatorische Religi- Muslim_innen. Anschließend beschäftigt sich Daniel onskritik ausgehend, nähert sich Chaze, Mitglied der Gollasch mit weiteren kleineren und Kleinstgruppierun- Forschungsgruppe Christlicher Fundamentalismus, dem gen und ihrer Entstehungsgeschichte, um aufzuzeigen, Versuch der »Rechtspopulist_innen«, eine spezifische wie weit dieses Phänomen des »Rechtspopulismus« schon Religion, einen »Islam« einschließlich einer angeblich in der »Mitte« der Gesellschaft vorhanden ist und wie we- homogenen muslimischen Bevölkerungsgruppe, zu kon- nig neu solche Einstellungsmuster sind. Ganz speziell auf struieren und als Feindbild zu manifestieren und auszu- die Berliner Situation geht dann Maik Baumgärtner ein bauen. Dabei werden andere Ausprägungen von Funda- und analysiert sowohl den »Pro Deutschland« Landes- mentalismus, wie z.B. der christliche Fundamentalismus verband Berlin als auch »Die Freiheit«, die beide für die von »Rechtspopulist_innen«, bewusst ignoriert oder so- Berliner Wahlen im September 2011 zugelassen wurden, gar durch eine Zusammenarbeit legitimiert und genutzt. sowie den offen rassistisch auftretenden Webblog »politi- Fundamentalismus müsse aber in allen Ausprägungen cally incorrect« der in Berlin ebenfalls eine eigene Grup- bekämpft werden. Wann, wie und vor allem zu welchem pierung unterhält und eng mit der Partei »Die Freiheit« Zweck dagegen Frauen-, Schwulen- und Lesbenfeindlich- zusammenarbeitet. Komplettiert wird die Darstellung der keit unter dem Deckmantel des Eintretens für Gleich- wohl aktivsten »rechtspopulistischen« und rassistischen berechtigung zum Argument in einem rassistischen Dis- Akteur_innen durch den Beitrag des Antifaschistischen kurs wird, thematisiert Koray Yılmaz-Günay in seinem Infoblattes zur selbsternannten Bürgerbewegung »Pax Beitrag. Er betont, dass man sich dem Prinzip »Teile und Europa«, die über Berlin hinaus schon seit geraumer Zeit Herrsche« nicht unterwerfen und einer Entsolidarisierung auch deutschlandweit Panikmache gegen eine angebliche zwischen oder innerhalb von ohnehin benachteiligten »Islamisierung« und eine damit verbundene vermeintliche Gruppierungen nicht auch noch Vorschub leisten sollte. Gefährdung des »Abendlandes« durch die Scharia zu ent- Nur so könne man sich einer Instrumentalisierung durch wickeln sucht;. auch hier gibt es personelle und inhaltliche rechte und rassistische Zusammenhänge entziehen. Überschneidungen mit der Partei »Die Freiheit«. Abgerundet wird die Broschüre, ohne den Anspruch auf Der folgende Artikel von Clara Luhr und Jan Rauch- Vollständigkeit zu erheben, durch den Beitrag der Mobi-
Rechtspopulismus in Berlin | Seite 5 len Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). litischen Herkunft und des politischen Standpunktesge- Hier werden Empfehlungen und Handlungsoptionen im ben die einzelnen Beiträge immer die Ansichten der Au- Umgang mit Rechtspopulist_innen und Rassist_innen tor_innen wieder und belegen damit zugleich das breite und ihrer Ungleichwertigkeitsideologie dargestellt. Wir Spektrum unseres Bündnisses.. So ist zu wünschen, dass hoffen, mit diesen Empfehlungen zur Handlungssicher- neben dem Anstoß zur Debatte untereinander auch der heit demokratischer Parteien und zivilgesellschaftlicher Diskussionsprozess zum Thema »Rechtspopulismus« über Akteur_innen beizutragen. das Bündnis hinaus angeregt wird. Besonders freuen wür- Dass der Name unseres Bündnisses auch weiterhin nicht de uns als Bündnis, wenn mit dieser Broschüre weitere nur eine bloße Bezeichnung sondern eine Aufforderung engagierte personelle Verstärkung für die inhaltliche und zum aktiven Handeln darstellt, haben wir selbst schon aktionsorientierte Politik gegen Rassismus, Nazismus und mehrfach bewiesen. Dafür steht auch der abschließende Rechtspopulismus gewinnen bzw. Anregungen für zivil- Beitrag des Bündnisses, verbunden mit der ausdrückli- gesellschaftliches Engagement in anderen Zusammenhän- chen Einladung zum Mitmachen und Mitgestalten. gen geben könnten. Allen Autor_innen möchten wir herzlich für die von ih- nen zur Verfügung gestellten Beiträge danken. Bei der 1 Warum wir uns zusammengeschlossen haben! in: www.rechtspo- sehr heterogenen Zusammensetzung bezüglich der po- pulismusstoppen.blogsport.de/ueber-uns Unser besonderer Dank geht an dieser Stelle auch an die Sponsor_innen, darunter: Rosa Luxemburg Stiftung, Ver.di Berlin, Naturfreunde Berlin, Die Linke. Berlin, IG Metall Jugend Berlin-Brandenburg-Sachsen, DKP Berlin, SPD Tempelhof-Schöneberg, Sevim Dağdelen (MdB, Die Linke.), Mechthild Rawert (MdB, SPD), Jusos Berlin, GEW Berlin und Die Linke Pankow. »Rechtspopulismus« Keine Randerscheinung - sondern ein gesamt- gesellschaftliches Problem Dirk Stegemann Der Autor ist Mitglied der Berliner VVN-BdA und hat den »Zug der Erinnerung« in Berlin mitorganisiert. Er ist Mitglied des Arbeitskreises »Marginalisierte-gestern und heute« und Sprecher des Bündnis »Rechtspopulismus stoppen«. Nicht nur in Zeiten der Krisen, aber insbesondere in die- soll an den Personen gelegen haben. Die Ursachen sozi- sen, ist eines der beliebtesten Gesellschaftsspiele - die Su- aler Probleme werden individualisiert bzw. subjektiviert. che nach Schuldigen bzw. Sündenböcken. Denn wenn Unterstellte Unwilligkeit, Unfähigkeit oder sogar gezielte wieder einmal etwas gesellschaftspolitisch in größerem Böswilligkeit bestimmter Subjekte lassen eine Behebung Maßstab »danebengegangen« ist, sollen meistens nicht des »Problems« nicht nur einfacher erscheinen, sondern die Zielsetzung, destruktive soziale Beziehungen und auch von den tatsächlichen Ursachen und Zusammen- Strukturen selbst in Zweifel gezogen werden, sondern es hängen ablenken und diese verschleiern. Köpfe rollen zu
Seite 6 | Rechtspopulismus in Berlin lassen scheint für alle Seiten nicht nur die leichtere Lö- bezeichnet. Das für sich genommen ist wenig skandali- sung, sondern auch bequemer zu sein als gesellschaftliche sierbar. Denn nicht der Versuch einer Art sprachlicher Verhältnisse zu verändern. Sozialdarwinismus und Rassis- »Volkstümlichkeit« bzw. Einfachheit per se ist das Prob- mus sind sowohl innen- als auch außenpolitisch entspre- lem, sondern vielmehr die Zielgruppe, die im Sinne von chende Ausgrenzungs- und Legitimationskonstrukte und »ethnos« oder »demos« verstanden werden kann, wodurch lassen sich nicht nur bei »rechtspopulistischen« Parteien dann entweder das »eigene« oder das »gemeine« Volk den und ihren Anhänger_innen finden. Es ist ein gesamtge- Fixpunkt bildet.1 Auch macht es einen Unterschied, Poli- sellschaftliches Problem, das viel zu lang an die Ränder der tik im Namen des Volkes und/oder für das Volk machen Gesellschaft verschoben wurde. Nicht nur um die »Mitte« zu wollen. Allerdings bieten auch sowohl das »eigene« zu entlasten, sondern auch um von eigenen Verantwort- wie das »gemeine« Volk hinreichend Gelegenheit, diese lichkeiten abzulenken sowie Ursachen und Verursacher_ »völkisch-nationalistisch« aufzuladen. Die Definition von innen gesellschaftlicher Probleme zu verschleiern. Schubert/Klein, wonach »Populismus« eine Politik ist, »die sich volksnah gibt, die Emotionen, Vorurteile und Hier kommt dann der »Populismus« ins Spiel. Denn Ängste der Bevölkerung für eigene Zwecke nutzt und zwischen den oft abstrakten Kategorien der Politik und vermeintlich einfache und klare Lösungen für politische den konkreten Gegebenheiten, auf die sie sich beziehen, Probleme anbietet«2, scheint jedenfalls recht allgemein. ist die Sprache das vermittelnde Element. Sprache ist im- Klarer wird der Begriff auch nicht durch den Verweis auf mer Produkt sowie Spiegel der Gesellschaft. In einer ras- die »Demagogen«. sistisch, sexistisch, antisemitisch geprägten Gesellschaft Allerdings ist zu bezweifeln, dass eine Präzisierung des ist entsprechend die Sprache von Rassismus, Sexismus, Begriffs »Populismus« tatsächlich gewünscht wäre, ist Antisemitismus geprägt, die wiederum Gesellschaft als er doch durch seine Schwammigkeit auch vielseitig und solche prägt. Neben bewusst diskriminierenden Äußerun- politisch instrumentell einsetzbar. Deutlich wird dies an gen gibt es die eher unbewusst verwendeten, die selbstver- dem immer wieder aufgelegten Links-Rechts-Schema. ständlicher Bestandteil der Alltagssprache sind und deren Die Gegenüberstellung eines vermeintlichen Rechts- und diskriminierender Gehalt deshalb unreflektiert bleibt, da Linkspopulismus suggeriert analog zur »Totalitarismus«- ihre ursprüngliche Bedeutung und die Begriffsgeschichte und der daraus hergleiteten »Extremismus«-Debatte eine unbekannt sind. Doch beim so genannten »Populismus« Gleichsetzung von Rechts und Links dahingehend, dass wird gezielt versucht, über Sprache Stereotype und Kli- beide von einer sich selbst als demokratisch definierenden schees auf eine oder mehrere Gruppen von Personen zu »Mitte« abgegrenzt werden sollen. Suggeriert wird damit projizieren, die als Sündenböcke für gesellschaftliche Kri- aber auch, dass dieser so genannten »Mitte« keinerlei »Po- sen und Probleme schlechthin fungieren müssen. Letzt- pulismus« zu unterstellen sei. Doch ist es diese »demo- lich geht es darum, ein »falsches Bewusstsein« (Marx) bzw. kratische Mitte«, die nach »Sündenböcken« sucht und der ein Zerrbild der Wirklichkeit zu vermitteln. Bei der Suche diese auch erfolgreich präsentiert werden, wie die Studie nach und Präsentation von Sündenböcken geht es relativ »Die Mitte in der Krise« der Friedrich-Ebert-Stiftung ge- pragmatisch zu. So können es die »Leistungsverweigerung rade erst belegt hat.3 oder Faulheit der Armen«, die »Integrationsunfähigkeit und –unwilligkeit« der Migrant_innen, eine Religion oder Prinzipiell wäre der »Populismus«-Begriff auf all jene in die »ethnisch-kulturelle Herkunft« sein, die entsprechen- Politik, Medien etc. anwendbar, die sich in ihrer Suche de gesellschaftliche Probleme verursachen. nach den Ursachen gesellschaftlicher Probleme von der sozialen Frage wegbewegen und stattdessen allein nach Populismus – ein »populistisch« verschleiernder den individualisierten bzw. subjektivierten Schuldigen Kampfbegriff fahnden, wobei Fragen nach dem gesellschaftlichen Sys- Insbesondere in den letzten Jahren prägten zunehmend tem und seinen Strukturen ausgeblendet werden. Da ge- der »»Populismus«-Begriff und in diesem Zusammenhang meinhin die linke Bewegung die Systemfrage stellt, kann der »Populismus«-Vorwurf die öffentliche Diskussion sie in diesem Punkt kaum als »populistische« bezeichnet und Auseinandersetzung. Die Deutung des Begriffs ist werden. Wenn sich linke Politik tatsächlich der Ehrlich- dabei - gleich denen des »Extremismus« oder »Terroris- keit und Wahrhaftigkeit gegenüber den Bürger_innen ver- mus« - der Individualität, sprich geistigen »Willkür« des pflichtet fühlt, kann es »Linkspopulismus« als systemische Einzelnen bzw. des Mainstreams und der gezielten poli- Erscheinung, als Wesen linker Politik nicht geben. Das tischen Instrumentalisierung überlassen. Allgemein an- schließt selbstredend nicht automatisch aus, dass auch erkannte und wissenschaftlich begründete Definitionen vermeintlich linke Politiker_innen beispielsweise bei der gibt es nicht. Klar ist, dass der lateinische »populus«, also Jagd nach Stimmen lügen und täuschen, sich also »popu- »das Volk«, den Kern des Begriffs Populismus bildet und listischer« Argumentationsmuster und Argumentations- »Populismus« eine um »Nähe zum Volk« bemühte Politik techniken bedienen könnten.
Rechtspopulismus in Berlin | Seite 7 Das Bündnis »Rechtspopulismus stoppen« und militante Züge aufzuweisen und Gewalt zur Durchsetzung »Rechtspopulismus« politischer Ziele anzuwenden oder anzudrohen«, ist fraglich. Die begriffliche Unklarheit und die inflationäre Verwendung Und zwar nicht nur hinsichtlich des Gewaltbegriffs. Denn zwingt das Bündnis »Rechtspopulismus stoppen« geradezu im Zuge der von diesen Organisationen angezettelten ras- dazu, eine eigene Position darzustellen, ohne allerdings den sistischen Debatten um eine »schleichende Islamisierung« Anspruch erfüllen zu wollen, das für alle und jeden Verbind- gab es bereits mehrfach Übergriffe und Angriffe auf Mo- liche zu formulieren. Insofern gibt es bisher im Bündnis auf scheen und vermeintliche Muslim_innen. Oder sind geisti- Grund seiner Heterogenität keine einheitliche Meinung und ge Brandstifter_innen nicht verantwortlich dafür? Oder ist Position zum Inhalt des Begriffs »Populismus« allgemein und die Umsetzung der von diesen Gruppierungen geforderten »Rechtspopulismus« konkret sowie zu dessen Verwendung. repressiven staatlichen Politik gegenüber Flüchtlingen sowie Als gemeinsamer Grundkonsens gilt, dass »Organisationen Migrant_innen keine Gewalt? Aber auch aus einer anderen wie z.B. die Parteien ‚Pro Deutschland’ oder ‚Die Freiheit’, Sicht ist dies fragwürdig. Insbesondere Gruppierungen wie selbsternannte Bürgerbewegungen wie ‚Pax Europa’, einige die »Pro«- Bewegungen, »Pax Europa«, »politically incorrect« Freie Wählervereinigungen oder rassistische Webblogs wie oder »Die Freiheit« weisen außer inhaltlichen Kontinuitäten ‚politically incorrect’ versuchen, unter dem Deckmantel von trotz der nach außen propagierten Abgrenzung auch direkte Islamkritik, Integrations- und Meinungsfreiheitsdebatten, Querverbindungen zu rassistischen Parteien bzw. Organisati- Frauen- und Bürger_innenrechten rassistische Ressentiments onen, Zusammenhängen oder Einzelpersonen auf. Besonders auch in Berlin gesellschaftsfähig zu machen. Sie versuchen bei den »Pro«-Bewegungen ist dies auffällig. Hier stammt ein damit, an Wahlerfolge von rechtspopulistischen, rassisti- Teil der Funktionär_innen, Mitglieder und Unterstützer_in- schen oder offen faschistischen Parteien wie z.B. Vlaams Be- nen aus rassistischen Parteien wie der NPD, DVU und den lang, Lega Nord, FPÖ, Front National, SVP, Alsace d‘Abord REP oder anderen rassistischen Gruppierungen. u.v.a. anzuknüpfen. Über die Konstruktion eines exklusiven ‚christlich-jüdischen Abendlandes’ sollen ganze Bevölke- Das Bündnis hat sich zur Verwendung des Begriffs »Rechtspo- rungsteile ausgegrenzt werden. Der Islam wird als eine Art pulismus« zwar entschieden, die inhaltliche Auseinanderset- Vehikel benutzt, um soziale Ausgrenzung, Diskriminierung zung und Begriffsklärung ist damit aber nicht abgeschlossen. und Sicherheitswahn mit dem Grundrechteabbau zu legiti- Den Bündnismitgliedern war es wichtig, den in aller Munde mieren.«4 Dabei werden Methoden angewandt, wie sie von befindlichen und über die Medien kolportierten Begriff auf- der »Neuen Rechten« benutzt werden: Hetze, Lüge, Einsatz zugreifen und den mit diesem bezeichneten Parteien, Grup- von Halbwahrheiten, scheinbare Wissenschaftlichkeit, Ver- pen und Einzelpersonen inhaltlich entgegenzutreten. Dafür leumdung, Diskriminierung, Ausgrenzung, Dämonisierung, steht auch diese Broschüre. Die Verwendung des Begriffs ist Demütigung, Einschüchterung, Erniedrigung und Krimi- insbesondere der beabsichtigten Breite des Bündnisses ge- nalisierung. Tatsächlich muss dem Versuch, »Rechtspopulis- schuldet, die über klassische antirassistische Bündnisse hin- mus« als demokratisch geläutertes, zumindest sehr viel mo- ausgehende Spektren einbinden soll. Ich verfechte eher die derateres Pendant zum »Rechtsextremismus« erscheinen zu Position, den Begriff »Rechtspopulismus« nicht zu verwen- lassen, entschieden begegnet werden. Vielmehr ist er – wie den, da er tatsächlich mehr verschleiert als aufklärt und auf- Christoph Butterwegge darstellt – wenn überhaupt davon hellt. Die Politik dieser so bezeichneten Organisationen und zu unterscheiden, dann nur eine Spezialform des Letzteren.5 von deren Vertreter_innen ist eben gerade nicht demokrati- Ob und inwieweit allerdings als »rechtspopulistisch (…) nur scher, nur weil sie keine vordergründig physische Militanz an jene (Partei-) Organisationen, Strömungen und Bestrebun- den Tag legen. Sie sind und bleiben schlichtweg rassistisch gen bezeichnet werden [sollten], die den Dualismus von und sozialdarwinistisch. Für ein besseres Verständnis habe ich ‚Volk’, ‚Bevölkerung’ bzw. ‚mündigen Bürgern’ und ‚Elite’, deshalb hier zwar den Begriff »Rechtspopulismus« verwendet, ‚Staatsbürokratie’ bzw. ‚politischer Klasse’ zum Dreh- und setze ihn aber in Anführungszeichen, um deutlich zu machen, Angelpunkt ihrer Agitation und Propaganda machen, ohne dass ich selbst ihn für weniger sinnvoll halte. Der Text ist eine gekürzte Fassung von »Cui bono Populismus«, Dirk Stegemann, Rundbrief 01/2011 der AG Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Bundesvorstand Die Linke., S. 29 1 www.netz-gegen-nazis.de/artikel/niederlage-fuer-den-rechtspopulismus-oder-was-ist-eigentlich-populismus 2 Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006 3 Friedrich-Ebert-Stiftung (2010): Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010. 4 Warum wir uns zusammengeschlossen haben! in: www.rechtspopulismusstoppen.blogsport.de/ueber-uns 5 www.netz-gegen-nazis.de/artikel/niederlage-fuer-den-rechtspopulismus-oder-was-ist-eigentlich-populismus
Seite 8 | Rechtspopulismus in Berlin Was ist Rechts- populismus? Prof. Dr. Christoph Butterwegge Der Autor lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Seine letzten Buchveröf- fentlichungen zum Thema sind: »Massenmedien, Migration und Integration. Heraus- forderungen für den Journalismus und die politische Bildung« sowie »Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz«. Durch die öffentliche Debatte über Thilo Sarrazin und auch inhaltliche Mehrdeutigkeit, Verschwommenheit den von ihm veröffentlichten Bestseller »Deutschland und Konturlosigkeit bedingt. Andererseits wird häufig schafft sich ab« hat die Frage an Bedeutung gewonnen, so getan, als sei »Rechtspopulismus« das demokratisch was Rechtspoulismus ist und ob er – möglicherweise sogar geläuterte, zumindest sehr viel moderatere Pendant zum in parteipolitisch organisierter Form – nach Wahlerfol- Rechtsextremismus, nicht etwa nur eine Spezialform des- gen in mehreren Nachbarländern auch hierzulande eine selben. Dies bringt jedoch weitere Abgrenzungsprobleme Chance hätte. Vermutlich rührt Sarrazins publizistischer mit sich, ohne gleichzeitig mehr terminologische Klarheit Erfolg daher, dass er wichtige Diskurse der letzten Jah- zu schaffen. Missverständlich ist der Populismusbegriff re (z.B. den Demografiediskurs: »Die Deutschen sterben insofern, als dafür zwei unterschiedliche Deutungsmuster aus«; den Migrationsdiskurs: »Zuwanderer – seit dem 11. existieren. September 2001 hauptsächlich Muslime – überschwem- men bzw. überfremden uns«; den Sozialstaatsdiskurs: Das in der Forschungslandschaft wie in der Fachliteratur »Hartz-IV-Bezieher/innen sind gar nicht wirklich arm, klar dominante Deutungsmuster begreift Populismus als sondern plündern uns aus, weil der Sozialstaat zu großzü- Politik(vermittlungs)form und Regierungsstil, welcher gig ist«) bündelt und teilweise noch zuspitzt. Offenbar traf von Personen, Parteien oder Koalitionen ganz unter- der damalige Bundesbank-Vorstand und frühere Berliner schiedlicher Couleur praktiziert werden kann, was man Finanzsenator mit seinen polemischen Vorwürfen gegen- ggf. mittels der Differenzierung zwischen Links- und über sozial benachteiligten Minderheiten thematisch wie Rechtspopulismus zum Ausdruck bringt. Nach herrschen- politisch-inhaltlich den neoliberal geprägten, aber auch der Lehre charakterisiert der Populismus gar nicht die Po- von Deutschtümelei nicht freien Zeitgeist. Zu erörtern ist litik einer Partei, sondern nur die Art, wie sie gemacht auch, ob es sich bei Sarrazins Thesen um einen mutigen und/oder »an den Mann gebracht« wird. Tabubruch oder um einen typischen Fall von Rassismus, Ein gewisses rhetorisches Talent und die argumentative Sozialdarwinismus und Rechtspopulismus handelt. Demagogie seiner führenden Repräsentanten sind auffälli- ge Merkmale des Populismus, aber nicht für ihn konstitu- Rechtspopulismus – tiv. Nach größerer Popularität zu streben, »dem Volk aufs Deutungsmuster und Definitionsversuche Maul zu schauen« und komplexe Zusammenhänge leicht Der inflationär verwendete Populismusbegriff ist aus zwei verständlich darzustellen, ist höchstens dann populistisch, Gründen schillernd und unscharf. Einerseits fallen dar- wenn damit die Manipulation von Menschen zugunsten unter häufig link(sradikal)e genauso wie recht(sextrem)e einer privilegierten Minderheit verbunden ist. Unbefriedi- und basis- bzw. radikaldemokratische genauso wie anti- gend bleibt eine bloße Formaldefinition für Populismus, demokratische Strömungen, was seine Offenheit für un- wenn sie keinerlei inhaltliche Festlegung enthält. Die Be- terschiedliche Strategien und Taktiken signalisiert, aber zeichnung eines Parteiprogramms als »populistisch« ist so-
Rechtspopulismus in Berlin | Seite 9 Proteste gegen Sarrazin -Lesung im Estrel-Hotel 18. Mai 2011 wenig aussagekräftig wie der Begriff »Protestpartei«, weil Der zeitgenössische Rechtsextremismus hat sich spürbar in beiden Fällen keine Aussage über die dahinter stecken- modernisiert, programmatisch erneuert und vom Natio- de Ideologie getroffen wird. nalsozialismus mehr oder weniger überzeugend distanziert Das andere Deutungsmuster versteht unter Populismus sowie aufgrund der Vielfalt von ihm mittlerweile besetzter eine stärker inhaltlich bestimmte Konzeption, die auf- Handlungsfelder, Aktionsformen und Organisationszu- grund ihrer Konstruktion eines (ethnisch) homogenen sammenhänge erheblich ausdifferenziert. Als rechtspo- Volkes, das sie den »korrupten Eliten« gegenüberstellt, pulistisch sollten nur jene (Partei-)Organisationen, Strö- mit einer linken Weltanschauung bzw. deren Haupt- mungen und Bestrebungen bezeichnet werden, die den strömungen – Sozialismus, Reformismus und Kommu- Dualismus von »Volk«, »Bevölkerung« bzw. »mündigen nismus –, die Klassen und Schichten zu Basiskategorien Bürgern« und »Elite«, »Staatsbürokratie« bzw. »politischer ihrer Topografie der Gesellschaft machen, unvereinbar ist, Klasse« zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Agitation und aber mit den bürgerlichen Grundrichtungen – Liberalis- Propaganda machen, ohne militante Züge aufzuweisen mus und Konservatismus –, die zwischen den genannten und Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele anzuwen- Großgruppen keine Interessengegensätze zu erkennen den oder anzudrohen. Innerhalb des Rechtspopulismus vermögen, durchaus harmoniert. Rechtspopulismus wäre kann man idealtypisch vier Grundvarianten unterscheiden: für diese Orientierung zwar der treffendere Begriff, was allerdings nicht ausschließt, dass sich auch Strömungen der »Mitte« oder der Linken zumindest vorübergehend 1. Wenn die Kritik an einem vermeintlich überbor- denden, die Volkswirtschaft lähmenden und den solcher Argumentationsmuster und entsprechender Agi- eigenen Wirtschaftsstandort gefährdenden Wohlfahrts- tationstechniken bedienen. staat im Mittelpunkt der Propaganda einer Rechtspartei Populismus ist mehr als eine Stilfrage und eine Agitati- steht, wäre von »Sozialpopulismus« zu sprechen. Man onstechnik, worauf schon die Etymologie des Terminus nutzt den unterschwellig vorhandenen, oft in der politi- verweist, denn die ursprüngliche Wortbedeutung lässt schen und medialen Öffentlichkeit geschürten Sozialneid den Anspruch damit Bezeichneter erkennen, Politik im gegenüber noch Ärmeren – in diesem Fall: den angeb- Namen des Volkes und/oder für das Volk zu machen. Je lich »faulen« bzw. »arbeitsscheuen« Erwerbslosen und nachdem, ob man diese Zielgruppe im Sinne von »eth- Sozialhilfeempfänger(inne)n –, um von den eigentlichen nos« oder »demos« versteht, bildet das »eigene« oder das Verursachern der sich vertiefenden Kluft im Land abzu- »gemeine Volk« den Fixpunkt. Zwar haben Rechtspopu- lenken. listen nur wenig Hemmungen, ihrerseits – etwa als Par- lamentsabgeordnete oder Minister – die Privilegien der Mächtigen und Regierenden in Anspruch zu nehmen, 2. Konzentriert sich eine rechte Gruppierung auf die Stigmatisierung und Diskriminierung von Straffäl- verlangen von diesen jedoch, sich nicht persönlich zu ligen, plädiert sie energisch für »mehr Härte« der Gesell- bereichern, sondern selbstlos »der Sache des Volkes« zu schaft im Umgang mit ihnen und nimmt sie besonders dienen. Rechtspopulisten stellen zwar die soziale Frage, Drogenabhängige, Bettler/innen und Sexualstraftäter ins ohne sie jedoch überzeugend zu beantworten. Meistens Visier, um die Wähler/innen mit einem Szenario der per- verknüpfen solche Gruppierungen die soziale mit der na- manenten Bedrohung zu erschrecken, handelt es sich um tionalen Frage, obwohl eine Verbindung von sozialer und Kriminalpopulismus, der die »anständigen Bürger« gegen demokratischer Frage nötig wäre, um sie zu lösen. den »gesellschaftlichen Abschaum« mobilisiert und seine
Seite 10 | Rechtspopulismus in Berlin Kampagnen auf dem Rücken von sozial benachteiligten der Konkurrenz, dem Gewinnstreben und betriebswirt- Minderheiten inszeniert. Häufig genug spielt die Boule- schaftlicher Effizienz bestimmt. vardpresse dabei eine unrühmliche Rolle als Sprachrohr einer intoleranten und illiberalen Mehrheitsgesellschaft. 2. findet eine Kulturalisierung des Sozialen statt. Seit geraumer Zeit stehen nicht mehr materielle Inter- 3. Sofern eine Rechtspartei die »Systemfrage« in den Mittelpunkt rückt und sich vor allem die verbrei- essen bzw. Interessengegensätze im Blickfeld, wenn man über die Entwicklung von Staat, Wirtschaft und Gesell- tete Enttäuschung über ihre etablierten Konkurrentinnen schaft spricht, sondern die kulturelle Identität. Die Kul- auf dem »Wählermarkt« und die Entfremdung vieler Bür- turalisierung des Sozialen bedeutet, dass die Zugehörig- ger/innen gegenüber dem bestehenden Regierungs- bzw. keit zur Gesellschaft nicht mehr über die Zugehörigkeit Parteiensystem (»Politikverdrossenheit«) zunutze macht, ihrer Mitglieder zu einer bestimmten Klasse, Schicht oder das sie mit Korruption gleichsetzt und aus prinzipiellen Gruppe definiert wird, die gemeinsame Interessen haben Erwägungen ablehnt, erreicht die populistische Zuspit- (und daher ein hohes Maß an Solidarität realisieren kön- zung eine andere Qualität, was die Bezeichnung »Radi- nen, falls sie sich dessen bewusst werden), sondern dass kalpopulismus« rechtfertigt. Bei dieser Variante legt eine stärker nach kulturellen Übereinstimmungen, also gemein- populistische Bewegung den Maßstab für ihr eigenes Ver- samer Sprache, Religion und Tradition, gefragt wird. Das halten sehr hoch. Umso leichter kann sie daran gemessen ist der Grund, weshalb sich Widerstand gegen diese Ent- und – wie schon oft geschehen – selbst der politischen wicklung nur schwer artikulieren und organisieren kann. Unfähigkeit, Inkompetenz und Korruptionsanfälligkeit überführt werden. 3. ist eine Ethnisierung des Sozialen festzustellen. Je mehr die ökonomische Konkurrenz im Rahmen 4. Steht der staatliche Innen-außen-Gegensatz bzw. die angebliche Privilegierung von Zuwande- der »Standortsicherung« verschärft wird, umso leichter lässt sich die kulturelle Differenz zwischen Menschen rern gegenüber den Einheimischen oder die »kulturel- unterschiedlicher Herkunft aufladen und als Ab- bzw. le Überfremdung« im Vordergrund, handelt es sich um Ausgrenzungskriterium gegenüber Mitbewerber(innen) Nationalpopulismus. Charakteristisch ist für ihn, dass um soziale Transferleistungen instrumentalisieren. Ein die zunehmende Pauperisierung breiter Bevölkerungs- »nationaler Wettbewerbsstaat« (Joachim Hirsch), der schichten, übrigens vor allem ethnischer Minderheiten, kein herkömmlicher Wohlfahrtsstaat mehr sein möchte, nicht etwa als Konsequenz ihrer Diskriminierung (z.B. im bereitet Ethnisierungsprozessen den Boden. Diese haben Bildungsbereich sowie auf dem Arbeitsmarkt) und einer zwei Seiten: Neben einer Stigmatisierung »der Anderen« ungerechten Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen, bewirken sie eine stärkere Konturierung »des Eigenen« vielmehr als Resultat der zu großen Durchlässigkeit bzw. bzw. die Konstituierung einer nationalen bzw. »Volksge- Aufhebung der Grenzen für Migrant(inn)en thematisiert meinschaft«, mit der viel weiter reichende Ziele verfolgt und die Angst vor einer »Überflutung« bzw. »-fremdung« werden. »Deutsche(s) zuerst!« lautet ein Slogan, der solche vornehmlich durch Muslime kultiviert wird. Vorstellungen genauso wie »Ausländer raus!«-Parolen im Massenbewusstsein verankert. Die Sinnkrise des Sozialen als geistiger Nährboden des Rechtspopulismus Staat und Gesellschaft leiden gegenwärtig vor allem unter 4. zeichnet sich eine Biologisierung des Sozialen ab. Gesellschaftlich bedingte Verhaltensweisen wer- der massiven Entwertung bzw. einer tiefen Sinnkrise des den heute immer häufiger an den Genen festgemacht. Sozialen, die den geistigen Nährboden des Rechtspopulis- Dabei spielt der Demografie-Diskurs, d.h. die Art und mus bildet und aus folgenden Teilprozessen besteht: Weise, wie über die (Alters-)Struktur der Gesellschaft ge- sprochen und geschrieben wird, eine Schlüsselrolle. Mit 1. fällt die Tendenz zur Ökonomisierung des Sozialen ins Auge. Fast alle Lebensbereiche, etwa Kultur, dem demografischen Wandel rückt die Humanbiologie ins Zentrum der Gesellschaftspolitik und entscheidet (Hoch-)Schule, Freizeit und auch die soziale Infrastruk- quasi naturwüchsig, wie ein naturgesetzlicher Sachzwang, tur, werden nach dem Muster des Marktes restrukturiert. über Rentenhöhen und darüber, wie Sozialleistungen zu Sozial zu sein bedeutet fortan nicht mehr, sich gemäß bemessen sind. Wer die meist Katastrophenszenarien glei- humanistischer Grundüberzeugungen oder christlicher chenden Bevölkerungsprognosen betrachtet, deren Häu- Nächstenliebe um arme, benachteiligte oder Menschen fung in den Medien auffällt, stellt fest, dass die Urangst mit Behinderungen und ihre Probleme zu kümmern bzw. von Neonazis und Rechtsextremisten, »das deutsche Volk« moralischen Verpflichtungen und ethischen Normen könne »aussterben« (und zuwandernden Muslimen somit nachzukommen. Vielmehr wird auch das Soziale zuneh- widerstandslos »das Feld räumen«), in die Mitte der Ge- mend vom neoliberalen Zeitgeist durchdrungen und von sellschaft wandert.
s, »Republika- Rainhard Haese (recht «) ner Berlin« & »Pro Berlin nd geb un g am Bre its scheidplatz Ku 3. Oktober 2010
röffnung Proteste gegen die Büroe rlin « in de r All ee der Kos- von »Pro Be ell ersdorf) monauten 28 (Marzahn-H 18. August 2010
Rechtspopulismus in Berlin | Seite 13 Klassen, Rassen & Kriege kapitalistische Normalität Sevim Dağdelen ist Mitglied der Partei Die Linke. und seit 2005 Bundestagsabgeordnete. Sie ist Mitbegrün- derin des Bundesverbandes der MigrantInnen in Deutschland und arbeitet für verschiedene Publikationen als Journalistin und Übersetzerin. Es ist kein Zufall, dass eine neue Welle des Fremdenhas- formation nicht als eine direkte Konsequenz der politisch ses und Rassismus just dann über Europa schlägt, wenn gewollten neoliberalen Wirtschaftsordnung oder auf kon- jene die bislang von dem uneingelösten Demokratie- krete Entscheidungen europäischer Politik zurückgeführt versprechen der bürgerlichen Welt ausgeschlossen wur- werden. Vielmehr sollen sie als alternativlose Zwänge der den, aufbrechen, um dessen Universalität einzufordern. Globalisierung und notwendige Notopfer eines Abwehr- Der erneute Ausbruch des Ressentiments wäre nichts kampfes gegen eine konstruierte äußere Gefahr verschlei- neues, gehört doch der Rassismus zum ständigen Begleit- ert werden. charakteristikum der kapitalistischen Gesellschaftsforma- Neu ist aber, dass angesichts des Aufbruchs in der arabi- tion. Auch und gerade in Krisenzeiten. Es war deshalb schen Welt, der Widerspruch zwischen rassistischer Aus- nicht überraschend, dass seit zwei Jahren führende Politi- grenzung, Verweigerung und Integrationsdebatten der kerInnen offen Rassismus gegenüber Griechenland schü- westlichen Metropolen beim Zusammenprall mit der un- ren, welcher von den sogenannten Leitmedien bereitwil- missverständlichen Forderung nach Gleichberechtigung, lig aufgegriffen wird. Schließlich sollen der Sozialabbau demokratischer Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit in und die Verwerfungen der kapitalistischen Gesellschafts- der kapitalistischen Peripherie unüberhörbar wird.
Seite 14 | Rechtspopulismus in Berlin In den letzten 30 Jahren, seit dem Entstehen der Mas- Dabei geht es in dem kapitalistischen Produktionspro- senarbeitslosigkeit und ihrer Verfestigung, erlebt die Bun- zess nicht nur darum eine »organische Produktionsstruk- desrepublik eine Kampagne dieser Art nach der anderen. tur« herauszubilden, in welcher bestimmte als fremd Nicht erst der Aufstand der griechischen Bevölkerung definierte Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden. gegen die rechts-liberale Regierung unter Ministerpräsi- Vielmehr sollen zugleich jene Ausgeschlossenen unter dent Kostas Karamanlis und seine unsoziale, neoliberale das vermeintliche Integrationsversprechen zu einer ver- Wirtschaftspolitik vor zwei Jahren hat in regelmäßigen stärkten Leistungsanstrengung motiviert werden. Dieser Abständen in Deutschland RechtspopulistInnen auf den Mechanismus dient keineswegs nur um gegen auslän- Plan gerufen. Aber gerade die in Griechenland bestehen- dische Bevölkerungsgruppen in Anschlag gebracht zu den sozialen Konflikte, eine Folge auf die EU-Politik zur werden, sondern genauso gegen Arbeitslose und Arme Disziplinierung der Mitgliedstaaten durch die Finanz- überhaupt. In beiden Fällen wird die strukturelle Verant- märkte, sind ein gutes Beispiel dafür, wie diese hier zu wortung der neoliberalen Ordnung für die sozialen Ver- einem nationalen »Schmarotzertum« umdefiniert wurden werfungen auf die Ebene der Individuen abgeschoben. und von den eigentlichen Ursachen sowie VerursacherIn- Für diese Menschen soll der Eindruck entstehen, ihre nen abgelenkt werden soll: »Die Griechen wollen, dass individuellen Bemühungen und Leistungsanstrengungen wir ihre Luxusrenten bezahlen.« Eine Strategie, die fes- wären der beste Garant dafür, dass sie zu einem völkisch ter Bestandteil einer alten »deutschen Tradition« ist, die definierten »organischen Ganzen« dazugehören dürfen. sich bis zum Kaiserreich zurückverfolgen lässt und ihren Gleichzeitig soll eine klassenspezifische Solidarität über einmaligen Tiefpunkt während der Verbrechen des deut- ethnische und rassisch definierte Grenzen hinweg ausge- schen Faschismus auch ganz speziell gegen die Ärmsten schlossen werden. der Armen erreicht hatte. Als schon vorher wegbereitend für diese Verbrechen kann hier z.B. angeführt werden, wie Besonders massiv wurde diese Hetze, als mit Hilfe neo- schon im 19. Jahrhundert die Kolonisierung Osteuropas nazistischer Attacken 1993 das Asylrecht in der Bundes- mit dem Vorhandensein einer angeblichen »polnischen republik faktisch abgeschafft wurde. Sie wurde dann neu Wirtschaft« gerechtfertigt wurde. Damals wie heute geht entfacht, als die Menschen wegen Hartz IV, vor allem in es darum, diejenigen, die als »minderwertig«, »unwert«, Ostdeutschland im Jahre 2004, auf die Straße gingen. In »unnütz« oder unter dem Stigma »asozial« subsumiert einem Papier des damaligen Bundeswirtschaftsministeri- und kategorisiert werden, aus der Gesellschaft auszusor- ums unter Wolfgang Clement (SPD) war die Rede von tieren und Diskriminierungen, Zwangsmaßnahmen und »Parasiten«. Und genau das meinte Guido Westerwelle, Sanktionen zu legitimieren. Die Hetzorgane der Herr- als er letztes Jahr behauptete, Erwerbslose und Hartz- schenden haben dafür in der Bundesrepublik u.a. das IV-Betroffene erhielten ein »anstrengungsloses Einkom- Stigma »Sozialschmarotzer« konstruiert, um diese ganz men«. Genau dies meinte auch Thilo Sarrazin (SPD) als im Sinne eines »Nützlichkeitsrassismus« von »Leistungs- er als Berliner Finanzsenator und später als Bundesbank- trägerInnen« abzugrenzen. vorstand gegen die Armen und MigrantInnen hetzte. Menü-Früh- »Super-Sarrazin-Spar- Sa rrazin-Ver- stücks-Buffet« gegen anstaltung bei de r IH K 12. April 2011
Rechtspopulismus in Berlin | Seite 15 Seit seinen Anfängen begleitet den Kapitalismus der ver- ab der Wiege ausgesorgt haben, und jenen, die sich ein tikale Rassismus, wie es der italienische Philosoph Dome- ganzes Leben lang plagen werden ohne eine wirkliche nico Losurdo genannt hat. Rassistische Erklärungsmuster Chance auf Integration in dieser Gesellschaft. Die Kon- werden so objektiviert und als eine naturgegebene Tatsa- fliktlinie verläuft zwischen denen, die ohne Arbeit leben che, einer unterschiedlichen Verteilung von Leistungsfä- und bleiben, und jenen, die ihren Beschäftigten Über- higkeit, ausgegeben. Die soziale Spaltung der Gesellschaft stunden und Mehrarbeit abverlangen. wird damit biologistisch untermauert. Diese »Wissen- schaft« findet angesichts dessen und nicht zuletzt dank In der Vermittlung dieser Konflikte und der Offenle- der Prämisse der Selektion im Bildungswesen, auch den gung ihrer Widersprüche liegt die Möglichkeit für den Eingang in Schulen und Medien. An deren Ende steht Widerstand im Kampf für eine wirklich solidarische die Feststellung, dass ArbeiterInnen, MigrantInnen, Er- Gesellschaft für alle Menschen. Es geht in ihnen da- werbslose, Arme oder Kranke »minderwertig« sind. rum die Ausgrenzung von Menschengruppen, wel- che man als minderwertig stigmatisiert, zu durchbre- Angesichts der Krise des Kapitalismus und des Ansehens- chen. Auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens. verlust des Kapitalismus werden die Verteilungskämpfe in Die soziale Wirklichkeit lehrt uns, dass der Ausschluss als der Zukunft an Intensität gewinnen. Es ist absehbar, dass fremd stigmatisierter Gruppen vom Zugang zu materiel- um von der Verteilungsfrage abzulenken wieder tief in die ler, sozialer und kultureller Teilhabe nicht die Ausnahme, Trickkiste gegriffen wird, um die menschliche Solidarität sondern die Grundbedingung moderner Staatlichkeit ist. zu spalten. Der Norden gegen den globalen Süden, Ost- Karl Marx hat diese Gesellschaft bekanntlich mit dem gegen Westdeutschland, Junge gegen Alte, vor allem aber Satz umschrieben, dass »An die Stelle der alten bürger- betrifft es Menschen mit Migrationshintergrund, die gegen lichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegen- sogenannte Einheimische oder ChristInnen gegen Musli- sätzen eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines mInnen oder auch untereinander ausgespielt werden. jeden die freie Entwicklung aller ist« treten muss. In einer bürgerlichen, libertären Gesellschaft kann es eine Ge- Unter Zuhilfenahme von Rassismus- und Orientalisie- rechtigkeit für »Deutsche« und »Nicht-Deutsche« nicht rungs-Strategien, welche die Menschen aufgrund ihrer geben. Erst durch die Abschaffung ethnischer und rassi- Herkunft und Kultur essentialisieren, versuchen die scher Kategorien durch eine diese überwindende Klassen- Herrschenden von den eigentlichen gesellschaftlichen Solidarität kann es echte Freiheit geben. Problemen, wie der wachsenden Armut für die Mehrheit und dem steigenden Reichtum für Wenige abzulenken. Die Krise des Kapitalismus und das wacklige Vertrauen in Und sie nähren damit den Boden für die menschenver- kapitalistische Institutionen nehmen die Herrschenden achtende Ideologie der Nazis. zum Anlass, die Ideologie des Rassismus in Gestalt einer als natürlich ausgegebenen Beschreibung des Zustandes Im Kern richten sich diese Kampagnen und Erklärungs- von fehlender Leistungsbereitschaft, hoffähig zu machen. versuche nicht nur gegen MigrantInnen. Sie sind eher Angesichts der Überakkumulation und der Probleme ein Angriff gegen eine solidarische, gegen eine gerechte der Finanzwirtschaft der westlichen Wirtschaftsordnung Gesellschaft als solche. Denn die wahren Konfliktlinien bietet der Rassismus eine Möglichkeit dazu, um wieder in unserer Gesellschaft verlaufen nicht zwischen »Deut- geistig für den nächsten Krieg zu rüsten. schen« und MigrantInnen. Der Konflikt verläuft nicht Dieser Imperialismus ist wie schon zu Zeiten Rosa Lu- zwischen denen, die Arbeit besitzen, und denen, die keine xemburgs nur der politische Ausdruck des Prozesses der Arbeit haben. Sie verläuft nicht zwischen den Kulturen. Kapitalakkumulation in ihrem Konkurrenzkampf um die Sie verläuft auch nicht zwischen den Religionen und sie Reste des noch nicht mit Beschlag belegten nichtkapita- hat auch nichts mit der Staatsbürgerschaft der Menschen listischen Weltmilieus. Die Einteilung der Peripherie in zu tun. Gute und Böse, in Nord und Süd geht längst auch in den europäischen Metropolen mit einer Einteilung in Die wirklichen Konfliktlinien verlaufen zwischen denen, ein Kern- und Randeuropa, in Ost und West, in »Min- die für ihre Arbeitsleistung gerade einmal einen mäßigen derwertige« und »Höherwertige« einher. Gerade deshalb Lohn bekommen, und denen, die sich an der Arbeit ihrer müssen die Kämpfe der Menschen in der arabischen Welt Mitmenschen hemmungslos bereichern. Die Konfliktli- um soziale Gerechtigkeit und Würde, durch die Linke in nie verläuft zwischen denen, die nur ihre Arbeitskraft am Europa wieder als Teil ihrer eigenen Kämpfe verstanden Markt anbieten können, und jenen, die diesen Markt mit werden. Als Kämpfe, die auf unterschiedlichen sozialen reichlich Kapital steuern. Die echte Konfliktlinie verläuft Fronten, auf allen Kontinenten gegen die gleichen Ursa- zwischen solchen jungen Menschen von heute, die schon chen der sozialen Verwerfungen stattfinden.
ro Deutsch- Lars Seidensticker (»P nd geb un g in Neukölln land«) Ku 23. Oktober 2010
Rechtspopulismus in Berlin | Seite 17 Die »Pro- Bewegung« – antimuslimi- scher Kultur- rassismus von Rechtsaußen Alexander Häusler Der Autor ist Sozialwissenschaftler, Rechtsextremismusforscher und Mitarbeiter mit Forschungsschwerpunkt »Rechtsextremismus/Neonazismus« an der Fachhochschule Düsseldorf. Er ist Herausgeber einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der »Pro- Bewegung«. (Rechtspopulismus als Bürgerbewegung, VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008) Kulturrassismus als Modernisierungsticket muslimischen Rassismus zeigte Ende des Jahres 2009 die der extremen Rechten Volksabstimmung gegen Minarettbau in der Schweiz, die Mit einer Fokussierung auf einen kulturreligiös umman- Vorbildcharakter für die rechtspopulistisch modernisier- telten Rassismus versuchen sich Teile der extremen Rech- te extreme Rechte in Europa hatte. Auch in Deutschland ten an einer »Modernisierung« ihrer Propaganda. Die Sar- sind propagandistische Verschiebungen innerhalb der razin-Debatte hierzulande zeigt die politische Brisanz von extremen Rechten zu konstatieren, die einhergehen mit muslimfeindlichem Populismus. Dabei droht das politisch einer Neuaufstellung der extrem rechten Parteienland- inszenierte Schlagwort der »schleichenden Islamisierung« schaft. Während die NPD die DVU nahezu geschluckt zum Einfallstor von Rechtsaußen in die politische Mitte hat und damit das traditionsorientierte neofaschistische zu werden. Die politische Sprengkraft eines solchen anti- Lager erneut parteiförmig zu einen bestrebt ist, versucht
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