REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg

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REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
2020
                wInter

                                                  Zeitung

                                REFLEXIONEN 2020
                                        EIN TURBULENTES JAHR LIEGT HINTER UNS. Ein Jahr des Ausnahmezustands, in
I n t e r v I e w
                                        dem wir alle mit massiven Einschränkungen umgehen mussten und nach wie vor
Was vor der Pandemie wichtig
                                        müssen. Einschränkungen, die alle Lebensbereiche durchdringen, uns aber in unter-
war, wird auch nach der Pandemie
                                        schiedlichem Ausmaß treffen. Seit Ausbruch der Corona-Krise, die selbst als Teil
wichtig bleiben              S. 04
                                        einer Vielfachkrise zu verstehen ist, haben sich bestehende globale und soziale
                                        Ungleichheiten weiter verstärkt, die gesellschaftliche Polarisierung nimmt zu und
P O L I t I K
                                        Verschwörungstheorien sowie autoritäre Tendenzen erleben einen Aufschwung.
Ziviler Friedensdienst          S. 06
                                        Gerade jetzt ist es wichtig, sich für Frieden, Menschenrechte, Demokratie, globale
P ä d a g O g I K
                                        Gerechtigkeit und eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Wir hoffen, uns die-
Unsere friedenspädagogische             sen Aufgaben auch in den kommenden Jahren mit genauso viel Elan und Ideen wie
Arbeit                          S. 11   bisher widmen zu können. Ihre Unterstützung leistet dazu einen wertvollen und
                                        unverzichtbaren Beitrag. Wir sagen herzlich Danke!                  Die Redaktion

                         NEUER TERMIN: Tagung young rebels (1.-2. Juli 2021) | Seite 16
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
IntervIew

                                                                             Günther Marchner, Vorstandsmitglied

I N H A L T

02 Kommentar

03 Kurz & Bündig

04 Was vor der Pandemie wichtig war,
   wird auch nach der Pandemie
   wichtig bleiben

06 Ziviler Friedensdienst                                                                   Gegen den Zeitgeist?
                                                                                      Engagement für Frieden und
08 Jugendprotest in der Krise                                                                   Menschenrechte
09 „Das Persönliche ist politisch“
                                                                    das Friedensbüro, wie auch andere zivilgesellschaftliche Initiativen, engagiert sich
                                                                    seit vielen Jahren für Frieden, Menschenrechte, globale gerechtigkeit und
11 Unsere friedenspädagogische                                      zukunftsfähige entwicklung. Ihr engagement ist vom Selbstverständnis getragen,
   Arbeit                                                           mit Hartnäckigkeit und Professionalität einen Beitrag zur verankerung universell
                                                                    vorgestellter werte - Menschenrechte, demokratie – leisten zu können, gegen
14 Veranstaltungen                                                  Ungleichheit, diskriminierung, gewalt und Krieg. damit war die grundstimmung
                                                                    verbunden, dass sich diese werte kontinuierlich durchsetzen werden, weil sie
                                                                    „vernünftig“ sind und eine Mehrheit sie für richtig hält.

                                                                    das Corona-Jahr 2020 macht eine entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte
                                                                    besonders deutlich: der Zeitgeist hat sich geändert. vieles von dem, was „wir“
                                                                    als selbstverständlich erachten, steht zur debatte. nicht diese werte, sondern
                                                                    offensichtlich ihr gegenteil oder zumindest etwas anderes scheinen auf dem vor-
                                                                    marsch zu sein. der rahmen, in dem sich eine engagierte Zivilgesellschaft bewegt
                                                                    – Liberale Öffentlichkeit, demokratie, internationale Kooperation für eine gerech-
              So können Sie uns erreichen:                          tere welt – wird in Frage gestellt. Und dies nicht nur von regimen und Systemen,
              Friedensbüro Salzburg                                 die universell vorgestellte werte als „westlich“ und nicht zu ihrer „Kultur“ pas-
              Franz-Josef-Str. 3, 5020 Salzburg                     send hinausargumentieren. auch innerhalb europas findet ein derartiger Prozess
KONTAKT

                                                                    statt, der verschiedene namen trägt: rechtspopulismus, nationalismus, autorita-
              tel: 0662/87 39 31
                                                                    rismus oder illiberale demokratie. Schleichend ist eine gegnerschaft zu jenen
              e-mail: office@friedensbuero.at
                                                                    werten gewachsen, die „uns“ so bedeutsam ist.
              www.friedensbuero.at
              Bankverbindung: Salzburger Sparkasse,                 diese entwicklung führt zu verunsicherung und Begriffe wie „Blase“ oder „echo-
              IBan: at102040400000017434                            kammer“ werden zu Unwörtern unserer Zeit. Haben wir etwas übersehen? Kann
              Öffnungszeiten:                                       es sein, dass wir wesentliche teile der gesellschaft nicht erreichen?
              Mo & Mi: 9–11 Uhr • di & do: 15–18 Uhr
                                                                    die Corona-Pandemie scheint wie ein „Brandbeschleuniger“ zu wirken: einiges
                                                                    wird sich rascher ändern als gedacht (digitalisierung). gesellschaftliche Probleme
                                                                    (wachsende soziale Ungleichheit, rassismus, verschwörungstheorien) treten
 IMPRESSUM

              DER KRANICH                                           schärfer hervor. In Zukunft wird es über die Optimierung und Professionalisierung
              nr. 04/2020                                           von angeboten des zivilgesellschaftlichen engagements hinaus ein Mehr an
              An der Erstellung dieser Ausgabe haben mit-
                                                                    reflexion und verortung, an neuen Strategien und vor allem der Zusammenarbeit
              gewirkt: Christine Czuma, Hans Peter graß, Kristina
                                                                    jener Kräfte brauchen, die sich an diesen werten orientieren.
              Langeder-Höll, desirée Summerer, Barbara wick,
              Juliane Stadler.
              Layout: Kristina Langeder-Höll                        auch wenn trump und Corona vorbei sein werden. die Folgewirkungen werden
              Grafisches Grundkonzept: eric Pratter                 uns lange begleiten.

                                                                                                                                   Günther Marchner

             02                                                                                                 KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
KUrZ & BündIg

                                                  durch die ratifizierung Honduras am 23.          40 Jahre Kranich
                                                  Oktober dieses Jahres sind die dafür benötig-
                                                  ten 50 ratifizierungen bei der UnO einge-        Haben Sie gewusst,
 Kurz& Bündig                                     gangen. das ist ein großer erfolg der Frie-
                                                  densbewegung weltweit!
                                                                                                   - dass vor 30 Jahren eine überparteiliche Salz-
                                                                                                   burger Plattform „wohnungen statt Kaser-
                                                  Mit dem ergebnis dieser Kampagne wird            nen“ vorschlug, auf dem gelände der rie-
                                                  eine völkerrechtliche Lücke geschlossen.         denburg- und der Struberkaserne ca. 600
                                                  denn neben biologischen und chemischen           wohnungen zu bauen,
                                                  waffen, die bereits seit 1975 bzw. 1997 völ-     - dass Salzburg seit 2009 Menschenrechts-
                                                  kerrechtlich verboten sind, waren atomwaf-       stadt ist,
Das Recht auf Bildung                             fen seither die einzigen Massenvernichtungs-     - dass auch Fußball ein thema des Friedens-
                                                  waffen, die keinem völkerrechtlich anerkann-     büros ist
in der Krise                                      ten ausnahmslosen verbot unterlagen. der
                                                  vertrag leidet jedoch auf den ersten Blick       nachzulesen im Kranich, den es seit 40 Jah-
durch die Corona-Krise werden strukturelle        unter einem groben defizit: die atomwaf-         ren gibt. Seit diesem Jahr finden Sie alle
Probleme unseres Bildungssystems deutlich,        fenstaaten und die meisten mit ihnen ver-        wichtigen artikel - Interviews, Stellungnah-
allen voran sein stark selektiver Charakter.      bündeten Staaten unterstützen das verbot         men und Berichte - zu aktionen, ereignissen
Und die Krise trifft wiederum jene besonders      bislang nicht. auch in europa wird der ver-      und themen des Friedensbüros auf
hart, die in diesem Bereich ohnehin bereits       trag bis dato nur von Österreich, Irland, dem    www.friedensbuero.at
Benachteiligung v.a. aufgrund ihrer sozialen      vatikanstaat, Malta, San Marino und Liech-       auch dieser text (ein Schüler*innentext
Herkunft erfahren. Umso irritierender ist die     tenstein unterstützt.                            anlässlich eines workshops) findet sich im
novelle des Universitätsgesetzes, über das in     die wichtigsten auswirkungen bestehen, so        Kranich: „da ich ein Optimist bin, glaube ich,
den letzten tagen immer mehr Informationen        die Initiator*innen, jedoch darin, dass der      daß sich alles noch einmal zum guten bekeh-
an die Öffentlichkeit drangen. Für aufsehen       verbotsvertrag die norm gegen atomwaffen         ren wird, denn so blöd können nicht einmal
sorgt v.a. die regelung, die für die anfangs-     stärkt und diese waffen weiter stigmatisiert.    die blödesten Politiker sein, daß sie nicht
phase von Bachelor- und diplomstudien ein         ein gutes Beispiel ist das verbot von Landmi-    sehen, daß es für uns bald zu spät ist. wenn
Mindesterreichen von 24 eCtS innerhalb von        nen. Seit Zustandekommen des MBt-                dieses Paradies vielleicht noch nicht im Jahre
zwei Jahren vorsieht. wird diese Hürde nicht      abkommens haben die allermeisten Staaten         2010 sein wird, glaube ich, wird es doch
geschafft, verliert man die Zulassung und darf    weltweit abstand von der Produktion von          irgendwann wieder entstehen. damit meine
das Studium nicht weiter betreiben.               antipersonenminen genommen. Möge die-            ich aber nicht das Leben nach dem tod, son-
neben einem sehr reduzierten, an Konkur-          ses ergebnis diesem neuen abkommen auch          dern daß dieses Paradies wirklich einmal auf
renz und Kosteneffizienz orientierten Bil-        blühen. weitere Infos: atomwaffenfrei.de         dieser erde wieder entstehen wird.“ (1990)
dungsbegriff wird hier eine verschärfung der                                                 HPG                                  Christine Czuma
bereits bestehenden Ungleichheiten deutlich:
die 24 eCtS mögen für eine*n gesunde*n
vollzeitstudenten*in gut zu erreichen sein.
ein großteil der Student*innen (60%) arbei-                                        Das Zitat
tet aber nebenbei, im Schnitt 20 wochen-
stunden, manche sogar vollzeit, um sich ihr
Studium zu finanzieren. da die klassischen
Student*innen-Jobs durch Corona größten-
teils weggebrochen sind, mussten viele ihr
Studium abbrechen. andere haben Kinder zu
                                                                                                                                              FOtO: Stefan Müller | wikimedia | Creative Commons

betreuen oder Familienmitglieder zu pflegen -
Care-tätigkeiten, die übrigens nach wie vor
hauptsächlich von Frauen übernommen wer-
den. das ist vor allem, aber nicht nur in Coro-
na-Zeiten ein brennendes thema. dass diese
novelle also ausgerechnet während der zwei-
ten Infektionswelle diskutiert wird, die diese
Belastungen noch verstärkt, ist besonders irri-
tierend. alle haben ein recht auf Bildung –
aber manchen wird es schwer gemacht, die-
ses auch wahrzunehmen.                     KLH       „Wir stellen den Status quo infrage, von dem viele Menschen meinen zu pro-
                                                     fitieren. Dabei ist die entscheidende Frage: Was nimmt uns die Klimakrise
                                                     heute schon weg?“
UN-Atomwaffenverbot                                  Klimaaktivistin (Fridays for Future) Luisa neubauer im Standard-Interview,
am Schluss dieses “Seuchen-Jahres“ tut eine          27.11.2020 (letzter Zugriff: 28.11.2020).
gute nachricht gut: das Un-atomwaffenver-
bot wird am 22. Januar 2021 in Kraft treten.

KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                                             03
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
IntervIew

Was vor der Pandemie wichtig war, wird auch
nach der Pandemie wichtig bleiben
Das Gespräch führten Hans Peter Graß und Juliane Stadler.

                                                                                                                                                      FOtO: Leo Fellinger
                                                                      FOtO: privat

Tamara Ehs und Hans Holzinger stellen Ideen vor, wie wir als Gesellschaft gestärkt aus der Pandemie herausgehen können -
und mit welchen Schwierigkeiten wir dabei umgehen müssen.

Kranich: Sie beide haben Bücher                    Bürgerräte ist es, dass alle sogenannten „Kol-    radikale veränderungen unseres Konsum-
geschrieben, die sich damit befassen,              lateralschäden“, etwa im Bildungs- und Kul-       und Mobilitätsverhaltens einstellen. die Kli-
was die Zivilgesellschaft aus der Coro-            turbereich, in der wirtschaft, aber auch die      makrise erfordert, in gewisser weise auch
na Krise lernen kann bzw. soll. Was ist            psychosozialen auswirkungen von der               einen Lockdown – und zwar auf dauer.
die Voraussetzung dafür, dass dieses               gesamten gesellschaft bearbeitet werden
Lernen passiert?                                   können. was ich hier problematisch sehe ist,      Kranich: Was macht die Corona-Krise mit
Tamara Ehs: damit Lernen im politischen            dass es in Österreichs Politik an einer Fehler-   persönlichem Engagement, mit Solida-
System passiert, brauchen wir eine kritische       kultur mangelt, ohne die man nicht lernen         rität und politischer Partizipation?
Begleitung auch durch die Zivilgesellschaft        kann. In solchen Krisensituationen wird es        Hans Holzinger: es hat in der anfangszeit
von anfang an. Politische akteure wurden           dann ganz augenscheinlich.                        sehr viel Solidarität und nachbarschaftshilfe
heuer auf einige Punkte gestoßen, wo man           Hans Holzinger: Ich denke, wir haben aus          für jene gegeben, die erkrankt waren und
lernen kann. dies geschah vor allem durch          dieser Pandemie gelernt, dass wir teil der        das Haus nicht verlassen durften. die Maß-
den verfassungsgerichtshof oder auch durch         natur sind und nicht das gegenüber. das           nahmen zur abbremsung des virus haben
einige Landesverwaltungsgerichte, die den          gegenüber ist die Zivilisation oder die tech-     aber auch gezeigt, dass sozial Benachteiligte
Bundesminister anschober darauf aufmerk-           nik. Man kann mit einem virus nicht verhan-       viel stärker getroffen wurden. die Corona-
sam gemacht haben, dass die Legistik, also         deln, so wie man auch mit dem Klima nicht         Krise wirkte hier wie ein soziales Brennglas.
die rechtsausarbeitung in seinem Ministe-          verhandeln kann. wir können uns hier nur          Zudem könnte die eklatant gestiegene
rium verbesserungswürdig ist. aber die             ins verhältnis setzen und uns angemessen          Staatsverschuldung dazu führen, dass die
gerichte sind nicht die einzigen, die für den      verhalten. das Zweite, was wir gelernt haben:     Förderungen für nicht-regierungsorganisatio-
Schutz von demokratie und rechtsstaat ver-         Staaten, regierungen sind in der tat hand-        nen ebenso wie jene für Kultureinrichtungen
antwortlich sind. wir alle sind es!                lungsfähig, wenn es darum geht, gefahren          gekürzt werden. es wird wichtig sein, auf
Um aus der Krise als Zivilgesellschaft gestärkt    abzuwenden. anfangs waren wir wohl alle           eine faire Lastenverteilung zu drängen, wenn
hervorzugehen, wäre es notwendig, alle, die        überrascht. wir kannten Pandemien zwar aus        es darum geht, die Schulden wieder rückzu-
von dieser Krise betroffen sind, mit ins Boot      der geschichte oder von afrika oder asien.        bauen. Ich denke, die vermögenden werden
zu holen. Um zu lernen, müsste die regie-          nun hatte es uns selbst getroffen. Ich sehe       hier einen stärkeren Beitrag leisten müssen.
rung Kritik als etwas Positives sehen. Ich setze   da durchaus Parallelen zu anderen Krisen. die     Tamara Ehs: Kolleginnen an der Universität
mich aktuell sehr dafür ein, dass es in Öster-     Klimakrise scheint auch weit weg zu sein.         wien führen schon seit april eine qualitative
reich nach vorbild anderer Länder so etwas         doch wenn wir die wissenschaftlichen Pro-         Interview-Studie mit dem titel „Solidarität in
wie einen Corona-Bürgerrat gibt. Ziel solcher      gnosen ernst nehmen, müssen wir uns auf           Zeiten der Pandemie“ durch. Sie interviewen

04                                                                                                          KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
IntervIew

seit april die gleichen 80 Personen, um her-     gewisses Dilemma geraten: Auf der              ernsthafter anzugehen, die gesellschaft
auszufinden, wie sich ihre ansichten über die    einen Seite eine, vielleicht auch berech-      zu verändern, die wirtschaft umzustruk-
Maßnahmen zur Pandemieeindämmung und             tigte Loyalität mit Entscheidungen der         turieren, sozusagen aus der erfahrung
ihre solidarische Haltung verändern. In der      Bundesregierung in Bezug auf die               der Pandemie die sozial-ökologische
aktuellsten erhebung vom Oktober, also vor       Bekämpfung der Pandemie und auf der            wende zu schaffen.
dem harten Lockdown, zeigte sich eine deut-      anderen Seite Anwalt zu sein bei men-          Ich glaube, dass die Hoffnung bleiben
liche veränderung: gab es im Frühjahr eher       schenrechtlich, ökologisch, sozial, öko-       muss, und auch die Bestimmtheit, diese
noch ein gefühl des Miteinanders in der          nomisch bedenklichen Folgen der Pan-           veränderungen einzufordern. die Klima-
gesellschaft, nachbarschaftsinitiativen, ein-    demiebekämpfung. Wo sehen Sie in               krise spüren wir zwar nicht so unmittelbar
kaufen gehen für ältere Personen, aufeinan-      dieser Gratwanderung die Gefahr, in            wie die Pandemie, aber die wissenschaft-
der schauen, macht sich mittlerweile, in der     diesem Kontext mit Reichsbürger*innen          lichen Befunde sind eindeutig, die Krisen-
zweiten Phase oder in der zweiten welle, ein     und Rechtsextremen in einen Topf               phänomene werden sich verstärken.
gefühl der erschöpfung breit. die Menschen       geworfen zu werden?                            es gibt eine Untersuchung der Univer-
machen sich zunehmend Sorgen um die              Tamara Ehs: das ist natürlich eine gratwan-    sität wien, die gezeigt hat, dass die ver-
Spaltung und auch entsolidarisierung der         derung, da können wir und vor allem auch       ordnete bzw. ermöglichte Kurzarbeit
gesellschaft. was vor allem kritisiert wurde,    Journalist*innen viel dazu beitragen, indem    von Menschen gar nicht als so unange-
waren unklare und nicht immer nachvollzieh-      wir eine gewisse wortwahl nicht überneh-       nehm empfunden wurde. das könnte
bare Maßnahmen sowie Ungleichbehandlun-          men. wenn es echte verschwörungstheore-        ein Hinweis darauf sein, unsere turbo-
gen, was als „systemrelevant“ gilt z.B.:         tiker sind, wenn es echte rechte sind, haben   gesellschaften zu überdenken. eine stär-
wieso durften waffenhandlungen im                sie viel mit rechtspopulisten und deren        kere Fokussierung auf die grundbedürf-
Lockdown offenhalten, Blumengeschäfte            Schwarz-weiß-denken gemeinsam. denen           nisse, etwa leistbares wohnen für alle,
aber nicht? wieso durfte ich im Hotel Sacher     ist in jedem Fall nicht „Im Zentrum“ oder in   Lebensmittel hoher Qualität, eine Mobi-
eine torte abholen, aber kein Buch bei mei-      anderen diskussionsveranstaltungen auch        lität, die Städte wieder erlebbar macht,
ner Buchhandlung um die ecke? wir wissen         noch ein Podium zu geben. denn ihre taktik     sowie auf das gemeinwohl könnten
noch gar nicht, ob diese verordnungen dann       ist, das Koordinatensystem des Sagbaren        durchaus zu einer Zukunftsoption wer-
nachträglich vom verfassungsgerichtshof          immer weiter nach rechts zu verschieben. da    den. Um es auf den Punkt zu bringen:
wieder als gesetzwidrig qualifiziert werden,     kommt es zu einer eskalationsspirale des       Ich denke, die Fragen nach Zweck und
aber viel wichtiger ist: Hält die momentane      tabubruchs. das bringt natürlich einschalt-    Zielen von wirtschaft, wie und was wir
Krisenbearbeitung die gesellschaft noch          quoten, das bringt auch Leser*innen, wie       produzieren sollen, wie die arbeit, das
zusammen, um verständnis und akzeptanz           jede Sensation und jeder tabubruch. es ist     einkommen und das vermögen verteilt
oder sogar Befolgung für die seuchenhygie-       aber die verantwortung von Journalisten        werden, waren vor der Pandemie wich-
nisch notwendigen Maßnahmen zu                   und Organisatoren von veranstaltungen,         tig und sie bleiben es auch nach der
erhalten? wenn die regierung grobe               nicht die gefährder der demokratie ins Bild    Pandemie.
Ungleichbehandlungen schafft, haben              zu rücken, sondern die Helden der demo-
wir damit nicht nur ein rechtliches Pro-         kratie, also diejenigen, die sich Sorgen       Tamara Ehs ist Demokratieberaterin für
blem, es schürt auch Zweifel daran, dass         machen, aber konstruktiv für den               Städte und Gemeinden und politische
es in der gesellschaft fair zugeht.              Zusammenhalt der gesellschaft arbeiten.        Bildnerin, v.a. in Workshops für Erstwäh-
wir sehen auch in dieser Studie, dass            diejenigen, die eine berechtigte Sorge um      ler*innen. Aktuell nimmt sie Forschungs-
Menschen, die eigentlich keine Impfs-            den Zusammenhalt der gesellschaft und          aufträge von der Sigmund Freund-Uni-
keptiker*innen sind, sagen, sie wissen           um unsere demokratie haben, sind leiser,       versität Wien sowie von der deutschen
nicht, ob sie sich wirklich impfen lassen        weniger schrill, aber deren geschichten        Robert Bosch-Stiftung wahr und lehrt an
wollen. Sie haben plötzlich Sorge, dass          müsste man erzählen.                           der Universität Wien. Literaturhinweis
es vielleicht zu schnell geht und der                                                           zum Thema: „Krisen-Demokratie. Sieben
Impfstoff nicht sicher ist oder dass             Kranich: Eine Auswirkung dieser                Lektionen aus der Coronakrise“ (2020).
jemand Profit machen will. gesellschaft          Pandemie sind auch sogenannte
und Politik müssen verantwortlich in             Normalisierungstendenzen. Wir sind             Hans Holzinger ist wissenschaftlicher
einen dialog treten, demokratisch legiti-        schon sehr froh, wenn alles wieder             Mitarbeiter und pädagogischer Leiter der
me Bedenken beachten und nicht alle              so ist wie es einmal war. Das wider-           Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfra-
gleich als „Covidioten“ bezeichnen. Man          spricht natürlich der Notwendigkeit            gen in Salzburg. Seine Arbeitsschwer-
muss mit allen gemeinsam gegen die               gerade von NGOs, visionär zu den-              punkte sind nachhaltiges Wirtschaften,
vielfältigen negativen sozialen Folgen           ken. Wie schaffen wir es in dieser             Zukunft der Arbeit, neue Wohlstandsmo-
arbeiten, die nicht allein der Pandemie,         Zeit, in der es in vielen Fällen darum         delle, Erforschung des Wandels. Er ist
sondern auch einer Pandemiebekämpfung            geht, die Geschäfte gerade noch am             Moderator von Zukunftswerkstätten,
geschuldet sind, die damit überfordert ist,      Laufen zu halten, trotzdem dieses              Mitherausgeber des Magazins "pro
mit der Zivilgesellschaft in dialog zu treten.   Visionäre nicht zu verlieren?                  zukunft" und Autor mehrerer Bücher.
                                                 Hans Holzinger: In meinem Buch zitie-          Zuletzt erschienen: "Post-Corona-Gesell-
Kranich: Sie sprechen da eine wichtige           re ich Kolleg*innen, die in der reaktion       schaft. Was wir aus der Krise lernen soll-
Frage der gesellschaftlichen Polarisie-          der Staaten auf die Pandemie die große         ten" (2020), "Wann lernen Gesellschaf-
rung an, bei der viele NGOs auch in ein          Chance sahen, auch die Umweltkrisen            ten?" (2020, JBZ-Arbeitspapier).

KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                05
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
POLItIK

              Pete Hämmerle & Thomas Roithner, Leiter der Kampagne zur Ein-
                              führung des Zivilen Friedensdienstes in Österreich

Ziviler Friedensdienst
Zum Stand der einführung und warum ihn
Corona noch nützlicher machen kann
Von Pete Hämmerle & Thomas Roithner.

Als die Kampagne Ziviler Friedensdienst Österreich als Instrument einer aktiven, zivilen Friedenspolitik in das türkis-grüne Regie-
rungsprogramm aufgenommen wurde, waren damit viele Hoffnungen verknüpft. Doch was bedeuten das gegenwärtige Klima von
Angst und Verunsicherung sowie die starke Beschränkung der Bewegungsfreiheit für die Einführung?

es hätte wahrlich günstigere Zeiten für                                                         mende Menschenrechtsverletzungen                         freiheit besser organisieren bzw. leichter
die einführung des Zivilen Friedensdien-                                                        und übergriffe gegen gewaltfreie akti-                   über solche gesundheitsmaßnahmen hin-
stes (ZFd) in Österreich geben können                                                           vist*innen wie in Kolumbien, Belarus                     weg setzen können, ist nicht ganz von
als die seit dem März 2020 weltweit                                                             oder Hongkong, sowie weitere ein-                        der Hand zu weisen. dazu kommt noch
und bei uns unter dem Zeichen der Pan-                                                          schränkungen von Handlungsspielräu-                      ein allgemeines Klima der Unsicherheit
demie vorherrschenden. Sah es in der                                                            men für zivilgesellschaftliche Organisatio-              und verängstigung, in dem die „Herstel-
ersten Zeit noch danach aus, als könnte                                                         nen und Bürger*innen in vielen teilen                    lung von Sicherheit“ für viele einen hohen
die humanitäre notlage zu einem „glo-                                                           der welt – mitunter bedingt durch regie-                 Stellenwert einnimmt, und in dem die vor-
balen waffenstillstand“ – wie von Un-                                                           rungsmaßnahmen aufgrund der Pande-                       handenen, traditionell für Sicherheit
generalsekretär guterres gefordert –                                                            mie, deren nebeneffekte sich auch nega-                  zuständigen Institutionen (v.a. armee und
oder zumindest zu einem aussetzen                                                               tiv auf das politische engagement unbe-                  Polizei) verstärkt mit diesen aufgaben
einiger bewaffneter auseinandersetzun-                                                          liebter Initiativen auswirken können.                    betraut werden. was bedeutet das für die
gen führen, so erleben wir seither eher                                                                                                                  einführung eines neuen Instruments einer
das gegenteil: neue Kriege und interna-                                                         der eindruck, dass bewaffnete, staatliche                aktiven, zivilen, ja vielleicht sogar gewalt-
tionale Krisen wie z.B. nagorny-Karab-                                                          wie paramilitärische gruppen sich in Zei-                freien Friedenspolitik, als das sich der Zivi-
ach, westsahara und äthiopien, zuneh-                                                           ten von Beschränkungen der Bewegungs-                    le Friedensdienst selbst versteht?

                                                                                                              LESETIPP
                                                                                                Thomas Roithner: Flinte, Faust und Friedensmacht. Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik
                                                                                                Österreichs und der EU, 192 Seiten, Paperback € 12,99, Hardcover € 21,99 und E-Book € 2,99,
                                                                                                myMorawa, Wien 2020.

                                                                                                wirtschaftliche entwicklung und eU-Integration haben zweifellos dafür gesorgt, dass deutsche und
                                                                                                Franzosen nicht mehr aufeinander schießen. allerdings stellt sich heute eine neue Frage. was tun,
                                                                                                damit deutsche und Franzosen nicht gemeinsam auf andere schießen?

                                                                                                „Flinte, Faust und Friedensmacht“ zeigt, wie die eU eine „Sprache der Macht“ lernt. ein neuer eU-
                                                                                                Kampfjet, Kampfpanzer und eurodrohne bringen geschenke für die französischen und deutschen
                                                                                                waffenschmieden. während die eU außenpolitisch oft uneinig ist, werden Milliardenbeträge geräusch-
                                                                                                los in den eU-rüstungsfonds, in Militäreinsätze oder in das militärische Kerneuropa geleitet. Corona
                                                                                                macht deutlich, wie rasch Soldat*innen für alle möglichen und unmöglichen aufgaben Zuständigkei-
                                                                                                ten erlangen. aber die armee ist keine Polizei.
                                           BILd: verlag myMorawa | Karikatur: gerhard Haderer

                                                                                                „Flinte, Faust und Friedensmacht“ ist eine Sammlung von vorschlägen, wie Friede mit friedlichen Mit-
                                                                                                teln gelingen kann. das Buch von thomas roithner vermittelt eine komplexe thematik in mehrerlei
                                                                                                Hinsicht sehr einfach. erstens sind die allermeisten abschnitte sehr kurz und konzentrieren sich auf das
                                                                                                wesentliche. Zweitens – eine stilistische Frage – handelt es sich um journalistische Beiträge, die in Zei-
                                                                                                tungen wie der Standard, wiener Zeitung, die Presse, Furche, Militär aktuell oder Fachzeitschriften
                                                                                                veröffentlicht wurden. einen Schwerpunkt bildet ein Pionierprojekt: der Zivile Friedensdienst in Öster-
                                                                                                reich. gefragt wird aber auch, wie atomare abrüstung vorangetrieben werden kann. welche Beiträge
                                                                                                müsste das neutrale Österreich für zivile Krisenprävention leisten? Und was braucht ein modernes Heer
                                                                                                eigentlich nicht mehr?

                                                                                                roithner setzt mit diesem Buch ein trade mark fort. die Bücher „Märkte, Macht und Muskel“, „Sicher-
                                                                                                heit, Supermacht und Schließgewähr“ als auch „Flinte, Faust und Friedensmacht“ werden durch eine
                                                                                                vom Karikaturisten gerhard Haderer gestaltete arbeit am Buchumschlag komplettiert. (verlagstext)

06                                                                                                                                                               KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
POLItIK

Vielseitig nützlich                            eine breite grundsätzliche Unterstützung       fordert, „ehestmöglich mit der Planung
                                               des ZFd, allerdings waren die vergangenen      der einrichtung eines österreichischen
der ZFd beruht in seinem Kern auf der          Monate auch auf dieser Seite vornehmlich       Zivilen Friedensdienstes unter umfassen-
entsendung von internationalen Friedens-       von anderen themen geprägt.                    der einbindung der Zivilgesellschaft zu
fachkräften in Krisen- und Konfliktgebiete,                                                   beginnen.“
wo sie lokale Partnerorganisationen in Fra-    Neues Instrument
gen von gewaltprävention, ziviler Konflikt-                                                   Corona hat das letzte dreiviertel Jahr in
bearbeitung und Friedensförderung auf          Beim Beschluss des Budgets für 2021            der Umsetzung politisch nicht begünstigt.
gewaltfreier Basis und auf augenhöhe           fand der ZFd noch keine ausdrückliche          dies betrifft gespräche und vertrauens-
unterstützen. Insofern sind ZFd-Organisa-      Berücksichtigung im Sinne einer eigenen        bildungsprozesse auf politischer ebene
tionen in deutschland wie alle anderen         dotierung, wohl aber gibt es verschiede-       wie auch ein versöhnungsbund-Pilotpro-
Personalentsendeorganisationen durch           ne ansätze, wo ein Ziviler Friedensdienst      jekt zum Zivilen Friedensdienst in Kolum-
COvId 19 heuer vor große logistische und       auf staatlicher Seite angesiedelt sein soll-   bien (mehr auf versoehnungsbund.at).
finanzielle Herausforderungen gestellt         te und in welcher weise seine Implemen-        Für die inhaltliche und organisatorische
worden. aber die Situation bietet auch         tierung im nächsten Jahr beginnen könn-        weiterführung werden Spender*innen
eine Chance: nochmals das Konzept der          te. da es sich beim ZFd um ein völlig          gesucht. der ZFd allein – das ist uns
internationalen Solidarität durch entsen-      neues Instrument österreichischer              bewusst – kann keine umfassende, akti-
dungen von auswärtigen Fachkräften mit         (außen-)Politik handelt, liegt ein gemein-     ve, gewaltfreie Friedenspolitik ersetzen,
den notwendigkeiten der lokalen                sames verständnis davon zwischen Staat         sondern ist „nur“ einer von vielen Mei-
Partner*innen zu reflektieren und gegebe-      und Zivilgesellschaft nicht von vornherein     lensteinen auf diesem weg dahin.
nenfalls zu adaptieren. die Praxis aus dem     auf der Hand, weil hier unterschiedliche
ZFd deutschland zeigt, wie lokale träger-      „Organisationskulturen“ zusammenfin-           Pete Hämmerle arbeitet im Internationa-
schaft und internationale Unterstützung        den müssen. einige wichtige Schritte auf       len Versöhnungsbund.
zum gegenseitigen wohl und nutzen aller        diesem weg sind bereits gelungen, z.B. in      Thomas Roithner ist Friedensforscher
Beteiligten zusammenwirken können,             einem entschließungsantrag von ÖvP und         und Privatdozent für Politikwissenschaft.
ohne Strukturen von Kolonialismus und          grünen an den außenminister und die            Beide leiten die Kampagne zur Einfüh-
Paternalismus zu reproduzieren.                regierung, der die wesentlichen Punkte         rung des Zivilen Friedensdienstes in Öster-
                                               unseres Konzepts aufnahm und sie auf-          reich #ZivilerFriedensdienstÖsterreich.
Wo stehen wir?
das von uns erarbeitete und akkordierte
Konzept beschreibt den ZFd als „eigen-
ständiges Instrument der österreichischen
außenpolitik und als gemeinschaftswerk
von Staat und Zivilgesellschaft“. von Sei-
ten der interessierten nichtregierungs-
Organisationen sind seit Sommer diverse
Schritte unternommen worden, um als
kompetenter und verlässlicher ansprech-
partner fungieren zu können: ein Koordi-
nationskomitee, bestehend aus acht
potentiellen entsendeorganisationen , hat
sich bei einem treffen im Oktober konsti-
tuiert, genauso wie ein Unterstützungs-
kreis weiterer friedenspolitisch engagierter
Organisationen und Personen. grundle-
gende arbeitsstrukturen für eine erste
arbeitsphase wurden geklärt und sollen
Schritt für Schritt umgesetzt werden.

Zum „gemeinschaftswerk“ gehört genau-
so die staatliche bzw. politische Seite: das
sind v.a. das Bundesministerium für euro-
päische und internationale angelegenhei-
ten, das im regierungsprogramm mit der
                                                                                                                                            BeZaHLte anZeIge

„Prüfung der einrichtung eines österreichi-
schen zivilen Friedensdienstes“ beauftragt
wurde, und die politischen Parteien der
regierung wie der Opposition. Hier gibt es

KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                               07
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
ZIvILgeSeLLSCHaFt

                                                      Desirée Summerer, Mitglied im Leitungsteam der Tagung
                                                                                                young rebels

Jugendprotest in der Krise
Von Desirée Summerer.

                                                                                                                                       niert. die dynamik aus dem vorjahr ist weni-
                                                                                                                                       ger geworden.“ (Schilling 2020). wie der
                                                                                                                                       großteil der emanzipativen Bewegungen
                                                                                                                                       reagierten auch die FFF mit gesellschaft-
                                                                                                                                       licher Solidarität, thematisierten dabei die
                                                                                                                                       tendenzen der verstärkten Ungleichheiten
                                                                                                                                       und verfolgten das anliegen, ihr Kernthe-
                                                                                                                                       ma nicht vollends von der Bildfläche ver-
                                                                                                                                       schwinden zu lassen.

                                                                                                       BILd: Fridays For Future wien
                                                                                                                                       die verlagerung von Streiks auf den digita-
                                                                                                                                       len raum kristallisierte sich bald als breite
                                                                                                                                       Strategie vieler Protestbewegungen heraus.
                                                                                                                                       auch wenn Lena Schilling einwirft, diese
                                                                                                                                       hätten nicht funktioniert, so gelingt es
                                                                                                                                       bereits bekannten Initivativen, damit wenig-
Das Friedensbüro setzt sich verstärkt mit emanzipativen und gewaltfreien Wider-                                                        stens ein Maß an aufmerksamkeit zu errei-
standsformen auseinander. Im Jahr 2020 wurde die Tagung young rebels konzipiert,                                                       chen – für „neue“ oder bisher „unbekann-
die ihr Augenmerk auf Jugendproteste und gesellschaftliche Veränderungen legt. Des-                                                    te“ Initiaven ist eine wahrnehmung der
irée Summerer analysiert, welchen Effekt die Pandemie auf diese Prozesse hat.                                                          breiten Medien ohne parallele aktionen im
                                                                                                                                       realen raum kaum herstellbar. neben der
das Jahr 2020 ist geprägt von einer weltwei-       lisierung der großen Straßenproteste zerfiel.                                       kreativen neuplanung in der aktionstrategie
ten Pandemie bzw. globalen Krise. die Kon-         „vor Corona“ erlebten weltweite emanzipa-                                           in eben diesem raum ist eine dritte entwik-
sequenzen werden vermutlich noch lange             tive Protestinitiativen, zu einem großen teil                                       klung bemerkenswert: Hier zeichnet sich das
nachwirken, nachdem der Impfstoff die              von Jugendlichen und jungen erwachsenen                                             entstehen solidarischer verbindungen zu
erhoffte erleichterung aus medizinischer Sicht     getragen, eine erhöhte und kontinuierliche                                          anderen emanzipativen Bewegungen ab
gebracht hat. daniel Mullis stellt eine „ver-      mediale Präsenz, wie etwa der demokratie-                                           (vgl. Mullis 2020), wie zum Beispiel die brei-
schärfung von sozialer und rassistischer           Bewegung Hong Kongs oder der internatio-                                            te allianz zu #blacklivesmatter. neben der
exklusion sowie das erneut verstärkte aufbre-      nal aktiven Initiative „Fridays for future“ .                                       erkenntnis, dass die physische versamm-
chen von geschlechterungleichheiten“ (Mullis       Betrachten wir exemplarisch die „Fridays for                                        lung, also das „embodiment des Protests“,
2020) fest. diese ist bereits jetzt auf vielen     future“ (FFF) Bewegung in Österreich, zeich-                                        (zumindest noch) nicht komplett durch digi-
ebenen nachweisbar. Sie bringt eine ver-           net sich ein generelles Bild der Herausforde-                                       talen Protest ersetzbar ist, zeichnet sich
schlechterung der Situation derer mit sich, die    rungen durch die Corona-Krise für Protest-                                          darin eine relevante entwicklung ab, was die
bereits vorher am„kürzeren gesellschaftlichen      gruppen ab. die wendung in dieser                                                   Chancen potentiell erfolgreicher Bewegun-
ast“ saßen, aber auch eine Zunahme von             geschichte wirkt auf den ersten Blick zermür-                                       gen in naher Zukunft betrifft.
Protesten, welche ein Charakteristikum von         bend: nachdem die jungen aktivist*innen für
Krisen generell darstellt. doch in der Corona-     ihren monatelangen einsatz weit mehr                                                Mag.a Desirée Summerer ist im Team der
Krise ist einiges anders. erstens wurden die       gefeiert als kritisiert wurden, kam die Pande-                                      Tagungsleitung zu young rebels.
Ursachen im vergleich zu vorangegangenen           mie. Und mit ihr die klare Forderung aus Soli-
Krisen nicht von Beginn an gesellschaftlich        darität mit risikogruppen: „Bleib daheim“!                                          Literatur:
gedeutet. nach einem erzwungenen Innehal-                                                                                              Mullis, daniel (2020): Protest in Zeiten von
ten war neuorientierung in den Protestbewe-        was das für sie und ihre Mitstreiter*innen in                                       Covid-19: Zwischen versammlungsverbot
gungen gefordert. Zugleich schränkten die          erster Linie auch hieß, beschreibt Lena Schil-                                      und neuen Handlungsoptionen, im For-
Sicherheitsmaßnahmen zur eindämmung des            ling, Friday-aktivistin in Österreich, folgender-                                   schungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 33,
virus die Bewegungs- und versammlungsfrei-         maßen: „das klingt makaber, aber in den                                             Heft 2.2020.
heit phasenweise immens ein. das Potential,        ersten wochen im März war es eine erlö-                                             Schilling, Lena (2020): Fridays for future:
das im Zusammenkommen großer gruppen               sung. wir konnten uns endlich einmal erho-                                          “die grünen interessieren sich nicht für uns“
durch Freiwerden enormer Kräfte in der             len. (...) aber nach dem durchatmen kam                                             (27.8.2020). https://mosaik-blog.at/lena-schil-
Masse liegt, wurde damit verhindert (vgl.          die große Leere. (...) wir haben Onlinestreiks                                      ling-fridays-for-future/ [letzter Zugriff:
Mullis 2020). die erst erlebte kürzliche revita-   probiert, aber das hat nicht wirklich funktio-                                      24.11.2020].

08                                                                                                                                            KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
POLItISCHe BILdUng

                              Kristina Langeder-Höll, Referentin für politische
                              Bildung

                                                       „Das Persönliche ist politisch“
                                                                          Politische Bildung in Zeiten der Corona-Krise
                                                                                                                 Von Kristina Langeder-Höll.

Wir alle sind derzeit Teil und Zeug*innen einer globalen Krise, die das ganze Weltgeschehen bestimmt und spätestens seit dem
Lockdown im Frühjahr auch sichtlich auf jede*n einzelne*n von uns einwirkt. Im Sinne einer breiten politischen Bildung
sollen diese Erfahrungen reflektiert werden. Doch wie kann man während der Krise über die Krise nachdenken und lernen?

wir blicken auf ein ungewöhnliches Jahr          nen, auf die in Zeiten von „home schooling“    widersprüchliche entwicklungen. einerseits
zurück, das – wie bei so vielen anderen auch     viele aufgaben übertragen wurden. viele        eine starke Politisierung: die Corona-Krise
– veränderungen in unserer arbeit mit sich       können sich ihr Studium nicht mehr finanzie-   macht deutlich, dass alle aspekte unseres
gebracht hat. wir merken: das thema Coro-        ren und müssen abbrechen, Menschen in          Lebens vom Politischen durchdrungen sind
na ist überall und durchdringt alle Bereiche     sogenannten systemrelevanten Berufen sind      und wir als Individuen in wechselwirkung zu
unseres Lebens. Kinder, Jugendliche sowie        großen Belastungen und risiken ausgesetzt.     den gesellschaftlichen, politischen, ökonomi-
junge erwachsene leiden besonders unter          eine der erschreckendsten erkenntnisse, die    schen und ökologischen Bedingungen ste-
den eingeschränkten Sozialkontakten, ältere      ich mir ganz persönlich aus den entwicklun-    hen. alexander wohnig (2020) betont, dass
Menschen vereinsamen. Bildungsprozesse           gen des letzten Jahres mitnehme, ist die       die Krise daher als subjektiv bedeutsamer
finden unter erschwerten Bedingungen onli-       schnelle und massive Beschneidung von          Lernanlass, ja sogar als Lernnotwendigkeit
ne statt. viele verfügen dabei nicht über die    grund- und Freiheitsrechten, eine Zunahme      gesehen werden kann. Menschen machen
notwendige technische ausstattung und            autoritärer Prozesse und das erstarken von     derzeit besonders viele erfahrungen, die
Infrastruktur, anderen fehlen aufgrund von       verschwörungstheorien.                         informelle politische Lern- und reflexions-pro-
beengten wohnverhältnissen die ruhe und                                                         zesse anstoßen und die im rahmen von poli-
der raum, sich dem Lernen zu widmen. wie-        Die Krise als Lernanlass?                      tischer Bildungsarbeit aufgegriffen und
der anderen mangelt es an der Unterstüt-                                                        behandelt werden sollen.
zung der eltern oder anderer Bezugsperso-        wir erleben derzeit zwei zunächst scheinbar    andererseits erleben wir aber eine starke

                                                                                                                                                  BeZaHLte anZeIge

KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                     09
REFLEXIONEN 2020 - Friedensbüro Salzburg
POLItISCHe BILdUng

„Pandemie-ermüdung“: nach einem guten           valenzen und Unsicherheiten nicht alleine zu    geben. nach dem titelgebenden Motto inne-
Jahr des ausnahmezustands sind die Men-         lassen, sondern diese aufzugreifen, aus-        HALTen geht es um das gemeinsame Orien-
schen des themas überdrüssig. die Studie        tausch anzuregen und gemeinsam zu reflek-       tieren und nachdenken: das Suchen nach
„Solidarität in Zeiten der Pandemie“ der For-   tieren. wichtig ist dabei, dass die Krise in    gemeinsamen antworten vermittelt Sicher-
schungsgruppe Zeitgenössische Solidaritäts-     ihren unterschiedlichen Facetten, ihren Symp-   heit durch verbundenheit, das teilen von
studien (Uni wien) zeigt diese entwicklung      tomen und Folgen in angemessener Komple-        Bedenken und ungelösten Fragen beinhaltet
deutlich. dafür wurden im april und im Okt-     xität thematisiert wird, ohne zu überfordern.   auch Positionierungen, die in der verunsicher-
ober dieselben 80 Menschen befragt. das         das Friedensbüro möchte Schulen und ande-       ten Klassengemeinschaft neuen Halt geben
ergebnis: während im Frühjahr die Zustim-       re Lernorte mit einem neuen angebot dabei       können. Mit welchen Schwerpunkten wir uns
mung zu den Maßnahmen sehr hoch war             unterstützen.                                   in den workshops konkret befassen, hängt
und die Studienteilnehmer von einem neuen       In einem workshop zu 4 Unterrichtseinheiten     von den Interessen und Bedürfnissen der
gefühl der Solidarität berichteten, ist davon   möchten wir einen geschützten raum eröff-       Schüler*innen ab und wird für jede gruppe
im Oktober nur mehr wenig zu spüren. die        nen, um zunächst die konkreten individuellen    individuell gestaltet. die themenpalette reicht
Pandemie-Müdigkeit führe dazu, dass das         eindrücke und erfahrungen der Kinder und        von verschwörungstheorien, wertekonflikten
Interesse an nachrichten rund um Corona         Jugendlichen zur Sprache zu bringen und sie     wie Freiheit vs. Sicherheit über soziale
abnimmt bzw. ein teil der Befragten sogar       dann auf altersgerechte art und weise in        Ungleichheiten bis hin zu Solidarität. Um
von einer zunehmenden abneigung gegen           Zusammenhang mit gesellschaftlichen und         diese Schwerpunkte zu klären, sprechen wir
nachrichten berichtet. die einschränkungen      politischen verhältnissen zu bringen. dazu      uns vorab ausführlich mit der Lehrperson ab.
werden zunehmend als belastend empfun-          muss politische Bildung lebensweltlich orien-
den und führen zu einem gefühl der              tiert sein und Kinder und Jugendliche dort      Literatur:
erschöpfung, die gesellschaftliche Polarisie-   abholen, wo sie gerade stehen. Konstruktiv      Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidari-
rung nimmt zu.                                  ist hier ein ansatz auf einer persönlichen      tätsstudien, Universität wien (2020): Solida-
                                                ebene, der diese jungen Menschen auch in        rität in Zeiten einer Pandemie. was machen
Neues Workshop-Angebot:                         ihrer Persönlichkeit und resilienz stärkt und   Menschen und warum?“. https://digigov.uni-
inneHALTen in der Krise                         ihnen dabei hilft, sich als gruppe (z.B. als    vie.ac.at/solidarity-in-times-of-a-pandemic-sol-
                                                Klassengemeinschaft) wieder zu finden.          pan/solpan-blog-deutsch/ [letzter Zugriff:
dabei ist es gerade jetzt wichtig, Lern- und    neben strukturierendem wissen wollen wir in     30.11.2020].
reflexionsräume zu eröffnen und nicht zu        dieser von verunsicherungen und Ohn-            Wohnig, alexander (2020): die Corona-Krise
resignieren. es ist eine Herausforderung,       machtsgefühlen geprägten Zeit emotionen         und Perspektiven politischer Bildung. In: CPd
während der Pandemie über die Pandemie          einen angemessenen Platz einräumen und sie      Policy Blog, 26. März 2020. https://policy-
nachzudenken – doch es ist aufgabe der          einer reflexion zugänglich machen. damit in     blog.uni-graz.at/2020/03/die-corona-krise-
politischen Bildung, gerade in Krisen- und      Zusammenhang stehend soll auch der              und-perspektiven-politischer-bildung/ [letzter
Umbruchszeiten dieser Schwierigkeit zu          Umgang mit ambivalenzen und ambiguitä-          Zugriff: 23.06.2020].
begegnen. denn gelernt wird in Krisenzeiten     ten gefördert werden. So kann in umbruch-
allemal, zumindest informell.                   haften Zeiten Orientierung geschaffen und       MMag.a Kristina Langeder-Höll ist
Bildungseinrichtungen sind daher gefordert,     Handlungsfähigkeit bewahrt werden, ohne         Referentin für politische Bildung im Frie-
Schüler*innen mit ihren erfahrungen, ambi-      zu vereinfachen oder eindeutigkeiten vorzu-     densbüro Salzburg.

                                       VERANSTALTUNGSRÜCKBLICK 2020

     17. Jänner | St. Virgil Salzburg           7. Mai | zentrum polis                          18./19. September | Friedensüro - 2nd
     Seminar „extremismus und kollektive        Podcast: „wertevermittlung am Beispiel Frie-    Floor
     Kränkungen“ |                              den: reflexion oder überwältigung?“ |           Seminar „Konstruktiver Umgang mit Stö-
     Mit: götz nordbruch                        Mit: wolfgang Buchberger, robert Hummer,        rungen im schulischen alltag“ |
                                                Kristina Langeder-Höll, desirée Summerer        Mit: gunhild Felser
     6. Februar | Das Kino
     Film & gespräch „ein verborgenes           3./4. Juli | St. Virgil Salzburg                2. Oktober | Mahnmal für Roma & Sinti
     Leben“ |                                   Seminar „Sexuelle gewalt – Betroffenenge-       gedenkstunde für roma und Sinti |
     Mit: andreas Schmoller                     rechte Schutzkonzepte“ | Mit: Holger Specht     Mit: rosa gitta Martl, Christian Klippl, anja
                                                                                                Hagenauer, Birgitta Pallauf u.a.
     6./7. März | ARGE KULTUR                   15. September | Robert-Jungk-Bibliothek
     Seminar „Zur Prävention von Polari-        vortrag & diskussion „rette sich, wer kann?     2./3. Oktober | St. Virgil Salzburg
     sierung und gewaltbereitem extre-          die grenzen unserer Solidarität“ | Mit: wer-    Seminar„vielfalt nutzen durch transkul-
     mismus von Jugendlichen“ |                 ner wintersteiner, Monika gattinger,            turelle Kompetenz“ | Mit: daniela
     Mit: nedzad Mocevic                        Katerina Srahulková                             Molzbichler

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FrIedenSPädagOgIK

                              Barbara Wick, pädagogische Leitung

                                          Unsere friedenspädagogische Arbeit
                                                    Von Barbara Wick. Mit Beiträgen von Andreas Sarközi, Eva Navran und Michael Gum.

                                                                                                                                            Im Friedensbüro ist es schon so etwas wie
                                                                                                                                            eine tradition, das jährliche gedenken an die
                                                                                                                                            Opfer des nS regimes bei Sinti und roma zu
                                                                                                                                            unterstützen. Seit 2002 begleiten wir die
                                                                                                                                            gedenkkundgebung beim Mahnmal am
                                                                                                                                            Ignaz rieder Kai durch unsere Organisation
                                                                                                                                            und Moderation. das Besondere an dieser
                                                                                                                                            gedenkfeier ist, dass zu den redner*innen
                                                                                                                                            aus Politik und wissenschaft auch Beiträge
                                                                                                                                            von Schüler*innen kommen, die sich im vor-
                                                                                                                                            feld intensiv mit der thematik beschäftigt
                                                                                                                                            haben. Sie sind aktiv in das Programm einge-

                                                                                                FOtO: Kulturverrein österreichischer roma
                                                                                                                                            bunden, wodurch es gelingt eine authenti-
                                                                                                                                            sche und berührende veranstaltung zu ent-
                                                                                                                                            wickeln und einen Bogen aus der vergan-
                                                                                                                                            genheit zur gegenwart zu spannen.

                                                                                                                                            Mit diesem artikel möchten wir diese ergrei-
                                                                                                                                            fende veranstaltung ins rampenlicht stellen
                                                                                                                                            und engagierte Beteiligte und langjährige
Wir nehmen das ausklingende Jahr zum Anlass, um einen Fixpunkt in unserem                                                                   Unterstützer*innen vor den vorhang bitten.
Workshop- und Veranstaltungsprogramm in den Fokus zu rücken: Die Gedenk-
stunde für Roma & Sinti.                                                                                                                    gerne eröffnen wir mit andreas Sarközi, dem
                                                                                                                                            geschäftsführer des Kulturvereins österreich-
Bedingt durch die beiden Lockdowns und         aus den Zahlen ist abzulesen, dass der trend                                                 sicher roma, dessen aufgabe unter anderem
die vielen Unsicherheiten an den Schulen       zu gewaltpräventiven workshops in volks-                                                     die Pflege, errichtung von gedenkstätten
war die anzahl der durchgeführten              schulen nach wie vor anhält. 500 Kinder im                                                   und die Organisation von gedenkveranstal-
workshops an den Schulen in Stadt und          alter von 6 – 10 Jahren wurden im mög-                                                       tungen in Österreich sowie im ausland ist,
Land Salzburg gering. dennoch lassen           lichen durchführungszeitraum erreicht. Sehr                                                  um das andenken an die Opfer der roma-
sich in der kurzen, arbeitsintensiven Zeit     erfreulich ist die zunehmende aufmerksam-                                                    volksgruppe der nationalsozialistischen ver-
recht interessante entwicklungen ablesen.      keit, die unsere politischen Bildungsthemen                                                  folgung wach zu halten. andreas merkt an,
die folgenden Zahlen geben einen ein-          an Schulen im vergangenen kurzen arbeits-                                                    dass das alljährlich stattfindende gedenken
blick in die auswertung von 2020 wieder.       jahr erregten. In der tabelle ersichtlich ist,                                               nicht nur an vergangenes erinnern soll. ein
die gesamte Statistik ist im Jahresbericht     dass die resonanz auf themen wie antiziga-                                                   wesentliches Ziel dieser veranstaltungen sei
2020 abgelichtet, der ab Jänner 2021 auf       nismus, rassismus, wertevermittlung ent-                                                     es, so andreas, über die nS-gräueltaten die
der Homepage zu finden ist.                    sprechend groß war. angesichts der steigen-                                                  an roma und Sinti und an anderen nS-
                                               den Bedeutung unserer Bildungsarbeit sind                                                    Opfergruppen verbrochen wurden, aufzuklä-
In den möglichen tätigkeitszeiten konnte       wir schon recht gespannt auf die nächsten -                                                  ren, damit derartige menschenverachtende
unser team im rahmen von 325 arbeits-          hoffentlich pandemiefreien - Jahre.                                                          abscheulichkeiten nie wieder passieren.
stunden 924 Personen erreichen. auf-
grund der bereits eingegangenen anfra-         ein Highlight des letzten Jahres war die                                                     dieser aspekt liegt auch eva navran sehr am
gen und dem vergleich mit den Zahlen           gedenkveranstaltung für roma & Sinti, die                                                    Herzen, der es ein besonders anliegen ist,
des vorgängerjahres (2583 Personen)            wir folgend in den Mittelpunkt rücken.                                                       Schüler*innen die verfolgung von Sinti und
wäre ein arbeitsintensives und thema-                                                                                                       roma näher zu bringen. Ihren Bemühungen
tisch abwechslungsreiches arbeitsjahr zu       Rückblick auf die Gedenkver-                                                                 ist es zu verdanken, dass nun eine Fülle von
erwarten gewesen. ersichtlich ist, dass        anstaltung für Roma und Sinti                                                                unterschiedlichem Material vorhanden ist, um
die anzahl der                                                                                                                              die jeweiligen Lehrer*innen bei der aufberei-
workshopteilnehmer*innen im Bundes-                                                                                                         tung des themas und vorbereitend zu einem
land Salzburg mit 661 Personen rund             "Es gibt keine Rassen, es gibt nur Men-                                                     darauffolgenden workshop an der Schule zu
zweieinhalbmal so hoch ist wie die               schen anderer Hautfarbe und anderer                                                        unterstützen.
anzahl der teilnehmer*innen in der                            Nationalität"                                                                 tief berührt vom Schicksal der roma und
Stadt Salzburg (263 Personen).                               (Prof. Sarközi)                                                                Sinti begann sie Bücher und Zeitschriften, die

KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                                                                11
FrIedenSPädagOgIK

sich mit dem thema befassten zu                der vermeintlich „niederen rassen“, die          sich aber nicht nur durch übergriffe auf
durchforsten, um geeignete Materialien         warnungen vor einem angeblichen                  der Straße. es beginnt subtiler. Bereits in
herauszufiltern, wobei autobiographi-          „Bevölkerungsaustausch“, sie führen              volksschulen werden viele Kinder von den
schen Beiträge sowie Zeitschriften der         auf einen weg, der eine mörderische              eltern gedrillt, sich von Kindern mit ande-
romavereine dabei besonders bedeu-             gefahr birgt.                                    rer Hautfarbe, Muttersprache, Staatszuge-
tend für sie waren. die erzählungen von        eine gefahr für die überlebenden dieses          hörigkeit und so weiter fernzuhalten. es
gitta Martl und nicole Sevik, tochter          Schreckens und deswegen eine gefahr              fängt klein an und kann doch eine reak-
und enkelin von rosa winter, die selbst        für unser aller Zusammenleben in einer           tionskette von zerstörerischen ausmaßen
im Lager Maxglan gewesen war, stan-            freien und demokratischen gesellschaft.          verursachen. auch ist es keine Seltenheit,
den daher bald im Mittelpunkt des              dieser Hass fordert unsere gesellschaft          dass einzelne arbeitgeber versuchen,
engagierten vorhabens.                         heraus. Unsere antwort muss ein auf-             durch verbote anderen Menschen die Job-
                                               stehen aLLer gegen diese diskriminie-            suche zu erschweren.
In Form eines biografischen gesprächs          rung, diesen rassismus und den Hass              es ist Zeit diesen Menschen klar zu
nehmen gitta oder nicole auch am               der Menschen sein.                               machen, dass es ohne ein Miteinander
jeweiligen workshop teil, der in der           gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig,      nicht mehr funktionieren kann. es kommt
beteiligten Klasse durchgeführt wird.          dies zu tun. es ist wichtig, sich politisch zu   eine Zeit, in der wir uns erinnern. eine
Mit den workshopleiter*innen, in den           engagieren und sich der rechte und der           Zeit, in der wir aus diesen Fehlern lernen,
vergangenen Jahren Hans Peter graß             rolle eines jeden Menschen in unserer            anstatt sie zu wiederholen. aber diese Zeit
und Kristina Langeder-Höll, befassen           gesellschaft rückzuversichern.                   kann nur kommen, wenn es unser aller
sich die Schüler*innen neben dem Holo-         Meine damen und Herren, einer der wich-          wille ist. Lasst uns also ein Zeichen setz-
caust am Beispiel der roma & Sinti auch        tigsten und deshalb auch ersten Sätze in         ten. Für Solidarität. Für die gemeinschaft.
allgemein mit themen wie vorurteile,           unserem gesetzbuch lautet: „Alle Men-            Für die Menschlichkeit.
diskriminierung und dem entstehen von          schen sind vor dem Gesetz gleich.“ wenn
gewalt zwischen gruppen.                       Menschen also aufgrund ihrer Herkunft            Mag.a (FH) Barbara Wick, Sozialarbeiterin,
                                               oder ihres namens angegriffen werden,            Mediatorin, Deeskalationstrainerin, Theater-
die letzten beiden Jahre haben sich            dann dürfen wir das nicht hinnehmen.             pädagogin und Supervision i.A., hat die
Schüler*innen des Privatgymnasiums der         ausgrenzung und diskriminierung zeigen           pädagogische Leitung im Friedensbüro inne.
Herz-Jesu Missionare unter der Beglei-
tung von Mag.a Lisa Körner an der
gestaltung der gedenkveranstaltung
beteiligt, die auch von Musikerinnen der
gruppe Libertango begleitet wurde. die
Meinungsrede des Schülers Michael
Gum möchten wir im Folgenden
wiedergeben.

Eine Rede an die Mensch-
lichkeit
Meine damen und Herren! eine der natür-
lichsten eigenschaften des Menschen ist
es, Fehler zu begehen. an sich ja nichts
Schlimmes, denn man lernt ja bekanntlich
aus Fehlern, oder etwa nicht? ein Blick in
unsere geschichte zeigt uns ein übermaß
an Fehlern, die bereits hunderte, tausende
Male zuvor begangen wurden und aus
denen wir doch nichts gelernt haben. dis-
kriminierung, rassismus, rechtsextre-
mismus; all diese wären Fehler, die speziell
im deutschsprachigen raum noch gut in
erinnerung sein sollten. Heute, fast fün-
fundsiebzig Jahre nach dem vermeint-
lichen ende dieses Schreckens, wenn die
mahnenden worte der letzten Zeitzeugen
                                                                                                                                                 BeZaHLte anZeIge

verstummen, erheben sich die altbekann-
ten Sitten wieder in der gesellschaft.
überall werden ihre hasserfüllten Stimmen
lauter. die Parolen von der vertreibung

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FrIedenSPädagOgIK

                                            WORKSHOPS & FORTBILDUNGEN 2020

  GESAMTSTUNDEN: 325 | GESAMTTEILNEHMER_INNEN (TN): 924 (Stand: Ende November 2020)

    TN NACH THEMEN                                      wertevermittlung                               2%         TN NACH zIELGRUPPE
    Konfliktprävention                      19%         no Blame approach                              6%         aHS                                       5%
    gewaltprävention                        52%         Inside My world                                8%         nMS                                      16%
    Philosophieren                           2%         aikido                                         2%         volksschule                              54%
    vorurteile/Feindbilder                   1%                                                                   erwachsenenbildung                       12%
    rassismus/Black Lives                               TN NACH REGION                                            BHS                                      11%
    Matter                                    6%        Stadt Salzburg                                31%         außerschulische Kinder-
    antiziganismus                            2%        Land Salzburg                                 69%         und Jugendarbeit                          2%

    REFERENT*INNEN
    Mag. Christoph Burmann: Psychologe, Trainer und Coach. Langjährige Erfahrung und Seminare im Bereich Kommunikation, Konfliktmanagement und Füh-
    rungskräfteentwicklung. Begleitung von Organisationsentwicklungsprozessen. >www.burmann.me
    Julia Sophie Fraunberger, MA BA: Studium der Kommunikationswissenschaft und der Pädagogik, zertifizierte Saferinternat.at-Trainerin, langjährige Erfahrung
    in der Leitung von Seminaren und Workshops. Schwerpunkte: sicherer und verantwortungsvoller Umgang mit Medien, Prävention von (Medien-)Gewalt
    Katharina Fürbach: Workshopschwerpunkt: Konfliktprävention für Menschen mit Behinderung. Zertifizierte Natur-und Landschaftsführerin, Permakultur-Berate-
    rin (PAÖ), ausgebildete BFI-Trainerin
    Dipl. Päd. Hans Peter Graß, MA: Sonderschul- und Religionslehrer, diplomierter Erwachsenenbildner. Geschäftsführer des Friedensbüros Salzburg. | Themen-
    bereiche: Vorurteile, Feindbilder, Krieg (WhyWar), kollektive Kränkungen.
    Markus Hopf: Lebens- und Sozialberater, systemischer Aufstellungsleiter, Mediator, Deeskalationstrainer und Theaterpädagoge, langjährige Praxis mit Gruppen-,
    Einzel- und Sozialarbeit | Schwerpunkte: Konflikt- und Lösungsmanagement, Gewaltprävention, Zivilcouarge und Sozialkompetenztraining. >www.dialoglabor.at
    Stefan Kofler: Mediator und Jugendtrainer, in der Gewaltprävention und im Casemanagement | Interessenschwerpunkte: Gewaltprävention, Deeskalation, Kon-
    fliktbearbeitung
    MMag.a Kristina Langeder-Höll: Lehramtsstudium Englisch, Psychologie/Philosophie, Geschichte. Themenbereiche: Vorurteile, Populismus, Extremismus, poli-
    tische Psychologie, Inter-/Transkulturalität, Inklusion.
    Sabina Lumesberger, BA BA: Studium der Sozialen Arbeit am Management Center Innsbruck und der Politikwissenschaft. Mitarbeiterin im Projekt
    „WhyWar.at“. Workshoperfahrung im Bereich der politischen Bildung
    Nedžad Mocevic, MA: Trainer und Berater für interkulturelle Kompetenz und bei interkulturellen Konflikten. Projektmanager. Bietet ebenso Workshops zum
    Thema „Dschihadismus“ und Radikalisierungen an.
    Mag.a Dr.in Daniela Molzbichler: Politologin und PR-Beraterin für soziale Einrichtungen, Lehrende der Sozialen Arbeit an der FH Salzburg. Langjährige Erfah-
    rung als Workshopleiterin und Lektorin. Schwerpunkte: Konfliktmanagement, Inter- und Transkulturalität, Gender und Diversität, Entwicklungspolitik.
    Mag.a Barbara Reschreiter: Psychologin, Mediatorin, Gestalt- und Montessoripädagogin, Kindergartenpädagogin.| Interessenschwerpunkte: Gewaltpräven-
    tion, Deeskalation, Konfliktbearbeitung, Peer-Mediation, Fortbildungen in Kindergärten
    Angelika Rettenbacher, MAS: Systemische Ehe – und Familienberaterin/ psychosoziale Beraterin, SAFE- Mentorin, Psychomotorikerin und Kindergartenpäda-
    gogin. | Interessenschwerpunkte: Gewaltprävention, Deeskalation, Konfliktbearbeitung, Fortbildungen in Kindergärten
    Mag.a Martina Rumpl: Erziehungswissenschaftlerin, Mediatorin, Erlebnis- und Outdoortrainerin | Interessenschwerpunkte: Gewaltprävention, Deeskalation,
    Konfliktbearbeitung, Peer-Mediation, Fortbildung "No blame Approach"
    Mag.a Ute Schwarzmayr: Sexualpädagogin, Lebens- und Sozialberatung; Aikdo-Trainerin (2. Dan); Interessenschwerpunkte: Körperarbeit nach fernöstlichen
    Prinzipien, Herzliche Aggression
    Mag.a Desirée Summerer: Studium der Soziologie und Kommunikationswissenschaft mit den Schwerpunkten Zivilgesellschaft/Gender und Entwicklung,
    Zusatzausbildung Philosophische Gesprächsleitung. Interessenschwerpunkte: „Kinder/Jugendliche/Wir philosophieren“ und „Paroli den Parolen“.
    DSA Angelika Wallner: Sozialarbeiterin, Mediatorin, systemischer Coach | Peer-Mediationan der NMS Liefering
    Sara Wichelhaus: Studium der Kommunikationswissenschaft, freie Referentin im medienpädagogischen Bereich, | Interessenschwerpunkte: Mediennutzung,
    Medienwirkung, Cybermobbing und Community-Medien
    Mag.a (FH) Barbara Wick: Pädagogische Leitung; Sozialarbeiterin, Mediatorin, Lebens- und Sozialberaterin, Theaterpädagogin, Deeskalationstrainerin | Interes-
    senschwerpunkte: Gewaltprävention, Deeskalation, Konfliktbearbeitung, Peer Mediation, Zivilcourage, "No blame Approach", Schulentwicklungsprozesse
    Mag. Eugen Würz, Msc: Dipl. Psychologe, Selbständiger Supervisor, Coach, Mediator, Unternehmensberater | Interessenschwerpunkte: Gewaltprävention,
    Deeskalation, Konfliktbearbeitung
    DSA Barbara Wimmer-Stöllinger: Diplomierte Sozialarbeiterin, Mediatorin und Coach. Leitet die Peer-Mediationsausbildung an der NMS Liefering.

    MIT UNTERSTüTzUNG VON

KRANICH 04/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                                             13
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