Relevant - Bereit zum Aufbruch Trotz schwerem Gepäck: Raus aus den Krisen - rein in die Veränderung. Was für die Medienbranche jetzt ansteht.
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relevant. Das Magazin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger Nr 1 | 2023 Bereit zum Aufbruch Trotz schwerem Gepäck: Raus aus den Krisen – rein in die V eränderung. Was für die Medienbranche jetzt ansteht.
VORWORT Liebe Leserinnen und Leser, wenn Historikerinnen und Historiker die vielfäl- All diese Krisen werden von den Medien intensiv tigen Ereignisse eines Jahrzehnts herunterbre- journalistisch begleitet. Sie haben daran mitge- chen wollen, dann geben sie ihnen oft prägnante wirkt, dass die Art, Nachrichten zu machen und Namen. So waren die 60er-Jahre das Jahrzehnt Journalismus zu betreiben, sich ebenfalls im der Proteste, die 70er-Jahre waren die des (RAF-) Umbruch befindet. Die Digitalisierung schreitet Terrors und die 80er-Jahre die des Kalten Krieges. immer schneller voran, auch weil klassische Me- Die 2020er-Jahre werden wohl als ein Jahrzehnt dienproduktion teurer und Papier knapper wird der Umbrüche in die Geschichte eingehen. Selten (siehe Seite 8). Journalistinnen und Journalisten waren die ersten Jahre einer Dekade von derart sind inzwischen zu Technikprofis geworden, die vielen gesellschaftsverändernden Umbrüchen multimedial von überall auf der Welt berichten. geprägt. So ist die Corona-Pandemie eine Zäsur, Datenjournalismus gehört zum Redaktionsalltag die alle Bereiche des (Zusammen-)Lebens er- (siehe Seite 58). Genau wie digitale Zeitungspro- schüttert und nachhaltig verändert hat. Nicht nur dukte zum Alltag der Leserinnen und Leser (siehe das Gesundheitssystem, auch das globale Wirt- Seite 44). schaften muss sich wandeln. Die Digitalpublisher- und Zeitungsbranche zeigt, Der Krieg in der Ukraine beschleunigt den nächs- dass sie sich mit Kreativität und Innovationskraft ten großen Umbruch: Den der Energiewende. In an die veränderten Rahmenbedingungen und der Folge sind die Preise für Lebensmittel und an gesellschaftliche Umbrüche anpassen kann. Energie in bisher nicht gekannte Höhen geklet- Der Schwerpunkt dieser Ausgabe soll sich daher tert – die Gesellschaft muss sich aufs Sparen damit beschäftigen: Umbrüche und ihre Auswir- einstellen. Und darauf, dass alte Glaubenssätze kungen auf unsere Mediengesellschaft. Denn – keine Gültigkeit mehr haben. Denn nicht zuletzt da können wir uns sicher sein – in diesem Jahr die Klimakrise verlangt nach neuem Denken und kommt noch einiges auf uns zu. Gemeinsam massiv verändertem Handeln. können wir es meistern. © Fotos: BDZV/Brundert, BDZV/Anja Jahn Dr. Andrea Gourd Tim Ende 3 relevant. 1|2023 INTRO
KERNFRAGE POLITIK 08 ANWENDUNG „FOKUSSIERT EUCH!“ Umbrüche – Wie die digitale Transformation Die Zeitenwende trotz knapper Ressourcen gelingt. Julia Bönisch im Interview. ist in den Medien- häusern deutlich „Man muss nicht jeden Trend mitmachen.“ Julia Bönisch, Leiterin Digitale Transformation spürbar. und Publikationen Stiftung Warentest Was bedeutet das 14 WISSEN für Publisher und GEFAHREN FÜR DIE welche Antworten PRESSEFREIHEIT IN EUROPA haben sie? Die EU hat sich den „Kampf gegen Des information“ auf die Fahnen geschrieben. Es drohen schwere Eingriffe in die Meinungs- und Pressefreiheit. 22 MEINUNG KURZMELDUNGEN „FAIRER WETTBEWERB WURDE VOLLSTÄNDIG ABGESCHAFFT“ 06 NEWS Im Kampf um Aufmerksamkeit und Werbe gelder dominieren die großen Plattformen. EIN MEILENSTEIN Ihre marktbeherrschende Position muss FÜR DIE VERBANDS aufgebrochen werden. GESCHICHTE „Fehlender oder unfairer Wettbewerb im Modernisiert und mit neuer Struktur Medienmarkt hat Konsequenzen für das ist der BDZV fit für die Herausforde- Funktionieren unserer Demokratie.“ rungen der Zukunft. Martin Andree, CEO von AMP Digital Ventures INHALT relevant. 1|2023 4
INHALT MARKT PERSPEKTIVEN 28 WISSEN 52 ANWENDUNG TREFFSICHERE REICHWEITEN WENN DIE ZEITUNG Valide Reichweiten sind essenziell für PER DROHNE KOMMT Zeitungen und Digitalpublisher. Ihre Lösungsorientiert: Da die Logistik der Erhebung befindet sich im Umbruch. Zeitungszustellung immer schwieriger wird, Wie geht es weiter? hat sich der Heinen-Verlag was überlegt. „Koordinierende Verbandsarbeit „Bis die Drohnenzustellung wirtschaftlich ist unerlässlich für Verlage.“ betrieben werden kann, muss noch Andreas Schmutterer, Verlagsleiter einiges passieren.“ Augsburger Allgemeine Johannes Heinen, Geschäftsführer Heinen-Verlag 36 ANWENDUNG 58 WISSEN DIGITALE WERBUNG ZAHLEN, DIE ALS SELFSERVICE GESCHICHTEN ERZÄHLEN Lokal, leicht zu bedienen und für jedes Visualisierte Daten sind der Stoff Budget geeignet: Wie das Mopo Werbelokal für spannende Storys. kleine Unternehmen für Online-Anzeigen gewinnt. „Medienhäuser investieren verstärkt in die Datenteams.“ „Das erste Self-Service-Tool eines Regional- Marie-Louise Timcke, Leiterin verlags für hyperlokale Digitalwerbung“ Datenteam Süddeutsche Zeitung Arist von Harpe, Verleger Hamburger Morgenpost (Mopo) 44 MEINUNG UMSTIEG AUF DIGITAL Digitalangebote sind die Zukunft. Wie können Printnutzerinnen und -nutzer davon überzeugt werden? 5 relevant. 1|2023 INHALT
NEWS „Ein Meilenstein für die Verbandsgeschichte“ Fit für die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft: Der BDZV hat sich in einem Modernisierungsprozess neu aufgestellt und sich eine geänderte Struktur an der Spitze gegeben. Der Verband wird künftig von einem dreiköpfigen Vorstand geführt – das Amt des Präsidenten ist damit nach über 60 Jahren Geschichte. M it der Gründung des Bundesverbands gremium der Organisation, anlässlich einer au- Deutscher Zeitungsverleger am 14. Juli ßerordentlichen Sitzung in Berlin vorgelegt. Die 1954 in der damaligen Bundeshaupt- Delegierten haben sich darauf verständigt, dass stadt Bonn erhielt die Zeitungsbranche nicht nur der BDZV künftig von einem Vorstand geführt eine wichtige und einflussreiche Interessenver- wird. Dieser ersetzt das bisherige Präsidium. tretung. Sie erhielt mit Hugo Stenzel als erstem An der Spitze des Vorstands stehen künftig drei BDZV-Präsidenten auch eine Person an ihrer Spit- Vorsitzende; zwei sind ehrenamtlich tätig, ei- ze, die persönlich die Werte der Branche reprä- ne(r) kommt aus dem Hauptamt, nämlich der/die sentierte: Unabhängigkeit, hochwertiger Journa- Hauptgeschäftsführer/in. Aktuell ist dies Sigrun lismus, Meinungsfreiheit und der Einsatz für eine Albert, die seit dem 1. April 2022 die Geschäfts- demokratisch verfasste Gesellschaft. An diesen stelle in Berlin leitet. Werten hat sich bis heute nichts geändert. Angesichts der Bedeutung des Themas Medien- Doch nach 68 Jahren, neun Präsidenten und der politik für den BDZV werden die beiden ehren- Umbenennung in Bundesverband Digitalpubli amtlichen Vorstände gemeinsam dafür zuständig sher und Zeitungsverleger im Dezember 2020 war sein. Darüber hinaus kann der Vorstand aus bis zu es an der Zeit, die Führungsstruktur der Verleger sechs weiteren Ressortvorständen bestehen. Zur- organisation zu modernisieren. Und so hat im zeit ist die jeweilige Zuständigkeit für die Themen vergangenen Jahr eine Task Force, bestehend Märkte, Journalismus, Trends & Innovation sowie aus Vertretern des Präsidiums, der Berliner Ge- Recht vorgesehen. schäftsstelle und der Landesverbände, eine neue Satzung erarbeitet, die auch Regelungen für die BDZV ist mit neuer Struktur © Foto: BDZV Zumbansen Führung des Verbands vorsieht. schlank und flexibel aufgestellt „Dies ist ein weiterer Meilenstein in der Verbands- Dreiköpfiger Vorstand ersetzt bisheriges Präsidium geschichte“, erklärte der scheidende BDZV-Präsi- Diese wurde am 23. November 2022 auf der Dele- dent Dr. Mathias Döpfner, zugleich Vorstandsvorsit- giertenversammlung, dem obersten Beschluss- zender Axel Springer SE, auf der außerordentlichen NEWS relevant. 1|2023 6
Dr. Mathias Döpfner (m.) wird von den BDZV-Vizepräsiden- ten Valdo Lehari jr. (li.) und Christian DuMont Schütte (re.) bei einer außeror- dentlichen Delegier- tenversammlung im November 2022 in Berlin aus dem Amt verabschiedet. Delegiertenversammlung, der sein Amt nach ins- 1 BDZV-VORSTAND gesamt sechs Jahren niederlegte. „Wir leben in stürmischen Zeiten“, ergänzte Döpf- GESCHÄFTSFÜHRENDER VORSTAND ner mit Blick auf die Herausforderungen durch • 2 Vorsitzende (Ehrenamt) die Pandemiefolgen, den Krieg in der Ukraine • 1 Vorsitzende (Hauptamt) und eine zunehmende gesellschaftliche Spal- tung. Doch sei der BDZV so schlank, flexibel und WEITERE VORSTANDSMITGLIEDER professionell aufgestellt, dass die Verlegerorga- nisation auch bei schwierigen wirtschaftlichen • orsitzende der Landesverbände/GF LV V Bedingungen die gemeinsamen Interessen der • Vertreter Verlagsgruppe Direkt Branche unter neuer Führung weiterhin erfolg- mitglieder reich vertreten werde. • Kooptierte Mitglieder (ehemaliges Für den BDZV heißt es nun, die neue Führungs- Präsidium) struktur mit Leben zu füllen. Für die Vorstands- posten werden engagierte Ehrenamtler gesucht, 2 DELEGIERTEN-/MITGLIEDER die von den Delegierten gewählt werden. Diese neue Startelf soll die kulturelle und inhaltliche VERSAMMLUNG Weiterentwicklung des Verbands prägen. Es geht • Vorsitzende der Landesverbände/GF LV darum, die Kräfte der Branche zu bündeln und • Vertreter Verlagsgruppe Direktmitglieder sich auf allen Ebenen für die Rahmenbedingun- • Delegierte gen einzusetzen, die für eine wirtschaftlich er- • Kooptierte Mitglieder folgreiche Zukunft nötig sind. « 7 relevant. 1|2023 NEWS
„Fokussiert euch!“ ANWENDUNG Digitalisierung: Sie verlangt nach neuem Denken, neuen Arbeitsweisen, neuen Prozessen. Julia Bönisch verantwortet die digitale Transformation bei der Stiftung Waren- test und weiß, was dieser Umbruch bedeutet. VON ANDREA GOURD F rau Bönisch, Sie haben einmal es auch schwierig, jemanden damit gesagt, die digitale Transfor- zu beauftragen, der explizit in einem mation zu managen sei ein Bereich angedockt ist. Wir brauchen Vollzeitjob. Das könne man nicht so gemischte Teams und den abteilungs- © Fotos: Hendrik Rauch/Stiftung Warentest nebenher machen. Was heißt das für übergreifenden Blick auf alle Bereiche. die Organisationsstruktur eines Me- Anders kann ich gar nicht gewährleis- dienhauses? ten, dass ich alle Perspektiven auf ein Julia Bönisch: Meist ist das Thema Thema berücksichtige. Transformation in den Chefredaktio- Und, ebenfalls ein wichtiger Erfolgs- nen angedockt, die das zum Tagesge- faktor: Wer den Wandel managt, muss schäft on top machen müssen. Wenn in der Hierarchie sehr weit oben sein. sie aber tagesaktuell arbeiten müssen Sonst wird so ein Prozess nicht funk- » und gleichzeitig online ein 24/7-Ge- schäft an 365 Tagen im Jahr steuern, dann kann das nicht funktionieren. Sie können nicht permanent Großlagen wie Corona, einen Ukrainekrieg und Wahlen redaktionell begleiten und ne- benher einen groß angelegten Trans- ZUR PERSON Julia Bönisch formationsprozess gut und sinnvoll Julia Bönisch arbeitet seit März 2020 bei der Stiftung strukturiert managen. Warentest als Leiterin Digitale Transformation und Publi- kationen und gehört der vierköpfigen Geschäftsleitung Gleichzeitig ist die digitale Transfor- an. Die 42-Jährige kam von der Süddeutschen Zeitung mation bei Weitem nicht nur ein re- (SZ), wo sie zuletzt Chefredakteurin von sz.de und Mit- daktionelles Thema. Es betrifft die glied der Print-Chefredaktion war. komplette Organisation. Deswegen ist » POLITIK relevant. 1|2023 8
96% der Verlage sind der Ansicht, dass die Unternehmenskultur ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Die BDZV/Schickler » tionieren. Die digitale Transforma gehört dazu – und die sind ja oft auch -Trendumfrage tion ist eine Managementaufgabe, die gesund. Denn sie führen dazu, dass wir zeigt bereits zum neunten Mal, was aus der Chefetage heraus unterstützt in der Führungsriege immer wieder re- die Digitalpubli und gelebt werden muss. flektieren, ob die Einwände berechtigt sher- und Zeitungs- sind, wir noch auf dem richtigen Weg branche beschäftigt. Welche Rolle spielt in diesem Zusam- sind oder ihn vielleicht noch mal korri- Befragt wurden 56 Geschäftsführer und menhang die Unternehmenskultur? gieren müssen. Verleger, 48 Chef- Eine zentrale. Es ist ja ein beliebtes redakteure und Missverständnis, dass digitale Trans- Verlangt das auch nach einer neuen 27 Digitalpublisher. formation sich hauptsächlich darum Fehlerkultur? Alle Ergebnisse der dreht, neue Messsysteme einzufüh- Ja. Aber: Dazu sollte man im eigenen aktuellen Studie ren oder neue digitale Produkte zu Haus zunächst klären, was damit ge- (Februar 2023) finden Sie hier: launchen. Sie bedeutet vielmehr ei- meint ist. Denn natürlich ist es nicht nen Kulturwandel im ganzen Haus, egal, wenn Zeitungen im Aufmacher eine andere Denk- und Arbeitswei- des nächsten Tages oder wir in un- se und auch eine andere Form der seren Tests Fehler machen. Das will Zusammenarbeit. keiner und das ist auch nicht gemeint mit Fehlerkultur. Wir müssen vielmehr Das klingt nach einer Mammutaufgabe. alles dafür tun, dass die Qualität der Das ist es. Und natürlich sind das Produkte weiterhin mindestens ge- manchmal auch schmerzhafte Prozes- nauso gut ist, sie im Idealfall durch die se. Sie verlangen intern viel Überzeu- Digitalisierung sogar noch besser wird, gungsarbeit. Niemand verändert sich weil zum Beispiel die Leserperspekti- gern. Da gibt es auch Widerstände, das ven mit einfließen. POLITIK relevant. 1|2023 10
Was wir aber lernen müssen, ist, Dinge darum, die Nutzer und Nutzerinnen intern in Prozessen auszuprobieren, und ihre Interessen in den Mittelpunkt neue Formen der Zusammenarbeit zu zu stellen. Das ist ein Paradigmen- testen, vielleicht auch Produkte im Klei- wechsel, der verstanden worden ist. nen zu launchen und nicht erst, wenn sie groß und perfekt sind. Denn das ist Um das Richtige zu messen und es das Gegenteil von Agilität. Die verlangt: auch richtig zu interpretieren, braucht In kleinen Schritten denken und vorge- es Datenspezialisten. Die zu bekom- hen, immer wieder die Prozesse über- men, ist ein großes Problem für die prüfen. Bei Change-Prozessen und erst Verlage. Erleben Sie das bei der Stif- recht bei einem Großprojekt wie der di- tung Warentest ähnlich? gitalen Transformation muss man von Der Fachkräftemangel ist für alle Me- vornherein einpreisen: Man kann nicht dienunternehmen ein Riesenproblem. alles richtig machen. Das zu glauben Umso wichtiger ist es, dass sich die wäre naiv. Wenn das so einfach wäre, Verlage nicht kaputtsparen und so dann wären wir alle schon viel erfolg- immer unattraktiver für gute und qua- reicher, als wir das heute sind. lifizierte Leute werden. Denn ob ein Change gelingt, ist am Ende auch eine Das Umdenken und Neupositionieren Frage der Ressourcen. findet ja durchaus statt in den Verlagen. Ja, absolut. Da hat in den letzten Jah- Change als hoch angedockter Vollzeit- ren ein enormer Wandel eingesetzt. job, Rückhalt in der Geschäftsführung, Auch, was das dateninformierte Arbei- ein Kulturwandel, der die gesamte Or- ten angeht. Es gibt diverse Initiativen ganisation umfasst – haben Sie noch innerhalb der Branche, die zeigen, dass weitere Zutaten für eine gelingende man versucht zu lernen, wie sich Nut- digitale Transformation? zerinnen und Nutzer verhalten. Es geht Was auf jeden Fall noch wichtig ist, sind eine stete und transparente Kom- munikation und ein funktionierendes Narrativ. Wir müssen intern den » 9% Allerdings finden nur der Befragten, dass ihre Unter- nehmenskultur schon ausreichend zukunftsgerichtet ist. 11 relevant. 1|2023 POLITIK
» Leuten begreiflich machen, warum Ich möchte gar nicht beschönigen, dass und mit welchem Ziel wir das Ganze so ein Veränderungsprozess anstren- machen, warum die Veränderungen gend ist. Umso mehr muss es dann sinnvoll sind. Und dabei immer wieder auch Dinge geben, die Spaß machen, das ganze Haus mitnehmen. Ohne geht damit die Mitarbeitenden sich weiter- Man muss sich klar entscheiden, was man anpackt – das dann aber mit ganzer Kraft. Das heißt auch, alte Dinge auszusortieren und den Mut zu haben, nicht alles mitzumachen. JULIA BÖNISCH, Leiterin Digitale Transformation und Publikationen Stiftung Warentest es nicht. Viele Change-Prozesse schei- hin mit den Zielen identifizieren und tern, weil man irgendwann durch das ihren Job gerne machen. Aber auch das Tal der Tränen geht, die Lust und der gehört zur Wahrheit: Wir werden nicht Elan schwinden. Aber gerade wenn es immer alle glücklich machen können. anstrengend wird, ist es wichtig, nicht nachzulassen. Dabei hilft es, immer Bei aller Digitalisierung – sehen Sie wieder auch kleine Erfolge und Etap- für gedruckte journalistische Produk- penziele zu feiern. Das hält die Motiva- te noch eine Zukunft? tion aufrecht und zeigt: Eure Anstren- Ja, ich glaube schon, dass es die gibt. gung lohnt sich, es funktioniert, was Vielleicht nicht mehr für die tägliche wir hier tun. Printzeitung. Aber das Lean-back am POLITIK relevant. 1|2023 12
Wochenende und das Abgeschlossene drängen wir sie auch nicht, auf Digital des Gedruckten, das bleibt attraktiv. umzustellen. Wichtig ist aber, dass wir Im Internet hat man oft das Gefühl, allen, die sich online informieren wol- nie fertig zu werden, weil sich die Welt len, ein gutes Angebot zur Verfügung ständig weiterdreht. Das übt einen stellen. Ich glaube, dass sich digitale Druck aus, den ich beim abgeschlosse- und Printnutzung hier gut ergänzen. nen, kuratierten Produkt nicht habe. Ich beneide aber keine Tageszeitung Welchen Rat würden Sie Verlagen um die aktuellen Rahmenbedingun- noch mit auf den Weg geben? gen für Gedrucktes. Papierpreise, Fokussiert euch! Ich glaube, es wird Energiekrise, Zustellproblematik – das oft zum Problem, dass keine Prioritä- Umfeld ist so schwierig geworden, da ten gesetzt werden. Sondern man ver- stellt sich die Frage, ob überhaupt noch sucht, alles zu machen, jedem Trend wirtschaftlich gearbeitet werden kann. thema gerecht zu werden. Da muss ein Für die Stiftung Warentest sieht das Podcast gemacht werden und diverse anders aus, aufgrund unserer hohen Newsletter, TikTok muss parallel be- und stabilen Auflage und der Postzu- spielt werden, Insta soll auch noch stellung. Solange unsere Magazine so funktionieren und die Facebook-Com- stark und unsere Leserinnen und Leser munity dürfen wir auch nicht ver- mit dem Printprodukt glücklich sind, nachlässigen. So kommt immer eins obendrauf – bei ohnehin knappen Ressourcen und kleiner werdenden Teams. Das kann nicht funktionieren. Man muss sich klar entscheiden, was man anpackt – das dann aber mit gan- zer Kraft. Das heißt auch, alte Dinge auszusortieren und den Mut zu haben, nicht alles mitzumachen. Was klar ist: Es gibt nicht die eine Lösung, die für alle passt. Jedes Haus hat seine eigene Kultur, sein eigenes Publikum. Natür- lich hilft es immer, Inspi- ration von außen zu holen. Aber am Ende muss man selbstbewusst genug sein, den eigenen Weg zu finden. Und aus meiner persönli- chen Erfahrung heraus kann ich sagen: Das macht Spaß! « 13 relevant. 1|2023 POLITIK
Schlägt die Europäische Union beim Kampf gegen Desinformation und F ake News den richtigen Weg ein? POLITIK relevant. 1|2023 14
Gefahren für die Pressefreiheit in Europa WISSEN Die Europäische Kommission will gegen die Verbreitung von Falschinformationen vorgehen. Doch ihr „Kampf gegen Desinformation“ birgt Gefahren. Es drohen schwere Eingriffe in Grundrechte und -freiheiten. VON PHILIPPE MEISTERMANN UND SONJA BOSS D esinformation schadet unserer tionen – ganz gleich, ob wahllos oder Gesellschaft“, verlautbart die gezielt – die Menschen, die Bürgerin- Europäische Kommission auf nen und Bürger und insbesondere die ihrem offiziellen Internetauftritt. Sie Wählerinnen und Wähler, in die Irre untergrabe das Vertrauen in Institu- führt. Die vermeintliche Folge: Ver- tionen und Medien, gefährde Wahlen, hängnisvolle Auswirkungen auf den verhindere durchdachte Entschei- gesellschaftlichen Zusammenhalt und dungen und beeinträchtige die Mei- die Demokratie. nungsfreiheit. „Dass die Bürgerinnen und Bürger in großem Umfang Desin- Der Weg zur Plattformzensur formation ausgesetzt sind, einschließ- 2017 wurde die damalige Kommissa- lich irreführender oder völlig falscher rin für Digitales, Mariya Gabriel, daher Informationen, ist eine der größten damit beauftragt, für die EU eine Stra- Herausforderungen für Europa“, heißt tegie zur Bekämpfung von Fake News es im 2022 verschärften Verhaltens- zu entwerfen. „Es ist ganz klar, dass wir kodex zur Bekämpfung von Desinfor- zusätzlich zu den nationalen Geset- mation. Die Politik befürchtet, dass zen und Praktiken einen europäischen die Verbreitung von Falschinforma- Ansatz brauchen“, sagte Gabriel » 15 relevant. 1|2023 POLITIK
» damals. „Wenn wir das nicht tun, sicherstellen“, so ihre Kampfansage. werden sich die Missbrauchsbeispie- Die Europäische Kommission begab le nur häufen. Es ist wirklich wichtig, sich damit auf sehr dünnes Eis. Denn dass wir auf EU-Ebene mehr Kohärenz während es bei verschiedenen voran- gegangenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten, wie dem deut- schen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), vornehmlich um die Be- kämpfung von Hasskriminalität und anderer strafbarer Inhalte ging, geht es Die sozialen Medien bei der Fake-News- beziehungsweise Desinformationsdebatte insbesondere um rechtmäßige, legale Äußerungen. wurden nicht nur als Die potenziellen Gefahren einer sol- chen Strategie für die Meinungs- und „digitale Stammtische” Pressefreiheit liegen auf der Hand. wahrgenommen, Digitale Stammtische Von Anfang an im Visier der Kommis- sion: Facebook, Instagram, Twitter & sondern auch als leicht Co. Die sozialen Medien wurden nicht nur als „digitale Stammtische“ mit zu missbrauchende dem einhergehenden Gerede wahrge- nommen, sondern auch als leicht zu Kanäle, die für missbrauchende Kanäle, die für poli- tische Zwecke, Agitation und Propa- ganda genutzt werden können. Quasi politische Zwecke, als Waffe gegen die Demokratie. Cam- bridge Analytica, Donald Trump und Agitation und Steve Bannon, Matteo Salvini und sein Spindoctor Luca Morisi, Jair Bolsonaro Propaganda genutzt und viele mehr haben gezeigt: Wer das Internet und die Netzwerke zu nutzen weiß, kann schnell von der politischen werden können. Als Randfigur zur Bedrohung für das Es- tablishment werden und sogar an die Waffe gegen die Macht gelangen. Demokratie. Falsche Weichenstellung Dabei werfen diese Entwicklungen eine Grundsatzfrage von überragen- PHILIPPE MEISTERMANN UND SONJA BOSS der Bedeutung auf: Wie können wir POLITIK relevant. 1|2023 16
Zusätzlich zu den nationalen Gesetzen und Praktiken in Zeiten von Filterblasen, Echokam- brauchen wir einen mern, von alternativen Fakten, maß- europäischen Ansatz. losen Übertreibungen, von Hass und Hetze im Netz noch eine vernünftige MARIYA GABRIEL, BULGARISCHE POLITIKERIN UND EHEMALIGE KOMMISSARIN politische Debatte führen und den ge- FÜR DIGITALE WIRTSCHAFT sunden demokratischen Diskurs wah- UND GESELLSCHAFT ren? Doch die Politik hat im Eifer des Gefechts sehr schnell die Todsünde begangen und den Fehler nicht an der Funktionsweise der neuen technologi- schen Kommunikationsmittel festge- macht, sondern an den Aussagen und Inhalten selbst. Der Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation Die Überlegungen der Kommis sion wurde 2022 von 34 Akteuren unter- reichen von der Kennzeichnung zeichnet, darunter Plattformen, Soziale von Falschinformationen auf diesen Medien, Technologieunternehmen und Vertreter der Zivilgesellschaft. Plattformen durch sogenannte Fak- Gemeinsam verpflichten sich die tenprüfer bis hin zur Schaffung von Teilnehmenden, finanzielle Anreize für Gütesiegeln für „vertrauenswürdigen die Verbreitung von Desinformation zu verringern sowie Nutzerinnen und Journalismus“, wie der Journalism Nutzer dabei zu unterstützen, Desin- Trust Initiative (JTI) von Reporter ohne formationen zu erkennen. Grenzen (RSF). In der Folge wurde im vergangenen Jahr der verschärfte Ver- haltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation beschlossen. Darin verpflichten sich die Plattformen und Microsoft und Twitter, die zusammen sozialen Medien unter anderem dazu, eine maßgebliche, wenn nicht sogar „der Verbreitung von Desinformation die fast alleinige Kontrolle über den On- die Werbefinanzierung zu entziehen“ line-Werbemarkt ausüben, erkennen oder „das Risiko zu mindern, dass ihre darin ihre kollektive und individuelle Dienste zur viralen Verbreitung schäd- Verantwortung an, zusammenzuar- licher Informationen beitragen“, indem beiten, um Desinformation in der Wer- sie Empfehlungssysteme einsetzen, bung und in den Medien, einschließ- „die darauf abzielen, die Prominenz lich der Publisher, zu unterbinden. verlässlicher Informationen [authori- Die Markt- und Meinungsmacht der tative information] zu erhöhen“. Gatekeeper-Plattformen soll also sozu- sagen „im Dienst der guten Sache“ ge- Gatekeeper-Plattformen nutzt werden. Die digitalen Torwächter sind nicht neutral sollen Medien, einschließlich Verlagen Die Unterzeichner des Verhaltensko- und Publishern, die Falschinformatio- dex, darunter Google, Meta (Facebook), nen und vermeintlich „gefährliche » 17 relevant. 1|2023 POLITIK
» Inhalte“ verbreiten, den Geldhahn vorzugehen, scheint die Kommission zudrehen. Sie sollen „vertrauenswür- den Gatekeepern immer mehr Macht dige Informationen“, wie solche aus übertragen zu wollen, um gegen uner- staatlichen, institutionellen und Regie- wünschte Inhalte auf ihren Diensten rungsquellen, besser hervorheben. Der vorzugehen. Die Binsenweisheit „don’t Verhaltenskodex und der jüngst be- shoot the messenger“ gilt im digitalen Im Digital Services schlossene Digital Services Act (DSA) Zeitalter nicht mehr. Im Gegenteil. Act (DSA) wurden sollen ihnen die dazu notwendige Die sozialen Medien sind keineswegs die Pflichten digitaler Dienste, die als Ver- Handlungsfreiheit und die notwendi- neutrale Vermittler, die Nachrichten mittler fungieren und gen Kompetenzen übertragen. und Aussagen lediglich an einen geziel- Verbrauchern den Die Vizepräsidentin der EU-Kommis ten und von vornehinein identifizierten Zugang zu Waren, sion, Veřa Jourová, betont gerne, dass Verteilerkreis überbringen und nicht Dienstleistungen und Inhalten ermögli- sie kein „Wahrheitsministerium“ schaf- darüber urteilen, was verbreitet wird. chen, festgehalten. fen möchte, kein „Ministry of Truth“. Sie verstärken und amplifizieren Inhalte Der Fokus liegt „Ich habe vor 1989 in einem System ge- nach Belieben und hauptsächlich nach dabei auf Verbrau- cherschutz und lebt, in dem es nur eine Wahrheit gab, dem Maßstab: Was bringt die meisten Transparenz. keinen Pluralismus der Medien, der Klicks, das höchste Engagement und Meinungen oder gar der Gedanken“, die meiste Aufmerksamkeit? Denn für betonte sie 2020 in einer Rede zur Be- Facebook & Co. gilt: Je mehr Zeit die Nut- kämpfung von Desinformation im Rah- zerinnen und Nutzer auf ihren Diensten men der Pandemie. Doch statt gegen verbringen, mit den Inhalten interagie- die Meinungsmacht der Plattformen ren und damit Werbung ausgesetzt sind, desto mehr Geld verdienen sie. Zensur durch Social-Media-Plattformen Die Plattformen daher dazu aufzufor- dern und darin zu bestärken, gegen ZUR PERSON Philippe Meistermann Philippe Meistermann leitet das Büro des BDZV in Brüssel und vertritt dort die Interessen der Zeitungs- verlage und Digitalpublisher. Er verfolgt die medien- politischen Entwicklungen auf europäischer Ebene aus nächster Nähe und setzt sich für die Presse- und Meinungsfreiheit ein. POLITIK relevant. 1|2023 18
Desinformation und vermeintlich „ge- der Hypothese auseinandersetzten, fährliche Inhalte“ vorzugehen, kann das Coronavirus sei menschlichen Ur- nur fehlschlagen. Die Plattformen sprungs und entstamme aus einem La- verfolgen mit ihrem Vorgehen ledig- borunfall in Wuhan. Die Entscheidung lich eigene Interessen, nie aber die wurde erst rückgängig gemacht, als Achtung und Wahrung unserer Grund- Joe Biden eine offizielle Untersuchung rechte und -freiheiten wie der Presse- dieser Vermutung anordnete. Im März Statt gegen die Meinungsmacht der Plattformen vorzugehen, scheint die Kommission den Gatekeepern immer mehr Macht übertragen zu wollen, um gegen unerwünschte Inhalte auf ihren Diensten vorzugehen. PHILIPPE MEISTERMANN UND SONJA BOSS und Meinungsfreiheit. Eine Vielzahl 2022 sperrte Google in der EU im Zuge an Gegenbeispielen hat dies immer der Maßnahmen gegen russische wieder bewiesen. 2016 entfernte Face- Staatsmedien den YouTube-Kanal ei- book die Titelseite der norwegischen nes der letzten verbleibenden liberalen Zeitung Aftonbladet, weil sie das be- russischen Medien, Ekho Moskvy. Die © Foto: Bernd Brundert/BDZV rühmte Foto von Phan Thi Kim Phuc, Plattformen werden so zu staatlich be- dem sogenannten „Napalm Girl“, ab- förderten „Zensoren“. Zu glauben, man bildete. Zum Höhepunkt der Pandemie könne diese enorme Markt- und Mei- sperrte Facebook Posts, einschließlich nungsmacht leiten oder steuern, er- journalistischer Beiträge, die sich mit scheint bestenfalls einfältig. » 19 relevant. 1|2023 POLITIK
ten versuchen, vor allem in Osteuro- pa, die Medien unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie will daher mit dem EMFA für mehr redaktionelle Unabhängig- keit sorgen und sicherstellen, dass Journalisten und Redaktionen frei von jedem externen Einfluss ihre Ar- beit tätigen können. Grundsätzlich ein lobenswertes Ziel. Doch der Vorschlag befasst sich auch mit dem Schutz dessen, was wir in Deutschland als „innere Pressefreiheit“ kennen. Diese „innere Pressefreiheit“ bezeichnet dabei die politische und ju- ristische Debatte um die Bestimmung und Auslotung der Position des Verle- ZUR PERSON Dr. Sonja Boss gers und der Redaktion selbst. Sie ist Dr. Sonja Boss ist die Justiziarin des BDZV und verantwor- die Gegenposition zur „äußeren Pres- tet sämtliche rechtlichen Themen und Fragestellungen der sefreiheit“, die sich unmittelbar aus Zeitungsverlage und des Verbandes, einschließlich deren dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1, Vertretung gegenüber den Sozialpartnern. Die Fachanwältin für Arbeitsrecht berät Mitglieder zu Fragen rund um Arbeits- S. 2 des Grundgesetzes ergibt: dem und Sozialversicherungsrecht. Schutz der Einzelnen vor staatlichen Maßnahmen als Individualgrundrecht und die Gewährleistung der institu tionellen Garantie der freien Presse mit der grundrechtlich verankerten Das europäische » Doch die Europäische Kommission Freiheit zur Gründung von Presseor- Medienfreiheits- beabsichtigt, noch einen Schritt weiter gangen sowie dem freien Zugang zu gesetz (EMFA) soll zum Schutz des zu gehen: Der geplante European Media den Presseorganen. Pluralismus und der Freedom Act (EMFA) soll eigentlich zur Unabhängigkeit der Wahrung der Freiheit und Vielfalt der Die EU mischt sich ein Medien in der EU Medien beitragen, aber die Pläne könn- Ob und in welchen Grenzen der Redak- beitragen. BDZV und MVFP warnen ten nach hinten losgehen. tion ein Autonomiebereich im Verhält- vor der Gefahr von nis zum Verleger (Presseunternehmer) politischer Ver- Droht eine europäische zuzustehen ist, ist auch in Deutsch- einnahmung und fordern grundlegen- Medienaufsicht? land immer wieder Gegenstand von de Änderungen am Die sozialen Medien als Zensoren ein- politischen Debatten. Juristisch ist die © Foto: Bernd Brundert/BDZV Vorschlag. zusetzen, scheint der Kommission Frage, ob Art. 5 I, 2 Grundgesetz den zum Erreichen ihrer Ziele noch nicht Staat zum Schutz der Journalisten genug zu sein. Die EU ist – zu Recht – und Journalistinnen auch gegenüber besorgt darüber, dass Oligarchen und ihrem Verleger verpflichtet, ob also einige Staaten mit böswilligen Absich- die „innere Pressefreiheit“ von Verfas- POLITIK relevant. 1|2023 20
sungs wegen gewährleistet sein muss, wichtige Grundpfeiler und Grundsätze noch nicht völlig geklärt. Das Bundes- unserer Gesellschaft und Lehren aus verfassungsgericht hat die Frage, ob unserer Geschichte einfach so von der und gegebenenfalls in welchem Um- Hand zu weisen, wäre ein großer Feh- fang Redakteuren entsprechende pub- ler. Wir müssen darauf vertrauen, dass lizistische Mitgestaltungsrechte durch die Europäische Union ihren Werten Gesetze zugesprochen werden dürfen, von Freiheit, Demokratie und Rechts- das heißt ob auch die Einflussnah- staatlichkeit treu bleibt und die Euro- me von Redakteuren einen solchen päische Kommission tatsächlich alles mit der Tendenzfreiheit des Verlegers in die Wege leitet, um die Freiheit und unvereinbaren Einfluss darstellt, aus- Vielfalt der Medien in Europa zu wah- drücklich offengelassen. ren und zu schützen. Dafür müsste sie Jetzt droht also die Gefahr, dass sich allerdings sowohl im Kampf gegen die die EU in das Verhältnis zwischen Desinformation wie auch im EMFA von Journalisten und Verlag einmischt solchen gefährlichen Unternehmun- und Regeln vorschreibt oder zumin- gen absehen. Ihre weltweite Ausstrah- dest Empfehlungen darüber abgibt, in lung als Raum der Freiheit und der De- welchem Rahmen sich dieses Verhält- mokratie kann die Europäische Union Digitale Medien- nis abzuspielen hat. nur erhalten, wenn sie die Presse- und kommunikation stellt die EU vor Meinungsfreiheit auch im 21. Jahrhun- neue Heraus Pressefreiheit bewahren dert wahrt und aufrechterhält. « forderungen. Seit Jahren bewegt sich die EU-Ge- setzgebung mehr und mehr in Rich- tung einer allgemeinen europäischen Medienregulierung. Die politischen Entscheidungsträger berufen sich da- bei insbesondere auf das Argument der Medienkonvergenz. Im digitalen Zeitalter sei es nicht mehr möglich, eindeutig zwischen verschiedenen Mediengattungen zu unterscheiden. Der Pressefreiheit müssten daher im digitalen Raum eigentlich auch neue Grenzen gesetzt werden. Dass in die- sem Kontext auch überlegt wird, die digitalen Zeitungen und Digitalpub- lisher, wie den Rundfunk, einer Auf- sicht zu unterstellen, erscheint dabei nicht abwegig. Das wäre freilich das Ende der freien, unabhängigen und staatsfernen Presse. Im Angesicht von unbestritten vorhandenen Gefahren 21
„Fairer Wettbewerb wurde vollständig abgeschafft“ MEINUNG Den Kampf um Aufmerksamkeit und Werbegelder dominieren die marktbeherrschenden Plattformen. Was die extreme Asymmetrie der Machtverhältnisse für Politik und Publisher bedeutet, beantwortet Medienforscher Martin Andree. VON ANDREA GOURD POLITIK relevant. 1|2023 22
H err Andree, digitale Medien Realnutzung messen, stehen unsere gehören zum Alltag, wir nut- Ergebnisse im Widerspruch zu reich- zen sie ständig. Sie haben die weitenbasierten Betrachtungen oder digitale Mediennutzung mit Ihrem den Ergebnissen von Befragungen. „Atlas der digitalen Welt“ erstmals Dort wird eine Anbietervielfalt sugge- quantifiziert. Was sind Ihre zentralen riert, die de facto nicht existiert. Erkenntnisse? Interessanterweise können wir diesel- Martin Andree: Unser Atlas stellt zum be extreme Unwucht jedoch jenseits ersten Mal die Gesamtheit der digi- unserer Studie auch in der Verteilung talen Mediennutzung dar. Für alle der Werbeinvestitionen innerhalb Angebote, egal wie groß oder wie un- der digitalen Medien erkennen. Denn bedeutend sie sind, verwenden wir je nach Studie liegt der Anteil der immer denselben Maßstab, nämlich Top-3-Plattformen (Alphabet, Meta, die aggregierte Nutzungsdauer für die Amazon) in den Ländern der Welt zwi- deutsche Gesamtbevölkerung. Deshalb schen 80 und 90 Prozent. Plakativ ge- können wir auch erstmals alle existie- sprochen, müssten sich die Urheber renden Angebote präzise miteinander der Befragungen ja wundern, warum vergleichen. Unsere Messungen bele- jenseits der Plattformen so wenig Wer- gen eine extreme Traffic-Konzentra- bung geschaltet wird, obwohl so viele tion, vereinfacht gesagt: Ganz wenige Menschen behaupten, diese Inhalte zu haben fast alles, alle anderen so gut nutzen. Die Antwort ist einfach: Weil wie nichts. Die Top-4-Digitalkonzer- die echte Nutzung dort in Wirklich- ne, also Alphabet, Meta, Amazon und keit viel geringer ist, als es in solchen Apple, erzielen etwa 45 Prozent des Studien erscheint. Die werbetreiben- gesamten Traffics. Wir sehen eine ext- den Unternehmen handeln hier also reme Dominanz des Plattformmodells: durchaus rational: Sie investieren ganz Von den größten zehn Angeboten sind einfach dort, wo die Aufmerksamkeit neun Plattformen. des P ublikums ist. Nicht nur auf der Inhaltsebene, auch Wie beurteilen Sie die Entwicklungs- im digitalen Werbemarkt gibt es eine möglichkeiten von digitalen Geschäfts- massive Schieflage zugunsten der modellen der Verlage vor dem Hinter- großen Plattformen. Inwiefern? grund dieser Plattformökonomie? Die extreme Ungleichverteilung der di- Durch den Konzentrationssog der gitalen Werbeinvestitionen ist tatsäch- Plattformen sitzen die Medienschaf- lich ein sehr starker Beleg dafür, wie fenden in einer Falle, und es wird im- genau unsere Messungen die Wirklich- mer schwieriger werden, hier Lösun- keit wiedergeben. Kurios ist ja: Weil wir gen zu finden. Plakativ gesprochen » 23 relevant. 1|2023 POLITIK
» ist die Kernfrage, ob man Content Practices es gibt. Wir müssten daher ratis anbietet oder auf Paid setzt. Aus g offensiv angehen, wie wir das Hor- der Perspektive unserer Messungen ist rorszenario für die Branche abwenden nach wie vor der überwältigende Teil können. Was wäre denn, wenn die Mas- des genutzten Contents gratis. Gratis- se der Menschen in Zukunft vor allem content ist aus ökonomischer Pers- durch Gratis User Generated Content pektive jedoch Selbstmord, zumal man aus den Plattformen bedient wird – in damit die Plattformen noch zusätzlich der charakteristischen Mischung aus weiter füttert. Also bleibt als einziger Clickbait, Fake News, Meinungsmache Laut BDZV/ Ausweg der bezahlte Content. Weil die und so fort? ZMG-Studie „Digi- Bereitschaft zur Zahlung im Netz aber In der großen Mitte der Mediennutzung taler Journalismus“ geben 78 Prozent gering ist, bedeutet dies, dass man als würden die Plattformen das Gros des derjenigen, die noch Medienunternehmen eine äußerst prä- Traffics auf sich ziehen, allein schon nicht für journalis- zise Value Proposition, also ein kon- wegen ihrer unschlagbaren Kosten- tische Inhalte im kretes Nutzenversprechen, entwickeln vorteile. Aber auch an den Rändern Internet bezahlt haben, als Grund an, muss, das so enorm viel Wert für Nut- hätten sie einen unfairen Vorteil da- dass es ausreichend zer bietet, dass sie bereit sind, dafür zu durch, dass sie Inhalte algorithmisch kostenlose Inhalte im zahlen. Exakt hier haben viele Medien- targetieren und personalisieren kön- Web gebe. Das Gra- tisangebot drosselt unternehmen oft strategische Positio- nen – und hier je nach Zielgruppe ra- also die Zahlungsbe- nierungsschwächen, die sie konsequent dikalere Beiträge ausspielen können, reitschaft. angehen müssten. die dort besser einschlagen. Für die Plattformen ist diese zweifelhafte „Sie- Wie können oder sollten sich Medien ger“-Strategie leicht formuliert: In die denn positionieren, um im digitalen Mitte Mainstream, in die Pole extre- Markt erfolgreich zu sein? Sehen Sie mere Inhalte, das alles gratis und ohne da innovatives Potenzial in den Ver- Verbreiterhaftung. lagshäusern? Natürlich können wir jetzt für die Ver- Das ist eine echte Herausforderung, lage innovative Ansätze aufgreifen, denn wir sehen ja alle, wie wenige Best wie etwa Sebastian Turners Ruf nach Domänenkompetenz. Solche Auswege haben aber ebenfalls eine dunkle Seite, denn das würde bedeuten, dass sich sol- che bezahlten Inhalte zukünftig immer mehr an eine sehr kleine Schicht von INFO Domänenspezifische Kompetenz Profis, Opinion Leader sowie Unterneh- Als „domänenspezifische Kompetenz“ beschreibt Sebastian Turner, men richtet – weil im klassischen Me- Herausgeber Table.Media, die gründliche Kenntnis von Zusammen- dienbusiness die Plattformen einfach hängen. „Nur mit dieser Domänenkompetenz können die Medien ihre in allen Dimensionen massiv über- gesellschaftliche Rolle wahrnehmen – als unabhängiges Frühwarn- system, bevor Entscheidungen getroffen und Entwicklungen weit vorteilt und privilegiert sind, hier also fortgeschritten sind.“ quasi kaum noch massenfähige Game changerkonzepte realisierbar sind. Wenn POLITIK relevant. 1|2023 24
ZUR PERSON Dr. Martin Andree Dr. Martin Andree ist Digital- und Marke- tingexperte. Der habilitierte Medienwissen- schaftler unterrichtet digitale Medien an der Universität Köln und ist Gründer und CEO von AMP Digital Ventures. Seine Medienforschung verbindet Andree mit einer 20-jährigen Pra- xiserfahrung im digitalen Marketing. Auf dem BDZV-Jahreskongress im September 2022 hatte Andree über die Rolle der Digitalkonzer- ne im Kontext des Ukrainekriegs informiert. Medienunternehmen hier nicht schnell der digitalen Medien vollständig abge- zu langfristig tragfähigen strategischen schafft. Durch unsere jahrzehntelange Positionierungen finden, wird der seit politische Tatenlosigkeit gefährden wir Jahren stattfindende digitale Disrupti- tatsächlich die Grundlage unserer De- Google sammelt eine onsprozess gnadenlos weiterlaufen. mokratie. Wir waren naiv, als wir dach- gigantische Menge an Daten und kann ten, die Plattformen könnten diese Rolle die eigenen Dienste Mit fatalen Konsequenzen. Schließlich in der Zukunft mitgestalten. Wenn in immer weiter opti- hat fehlender oder unfairer Wettbewerb der digitalen Zukunft aber ganze Me- mieren. Das stellt eine große Hürde für im Medienmarkt unter Umständen diengattungen einzelnen Privatunter- den Wettbewerb dar. © Foto: BDZV/Zumbansen weitreichende Konsequenzen für gesell- nehmen gehören, dann ist es auch um Der BDZV fordert schaftliche Diskurse und letztlich für die Freiheit der Medien geschehen. Die deswegen neue Re- das Funktionieren unserer Demokratie. Twitter-Übernahme von Elon Musk gibt gelungen im Umgang mit marktdominan- Wie konkret sehen Sie diese G efahr? uns einen ersten Vorgeschmack auf das, ten Plattformen und Fairer Wettbewerb wurde auf dem Feld was uns in Zukunft bevorsteht. » Aggregatoren. 25 relevant. 1|2023 POLITIK
Alle Initiativen bringen nichts, solange man nicht den Status quo der Monopole infrage stellt. MARTIN ANDREE, DIGITAL- UND MARKETINGEXPERTE » Braucht es angesichts der Macht- Die Politik kann umgekehrt aber nur strukturen im Digitalen nicht einen Themen aufgreifen, die durch das gesellschaftlichen Aufschrei, einen Agendasetting der Medien in der Öffent- Bewusstseinswandel in Politik und lichkeit bereits Relevanz besitzen. Des- Gesellschaft? halb führt kein Weg daran vorbei, dass Fatalerweise haben ausgerechnet die die Medien über ihren Schatten sprin- redaktionellen Medien das Thema bis- gen und diesem Thema eine sehr hohe lang weitgehend ausgeblendet. Ihre Priorität einräumen, bevor es zu spät ist. Rolle hier ist allerdings nicht leicht, weil sie in dieser medienpolitischen Was müsste angesichts der dominie- Angelegenheit selbst Betroffene sind – renden Position der GAFAs auf Seiten ihre Kritik würde also naturgemäß als des Gesetzgebers passieren? Bereits parteiisch und voreingenommen, qua- mehrfach hat die EU Milliardenstra- si als Lobbyismus für die Presse, wahr- fen gegen Google wegen seines Ge- genommen werden. schäftsgebahrens verhängt. Hat das überhaupt eine Wirkung? Und wenn nein: Was hätte Wirkung? Alle Initiativen bringen nichts, solange man nicht den Status quo der Monopo- le infrage stellt. Wenn wir als Gesell- schaft mutig und kreativ handelten, gäbe es viele interessante Lösungsop tionen: Wir könnten geschlossene Standards für alle Plattforminhalte verbieten. Wir könnten Plattformen zwingen, den Contenturhebern zu er- lauben, auf allen Ebenen Outlinks zu setzen, sodass User die Silos der Platt- formen jederzeit verlassen können. Wir könnten die Monetarisierung straf- barer Inhalte durch die Plattformen in- POLITIK relevant. 1|2023 26
frage stellen. Wir könnten die Digital- werden wir in einigen Jahren sehen – konzerne zwingen, eine ökonomische aber dann ist erneut zu viel wertvolle Trennung zwischen Übertragungsweg Zeit verstrichen. Besonders tragisch und Inhalten durchzuführen, um die daran ist, dass die vielen Kommenta- Plattformen für Wettbewerb zu öffnen. re aus den redaktionellen Medien über Dagegen werden die gutgemeinten In- den DMA in einer überwältigenden itiativen des „Digital Markets Act“ an Mehrheit positiv in der Einschätzung den existierenden marktbeherrschen- waren. Die Digitalkonzerne dürften den Stellungen nichts substanziell also sehr zufrieden sein mit dem Lauf ändern. Diese Situation ist gefährlich – der Dinge. « denn die Politik wird jetzt erst einmal abwarten wollen, was die neuen Ge- setze bringen. Dass sie nichts bringen, Alle medienpolitischen Themen des BDZV finden Sie unter: www.bdzv.de/alle-themen/medienpolitik Anzeige Mit MSP die Adpoint-Vorteile im Media Sales nutzen Über das IT-Beratungs- und Dienstleistungs- erstellen und Buchungen zu bearbeiten, Lead- unternehmen MSP Medien-Systempartner Generierungskomponenten zu integrieren, GmbH können nun alle Medienunternehmen Analysen zu generieren und effizient Rech- in der D-A-CH-Region von den Vorteilen der nungen und Zahlungsströme zu verwalten. Media-Sales-Software Adpoint profitieren. Die Vertriebskooperation umfasst neben Dafür hat MSP eine Vertriebskooperation mit Konzeption und Einführung der CRM und dem weltweit führenden Anbieter Lineup plc Vermarktungssoftware für das B2B-Segment geschlossen. Künftig bietet MSP zusätzlich zu auch ein modular aufgebautes, kontinuierli- den gängigen SAP Media-basierten Lösungen ches Betreuungspaket. So unterstützt MSP die und deren Betreuung sowie der eigenen Verlagshäuser in den entscheidenden umsatz- Produkt-Range im Bereich SaaS, E-Commerce relevanten Bereichen mit effizienten, inno- und Application Management exklusiv auch vativen Lösungen, die mit ihren spezifischen die von mehr als 6.800 internat. Medien- Vorteilen eine erfolgversprechende Alterna- marken bereits erfolgreich eingesetzte Multi- tive zur Zukunftssicherung von Medienhäusern Channel-Software Adpoint an. Adpoint vereint in der digitalen Welt sind. Für weitere Informa- alle relevanten Media-Sales-Arbeitsbereiche tionen und die Vereinbarung von unverbindli- wie CRM, OMS, Finance und Analytics in chen Präsentationsterminen: einer Software. Damit sind die Verkaufsteams Tim.Greve@medien-systempartner.de sofort in der Lage, individuell konfigurierbare, geführte Sales Journeys aufzusetzen, schnell und einfach kanalübergreifend Angebote zu
Treffsichere Reichweiten WISSEN Zeitungen und Digitalpub- lisher müssen ihre Leistungen mehr denn je unter Beweis stellen, wenn sie für Leser und Werbemarkt attraktiv sein wollen. Dazu braucht es valide Reichweiten- und Nutzungsdaten. Deren Erhebung befindet sich im Umbruch. VON ANDREA GOURD W enn man Gerhard Müller nach seiner wichtigsten persönlichen Erfahrung aus den vergangenen Berufsjahren fragt, zögert er nicht lange mit der Antwort. „Vertrauen. Nur mit einer gemeinsa- allen tragbare Kompromisse gekämpft. men Vertrauensbasis und der sozialen Konsens – das ist der Auftrag der All- Kompetenz, auch bei unterschiedli- media-Dachorganisation. chen Ausgangspositionen lösungsori- Leicht war das nicht immer, sagt Mül- entiert zusammenzuarbeiten, bist du ler. Aber es ist gelungen. Die Reichwei- erfolgreich.“ ten und Standards der Agma sind die Eine Erfolgsformel, die für Müller es- anerkannte Werbewährung im deut- senziell ist. Als Vorstand Tageszeitun- schen Markt. Das soll so bleiben. Weil gen bei der Arbeitsgemeinschaft Me- sich aber die Mediennutzung und die dia-Analyse (Agma) hat er sich viele Anforderungen an die Mediaplanung Jahre leidenschaftlich für die Zeitun- grundlegend verändert haben, ist auch gen eingesetzt, im Austausch mit den die Agma im Begriff, ihre Reichwei- Spitzenvertretern anderer Medien und tenerhebung auf eine gänzlich neue der Werbewirtschaft aber auch für von Grundlage zu stellen. MARKT relevant. 1|2023 28
TREFFER 6 1 % Die Frankenpost erreicht 61 % aller Menschen in ihrem Verbreitungsgebiet. Welche Marken- reichweite ein Titel insgesamt erzielt, zeigt sich erst, wenn die verschiedenen Markenreichweite aus Print & Online unterschiedliche Zielgruppen? Das Ausspielkanäle zu- Konvergente Reichweiten sind das bekomme ich nur raus, wenn ich eine sammen betrachtet Gebot der Stunde. „Letztlich geht es Konvergenzdatei über eine Marken- werden. Für die Ge- samtschau braucht um die Markenreichweite einer Ta- reichweite erhebe.“ es daher crossme geszeitung“, erläutert Müller den et- Also weg von der separaten Betrach- diale Reichweiten was sperrigen Begriff. „Medien bieten tung von gedruckten und digitalen aus Print und Digital. ihre Inhalte heute auf allen verfügba- Reichweiten und hin zu einem Mess- ren Wegen an. Die Leser entscheiden, wert, der beide Welten miteinander wann und wie sie etwas nutzen. Für verbindet. Gebildet durch ein aufwen- Verlage ist es aber wichtig zu wissen, diges Fusionsverfahren, in der Anwen- wie viele und welche Menschen sie dung aber denkbar einfach: Mit einem über welchen Kanal erreichen. Gibt es Klick ist für jeden sichtbar, wie hoch Überschneidungen bei der Print- und die Gesamtnutzung einer Zeitungs- Onlinenutzung oder sind das völlig marke ist. Für jeden einzelnen Titel » 29 relevant. 1|2023 MARKT
schenden Erkenntnissen. So ist es die Frankenpost aus Hof, die das Ranking der Regionalen anführt. Sie erreicht täglich rund 61 Prozent aller Personen in ihrem heimischen Verbreitungsge- biet und damit mehr als alle anderen an der Ausweisung beteiligten Zei- tungstitel. Erst die neue Konvergenz- datei eröffnet den Blick darauf, wie gut Die Neuaufstellung bei der Reich- Publisher ihr jeweiliges Marktpoten weiten-Erhebung zeigt, wie wichtig zial ausschöpfen. für die Verlage das geschlossene Auftreten ist – und wie unerlässlich Notwendig für die Vermarktung Nicht nur für die Verlage sind die die koordinierende Verbandsarbeit. kombinierten Print-Online-Reichwei- Der BDZV hat den gesamten Prozess ten als Gradmesser für den Erfolg im schnell, effizient und erfolgreich eigenen Verbreitungsgebiet und für organisiert, vom ersten Aktionsplan das Benchmarking von publizistischen Angeboten essenziell. Sie sind es auch über die internen Abstimmungen und für eine zeitgemäße Vermarktung. Informationsveranstaltungen bis zur Denn ohne Reichweiten- und Struk- wirkungsvollen Durchsetzung der turdaten gibt es keine Mediaplanung Mitgliedsinteressen. Das war eine – und keine Buchung. „Die einheitli- che Kennzahl für die Leistungsstärke Top-Verbandsarbeit! einer Zeitungsmarke war eine zentra- ANDREAS SCHMUTTERER, VERLAGSLEITER le Forderung der Werbekunden“, weiß AUGSBURGER ALLGEMEINE Müller. Und fügt hinzu: „Wir dürfen ruhig ein wenig stolz sein, dass wir dieses Gemeinschaftsprojekt zusam- men mit der Arbeitsgemeinschaft On- line-Forschung (Agof) so erfolgreich geschultert haben. Es ist ein wichtiger » und sein lokales und regionales Ver- Baustein für die Zukunftsfähigkeit der © Foto: Bernhard Weizenegger breitungsgebiet. Reichweitenmessung.“ Im Oktober 2022 hat die Agma erstmals Für Gerhard Müller soll es der letzte solche konvergenten Leser- und User- Meilenstein in seiner Gremientätig- zahlen von 130 Zeitungstiteln veröf- keit sein. Ein Lächeln huscht über sein fentlicht. Mit großem Echo und überra- Gesicht, als er sagt: „Ich bin jetzt vom MARKT relevant. 1|2023 30
11 % 11 % Zeitschriften Tageszeitungen 11 % 11 % Radio/Audio Internet Agma Stimmenverhältnis 11 % 11 % Out of Home TV 34 % Werbeagenturen/ Werbungtreibende Spielfeld auf die Zuschauertribüne ge- wechselt.“ Zum Jahreswechsel hat er sein Amt an Alexander Potgeter über- geben. Der neu gewählte Vorstand Ta- INFO Über die Arbeitsgemeinschaft geszeitungen ist kein Unbekannter. Als Media-Analyse (Agma) Mitglied der technischen Kommission Die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V. ist eines der war der ZMG-Geschäftsführer schon großen Joint Industry Committees, kurz JIC, im deutschen Markt. Ihr Ziel ist es, gemeinsam und partnerschaftlich an der Geburtsstunde der Konvergenz- Mediaforschung von höchster Qualität anzubieten. Dafür datei maßgeblich beteiligt. Dass er das erhebt die Agma transparent und medienübergreifend die Amt in einer Zeit gravierender Umbrü- Reichweiten- und Mediennutzungsdaten von Zeitungen, Zeit- schriften, Radio, Fernsehen, Plakat und Internet. Werbung- che übernimmt, ist Potgeter bewusst. treibende Unternehmen und Mediaagenturen sind ebenso „Die Aufgaben sind groß, keine Frage. Mitglied bei dem Verein wie Vermarkter und Medienanbie- Das wird nicht immer bequem sein, ter. Mit den Agma-Analysen können ihre Werbeleistungen miteinander und innerhalb einer Gattung verglichen werden. auch nicht einfach. Davor habe ich Re- Dass das einen Interessensausgleich zwischen den mehr als spekt. Aber wir werden auch künftig 250 Mitgliedern notwendig macht, liegt auf der Hand. Alle Lösungen finden, die für unsere Gat- Entscheidungen werden konsensual getroffen. tung die bestmöglichen sind.“ » 31 relevant. 1|2023 MARKT
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