Relevant - Die neue Normalität Kommen wir nach der Pandemie wieder aus den Puschen? - BDZV
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relevant. Das Magazin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger Nr 2 | 2020 Mit Zeitungszahlen 2020 Der Branchenbericht des BDZV Die neue Normalität Kommen wir nach der Pandemie wieder aus den Puschen?
MANIFEST Zeitungen sind und bleiben relevant. Unabhängige Zeitungen sind unerlässlich für eine pluralistische Meinungs- und Haltungsbildung in der Demokratie. Ihre Existenz ermöglicht verantwortungsvollen Journalismus. INTRO relevant. 2|2020 2
VORWORT Liebe Leserinnen und Leser, das Jahr 2020 wird als das Jahr der Verschie- seren Blick auf das, was möglich ist, nachhaltig bungen, Veränderungen und Absagen in die Ge- verändert. Mit Hinhaltetaktiken und Ausreden schichte eingehen. Die Corona-Pandemie hat ist in Zeiten einer Pandemie kein Staat mehr zu mittlerweile alles fest im Griff. Abgesagte Events machen. Es muss schnell gehandelt werden, Be- oder ausgefallene Treffen sind aber noch das denken müssen ausgeräumt sowie Abläufe und geringste Übel angesichts der wirtschaftlichen Strukturen neu gedacht werden. Auswirkungen. Und während die Infektionszah- © Fotos: Bernd Brundert/BDZV, Coverfoto: Pixel-Shot/Adobe Stock len weltweit wieder steigen, ist klar, dass sich Auch wenn wir uns beim BDZV. Der Kongress selbst die robuste Wirtschaft in Deutschland 2020 „nur“ virtuell begegnen werden, ist dieses keinen zweiten Lockdown wird leisten können. Heft pünktlich zum Kongress fertig geworden. Er- Diese weltweite Pandemie ist Katalysator und Be- fahren Sie, wie vielfältig sich die Branche mit dem schleuniger zugleich. Corona-Virus arrangiert hat und welche Antwor- ten auf die Herausforderungen gefunden wurden. Alle Herausforderungen und Unabwägbarkeiten in diesem verrückten Jahr werden jedoch von ei- Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre! ner positiven Botschaft überragt: Corona hat un- Ihre Redaktion Alexander von Schmettow Dr. Andrea Gourd Hans Hendrik Falk 3 relevant. 2|2020 INTRO
INHALT DIE KERNFRAGEN Was bleibt nach der Covid-19-Pandemie? Ist das Jahr 2020 eine Zeitenwende oder nur der Beginn einer vorübergehenden Krise? 06 KURZMELDUNGEN AUS DEM VERBAND POLITIK 08 MEINUNG „EXTREM KOMPLEX UND ERSTAUNLICH EINFACH“ Stuttgarter-Zeitung-Chefredakteur Joachim Dorfs über geänderte Redaktionsabläufe, Herausforderungen und positive Überraschungen in Covid-19-Zeiten. 12 WISSEN GEMEINSAM GEGEN DIE PANDEMIE Vom Corona-Hotspot zum fachübergreifenden Krisenmanagement: Warum das Medienhaus Aachen ein bedeutender Kommunikator der Krise wurde. 18 ANWENDUNG „IN DER KRISE HAT SICH AUSGEZAHLT, DASS DER BDZV DIGITAL AUFGESTELLT IST“ Was waren die Reaktionen des Verbands in der Krise und welche Lösungen haben künftig Bestand? BDZV-Geschäftsführerin Katrin Tischer im Interview. MARKT 22 MEINUNG VOM LESER LERNEN Welche Learnings ziehen europäische Medienhäuser aus der Corona-Krise? Einblick in Nutzeranalysen, Paywall und journalistische Prinzipien. INHALT relevant. 2|2020 4
INHALT 26 WISSEN WIE EIN VIRUS DIE LESERNÄHE STÄRKT Über die Bedeutung des Lokaljournalismus, neue Nutzer-Zielgruppen und die Fähigkeit zur schnellen Veränderung. 30 ANWENDUNG NEUE KOOPERATIONEN IN NEUEN ZEITEN #ZeitungenHelfen: Wie sich die Zeitungen als Partner und Impulsgeber in der Region bewährt haben – auch für den lokalen Handel. PERSPEKTIVEN 36 MEINUNG MOBILES ARBEITEN – FLUCH ODER SEGEN? Die Begeisterung fürs Homeoffice ist mancherorts groß. Was bedeutet diese Tendenz für den Journalismus und seine Qualität? 40 WISSEN DIE SACHE MIT DEM GENDERSTERN Optionen für gendersensible Sprache in deutschsprachigen Medien und welche Hürden die Verwendung (noch) hemmen. 44 ANWENDUNG WORTE MIT ZUKUNFT Wohin geht die Reise im Spektrum des Zeitungsmachens? Welche Aussagen der letzten Monate haben Langzeitwirkung? ZEITUNGSZAHLEN 2020 46 DER BRANCHENBERICHT DES BDZV Kleines Wissenskompendium zur Zeitungsbranche mit aktuellen Daten, Leistungs- werten und Kennziffern. Von A wie Auflage bis Z wie Zielgruppen finden sich hier komprimiert und übersichtlich dargestellte Zahlen und Fakten. 5 relevant. 2|2020 INHALT
KURZMELDUNGEN Corona-Tarifvereinbarung abgeschlossen UNTERSTÜTZUNG Auch das Tarifgeschehen in Für die Gruppe der arbeitnehmerähnlichen der Zeitungsbranche bleibt nicht unberührt von Journalisten können einmalig Unterstützungs- der Corona-Pandemie. Angesichts ihrer weitrei- leistungen gezahlt werden. chenden wirtschaftlichen Folgen für die gesamte Darüber hinaus haben sich die Tarifparteien auf Branche haben sich der BDZV und der Deutsche Empfehlungen geeinigt, die unter anderem eine Journalisten-Verband (DJV) am 3. Juli darauf ver- Doppelbelastung für von Kurzarbeit betroffene ständigt, eine zunächst bis Jahresende 2020 be- Redakteure vermeiden sollen. fristete Corona-Tarifvereinbarung zu schließen. Sie soll die Auswirkungen der Pandemie abfedern „Ich freue mich, dass wir uns mit den Gewerk- und die Beschäftigung sichern. Die Kernpunkte: schaften in gemeinsamer Verantwortung auf In diesem Jahr gibt es keine Tariferhöhungen. dieses Ergebnis einigen konnten. Damit schaffen Eine Öffnungsklausel ermöglicht es den Verla- wir Planungssicherheit für Verlagsunternehmen gen, die Jahresleistung („Weihnachtsgeld“) bei und Redaktionen“, erklärte dazu Georg Wallraf, wirtschaftlichen Schwierigkeiten ganz oder BDZV-Verhandlungsführer und Vorsitzender des teilweise zu kürzen. Sozialpolitischen Ausschusses. « Wir sind die Augen Investition in und Ohren der Fans! Digitalisierung APPELL Fußball ohne Fans im Stadion – das gibt FÖRDERUNG In seinem zweiten Nachtragshaus- der Presse-Berichterstattung über das Sportge- halt hat der Deutsche Bundestag eine Förderung schehen in Corona-Zeiten noch mehr Gewicht. der digitalen Transformation von Verlagen in Die Journalisten und Fotografen sind die Au- Höhe von 220 Millionen Euro vorgesehen. Dass gen und Ohren der Fans. Deshalb appellieren es sich bei dieser Förderung nicht um die ur- BDZV, dju/ver.di, DJV, VDS und VDZ gemeinsam sprünglich geplante und im Koalitionsvertrag an die Entscheidungsträger der Politik und an vereinbarte, übergangsweise Sicherstellung die Deutsche Fußball Liga (DFL), die zuletzt der Infrastruktur bei der Zeitungszustellung sehr weitreichenden Beschränkungen bei der handelt, hat der BDZV nochmals klargestellt. Bundesliga-Berichterstattung aus den Fuß- Mit der Investition in IT gebe es einen Paradig- ballstadien etwas zu lockern. Für ausführliche menwechsel weg von der Zustellförderung hin und originäre Spielberichte wären mehr Jour- zur Förderung technologischer digitaler Ausrüs- nalisten und insbesondere mehr Fotografen im tung. Wichtig bleibe, dass der weitere Ausbau Innenraum und auf den Tribünen erforderlich der Infrastruktur der Verlage gestärkt werde, und unter Beachtung der Abstands- und Hy- ohne dass die Unabhängigkeit der Redaktionen gieneregeln auch möglich, argumentieren die berührt sei, betont BDZV-Hauptgeschäftsführer Verbände. « Dietmar Wolff. « AKTUELL relevant. 2|2020 6
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„Extrem komplex und erstaunlich einfach“ MEINUNG Die Stuttgarter Zeitung änderte aufgrund von Covid-19 in kürzester Zeit sämtliche Redaktions- abläufe. Chefredakteur Joachim Dorfs erzählt von Herausforderungen und positiven Überraschungen. INTERVIEW VON ALEXANDER VON SCHMETTOW Auch wenn die Homeoffice- Ausstattung bei manchen zunächst recht spartanisch aussah, wurde Großes geleistet. POLITIK relevant. 2|2020 8
TIMELINE Wie erlebte die Redaktion der Stuttgarter Zeitung die Corona-Zeit? Hier die wichtigsten Geschehnisse in der Chronologie. 28. Februar 2020 Start Corona- Newsletter H Start des täglichen err Dorfs, wie haben Sie die Corona-Newsletters ten Corona-Phase zu Hause. Auch das mit aktuellen Beiträ- erste Phase der Corona-Pan- gen zum Thema, der lief reibungslos. demie erlebt? Wie einfach separat abonniert war es, eine Zeitungsredaktion ins werden kann. Über Sie sind seit zwölf Jahren Chefredak- 7.000 Leser nehmen Homeoffice zu schicken? das Angebot an. teur der Stuttgarter Zeitung. Haben Es war gleichzeitig extrem komplex Sie eine Phase mit so vielen Unsicher- und erstaunlich einfach. Schwierig heiten und einer vollständigen Um- Ab dem und aufwendig war es, weil wir inner- 16. März 2020 stellung des Alltags von einem Tag halb von kürzester Zeit praktisch alle Ab ins Homeoffice auf den anderen schon mal erlebt? redaktionellen Abläufe geändert ha- Der Großteil der Re- Ich glaube, das hat noch niemand, der ben, von den digitalen Konferenzen bis daktion ist von nun heute in einer Führungsposition ist. zum Homeoffice für die meisten der an im Homeoffice. Es ist ja nicht so, dass nicht jeder Tag Das Führungsteam Kolleginnen und Kollegen. Erstaunlich in meinem Beruf einen Veränderungs- wird in drei Einheiten einfach war es andererseits, weil wir geteilt; physische druck mit sich bringen würde. Aber in alle innerhalb kürzester Zeit gelernt Kontakte gibt es dieser Brutalität und Geschwindigkeit … nur innerhalb eines haben, wie gut sich digital konferieren Teams. lässt, selbst wenn ein physisches Zu- Gibt es auch positive Auswirkungen sammentreffen immer noch einen ge- auf die Arbeitswelt einer Tageszeitung März 2020 haltvolleren Austausch gewährleistet. durch die Folgen der Corona-Pandemie? Technik läuft Auf jeden Fall: Wir haben gesehen, in Damit im Home Waren die Herausforderungen eher welcher Geschwindigkeit wir uns ver- office technisch alles technischer oder organisatorischer klappt, legte sich ändern können. Wir haben nicht nur Natur? die IT ins Zeug. Die alle Prozesse und Arbeitsweisen umge- Beides: Technisch war es am Anfang digitalen Konferenzen stellt; wir haben bei der Stuttgarter Zei- laufen in kürzester schwierig, für so viele Leute VPN-Ver- Zeit reibungslos. tung innerhalb von vier Tagen ein kom- bindungen zu bekommen, was unsere Schwierig ist es ledig- plett neues Buch „Zuhause“ aus dem © Foto: makistock/Adobe Stock IT aber hervorragend gemeistert hat. lich, kurzfristig über Boden gestampft, mit dem wir unsere 200 VPN-Zugänge zu Organisatorisch haben wir beispiels- bekommen. Leserinnen und Leser mit Gedankenfut- weise unsere Führungsmannschaft ter und viel Service für die Tage in ihrer in drei Einheiten verteilt; physische Wohnung versorgt haben. Dafür haben Kontakte gab es nur innerhalb eines wir enorm viel Zuspruch erfahren. Und Teams, die anderen waren in der ers- die Erkenntnisse und Erfahrungen » relevant. 2|2020 POLITIK
Unsere Berichterstat- tung, unsere Einschät- zungen wurden uns aus den Händen gerissen – sowohl frei verfügbare ZUR PERSON Joachim Dorfs geboren 1964 in Essen, ist seit 2008 Chefre- Inhalte als auch Beiträ- dakteur der Stuttgarter Zeitung. Davor war er in leitenden Funktionen beim Handelsblatt tätig, u. a. als Korrespondent in Washington und Paris ge hinter der Paywall. sowie seit 2002 als stellvertretender Chefredak- teur. 2007 hat der studierte Volkswirt das Buch „Die Herausforderer: 25 neue Weltkonzerne, mit denen wir rechnen müssen“ im Hanser-Verlag JOACHIM DORFS, CHEFREDAKTEUR, STUTTGARTER ZEITUNG München herausgegeben. VERLAGSGESELLSCHAFT MBH » für dezentrales Arbeiten werden wir Newsletter haben sich stark steigender sicher für die Zukunft nutzen. Nachfrage erfreut; allein unser Coro- na-Newsletter wurde über 7.000-mal Nach der ersten Phase der Verunsi- abonniert. Und auch der Austausch mit cherung hat das Interesse der Men- vielen Zeitungsleserinnen und -lesern schen an seriösen und verlässlichen war extrem stark. Informationen in ganz Deutschland zunächst stark zugenommen – haben Welche Rolle kommt einer Regional- Sie das bei der Stuttgarter Zeitung zeitung als Mittler zwischen Politik auch gespürt? und Bevölkerung in einer solchen Absolut. Unsere Berichterstattung, un- Ausnahmesituation zu? sere Einschätzungen wurden uns aus Ich finde die Zuweisung von staatspoli- +100 % den Händen gerissen. Wir haben das in den Zugriffszahlen auf unsere In- tischen Aufgaben für die Medien immer schwierig. Unsere Aufgabe ist eine sehr Die Zugriffszahlen halte auf unseren Webseiten gesehen, gute, saubere Berichterstattung, Ein- auf die Webseite der die sich verdoppelt haben – übrigens ordnung, Kommentierung und – wenn Stuttgarter Zeitung haben sich während sowohl frei verfügbare Inhalte als auch nötig – auch Kritik. Unsere Aufgabe ist der Krise verdoppelt. Beiträge hinter der Paywall. Unsere aber nicht, kommunikative Probleme POLITIK relevant. 2|2020 10
der Regierenden auszubügeln. Ich fin- 19. März 2020 das Virus nutzt, um die Menschheit zu de allerdings, dass die Politik nach an- Buchproduktion dezimieren. Aber wir haben schon ge- fänglichen Schwierigkeiten unter dem In gerade mal vier fragt, ob jede Anti-Corona-Maßnahme Strich gut kommuniziert hat. Gleich- Tagen produziert die sinnvoll und notwendig war, warum die Stuttgarter Zeitung wohl war das Interesse an allen Aspek- das Buch „Zuhause“ Kitas nicht früher wieder geöffnet wur- ten der Pandemie enorm, und zwar vor komplett im Home den oder ob man anders aus dem Lock- allem an sicheren Informationen aus office. Gedankenfut- down hätte herauskommen können. ter und viel Service verlässlichen Quellen. für die Leser in ihren Wohnungen. Wie erklären Sie sich, dass ausgerech- Während sich die Bevölkerung in der net in einer der wohlhabendsten Regi- ersten Phase der strengen Kontakt- Anfang April 2020 onen Deutschlands so viele Menschen beschränkungen sehr diszipliniert Neue Plattform offenbar empfänglich für „Wutbür- gezeigt hatte, änderte sich das im Ver- Start der Online- ger“-Botschaften sind? Woher kommt lauf von ein paar Wochen deutlich und plattform „Stuttgart dieses Misstrauen gegenüber dem gemeinsam stark“ die Zahl der Kritiker an den Maßnah- Establishment? von Verlag und men der Regierung ist stark gewach- Redaktion. Die Nach meiner Einschätzung liegt das sen. Stuttgart war und ist eine Hoch- Seite gibt lokalen an einer Kombination aus verschiede- burg dieser wütenden Proteste – war Händlern Raum für nen Faktoren. Zum einen gab es einen ihre Angebote und Ihre Redaktion ebenfalls Zielscheibe bietet Menschen aus Organisator, der schnell auch über- von Kritik und Angriffen? Wie sind Sie Risikogruppen eine regionale Größen wie etwa den You- damit umgegangen? Anlaufstelle für Hilfe. tuber Ken Jebsen in Stuttgart auf die Man muss das einordnen. Die über- Bühne geholt hat. Entsprechend war wiegende Mehrheit der Deutschen 15. Mai 2020 auch viel überregionales Publikum Erste Schritte zurück hat das Regierungshandeln für rich- vor Ort. Hinzu kommt: Der Schwa- tig gehalten, und im internationalen „Zuhause“ sind die be ist nicht so bieder, wie es seinem Menschen nicht Vergleich ist Deutschland extrem gut mehr ganz so oft; der Klischee entspricht. Es gibt hier eine durch die Krise gekommen. Trotzdem Titel für die Sektion selbstbewusste, mitunter auch rebel- gab es natürlich Kritiker, und hier muss verschwindet wieder. lische Bürgerschaft. Und wir haben In der Stuttgarter man differenzieren: Es gab und gibt die Zeitung kommen Kul- dem Kommunikationswissenschaftler Verschwörungstheoretiker und dieje- tur und Sport wieder Frank Brettschneider irgendwann die nigen, die ernsthafte Anliegen haben, stärker zur Geltung. gleiche Frage gestellt. Seine Antwort: sich vielleicht um ihre Existenz sor- Die Stuttgarter seien per se nicht de- gen, nicht wissen, wie sie ihre Kinder FAZIT monstrationsfreudiger als etwa die Veränderung betreuen sollen. Letztere muss man Frankfurter. Wenn es aber einmal sehr ernst nehmen und darf sie nicht In der Krise hat sich eine Protestkultur mit gewachsenen die Redaktion auf ihre mit Ersteren in einen Topf schmeißen. Strukturen gebe, dann erhöhe das die Stärken besonnen. © Foto: Stuttgarter Zeitung Das ist extrem wichtig. Wir haben uns Eine schnelle Reaktion Wahrscheinlichkeit weiterer Kundge- redaktionell bemüht, die Fragen aufzu- ist in solchen Phasen bungen. Und eine Protestkultur gibt es greifen, die dort gestellt wurden, ohne extrem wichtig. wirklich in Stuttgart: Die Gegner von Gleichzeitig sind den Verrückten hinterherzulaufen. Wir Veränderungen auch Stuttgart 21 waren inzwischen mehr haben also nicht geprüft, ob Bill Gates leichter umzusetzen. als 500-mal auf der Straße. « 11 relevant. 2|2020 POLITIK
Gemeinsam gegen die Pandemie WISSEN Der Landkreis Heinsberg im äußersten Westen der Bundes- republik war der erste Corona-Hotspot. Von den Erfahrungen, die hier gemacht wurden, profitierten im weiteren Verlauf der Pandemie auch die anderen Landesteile. VON ANDREAS MÜLLER D ie Nachricht erreichte unsere durchgespielt, welche Folgen eine Pan- Redaktion am Abend des Ro- demie in unserem Verbreitungsgebiet senmontags, also mitten im für uns hätte. Am Abend des Rosen- rheinischen Karneval: „Im Kreis Heins- montags wurde uns schnell klar, dass berg ist bei zwei schwer erkrankten unsere Planspiele nun Realität wurden. Menschen eine Infektion mit Covid-19 Nach ersten Gesprächen mit dem nachgewiesen worden. Bei dem Ehe- Landrat des Kreises Heinsberg und paar handelt es sich um langjährige seinen Kollegen in den benachbar- Nach anfänglicher Geschäftspartner des Medienhauses ten Kreisen begannen wir 24 Stunden Begeisterung über Aachen. Beide kämpfen um ihr Leben. nach Eingang der Erstinformation da- das Homeoffice kann sich die Mehrheit der Und beide haben noch wenige Tage mit, unser Haus in den Krisenmodus Mitarbeiter nur mehr zuvor in ihrem Heimatort Gangelt eine zu versetzen: Einberufung des inter- ein bis zwei Tage pro Karnevalssitzung besucht.“ nen Krisenstabs, Einrichtung von Ho- Woche vorstellen, Schon Wochen vor dem Ausbruch hat- meoffice-Plätzen, Neuordnung aller von zu Hause aus zu arbeiten. Der ten wir vor dem Hintergrund der Ent- Vertretungsregelungen, strikte Tren- Kontakt zu Kollegen wicklungen im chinesischen Wuhan nung von Schichten in Druckerei und fehlt. im Führungskreis unseres Hauses Versand, Ausgabe von Schutzmateria- POLITIK relevant. 2|2020 12
Miteinander statt gegeneinander: In Heinsberg gab es viel Solidarität und Ver- trauen in der Krise. lien, Zugangsbeschränkungen im Ge- gut. Erste Informationen erreichten bäude. Das volle Programm, das nach uns in der Geschäftsführung teilweise und nach in allen Unternehmen in morgens um sieben Uhr, wenn sich die Deutschland zum Standard wurde. Krisenstäbe über die Entwicklungen der Nacht informierten. Austausch mit Krisenstäben Mehrfach täglich kommunizierte un- Fragen über Fragen ser Führungsteam mit den Leitern der In den ersten Tagen galt unser Fokus in unserem Verbreitungsbiet (Stadt einer Großveranstaltung, die drei Wo- Aachen, Städteregion Aachen, Kreis chen nach Bekanntwerden der ersten Heinsberg, Kreis Düren) gebildeten Infektion in Aachen durch unser Haus Krisenstäbe sowie deren Pressespre- ausgerichtet werden sollte: eine große Die 34. Ausgabe der chern, die allesamt einmal Redakteure Verbraucherschau mit gut 250 Ausstel- Euregio Wirtschafts- schau findet nun von unserer Zeitungen waren. Von der ers- lern und bis zu 70.000 Besuchern an 5.–14. März 2021 in ten Stunde an herrschte hier ein un- zehn Tagen. Täglich diskutierten wir mit Aachen statt. gewöhnlich vertrauensvoller Umgang, den Krisenstäben, ob wir die Veranstal- denn alle Beteiligten kannten sich sehr tung absagen oder ausrichten sollten. » 13 relevant. 2|2020 POLITIK
Es hätte jeden von uns treffen können. Das Ehepaar ist selber Opfer des Virus. Beide sind nicht Auslöser dieser Krise, sondern haben sich selbst bei irgend jemandem angesteckt. STEPHAN PUSCH, LANDRAT DES KREISES HEINSBERG Nachdem in den sozialen Medien unsachliche Vorwürfe gegen die ersten beiden Covid-19-Patienten im Kreis Heinsberg veröffentlicht wurden, stellte sich Stephan Pusch in einer Pressekonferenz schützend vor das aus Gangelt stammende Ehepaar. » Allen Beteiligten war bewusst, wel- von Tageszeitungen und/oder Anzei- che wirtschaftliche Bedeutung eine genblättern in ein Gebiet wie den Kreis solche Veranstaltung hat und welche Heinsberg zu schicken, in dem die Zahl Signalwirkung von einer Absage aus- der Infizierten und mittlerweile auch To- gehen würde. Allen Beteiligten war aber ten täglich stieg? Werden wir in der Lage auch klar, welche Risiken mit einer Aus- sein, weiterhin regulär zu produzieren? richtung verbunden waren. Die „Euregio Bleibt der Grenzübertritt für die Mitar- Wirtschaftsschau“ wurde erst drei Tage beiter, die in Belgien oder in den Nieder- Der BDZV hat sich eng mit seinen zehn vor der Eröffnung abgesagt. Neben die- landen wohnen, weiter möglich? Landesverbänden sem Thema beschäftigten uns aber auch ausgetauscht und noch andere Fragen: Dürfen wir wei- Intensivere Kommunikation die Situation vor Ort in allen Regionen ter unsere Zeitungen überall zustellen? Am Rande einer Sitzung des Aache- beobachtet. Können wir es verantworten, Zusteller ner Krisenstabs simulierte ein Poli- zeibeamter, was ein zum damaligen Zeitpunkt diskutiertes weitreichendes Ausgehverbot für Folgen hätte. Ange- sichts der gespenstischen Szenarien wuchs bei uns die Sorge um unseren ZUR PERSON Andreas Müller Hauptstandort. Wäre ein Gebäude, das wegen der Ausgangssperre komplett 1983 Einstieg als Volontär in die Redaktion der Aachener Nachrichten. Danach diverse leer steht und nur von einem Pförtner Funktionen in nahezu allen Verlagsbereichen „bewacht“ wird, nicht ein willkomme- von Tageszeitung und Anzeigenblättern der nes Objekt für Einbrecher? Schon frü- Unternehmensgruppe in Deutschland und in den Niederlanden. Seit 2008 Geschäftsführer her hatten wir damit in einer unserer der Medienhaus Aachen GmbH. Druckereien Probleme. Wir bereiteten POLITIK relevant. 2|2020 14
Arbeiten in kleinen Teams: Immer sechs Mitarbeiter waren uns deshalb darauf vor, dass neben „Vertrauen Sie AZ und AN“ insgesamt im Ver- lagshaus und in der dem Pförtner rund um die Uhr sechs Unsere Initiative führte dazu, dass der Druckerei anwesend weitere Mitarbeiter das Verlagshaus schon vertrauensvolle Umgang noch – auch um vor Ein- und die Druckerei schützen sollten – vertrauensvoller wurde. Unsere Re- brechern geschützt zu sein. und orderten Feldbetten und „Proviant“ daktion erhielt „inoffiziell“ Informatio- für den Fall des Falles. nen, die anderen Medien verschlossen Es dauerte nicht lange, bis in den so- blieben. Nicht nur aus den Krisenstä- zialen Medien die ersten falschen ben der Kommunen, sondern auch Horrorgeschichten über die Zahl der aus den Krankenhäusern, in denen Toten sowie zweifelhafte Schutzmaß- die schwersterkrankten Menschen der nahmen veröffentlicht wurden. Den Region behandelt wurden. Das hatte örtlichen Behörden wurde schnell klar, einen enormen Einfluss auf die Quali- dass sie noch intensiver mit den Bür- tät unserer Berichterstattung und auch gern kommunizieren mussten als in auf die Entwicklungen des Lesermark- den Tagen zuvor. Die Möglichkeiten tes. Wenn ein Behördenleiter, der zuvor der Behörden waren hier allerdings eher als Kritiker von Aachener Nach- sehr beschränkt. Spontan boten wir richten und Aachener Zeitung galt, in allen Krisenstäben an, dazu kosten- einer internen Sitzung gegenüber sei- los „Anzeigen“ in unseren Tageszei- nen Mitarbeitern betont: „Vertrauen Sie tungen und Anzeigenblättern zu nut- ruhig AZ und AN“, dann wirkt das wie © Fotos: Medienhaus Aachen zen. Sie nutzten beide Gattungen. Die ein Vertrauens-Booster auf die Aufla- Anzeigenblätter, um Ratschläge flä- genentwicklung. chendeckend zu kommunizieren. Die Alle Kliniken suchten für den Fall des Tageszeitungen, um tagesaktuell zu Falles zusätzliches Personal. Dazu kommunizieren. wurde von den Krisenstäben in der » 15 relevant. 2|2020 POLITIK
+25 % INFO Auflagenentwicklung Steigerung der vollzahlenden Paid-Content- und E-Paper- Kunden konnte das Medien- haus Aachen von Februar auf Juli 2020 verzeichnen. Anfangs stark von der Corona-Berichterstattung beeinflusst, ist es heute vor allem die konsequente re- daktionelle Ausrichtung auf lokale Themen, die für eine Steigerung der digitalen Neukundenproduktion um gut 40 Prozent verantwortlich ist. Bei einer Haltbarkeit von durchschnittlich 77,3 Prozent nach drei Monaten gelingt es aktuell auch, diese Kunden längerfristig im Abonnement zu halten. Im gleichen Zeitraum haben sich die Verluste in der Printabonnement-Auflage um gut 10 Prozent gegenüber den Vormonaten verringert, was in der Gesamtbetrachtung von Digital und Print mit derzeit 87.175 Kun- den trotz Preiserhöhung im März zu einem steigenden Kundenbestand führt (vgl. 03/20: 87.028). » Region eine Koordinierungsstelle tabel durch die Helfer erledigt werden beim Deutschen Roten Kreuz einge- konnten. Und auch das hatte wieder richtet. Hier sollten sich Menschen Auswirkungen auf die krisenbedingte mit beliebiger medizinischer Qualifi- Zusammenarbeit zwischen den Behör- kation melden. Geplant war, dass die den und dem Medienhaus der Region Rotkreuzler die Profile der Bewerber Aachen. Diese hält bis heute an. telefonisch aufnehmen und dann auf Mittlerweile werden die Anzeigen Papierformulare übertragen sollten. seitens der Behörden bezahlt. Bei der Bei Anforderungen seitens der Klini- Aufarbeitung des bisherigen Verlaufs ken sollten die Mitarbeiter dieser be- der Pandemie ernten wir von allen hördlichen Koordinierungsstelle die Seiten viel Lob. Und alle kommunalen Qualifizierten aus den Aktenordnern Spitzenpolitiker denken mit uns dar- 5 Tage heraussuchen. Alle zuvor diskutierten digitalen Möglichkeiten scheiterten über nach, wie wir bei der gebotenen kritischen Distanz zwischen Politik/ nach Start des Lock- downs ging das Por- daran, dass sich die Behörden nicht in Verwaltung und Medien gemeinsam tal „Aachen handelt“ der Lage sahen, auf die Schnelle eine daran arbeiten können, das Gemein- online. Parallel dazu technische Lösung bereitzustellen. wesen in Deutschland lebendig und entstand eine Ver- netzungsplattform Wir gingen wieder in Vorleistung: Die funktionsfähig zu halten. im Bereich „medizini- Programmierer des Medienhauses Aa- Die daraus entstandenen Projekte hel- sches Fachpersonal“ chen bauten innerhalb von 36 Stunden fen uns, einen kleinen Teil unserer für die Krisenstäbe und das Deutsche eine Onlinelösung auf, mit der diese Ar- Ausfälle auf dem Werbemarkt zu kom- Rote Kreuz. beiten automatisiert und sehr komfor- pensieren. « POLITIK relevant. 2|2020 16
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„In der Krise hat sich aus gezahlt, dass der BDZV schon länger digital aufgestellt ist“ ANWENDUNG BDZV-Geschäftsführerin Katrin Tischer spricht im Interview über die Herausforderungen in der Corona-Krise, wie der Verband reagiert hat und welche Lösungen auch künftig Bestand haben werden. INTERVIEW VON WOLFRAM A. ZABEL F rau Tischer, die Corona-Krise, verstreut. Die erste Herausforderung und hier besonders der Shut- bestand also darin, unsere Arbeitsfä- down, hat Verbände vor beson- higkeit sicherzustellen, technisch und dere Herausforderungen gestellt. Wel- prozessual die plötzlich im Wohn- und che waren das für die Arbeit des BDZV? Arbeitszimmer sitzenden Kolleginnen Wie die meisten waren wir es ge- und Kollegen wieder an alle Workflows wohnt, gemeinsam in einem Haus zu anzubinden. arbeiten: physische Präsenz, kurze Wege und eine schnelle Erreichbar- Wie ist Ihnen dies gelungen? keit. Von einem auf den anderen Tag Durch schnelles Handeln. Als deutlich fiel dies komplett weg, plötzlich waren wurde, dass ein Arbeiten im Büro nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr möglich sein wird, haben wir die Computer aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit VPN-Zugängen ausge- stattet. Einige davon habe ich selbst Mit Beginn der Krise konnten wir auf den Kollegen nach Hause gebracht. den Punkt den gestiegenen Informa- © Foto: Frank Nürnberger Es hat sich ausgezahlt, dass sich der BDZV bereits seit geraumer Zeit digita- tions- und Abstimmungsbedarf unserer ler aufgestellt hat: mit entsprechenden Mitglieder organisieren und realisieren. Kommunikationstools und digitalen KATRIN TISCHER, BDZV-GESCHÄFTSFÜHRERIN Formaten. Diese haben wir während POLITIK relevant. 2|2020 18
Katrin Tischer erläu- tert im Gespräch, mit welchen Maßnahmen des Shutdowns ausgebaut, zum Bei- fen, von der Pandemie betroffen sind: der BDZV seine Arbeitsfähigkeit spiel mit unserem täglich morgens Arbeitsrecht, Sozialpolitik, Medienpo- sichergestellt hat. stattfindenden „Covid-Call“. Für unsere litik, Kommunikation, Leser- und Wer- Mitglieder bieten wir zudem wöchent- bemarkt. Es gibt kein Thema, das von liche, themenspezifische Webinare der Krise verschont bleibt, da ist eine und Adhoc-Calls zu wichtigen Themen tägliche Abstimmung aller Bereiche an. Mit Beginn der Corona-Krise konn- unerlässlich. Wenn sich die Wirtschaft ten wir auf den Punkt den gestiegenen im Krisenmodus befindet, rückt die Informations- und Abstimmungsbe- Daseinsberechtigung eines Verbandes darf unserer Mitglieder entsprechend noch einmal mehr in den Fokus als zu organisieren und realisieren. normalen Zeiten. So ist es dem BDZV äußerst schnell gelungen, die System- Was ist der Covid-Call? relevanz der Zeitungen bei Politik und Der Covid-Call ist eine tägliche virtu- Verwaltung zu verankern. Dadurch war Der neue Covid-Call elle Zusammenkunft der Geschäfts- es unseren Mitgliedern möglich, nicht als tägliches Dia- loginstrument für führung und aller Ressortleiter der nur täglich eine Zeitung zu produzie- die BDZV-Führung BDZV-Geschäftsstelle, der unsere wö- ren, sondern auch zu drucken und zu- wird auch in Zukunft chentliche Hauskonferenz abgelöst zustellen. Außerdem haben wir die Be- weitergeführt. hat. Wir haben sehr schnell festgestellt, deutung der Verkaufsstellen adressiert dass alle Themenbereiche, die in der und aufgeklärt, dass das Virus nicht an BDZV-Geschäftsstelle zusammenlau- Papier haftet. » 19 relevant. 2|2020 POLITIK
Mit einer guten Portion Mut für Neues und Teamgeist sind wir gut gerüstet, um auch künftige Herausforderungen zu meistern. KATRIN TISCHER, BDZV-GESCHÄFTSFÜHRERIN » Auf politischer Ebene wurde die onsfluss in die Mitgliedschaft hinein. Rolle des Föderalismus in der Pande- Auch die verschiedenen Learnings und mie teilweise kritisiert. Übertragen Best Practices konnten wir als kom- auf die Verbandslandschaft: Welche munikativer Dreh- und Angelpunkt Bedeutung hatte das Zusammenspiel schnell verteilen: Was läuft in Bayern zwischen dem BDZV und seinen Lan- anders als in NRW und umgekehrt, zu desverbänden? welchen länderspezifischen Entwick- Eine sehr große Bedeutung. Bereits lungen lassen sich Analogien bilden, bei den bisherigen Herausforderungen um nur zwei Beispiele zu nennen. Ins- funktioniert die Aufgabenverteilung gesamt gab es immer eine zügige und Die föderale Struktur gut. Der BDZV und seine Landesver- zeitnahe Abstimmung, die dem ge- des BDZV und seiner bände ergänzen sich hervorragend. meinsamen Anliegen eine zusätzliche Mitgliedsverbände war eine wichtige Während des Shutdowns hat die Zu- Schlagkraft verliehen hat. Basis, um auf unter- sammenarbeit eine neue Qualität er- schiedlichen Ebenen reicht. Als zentraler Ansprechpartner Viele Verbände haben Mitgliederver- die Politik adressie- für die Politik konnte der BDZV die un- sammlungen und Tagungen ausfallen ren zu können. terschiedlichen Entwicklungen in den lassen, der BDZV nicht. Besonders be- einzelnen Bundesländern analysieren merkenswert war, dass Sie die beBETA und daraus Schlüsse für das weitere virtuell durchgeführt haben. Welche Vorgehen ziehen. Umgekehrt ermög- Herausforderungen mussten Sie dafür licht unsere föderale Verbandsstruktur meistern? einen besonders schnellen Informati- Nachdem relativ schnell klar war, dass eine Präsenzveranstaltung so nicht mehr stattfinden konnte, haben wir Al- ternativen geprüft. Dabei reichten die © Fotos: Frank Nürnberger, Privat Überlegungen von einer klassischen Onlinekonferenz via Zoom bis hin zu ZUR PERSON Katrin Tischer aufwendigeren Formaten. Wir haben innerhalb von zwei Monaten ein kom- Katrin Tischer verantwortet als BDZV-Geschäftsführerin den Fach- bereich Märkte. Ihr Team fokussiert die Bereiche Vertrieb, Anzeigen, plett neues Konzept aus dem Boden Digitales, Forschung, Analyse und Database (Print & Digital). gestampft, obwohl die Location bereits POLITIK relevant. 2|2020 20
gebucht und das Programm für zwei Tage geplant waren. Diese Neuorgani- sation haben wir in der Hochphase der ersten Corona-Welle realisiert, das war schon eine echte Herausforderung mit sehr vielen Hürden und so manchem Nervenkitzel. Das Motto war: Einfach machen! Wir haben unterschiedliche Teams gebildet, die Abstimmungen über Telefon- und Webcalls organisiert und die gemeinsame Projektarbeit über ein digitales Kanban-Board abgewickelt. Die Konferenz wurde ein großer Erfolg und ein wesentlicher Erfolgsfaktor war hierbei echtes Teamwork. Hier mei- ne ich Teamwork im weitesten Sinne: Die engagierte Unterstützung aus der Mitgliedschaft durch Thomas Düffert, Vizepräsident des BDZV, war sehr in Der BDZV bietet spirierend und gewinnbringend. seinen Mitgliedern seit der Corona-Krise Unter anderem bemisst sich der Erfolg grund, dass wir nicht von einer exter- verschiedene digitale Formate für Dialog eines solchen Formats auch an der nen Agentur unterstützt wurden, son- und Erfahrungsaus- Teilnehmerzahl. Wie viele Gäste hat- dern alle Anforderungen mit unseren tausch. ten Sie auf der Onlineveranstaltung? verbandsinternen personellen Res- Wir hatten bereits im Vorfeld über 1.200 sourcen bewältigt haben ... Anmeldungen für die beBETA – in der Spitze waren es fast 900 Teilnehmer, Wie ist die beBETA außerhalb der ver- die unsere Veranstaltung verfolgten. bandseigenen Community aufgenom- Unterm Strich sind das exzellente men worden? Zahlen und auch ein Beleg dafür, dass Sehr gut. Wir haben unseren Teilneh- es uns gelungen ist, ein attraktives, merkreis deutlich über die klassischen spannendes und informatives Format Mitglieder hinaus erweitern können umzusetzen. Am Ende hat alles ge- und auch insgesamt viel Lob für die stimmt: die umsichtige Organisation, Veranstaltung erhalten. Das ist für die technische Basis, die Dramaturgie, uns auch eine wichtige Basis, um un- die professionelle Umsetzung und der serem neuen Verbandsnamen, der erfolgreiche Dialog mit den Speakern mittlerweile auch die Digitalpublisher und Teilnehmern. umfasst, gerecht zu werden. Diesen Wenn man bedenkt, dass wir von der Beweis haben wir erbracht. Mit ei- Das Interview Planung bis zum Veranstaltungster- ner guten Portion Mut für Neues und führte Wolfram A. min gerade einmal zwei Monate Zeit Teamgeist sind wir gut gerüstet, um Zabel, Journalist und Kommunikati- hatten, sind wir mit dem Resultat sehr auch künftige Herausforderungen zu onsberater, Inhaber zufrieden – vor allem vor dem Hinter- meistern. « 74z Consult. 21 relevant. 2|2020 POLITIK
Vom Leser lernen MEINUNG Ein Virus kennt keine Grenzen. Für die Eindämmung von Covid-19 ist das ein Nachteil, für das gegenseitige Lernen aus der Krise von Vorteil. Ebenso für Medienhäuser: Ähnliche Problemlagen, gleiche Ziele, unterschiedliche Lösungsansätze befeuern das Lernen voneinander. Auch grenzüberschreitend, zeigt der Blick ins europäische Ausland. VON ANDREA GOURD Z usammenarbeit ist entschei- trierung fällig. Und wer an die Grenze dend“, meint mit Stijn Vercamer, von fünf Freiartikeln im Monat stößt, Digital Director beim belgischen bekommt postwendend ein günstiges Verlagshaus Mediahuis, einer, der sich Abo-Angebot. auskennt im Markt. Mit regionalen und nationalen Zeitungen, Rubrikenporta- Ohne Nutzeranalysen geht nichts len und Magazinen ist Mediahuis in Essenziell ist für Vercamer dabei eine fünf europäischen Ländern vertreten flexible Preisstrategie. Er spricht von ei- und erreicht täglich etwa zehn Millio- ner smarten Paywall und davon, dass es nen Menschen. Oder mehr, wenn gera- eben keine „one size fits all Paywall so- de Corona das Leben und die Nachrich- lution“ gebe. In der Corona-Ausnahme Wie das Verlagshaus tenlage beherrscht. Auch für Mediahuis situation hat Mediahuis seine Preispo- die gestiegenen kam mit dem Lockdown der Höhenflug litik daher angepasst. Standardmäßig Reichweiten für die Konvertierung der digitalen Reichweiten – und eine gibt es ein Promo-Angebot mit 50 Pro- neuer Digitalkunden nahezu Verdreifachung der digitalen zent Rabatt. In der Corona-Krise wurde genutzt hat, erklärte Abschlüsse. Mit 4.000 und mehr neuen der Einstiegsmonat mit nur einem Euro Stijn Vercamer vom Mediahuis in Antwer- Abonnenten pro Woche war das Virus berechnet. Immer das Ziel vor Augen, pen in der Webi- ein kräftiger Treiber für die Paid-Con- den neuen Covid-19-Lesern den Weg ins nar-Reihe „Wissens- tent-Strategie der Belgier. Unter an- Abonnement zu ebnen. Ein erfolgrei- WERT“, mit der BDZV derem deshalb, weil Media huis sich ches Stufenkonzept, wie der Abo-Boom und ZV Akademie ihre Mitglieder auch in der Krise gegen eine Absenkung seit März zeigt. Um aus den Neukunden in der Corona-Zeit der Paywall entschieden hatte. Die aber auch loyale Dauergäste auf den regelmäßig mit wich- wichtigsten Covid-19-Infos sind frei hauseigenen Websites zu machen, hat tigen Insights von Ex- perten versorgten. zugänglich, für ausführliche Berichte Vercamer ein weiteres Rezept: testen, und Premium Content ist eine Regis- was das Zeug hält. Und alles messen, MARKT relevant. 2|2020 22
Bindung. Die Lese-Intensität hat sich während des Lockdowns auf mehr als zehn Artikel täglich gesteigert. Die Mediahuis-Antwort darauf war, noch mehr Nicht-Corona-Inhalte zur Verfü- gung zu stellen. Und, auch das ist für Vercamer eine klare Erkenntnis: „Digi- tal first is not good enough any more. It has to be mobile first.“ Der Zugriff via Smartphone habe überproportional zugenommen, also müssten auch alle Formate mobiloptimiert sein. There is no such thing as a ‚one size fits all Paywall solution‘. The Paywall is a gateway, but content is key. STIJN VERCAMER, DIGITAL DIRECTOR MEDIAHUIS, ANTWERPEN, BELGIEN was irgendwie messbar ist. Sein Augen- Loyalität erhöhen merk gilt detaillierten Nutzeranalysen Die wichtigste aller Fragen: Wie schafft – und dem intensiven Bemühen um je- man es, die neu hinzugewonnenen den einzelnen Leser. Leser dauerhaft bei der Stange zu hal- Was lesen die User, wann, wie und ten? Für die „Corona-Subscribers“ hat wie viel lesen sie, was ist der beste Mediahuis ein intensives „Bleib bei Einstiegs-, was ein realistischer Abo- uns“-Programm ausgearbeitet. Sein Um neue Kunden Preis? Mit seinen Datenanalysen gene- Kern: User immer wieder zu aktivieren. direkt zu binden, bekommen sie riert Mediahuis wertvolles Wissen für Mit einem täglichen Corona-News- regelmäßig Post von die Kundenbindung. So sind die durch letter, einer Zufriedenheitsbefragung Mediahuis: Neben Corona neu gewonnenen Kunden innerhalb der ersten 30 Abo-Tage und dem Corona-News- letter auch Mails mit durchaus nicht nur am Virus-Thema einer Extraportion Aufmerksamkeit Hinweisen auf span- interessiert, sondern lesen regelmäßig für Nutzer, die das journalistische An- nende Artikel. „To auch andere Inhalte – eine wichtige gebot an weniger als drei Tagen in der keep them reading“, Voraussetzung für eine langfristige Woche nutzen. Auf Leserrückmel- » so Vercamer. 23 relevant. 2|2020 MARKT
10 Guiding ben. Abo-Kündiger müssten auf jeden Fall weiter im Blick bleiben, appelliert Vercamer. Für Mediahuis gelte jeden- Principles falls, dass jeder Aussteiger definitiv weitere Angebote bekomme, um wie- des Svenska Dagbladet der an Bord zu kommen. Aktivieren und reaktivieren ist die Zauberformel, 1 Our readers are our focus so scheint es. You always see twice – 2 We are always relevant wenn es nach dem Verlag geht. 3 We add something unique Klare Leserorientierung 4W e respect our readers‘ ability beim Svenska Dagbladet Die Idee dahinter to think for themselves Auch etwas weiter im Norden hat Co- „The smart news experience“ nennt 5W e provide several multiple rona den Blick für die Bedürfnisse der das Svenska Dagbla- perspectives Leserinnen und Leser noch weiter det sein Projekt, mit geschärft. Für das Svenska Dagbla- dem bis 2022 alle 6 We care about our readers‘ time det aus Stockholm galt schon vor der Weichen auf „digital“ gestellt werden. Eine 7 We care about quality Pandemie die Maßgabe, dass auf lan- digitale Landkarte 8 We are transparent ge Sicht nur eine starke Marktposition zeichnet die Etappen im Digitalen wirtschaftlichen Erfolg vor. Die zehn Leitsät- 9 We collaborate verspricht. Den Weg dahin beschreibt ze geben übergeord- nete Orientierung. 10 We dare to try new things ein Programm mit zehn Leitlinien (sie- he Auflistung links). Dessen oberster Grundsatz: Our readers are our focus. Die absolute Leserorientierung stehe über allem, betont Anna Careborg, CEO und Chefredakteurin des Svenska Dag- » dungen und Anregungen geht der bladet. Aber nicht die Gelegenheitsle- Verlag intensiv ein. Schnell zu sein ser, sondern digital aktive Abonnenten und proaktiv tätig zu werden, gehört sind das Ziel: Leser, die an mehr als vier für Vercamer zu den wesentlichen Er- Tagen pro Woche die journalistischen Das Leseverhalten folgsfaktoren, um Kunden zu halten. Angebote der zum Schibsted-Konzern ist ein wichtiger Wer dennoch aus dem Abonnement gehörenden Zeitung nutzen. Und was Indikator: Je weniger aussteigen möchte, kommt um einen zieht sie an? Guter Journalismus, ist © Foto: Lindisima - Linda Broström ein Abonnent das persönlichen Kontakt zum Kunden- sich Careborg sicher. Relevanter, in- Angebot nutzt, desto größer ist das Risiko, service nicht herum. Der ist geschult, vestigativer, auf die Bedürfnisse der dass er bald kündigt. Aussteiger möglichst zu halten – auch Nutzerinnen und Nutzer ausgerichte- Der „roten Gruppe“ mit preislich gestaffelten Angeboten. ter Journalismus. Was genau sie gerne der Wenig-Leser gilt daher besonderes Und wer sich trotzdem verabschiedet, lesen, hat die schwedische Zeitung in Engagement. wird noch lange nicht verloren gege- reichlich Leserbefragungen und noch MARKT relevant. 2|2020 24
Our vision: An open and democratic society with investigative and independent journalism. ANNA CAREBORG, CEO UND CHEFREDAKTEURIN SVENSKA DAGBLADET, STOCKHOLM, SCHWEDEN mehr Datenanalysen ergründet. Es ihn beschleunigt. Quasi im Zeitraffer sind vor allem die ausführlichen Re- hat das Virus weitere Lerneffekte pro- cherchen und vertiefenden Geschich- duziert. Dass die Menschen in der Krise ten, die Leser faszinieren und für die den lösungsorientierten, konstruktiven sie bereit sind zu zahlen. Journalismus besonders nachfragen – Die Antwort des Svenska Dagbladet: und trotz des großen Infobedarfs rund Für eine erfolgreiche ein massiver Ausbau der Redaktion, um Covid-19 eben auch andere Inhal- Marktposition im Digitalen braucht es ressortübergreifende Team-Zusam- te suchen und angeboten bekommen agiles Umdenken – mensetzungen und Investition in neue möchten. So konnte das Svenska Dag- und Geld. Vor allem journalistische Formate. Vor allem in bladet mit einer einfachen Hinweis- in die Produktent- wicklung haben die solche, die den Dialog mit den Lesern box auf die Top-30-Artikel der Zeitung Schweden mit neuen und ihre Bindung forcieren – indem – darunter auch ältere – viele Abon- Analysetools und sie digitale Gewohnheiten festigen. Das nenten gewinnen. Auch Video-Events, dem Ausbau der funktioniert zum Beispiel mit dem tägli- Angebote zur Unterhaltung und für Redaktion investiert. Ihr Learning: „People chen Morgen-Newsletter für Abonnen- Kids brachten gute Conversions. Eine are willing to pay for ten: Bis zu 71.000 Abonnenten versorgt abteilungsübergreifende Taskforce be- quality journalism „The SvD Morning Report“ morgens um schäftigt sich ausschließlich damit, – but they have to think it is worth it!“ halb sieben mit den wichtigsten News. wie man neue Abonnenten anzieht – 90 Sekunden intensive Leserbindung. und wie man sie hält. Das funktioniert Entwickelt wurde der Newsletter mit- gut. Mit einem Plus von 130 Prozent bei hilfe von mehr als 15.600 Leserrück- den Digitalabos habe Corona die digi- meldungen. Das sei eine neue Art, tale Route der Schweden beschleunigt, Feedback wirklich ernst zu nehmen, freut sich Careborg: „The Corona crisis meint Careborg. Und ein Weg, den sie has strengthened us – now we have to weiter beschreiten möchte. Corona hat move even faster.“ « 25 relevant. 2|2020 MARKT
Danke für Ihr erhebliches Engagement, eine informative Sie machen Ich finde es toll, wie und zuverlässige Zeitung einen tollen Job. differenziert und um- weiterhin herauszugeben. Bitte berichten fassend Sie zum Thema Sie auch weiter- Corona informieren – hin sachlich auch bei Themen, die und kritisch. in anderen Medien eher unter den Tisch fallen. Die Zeitung ist im Moment ein echter Ruhepol. Ich weiß, ich kann mich auf Wie ein Virus die die Zeitung verlassen. Lesernähe stärkt WISSEN Der Kampfansage durch Covid-19 sind viele Zeitungen mit besonderer Agilität begegnet. Auf dem Lesermarkt und in ihren eigenen Häusern haben sie damit viel bewegt. VON ANDREA GOURD N icht immer sind Leserbriefe so Wandlungsfähig in der Krise aufmunternd wie die Beispiele Das ist den meisten Zeitungen in der oben. Aber auch das ist eine Be- Corona-Hochphase in einer Weise ge- gleiterscheinung der Pandemie: Viele lungen, wie man es ihnen ohne dieses Zeitungen bekamen für ihre journalis- Krisenszenario vielleicht nicht zuge- Mit umfangreichen tische Arbeit unter extrem erschwerten traut hätte. Das Virus wurde zum un- Informationen zu Bedingungen mehr geäußerte Anerken- geplanten Stresstest für die Verlage. Rechtsfragen, Anzei- genkampagnen und nung als sonst üblich. In einer Krisen- Immerhin galt es für sie, (mindestens) Studien zur Bedeu- situation systemrelevant zu sein, heißt zwei Herausforderungen gleichzeitig tung der Zeitungen eben auch, unmittelbar in der Lebens- zu meistern: Eben jene journalistische hat der BDZV seine welt der Menschen verankert zu blei- Aufgabe zu erfüllen und die eigenen Mitgliedsverlage in der Krisenzeit inten- ben. Lokaljournalismus soll die großen Strukturen innerhalb von Tagen so an- siv unterstützt. Themen für die Menschen vor Ort he zupassen, dass dies auch organisato- runterbrechen, heißt es. Zeigen, welche risch möglich ist. Ein Kraftakt auf meh- Konsequenzen politische Entscheidun- reren Ebenen. Die Redaktion aus dem gen vor der eigenen Haustür haben. dezentralen Homeoffice war völliges Oder eben: Was eine weltweite Pande- Neuland. Druck, Logistik, bis hin zum mie für den eigenen Alltag bedeutet. Einwurf in die Briefkästen, mussten als MARKT relevant. 2|2020 26
Teil der „kritischen Infrastruktur“ auch im Shutdown aufrechterhalten werden. „Zeitungmachen ging bisher anders“, überschreibt die Frankfurter Allgemei- ne Zeitung ihren Erfahrungsbericht zum Arbeiten aus der Distanz. Aber es bleibt die Erkenntnis: Es geht auch anders. Mit mobilem Arbeiten, neuen Tools und Kommunikationsformen innerhalb der Medienhäuser, innovati- ven Formaten für die Leser, der Abkehr vom Terminjournalismus. Nicht leicht für eine Branche, die im Ruf steht, bei Neuerungen vorsichtig, gar träge zu sein. „In der Krise ist unsere Angst vor Für uns war Corona eine Bestätigung Veränderung gewichen“, so Swantje der These, dass wir vor allem für die Dake, Chefredakteurin Digital bei der regionalen und lokalen Themen gelesen Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nach- richten. Und: „Die Krise war der Auslö- werden. Die Frage, was die globale Pan- ser für einen enormen Energielevel, den demie für mich vor Ort bedeutet, kann wir jetzt halten müssen.“ Auch für Steffi nur die lokale Zeitung beantworten. Dobmeier, stellvertretende Chefredak- SWANTJE DAKE, CHEFREDAKTEURIN DIGITAL, teurin und Leiterin digitale Inhalte und STUTTGARTER ZEITUNG/STUTTGARTER NACHRICHTEN Strategie bei der Schwäbischen Zeitung, ist das eines der wichtigsten Learnings. „Wir haben gemerkt, dass wir uns viel schneller verändern können, als wir das gedacht haben. Wir können uns schnell anpassen, schnell neue Strukturen und Jahren auf die Portale gekommen, das Themen aufsetzen.“ Das wirke in die Publikum sei insgesamt weiblicher ge- Zukunft, denn „das, was wir in dieser worden und die Mobilnutzung habe ge- Zeit über die Möglichkeiten des Digita- genüber der Desktopnutzung deutlich len, agiles Arbeiten und Anpassungsfä- zugelegt, stellt Dobmeier für die Schwä- higkeit lernen, wird uns und auch den bische Zeitung fest. Außerdem kamen Journalismus nachhaltig verändern“. die User häufiger und blieben länger – Das klingt ermutigend. Auch die jour- nalistische Leistung im Angesicht der Pandemie macht Mut. Die Blätter und die Nutzung hat sich intensiviert. Zahlungsbereitschaft gestiegen + 80 % Mit Nutzer-Zuwäch- Portale lieferten die so dringend benö- Es wurde nicht nur heftig geklickt, es sen von 80 Prozent und mehr erreich- tigten Fakten und Einordnungen und wurde auch bezahlt dafür. Zuwäch- ten die digitalen wurden belohnt mit einem Reichwei- se bei den Print-, mehr noch bei den Zeitungsangebote im ten-Boost. Nicht nur die Zahl der Leser, E-Paper-Abos zeugen davon. Mit ei- März wöchentlich bis © Foto: StZ/StN auch die Nutzer selbst haben sich ver- nem Plus von 20,8 Prozent sind die zu 46 Millionen User. Das sind über zwei ändert. Während der Corona-Hochpha- E-Paper-Verkäufe im 2. Quartal 2020 Drittel der Bevölke- se seien mehr jüngere Nutzer unter 35 stärker gestiegen als üblich. Täglich » rung – mehr denn je. 27 relevant. 2|2020 MARKT
» mehr als zwei Millionen digitale Zeitungsausgaben – das ist eine neue Bestmarke. Etwa jede achte verkaufte Zeitung ist damit eine digitale. Bergauf ging es auch mit den Paid-Con- tent-Erlösen. Rund zwei Drittel der Ver- lage melden hier Steigerungen bis zu 20 Prozent, manche auch deutlich mehr. Die F.A.Z. verzeichnete für ihr digita- les Bezahlangebot F+ Ende März mehr als 10.000 neue Abonnenten innerhalb nur einer Woche – flankiert von einem kostengünstigen Neukunden-Angebot. Der Prüfstein wird sein, wie viele davon dann zum regulären Abo wechseln. brauche es digitale Rituale, meint Yannick Auch in den Regionen wurde mehr Geld Dillinger, der die digitale Transformation für guten Journalismus lockergemacht. bei der Augsburger Allgemeinen verant- 1.700 neue Digitalabos „Wir haben in manchen Wochen im März und April so viele neue Digital- abo-Abschlüsse erzielt wie sonst in ei- wortet und redaktionelle Newsletter als gutes Instrument empfiehlt, um Nutzung zu ritualisieren. „Wir müssen unverzicht- wurden bei der nem ganzen Monat“, berichtet Dobmeier bar im Alltag der Menschen werden“, so Schwäbischen Zei- aus Ravensburg. Viele Digitalnutzer wur- sein Credo. tung allein im März abgeschlossen. den so zu Kunden, die Conversion Rate Wie wird man unverzichtbar und schafft verdoppelte sich in der Corona-Hochpha- ein Angebot, für das Menschen dauer- se. Diese Dynamik hat wieder nachgelas- haft bereit sind zu bezahlen? Indem man sen. Nun geht es für die Medienhäuser ihnen das bietet, was sie brauchen. Ha- darum, die neuen Leser zu halten. Dafür ben viele Zeitungen in ihrer Themenpla- nung schon vor Corona die Bedürfnisse der Nutzer zum Dreh- und Angelpunkt gemacht, so hat sich das jetzt noch- mals verstärkt. Die Abkehr vom Termin- journalismus hat Raum geschaffen für neue Schwerpunktsetzungen. Weniger Mit dem Digitalkongress #beBETA2020 hat der BDZV im Mai 2020 Chronistenpflicht, sondern mehr selbst erstmals eine Veranstaltung rein virtuell durchgeführt. Bis zu 1.000 Zu- schauer verfolgten die Vorträge und Gesprächsrunden an ihren Screens. gesetzte Themen. Dobmeier fasst die Erwartungen der Leser zusammen: „Sie Im Panel „Corona sei Dank: Turbo-Transformation im regionalen Journalismus“ berichteten Swantje Dake (Chefredakteurin Digital, wollen möglichst viel Nutzwert, Service, Stuttgarter Nachrichten/Stuttgarter Zeitung), Steffi Dobmeier Geschichten über Menschen, Unge- (stellvertretende Chefredakteurin Schwäbische Zeitung, Ravensburg) wöhnliches. Dafür zahlen sie auch.“ Was und Yannick Dillinger (stellvertretender Chefredakteur Augsburger Allgemeine) von ihren Erfahrungen in der Corona-Hochphase. an sich nichts Neues ist, hätten sich vie- le Verlage in den vergangenen Monaten Das Video zu dieser und den elf neu bewusst gemacht. „Corona hat da in anderen Sessions gibt es auf www.bdzv-bebeta.de und auf dem gewisser Weise geholfen.“ Youtube-Channel bdzvtv zu sehen. In der Pandemie wurde aus diesen Er- kenntnissen schnelles Handeln. Im Di- MARKT relevant. 2|2020 28
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