BODENREPORT VIELFÄLTIGES BODENLEBEN - GRUNDLAGE FÜR NATURSCHUTZ UND NACHHALTIGE LANDWIRTSCHAFT - BFN

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BODENREPORT VIELFÄLTIGES BODENLEBEN - GRUNDLAGE FÜR NATURSCHUTZ UND NACHHALTIGE LANDWIRTSCHAFT - BFN
Bodenreport
Vielfältiges Bodenleben – Grundlage für
Naturschutz und nachhaltige Landwirtschaft
BODENREPORT VIELFÄLTIGES BODENLEBEN - GRUNDLAGE FÜR NATURSCHUTZ UND NACHHALTIGE LANDWIRTSCHAFT - BFN
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Ein Blick unter den Tellerrand

Bodenreport
Vielfältiges  Bodenleben      –    Grundlage   für
Naturschutz und nachhaltige Landwirtschaft

von

Moritz Nabel
Christian Selig
Johanna Gundlach
Henrike v. d. Decken
Manfred Klein
Beate Jessel
BODENREPORT VIELFÄLTIGES BODENLEBEN - GRUNDLAGE FÜR NATURSCHUTZ UND NACHHALTIGE LANDWIRTSCHAFT - BFN
BfN Bodenreport:
Vielfältiges Bodenleben - Grundlage für Naturschutz und
nachhaltige Landwirtschaft

Herausgeber:                Bundesamt für Naturschutz
                            Konstantinstr. 110
                            53179 Bonn
                            Telefon: 0228 8491-0
                            E-Mail: presse@bfn.de
                            Internet: www.bfn.de

Autorinnen und Autoren:     Moritz Nabel, Christian Selig, Johanna Gundlach, Henrike v.d.
                            Decken, Manfred Klein, Beate Jessel
Unter Mitwirkung von:       Daniel Wolf, Detlev Metzing, Sandra Balzer, Ursula Nigmann,
                            Oliver Hendrischke

Titelbild:                  Bruno Glätsch
                            Der Blick auf einen scheinbar unbelebten intensiv bewirtschaf-
                            teten Ackerboden verdeutlicht zentrale Aspekte dieses Reports:
                            Die verlorene Sicht auf den Boden als Lebensraum sowie den
                            Versuch die Ökosystemleistungen des Bodenlebens durch ver-
                            schiedenste mehr oder weniger intensive Bewirtschaftungsprak-
                            tiken zu ersetzen – beides ist mit dafür verantwortlich, dass
                            heute wichtiges Wissen um die Vielfalt der Arten in Böden fehlt.
Alle verwendeten Bilder sind frei von Rechten. Freundlichen Dank für die Bereitstellung der
Bilder über Pixabay an: Greg Newman, Magyar, Bruno Glätsch, Wolfgang Ehrecke, Franz
W., darrenquigley32, lakewooducc, meineresterampe, Gerd Altmann, Manfred Richter,
Franck Barske, armennano, pixamart, Benjamin Brandt, Wolfgang Ehrecke, Dirk Schuma-
cher, Fritz_the_Cat, Beate, Siggy Nowak, Katrin Schulz, Claudia Martinez, Ulrike Leone,
snarlingbunny, Hans Braxmeier, Karsten Lamprecht und Myriam Zilles

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Her-
ausgebers unzulässig und strafbar. Nachdruck, auch in Auszügen, nur mit Genehmigung des
BfN.

Druck: Druckerei des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
(BMU)
Gedruckt auf: 100 % Recyclingpapier
DOI 10.19217/rep211
Bonn, Bad Godesberg, Januar 2021, 1. Auflage
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Inhaltsverzeichnis
   Zusammenfassung ............................................................................................................ 6
   Böden – Eine Blackbox der Artenvielfalt im Dienste des Naturhaushalts ........................... 8
   Was lebt im Boden?               Ein kurzer Überblick ......................................................................10
   Bedeutung des Bodenlebens im Naturhaushalt der Kulturlandschaft ................................13
      Verknüpfung ober- und unterirdischer Biodiversität .......................................................13
      Zerkleinern, Zersetzen, Mineralisieren ...........................................................................14
      Bodengefüge .................................................................................................................14
      Regulierung von Schaderregern ....................................................................................15
      Nähr- und Schadstoffmanagement ................................................................................15
      Klimaschutz ...................................................................................................................16
      Frühwarnsystem, Bioindikatoren ...................................................................................17
   Zustand und Gefährdung des Bodenlebens ......................................................................19
      Pestizide .......................................................................................................................19
      Mineralische Düngung ...................................................................................................20
      Versauerung..................................................................................................................22
      Sonstige Schadstoffe ....................................................................................................22
      Bodenbearbeitung, Bodenverdichtung und Erosion .......................................................23
      Klimawandel ..................................................................................................................24
      Bodenverlust und Flächendruck ....................................................................................25
   Förderung des Bodenlebens .............................................................................................27
      Boden pflegen ...............................................................................................................27
      Landschaftsdiversifizierung ...........................................................................................31
      Integrierter Pflanzenschutz ............................................................................................32
      Integriertes Nährstoffmanagement ................................................................................33
      Zielgenaue Applikationstechnik .....................................................................................34
      Bodenmarkt regulieren ..................................................................................................35
      Lebensraum Boden erforschen, monitoren und schützen ..............................................36
      Rechtliche Grundlagen ..................................................................................................36
      Politische Verpflichtungen .............................................................................................38
      Förderung und Finanzierung .........................................................................................39
   Maßnahmenübersicht zur Förderung des Bodenlebens ....................................................44
Literaturverzeichnis ..............................................................................................................46
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Zusammenfassung
Der vorliegende Report fokussiert auf              Es besteht die Gefahr, dass speziell im
das Bodenleben in landwirtschaftlich               Boden lebende Arten aussterben, bevor
genutzten Böden, insbesondere unter                sie taxonomisch erfasst und beschrieben
ackerbaulicher Nutzung. Er zeigt auf,              wurden. Da das Bodenleben auch in der
dass ein diverses und aktives Bodenle-             Wissenschaft lange unterhalb des Blick-
ben nicht nur grundlegender und bis-               feldes blieb und die Arten hier meist klein
lang häufig ausgeblendeter Bestandteil             und hoch divers sind, sind erst ein Prozent
des Naturhaushaltes ist, sondern auch              der im Boden lebenden Arten erfasst. In
maßgebliche Grundlage für eine nach-               Diversität und Biomasse überschreitet das
haltig betriebene Landbewirtschaftung.             Bodenleben mit ca. 15 Tonnen pro Hektar
                                                   in den gemäßigten Breiten die des oberir-
Unterirdisches und oberirdisches Leben             dischen Lebens deutlich (Kapitel Was lebt
sind durch Nahrungsnetze stark miteinan-           im Boden). Die Bodenorganismen, die
der verbunden. Die von Bodenorganismen             bereits seit längerem in den bundesweiten
erbrachten Ökosystemleistungen wie Stof-           Roten Listen geführt werden, zeigen je-
fumwandlungsprozesse, Förderung der                doch bereits den gleichen deutlich negati-
Bodenstruktur sowie ihr Beitrag zu Was-            ven Trend, der für die oberirdische Diversi-
serhaushalt     und    Pflanzengesundheit          tät in Agrarlandschaften festgestellt wird
schaffen die essentielle Grundlage des             (Kapitel Zustand und Gefährdung des Bo-
Pflanzenwachstums und der Landwirt-                denlebens). Um noch bestehende Wis-
schaft – einen fruchtbaren Boden (Kapitel:         sensdefizite zu schließen, muss die For-
Bedeutung des Bodenlebens).                        schung zur Erfassung von Bodenorganis-
Die heute auf großer Fläche dominierende           men und deren Ökosystemleistungen wei-
intensive und rationalisierte Landwirtschaft       ter ausgebaut werden (Kapitel Förderung
beeinträchtigt den Lebensraum Boden                des Bodenlebens).
mitsamt dem Bodenleben erheblich und               Der Schaden, der mit dem Verlust im Bo-
versucht den damit einhergehenden Ver-             den lebender Arten für den Naturhaushalt,
lust natürlicher Prozesse teils durch ver-         aber auch für die Landwirtschaft einher
mehrten Einsatz von Technik und Agro-              geht ist enorm. Die Kosten für eine techni-
chemie zu kompensieren. Mineralische               sche Umsetzung wichtiger Funktionen des
Düngemittel,     synthetische     Pflanzen-        Bodens und der darin wirkenden Orga-
schutzmittel und weitere Stoffeinträge ak-         nismen werden für die EU auf 38 Mrd. €
kumulieren sich im Boden und schädigen             pro Jahr geschätzt. Gerade vor dem Hin-
die dort lebenden und wirkenden Orga-              tergrund des Klimawandels kann das Bo-
nismen. Auch der Einsatz von immer in-             denleben einen großen Beitrag zur Klima-
tensiverer und schwererer Landtechnik              anpassung leisten, indem es den Land-
verdichtet und verändert das Bodengefüge           schaftswasserhaushalt stabilisiert und
in einem Maße, in dem es vielen Bodenle-           Wild- wie auch Kulturpflanzen resistenter
bewesen keinen angemessenen Lebens-                gegen Trockenstress macht. Auch können
raum mehr bietet (Kapitel Zustand und              einige Bodenarten als Bioindikatoren die-
Gefährdung des Bodenlebens).                       nen, die es erlauben frühzeitig auf verän-

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derte Umweltbedingungen zu reagieren               Versorgung des Bodenlebens und im Ge-
(Kapitel: Bedeutung des Bodenlebens).              danken der Kreislaufwirtschaft vorrangig in
                                                   organischer Form ausgebracht werden.
Die Förderung des Bodenlebens muss                 Verunreinigungen von Düngemitteln durch
stärker als Aufgabe des Naturschutzes              Medikamentenrückstände, Schwermetalle
verankert und als zentrales Element der            oder Mikroplastik sind auszuschließen.
Bodenfruchtbarkeit wieder zum integrier-
ten Produktionsziel der Landwirtschaft             Da sich viele der vorgestellten Maßnah-
werden. Dazu stehen prinzipiell zahlreiche         men für die Landbewirtschaftenden erst
Maßnahmen zur Verfügung. Diese sollten             langfristig auszahlen, ist die Neuausrich-
stets auf Standort und Bodentyp bezogen            tung hin zu einer nachhaltigeren Boden-
sein, da jeder Boden einem individuellen           bewirtschaftung mit entsprechenden För-
Artenspektrum seinen Lebensraum bietet.            dermaßnahmen zu untermauern. Um das
Die hier angeführten Maßnahmen bezie-              Wissen um den Wert des Bodenlebens in
hen sich vor allem auf intensiv genutzte           die Praxis zu bringen, sind zunächst Aus-
Ackerbauregionen und sollen sich im Sin-           bildungsinhalte und die landwirtschaftliche
ne des integrierten Pflanzenbaus für               Beratung um den Aspekt der Bodenbio-
Landwirtinnen und Landwirten und Land-             diversität zu erweitern. Fördergelder der
wirte langfristig auszahlen. So wird ein           nationalen und europäischen Agrarpolitik
gemeinsamer Weg von Naturschutz und                (GAP) müssen stärker an gesellschaftliche
Landwirtschaft zum Schutze des Bodenle-            Leistungen wie den Schutz von Umwelt-
bens aufgezeigt. (Kapitel Förderung des            und Naturschutz gebunden werden. Spe-
Bodenlebens).                                      zielle Programme zur Förderung des
                                                   Schutzes von Böden und den darin leben-
Der Schutz des Bodens sowie der darin              den Organismen sind in Agrarumwelt- und
lebenden und wirkenden Organismen soll             Klimamaßnahmen sowie Definitionen zum
zum integrierten Produktionsziel erklärt           „Guten landwirtschaftlichen und ökologi-
werden um die Bodenfruchtbarkeit lang-             schen Zustand“ (GLÖZ) zu integrieren
fristig zu steigern. Konservierende Boden-         (Kapitel Förderung des Bodenlebens).
bearbeitungsverfahren sowie eine Anbau-
diversifizierung durch erweiterte Fruchtfol-       Die vorgestellten Maßnahmen weisen
gen, Kulturpflanzendiversität und der An-          zahlreiche Synergien zwischen dem
bau von Zwischenfruchtmischungen legen             allgemeinen Schutz von Biodiversität
hier die Grundlage. Die Leitsätze des Inte-        und Umwelt sowie den positiven Effek-
grierten Pflanzenschutzes müssen befolgt           ten auf die Bodenfruchtbarkeit und da-
werden und die Stärkung der natürlichen            mit das Ertragspotential landwirtschaft-
Schädlingsregulation gegenüber syntheti-           lich genutzter Böden auf. Dies macht
schen Pflanzenschutzmitteln Vorrang er-            deutlich, dass der Schutz des Bodenle-
halten. Das Nährstoffmanagement sollte             bens als ein gemeinsames Anliegen
sich gleichzeitig am Boden und an den              von Landwirtschaft und Naturschutz
Kulturpflanzen orientieren. So müssen              begriffen werden muss.
Nährstoffe in ausgeglichenem Maße zur

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Böden – Eine Blackbox der                          nutzte und geprägte Lebensräume ange-
                                                   wiesen.
Artenvielfalt im Dienste                           Ein Abhängigkeitsverhältnis, das sich über
des Naturhaushalts                                 Jahrhunderte herausgebildet hat und die
                                                   Landbewirtschaftung lange Zeit prägte.

Unzählige Organismen wirken im Unter-              Die Intensivierung in der Landwirtschaft
grund, fördern die Bodenfruchtbarkeit und          setzte die Beziehung zwischen Bodenle-
bereiten somit auch den Boden für die              ben und Bodenbewirtschaftung in ein neu-
Erzeugung von qualitativ hochwertigen              es Verhältnis [41]. Es wurde versucht die
landwirtschaftlichen Produkten, aber auch          Ökosystemleistungen des Bodenlebens
für ein diverses Leben an der Bodenober-           teils durch vermehrten Einsatz von Ma-
fläche.                                            schinentechnik, Pflanzenschutzmitteln und
                                                   synthetischen Düngemitteln zu ersetzen.
Die Artenzahl der Bodenorganismen ist              Gleichzeitig nahm das Bewusstsein um
bisher noch kaum erfasst, jedoch ist be-           die Bedeutung der essentiellen Ökosys-
reits klar, dass die Diversität der Bodenor-       temleistungen des Bodenlebens in Teilen
ganismen die der über der Bodenoberflä-            der Praxis und Ausbildung der Landwirt-
che lebenden Organismen um ein Vielfa-             schaft ab. Die Erhaltung und Förderung
ches übersteigt [51]. Sie ist notwendig für        des Bodenlebens wurde weit hinter andere
funktionsfähige Stoffkreisläufe sowie das          Produktionsziele wie der kurzfristigen Er-
Belüften und Stabilisieren der Böden und           tragsmaximierung angestellt. Dies hat bis
schafft so ein fruchtbares Substrat auf            heute drastische Auswirkungen auf die
dem vitale und damit widerstandsfähige             gesamte oberirdische und unterirdische
Kultur- und Wildpflanzen gedeihen kön-             Biodiversität und trägt maßgeblich zu de-
nen. Sollten Kulturpflanzen von für sie            ren Verlust bei [105].
schädlichen Organismen befallen werden,
so befinden sich unter den Bodenorga-              Der Rückgang der biologischen Vielfalt
nismen auch natürliche Gegenspieler der            oberhalb des Bodens ist inzwischen in der
für die Pflanzen schädlichen Organismen.           breiten öffentlichen Diskussion angelangt
Eine erfolgreiche Bewirtschaftung von              und wird mehrheitlich als gesellschaftliche
Acker- und Grünlandflächen ohne die Un-            Herausforderung anerkannt [14]. Studien
terstützung dieser verborgenen Helfer wä-          über den Insektenrückgang dokumentier-
re nicht möglich. Viele Bodenorganismen            ten beispielsweise einen gebietsweisen
sind ihrerseits auf landwirtschaftlich ge-         Rückgang von bis zu 75 Prozent der In-
                                                   sektenbiomasse in den vergangenen 30

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Jahren [46] und einen Artenrückgang um              das Bodenleben über gesteigerte Boden-
ein Drittel in den vergangenen 10 Jahren            fruchtbarkeit auch in gesteigerten und
[93] und legen einen Zusammenhang zur               stabileren Ertragspotentialen der Böden
Landnutzung nahe. Die Datenlage zur                 widerspiegeln und sich somit langfristig für
Bodenbiodiversität ist jedoch auf allen ih-         Landwirtschaft und Naturschutz auszah-
rer Ebenen (genetische Diversität, Arten-           len.
vielfalt, Vielfalt an Lebensräumen) spär-
lich. Dennoch bestätigt sich auch hier in           Dieser Report nimmt das Bodenleben in
verschiedenen Untersuchungen ein nega-              landwirtschaftlich genutzten Böden mit
tiver Trend in der Artenzahl [6–8, 88], nicht       einem Fokus auf Ackerland in den Blick.
zuletzt, weil oberirdische und unterirdische        Dabei ist zu beachten, dass die Vielfalt
Biodiversität stark miteinander vernetzt            des Bodenlebens maßgeblich durch die
sind [52]. Der Boden stellt aufgrund der            Vielfalt an Böden als typische Habitate
hohen Diversität ein besonderes geneti-             geprägt wird. Unterschiedliche Habitate
sches Reservoir und damit Schutzgut dar             verfügen dabei über eine jeweils spezifi-
[99]. Wissensdefizite zur Biodiversität in          sche standortangepasste Vielfalt auch des
insbesondere landwirtschaftlich genutzten           Bodenlebens. Die in diesem Report vor-
Böden müssen dringend abgebaut werden               gestellten Maßnahmen verstehen sich
[40] um auch hier dem Artenrückgang ent-            daher als Bestandteile eines Baukastens
gegen zu steuern. Maßnahmen dies zu                 aus dem standort- und bodentypange-
erreichen sind teils weit entwickelt und            passte Elemente ausgewählt werden soll-
bekannt.                                            ten. Insbesondere magere Grenzertrags-
                                                    standorte beherbergen auf der Artebene
Der Landbewirtschaftung kommt im Be-                teils nur eine geringe Diversität – dafür
reich der Bodenbiodiversität eine Schlüs-           jedoch eine hoch spezifische, die auch als
selrolle zu, da sie über ihre Art und Inten-        solche erhalten und gefördert werden soll-
sität der Bewirtschaftung direkten Einfluss         te. Die Bewahrung der Vielfalt an Böden
auf über die Hälfte der Bodenfläche                 bietet somit die Grundlage für ein diverses
Deutschlands ausübt. Vielfältige landwirt-          und aktives Bodenleben, das mit seinen
schaftliche Maßnahmen können das Bo-                Ökosystemleistungen Landwirtinnen und
denleben und damit auch die Biodiversität           Landwirten dabei unterstützt stabile und
in der Agrarlandschaft allgemein positiv            qualitativ hochwertige Ernten einzufahren.
beeinflussen. Ganz im Sinne eines inte-
grierten Pflanzenbaus würde sich eine
gesteigerte Achtung vor und Investition in

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Was lebt im Boden?
Ein kurzer Überblick

Eine klare Abgrenzung von oberirdischem
und unterirdischem Leben ist nicht mög-
lich, da viele Arten in beiden Bereichen
leben und diese somit verbinden. Am an-
schaulichsten verdeutlichen dies Pflanzen,
da sie mit ihren Wurzeln viele Meter tief in
den Boden reichen können, ihren Spross
jedoch weit über den Boden hinausstre-
cken [20, 110]. Viele oberirdisch lebende
Tiere nutzen den Schutz des Bodens zur
Eiablage oder zur Überwinterung, bewe-
gen sich aber hauptsächlich auf bzw.
oberhalb der Bodenschicht. Unzählige
Arten verbringen jedoch ihren gesamten
Lebenszyklus unterhalb der Oberfläche.

Eine Einteilung der Bodenlebewesen wird
entweder anhand der Artzugehörigkeiten,
anhand der Organismengröße oder ihrer
Funktionen im Ökosystem Boden vorge-
nommen [57]. Zu diesen funktionellen
Gruppen gehören als erstes Primärprodu-
zenten, beispielsweise Pflanzen und Al-             Die größten Gruppen des Bodenlebens in den
gen, die die Energie des Sonnenlichts               gemäßigten Breiten, veränderte Darstellung
                                                    nach IVA 2005.
über die Photosynthese in energiereicher

             160 Personen auf einem Fußballfeld entsprechen in etwa dem Gewicht
             der Bodenlebewesen unter derselben Fläche: 11 Tonnen.

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Biomasse speichern können und so allen                zu finden ist. Auf landwirtschaftlich genutz-
    weiteren Organismengruppen zugänglich                 ten Flächen kann die Biomasse der Bo-
    machen. Unterstützt werden sie dabei un-              denorganismen zusammen 15 Tonnen pro
    ter anderem von symbiontischen Orga-                  Hektar betragen [113]. Umgerechnet wür-
    nismen wie etwa Mykorrhizapilzen oder                 de das auf die Fläche eines Fußballfeldes
    stickstofffixierenden Rhizobakterien. Zer-            das Äquivalent von 160 Personen bedeu-
    kleinerer und Mixer wie Regenwürmer                   ten.
    nehmen energiereiches organisches Mate-
    rial auf, zerkleinern es oder verfrachten es          Trotz der großen Bedeutung der Bodenor-
    in tiefere Bodenschichten, wo es von mi-              ganismen für die verschiedenen Funktio-
    neralisierenden Mikroorganismen abge-                 nen der Ökosysteme sind auch aus Sicht
    baut wird und die enthaltenen Nährstoffe              der Wissenschaft noch große Teile des
    wieder dem Kreislauf zugeführt werden.                Bodenlebens unter der Oberfläche verbor-
    Daneben agieren räuberische Organismen                gen. So ist der Anteil der noch nicht taxo-
    auf verschiedenen Ebenen des Nahrungs-                nomisch erfassten Organismen im Boden
    netzes und sorgen so dafür, dass alle Or-             besonders hoch [103]. Es wird geschätzt
    ganismengruppen in optimalem Wachs-                   dass weltweit 75 % der Regenwurm-,
    tumszustand und damit für das Gesam-                  50 % der Ameisen- und 50 % der Milben-
    tökosystem produktiven Verhältnissen                  arten noch nicht beschrieben sind. Noch
    zueinander stehen [103]. Zusätzlich die-              ausgeprägter ist dies bei den Bodenmik-
    nen Böden für Pflanzen als Diasporen-                 roorganismen der Fall. Hier sind, wie bei-
    bank, in der unzählige Samen teils jahre-             spielsweise bei den Pilzen, erst maximal
    lang gut konserviert werden, bis es zur               6 % der Organismen bekannt [4, 77]. Es
    Keimung kommt [20, 81]. All diese Orga-               wird davon ausgegangen, dass weltweit
    nismen bilden dabei ein stark verwobenes              lediglich 1 % der Bodenmikroorganismen
    Netz, mit dem auch das oberirdische Le-               taxonomisch erfasst und beschrieben sind
    ben verbunden ist [52, 73].                           [73].

    Die Anzahl der Individuen und Arten, aber
    auch die Biomasse an Bodenorganismen,
    kann dabei weit über dem liegen, was an
    oberirdischem Leben auf derselben Fläche

Individuenzahlen einiger Bodenorganismengruppen unter einem Quadratmeter Boden. V.l.n.r.: Pilze, Algen, Faden-
würmer, Springschwänze, Milben, Kleinringelwürmer, Tausendfüßer, Zweiflüglerlarven, Käfer/-Larven, Regenwür-
mer, Spinnen und Asseln, veränderte Darstellung nach UBA 2015.
                                                     11
12
Bedeutung des Bodenle-                              fruchtbarkeit kann durch keine Art der Bo-
                                                    denbearbeitung oder Düngung ausgegli-
bens im Naturhaushalt der                           chen werden [49]. Schonende Bodenbe-
Kulturlandschaft                                    arbeitung und ausgeglichene Düngegaben
                                                    können Bodenlebewesen jedoch unter-
                                                    stützen und damit die Bodenfruchtbarkeit
Der Boden ist in gewisser Weise Verdau-             fördern.
ungs-, Speicher- und Immunsystem vieler
Landökosysteme. Nach Berechnungen der
Europäischen Kommission würden sich                 Verknüpfung ober- und unterirdischer
die Kosten für eine technische Umsetzung            Biodiversität
aller wichtigen Funktionen des Bodens               Die Ökosystemleistungen des Bodenle-
und der darin wirkenden Organismen auf              bens bilden die Grundlage für die Photo-
38 Mrd. € pro Jahr beziffern [26]. Die an           syntheseleistung der oberirdischen Pflan-
den zugrunde liegenden Ökosystemleis-               zenvielfalt, mit der diese Sonnenlicht in
tungen beteiligte Diversität an Bodenorga-          energiereiche Biomasse umwandelt. Die
nismen schafft dabei die essentielle                durch     Bodenorganismen      geleisteten
Grundlage für das oberirdische Leben und            Stoffwechselprozesse schließen Stoff-
speziell     die      Landbewirtschaftung:          kreisläufe und machen essentielle Nähr-
Einen fruchtbaren Boden.                            stoffe für Pflanzen zugänglich. Die damit
Charles Darwin widmete sich Ende des                gebildete Pflanzenbiomasse stellt wiede-
19. Jahrhunderts ausgiebig dem Bodenle-             rum die Grundlage eines weit gesponne-
ben und kam zu einem eindeutigen Fazit:             nen Nahrungsnetzes dar [111]. Bodenor-
                                                    ganismen sind Bestandteil dieses Nah-
                                                    rungsnetzes, das in enger Verbindung mit
                                                    den oberirdisch lebenden Arten steht. Die-
„Man kann wohl bezweifeln, ob es                    se nutzen den Boden zusätzlich, teils zum
noch viele andere Tiere gibt, welche                Überwintern, zur Eiablage, oder während
eine so bedeutungsvolle Rolle in der                des Larvenstadiums [20, 52]. Pflanzenar-
Geschichte der Erde gespielt haben                  ten überstehen ungünstige Perioden mit
wie diese niedrig organisierten Ge-                 ihren Überdauerungsorganen wie Rhizo-
schöpfe.“                                           men und Zwiebeln oder auch Samen im
                                                    Boden [81]. Eine hohe Diversität an unter-
                     Charles Darwin [21]            irdischem Leben ist daher auch eine der
                                                    Grundlagen einer hohen Biodiversität an
                                                    der Bodenoberfläche – und umgekehrt.
Die ober- und unterirdische Biodiversität           Durch die enge Verknüpfung von ober-
ist direkt über Nahrungsnetze, aber auch            und unterirdischer Biodiversität wirkt sich
indirekt über Stoffkreisläufe verknüpft. Ein        der Schutz des unterirdischen Lebens
vielfältiges Bodenleben ist daher auch              langfristig auch positiv auf die gesamte
Grundlage der für uns sichtbaren Bio-               biologische Vielfalt aus. Die Böden in den
diversität an der Bodenoberfläche.                  gemäßigten Breiten bieten den Lebens-
Nur auf fruchtbaren Böden können vitale             raum mit der höchsten Dichte an verschie-
Kulturpflanzen gedeihen, die auch ohne              denen Arten. Die Diversität der dortigen
intensiven Einsatz synthetischer Pflanzen-          Böden übersteigt die des oberirdischen
schutzmittel langfristig hohe und stabile           Lebens um ein Vielfaches [51]. Für den
Erträge liefern. Ein Verlust der Boden-             Naturschutz muss das Bodenleben als

                                               13
zentrales Element von Nahrungsnetzen                als 908 verschiedene Bakterien- und 225
und Stoffkreisläufen in Ökosystemen so-             verschiedene Pilzarten beteiligt sein [84].
wie als Reservoir bisher kaum erfasster             Räuberische Bodenlebewesen halten da-
genetischer Vielfalt ein zentrales Schutz-          bei die unterschiedlichen Arten in einem
gut darstellen.                                     ausgeglichenen und somit produktiven
                                                    Verhältnis und in einem für den Abbau
                                                    optimalen Wachstumsbereich [113]. Die
Zerkleinern, Zersetzen, Mineralisieren              Organismen schließen im organischen
Organisches Material, etwa Pflanzenreste,           Material gebundene Pflanzennährstoffe
                                                    wie Stickstoff, Phosphor oder Nährsalze
Kadaver, Exkremente sowie Wurzelsäfte,
bilden die Energiequelle des Bodenlebens.           auf. Diese können dann von Pflanzen über
Bevor diese Substrate zu Nährboden für              die Wurzeln wieder aufgenommen werden
                                                    und bilden schließlich die Grundlage allen
Krankheitskeime werden können, werden
sie von einem Netz von Bodenorganismen              tierischen Lebens.
verwertet. Größere Organismen wie zum
Beispiel Regenwürmer zerkleinern grobes
Material zunächst oder ziehen es unter die          Bodengefüge
Erde. Regenwürmer können dabei bis zu               Ein fruchtbarer Boden ist weit mehr als
12 Kilogramm Erde pro Quadratmeter ver-             eine Ansammlung von durch geologische
lagern [113]. So vergrößert sich die Ober-          Prozesse entstandenen Gesteinskrümeln
fläche des Materials, es wird im Boden              und toter organischer Substanz. Durch die
gleichmäßig temperiert und feucht gehal-            Aktivitäten der Mikroorganismen bei der
ten und bietet so optimale Bedingungen              Verarbeitung organischen Materials ent-
für mikrobiellen Abbau [73]. Am Abbau               stehen zunächst organische Säuren, die
eines Buchenblattes etwa können mehr                das Ausgangsgestein weiter verwittern

Ein vereinfachtes Boden-Nahrungsnetz, veränderte Darstellung nach EU EC/JRC 2016. Unterirdische- und
überirdische Biodiversität sind durch Nahrungsnetzte eng verwoben.

                                               14
lassen und so für Bodenneubildung sor-                  organismen, die in einem direkten Ver-
gen [73]. Zum Ende der mikrobiellen Ver-                hältnis zur Pflanze stehen [60]. Pflanzen
wertungskette entstehen meist Huminstof-                geben in die Rhizosphäre gezielt Zucker
fe. Diese gehen mit Tonmineralen feste                  oder organische Säuren ab, um die für sie
Verbindungen zu Ton-Humus-Komplexen                     hilfreichen Bodenorganismen zu versor-
ein. Erst diese Verbindungen erlauben die               gen [103]. Darunter gibt es Bodenlebewe-
Entstehung eines Bodengefüges. Verbun-                  sen, die Pflanzen weniger anfällig gegen-
den mit den Gängen der Regenwürmer                      über Schaderregern werden lassen [3].
kann so ein Bodenkörper entstehen, der                  Natürlich vorkommende Mikroben können
Wasser schnell aufnimmt, dieses - sowie                 zum Beispiel antibiotisch wirkende Sub-
darin gelöste Nährstoffe - lange hält und               stanzen produzieren und so auch Wurzeln
zudem gut belüftet ist. Wild-, aber auch                von Kulturpflanzen schützen [20]. Zusätz-
Kulturpflanzen     durchwurzeln    solche               lich produzieren einige der Mikroorganis-
fruchtbaren Böden sehr dicht und wach-                  men hormonähnliche Stoffe, die das
sen zu vitalen und widerstandsfähigen                   Pflanzenwachstum stimulieren und Tro-
Pflanzen heran. Gerade in Zeiten des Kli-               ckenstress vorbeugen [48].
mawandels erhöht dies die Widerstands-
fähigkeit von Kulturpflanzenbeständen
etwa gegen Trockenheit [109].                           Nähr- und Schadstoffmanagement
                                                        Weitere Produkte des mikrobiellen Abbaus
                                                        organischer Substanz sind Stoffe, die im
Regulierung von Schaderregern                           Kreislauf gehalten werden und von den
Die hohe Diversität an Bodenorganismen                  Pflanzenwurzeln wieder aufgenommen
beinhaltet viele Organismen, die in der                 werden können. Nährstoffe, die nicht so-
Landwirtschaft als Schädlinge gelten, je-               fort von Organismen aufgenommen wer-
doch auch deren natürliche Gegenspieler.                den, können sich an Ton-Humus-
Ein diverses Bodenleben reguliert sich                  Komplexe binden und werden so vor einer
effektiv selbst [39] und hält sich auf diese            Auswaschung in tiefere, für Wurzeln un-
Weise in einem produktiven Optimum                      zugängliche Bodenschichten oder in das
[113]. Der Boden, der sich direkt im Ein-               Grundwasser bewahrt. Ein fruchtbarer
flussbereich von Pflanzenwurzeln befindet,              Boden erfüllt daher auch eine wichtige
die sogenannte Rhizosphäre, beherbergt                  Funktion als Puffer für den Landschafts-
eine besonders hohe Diversität an Mikro-                wasserhaushalt und Nährstoffe, aus dem
                                                        sich die Pflanzen bei Bedarf versorgen,
                                                        und minimiert somit Verluste.

                                                        Im Boden gibt es auch symbiontische Or-
                                                        ganismen, die wichtige Aufgaben im Nähr-
                                                        stoffmanagement übernehmen. Rhizobien
                                                        sind Bodenbakterien, die den für Pflanzen
                                                        unzugänglichen Luftstickstoff binden kön-
                                                        nen und ihnen verfügbar machen. So kann
                                                        der Bedarf an mit hohem Energieaufwand
                                                        produzierten mineralischen Stickstoffdün-
                                                        gern in Pflanzenkulturen erheblich redu-
                                                        ziert werden [69]. Drei Prozent des welt-
Der Maulwurf leistet einen großen Beitrag zum
Schutz von Kulturpflanzen. Er vertreibt kulturschädi-   weiten Energiebedarfs werden zur Produk-
gende Nager und vertilgt große Mengen an Insekten-
larven.
                                                   15
hoher Aktivität des Bodenlebens können
                                                   diese    Schadstoffe    an   Ton-Humus-
                                                   Komplexe binden, vor Auswaschung ins
                                                   Grundwasser schützen und zum Teil sogar
                                                   mikrobiell abbauen [61, 95].

                                                   Klimaschutz
                                                   Der Klimawandel wirkt sich erheblich auf
                                                   die landwirtschaftliche Produktion, aber
                                                   auch auf die Biodiversität des Bodenle-
Mykorrhizapilze erweitern das Wurzelgeflecht von
Kulturpflanzen und erhöhen die Verfügbarkeit von   bens aus. In den gemäßigten Breiten wer-
essentiellen Pflanzennährstoffen.                  den steigende Temperaturen die für den
tion von synthetischen Stickstoffdüngern           Pflanzenbau geeignete Wachstumsphase
eingesetzt [115].                                  zwar potentiell verlängern und Erträge so
                                                   theoretisch steigern, jedoch stellen eben-
Mykorrhizapilze ergänzen das Wurzelge-             falls mit dem Klimawandel einhergehende
flecht vieler Wild- und Kulturpflanzen und         häufigere und längere Dürrephasen sowie
unterstützen diese bei einer ausreichen-           Extremwetterereignisse wie Starkregen ein
den Versorgung mit Nährstoffen und Was-            großes Risiko für die künftige Ertragsstabi-
ser. Besonders die stark an Bodenpartikel          lität und Biodiversität dar [54, 55].
gebundenen Phosphate werden den Wur-
zeln oft erst durch diese Pilze zugänglich.        Ertragreiche Landbewirtschaftung wird in
Im Gegenzug erhalten die symbiontischen            Zukunft nur auf Böden möglich sein, die in
Organismen von den Pflanzen zuckerhal-             der Lage sind, genügend Wasser für län-
tige Substanzen als Energiequelle [10].            gere Dürrephasen zu speichern und Kul-
Ebenfalls von Mikroorganismen im Boden             turpflanzen damit zu versorgen. Gleichzei-
produzierte hormonähnliche Substanzen              tig muss das Bodengefüge eine hohe Infilt-
können den Nährstoff- und Vitamingehalt            rationsleistung aufweisen, um die großen
von Erntegütern positiv beeinflussen und           Wassermengen von Starkregenereignis-
so auch die Lagerfähigkeit erhöhen [86].           sen schnell aufzunehmen, und somit den
                                                   Verlust von Oberboden durch Wasserero-
Neben den für das Pflanzenwachstum                 sion zu vermeiden. Andernfalls drohen die
wichtigen Nährstoffen finden sich in land-         Ernten zu verdorren oder mit dem Regen
wirtschaftlichen Böden auch Schadstoffe,           fortgeschwemmt zu werden. Das Boden-
etwa Rückstände bzw. Abbauprodukte von             leben stabilisiert das Bodengefüge, durch
Pestizidanwendungen oder durch Gülle               Ton-Humus Komplexe und erhöht die
ausgebrachte Medikamentenrückstände                Wasserinfiltration sowie die Wasserhalte-
aus der Tierhaltung. Diese können ins              kapazität von Böden und leistet so einen
Grundwasser gelangen und Komplikatio-              wichtigen Beitrag zum Landschaftswas-
nen bei der Trinkwasseraufbereitung ver-           serhaushalt (siehe hierzu Kapitel „Boden-
ursachen [95]. Auf Grund der hohen Be-             gefüge“)
völkerungsdichte in Deutschland, der in-
tensiven Landbewirtschaftung und dem               Die Landbewirtschaftung ist für 13 % der
hohen Pro-Kopf-Wasserverbrauch ist die             Kohlendioxid-, 44 % der Methan- und
Abhängigkeit von der Wasseraufbereitung            82 % der Lachgasemissionen in Deutsch-
durch Bodenorganismen hierzulande be-              land verantwortlich und trägt damit selbst
sonders hoch [16]. Fruchtbare Böden mit            erheblich zum Klimawandel bei [54].
                                                   Landwirtschaftlich genutzte Böden können
                                              16
jedoch bei entsprechendem Management               milieus von anaeroben zu aeroben Bedin-
auch als potentielle Kohlenstoffsenke fun-         gungen kann es zu Verlusten von bis zu
gieren und klimaschädliches Kohlendioxid           7,5 Tonnen Bodenkohlenstoff pro Hektar
aus der Atmosphäre binden. Mit 2,5 Milli-          und Jahr kommen [101].
arden Tonnen stellen landwirtschaftlich
genutzte Böden den größten terrestri-
schen Speicher für organisch gebundenen            Frühwarnsystem, Bioindikatoren
Kohlenstoff in Deutschland [58] dar. Dem           Treten Umweltbelastungen auf, reagieren
Bodenleben kommt in diesem Zusam-                  Bodenorganismen besonders schnell und
menhang eine zentrale Rolle zu. Von
                                                   sensibel, da sie oft in direkten Kontakt
Wurzeln, Pilzhyphen und von Bodenlebe-             etwa mit Schadstoffen geraten. Bodenor-
wesen produzierte zuckerhaltige Substan-           ganismen können daher als Bioindikatoren
zen stabilisieren das Bodengefüge und
                                                   fungieren. Ein bereits erprobtes Beispiel
schaffen so eine Bodenmatrix, die Kohlen-          ist der Regenwurmindikator. Regenwürmer
stoff dauerhaft aufnehmen und halten               finden sich in fast allen Böden, abgesehen
kann [73]. Zudem bilden streuabbauende             von Permafrost und Wüstenböden [78].
Bodenorganismen Huminstoffe und weite-             Sie reagieren sensibel auf Schwermetalle,
re stabile Kohlenstoffformen, die sich für         Änderungen im Säurehaushalt oder auf
eine langfristige Festlegung in der Bo-            Verunreinigungen mit Schadstoffen, da sie
denmatrix eignen. Darüber hinaus verhin-           durch ihre Schleimschicht in direktem Aus-
dern methanotrophe, das heißt methanab-            tausch mit der Bodenmatrix stehen und
bauende und denitrifizierende, das heißt           Boden auch direkt in ihren Verdauungs-
stickoxidabbauende Bodenbakterien in gut           trakt aufnehmen. So kann ein Abwandern
belüfteten Böden, bevorzugt in Regen-              von Regenwürmern von einer belasteten
wurmgängen, dass die klimaschädlichen              Fläche ein Indikator für eine Schwerme-
Gase Methan und Lachgas in die Atmo-               tallbelastung oder auch Verunreinigung
sphäre gelangen. Diese würden dort eine
                                                   mit organischen Schadstoffen sein [73].
25 beziehungsweise 298 mal klimaschäd-             Dem Naturschutz bietet dies die Möglich-
lichere Wirkung als Kohlenstoffdioxid ent-         keit frühzeitig Maßnahmen zum verstärk-
falten [73, 94]. Durch Drainierung von             ten Schutz betroffener Ökosysteme zu
besonders kohlenstoffreichen Moorböden             ergreifen um negative Auswirkungen auf
kann jedoch auch das Gegenteil erreicht            die gesamte Biodiversität abzuwenden.
werden. Durch die Änderung des Boden-

Regenwürmer reagieren besonders sensibel auf Schadstoffeinträge in den Boden und sind daher ein
geeigneter Bioindikator.
                                              17
18
Zustand und Gefährdung                             der eingebüßten Bodenfruchtbarkeit zei-
                                                   gen. Die Gründe für diese Rückgänge sind
des Bodenlebens                                    vielfältig, lassen sich aber speziell für die
                                                   Bodenorganismen auf eine intensive Nut-
                                                   zung des Bodens eingrenzen [35]. Anstatt
Beschrieben sind weltweit rund 1,38 Milli-
                                                   die Bodenbiodiversität und ihre essentiel-
onen. Tierarten, über 330.000 Pflanzenar-
                                                   len Ökosystemleistungen zu erhalten und
ten und über 100.000 Pilzarten [31]. Die
                                                   zu fördern, wurde teilweise versucht, diese
Zahl der noch nicht wissenschaftlich er-
                                                   durch synthetische Dünge- und Pflanzen-
fassten Organismen liegt aber noch deut-
                                                   schutzmittel sowie tiefe, wendende Bo-
lich höher. Nach dem Bericht des Weltbio-
                                                   denbearbeitung zu ersetzen.
diversitätsrates sind rund eine Million Ar-
ten vom Aussterben bedroht [23]. Speziell          Enge Fruchtfolgen oder gar Monokulturen
Bodenorganismen sind bisher verhältnis-            funktionieren nur mit einem hohen Einsatz
mäßig wenig erforscht und erfasst. Der             von Düngemitteln, Pflanzenschutzmitteln
Trend der in Deutschland über die bun-             und einer intensiven Bodenbearbeitung,
desweiten Roten Listen der Tiere, Pflan-           mit weitreichenden Folgen für das gesam-
zen und Pilze Deutschlands erfasst wird,           te Agrarökosystem inklusive der Biodiver-
zeigt jedoch eine deutlich negative Rich-          sität in den landwirtschaftlich genutzten
tung: 37 % der Regenwurmarten, 22 %                Böden [82].
der Asselarten, 24 % der Doppelfüßerar-
ten, 7 % der Hundertfüßer, 35 % der Lauf-
käferarten sowie 25 % der Großpilze sind
                                                   Pestizide
hier als gefährdet aufgeführt [6, 7, 88].
                                                   Zum Schutz der Ackerkulturen vor Schäd-
Gerade im Bereich der Bodenorganismen
                                                   lingen kommen in der konventionellen
ist das Risiko, dass Arten verschwinden,
                                                   Landwirtschaft Pflanzenschutzmittel in
bevor diese überhaupt entdeckt und be-
                                                   nahezu jeder Kultur zum Einsatz und dies
schrieben wurden groß.
                                                   meist mehrfach in der Vegetationszeit.
Auch für Gefäßpflanzen, die mit ihren              Auch im ökologischen Landbau werden
Wurzeln im Boden verankert sind oder               etwa BT- oder Kupferpräparate verwendet.
deren Samen im Boden überdauern, zeigt             In landwirtschaftlich genutzten Böden
die Rote Liste der Farn- und Blütenpflan-          kommen die verschiedenen eingesetzten
zen Deutschlands, dass die Gefährdung
ihrer Vielfalt weiter zugenommen hat:
28 % der Arten sind bestandsgefährdet,
2 % (65 Arten) sind bereits ganz ver-
schwunden [8]. Besonders gefährdet sind
insbesondere Arten, die auf landwirtschaft-
liche Flächen spezialisiert sind [68].

Steigende Erträge durch Düngung und
Züchtung haben den potenziellen Rück-
gang der Erträge durch fortschreitenden
Verlust der Bodenbiodiversität und damit
auch der Bodenfruchtbarkeit aus dem
Blickfeld gerückt. In den letzten Jahren
stagnieren die Ertragszuwächse jedoch
                                              Gefährdung des Bodenlebens in Europa, veränderte
und schon bald könnten sich die Folgen        Darstellung nach EU EC/JRC 2016.

                                              19
Pestizide zusammen und reichern sich                 Insektizide wirken nicht nur selektiv auf die
teilweise an [20, 96]. Durch die so auftre-          Schadorganismen der Kulturpflanzen,
tende Kombinationswirkung verschiedener              sondern gegebenenfalls auch auf andere
Mittel treten zusätzliche letale und sub-            Organismen wie Springschwänze (Col-
letale Effekte auf Bodenorganismen auf,              lembolen) im Boden [36]. Fungizide wirken
die in den Zulassungsverfahren der Ein-              auch auf Bodenpilze, die die Kulturpflan-
zelsubstanzen in der Regel nicht berück-             zen nicht befallen [20]. Besonders bedeu-
sichtigt werden [30, 80].                            tend sind dabei systemisch wirkende
                                                     Pflanzenschutzmittel, die zunächst von der
Mikroorganismen können Pestizidrück-                 Kulturpflanze über die Wurzel aufgenom-
stände im Boden abbauen, jedoch entste-              men werden müssen und daher im Boden
hen bei diesem Abbau zunächst Zwi-                   höhere Konzentrationen erreichen. Das
schenprodukte (Metabolite), die immer                Wissen um die Wirkung von Pflanzen-
noch sehr hohe oder teils sogar höhere               schutzmitteln auf Bodenorganismen ist
Wirksamkeit als die Ausgangssubstanzen               dringend ausbaubedürftig, da bisher kein
haben [98].                                          gesetzlich vorgeschriebenes Monitoring
Wie gesteigerte Nährstoffgaben durch                 für Pflanzenschutzmittel oder deren Rück-
Düngung, können auch Pflanzenschutz-                 stände in landwirtschaftlichen Böden exis-
mittelanwendungen zur Folge haben, dass              tiert [114].
die Biodiversität auch im Boden abnimmt
und sich das Artenspektrum verschiebt.
Einzelne Arten können davon profitieren,             Mineralische Düngung
weshalb die Auswirkungen von Pflanzen-               Heute werden 74 Prozent des weltweit zur
schutz-mittelanwendungen bei einfachen               Düngung eingesetzten Stickstoffs synthe-
Messungen der Biomasse von Bodenle-                  tisch erzeugt, wodurch die natürlichen
bewesen nicht zwingend sichtbar werden.              Nährstoffkreisläufe langfristig und kontinu-
Eine klare Verschiebung des Artenspekt-              ierlich angereichert und so aus dem natür-
rums konnte für alle drei Hauptgruppen               lichen Gleichgewicht gebracht werden.
von Pestiziden in einer Vielzahl von Stu-
dien nachgewiesen werden. Bei Herbizi-               Zusätzliche Nährstoffeinträge, auch in na-
den belegten 80 %, bei Fungiziden 87 %               turnahen Ökosystemen, steigern zwar
und bei Insektiziden sogar 95 % der Stu-             zunächst die Pflanzenbiomasse, jedoch
dien eine deutliche Verschiebung des Ar-             profitieren davon nur wenige Arten, die in
tenspektrums [83].                                   der Folge alle anderen Arten verdrängen.
                                                     So nimmt die Diversität ab. Dieser Trend
                                                      setzt sich durch die Zersetzung der Streu
                                                      folglich auch beim Bodenleben fort. Pflan-
                                                      zenbiomasse aus eutrophen Gebieten hat
                                                      ein           engeres            Kohlenstoff-
                                                      Stickstoffverhältnis und ist leichter abbau-
                                                      bar. Profitieren können so nur auf solche
                                                      Biomasse spezialisierte Bodenorganis-
                                                      men. Organismen, die sich auf den Abbau
                                                      von Hemizellulosen oder Lignin sowie
                                                      anderen stabilen Molekülen aus Pflanzen-
                                                      zellwänden spezialisiert haben, gehen in
Bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln auf ihren Beständen zurück [73]. Zudem kann
noch junge Kulturpflanzen landet ein großer Teil des
Wirkstoffes direkt auf dem Boden.                     durch die gesteigerte Abundanz einiger

                                                20
spezialisierter Bodenorganismen der Hu-               Nährstoffe verstärkte und dichtere Pflan-
mus im Boden schneller abgebaut werden,               zenbewuchs auf der Bodenoberfläche da-
wodurch langfristig allen Bodenorganis-               für, dass Insekten für die Eiablage kaum
men eine wichtige Nahrungsquelle ver-                 noch Zugang zum Boden finden. Auch
siegt [49].                                           wird das bodennahe Klima durch den Be-
                                                      wuchs kühler und feuchter. Dies erhöht
Pflanzen, die bereits gut mit Nährstoffen             das Risiko, dass Larven nicht rechtzeitig
versorgt sind, sind nicht mehr auf Symbio-            aus Gelege schlüpfen oder von Pilzen
sen mit Mykorrhizapilzen oder stickstofffi-           infiziert werden. Mangelnde Sonnenein-
xierenden Bakterien angewiesen, um ihren              strahlung auf der Bodenoberfläche ent-
Bedarf zu decken. Daher reduzieren sie                zieht auch niedrigeren phototrophen Or-
die Energieversorgung der Symbionten                  ganismen wie Algen oder Cyanobakterien
und sondern weniger Wurzelexsudate ab.                die Lebensgrundlage und reduziert deren
Besonders betroffen sind davon Pilze [43]             Diversität [73].
und Rhizobiumbakterien [11].

Zudem sorgt der durch die zusätzlichen

Überschreitung der ökologischen Belastungsgrenzen (Critical Load) für Eutrophierung durch Stickstoff-
einträge im Jahr 2015, veränderte Darstellung nach Schaap et al. In UBA 2018.

                                                 21
Versauerung                                             Cadmium oder Uran [103]. Bei wiederhol-
Während im letzten Jahrhundert noch vor                 ter Anwendung reichern diese Schwerme-
allem Schwefelemissionen aus der Ver-                   talle sich in den oberen Bodenschichten
brennung fossiler Brennstoffe für Säure-                an, da sie im Boden kaum verlagert wer-
einträge verantwortlich waren, sind heute               den.
meist Stickstoffemissionen und Düngung
für die Versauerung von Böden besonders                 Wirtschaftsdünger wie Gülle aus der Tier-
der Agrarlandschaft verantwortlich. Auf                 mast können Rückstände von Tierarznei-
Grund von Veränderungen des Säure-                      mitteln, die in der Tierproduktion breite
haushaltes kommt es zur Verschiebung                    Anwendung finden, enthalten [103]. Medi-
des     Pilz-Bakterien-Verhältnisses. Die               kamentenrückstände wie auch deren erste
Symbiose von Pflanzenwurzeln mit Mykor-                 Abbauprodukte wirken bereits in sehr ge-
rhizapilzen funktioniert mitunter nicht                 ringen Konzentrationen negativ auf viele
mehr, was eine geringere Phosphorver-                   Bodenorganismen [113]. Antibiotika etwa
sorgung von Kulturpflanzen bedingen                     können resistenten Organismen in der
kann. Auch können durch die Säuren be-                  Umwelt sehr schnell einen Selektionsvor-
stimmte Salze gelöst werden, die wichtige               teil verschaffen [45]. Langfristig können
Kulturpflanzennährstoffe wie Phosphor                   resistente Mikroorganismen auch für den
fixieren, die damit den Pflanzen fehlen,                Menschen ein Gesundheitsrisiko darstel-
oder im Falle von im gleichen Kontext ge-               len [113]. Antiparasitika werden im Ma-
lösten Schwermetallen auch belasten [73].               gendarmtrakt von Nutztieren nicht abge-
                                                        baut und gelangen so durch den Dung
                                                        direkt auf Weideflächen. Dort stellt Dung
                                                        für viele Organismen- und Artengruppen
Sonstige Schadstoffe                                    wie Regenwürmer, Zikaden und Fliegen
Mineralische Düngemittel wie etwa Phos-                 eine wichtige Nahrungsquelle und Ort zur
phor- oder Kalidünger enthalten neben                   Eiablage dar. Mit Medikamentenrückstän-
den gewünschten Pflanzennährstoffen                     den kontaminierter Dung schädigt diese
auch Anteile an Schwermetallen wie                      Organismen und verbleibt daher oft lange
                                                        Zeit auf den Weideflächen, ohne biolo-
                                                        gisch abgebaut werden zu können [91].

                                                        Es gibt noch eine Vielzahl weiterer organi-
                                                        scher Schadstoffe, die teils sehr persistent
                                                        sind und sich daher auch langfristig im
                                                        Boden anreichern können. Eine neuere Art
                                                        dieser Schadstoffe stellen Mikro- (Teil-
                                                        chengröße < 5 mm) und Nanoplastik (Teil-
                                                        chengröße < 0,1 µm) dar. Diese werden in
                                                        jüngerer Zeit immer häufiger in Oberböden
                                                        nachgewiesen und stören dort physisch
                                                        und chemisch das Nahrungsnetz [97].

Umweltgefährlicher Stoff! So gekennzeichnete Sub-
stanzen sollten keinesfalls in Böden eingetragen wer-
den.

                                                  22
Bodenbearbeitung, Bodenverdichtung                    dazu, dass das Bodenleben auf Ackerbö-
     und Erosion                                           den weniger divers ist und vor allem aus
     Pflügen verlagert die sehr belebte und mit            Mikroorganismen besteht [102]. Doch
     organischem Material angereicherte Bo-                auch Pilze, die oft weit verzweigte Netze
     denschicht in eine Tiefe, in der viele Orga-          aus Pilzhyphen im Boden ausbilden, wer-
     nismen nicht mehr effektiv arbeiten kön-              den durch den mechanischen Eingriff be-
     nen. Zusätzlich werden Gänge und Poren                einträchtigt. So wird auch die Symbiose
     zerstört [20]. Damit hat das Pflügen von              von Kulturpflanzen mit Mykorrhizapilzen
     allen mechanischen Bodenbearbeitungs-                 nachhaltig gestört [13].
     formen den gravierendsten Einfluss auf
     die Bodenbiodiversität. Besonders Re-                 Intensive Bodenbearbeitung zerstört zu-
     genwürmer werden oft direkt betroffen                 dem das natürliche Bodengefüge und er-
     [73]. Die Würmer werden vom Pflug ver-                höht die Anfälligkeit gegenüber Bodenver-
     letzt und an die Bodenoberfläche beför-               dichtung. In der EU zeigen 35 Prozent der
     dert, wo sie eine leichte Beute für Vögel             landwirtschaftlichen Böden deutliche Ver-
     und andere Räuber sind [42]. Generell                 dichtungsschäden [49]. Verdichtete Böden
     sind von mechanischen Eingriffen in das               bieten größeren Bodenlebewesen wie
     Bodengefüge die Makro- und die Me-                    Arthropoden oder Würmern nur noch ein-
     sofauna besonders betroffen. Dies führt               geschränkten Lebensraum, da der Ener-

Vögel finden an den durch den Pflug an die Bodenoberfläche beförderten Bodenlebewesen ein leichtes Fressen.

                                                      23
oder Maulwurf, wechselwarm. Ihre Stoff-
                                                         wechselaktivität wird daher maßgeblich
                                                         von der Temperatur beeinflusst. Steigende
                                                         Temperaturen bewirken so einen gestei-
                                                         gerten Energiebedarf. Stoffumsatzprozes-
                                                         se und somit der Abbau von organischem
                                                         Material im Boden werden sich beschleu-
                                                         nigen [72]. Teilweise wird dieser Effekt
                                                         durch eine längere Wachstumsperiode
                                                         und gesteigerte Photosyntheseraten der
Eine Folge intensiver Bodenbearbeitung und               Pflanzen kompensiert werden können,
Verdichtung: Überschwemmung durch niedrige
Infiltrationsraten von Böden mit gestörter Struk-
                                                         jedoch werden häufigere Extremwetterer-
tur. Bodenlebewesen, die auf belüftete Böden             eignisse wie Dürren und Starkregen die-
angewiesen sind, können hier nicht überleben.            sen Effekt stark begrenzen oder gar um-
gieaufwand zur Fortbewegung im verdich-                  kehren [55, 72]. Für Deutschland wird der-
teten Boden zu groß wird [73]. Eine weite-               zeit von einem mittleren Verlust von 190
re Folge ist die erhöhte Erosionsanfällig-               kg Bodenkohlenstoff pro Hektar und Jahr
keit und Staunässe, die eine ausreichende                ausgegangen [58].
Sauerstoffversorgung des Bodenlebens                     Ausgetrocknete Böden sowie Starkregen-
stört. Das gestörte Bodengefüge in Kom-                  ereignisse bergen ein großes Erosionsrisi-
bination mit gesteigertem Oberflächenab-                 ko und gefährden damit den am dichtesten
fluss sorgt dafür, dass der Oberboden von                und diversesten besiedelten Oberboden.
Wind und Regen fortgetragen wird. Gera-                  Neben der Temperatur und der Verfügbar-
de der Oberboden, der reich an organi-                   keit von organischem Material ist die Bo-
schem Material und damit Nahrung für das                 denfeuchte ein wichtiger Faktor für das
Bodenleben ist, bietet die höchste Bio-                  Bodenleben und dessen Aktivität [99].
diversitätsdichte [73]. In Europa haben                  Lange Trockenheitsphasen werden sich
45 Prozent der Böden bereits deutlich an                 daher auch auf die Biodiversität in land-
organischer Substanz im Oberboden ver-                   wirtschaftlich genutzten Böden auswirken.
loren [49].                                              Weiterhin birgt der gesteigerte Abbau or-
                                                         ganischer Substanz im Boden das Risiko,
                                                         dass Kohlendioxid in die Atmosphäre ent-
Klimawandel                                              weicht und den Klimawandel zusätzlich
Die globale Veränderung des Klimas wird
auch zu gesteigerten Temperaturen in den
oberen Bodenschichten führen. Eine ge-
steigerte Bodentemperatur wirkte sich in
Laborstudien direkt auf das Verhältnis von
Pilz- und Bakterienpopulationen aus [15].
In Freilandversuchen konnte gezeigt wer-
den, dass bereits ein Temperaturanstieg
von 0,6 °C in Kombination mit veränderter
Niederschlagsverteilung die Biomasse des
Bodenlebens um 17 Prozent verringerte
[116]. Effekte auf das weitere Nahrungs-
netz sind daher anzunehmen. Bodenorga-              Ein derart ausgetrockneter Boden stellt auch für das
nismen sind, mit Ausnahmen der Säuge-               Bodenleben einen nur eingeschränkten Lebensraum
                                                    dar.
tiere wie beispielsweise Mäuse, Hamster
                                                    24
befördert [2]. Besonders kommt dies bei               beansprucht werden [64].
Moor- und anderen wassergesättigten
Böden zum Tragen. Obwohl Moorböden                    Der gesteigerte Bedarf landwirtschaftlicher
nur sechs Prozent der landwirtschaftlich              Produkte ergibt sich zunächst aus dem
genutzten Fläche in Deutschland ausma-                Bevölkerungswachstum, kombiniert mit
chen, ist in ihnen rund ein Viertel des ge-           einem deutlichen Wandel des Konsum-
samten Bodenkohlenstoffs landwirtschaft-              verhaltens. Weltweit wird heute rund ein
lich genutzter Flächen festgelegt [58].               Drittel der Ackerfläche genutzt, um Futter
Letztlich werden sich durch den Klima-                für die gesteigerte Nachfrage an tierischen
wandel verursachte Änderungen der ober-               Produkten anzubauen. In der EU landen
irdischen Biodiversität, besonders in der             60 Prozent der Getreideernte im Trog und
Pflanzenwelt, auch auf die Bodenbiodiver-             nicht mehr direkt auf dem Teller [49].
sität übertragen.
                                                      Die wachsende Bioökonomie sorgt zusätz-
Auch können sich durch ausbleibenden                  lich dafür, dass landwirtschaftliche Flä-
Bodenfrost im Winter invasive Arten wie               chen heute auch genutzt werden, um in-
beispielsweise Plattwürmer ausbreiten, die            dustrielle Rohstoffe oder Bioenergie zu
heimische Bodenfauna bedrohen und so                  produzieren. Dies erhöht den Flächen-
Bodenfunktionen langfristig stören [9].               druck weiter und ist meist mit einer weite-
                                                      ren Intensivierung der landwirtschaftlichen
                                                      Praxis verbunden [49]. Beispielsweise
                                                      konnte gezeigt werden, dass bei der Um-
Bodenverlust und Flächendruck                         wandlung von extensivem Grünland in
Dass die landwirtschaftlich genutzte Flä-             Ackerland 47 Prozent der Individuen im
che einem wachsenden Druck durch ver-                 Boden verloren gehen und die Biomasse
schiedene Ansprüche ausgesetzt ist, ist               des Bodenlebens um 37 Prozent sinkt
einer der Faktoren, die die voranschrei-              [116].
tende Intensivierung der Landbewirtschaf-
tung befördern. Während der Bedarf an                 Verbunden mit den zum größten Teil im-
landwirtschaftlichen      Produkten     stetig        mer noch an den Flächenbesitz gebunde-
steigt, sinkt gleichzeitig die dafür zur Ver-         nen Fördergeldern aus der Gemeinsamen
fügung stehende landwirtschaftliche Nutz-             Agrarpolitik der EU (GAP) hat dieser Flä-
fläche, da in Deutschland täglich ca. 56              chendruck auch große Auswirkungen auf
Hektar für Siedlungs- und Verkehrsfläche              den Bodenmarkt. Im Zeitraum von 2009
                                                      bis 2019 haben sich die Preise für Acker-
                                                      und Grünland um den Faktor 2,3 erhöht
                                                      [22]. In der Folge drängen vor allem rendi-
                                                      teorientierte und häufig landwirtschafts-
                                                      fremde Investoren auf den Markt. Eine
                                                      langfristige und an Bodenleben und Bo-
                                                      denfruchtbarkeit orientierte Betriebspla-
                                                      nung bleibt dabei anschließend oft außen
                                                      vor.

56 Hektar Boden werden in Deutschland täglich für
Siedlungs- und Verkehrsflächen beansprucht.

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