DROGENKURIER magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband

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DROGENKURIER magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
DROGENKURIERmagazin des jes-bundesverbands
Nov. 2011
  nr. 88
DROGENKURIER magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
vorwort   2
                                       DROGENKURIER

                                      liebe Leserinnen und Leser
                                      des DROGENKURIER,
                                      Liebe Freundinnen und Freunde
                                      des JES-BUNDESVERBANDS!
IMPRESSUM                             > 	In der aktuellen Ausgabe des DROGENKURIER beschäftigen wir uns mit
                                          der wahrscheinlich menschenverachtendsten Maßnahmen die wegen
Nr. 88, November 2011
Herausgeber des                           Drogendelikten ausgesprochen wird – die Todesstrafe. Mehr als 30 Länder
DROGENKURIER:                             sehen die Todesstrafe für Drogendelikte vor. Das jedes Jahr viele hundert
JES*-Bundesverband e. V.                  Menschen ohne angemessenen Rechtsbeistand zum Tode verurteilt werden
Wilhelmstr. 138                           gehört zum inhumanen Repertoire im Kampf gegen Drogen.
10963 Berlin
Tel.: 030/69 00 87-56                 > 	22 Jahre JES- für uns ein Anlass um mit vielen Freundinnen und Freunden
Fax: 030/69 00 87-42                      im Rahmen eines Fachtags in Köln engagiert zu diskutieren, Aufgaben und
Mobil: 0175/6 68 86 87
                                          Ziele für die Zukunft festzulegen und miteinander zu feiern. Unser Beitrag
Mail: vorstand@
jes-bundesverband.de
                                          gibt einen Einblick in den Verlauf des JES-Fachtags.
www.jes-bundesverband.de
                                      > 	Wie bereits in den Ausgaben zuvor, wollen wir mal wieder einen Blick über
Das Redaktionsteam:                       die Landesgrenzen hinauswerfen um andere Drogenselbsthilfegruppen
Häde Mathias                              vorzustellen. Dies ist zugleich der Auftakt zu einer neuen Serie im DROGEN-
Heinze Katrin
                                          KRUIER.
Jesse Marco
Lenz Jochen
                                      > 	Viele DrogengebraucherInnen sind Hepatitis C infiziert und tragen sich
Schieren Claudia
                                          schon Monate oder Jahre mit dem Gedanken einer Interferontherapie he-
Mitarbeit: Dirk Schäffer                  rum. Neue Medikamente geben Anlass zur Hoffnung, dass sich für jene die
Titelfoto: © Isleif Heidrikson/           bisher mit bisher mit Genotyp 1a oder 1b nur durchschnittliche Chancen auf
Fotolia.com                               einen Therapieerfolg hatten die Chancen auf einen Therapieerfolg deutlich
Layout, Satz: Carmen Janiesch             erhöhen. Aber wie so oft gibt es auch hier einen Haken…. Aber lest selbst.

Druck: X-Press-Druck                  > 	Der Vorstand des JES-Bundesverbands, sowie die Redakteure des DRO-
Lützowstr. 107–112                        GENKURIER möchten diese Vorweihnachtliche Ausgabe nutzen um Ihnen
10785 Berlin                              und euch für die Unterstützung unseres Projektes „DROGENKURIER“ zu
Auflage: 1.000 Exemplare                  bedanken. Eure Spendenabos tragen weiterhin dazu bei dieses Usermaga-
Der DROGENKURIER wird                     zin herstellen zu können. Unser Dank geht insbesondere an die Deutsche
unterstützt durch                         AIDS-Hilfe sowie an die Firmen Sanofi Aventis und Reckit & Benckiser, die
Deutsche AIDS-Hilfe e. V.                 mit ihrer finanziellen und strukturellen Unterstützung die Erstellung und
Reckitt & Benkheiser                      den Druck des DROGENKURIER möglich machen.
Sanofi Aventis
                                      > 	Wir wünschen euch ein friedliches und schönes Weihnachtsfest und freuen
                                          uns euch mit der Ausgabe 89 im Jahr 2012 wieder über Aktuelles aus Politik,
* Junkies, Ehemalige,
Substituierte                             Selbsthilfe, Medizin und Kultur zu informieren.
Die Nennung von Produktnamen
bedeutet keine Werbung.                                                               Das Team des DROGENKURIER
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                Death by hanging –
                Todesstrafe für
                Drogenvergehen
                     Aktuelle Zahlen machen deut-
                     lich, dass in Deutschland un-
                     gefähr jeder dritte Inhaftierte
                     wegen Delikten gegen das Betäu-
                     bungsmittelgesetz einsitzt. Bei einer
                     Gesamtzahl von ca. 70.000 Inhaftierten
                     in deutschen Gefängnissen sind dies ca.
                     20.000 bis 25.000 Menschen, die zumeist wegen
                     Beschaffungsdelikten, Drogenbesitz bzw. -handel
                     verurteilt wurden.

                     Viele Fachleute sind sich einig, dass mit     Vollzug der Todesstrafe wegen Drogenver-        wurde die Todesstrafe nie zur Anwendung
                     der Inhaftierung dieser Menschen kein         gehen zu informieren und den Druck auf          gebracht. Die jeweiligen Gesetze sollen die
                     Fortschritt hinsichtlich ihrer Drogenab-      Länder zu erhöhen die solche Praktiken          Stärke und Strenge der Länder gegenüber
                     hängigkeit zu erzielen ist. So ist es nicht   auch im 21. Jahrhundert vollziehen.             Drogenvergehen symbolisieren.
                     verwunderlich, dass der Drogenkonsum             Der diesem Beitrag zugrunde liegende
                                                                                                                   Gruppe 4: In vier weiteren Ländern liegen
                     in Haft zumeist fortgesetzt wird              Bericht nimmt eine Klassifizierung dieser
                                                                                                                   keine validen Daten zur Todesstrafe vor.
                     oder unmittelbar nach der Haft-               Länder in vier Gruppen vor.
                     entlassung eine Rückkehr in dro-
                     genbezogene Lebensweisen an der                 Gruppe 1: Verantwortlich für den Voll-        Die Todesstrafe und die
                     Tagesordnung ist.                               zug von vielen hundert Todesstrafen           internationale Gesetzgebung
                        Während in Deutschland und Euro-             wegen Drogendelikten sind insbesonde-         Die internationalen Menschenrechtsnor-
                     pa Menschen wegen Verstößen gegen               re sechs Länder in denen die Todesstra-       men, die im Internationalen Gesetz der
                     das Betäubungsmittelgesetz inhaftiert           fe für Drogendelikte verhängt wird.           bürgerlichen und politischen Rechte ver-
                     werden, Bewährungsstrafen erhalten                                                            ankert sind, schließen die Anwendung der
                                                                     Gruppe 2: In acht weiteren Ländern
                     oder die Möglichkeit bekommen sich                                                            Todesstrafe nicht grundsätzlich aus. Ihre
                                                                    werden Todesstrafen wegen Drogende-
                     für Therapiemaßnahmen anstelle einer                                                          rechtliche Anwendung, ist jedoch stark ein-
                                                                     likten in sehr seltenen und außerge-
                     Inhaftierung zu entscheiden, werden                                                           geschränkt. Diese Einschränkung, nach Ar-
                                                                       wöhnlichen Fällen vollzogen.
                     in 32 Ländern Betäubungsmittelverge-                                                          tikel 6 (2) besagt, dass die Todesstrafe nur
                     hen mit dem Tod bestraft.                          Gruppe 3: In fünf weiteren Ländern         dann rechtmäßig ist, wenn sie für „schwers-
                        Die Internationale Harm Reduc-                   ist die Todesstrafe faktisch abge-        te Verbrechen“ angewendet wird.
                     tion Association hat es sich zur                     schafft auch wenn die Möglichkeit           Die politischen Gremien der Vereinten Na-
                     Aufgabe gemacht diese unverhält-                      der Todesstrafe weiterhin im Ge-        tionen unterstützten die „hochschwellige“
Fotos: ansem/123RF

                     nismäßigen und inhumanen Reakti-                      setz verankert ist. In 14 Ländern       Anwendung der Todesstrafe bei „schwers-
                     onen gegen Drogenvergehen zu do-                       haben Gesetze die die Todesstra-       ten Verbrechen“ im Jahr 1984. Dies wurde
                     kumentieren. Dies mit dem Ziel die                     fe wegen Drogendelikten vorse-         von der Generalversammlung der Vereinten
                     internationale Gemeinschaft über den                  hen nur symbolischen Wert. Dort         Nationen bestätigt.
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topthema                     4
                                                    DROGENKURIER

 Der Fall Iwuchukwu Amara Tochi
 Land der Hinrichtung: Singapur
 Hingerichtet: 26. Januar 2007
 Alter bei Festnahme: 19
 Alter bei Hinrichtung: 21
 Iwuchukwu Amara Tochi, war nach nigerianischen
 Informationen ein talentierter Fußballer, der auf
 dem Weg zum Fussballprofi war, als er in Dubai
 strandete, da ihm das Geld ausging. Eine befreun-
 dete Person bot ihm 200 Dollar dafür, dass er ein
 Paket mit Heilkräutern nach Singapur brachte.
 Als er am Changi Flughafen in Singapur im Jahr
 2005 festgenommen wurde, wurden 727 Gramm
 Heroin sichergestellt. Nach Angaben des UN Be-
 richterstatters räumte der Richter im anschlie-
 ßenden Gerichtsverfahren ein, dass Amara Tochi Iwuchukwu Amara Tochi
 nicht wusste was er in dem Paket transportier-
 te. Diese Unwissenheit schütze ihn aber nicht vor der zu erwartenden Strafe. Trotz der
 Interventionen der Vereinten Nationen und des nigerianischen Staatspräsidenten wurde
 Amara Tochi im Januar 2007 hingerichtet. Seine letzten Worte an seinen Verteidiger wa-
 ren: „Bitte lassen Sie nicht zu, dass ich getötet werde.“

   In den letzten Jahren hingegen entstan-         den Drogenkonsum drohen wie z. B. Anhän-      fen infolge von Vergehen mit Marijuana
den Richtlinien von Menschenrechtsorga-            gigkeit, Überdosierung, Krankheit durch       oder Haschisch vollzogen.
nisationen, die die Todesstrafe wegen Dro-         Blut übertragbare Infektionen. Zudem wer-
gendelikten als Verletzung des Völkerrechts        den Todesstrafen gerechtfertigt da sie ins-   Todesstrafen für Ausländer
ansehen und sie als Verstoß gegen Inter-           besondere gegen Drogenhändler oder die        •	Zwischen 1998 und 2007 wurden in Ku-
nationale Gesetze werten. Diese Haltung            Mafia ausgesprochen würden. Viele der            wait 14 Menschen für Drogenvergehen
vertritt u.a. das UN Menschenrechtskom-            Menschen die zum Tode verurteilt wur-            erhängt. Keiner der hingerichteten war
mittee, die UNODC, sowie die UN Bericht-           den sind keine Händler von so genannten          Staatsbürger des Kuwaits.
erstatter für Justiz und Menschenrechte.           „harten“ Drogen. Stattdessen gehören sie      •	Von den 40 Menschen die im Jahr 2007
Diese Haltung wird heute von vielen Mit-           den armen Bevölkerungsschichten an, die          in Saudi Arabien hingerichtet wurden
gliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN)          selbst Drogen konsumieren oder mit dem           waren 36 Ausländer
vertreten.                                         Drogentransport von Marihuana oder Ha-        •	Von den 7 Menschen an denen die Todes-
                                                   schisch das Einkommen ihrer Familien si-         strafe im Jahr 2010 in den Vereinigten
Todesstrafen zur Abschreckung?                     cherten.                                         Arabischen Emiraten vollstreckt wurde
Viele Regierungen rechtfertigen ihre To-              Während im Iran und Kuwait, die Mehr-         waren sechs Ausländer.
desstrafen als „notwendige“ abschreckende          heit der gemeldeten Hinrichtungen infolge     •	In Indonesien wurden seit 2004 vier
Maßnahme in Bezug zu gesundheitlichen              von Heroin-bezogenen Straftaten erfolgte,        Menschen wegen Drogendelikten hinge-
und sozialen Risiken die dem Volk durch            wurden in Malaysia, die meisten Todesstra-       richtet. Zwei Nigerianer und zwei Thais.

                                                                                                 Auch wenn viele dieser Zahlen unvollstän-
Todesstrafen und Drogenarten
                                                                                                 dig sind und die Situation in den jeweili-
 Substanz                               Malaysia             Saudi-Arabien        Singapur       gen Ländern nicht umfänglich abbilden, so
 		                                   (2008-2010)             (2007-2010)          (2010)        wird deutlich, das hunderte oder gar viele
 Marijuana/Haschisch/Hanf                     77                   14                  1         tausend Ausländer mit der Todesstrafe be-
 Heroin/Morphin/Opium                         27                   30                  3         droht sind. (An vielen wurde die Todesstra-
 Amphetamin/Stimulanzien                      17                    -                  -         fe bereits vollzogen) Viele dieser Personen
 Kokain                                       3                     7                            sind Staatsbürger von Ländern in denen es
                                                                                                 keine Todesstrafe für Drogendelikte gibt
 Nicht genauer spezifiziert                   4                     8
                                                                                                 (z. B. Australier Franzosen, Israelis, Me-
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                                                                                                fahren, keine anwaltliche und konsulari-
                                                                                                sche Unterstützung zukommen lassen und
                                                                                                gegen geltende Menschenrechtkonventio-
                                                                                                nen verstoßen.
                                                                                                    Auch wenn die Zahl der Länder in de-
                                                                                                nen die Todesstrafe praktiziert wird auf ein
                                                                                                historisch niedriges Niveau gesunken ist,
                                                                                                ist es umso unfassbarer, dass die Zahl der
                                                                                                der Todesstrafen in den letzten Jahren ge-
                                                                                                stiegen ist.
                                                                                                    Regierungen behaupten dass die Todes-
                                                                                                strafe als abschreckende Maßnahme gegen
                                                                                                Kartellbosse und große Drogenhändler zu
                                                                                                sehen ist. Bei genauerer Betrachtung der
                                                                                                Fälle wird allerdings deutlich, dass diese
                                                                                                Personen in der absoluten Mehrzahl arme
                                                                                                ausgebeutete Menschen oder Ausländer
                                                                                                sind.
                                                                                                    Aber es gibt verhaltenen Grund zum Op-
                                                                                                timismus. Die überwiegende Mehrzahl der
                                                                                                Todesstrafen wird von ganz wenigen Län-
                                                                                                dern vollzogen. Auf internationalen Druck
                                                                                                haben sich viele Länder bereiterklärt ihre

xikaner, Niederländer, Schweden, Türken,        Iran
Deutsche, Briten).                                         Jahr               Todesstrafen gesamt            Todesstrafen wegen Drogen
                                                           2008                       317                                 96
Beispiele für Länder mit                                   2009                       346                                172
Todesstrafen                                               2010                       650                                590
                                                   Todesstrafen wegen
China
                                                Drogendelikten 1979–2011		                                          Mehr als 10.000
Der Vollzug der Todesstrafe ist ein großes
Geheimnis in China. Demzufolge gibt es
                                                Vietnam
sehr unterschiedliche Angaben zum Aus-
                                                          Jahr                Todesstrafen gesamt            Todesstrafen wegen Drogen
maß von Todesstrafen.
                                                          2010                         34                                 24
    Die Dui Hua Foundation berichtet, dass
                                                       2007–2009                      201                                109
etwa 5.000 Menschen im Jahr 2009 wegen
Schmuggel, Transport und Herstellung von
Drogen hingerichtet wurden.                     Malaysia
    Andere Organisationen kommen zu an-                   Jahr                Todesstrafen gesamt            Todesstrafen wegen Drogen
deren Zahlen. So berichtet „Hands Off Cain“,              2009                         68                                50
dass der Supreme People’s Court, der mit                  2010                        114                                 63
der juristischen Prüfung aller Todesstrafen             Seit 1960                     441                                228
beauftragt ist, im Jahr 2009 11.749 Fälle
von Todesstrafen bearbeitete. Todesstrafen     Menschenrechtsverletzungen im Namen              Gesetzgebung zu verändern und die To-
aufgrund von Drogenvergehen sollen mehr        der Drogenkontrolle und der Drogenpoli-          desstrafe aus dem Strafenkatalog zu strei-
als 90 % dieser Fälle ausmachen.               tik sind erschreckend weit verbreitet. Die       chen. n
    Auf internationalen Druck hat China        Todesstrafe ist ein inhumanes, eklatantes
                                                                                                                               Dirk Schäffer
nach offiziellen Angaben im Jahr 2010 die      und irreparables Beispiel für Verletzungen
Gesetzgebung in Bezug auf die Todesstra-       der Menschenwürde. Leider macht diese
fe grundlegend verändert. Der Wahrheitsge-     Praxis deutlich, dass Länder „Drogen“ als        Quelle: The Death Penalty for Drug Offences
halt dieser Aussagen ist bisher nicht über-    solch eine große Gefahr ansehen, dass sie        Global Overview 2011 – International Harm
prüfbar.                                       beschuldigten Personen keine fairen Ver-         Reduction Association, 2011
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topthema                       6
                                                      DROGENKURIER

Teilnehmer und Teilnehmerinnen des JES-Jahrestreffens 2011                                            Der Kölner Oberbürgermeister zu Gast bei JES

JES-Fachtag ein großer Erfolg
JES begeht seinen 22. Geburtstag mit einem Fachtag in Köln

22 Jahre akzeptierende Drogenselbsthil-              ve Einflüsse auf JES gehabt? Um diese und        Das Grußwort des OB und
fearbeit in Deutschland repräsentiert durch          vielen andere Fragen zu diskutieren, bot der     persönliches von Imke
das JES-Netzwerk- dies ist sicherlich nicht          Fachtag „Perspektiven von Drogenselbsthil-       In seinem Grußwort blickte der Kölner Bür-
für jedermann ein Grund um zu feiern, für            fe“ des JES-Bundesverbands am 22.10 2011         germeister Bartsch (CDU) auf die Entwick-
uns allerdings schon. Wer hätte zum Ende             in Köln Gelegenheit.                             lung der JES-Selbsthilfe in Köln und im
der 80iger Jahre, als sich eine kleine Grup-            Etwa 70 TeilnehmerInnen aus dem ge-           Bund zurück. Hierbei hob er hervor, dass
pe politisch interessierter HIV positiver Dro-       samten Bundesgebiet nutzen die Möglich-          mit JES erstmals Betroffene für ihre ganz
gengebraucher bei Seminaren traf, gedacht,           keit um die Situation Drogen gebrauchen-         individuellen Belange und Bedürfnisse ein-
dass sich hieraus ein weltweit anerkanntes           der Menschen in Deutschland zu diskutieren       traten und über den Dialog mit der Politik
und einmaliges bundesweites Netzwerk von             und Perspektiven und Ziele der Arbeit des        wichtige Veränderungen in der Hilfeland-
Drogengebrauchern, Ehemaligen und Subs-              JES-Bundesverbands zu vereinbaren. Das           schaft ermöglicht wurden.
tituierten entwickeln sollte? Sicherlich nur         Jugendgästehaus Köln Riehl bot hierfür ei-          Im anschließenden Eröffnungsreferat
ganz wenige.                                         nen geeigneten Rahmen.                           erlaubte uns Prof. Dr. Imke Niebaum, eine
   Heute 22 Jahre später, wird JES zu Fach-                                                           JES-Aktivisten der ersten Stunde, einen
treffen der Bundesdrogenbeauftragten ein-                                                             Einblick in ihre ganz persönlichen Gedan-
geladen, vertritt die Patienteninteressen                                                             ken und Gefühle in Bezug auf die Einflüs-
im GBA zum Thema „diamorphingestützte                                                                 se die ihre Mitarbeit bei JES auf ihr Leben
Behandlung“ und der Kölner Bürgermeis-                                                                hatte. Hierbei zeigte Imke Entwicklungs-
ter kommt wie selbstverständlich zum JES-                                                             schritte des Junkie-Bund Köln (heute VI-
Fachtag um ein Grußwort zu sprechen.                                                                  SION) auf.
   Hat JES vielleicht seinen Biss und sei-
ne bisweilen kritisierte oder geschätzte                                                              Arbeitsgruppe mit viel Raum
Radikalität verloren und wird heute daher                                                             zur Diskussion
als gerngesehener Partner vielerorts aner-                                                            In den folgenden Arbeitsgruppen bot sich
kannt? Hat der zunehmende Grad an Insti-                                                              den TeilnehmerInnen die Gelegenheit sich
tutionalisierung eher positive oder negati-          Safer use wurde beim Fachtag GROSS geschrieben   über zwei verschiedene Themen zu infor-
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mieren. Der Workshop „Substitution und         und aktuelle Situation von akzeptierender         brauchen eine Neuausrichtung der interna-
Fahrerlaubnis“, der von Dr. Christiane Wein­   Drogen(selbsthilfe)arbeit im Mittelpunkt.         tionalen Drogenpolitik. Der „war on drugs“
mann-Schmitz geleitet wurde, stellte die       Es wurde deutlich, dass innerhalb des pro-        ist gescheitert. Wir haben heute weltweit
neuen Begutachtungsrichtlinien für die         fessionellen Hilfesystems das Interesse von       mehr Drogenabhängige, mehr Kriminalität
Widererteilung der Fahrerlaubnis bei be-       MitarbeiterInnen an politischer Arbeit in         und mehr Leid für die Familien und für die
stehender Substitution in den Mittelpunkt.     den letzten 10 Jahren deutlich geschwun-          Gesellschaft, deshalb ist es jetzt an der Zeit
Hierbei bot sich die Möglichkeit eine Klä-     den ist. So wurde die These vertreten, dass       umzudenken und umzusteuern.“ Dieses Fa-
rung im Hinblick auf die ganz persönliche      eine Unterstützung für eine Legalisierun-         zit zog eine Gruppe von hochrangigen und
Situation von TeilnehmerInnen herbeizu-        gebewegung nur dann erfolgen wird, wenn           einflussreichen Politikern wie der ehemali-
führen und wichtige Informationen für die      das Hilfesystem hieraus monetär gestärkt          ge UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie die
Vor Ort Arbeit zu erhalten.                    hervorgehen wird. Solange wie das profes-         ehemaligen Präsidenten von Brasilien, Ko-
   Im zweiten Workshop, der von den Bun-       sionelle Hilfesystem durch eine wie auch          lumbien, Mexiko und der Schweiz oder der
desvorständen Mathias Häde und Katrin          immer geartete Legalisierung an Einfluss,         ehemalige griechische Premierminister in
Heinze geleitet wurde, stand hingegen die      Arbeitsplätzen und Finanzmitteln verlieren        der Global Commission on Drug Policy.
Auseinandersetzung und Diskussion um die       wird, werden die Protagonisten nicht zu un-           Für JES ein Grund mehr das Ziel der Le-
Möglichkeiten und Grenzen von Drogen-          serem Bündnispartner gehören.                     galisierung nicht aus den Augen zu verlie-
selbsthilfearbeit im Zentrum. Hierbei ran-        Auch die von JES und akzeptierenden            ren.

Ein gut gefüllter Saal                                                Anregende Diskussionen im Goldfischglas

gen die TeilnehmerInnen in teilweise sehr      Verbänden unterstütze Veränderung der JES-Bundesvorstand
engagiert geführten Diskussionen um er-        Sichtweise vom kriminellen Junkie zum wird bestätigt
folgreiche Formen der politischen und in-      kranken Drogengebraucher wurde durch- Im Rahmen der abschließenden Mitglieder-
haltlichen Arbeit des JES-Bundesverbands.      aus kritisch diskutiert. Mit der Aussicht auf versammlung wurde der bisherige Vorstand,
                                               neue wichtige niedrigschwellige Angebote bestehend aus Marco Jesse, Köln; Mathias
Mitten im Leben und Diskussionen               wie Drogenkonsumräume, flächendecken- Häde, Bielefeld; Jochen Lenz, Köln; Claudia
im „Goldfischglas“                             den Spritzentausch, der Substitutionsbe- Schieren, Berlin und Katrin Heinze, Halle
Die Vorstellung des von JES im Jahr 2010       handlung verstummte die Kritik an der dro- mit überwältigender Mehrheit für eine neue
in Kooperation mit der DAH produzierten        genpolitischen Grundausrichtung für einige Amtszeit bestätigt Grundlage hierfür war
Films „MITTEN IM LEBEN“, bot anschließend      Zeit. Vielleicht zu lange- denn                           u.a. ein beeindruckender Ar-
die Möglichkeit die Situation substituierter   heute sehen sich viele Drogen-                            beitsbericht des Vorstands für
Menschen im Kontext von Arbeit und Be-         konsumenten als „kranke“ im                               die Jahre 2009-2011.
schäftigung näher zu betrachten.               Hilfesystem gefangen ohne ei-                                Trotz eines sehr anstren-
   In der abschließenden Fishbowldiskussi-     nen wirklichen Weg heraus.                                genden Programms, zogen die
on, zu der der JES-Bundesverband mit Jür-         Allerdings wurde aber auch                             TeilnehmerInnen ein überaus
gen Heimchen (Bundesverband der Eltern         deutlich, dass aktuell viele                              positives Fazit dieses Fachtags.
und Angehörigen für humane und akzeptie-       führende Politiker aus unter-                             Eine gelungene Veranstaltung
rende Drogenarbeit e.V.) und Urs Köthner       schiedlichen Ländern für eine                             die sicherlich motivationsstär-
(akzept e.V.) u.a. Diskutanten aus befreun-    grundlegende Neuausrichtung                               kende und verbindende Wir-
deten Verbänden eingeladen hatte, stand        der Drogenpolitik in Richtung                             kung haben wird. n
eine Diskussion zum Thema „Stellenwert         „Legalisierung“ eintreten. „Wir Bericht des JES-Vorstands             JES-Bundesvorstand
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leben mit drogen                                 8
                                                      DROGENKURIER

                                                                                                                                ten und selektiven Präventionsinstrument

                                                                                               Foto: www.drogenbeauftragte.de
                                                                                                                                entwickelt.
                                                                                                                                   Nach Meinung der Referenten Prof.
                                                                                                                                Dr. Dieter Rössner und Prof. Dr. Wolfgang
                                                                                                                                Voit von der Philipps-Universität Marburg
                                                                                                                                könnte die Einführung einer neuen Kate-
                                                                                                                                gorie die „betäubungsmittelähnliche“ bzw.
                                                                                                                                „verwandten Substanzen“ neben den Be-
                                                                                                                                täubungsmitteln mit sachgerechten Son-
                                                                                                                                derregeln im BtMG unterstellt, ein Schritt
                                                                                                                                zur Erfassung von Designerdrogen im BtMG

Jahrestagung der
                                                                                                                                sein.
                                                                                                                                   Ferner regten sie die Schaffung einer Er-
                                                                                                                                mächtigungsgrundlage zur Anlage IV zum

Drogenbeauftragten
                                                                                                                                BtMG in einem neuen § 1 Abs. 5 für die
                                                                                                                                Aufnahme von Stoffgruppen, deren Deriva-
                                                                                                                                te mit hoher Wahrscheinlichkeit wie ein Be-
                                                                                                                                täubungsmittel eingesetzt werden, an.
Fortschritte wären wohl zu viel erwartet                                                                                        Der Tanzbär in der Arena
gewesen …                                                                                                                       Der Versuch durch die Beteiligung eines Be-
                                                                                                                                troffenen Authentizität abzubilden kann
                                                                                                                                nur als gescheitert beurteilt werden. Man
Von den Medien weitgehend unbeach-                   lisieren scheint zudem verfassungsrechtlich                                konnte sich dem Eindruck nicht erweh-
tet fand am 12. Oktober die Jahrestagung             bedenklich zu sein.                                                        ren, dass der Ex-User „Uwe“ hier von seiner
der Bundesdrogenbeauftragten Mecht-                      Solche Veranstaltung leben von interes-                                Drogenberaterin wie ein Tanzbär durch die
hild Dyckmans unter dem Motto „Der Stoff             santen Referenten und einem interessier-                                   Arena geführt wurde. Einfach gruselig!!
aus dem Chemielabor, Speed, Spice & Co.“             ten und diskussionsfreudigem Publikum.                                        Man sollte meinen, dass eine solche Ver-
statt.                                               Der Beitrag des Referenten Alexander Bü-                                   anstaltung mit Andersdenkenden und un-
   Im Fokus der Veranstaltung stand die              cheli machte deutlich, dass es darum ge-                                   terschiedlichen Meinungen umgehen kann.
Frage, wie auf synthetische Drogen und               hen muss, dass aus Probierkonsum kein                                      Als sich allerdings einer der Demonstranten
sogenannte „Legal highs“ reagiert werden             problematischer Konsum wird. Ferner hat                                    und Legalisierungsbefürworter über das Mi-
kann. Nach Ansicht vieler TeilnehmerInnen            sich das Angebot des Drugchecking in der                                   krofon für 50 Jahre Prohibition „bedanken“
wurde eine große Chance vertan über neue             Schweiz zu einem pragmatischen, effizien-                                  wollte, wurde das Mikrofon ausgeschaltet
Wege und Ansätze bundesdeutscher Dro-
genpolitik nachzudenken.
   Der im Rahmen der Veranstaltung vorge-
stellte „alte Hut“, auch diese Stoffe in das                 Die Größenordnung in Deutschla
Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufzuneh-                                                     nd:
men, wird der aktuellen Situation nicht ge-                      Heroin und andere Opioide
recht da hiermit die bisher weitgehend er-
folglos praktizierte Verbotspolitik, die jedes                 Konservative Schätzungen gehen
Jahr mehr als 1000 Drogentote fordert, fort-                                                      bei schwer
                                                             abschätzbaren Dunkelziffern davon
geführt wird.                                                                                     aus, dass in
   Nach Meinung vieler Experten führt die                    der letzten Dekade ein harter Kern
                                                                                                 von 200.000
Unterstellung dieser Substanzen in das Be-                      Menschen pro Jahr in Deutschland
täubungsmittelgesetz nur dazu, dass immer                                                            illegale
                                                            opioidhaltige Substanzen injiziert bzw
schneller weitere neue Substanzen entwi-                                                          . riskant und
ckelt werden, dessen Konsum unberechen-                       ohne ärztliche Verschreibung konsum
                                                                                                      iert hat.
bare Risiken zur Folge haben kann. Das Vor-
                                                                         (Drogenbeauftragte der Bundesregieru
haben der Drogenbeauftragten nicht mehr                                                                      ng 2009)
Einzelsubstanzen dem BtmG zu unterstel-
len, sondern ganze Stoffgruppen zu illega-
DROGENKURIER magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
www.jes-bundesverband.de                                                  9
                                                                                                    leben mit drogen

                                             Europäisches Netzwerk
und die Security drohte mit einem Saal-
verweis. Auch der Umstand, dass die Se-
curity den Versuch unternahm während

                                             von Drogengebrauchern
der Mittagspause die Verteilung des ab-
gebildeten Flyers zu verhindern, kann
nur als überzogen und unverhältnismä-
ßig kommentiert werden.
   Ein souveränerer Umgang mit einer
Handvoll Demonstranten wäre sicher-
lich möglich und nötig gewesen.
                                             gegründet
Alles beim alten!
„Wie immer- alles verbieten“, so oder so
ähnlich könnte das Fazit dieser Jahres-
tagung lauten. Die Drogenbeauftragte
der Bundesregierung vertraut weiterhin
auf Prohibition und Sanktion. Auf diese
Weise wird kein angemessener Umgang
mit Konsumierenden entwickelt werden.
Mit Frau Dyckmans wird es also aller Vo-
raussicht nach keine liberale, freiheitli-
che Drogenpolitik geben.

Demonstranten „feierten“
50 Jahre Prohibition
Eine Gruppe Antiprohibitionisten und
Legalisierungsbefürworter nutze die
Jahrestagung der Drogenbeauftragten          Am 5. Oktober 2011 trafen sich europäi-               genkonsumräume und eine heroingestützte
um vor dem Beginn der Veranstaltung          sche Drug­user-Aktivisten aus elf* Ländern            Behandlung in einigen Ländern entstanden
eine „Jubeldemonstration“ durchzu-           in Marseille, um über die Weiterentwicklung           sind, Drogenkonsumenten in allen Ländern
führen. Hierbei stellten sie den Entwurf     der Selbstorganisation von Drogengebrau-              Europas zugänglich zu machen.
eines neuen 500-Euro-Scheines vor, um        chern in Europa zu diskutieren. Im Rahmen                EuroNPUD nimmt wahr, dass Europa als
die fundamentalistische und prohibitio-      dieses Treffens wurden die ersten Ergebnis-           Ausgangspunkt für viele Kampagnen zur
nistische Haltung der Drogenbeauftrag-       se der ersten Studie zu Drogenselbsthilfe in          Reform der Drogengesetzgebung diente.
ten zu „würdigen“.                           Europa vorgestellt und diskutiert.                    Diese Bewegung ist in den letzten Jahren
                                                 Im Verlauf dieses Treffens wurde die              zur Ruhe gekommen. EuroNPUD hat es sich
                                             wichtige Entscheidung getroffen ein euro-             daher zum Ziel gesetzt eine Veränderung
                                             päisches Netzwerk für Drogengebraucher zu             der europäischen Drogenpolitik in Rich-
                                             gründen. Das Netzwerk trägt den Namen                 tung von „Legalisierung“ in das Zentrum
                                             ­European Network of People who Use                   seiner Arbeit für die nächsten beiden Jah-
                                              Drugs (EuroNPUD). Das Meeting machte                 re zu stellen.
                                              deutlich, dass Europa eine sehr lange und               EuroNPUD lädt andere Usergruppen aus
                                              erfolgreiche Tradition von Drogenselbsthilfe         Europa ein an diesem Prozess teilzuhaben.
                                              hat. So trugen diese Aktivisten maßgeblich           Das Netzwerk bietet eine Vielzahl von Kom-
   In einer Erklärung, die auch in Form       dazu bei Harm Reduktion Angebote in ihren            petenzen und Ressourcen die insbesondere
eines Flyers bei der Tagung verteilt wur-     jeweiligen Ländern zu verankern und eine             Useraktivisten in den neuen EU-Mitglieds-
de, prangerten sie an, dass Deutschland       Diskussion über Menschenrechte zu initi-             staaten unterstützen können.
jedes Jahr etwa vier Milliarden Euro in-      ieren. So ist es ein Anliegen von EuroNPUD              EuroNPUD stellt selbstkritisch die fort-
vestiert um das Drogenverbot aufrecht         die positiven Entwicklungen die durch Dro-           schreitende Überalterung seiner Mitglieder
zu erhalten – um den Reichtum der Ma-                                                              fest. Ziel ist es daher Kontakt zu einer jün-
fia und anderer krimineller Strukturen       * Portugal, Spanien, Frankreich, Schweden, Nor-       geren Generation von Drogengebrauchern
zu bewahren. n                               wegen, Finnland, Großbritannien, Deutschland,         aufzunehmen. n
                       JES-Bundesverband     Niederlande, Rumänien, Albanien                                                        Dirk Schäffer
DROGENKURIER magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
leben mit drogen 10                               DROGENKURIER

 Im Blickpunkt: PREMOS
 Studie zu Langzeiteffekten der Substitution

                       Die kurz- und mittel-     Zentrale Ergebnisse nach 6 Jahren                                   Welches Substitut für welchen
                       fristige (6- bis 12-mo-   (t3) Abb. 1:                                                        Patient?
                       natige) Wirksamkeit       •	Zu t3 (nach 6 Jahren) befanden sich                              Gegenüber der Untersuchung nach 12 Mo-
 einer Substitutionstherapie wurde in der           noch 70 % der Ausgangsgruppe in Subs-                            naten ergaben sich hinsichtlich des Sub-
 Vergangenheit ebenso wie die Kosteneffek-          titution (Haltequote)                                            stitutionsmittels nach 6 Jahren einige
 tivität vielfach und eindrucksvoll nachge-      •	47 % waren in „temporär“ stabiler Subs-                          Veränderungen.
 wiesen. Die Erkenntnisse zu den Effekten           titution                                                             Von 1.115 Patienten, die nach 12 Mona-
 der langfristigen Substitutionstherapie         •	8 % wurden regelhaft beendet bzw. sind                           ten mit Methadon oder Levomethadon sub-
 waren demgegenüber bisher lückenhaft.              temporär abstinent, davon die Hälfte                             stituiert wurden (74,7 %), wechselten 68 bis
 Die PREMOS-Studie hatte das übergeord-             (4 %) gesichert stabil abstinent (länger                         t3 (6 Jahre) zu Buprenorphin (6,1 % der t1-
 nete Ziel, den langfristigen Verlauf von           als 6 Monate).                                                   Methadon-Fälle) und 89 (8,0 % der t1-Me-
 Substitutionstherapien zu beschreiben           • Verstorben waren 8 % aller Patienten,                             thadon-Fälle) waren nach 6 Jahren ohne
 und damit Grundlagen für eine zielgrup-         •	13 % hatten einen instabilen Substituti-                         ein Substitutionsmittel (Gründe: Haft, Ent-
 penspezifische und bedarfsgerechte Op-             onsverlauf,                                                      zug, disziplinarischer Abbruch, Abstinenz
 timierung der Versorgung zu schaffen.           •	3 % waren zumeist langfristig inhaftiert                         nach regelhafter Beendigung).
 Damit wurde in vielerlei Hinsicht wissen-          oder in stationärer medizinischer Be-                                Von den 368 Buprenorphinpatienten wa-
 schaftliches Neuland betreten, da derar-           handlung.                                                        ren nach 6 Jahren 144 Patienten zu Metha-
 tige Langzeitstudien an repräsentativen         •	Zusammen mit unklaren Patienten ohne                             don gewechselt. 51 Patienten (13,9 %) wa-
 Stichproben unter den aktuellen Versor-            Substitution und solchen mit Behand-                             ren ohne Substitution.
 gungsbedingungen und Behandlungsop-                lungsabbrüchen können maximal 30 %                                   Insgesamt stieg der Anteil Methadon-
 tionen bislang fehlten.                            als ungünstige Verläufe benannt wer-                             Behandelter an, während der Anteil Bu-
                                                    den.                                                             prenorphin-Behandelter abnahm.
 2.284 Substituierte aus
 223 Einrichtungen                                                                   Abb.1: Outcome-Status
 Grundlage dieser Studie ist eine bundesweit                    verstorben                  8,1
 repräsentative Gruppe von 2.284 Substitu-
 tionspatientInnen aus 223 Einrichtungen,                   in Substitution                                                                                 70,4
 die über 6 Jahre (drei Nachuntersuchungs-
                                                 Davon: stabile Substitution                                                              46,0
 wellen) weiterverfolgt wurden. Bei jeder
 Nachuntersuchung t2 nach 12 Monaten; t3               instabile Substitution                     12,7
 nach 6 Jahren, t4 nach 7 Jahren wurden
                                                             unklarer Verlauf
 Einrichtungen und Patienten über standar-                   (in Substitution)
                                                                                                  11,7
 disierte Verfahren (z. B. Arzt- und Patien-
                                                     nicht in Substitution                                    21,4
 teninterview, Urin-Screenings) hinsichtlich
 Verlauf und Ergebnissen beurteilt.              Davon:            abstinent                7,1

                                                        abstinenzorientierte
 Ergebnisse                                                                          1,5
                                                                Einrichtung
 Bei überaus befriedigender Ausschöpfung
                                                        andauernd stationär          1,7
 wurde der 6-Jahres-Verlauf für 1.624 Pati-
 enten vollständig und umfassend, für wei-                               Haft        0,9
 tere 470 Patienten zumindest hinsichtlich
 der zentralen Verlaufs- und Ergebnisinfor-                          Abbruch          2,5
 mationen, beurteilt.                                        unklarer Verlauf               7,6
    Darüber hinaus wurden 131 verstorbene                 (ohne Substitution)
 Patienten dokumentiert.                                                         0          10           20           30          40         50   60   70
                                                                                                                     % aller 1.624 Patienten
www.jes-bundesverband.de                                                                          11
                                                                                                                                          leben mit drogen

Unterbrechungen in der Substi­                                             Deutliche Reduktion von                                          Die häufigsten Beikonsumsubstanzen
tutionsbehandlung (Abb.2)                                                  Beikonsum (Abb.3)                                             waren zu t3 (also nach 6 Jahren) Cannabis
Unterbrechungen sind ein durchaus häu-                                     Bemerkenswert ist die Reduktion des Bei-                      (33,4 %), Benzodiazepine und Barbiturate
figes Phänomen in der langfristigen Sub-                                   konsums von nicht verschriebenen Opioiden                     (18,6 %) sowie Opioide (12,8 %). Der nicht
stitution. Im Durchschnitt wurde pro Jahr                                  um nahezu 40 %. Bezogen auf eine breite-                      verschriebene Gebrauch von Buprenorphin
1,7-mal, die Substitution unterbrochen.                                    re Definition potenziell „schwerwiegenden“                    wurde mit 7 % angegeben.
Dieser Mittelwert täuscht aber darüber hin-                                Drogenbeikonsums (Opioide, Kokain, alle il-
weg, dass bei 2/3 aller Patienten keinerlei                                legalen Drogen ohne Cannabis) ergibt sich                     Psychosoziale Lage
Unterbrechungen stattfanden.                                               nach 6 Jahren eine Reduktion von 23,7 %                       (Veränderungen t1 (1 Jahr),
    Das heißt, es scheint eine Risikogrup-                                 auf 12,7 %. Dabei verringerte sich der Opi-                   t2 (5 Jahre), t3 (6 Jahre)
pe von etwa 20-30 % zu geben, bei denen                                    oidbeikonsum von 21,2 % auf 12,8 %. Jegli-                    Beruf
Unterbrechungen überproportional häufig                                    cher Beikonsum (einschließlich Cannabis)                      Bezüglich der beruflichen Situation stieg
vorkommen                                                                  reduzierte sich von 58,9 % auf 40,7 %.                        der Anteil berufstätiger Patienten von 24,1%
                                                                                                                                         bei t1 auf 34 % sowie der Anteil derjenigen
                         Abb.2: Gründe der Unterbrechungen                                                                               in berufsqualifizierenden und beruflich-
                                                                                                                                         rehabilitativen Maßnahmen von 7,5 % auf
     Compliance                                        9,1
                                                                                                                                         19,4 %. Zugleich reduzierte sich der Anteil
   Nebenwirkung                                                            18,1                                                          Arbeitsloser von 51,6 % auf 42 %.

         Rückfall                                7,3                                                                                     Wohnen
                                                                                                                                         Hinsichtlich der Wohnsituation erhöhte sich
    Beigebrauch                                                                   20,3
                                                                                                                                         sowohl der Anteil derjenigen, die in einer
          Entzug                                                                                                34,9                     eigenen Wohnung alleine wohnten (von
                                                                                                                                         41,8 % auf 50,3 %) Demgegenüber reduzier-
                     0 %		                         10 %		                  20 %		                    30 %               40 %             te sich – vermutlich altersbedingt – der An-
                                                                                                                                         teil von in der Herkunftsfamilie Lebenden
                         Abb.3: Beikonsum                                                                                                von 17,9 % auf 8,9 %. Wie auch zu Beginn
                                                                                                                                         der Studie blieb der Anteil wohnungsloser
     irgendeines
                                                                                              40,7                                       Personen (0,9 % bzw. 0,3 %) niedrig, wäh-
                                                                                                                   58,9
                                                                                                                                         rend betreute Wohnformen (betreute WG,
        Cannabis
                                                                                   33,4                                                  Heime, etc.) von 2,7 % auf 6 % zunahmen.
                                                                                                 43,1
                                                                                                                                         Insgesamt kam es also zu verbesserten Woh-
 Benzodiazepine/                                              18,6                                                                       numständen. Über 90 % lebten zu t3 in einer
     Barbiturate                                                  21,2                                                                   selbstständigen Wohnsituation (t2: 78 %)
                         0,0
          Codein                                                                                                                         Kriminalität
                                  4,4

                         0,0
                                                                                                                                         Auch hinsichtlich Drogenkriminalität und
   Halluzinogene
                         0,4                                                                    = Baseline t1      = Follow-up t3        Haft ergaben sich statistisch bedeutsame
                                                                                         25
                                                                                                                                         Reduktionen. In den 12 Monaten vor der t1-
                                3,3                                                             23,7
          Kokain                                                                                                                         Untersuchung waren 8,2 % zumindest kur-
                                        8,3
                                                                                      20                           21,2
                                                                                                                                         zeitig inhaftiert, zu t2 nur noch 2,5 %, zu t3
                            1,8
Metamphetamine
                          0,8
                                                                                                                                         0,9 %. Für den Zeitraum vor der 12-Monats-
                                                                                         15                                              Untersuchung gaben 34 % aller Patienten
   Amphetamine
                          0,9
                                                                                                        12,7               12,8          zu t2 zumindest einmalige Drogendelikte
                          1,1
                                                                                         10                                              an; nach 6 Jahren nur noch 9 %.
  andere Opioide                                 12,4
    (z. B. Heroin)                                             19,9
                                                                                          5
                                                                                                                                         Entwicklung körperlicher
                                      5,9                                                                                                Erkrankungen
   Buprenorphin
                         0,0                                                                                                             Die zum Beginn bemerkenswert hohe so-
                                                                                          0
                         0,4
                                                                                              schwerwiegender   Opioidbeikonsum          matische Komorbidität hat sich im 6-Jah-
       Methadon                                                                               Drogenbeikonsum
                          1,3                                                                                                            res-Verlauf insgesamt bedeutsam reduziert.
                     0                      10                20           30           40           50            60
                                                                                                                                         Der Anteil von Patienten ohne schwerwie-
                                                             % Patienten mit positivem Drogen-Urintest                                   gende somatische Morbidität erhöhte sich
leben mit drogen 12                           DROGENKURIER

                                             von 23,9 % auf 35,6 %. Dieser Rückgang ist     den weniger schweren Fällen die Rate
                                             überwiegend auf eine bedeutsam reduzierte      bei 6,3 % liegt. Die Mortalitätsrate in
                                             Rate von Hepatitis B und C Infektionen zu-     Einrichtungen ohne Abstinenzorientie-
                                             rückzuführen. Demgegenüber erhöhte sich        rung als individuelles Behandlungsziel
  Kommentar: Wir als Interessenver-          – vermutlich altersbedingt – die Häufigkeit    liegt bei 6,8 %
  tretung substituierter Menschen se-        von Erkrankungen des Herzens, der Lunge
  hen uns durch die Studi­en­ergebnisse      und des Magen-Darm Traktes.                    Die Notwendigkeit von PSB
  bestätigt. PREMOS hat deutlich ge-                                                        Die PREMOS-Befunde zeigen – auch bei
  macht, dass die Vorstellung eine lang-     Entwicklung psychischer                        Berücksichtigung der methodischen Ein-
  fristige und über Jahre hinweg stabil      Erkrankungen                                   schränkungen – recht eindrucksvoll, dass
  verlaufende Substitution in einer Ab-      Die zur Baseline bemerkenswert hohe psy-       sich der Stellenwert der PSB im langfristi-
  stinenz enden sollte nicht haltbar ist.    chiatrische Komorbiditat hat sich im 6-Jah-    gen 6-Jahres- Verlauf gegenüber der Base-
  PREMOS zeigt deutlich, dass ein Ab-        res-Verlauf nicht deutlich verbessert.         line deutlich verändert:
  bruch aus disziplinarischen Gründen           Zwar hat sich der Anteil der Patienten      •	Insgesamt kommt es zu einer deutlichen
  auf wenige Einzelfälle begrenzt wer-       ohne eine schwerwiegende psychische Stö-          Reduktion der PSB-Inanspruchnah-
  den muss, da die Folgen immense Ri-        rung von 36,7 % auf 44,3 % erhöht und der         me und ihrer Intensität. Offensichtlich
  siken bergen.                              Anteil multimorbider Störungen etwas re-          sehen die behandelnden Arzte bei na-
                                             duziert (17 % auf 13,5 %) jedoch                  hezu jedem zweiten Patienten unter Be-
  Die von vielen Ärzten immer wieder
                                                bleiben mehr als die Hälfte aller Patien-      rücksichtigung des Machbaren einen
  durchgeführten Maßnahmen zur Do-
                                             ten psychopathologisch schwer auffällig           „Deckeneffekt“ erreicht, das heißt, sie
  sisreduktion mit dem Ziel der Absti-
                                                                                               schätzen eine PSB entweder gar nicht
  nenz sind nur in sehr wenigen Fällen       Todesfälle – Substitutionsmedika-                 mehr oder nur noch in geringem Um-
  erfolgreich. Hingegen gehen Rückfälle      mente kein Faktor                                 fang als notwendig ein.
  mit erheblichen Komplikationen und
                                             131 Patienten verstarben während des           •	Es gibt weder Hinweise darauf, dass eine
  Risiken einher.
                                             6-jahrigen Untersuchungszeitraumes. Häu-          hohe PSB zu Baseline noch zu einem der
  Die Risiken einer sehr langfristigen       figste Todesursachen waren Folgen von oder        Follow-ups einen systematischen nach-
  bzw. lebenslangen Substitution sind        Komplikationen im Zusammenhang mit kör-           weisbaren Einfluss auf ein bedeutsam
  hingegen weitaus geringer. Aus die-        perlichen Krankheiten 36,6 %, z. B. AIDS,         positiveres Outcomemuster hat. Wenn es
  sem Grund sollten alle Abstinenzver-       HIV, kardiovaskulare Erkrankungen, Über-          Zusammenhange gibt, dann weisen diese
  suche auch vor dem Hintergrund des         dosis illegaler Substanzen bzw. Polyintoxi-       tendenziell dahin, dass Patienten mit in-
  Drucks durch Krankassen, sorgfältig        kation (28,3 %), Suizid (16 %).                   stabilem und schlechterem Verlauf ver-
  und zurückhaltend geprüft und vor-            Es lassen sich keine Hinweise darauf fin-      mehrt PSB-Maßnahmen erhalten. Dies
  bereitet werden.                           den, dass in der langfristigen Substitution       scheint anzudeuten, dass die PSB sinn-
                                             das Substitutionsmittel selbst einen we-          vollerweise dann intensiviert.
  PREMOS bestätigt ferner unsere An-
                                             sentlichen Faktor der Todesfälle darstellt;
  nahme, dass eine Vielzahl von Subs-                                                       Die Dosis – Ein Drittel aller
                                             lediglich bei 6 Patienten spielte das Sub-
  tituierten eine zu geringe Dosis erhal-                                                   ­Patienten sind unterdosiert
                                             stitutionsmittel selbst eine Rolle und nur
  ten. Die gründe hierfür sind uns nicht
                                             bei zwei Patienten wurde es als alleinige      Die vielfach vermutete Hypothese, dass
  ersichtlich. Klar scheint aber, dass mit
                                             Ursache eingeschätzt. Die überwiegende         viele Substituierte möglicherweise eine
  einer Erhöhung der Dosis ein Beige-
                                             Zahl der Patienten verstarb außerhalb der      zu niedrige Dosis erhalten, bestätigt sich
  brauch von opiaten reduziert werden
                                             Substitution – zumeist Monate nach einem       eindrucksvoll durch die PREMOS-Befunde.
  könnte.
                                             Therapieabbruch. Dies bestätigt dass Zeit-     Selbst wenn unterstellt wird, dass sich ein
  Der Erfolg der PSB bleibt auch bei PRE-    phasen ohne Substitution eine Hochrisiko-      Viertel aller Patienten aktuell in einer Ab-
  MOS weiterhin unklar. Dies unterstützt     phase darstellen.                              dosierungsphase befinden, ist der Befund,
  unsere Haltung, dass jeder Substituier-                                                   dass mehr als ein Drittel aller PREMOS-Pati-
  te das Recht auf eine PSB haben sollte,    Abstinenzorientierung birgt                    enten weniger als die minimal empfohlene
  aber die quasi zwangsweise durchge-        ­große Risiken                                 Erhaltungsdosierung erhalten, bemerkens-
  führten psychosozialen betreuungs-         Darüber hinaus ergeben sich Hinweise           wert.
  maßnahmen ohne zeitliche begren-           darauf, dass eine ausgeprägte Abstinen-           Darüber hinaus zeichnen sich – auch
  zung ein Weg ist, der keinerlei Nutzen     zorientierung bei Patienten mit einem          bei Berücksichtigung leicht unterschiedli-
  hat und vielfach zum Nachteil der sub-     hohen Schweregrad der Suchterkrankung          cher Ausgangswerte in der PREMOS Kohor-
  stituierten Patienten gereicht.            mit einem deutlich erhöhten Mortalitäts-       te einige bemerkenswerte Unterschiede im
                                             risiko (14,1 %) einhergeht, während bei        Langzeitverlauf ab, die andeuten, dass Pa-
www.jes-bundesverband.de                                              13
                                                                                                 leben mit drogen

                                                Ein anderer Blick
tienten unter Levomethadon in einigen In-
dikatoren und Patienten unter Burpreno-
phin in mehreren Indikatoren eine etwas

                                                auf das „Krokodil“
günstigere Prognose als Methadonpatien-
ten haben.

Schlussfolgerungen
•	PREMOS stellt eine aussagekräftige Basis     JES-Bundesverband sieht Prohibition als
   für die Beurteilung der längerfristigen
   Effekte einer Substitutionsbehandlung        ­Ursache für die Schäden durch „Krokodil“
   in der Routineversorgung dar.
•	Opioidabhängige in Substitution sind
   bei hoher Verlaufsvariabilität multimor-                                                                         wird die Amputation von
   bid chronisch krank.                                                                                             Körperteilen notwendig.
•	Entsprechend besteht ein unverändert                                                                                 Allerdings sind für un
   hoher, kontinuierlicher und individuell                                                                          die beobachteten Schädi-
   hochspezifischer Behandlungsbedarf.                                                                              gungen der Konsumenten
•	Die langfristige Substitutionstherapie                                                                           nicht Folge der Substanz,
   ist effektiv; die prioritären Substituti-                                                                        sondern Kollateralschä-
   onsziele (z. B. Haltequote, Sicherung                                                                            den der Drogenprohibi-
   des Überlebens, Reduktion von Drogen-                                                                            tion. Dieser Fakt ist in
   konsum, Stabilisierung Komorbidität,                                                                             der bisherigen Auseinan-
   gesellschaftliche Teilhabe) werden ins-                                                                          dersetzung um „Kroko-
   gesamt erreicht.                                                                                                 dil“ völlig ausgeblendet
•	Die Kriterien für „regelhafte Been-                                                                              worden.Durch Entzugs-
   digung“, „stabile Substitution“ sind                                                                             erscheinungen rückt die
   problematisch und werden der Krank-                                                                              Risikoabwägung der Kon-
   heitsdynamik nicht gerecht.                                                                                      sumenten in den Hinter-
•	Stabile Abstinenz (Opioidfreiheit) ist im    Seit einigen Wochen sehen wir uns               grund In dieser Situation nützen gut ge-
   langfristigen Verlauf ein seltenes Phäno-    mit immer neuen Horrormeldungen in              meinte Ermahnungen und Warnungen nur
   men (
leben mit drogen 14                               DROGENKURIER

 HIV im Alltag – Diskriminierung
 an der Tagesordnung?
 Die internationale Initiative des „The People
 Living with HIV Stigma Index“ startet unter
 dem Titel positive stimmen in Deutschland

 Ab November befragen Menschen mit HIV           positive stimmen – Der HIV Stigma             sind ca. 90 Minuten Zeit und es gibt Gele-
 andere HIV-Positive zu ihren Erfahrungen        Index                                         genheit, um über persönliche Erfahrungen
 mit Stigmatisierung und Diskriminierung.        Um diesen und anderen Fragen auf den          zu sprechen, über erlebte Diskriminierun-
 Auch Du kannst teilnehmen!                      Grund zu gehen, haben international tätige    gen. Erinnerungen an schlechte Erlebnisse
    Menschen, die Drogen konsumieren und         Organisationen eine systematische Ausein-     können auch weh tun. Die Interviewerinnen
 mit HIV/Aids leben, können ein Lied da-         andersetzung und Dokumentation gestar-        und Interviewer sind sich ihrer Verantwor-
 von singen: Die Gesundheitsversorgung ist       tet und den HIV-Stigma Index ins Leben        tung bewusst. Wenn Bedarf zum weiteren
 schlecht oder kaum gewährleistet, es gibt       gerufen. Vor drei Jahren begann das Pro-      Austausch besteht, können sie auch Kon-
 Ablehnungen bei der Jobsuche, Auseinan-         jekt und wurde zu Beginn hauptsächlich in     takte beispielsweise zu Beraterinnen und
 dersetzungen mit staatlichen Stellen und        Asien und im südlichen Afrika umgesetzt.      Beratern herstellen. Denn: Empowerment,
 schiefe Blicke von anderen. Drogen und HIV,     Mittlerweile sind mehr als 40 Länder betei-   also die Hilfe zu Selbsthilfe, ist wesentli-
 da schnellt der moralische Ziegefinger in die   ligt, darunter auch immer mehr in Europa –    cher Bestandteil des Projekts.
 Höhe. Oder spielt sich das vielmehr in den      und seit kurzem auch Deutschland.
                                                                                               Ziel des Projektes
                                                                                               Die ausgewerteten Ergebnisse sollen zu
                                                                                               einem größeren Verständnis für die Situa-
                                                                                               tion von Menschen mit HIV in Deutschland
                                                                                               beitragen. Sie sollen aufzeigen, wo (mehr)
                                                                                               entstigmatisierende Maßnahmen notwendig
                                                                                               sind, wie Selbsthilfe sich noch besser för-
                                                                                               dern lässt und welche Herausforderungen
                                                                                               in den Fokus gehören. Nach dem Abschluss
                                                                                               im Sommer 2012 werden die Ergebnisse in
                                                                                               die Öffentlichkeit getragen. Nicht eine tro-
                                                                                               ckene Statistik wird präsentiert, mit den
                                                                                               Resultaten wird gearbeitet, Ideen werden
                                                                                               umgesetzt, Forderungen formuliert.
 Köpfen der Betroffenen ab? Noch ein Bei-        positive stimmen erforscht und                   In Deutschland ist seit den 80er Jahren
 spiel: Wenn Sozialarbeiter(innen) HIV-Posi-     dokumentiert                                  die Zahl der HIV-Neuinfektionen bei Drogen-
 tive genauso behandeln wie nicht infizier-      Anhand eines Fragebogens wird festge-         gebrauchenden erfreulicherweise zurückge-
 te Menschen, haben die Betroffenen dann         stellt, welche Art von Diskriminierung er-    gangen. Das darf aber nicht heißen, dass
 auch das Gefühl, gleich behandelt zu wer-       folgt, ob und wie Menschen sie persönlich     ihre Belange und Interessen weniger stark
 den? Denn: Die persönliche Wahrnehmung          erleben. Durchgeführt werden die Befra-       vertreten werden. Daher der Aufruf: Sei
 hat Einfluss auf das eigene Lebensgefühl.       gungen im Rahmen von Interviews. Diese        dabei. Erzähl in einem Interview von Dei-
 Was macht der Umgang der Gesellschaft mit       werden ausschließlich von selbst HIV-po-      nen Erfahrungen, von den guten und den
 HIV und Aids mit den Betroffenen? Mit ih-       sitiven Menschen durchgeführt. Anders als     schlechten, von Deinem Alltag, von Deinen
 rem Selbstverständnis und ihrem Selbst-         bei einer klassischen Erhebung, findet auf    Zielen, Deinen Vorstellungen und Ideen. n
 wert? Gibt es neben der äußeren auch eine       Grundlage des entwickelten Fragebogens
 verinnerlichte Stigmatisierung?                 ein vertrauensvolles Gespräch statt. Dafür    Weitere Infos: www.positive-stimmen.de
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aus den regionen 16                              DROGENKURIER

 „Haben Sie mal
 dahinter geguckt?!“
 Kunstprojekt „Pusteblume“ 2011 im
 Kontaktladen tea and talk in Lübeck*

                                                                                                     Gefühlsmobile

 Der Kontaktladen der Arbeiterwohlfahrt in      te Sterben aufzuzeigen. Aus dieser Situati-          bemerkenswerte Ressourcen in sich: Kreati-
 Lübeck befindet sich in einem alten Ge-        on entstand die Idee zu einer ersten Aus-            vität, besondere Begabung im Umgang mit
 bäude auf der Lübecker Innenstadt Insel.       stellung.                                            Farbe, Wort oder Noten und Ideenreichtum.
 Die hohen Wände und das alte Holzgebälk           Ein Titel für diese Ausstellung war               Unser Ziel ist es, diesen Menschen einen
 eignen sich hervorragend, um viele große       schnell gefunden: „Haben Sie mal dahin-              Rahmen zu bieten, Ihnen Ausdruck zu ver-
 und kleine Bilder aufzuhängen. Mit dem         ter geguckt?!“. In der Projektgruppe wurde           leihen und einen Dialog zur Außenwelt auf-
 ersten Schritt in das Gebäude erhebt man       diskutiert, gestritten und beraten, wie man          zunehmen. Vor dem Hintergrund hat das
 den Kopf, um zu staunen: Bemalte Leinwän-      am besten auf dieses Projekt aufmerksam              Kunstprojekt des Kontaktladens im ver-
 de, Bleistiftskizzen in großen Holzrahmen      machen könnte. Schnell waren sich alle ei-           gangenen Jahr mit diesem Motto seinen
 und Fotografien hängen an den Wänden.          nig: Wir wollen gesehen werden! Wir wollen           endgültigen Namen gefunden: Das Kunst-
 Das Kunstprojekt „Pusteblume“ ist nicht zu     mit alten Klischees aufräumen und nicht ig-          projekt „Pusteblume“.
 übersehen!                                     noriert und belächelt werden, oder sogar                Auch in diesem Jahr haben wir unse-
     Alles begann vor ein paar Jahren, als      schlimmeres! Nein, stattdessen wollen wir            re Ausstellung mit einer Vernissage eröff-
 eine kreative Praktikantin den Vorschlag       zeigen was noch in uns steckt!                       net und gefeiert. Viele Menschen kamen
 zu einem Kunstprojekt für Menschen mit                                                              zur Eröffnung, um unseren Projektteilneh-
 Drogenkonsum machte. Die Idee kam bei          Die „Pusteblume“ als besonderes                      mern zu gratulieren und sich die neusten
 den Betroffenen sehr gut an; schnell gab       Symbol                                               Bilder anzuschauen. Neben bemalten Lein-
 es viele Interessenten die mit Farben und      Nach der ersten Ausstellung im Jahr 2008,            wänden aller Größen war in diesem Jahr
 Leinwänden arbeiten wollten. Das Projekt       hieß das Thema des letzten Jahres „Puste-            auch ein mannshohes Mobile dabei, wel-
 traf sich einmal pro Woche für ein paar        blume“. Die Pusteblume symbolisiert im be-           ches vielschichtig die Gefühlswelt einer
 Stunden. Während dieser Zeit wurden Ge-        sonderen Maß die Situation vieler der hier           Betroffenen darstellt. Außerdem baute ei-
 meinschaftsprojekte entwickelt, Farben ge-     betreuten Drogenkonsumenten: Jahrelan-               ner unserer Teilnehmer an einer Sonnen-
 mischt und Ideen ausgearbeitet. Trotz vie-     ge Abhängigkeit, meistens substituiert               uhr. Er zeigte dazu ein Pappmodell, wel-
 ler Ideen und vieler Hände gerät auch so ein   und zunehmend auf Hilfe von außen an-                ches nun bald in Originalgröße in anderen
 Projekt mal ins Strudeln, einige Teilnehmer    gewiesen. Viele von Ihnen tragen dennoch             Materialien gebaut werden soll. Manchmal
 sprangen ab und die Treffen wurden unre-
 gelmäßig. Einige Monate später gab es ei-
 nen drastischen Anstieg in den Todeszahlen
 der Klienten des Kontaktladens. Daraufhin
 begannen die Drogen konsumierenden wie-
 der Interesse an und Bedarf nach diesem
 Kunstprojekt zu äu0ern. Sie wollten es nut-
 zen, um auf diese Situation aufmerksam zu
 machen und Hintergründe für das vermehr-

 * gekürzter Text                               Strahlende Pusteblumen Kunstprojekt bei der Arbeit                   Gemeinschaftsbild
www.jes-bundesverband.de                                              17
                                                                                                   aus den regionen

                                                                     Team und Unterstützerinnen v.l.n.r.: Ilse Korzitzki, Janina Schemme, Ute Beh-
Bilder des Projekts Pusteblume                                       rendt und Frau Menken

bekommen wir auch anonyme Bilder oder             Eine große Unterstützung für das Projekt        Betriebes im Kontaktladen, schafft es einen
Installationen von Menschen, die in der        war und ist auch heute noch Ilse Korzitz-          Raum und Zeit für Trauer. Mit Ideen, Kreati-
Therapie an einem kleinen Projekt arbei-       ki. Sie ist eine bekannte Surrealistin, aus        vität und ein bisschen Farbe lässt sich häu-
ten und es nach Abschluss gerne präsen-        Schleswig-Holstein. Sie wurde 2009 auf das         fig viel des Gefühls der Ohnmacht und Hilf-
tieren. In diesem Jahr war es unter ande-      Projekt aufmerksam und ist seitdem nicht           losigkeit entgegenwirken.
rem eine Collage aus Bildern die in einem      mehr wegzudenken. Frau Korzitzki ist immer            Unser Kunstprojekt ist etwas Besonde-
Plastikei aufgeklebt waren. In dem Ei gab      wieder fasziniert von den gemalten Werken          res. Die Teilnehmer unterstützen sich ge-
es viel zu entdecken, dazu hatte der Be-       und unterstützt uns mit Worten, Bilderrah-         genseitig und stehen für einander ein. Sie
troffene einen beeindruckenden Text ge-        men und Ideen. Neben ihr gibt es viele Men-        genießen offensichtlich die Zeit in der
schrieben, der vom Suchtpotential und des-     schen, die unser Projekt begleiten und un-         Gruppe, fühlen sich aufgehoben und wahr-
sen Beherrschung handelt. Dieses „Ei“ zeigt    terstützen. Es ist schön zu sehen, dass man        genommen. Der Betroffene O. sagt: „Es ist
im Besonderen, dass Kunst nicht auf Farbe      auch in einer vergleichsweise kleinen Stadt        keine verschenkte Zeit!“, andere sagen es
und Leinwand beschränkt ist. Nein, unse-       wie Lübeck, gemocht und geschätzt wird.            ist für sie ein Ausgleich wie Gartenarbeit
re Ausstellung zeigt auch Texte, Fotografi-       In jeder unserer Ausstellungen, legen           oder Sport. Es ist eine Zeit, in der nicht
en, Collagen und sogar eine Lichtinstallati-   wir unser Gästebuch aus. Viele Menschen            konsumiert wird, in der man eine kreati-
on mit leuchtenden Pusteblumen!                schreiben etwas hinein, und immer wieder           ve Aufgabe löst und den eigenen Gefühlen
                                               staunen wir, welche Reaktionen wir mit den         Ausdruck verleihen kann.
Der Umgang mit Tod und Trauer                  Ausstellungen erzeugen: „Rundum gelun-                Wir vom Team des Kontaktladens freu-
Eine unserer „Pusteblumen“, eine Dro-          genes Projekt“, „vielen Dank für die sehr          en uns sehr über dieses Kunstprojekt. Wir
gengebraucherin die mit Ihren Bleistift-       persönlichen Einblicke!“, „Danke, dass sie         sehen unsere „Klienten“ Tag ein Tag aus in
zeichnungen im letzten Jahr für Aufsehen       ein Thema vom Rande der Gesellschaft in            unterschiedlichsten Stimmungen, Gemüts-
gesorgt hatte, war in diesem Jahr nicht        den Mittelpunkt gerückt haben!“, „Kunst            und körperlichen Verfassungen. Aber wenn
dabei. Anfang des Jahres erlag sie Ihrer       gibt nicht sichtbares wieder, sondern macht        sie einen Pinsel mit Farbe in der Hand hal-
Lungenkrankheit im Alter von 53 Jahren.        unsichtbares sichtbar!“.                           ten und sich mit einem bestimmten Thema
Trotz ihres ständigen Aufenthalts im Heim,        Mal wird viel gequatscht, oder disku-           auseinander setzten, dann sehen wir, wie
war Eva für die Teilnehmer auch in Abwe-       tiert, man ist sich uneinig. An anderen Ta-        diese Menschen ein paar Momente wahrer
senheit sehr präsent. Sie leistete einen       gen werden drei Bilder fertig gemalt und           Ruhe genießen, fern von der Szene, und
enormen Beitrag zum Zusammengehörig-           es herrscht Hochstimmung. Stille herrscht          in sich ruhend und dennoch in Konfronta-
keitsgefühl der Gruppe. Auch wenn sie          immer dann vor, wenn es z. B. wieder einen         tion der Themen die sonst gemieden wer-
diese Ausstellung nicht miterlebte, zeig-      Toten in der Szene gab. Das Thema Tod hat          den. Es bestärkt uns in unserem Tun. Somit
ten wir dennoch Ihre Bilder. Viele Men-        einen besonderen Platz in diesem Projekt.          hoffen wir sehr, noch viele Jahre gemein-
schen sprachen uns auf diese Bilder an und     Dieses Tabu-Thema auf der Szene ist bei uns        sam mit unseren jetzigen Teilnehmern und
somit erreichte die Künstlerin genau das,      im Kunstprojekt immer wieder Anstoß für            noch allen kreativen Menschen aus der Sze-
worauf sie immer gehofft hatte: Sie hinter-    neue Bilder: Das Kunstprojekt hilft dabei,         ne die hinzukommen werden, arbeiten zu
lässt etwas, was zu Gedanken und Gesprä-       Tod zu einem Thema zu machen und zu be-            können. n
chen anregt.                                   wältigen. Abseits des normalen Trubels und                                     Janina Schemme
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