DROGENKURIER magazin des jes-bundesverbands - JES Bundesverband
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vorwort 2 DROGENKURIER liebe Leserinnen und Leser des DROGENKURIER, Liebe Freundinnen und Freunde des JES-BUNDESVERBANDS! IMPRESSUM > In der aktuellen Ausgabe des DROGENKURIER beschäftigen wir uns mit der wahrscheinlich menschenverachtendsten Maßnahmen die wegen Nr. 88, November 2011 Herausgeber des Drogendelikten ausgesprochen wird – die Todesstrafe. Mehr als 30 Länder DROGENKURIER: sehen die Todesstrafe für Drogendelikte vor. Das jedes Jahr viele hundert JES*-Bundesverband e. V. Menschen ohne angemessenen Rechtsbeistand zum Tode verurteilt werden Wilhelmstr. 138 gehört zum inhumanen Repertoire im Kampf gegen Drogen. 10963 Berlin Tel.: 030/69 00 87-56 > 22 Jahre JES- für uns ein Anlass um mit vielen Freundinnen und Freunden Fax: 030/69 00 87-42 im Rahmen eines Fachtags in Köln engagiert zu diskutieren, Aufgaben und Mobil: 0175/6 68 86 87 Ziele für die Zukunft festzulegen und miteinander zu feiern. Unser Beitrag Mail: vorstand@ jes-bundesverband.de gibt einen Einblick in den Verlauf des JES-Fachtags. www.jes-bundesverband.de > Wie bereits in den Ausgaben zuvor, wollen wir mal wieder einen Blick über Das Redaktionsteam: die Landesgrenzen hinauswerfen um andere Drogenselbsthilfegruppen Häde Mathias vorzustellen. Dies ist zugleich der Auftakt zu einer neuen Serie im DROGEN- Heinze Katrin KRUIER. Jesse Marco Lenz Jochen > Viele DrogengebraucherInnen sind Hepatitis C infiziert und tragen sich Schieren Claudia schon Monate oder Jahre mit dem Gedanken einer Interferontherapie he- Mitarbeit: Dirk Schäffer rum. Neue Medikamente geben Anlass zur Hoffnung, dass sich für jene die Titelfoto: © Isleif Heidrikson/ bisher mit bisher mit Genotyp 1a oder 1b nur durchschnittliche Chancen auf Fotolia.com einen Therapieerfolg hatten die Chancen auf einen Therapieerfolg deutlich Layout, Satz: Carmen Janiesch erhöhen. Aber wie so oft gibt es auch hier einen Haken…. Aber lest selbst. Druck: X-Press-Druck > Der Vorstand des JES-Bundesverbands, sowie die Redakteure des DRO- Lützowstr. 107–112 GENKURIER möchten diese Vorweihnachtliche Ausgabe nutzen um Ihnen 10785 Berlin und euch für die Unterstützung unseres Projektes „DROGENKURIER“ zu Auflage: 1.000 Exemplare bedanken. Eure Spendenabos tragen weiterhin dazu bei dieses Usermaga- Der DROGENKURIER wird zin herstellen zu können. Unser Dank geht insbesondere an die Deutsche unterstützt durch AIDS-Hilfe sowie an die Firmen Sanofi Aventis und Reckit & Benckiser, die Deutsche AIDS-Hilfe e. V. mit ihrer finanziellen und strukturellen Unterstützung die Erstellung und Reckitt & Benkheiser den Druck des DROGENKURIER möglich machen. Sanofi Aventis > Wir wünschen euch ein friedliches und schönes Weihnachtsfest und freuen uns euch mit der Ausgabe 89 im Jahr 2012 wieder über Aktuelles aus Politik, * Junkies, Ehemalige, Substituierte Selbsthilfe, Medizin und Kultur zu informieren. Die Nennung von Produktnamen bedeutet keine Werbung. Das Team des DROGENKURIER
www.jes-bundesverband.de 3 topthema Death by hanging – Todesstrafe für Drogenvergehen Aktuelle Zahlen machen deut- lich, dass in Deutschland un- gefähr jeder dritte Inhaftierte wegen Delikten gegen das Betäu- bungsmittelgesetz einsitzt. Bei einer Gesamtzahl von ca. 70.000 Inhaftierten in deutschen Gefängnissen sind dies ca. 20.000 bis 25.000 Menschen, die zumeist wegen Beschaffungsdelikten, Drogenbesitz bzw. -handel verurteilt wurden. Viele Fachleute sind sich einig, dass mit Vollzug der Todesstrafe wegen Drogenver- wurde die Todesstrafe nie zur Anwendung der Inhaftierung dieser Menschen kein gehen zu informieren und den Druck auf gebracht. Die jeweiligen Gesetze sollen die Fortschritt hinsichtlich ihrer Drogenab- Länder zu erhöhen die solche Praktiken Stärke und Strenge der Länder gegenüber hängigkeit zu erzielen ist. So ist es nicht auch im 21. Jahrhundert vollziehen. Drogenvergehen symbolisieren. verwunderlich, dass der Drogenkonsum Der diesem Beitrag zugrunde liegende Gruppe 4: In vier weiteren Ländern liegen in Haft zumeist fortgesetzt wird Bericht nimmt eine Klassifizierung dieser keine validen Daten zur Todesstrafe vor. oder unmittelbar nach der Haft- Länder in vier Gruppen vor. entlassung eine Rückkehr in dro- genbezogene Lebensweisen an der Gruppe 1: Verantwortlich für den Voll- Die Todesstrafe und die Tagesordnung ist. zug von vielen hundert Todesstrafen internationale Gesetzgebung Während in Deutschland und Euro- wegen Drogendelikten sind insbesonde- Die internationalen Menschenrechtsnor- pa Menschen wegen Verstößen gegen re sechs Länder in denen die Todesstra- men, die im Internationalen Gesetz der das Betäubungsmittelgesetz inhaftiert fe für Drogendelikte verhängt wird. bürgerlichen und politischen Rechte ver- werden, Bewährungsstrafen erhalten ankert sind, schließen die Anwendung der Gruppe 2: In acht weiteren Ländern oder die Möglichkeit bekommen sich Todesstrafe nicht grundsätzlich aus. Ihre werden Todesstrafen wegen Drogende- für Therapiemaßnahmen anstelle einer rechtliche Anwendung, ist jedoch stark ein- likten in sehr seltenen und außerge- Inhaftierung zu entscheiden, werden geschränkt. Diese Einschränkung, nach Ar- wöhnlichen Fällen vollzogen. in 32 Ländern Betäubungsmittelverge- tikel 6 (2) besagt, dass die Todesstrafe nur hen mit dem Tod bestraft. Gruppe 3: In fünf weiteren Ländern dann rechtmäßig ist, wenn sie für „schwers- Die Internationale Harm Reduc- ist die Todesstrafe faktisch abge- te Verbrechen“ angewendet wird. tion Association hat es sich zur schafft auch wenn die Möglichkeit Die politischen Gremien der Vereinten Na- Aufgabe gemacht diese unverhält- der Todesstrafe weiterhin im Ge- tionen unterstützten die „hochschwellige“ Fotos: ansem/123RF nismäßigen und inhumanen Reakti- setz verankert ist. In 14 Ländern Anwendung der Todesstrafe bei „schwers- onen gegen Drogenvergehen zu do- haben Gesetze die die Todesstra- ten Verbrechen“ im Jahr 1984. Dies wurde kumentieren. Dies mit dem Ziel die fe wegen Drogendelikten vorse- von der Generalversammlung der Vereinten internationale Gemeinschaft über den hen nur symbolischen Wert. Dort Nationen bestätigt.
topthema 4 DROGENKURIER Der Fall Iwuchukwu Amara Tochi Land der Hinrichtung: Singapur Hingerichtet: 26. Januar 2007 Alter bei Festnahme: 19 Alter bei Hinrichtung: 21 Iwuchukwu Amara Tochi, war nach nigerianischen Informationen ein talentierter Fußballer, der auf dem Weg zum Fussballprofi war, als er in Dubai strandete, da ihm das Geld ausging. Eine befreun- dete Person bot ihm 200 Dollar dafür, dass er ein Paket mit Heilkräutern nach Singapur brachte. Als er am Changi Flughafen in Singapur im Jahr 2005 festgenommen wurde, wurden 727 Gramm Heroin sichergestellt. Nach Angaben des UN Be- richterstatters räumte der Richter im anschlie- ßenden Gerichtsverfahren ein, dass Amara Tochi Iwuchukwu Amara Tochi nicht wusste was er in dem Paket transportier- te. Diese Unwissenheit schütze ihn aber nicht vor der zu erwartenden Strafe. Trotz der Interventionen der Vereinten Nationen und des nigerianischen Staatspräsidenten wurde Amara Tochi im Januar 2007 hingerichtet. Seine letzten Worte an seinen Verteidiger wa- ren: „Bitte lassen Sie nicht zu, dass ich getötet werde.“ In den letzten Jahren hingegen entstan- den Drogenkonsum drohen wie z. B. Anhän- fen infolge von Vergehen mit Marijuana den Richtlinien von Menschenrechtsorga- gigkeit, Überdosierung, Krankheit durch oder Haschisch vollzogen. nisationen, die die Todesstrafe wegen Dro- Blut übertragbare Infektionen. Zudem wer- gendelikten als Verletzung des Völkerrechts den Todesstrafen gerechtfertigt da sie ins- Todesstrafen für Ausländer ansehen und sie als Verstoß gegen Inter- besondere gegen Drogenhändler oder die • Zwischen 1998 und 2007 wurden in Ku- nationale Gesetze werten. Diese Haltung Mafia ausgesprochen würden. Viele der wait 14 Menschen für Drogenvergehen vertritt u.a. das UN Menschenrechtskom- Menschen die zum Tode verurteilt wur- erhängt. Keiner der hingerichteten war mittee, die UNODC, sowie die UN Bericht- den sind keine Händler von so genannten Staatsbürger des Kuwaits. erstatter für Justiz und Menschenrechte. „harten“ Drogen. Stattdessen gehören sie • Von den 40 Menschen die im Jahr 2007 Diese Haltung wird heute von vielen Mit- den armen Bevölkerungsschichten an, die in Saudi Arabien hingerichtet wurden gliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) selbst Drogen konsumieren oder mit dem waren 36 Ausländer vertreten. Drogentransport von Marihuana oder Ha- • Von den 7 Menschen an denen die Todes- schisch das Einkommen ihrer Familien si- strafe im Jahr 2010 in den Vereinigten Todesstrafen zur Abschreckung? cherten. Arabischen Emiraten vollstreckt wurde Viele Regierungen rechtfertigen ihre To- Während im Iran und Kuwait, die Mehr- waren sechs Ausländer. desstrafen als „notwendige“ abschreckende heit der gemeldeten Hinrichtungen infolge • In Indonesien wurden seit 2004 vier Maßnahme in Bezug zu gesundheitlichen von Heroin-bezogenen Straftaten erfolgte, Menschen wegen Drogendelikten hinge- und sozialen Risiken die dem Volk durch wurden in Malaysia, die meisten Todesstra- richtet. Zwei Nigerianer und zwei Thais. Auch wenn viele dieser Zahlen unvollstän- Todesstrafen und Drogenarten dig sind und die Situation in den jeweili- Substanz Malaysia Saudi-Arabien Singapur gen Ländern nicht umfänglich abbilden, so (2008-2010) (2007-2010) (2010) wird deutlich, das hunderte oder gar viele Marijuana/Haschisch/Hanf 77 14 1 tausend Ausländer mit der Todesstrafe be- Heroin/Morphin/Opium 27 30 3 droht sind. (An vielen wurde die Todesstra- Amphetamin/Stimulanzien 17 - - fe bereits vollzogen) Viele dieser Personen Kokain 3 7 sind Staatsbürger von Ländern in denen es keine Todesstrafe für Drogendelikte gibt Nicht genauer spezifiziert 4 8 (z. B. Australier Franzosen, Israelis, Me-
www.jes-bundesverband.de 5 topthema fahren, keine anwaltliche und konsulari- sche Unterstützung zukommen lassen und gegen geltende Menschenrechtkonventio- nen verstoßen. Auch wenn die Zahl der Länder in de- nen die Todesstrafe praktiziert wird auf ein historisch niedriges Niveau gesunken ist, ist es umso unfassbarer, dass die Zahl der der Todesstrafen in den letzten Jahren ge- stiegen ist. Regierungen behaupten dass die Todes- strafe als abschreckende Maßnahme gegen Kartellbosse und große Drogenhändler zu sehen ist. Bei genauerer Betrachtung der Fälle wird allerdings deutlich, dass diese Personen in der absoluten Mehrzahl arme ausgebeutete Menschen oder Ausländer sind. Aber es gibt verhaltenen Grund zum Op- timismus. Die überwiegende Mehrzahl der Todesstrafen wird von ganz wenigen Län- dern vollzogen. Auf internationalen Druck haben sich viele Länder bereiterklärt ihre xikaner, Niederländer, Schweden, Türken, Iran Deutsche, Briten). Jahr Todesstrafen gesamt Todesstrafen wegen Drogen 2008 317 96 Beispiele für Länder mit 2009 346 172 Todesstrafen 2010 650 590 Todesstrafen wegen China Drogendelikten 1979–2011 Mehr als 10.000 Der Vollzug der Todesstrafe ist ein großes Geheimnis in China. Demzufolge gibt es Vietnam sehr unterschiedliche Angaben zum Aus- Jahr Todesstrafen gesamt Todesstrafen wegen Drogen maß von Todesstrafen. 2010 34 24 Die Dui Hua Foundation berichtet, dass 2007–2009 201 109 etwa 5.000 Menschen im Jahr 2009 wegen Schmuggel, Transport und Herstellung von Drogen hingerichtet wurden. Malaysia Andere Organisationen kommen zu an- Jahr Todesstrafen gesamt Todesstrafen wegen Drogen deren Zahlen. So berichtet „Hands Off Cain“, 2009 68 50 dass der Supreme People’s Court, der mit 2010 114 63 der juristischen Prüfung aller Todesstrafen Seit 1960 441 228 beauftragt ist, im Jahr 2009 11.749 Fälle von Todesstrafen bearbeitete. Todesstrafen Menschenrechtsverletzungen im Namen Gesetzgebung zu verändern und die To- aufgrund von Drogenvergehen sollen mehr der Drogenkontrolle und der Drogenpoli- desstrafe aus dem Strafenkatalog zu strei- als 90 % dieser Fälle ausmachen. tik sind erschreckend weit verbreitet. Die chen. n Auf internationalen Druck hat China Todesstrafe ist ein inhumanes, eklatantes Dirk Schäffer nach offiziellen Angaben im Jahr 2010 die und irreparables Beispiel für Verletzungen Gesetzgebung in Bezug auf die Todesstra- der Menschenwürde. Leider macht diese fe grundlegend verändert. Der Wahrheitsge- Praxis deutlich, dass Länder „Drogen“ als Quelle: The Death Penalty for Drug Offences halt dieser Aussagen ist bisher nicht über- solch eine große Gefahr ansehen, dass sie Global Overview 2011 – International Harm prüfbar. beschuldigten Personen keine fairen Ver- Reduction Association, 2011
topthema 6 DROGENKURIER Teilnehmer und Teilnehmerinnen des JES-Jahrestreffens 2011 Der Kölner Oberbürgermeister zu Gast bei JES JES-Fachtag ein großer Erfolg JES begeht seinen 22. Geburtstag mit einem Fachtag in Köln 22 Jahre akzeptierende Drogenselbsthil- ve Einflüsse auf JES gehabt? Um diese und Das Grußwort des OB und fearbeit in Deutschland repräsentiert durch vielen andere Fragen zu diskutieren, bot der persönliches von Imke das JES-Netzwerk- dies ist sicherlich nicht Fachtag „Perspektiven von Drogenselbsthil- In seinem Grußwort blickte der Kölner Bür- für jedermann ein Grund um zu feiern, für fe“ des JES-Bundesverbands am 22.10 2011 germeister Bartsch (CDU) auf die Entwick- uns allerdings schon. Wer hätte zum Ende in Köln Gelegenheit. lung der JES-Selbsthilfe in Köln und im der 80iger Jahre, als sich eine kleine Grup- Etwa 70 TeilnehmerInnen aus dem ge- Bund zurück. Hierbei hob er hervor, dass pe politisch interessierter HIV positiver Dro- samten Bundesgebiet nutzen die Möglich- mit JES erstmals Betroffene für ihre ganz gengebraucher bei Seminaren traf, gedacht, keit um die Situation Drogen gebrauchen- individuellen Belange und Bedürfnisse ein- dass sich hieraus ein weltweit anerkanntes der Menschen in Deutschland zu diskutieren traten und über den Dialog mit der Politik und einmaliges bundesweites Netzwerk von und Perspektiven und Ziele der Arbeit des wichtige Veränderungen in der Hilfeland- Drogengebrauchern, Ehemaligen und Subs- JES-Bundesverbands zu vereinbaren. Das schaft ermöglicht wurden. tituierten entwickeln sollte? Sicherlich nur Jugendgästehaus Köln Riehl bot hierfür ei- Im anschließenden Eröffnungsreferat ganz wenige. nen geeigneten Rahmen. erlaubte uns Prof. Dr. Imke Niebaum, eine Heute 22 Jahre später, wird JES zu Fach- JES-Aktivisten der ersten Stunde, einen treffen der Bundesdrogenbeauftragten ein- Einblick in ihre ganz persönlichen Gedan- geladen, vertritt die Patienteninteressen ken und Gefühle in Bezug auf die Einflüs- im GBA zum Thema „diamorphingestützte se die ihre Mitarbeit bei JES auf ihr Leben Behandlung“ und der Kölner Bürgermeis- hatte. Hierbei zeigte Imke Entwicklungs- ter kommt wie selbstverständlich zum JES- schritte des Junkie-Bund Köln (heute VI- Fachtag um ein Grußwort zu sprechen. SION) auf. Hat JES vielleicht seinen Biss und sei- ne bisweilen kritisierte oder geschätzte Arbeitsgruppe mit viel Raum Radikalität verloren und wird heute daher zur Diskussion als gerngesehener Partner vielerorts aner- In den folgenden Arbeitsgruppen bot sich kannt? Hat der zunehmende Grad an Insti- den TeilnehmerInnen die Gelegenheit sich tutionalisierung eher positive oder negati- Safer use wurde beim Fachtag GROSS geschrieben über zwei verschiedene Themen zu infor-
www.jes-bundesverband.de 7 topthema mieren. Der Workshop „Substitution und und aktuelle Situation von akzeptierender brauchen eine Neuausrichtung der interna- Fahrerlaubnis“, der von Dr. Christiane Wein Drogen(selbsthilfe)arbeit im Mittelpunkt. tionalen Drogenpolitik. Der „war on drugs“ mann-Schmitz geleitet wurde, stellte die Es wurde deutlich, dass innerhalb des pro- ist gescheitert. Wir haben heute weltweit neuen Begutachtungsrichtlinien für die fessionellen Hilfesystems das Interesse von mehr Drogenabhängige, mehr Kriminalität Widererteilung der Fahrerlaubnis bei be- MitarbeiterInnen an politischer Arbeit in und mehr Leid für die Familien und für die stehender Substitution in den Mittelpunkt. den letzten 10 Jahren deutlich geschwun- Gesellschaft, deshalb ist es jetzt an der Zeit Hierbei bot sich die Möglichkeit eine Klä- den ist. So wurde die These vertreten, dass umzudenken und umzusteuern.“ Dieses Fa- rung im Hinblick auf die ganz persönliche eine Unterstützung für eine Legalisierun- zit zog eine Gruppe von hochrangigen und Situation von TeilnehmerInnen herbeizu- gebewegung nur dann erfolgen wird, wenn einflussreichen Politikern wie der ehemali- führen und wichtige Informationen für die das Hilfesystem hieraus monetär gestärkt ge UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie die Vor Ort Arbeit zu erhalten. hervorgehen wird. Solange wie das profes- ehemaligen Präsidenten von Brasilien, Ko- Im zweiten Workshop, der von den Bun- sionelle Hilfesystem durch eine wie auch lumbien, Mexiko und der Schweiz oder der desvorständen Mathias Häde und Katrin immer geartete Legalisierung an Einfluss, ehemalige griechische Premierminister in Heinze geleitet wurde, stand hingegen die Arbeitsplätzen und Finanzmitteln verlieren der Global Commission on Drug Policy. Auseinandersetzung und Diskussion um die wird, werden die Protagonisten nicht zu un- Für JES ein Grund mehr das Ziel der Le- Möglichkeiten und Grenzen von Drogen- serem Bündnispartner gehören. galisierung nicht aus den Augen zu verlie- selbsthilfearbeit im Zentrum. Hierbei ran- Auch die von JES und akzeptierenden ren. Ein gut gefüllter Saal Anregende Diskussionen im Goldfischglas gen die TeilnehmerInnen in teilweise sehr Verbänden unterstütze Veränderung der JES-Bundesvorstand engagiert geführten Diskussionen um er- Sichtweise vom kriminellen Junkie zum wird bestätigt folgreiche Formen der politischen und in- kranken Drogengebraucher wurde durch- Im Rahmen der abschließenden Mitglieder- haltlichen Arbeit des JES-Bundesverbands. aus kritisch diskutiert. Mit der Aussicht auf versammlung wurde der bisherige Vorstand, neue wichtige niedrigschwellige Angebote bestehend aus Marco Jesse, Köln; Mathias Mitten im Leben und Diskussionen wie Drogenkonsumräume, flächendecken- Häde, Bielefeld; Jochen Lenz, Köln; Claudia im „Goldfischglas“ den Spritzentausch, der Substitutionsbe- Schieren, Berlin und Katrin Heinze, Halle Die Vorstellung des von JES im Jahr 2010 handlung verstummte die Kritik an der dro- mit überwältigender Mehrheit für eine neue in Kooperation mit der DAH produzierten genpolitischen Grundausrichtung für einige Amtszeit bestätigt Grundlage hierfür war Films „MITTEN IM LEBEN“, bot anschließend Zeit. Vielleicht zu lange- denn u.a. ein beeindruckender Ar- die Möglichkeit die Situation substituierter heute sehen sich viele Drogen- beitsbericht des Vorstands für Menschen im Kontext von Arbeit und Be- konsumenten als „kranke“ im die Jahre 2009-2011. schäftigung näher zu betrachten. Hilfesystem gefangen ohne ei- Trotz eines sehr anstren- In der abschließenden Fishbowldiskussi- nen wirklichen Weg heraus. genden Programms, zogen die on, zu der der JES-Bundesverband mit Jür- Allerdings wurde aber auch TeilnehmerInnen ein überaus gen Heimchen (Bundesverband der Eltern deutlich, dass aktuell viele positives Fazit dieses Fachtags. und Angehörigen für humane und akzeptie- führende Politiker aus unter- Eine gelungene Veranstaltung rende Drogenarbeit e.V.) und Urs Köthner schiedlichen Ländern für eine die sicherlich motivationsstär- (akzept e.V.) u.a. Diskutanten aus befreun- grundlegende Neuausrichtung kende und verbindende Wir- deten Verbänden eingeladen hatte, stand der Drogenpolitik in Richtung kung haben wird. n eine Diskussion zum Thema „Stellenwert „Legalisierung“ eintreten. „Wir Bericht des JES-Vorstands JES-Bundesvorstand
leben mit drogen 8 DROGENKURIER ten und selektiven Präventionsinstrument Foto: www.drogenbeauftragte.de entwickelt. Nach Meinung der Referenten Prof. Dr. Dieter Rössner und Prof. Dr. Wolfgang Voit von der Philipps-Universität Marburg könnte die Einführung einer neuen Kate- gorie die „betäubungsmittelähnliche“ bzw. „verwandten Substanzen“ neben den Be- täubungsmitteln mit sachgerechten Son- derregeln im BtMG unterstellt, ein Schritt zur Erfassung von Designerdrogen im BtMG Jahrestagung der sein. Ferner regten sie die Schaffung einer Er- mächtigungsgrundlage zur Anlage IV zum Drogenbeauftragten BtMG in einem neuen § 1 Abs. 5 für die Aufnahme von Stoffgruppen, deren Deriva- te mit hoher Wahrscheinlichkeit wie ein Be- täubungsmittel eingesetzt werden, an. Fortschritte wären wohl zu viel erwartet Der Tanzbär in der Arena gewesen … Der Versuch durch die Beteiligung eines Be- troffenen Authentizität abzubilden kann nur als gescheitert beurteilt werden. Man Von den Medien weitgehend unbeach- lisieren scheint zudem verfassungsrechtlich konnte sich dem Eindruck nicht erweh- tet fand am 12. Oktober die Jahrestagung bedenklich zu sein. ren, dass der Ex-User „Uwe“ hier von seiner der Bundesdrogenbeauftragten Mecht- Solche Veranstaltung leben von interes- Drogenberaterin wie ein Tanzbär durch die hild Dyckmans unter dem Motto „Der Stoff santen Referenten und einem interessier- Arena geführt wurde. Einfach gruselig!! aus dem Chemielabor, Speed, Spice & Co.“ ten und diskussionsfreudigem Publikum. Man sollte meinen, dass eine solche Ver- statt. Der Beitrag des Referenten Alexander Bü- anstaltung mit Andersdenkenden und un- Im Fokus der Veranstaltung stand die cheli machte deutlich, dass es darum ge- terschiedlichen Meinungen umgehen kann. Frage, wie auf synthetische Drogen und hen muss, dass aus Probierkonsum kein Als sich allerdings einer der Demonstranten sogenannte „Legal highs“ reagiert werden problematischer Konsum wird. Ferner hat und Legalisierungsbefürworter über das Mi- kann. Nach Ansicht vieler TeilnehmerInnen sich das Angebot des Drugchecking in der krofon für 50 Jahre Prohibition „bedanken“ wurde eine große Chance vertan über neue Schweiz zu einem pragmatischen, effizien- wollte, wurde das Mikrofon ausgeschaltet Wege und Ansätze bundesdeutscher Dro- genpolitik nachzudenken. Der im Rahmen der Veranstaltung vorge- stellte „alte Hut“, auch diese Stoffe in das Die Größenordnung in Deutschla Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufzuneh- nd: men, wird der aktuellen Situation nicht ge- Heroin und andere Opioide recht da hiermit die bisher weitgehend er- folglos praktizierte Verbotspolitik, die jedes Konservative Schätzungen gehen Jahr mehr als 1000 Drogentote fordert, fort- bei schwer abschätzbaren Dunkelziffern davon geführt wird. aus, dass in Nach Meinung vieler Experten führt die der letzten Dekade ein harter Kern von 200.000 Unterstellung dieser Substanzen in das Be- Menschen pro Jahr in Deutschland täubungsmittelgesetz nur dazu, dass immer illegale opioidhaltige Substanzen injiziert bzw schneller weitere neue Substanzen entwi- . riskant und ckelt werden, dessen Konsum unberechen- ohne ärztliche Verschreibung konsum iert hat. bare Risiken zur Folge haben kann. Das Vor- (Drogenbeauftragte der Bundesregieru haben der Drogenbeauftragten nicht mehr ng 2009) Einzelsubstanzen dem BtmG zu unterstel- len, sondern ganze Stoffgruppen zu illega-
www.jes-bundesverband.de 9 leben mit drogen Europäisches Netzwerk und die Security drohte mit einem Saal- verweis. Auch der Umstand, dass die Se- curity den Versuch unternahm während von Drogengebrauchern der Mittagspause die Verteilung des ab- gebildeten Flyers zu verhindern, kann nur als überzogen und unverhältnismä- ßig kommentiert werden. Ein souveränerer Umgang mit einer Handvoll Demonstranten wäre sicher- lich möglich und nötig gewesen. gegründet Alles beim alten! „Wie immer- alles verbieten“, so oder so ähnlich könnte das Fazit dieser Jahres- tagung lauten. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung vertraut weiterhin auf Prohibition und Sanktion. Auf diese Weise wird kein angemessener Umgang mit Konsumierenden entwickelt werden. Mit Frau Dyckmans wird es also aller Vo- raussicht nach keine liberale, freiheitli- che Drogenpolitik geben. Demonstranten „feierten“ 50 Jahre Prohibition Eine Gruppe Antiprohibitionisten und Legalisierungsbefürworter nutze die Jahrestagung der Drogenbeauftragten Am 5. Oktober 2011 trafen sich europäi- genkonsumräume und eine heroingestützte um vor dem Beginn der Veranstaltung sche Druguser-Aktivisten aus elf* Ländern Behandlung in einigen Ländern entstanden eine „Jubeldemonstration“ durchzu- in Marseille, um über die Weiterentwicklung sind, Drogenkonsumenten in allen Ländern führen. Hierbei stellten sie den Entwurf der Selbstorganisation von Drogengebrau- Europas zugänglich zu machen. eines neuen 500-Euro-Scheines vor, um chern in Europa zu diskutieren. Im Rahmen EuroNPUD nimmt wahr, dass Europa als die fundamentalistische und prohibitio- dieses Treffens wurden die ersten Ergebnis- Ausgangspunkt für viele Kampagnen zur nistische Haltung der Drogenbeauftrag- se der ersten Studie zu Drogenselbsthilfe in Reform der Drogengesetzgebung diente. ten zu „würdigen“. Europa vorgestellt und diskutiert. Diese Bewegung ist in den letzten Jahren Im Verlauf dieses Treffens wurde die zur Ruhe gekommen. EuroNPUD hat es sich wichtige Entscheidung getroffen ein euro- daher zum Ziel gesetzt eine Veränderung päisches Netzwerk für Drogengebraucher zu der europäischen Drogenpolitik in Rich- gründen. Das Netzwerk trägt den Namen tung von „Legalisierung“ in das Zentrum European Network of People who Use seiner Arbeit für die nächsten beiden Jah- Drugs (EuroNPUD). Das Meeting machte re zu stellen. deutlich, dass Europa eine sehr lange und EuroNPUD lädt andere Usergruppen aus erfolgreiche Tradition von Drogenselbsthilfe Europa ein an diesem Prozess teilzuhaben. hat. So trugen diese Aktivisten maßgeblich Das Netzwerk bietet eine Vielzahl von Kom- In einer Erklärung, die auch in Form dazu bei Harm Reduktion Angebote in ihren petenzen und Ressourcen die insbesondere eines Flyers bei der Tagung verteilt wur- jeweiligen Ländern zu verankern und eine Useraktivisten in den neuen EU-Mitglieds- de, prangerten sie an, dass Deutschland Diskussion über Menschenrechte zu initi- staaten unterstützen können. jedes Jahr etwa vier Milliarden Euro in- ieren. So ist es ein Anliegen von EuroNPUD EuroNPUD stellt selbstkritisch die fort- vestiert um das Drogenverbot aufrecht die positiven Entwicklungen die durch Dro- schreitende Überalterung seiner Mitglieder zu erhalten – um den Reichtum der Ma- fest. Ziel ist es daher Kontakt zu einer jün- fia und anderer krimineller Strukturen * Portugal, Spanien, Frankreich, Schweden, Nor- geren Generation von Drogengebrauchern zu bewahren. n wegen, Finnland, Großbritannien, Deutschland, aufzunehmen. n JES-Bundesverband Niederlande, Rumänien, Albanien Dirk Schäffer
leben mit drogen 10 DROGENKURIER Im Blickpunkt: PREMOS Studie zu Langzeiteffekten der Substitution Die kurz- und mittel- Zentrale Ergebnisse nach 6 Jahren Welches Substitut für welchen fristige (6- bis 12-mo- (t3) Abb. 1: Patient? natige) Wirksamkeit • Zu t3 (nach 6 Jahren) befanden sich Gegenüber der Untersuchung nach 12 Mo- einer Substitutionstherapie wurde in der noch 70 % der Ausgangsgruppe in Subs- naten ergaben sich hinsichtlich des Sub- Vergangenheit ebenso wie die Kosteneffek- titution (Haltequote) stitutionsmittels nach 6 Jahren einige tivität vielfach und eindrucksvoll nachge- • 47 % waren in „temporär“ stabiler Subs- Veränderungen. wiesen. Die Erkenntnisse zu den Effekten titution Von 1.115 Patienten, die nach 12 Mona- der langfristigen Substitutionstherapie • 8 % wurden regelhaft beendet bzw. sind ten mit Methadon oder Levomethadon sub- waren demgegenüber bisher lückenhaft. temporär abstinent, davon die Hälfte stituiert wurden (74,7 %), wechselten 68 bis Die PREMOS-Studie hatte das übergeord- (4 %) gesichert stabil abstinent (länger t3 (6 Jahre) zu Buprenorphin (6,1 % der t1- nete Ziel, den langfristigen Verlauf von als 6 Monate). Methadon-Fälle) und 89 (8,0 % der t1-Me- Substitutionstherapien zu beschreiben • Verstorben waren 8 % aller Patienten, thadon-Fälle) waren nach 6 Jahren ohne und damit Grundlagen für eine zielgrup- • 13 % hatten einen instabilen Substituti- ein Substitutionsmittel (Gründe: Haft, Ent- penspezifische und bedarfsgerechte Op- onsverlauf, zug, disziplinarischer Abbruch, Abstinenz timierung der Versorgung zu schaffen. • 3 % waren zumeist langfristig inhaftiert nach regelhafter Beendigung). Damit wurde in vielerlei Hinsicht wissen- oder in stationärer medizinischer Be- Von den 368 Buprenorphinpatienten wa- schaftliches Neuland betreten, da derar- handlung. ren nach 6 Jahren 144 Patienten zu Metha- tige Langzeitstudien an repräsentativen • Zusammen mit unklaren Patienten ohne don gewechselt. 51 Patienten (13,9 %) wa- Stichproben unter den aktuellen Versor- Substitution und solchen mit Behand- ren ohne Substitution. gungsbedingungen und Behandlungsop- lungsabbrüchen können maximal 30 % Insgesamt stieg der Anteil Methadon- tionen bislang fehlten. als ungünstige Verläufe benannt wer- Behandelter an, während der Anteil Bu- den. prenorphin-Behandelter abnahm. 2.284 Substituierte aus 223 Einrichtungen Abb.1: Outcome-Status Grundlage dieser Studie ist eine bundesweit verstorben 8,1 repräsentative Gruppe von 2.284 Substitu- tionspatientInnen aus 223 Einrichtungen, in Substitution 70,4 die über 6 Jahre (drei Nachuntersuchungs- Davon: stabile Substitution 46,0 wellen) weiterverfolgt wurden. Bei jeder Nachuntersuchung t2 nach 12 Monaten; t3 instabile Substitution 12,7 nach 6 Jahren, t4 nach 7 Jahren wurden unklarer Verlauf Einrichtungen und Patienten über standar- (in Substitution) 11,7 disierte Verfahren (z. B. Arzt- und Patien- nicht in Substitution 21,4 teninterview, Urin-Screenings) hinsichtlich Verlauf und Ergebnissen beurteilt. Davon: abstinent 7,1 abstinenzorientierte Ergebnisse 1,5 Einrichtung Bei überaus befriedigender Ausschöpfung andauernd stationär 1,7 wurde der 6-Jahres-Verlauf für 1.624 Pati- enten vollständig und umfassend, für wei- Haft 0,9 tere 470 Patienten zumindest hinsichtlich der zentralen Verlaufs- und Ergebnisinfor- Abbruch 2,5 mationen, beurteilt. unklarer Verlauf 7,6 Darüber hinaus wurden 131 verstorbene (ohne Substitution) Patienten dokumentiert. 0 10 20 30 40 50 60 70 % aller 1.624 Patienten
www.jes-bundesverband.de 11 leben mit drogen Unterbrechungen in der Substi Deutliche Reduktion von Die häufigsten Beikonsumsubstanzen tutionsbehandlung (Abb.2) Beikonsum (Abb.3) waren zu t3 (also nach 6 Jahren) Cannabis Unterbrechungen sind ein durchaus häu- Bemerkenswert ist die Reduktion des Bei- (33,4 %), Benzodiazepine und Barbiturate figes Phänomen in der langfristigen Sub- konsums von nicht verschriebenen Opioiden (18,6 %) sowie Opioide (12,8 %). Der nicht stitution. Im Durchschnitt wurde pro Jahr um nahezu 40 %. Bezogen auf eine breite- verschriebene Gebrauch von Buprenorphin 1,7-mal, die Substitution unterbrochen. re Definition potenziell „schwerwiegenden“ wurde mit 7 % angegeben. Dieser Mittelwert täuscht aber darüber hin- Drogenbeikonsums (Opioide, Kokain, alle il- weg, dass bei 2/3 aller Patienten keinerlei legalen Drogen ohne Cannabis) ergibt sich Psychosoziale Lage Unterbrechungen stattfanden. nach 6 Jahren eine Reduktion von 23,7 % (Veränderungen t1 (1 Jahr), Das heißt, es scheint eine Risikogrup- auf 12,7 %. Dabei verringerte sich der Opi- t2 (5 Jahre), t3 (6 Jahre) pe von etwa 20-30 % zu geben, bei denen oidbeikonsum von 21,2 % auf 12,8 %. Jegli- Beruf Unterbrechungen überproportional häufig cher Beikonsum (einschließlich Cannabis) Bezüglich der beruflichen Situation stieg vorkommen reduzierte sich von 58,9 % auf 40,7 %. der Anteil berufstätiger Patienten von 24,1% bei t1 auf 34 % sowie der Anteil derjenigen Abb.2: Gründe der Unterbrechungen in berufsqualifizierenden und beruflich- rehabilitativen Maßnahmen von 7,5 % auf Compliance 9,1 19,4 %. Zugleich reduzierte sich der Anteil Nebenwirkung 18,1 Arbeitsloser von 51,6 % auf 42 %. Rückfall 7,3 Wohnen Hinsichtlich der Wohnsituation erhöhte sich Beigebrauch 20,3 sowohl der Anteil derjenigen, die in einer Entzug 34,9 eigenen Wohnung alleine wohnten (von 41,8 % auf 50,3 %) Demgegenüber reduzier- 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % te sich – vermutlich altersbedingt – der An- teil von in der Herkunftsfamilie Lebenden Abb.3: Beikonsum von 17,9 % auf 8,9 %. Wie auch zu Beginn der Studie blieb der Anteil wohnungsloser irgendeines 40,7 Personen (0,9 % bzw. 0,3 %) niedrig, wäh- 58,9 rend betreute Wohnformen (betreute WG, Cannabis 33,4 Heime, etc.) von 2,7 % auf 6 % zunahmen. 43,1 Insgesamt kam es also zu verbesserten Woh- Benzodiazepine/ 18,6 numständen. Über 90 % lebten zu t3 in einer Barbiturate 21,2 selbstständigen Wohnsituation (t2: 78 %) 0,0 Codein Kriminalität 4,4 0,0 Auch hinsichtlich Drogenkriminalität und Halluzinogene 0,4 = Baseline t1 = Follow-up t3 Haft ergaben sich statistisch bedeutsame 25 Reduktionen. In den 12 Monaten vor der t1- 3,3 23,7 Kokain Untersuchung waren 8,2 % zumindest kur- 8,3 20 21,2 zeitig inhaftiert, zu t2 nur noch 2,5 %, zu t3 1,8 Metamphetamine 0,8 0,9 %. Für den Zeitraum vor der 12-Monats- 15 Untersuchung gaben 34 % aller Patienten Amphetamine 0,9 12,7 12,8 zu t2 zumindest einmalige Drogendelikte 1,1 10 an; nach 6 Jahren nur noch 9 %. andere Opioide 12,4 (z. B. Heroin) 19,9 5 Entwicklung körperlicher 5,9 Erkrankungen Buprenorphin 0,0 Die zum Beginn bemerkenswert hohe so- 0 0,4 schwerwiegender Opioidbeikonsum matische Komorbidität hat sich im 6-Jah- Methadon Drogenbeikonsum 1,3 res-Verlauf insgesamt bedeutsam reduziert. 0 10 20 30 40 50 60 Der Anteil von Patienten ohne schwerwie- % Patienten mit positivem Drogen-Urintest gende somatische Morbidität erhöhte sich
leben mit drogen 12 DROGENKURIER von 23,9 % auf 35,6 %. Dieser Rückgang ist den weniger schweren Fällen die Rate überwiegend auf eine bedeutsam reduzierte bei 6,3 % liegt. Die Mortalitätsrate in Rate von Hepatitis B und C Infektionen zu- Einrichtungen ohne Abstinenzorientie- rückzuführen. Demgegenüber erhöhte sich rung als individuelles Behandlungsziel Kommentar: Wir als Interessenver- – vermutlich altersbedingt – die Häufigkeit liegt bei 6,8 % tretung substituierter Menschen se- von Erkrankungen des Herzens, der Lunge hen uns durch die Studienergebnisse und des Magen-Darm Traktes. Die Notwendigkeit von PSB bestätigt. PREMOS hat deutlich ge- Die PREMOS-Befunde zeigen – auch bei macht, dass die Vorstellung eine lang- Entwicklung psychischer Berücksichtigung der methodischen Ein- fristige und über Jahre hinweg stabil Erkrankungen schränkungen – recht eindrucksvoll, dass verlaufende Substitution in einer Ab- Die zur Baseline bemerkenswert hohe psy- sich der Stellenwert der PSB im langfristi- stinenz enden sollte nicht haltbar ist. chiatrische Komorbiditat hat sich im 6-Jah- gen 6-Jahres- Verlauf gegenüber der Base- PREMOS zeigt deutlich, dass ein Ab- res-Verlauf nicht deutlich verbessert. line deutlich verändert: bruch aus disziplinarischen Gründen Zwar hat sich der Anteil der Patienten • Insgesamt kommt es zu einer deutlichen auf wenige Einzelfälle begrenzt wer- ohne eine schwerwiegende psychische Stö- Reduktion der PSB-Inanspruchnah- den muss, da die Folgen immense Ri- rung von 36,7 % auf 44,3 % erhöht und der me und ihrer Intensität. Offensichtlich siken bergen. Anteil multimorbider Störungen etwas re- sehen die behandelnden Arzte bei na- duziert (17 % auf 13,5 %) jedoch hezu jedem zweiten Patienten unter Be- Die von vielen Ärzten immer wieder bleiben mehr als die Hälfte aller Patien- rücksichtigung des Machbaren einen durchgeführten Maßnahmen zur Do- ten psychopathologisch schwer auffällig „Deckeneffekt“ erreicht, das heißt, sie sisreduktion mit dem Ziel der Absti- schätzen eine PSB entweder gar nicht nenz sind nur in sehr wenigen Fällen Todesfälle – Substitutionsmedika- mehr oder nur noch in geringem Um- erfolgreich. Hingegen gehen Rückfälle mente kein Faktor fang als notwendig ein. mit erheblichen Komplikationen und 131 Patienten verstarben während des • Es gibt weder Hinweise darauf, dass eine Risiken einher. 6-jahrigen Untersuchungszeitraumes. Häu- hohe PSB zu Baseline noch zu einem der Die Risiken einer sehr langfristigen figste Todesursachen waren Folgen von oder Follow-ups einen systematischen nach- bzw. lebenslangen Substitution sind Komplikationen im Zusammenhang mit kör- weisbaren Einfluss auf ein bedeutsam hingegen weitaus geringer. Aus die- perlichen Krankheiten 36,6 %, z. B. AIDS, positiveres Outcomemuster hat. Wenn es sem Grund sollten alle Abstinenzver- HIV, kardiovaskulare Erkrankungen, Über- Zusammenhange gibt, dann weisen diese suche auch vor dem Hintergrund des dosis illegaler Substanzen bzw. Polyintoxi- tendenziell dahin, dass Patienten mit in- Drucks durch Krankassen, sorgfältig kation (28,3 %), Suizid (16 %). stabilem und schlechterem Verlauf ver- und zurückhaltend geprüft und vor- Es lassen sich keine Hinweise darauf fin- mehrt PSB-Maßnahmen erhalten. Dies bereitet werden. den, dass in der langfristigen Substitution scheint anzudeuten, dass die PSB sinn- das Substitutionsmittel selbst einen we- vollerweise dann intensiviert. PREMOS bestätigt ferner unsere An- sentlichen Faktor der Todesfälle darstellt; nahme, dass eine Vielzahl von Subs- Die Dosis – Ein Drittel aller lediglich bei 6 Patienten spielte das Sub- tituierten eine zu geringe Dosis erhal- Patienten sind unterdosiert stitutionsmittel selbst eine Rolle und nur ten. Die gründe hierfür sind uns nicht bei zwei Patienten wurde es als alleinige Die vielfach vermutete Hypothese, dass ersichtlich. Klar scheint aber, dass mit Ursache eingeschätzt. Die überwiegende viele Substituierte möglicherweise eine einer Erhöhung der Dosis ein Beige- Zahl der Patienten verstarb außerhalb der zu niedrige Dosis erhalten, bestätigt sich brauch von opiaten reduziert werden Substitution – zumeist Monate nach einem eindrucksvoll durch die PREMOS-Befunde. könnte. Therapieabbruch. Dies bestätigt dass Zeit- Selbst wenn unterstellt wird, dass sich ein Der Erfolg der PSB bleibt auch bei PRE- phasen ohne Substitution eine Hochrisiko- Viertel aller Patienten aktuell in einer Ab- MOS weiterhin unklar. Dies unterstützt phase darstellen. dosierungsphase befinden, ist der Befund, unsere Haltung, dass jeder Substituier- dass mehr als ein Drittel aller PREMOS-Pati- te das Recht auf eine PSB haben sollte, Abstinenzorientierung birgt enten weniger als die minimal empfohlene aber die quasi zwangsweise durchge- große Risiken Erhaltungsdosierung erhalten, bemerkens- führten psychosozialen betreuungs- Darüber hinaus ergeben sich Hinweise wert. maßnahmen ohne zeitliche begren- darauf, dass eine ausgeprägte Abstinen- Darüber hinaus zeichnen sich – auch zung ein Weg ist, der keinerlei Nutzen zorientierung bei Patienten mit einem bei Berücksichtigung leicht unterschiedli- hat und vielfach zum Nachteil der sub- hohen Schweregrad der Suchterkrankung cher Ausgangswerte in der PREMOS Kohor- stituierten Patienten gereicht. mit einem deutlich erhöhten Mortalitäts- te einige bemerkenswerte Unterschiede im risiko (14,1 %) einhergeht, während bei Langzeitverlauf ab, die andeuten, dass Pa-
www.jes-bundesverband.de 13 leben mit drogen Ein anderer Blick tienten unter Levomethadon in einigen In- dikatoren und Patienten unter Burpreno- phin in mehreren Indikatoren eine etwas auf das „Krokodil“ günstigere Prognose als Methadonpatien- ten haben. Schlussfolgerungen • PREMOS stellt eine aussagekräftige Basis JES-Bundesverband sieht Prohibition als für die Beurteilung der längerfristigen Effekte einer Substitutionsbehandlung Ursache für die Schäden durch „Krokodil“ in der Routineversorgung dar. • Opioidabhängige in Substitution sind bei hoher Verlaufsvariabilität multimor- wird die Amputation von bid chronisch krank. Körperteilen notwendig. • Entsprechend besteht ein unverändert Allerdings sind für un hoher, kontinuierlicher und individuell die beobachteten Schädi- hochspezifischer Behandlungsbedarf. gungen der Konsumenten • Die langfristige Substitutionstherapie nicht Folge der Substanz, ist effektiv; die prioritären Substituti- sondern Kollateralschä- onsziele (z. B. Haltequote, Sicherung den der Drogenprohibi- des Überlebens, Reduktion von Drogen- tion. Dieser Fakt ist in konsum, Stabilisierung Komorbidität, der bisherigen Auseinan- gesellschaftliche Teilhabe) werden ins- dersetzung um „Kroko- gesamt erreicht. dil“ völlig ausgeblendet • Die Kriterien für „regelhafte Been- worden.Durch Entzugs- digung“, „stabile Substitution“ sind erscheinungen rückt die problematisch und werden der Krank- Risikoabwägung der Kon- heitsdynamik nicht gerecht. sumenten in den Hinter- • Stabile Abstinenz (Opioidfreiheit) ist im Seit einigen Wochen sehen wir uns grund In dieser Situation nützen gut ge- langfristigen Verlauf ein seltenes Phäno- mit immer neuen Horrormeldungen in meinte Ermahnungen und Warnungen nur men (
leben mit drogen 14 DROGENKURIER HIV im Alltag – Diskriminierung an der Tagesordnung? Die internationale Initiative des „The People Living with HIV Stigma Index“ startet unter dem Titel positive stimmen in Deutschland Ab November befragen Menschen mit HIV positive stimmen – Der HIV Stigma sind ca. 90 Minuten Zeit und es gibt Gele- andere HIV-Positive zu ihren Erfahrungen Index genheit, um über persönliche Erfahrungen mit Stigmatisierung und Diskriminierung. Um diesen und anderen Fragen auf den zu sprechen, über erlebte Diskriminierun- Auch Du kannst teilnehmen! Grund zu gehen, haben international tätige gen. Erinnerungen an schlechte Erlebnisse Menschen, die Drogen konsumieren und Organisationen eine systematische Ausein- können auch weh tun. Die Interviewerinnen mit HIV/Aids leben, können ein Lied da- andersetzung und Dokumentation gestar- und Interviewer sind sich ihrer Verantwor- von singen: Die Gesundheitsversorgung ist tet und den HIV-Stigma Index ins Leben tung bewusst. Wenn Bedarf zum weiteren schlecht oder kaum gewährleistet, es gibt gerufen. Vor drei Jahren begann das Pro- Austausch besteht, können sie auch Kon- Ablehnungen bei der Jobsuche, Auseinan- jekt und wurde zu Beginn hauptsächlich in takte beispielsweise zu Beraterinnen und dersetzungen mit staatlichen Stellen und Asien und im südlichen Afrika umgesetzt. Beratern herstellen. Denn: Empowerment, schiefe Blicke von anderen. Drogen und HIV, Mittlerweile sind mehr als 40 Länder betei- also die Hilfe zu Selbsthilfe, ist wesentli- da schnellt der moralische Ziegefinger in die ligt, darunter auch immer mehr in Europa – cher Bestandteil des Projekts. Höhe. Oder spielt sich das vielmehr in den und seit kurzem auch Deutschland. Ziel des Projektes Die ausgewerteten Ergebnisse sollen zu einem größeren Verständnis für die Situa- tion von Menschen mit HIV in Deutschland beitragen. Sie sollen aufzeigen, wo (mehr) entstigmatisierende Maßnahmen notwendig sind, wie Selbsthilfe sich noch besser för- dern lässt und welche Herausforderungen in den Fokus gehören. Nach dem Abschluss im Sommer 2012 werden die Ergebnisse in die Öffentlichkeit getragen. Nicht eine tro- ckene Statistik wird präsentiert, mit den Resultaten wird gearbeitet, Ideen werden umgesetzt, Forderungen formuliert. Köpfen der Betroffenen ab? Noch ein Bei- positive stimmen erforscht und In Deutschland ist seit den 80er Jahren spiel: Wenn Sozialarbeiter(innen) HIV-Posi- dokumentiert die Zahl der HIV-Neuinfektionen bei Drogen- tive genauso behandeln wie nicht infizier- Anhand eines Fragebogens wird festge- gebrauchenden erfreulicherweise zurückge- te Menschen, haben die Betroffenen dann stellt, welche Art von Diskriminierung er- gangen. Das darf aber nicht heißen, dass auch das Gefühl, gleich behandelt zu wer- folgt, ob und wie Menschen sie persönlich ihre Belange und Interessen weniger stark den? Denn: Die persönliche Wahrnehmung erleben. Durchgeführt werden die Befra- vertreten werden. Daher der Aufruf: Sei hat Einfluss auf das eigene Lebensgefühl. gungen im Rahmen von Interviews. Diese dabei. Erzähl in einem Interview von Dei- Was macht der Umgang der Gesellschaft mit werden ausschließlich von selbst HIV-po- nen Erfahrungen, von den guten und den HIV und Aids mit den Betroffenen? Mit ih- sitiven Menschen durchgeführt. Anders als schlechten, von Deinem Alltag, von Deinen rem Selbstverständnis und ihrem Selbst- bei einer klassischen Erhebung, findet auf Zielen, Deinen Vorstellungen und Ideen. n wert? Gibt es neben der äußeren auch eine Grundlage des entwickelten Fragebogens verinnerlichte Stigmatisierung? ein vertrauensvolles Gespräch statt. Dafür Weitere Infos: www.positive-stimmen.de
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aus den regionen 16 DROGENKURIER „Haben Sie mal dahinter geguckt?!“ Kunstprojekt „Pusteblume“ 2011 im Kontaktladen tea and talk in Lübeck* Gefühlsmobile Der Kontaktladen der Arbeiterwohlfahrt in te Sterben aufzuzeigen. Aus dieser Situati- bemerkenswerte Ressourcen in sich: Kreati- Lübeck befindet sich in einem alten Ge- on entstand die Idee zu einer ersten Aus- vität, besondere Begabung im Umgang mit bäude auf der Lübecker Innenstadt Insel. stellung. Farbe, Wort oder Noten und Ideenreichtum. Die hohen Wände und das alte Holzgebälk Ein Titel für diese Ausstellung war Unser Ziel ist es, diesen Menschen einen eignen sich hervorragend, um viele große schnell gefunden: „Haben Sie mal dahin- Rahmen zu bieten, Ihnen Ausdruck zu ver- und kleine Bilder aufzuhängen. Mit dem ter geguckt?!“. In der Projektgruppe wurde leihen und einen Dialog zur Außenwelt auf- ersten Schritt in das Gebäude erhebt man diskutiert, gestritten und beraten, wie man zunehmen. Vor dem Hintergrund hat das den Kopf, um zu staunen: Bemalte Leinwän- am besten auf dieses Projekt aufmerksam Kunstprojekt des Kontaktladens im ver- de, Bleistiftskizzen in großen Holzrahmen machen könnte. Schnell waren sich alle ei- gangenen Jahr mit diesem Motto seinen und Fotografien hängen an den Wänden. nig: Wir wollen gesehen werden! Wir wollen endgültigen Namen gefunden: Das Kunst- Das Kunstprojekt „Pusteblume“ ist nicht zu mit alten Klischees aufräumen und nicht ig- projekt „Pusteblume“. übersehen! noriert und belächelt werden, oder sogar Auch in diesem Jahr haben wir unse- Alles begann vor ein paar Jahren, als schlimmeres! Nein, stattdessen wollen wir re Ausstellung mit einer Vernissage eröff- eine kreative Praktikantin den Vorschlag zeigen was noch in uns steckt! net und gefeiert. Viele Menschen kamen zu einem Kunstprojekt für Menschen mit zur Eröffnung, um unseren Projektteilneh- Drogenkonsum machte. Die Idee kam bei Die „Pusteblume“ als besonderes mern zu gratulieren und sich die neusten den Betroffenen sehr gut an; schnell gab Symbol Bilder anzuschauen. Neben bemalten Lein- es viele Interessenten die mit Farben und Nach der ersten Ausstellung im Jahr 2008, wänden aller Größen war in diesem Jahr Leinwänden arbeiten wollten. Das Projekt hieß das Thema des letzten Jahres „Puste- auch ein mannshohes Mobile dabei, wel- traf sich einmal pro Woche für ein paar blume“. Die Pusteblume symbolisiert im be- ches vielschichtig die Gefühlswelt einer Stunden. Während dieser Zeit wurden Ge- sonderen Maß die Situation vieler der hier Betroffenen darstellt. Außerdem baute ei- meinschaftsprojekte entwickelt, Farben ge- betreuten Drogenkonsumenten: Jahrelan- ner unserer Teilnehmer an einer Sonnen- mischt und Ideen ausgearbeitet. Trotz vie- ge Abhängigkeit, meistens substituiert uhr. Er zeigte dazu ein Pappmodell, wel- ler Ideen und vieler Hände gerät auch so ein und zunehmend auf Hilfe von außen an- ches nun bald in Originalgröße in anderen Projekt mal ins Strudeln, einige Teilnehmer gewiesen. Viele von Ihnen tragen dennoch Materialien gebaut werden soll. Manchmal sprangen ab und die Treffen wurden unre- gelmäßig. Einige Monate später gab es ei- nen drastischen Anstieg in den Todeszahlen der Klienten des Kontaktladens. Daraufhin begannen die Drogen konsumierenden wie- der Interesse an und Bedarf nach diesem Kunstprojekt zu äu0ern. Sie wollten es nut- zen, um auf diese Situation aufmerksam zu machen und Hintergründe für das vermehr- * gekürzter Text Strahlende Pusteblumen Kunstprojekt bei der Arbeit Gemeinschaftsbild
www.jes-bundesverband.de 17 aus den regionen Team und Unterstützerinnen v.l.n.r.: Ilse Korzitzki, Janina Schemme, Ute Beh- Bilder des Projekts Pusteblume rendt und Frau Menken bekommen wir auch anonyme Bilder oder Eine große Unterstützung für das Projekt Betriebes im Kontaktladen, schafft es einen Installationen von Menschen, die in der war und ist auch heute noch Ilse Korzitz- Raum und Zeit für Trauer. Mit Ideen, Kreati- Therapie an einem kleinen Projekt arbei- ki. Sie ist eine bekannte Surrealistin, aus vität und ein bisschen Farbe lässt sich häu- ten und es nach Abschluss gerne präsen- Schleswig-Holstein. Sie wurde 2009 auf das fig viel des Gefühls der Ohnmacht und Hilf- tieren. In diesem Jahr war es unter ande- Projekt aufmerksam und ist seitdem nicht losigkeit entgegenwirken. rem eine Collage aus Bildern die in einem mehr wegzudenken. Frau Korzitzki ist immer Unser Kunstprojekt ist etwas Besonde- Plastikei aufgeklebt waren. In dem Ei gab wieder fasziniert von den gemalten Werken res. Die Teilnehmer unterstützen sich ge- es viel zu entdecken, dazu hatte der Be- und unterstützt uns mit Worten, Bilderrah- genseitig und stehen für einander ein. Sie troffene einen beeindruckenden Text ge- men und Ideen. Neben ihr gibt es viele Men- genießen offensichtlich die Zeit in der schrieben, der vom Suchtpotential und des- schen, die unser Projekt begleiten und un- Gruppe, fühlen sich aufgehoben und wahr- sen Beherrschung handelt. Dieses „Ei“ zeigt terstützen. Es ist schön zu sehen, dass man genommen. Der Betroffene O. sagt: „Es ist im Besonderen, dass Kunst nicht auf Farbe auch in einer vergleichsweise kleinen Stadt keine verschenkte Zeit!“, andere sagen es und Leinwand beschränkt ist. Nein, unse- wie Lübeck, gemocht und geschätzt wird. ist für sie ein Ausgleich wie Gartenarbeit re Ausstellung zeigt auch Texte, Fotografi- In jeder unserer Ausstellungen, legen oder Sport. Es ist eine Zeit, in der nicht en, Collagen und sogar eine Lichtinstallati- wir unser Gästebuch aus. Viele Menschen konsumiert wird, in der man eine kreati- on mit leuchtenden Pusteblumen! schreiben etwas hinein, und immer wieder ve Aufgabe löst und den eigenen Gefühlen staunen wir, welche Reaktionen wir mit den Ausdruck verleihen kann. Der Umgang mit Tod und Trauer Ausstellungen erzeugen: „Rundum gelun- Wir vom Team des Kontaktladens freu- Eine unserer „Pusteblumen“, eine Dro- genes Projekt“, „vielen Dank für die sehr en uns sehr über dieses Kunstprojekt. Wir gengebraucherin die mit Ihren Bleistift- persönlichen Einblicke!“, „Danke, dass sie sehen unsere „Klienten“ Tag ein Tag aus in zeichnungen im letzten Jahr für Aufsehen ein Thema vom Rande der Gesellschaft in unterschiedlichsten Stimmungen, Gemüts- gesorgt hatte, war in diesem Jahr nicht den Mittelpunkt gerückt haben!“, „Kunst und körperlichen Verfassungen. Aber wenn dabei. Anfang des Jahres erlag sie Ihrer gibt nicht sichtbares wieder, sondern macht sie einen Pinsel mit Farbe in der Hand hal- Lungenkrankheit im Alter von 53 Jahren. unsichtbares sichtbar!“. ten und sich mit einem bestimmten Thema Trotz ihres ständigen Aufenthalts im Heim, Mal wird viel gequatscht, oder disku- auseinander setzten, dann sehen wir, wie war Eva für die Teilnehmer auch in Abwe- tiert, man ist sich uneinig. An anderen Ta- diese Menschen ein paar Momente wahrer senheit sehr präsent. Sie leistete einen gen werden drei Bilder fertig gemalt und Ruhe genießen, fern von der Szene, und enormen Beitrag zum Zusammengehörig- es herrscht Hochstimmung. Stille herrscht in sich ruhend und dennoch in Konfronta- keitsgefühl der Gruppe. Auch wenn sie immer dann vor, wenn es z. B. wieder einen tion der Themen die sonst gemieden wer- diese Ausstellung nicht miterlebte, zeig- Toten in der Szene gab. Das Thema Tod hat den. Es bestärkt uns in unserem Tun. Somit ten wir dennoch Ihre Bilder. Viele Men- einen besonderen Platz in diesem Projekt. hoffen wir sehr, noch viele Jahre gemein- schen sprachen uns auf diese Bilder an und Dieses Tabu-Thema auf der Szene ist bei uns sam mit unseren jetzigen Teilnehmern und somit erreichte die Künstlerin genau das, im Kunstprojekt immer wieder Anstoß für noch allen kreativen Menschen aus der Sze- worauf sie immer gehofft hatte: Sie hinter- neue Bilder: Das Kunstprojekt hilft dabei, ne die hinzukommen werden, arbeiten zu lässt etwas, was zu Gedanken und Gesprä- Tod zu einem Thema zu machen und zu be- können. n chen anregt. wältigen. Abseits des normalen Trubels und Janina Schemme
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