Corona und die Demokratie - S. 4 Ein Rückblick auf unsere Zukunfts-Konferenz
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ausgabe 3.2020 | www.mehr-demokratie.de Corona und die Demokratie S. 4 Ein Rückblick auf unsere Zukunfts-Konferenz S. 28 Ankündigung der Bundesmitgliederversammlung S. 40 1 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020
INHALT Corona und die Demokratie Wir haben 12 Forderungen an die Politik fomuliert, wie die Demokratie CORONA UND DIE DEMOKRATIE in dieser Krise 4 CORONA UND DIE DEMOKRATIE gestärkt werden 6 CORONA-KRISE AUFARBEITEN UND FÜR ZUKUNFT LERNEN kann. 7 PERSÖNLICHER KOMMENTAR 8 WARUM WIR DIE VERSAMMLUNGSFREIHEIT BRAUCHEN ab Seite 4 10 CORONA-KRISE: ZEITENWENDE DER PARLAMENTARISCHEN DEMOKRATIE? 12 DIE SCHWEIZ UND IHR EPIDEMIEGESETZ BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE 14 WIR WOLLEN ABSTIMMEN – AUCH AUF BUNDESEBENE 16 ABSTIMMUNG 21 – NEUE INFORMATIONEN BÜRGERRÄTE 17 VIELE FRAGEN ZU BÜRGERRÄTEN 18 KOMBINATIONSVORSCHLAG: BÜRGERRÄTE UND DIREKTE DEMOKRATIE REZENSION TITELBILD ISTOCK, LINKS OBEN TAREK MANTAOGLU, LINKS MITTE FRIEDER UNSELT LINKS UNTEN LINKS: UWE DAMMAN 20 HAT STEUERGERECHTIGKEIT ETWAS MIT DEMOKRATIE ZU TUN? EUROPA UND INTERNATIONAL 22 EUROPA, QUO VADIS? 12062020 OLYMPIA Europa, quo vadis? 26 DAS FEUER IST NOCH LANGE NICHT ERLOSCHEN Die Coronakrise hat den Schwung in der Debatte über eine EU-Reform stark ausge- bremst. Citizens Take Over Europe will neuen ZUKUNFT DER DEMOKRATIE Schwung in die Reformdebatte bringen. 28 WO LIEGT DIE ZUKUNFT DER DEMOKRATIE? EIN RÜCKBLICK AUF DIE ONLINE-KONFERENZ ab Seite 22 30 DEEPENING DEMOCRACY BUNDESLÄNDER 32 BÜRGERBEGEHREN UND BÜRGERENTSCHEIDE VERBIND- LICH MACHEN 34 NEUES AUS DEN LANDESVERBÄNDEN MD INTERN 36 NEUE RUBRIK: FAQ 37 BUNDESGESCHÄFTSFÜHRER TIM WEBER WIRD BÜRGER- MEISTER 38 TIM WEBER ÜBERGIBT AN ALEXANDER TRENNHEUSER 40 ANKÜNDIGUNG DER BUNDESMITGLIEDERVERSAMMLUNG 43 MITGLIEDERBEGEHREN GEGEN GESCHLECHTERQUOREN IM WAHLRECHT Wechsel in der Geschäftsführung Tim Weber übergibt das Amt an Alexander Trennheuser. ab Seite 37 2 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020
EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, „Vierzig Wagen westwärts“ – das ist der Titel einer Westernkomödie von 1965 mit Burt Lancaster in der Hauptrolle. Um Minenarbeitern über den bevorstehenden langen Winter zu helfen, werden 40 Wagen, voll beladen mit Whisky, über Stock und Stein Richtung Westen geschickt. Es geht freilich alles schief, was irgendwie schiefgehen kann. Jedenfalls versinken am Ende die Wagen in einem Sumpf. Und später, während zwei der Westernhelden, die im Sumpfgebiet hängen geblieben sind, trübsinnig auf die Tümpel starren, macht es: blubb und blubb und blubb – ein Fässchen nach dem anderen kommt wieder an die Oberfläche. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann sau… trinken die beiden noch heute. So endet der Film. Ich musste daran denken, als die Corona-Krise anfing, unseren Alltag zu bestimmen. Jetzt geht es um die Einschränkung von Grundrechten, vielleicht noch um Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung – aber unser Kernthema, die direkte Demokratie, Ralf-Uwe Beck, wird wohl in diesem Corona-Sumpf untergehen. Jetzt ist nicht die Zeit, auf der Bundesvorstandssprecher von Forderung nach dem bundesweiten Volksentscheid zu beharren. Der würde uns jetzt Mehr Demokratie. wohl kaum helfen. Weit gefehlt. Das macht Brigitte Krenkers mit ihrem Beitrag klar. Sie informiert darüber, wie das Schweizerische Infektionsschutzgesetz verabschiedet wurde – per Volksabstimmung. Blubb, da ist die direkte Demokratie wieder da. Charlie Rutz meint, wohl inspiriert vom letzten Heft, in dem es schwerpunktmäßig um Bürgerräte ging, dass gerade bei einem Ausbau der Bürgerbeteiligung, auch die direkte Demokratie ausgebaut werden muss. Die nämlich schützt die Bürgerinnen und Bürger davor, zwar beteiligt, aber mit ihren Ideen und ihrer Kritik nicht wirklich ernst genommen zu werden. Und schon wieder macht es: blubb. Corona hat manche Vorhaben, manche Veranstaltung platzen lassen, dafür andere hervorgebracht. Darüber wird im Heft berichtet. Freilich hat uns, was Corona in Sachen Demokratie ausgelöst hat, beschäftigt, und tut es noch. Auch darüber gibt dieses Heft Auskunft, wirft Fragen auf, versucht sich an Antworten, beispielsweise von unserem Kuratoriums-Vorsitzenden, Professor Arne Pautsch. Und nach Corona? Dann heißt es, das Krisenmanagement der Regierung auszuwerten, Rückschlüsse zu ziehen, wie zukünftigen Krisen begegnet werden kann, möglichst mit den Bürgerinnen und Bürgern. Es gilt, die Kompetenz der Betroffenen einzubeziehen. Dafür gibt es Vorschläge. Ich wünsche Ihnen eine ergiebige Lektüre Ihr Ralf-Uwe Beck Bundesvorstandssprecher 3
GRUNDLAGEN CORONA UND DIE DEMOKRATIE CORONA UND DIE DEMOKRATIE entscheids ist (siehe Artikel von Brigitte wird Arbeitnehmerinnen und -nehmern Die 12 Forderungen: Krenkers in diesem Heft, S.12). vertraut und sie dürfen zu Hause arbeiten. 1. Die Parlamente sind legitimiert, Ständig ist zu prüfen, ob die So gut dieser burschikose Pragmatismus zu entscheiden. Das muss so blei CORONA UND Maßnahmen – Einschränkungen wie Lockerungen – verhältnismäßig sind und tut, um Gewohnheiten in Frage zu stellen, so wenig taugt er für die Demokratie. Da ben! 2. Verordnungen und Gesetze befristen DIE DEMOKRATIE eingelöst wird, was man sich und uns damit verspricht. Eine Regierung, die auf Sicht fährt, will dabei von den Bürgerin- wird unter den Fraktionen im Bundestag diskutiert, die Wahl 2021 als reine Brief- wahl zu veranstalten. Hier entscheidet 3. Parlamentarische Diskussion öffent- lich führen 4. Beratungsgremien breit besetzen nen und Bürgern gesehen werden. Aus sich jetzt, ob wir politische Kultur abbau- 5. Bürger einbinden „Mündige Menschen, veranlagt und der Holschuld der Bürgerinnen und Bür- en oder Demokratie entwickeln. Allen 6. Transparenz sichern bereit, sich solidarisch zu zeigen“. ger muss eine Bringschuld der Regierung Wahlberechtigten die Briefwahlunterla- 7. Entscheidungen und deren Grundla- werden: Strategiepapiere, Gutachten, gen – wie in der Schweiz – automatisch gen müssen nachvollziehbar sein Modellrechnungen müssen automatisch mit der Wahlbenachrichtigung zuzustel- 8. Versammlungs- und Demonstrations- VON RALF-UWE BECK veröffentlicht werden. Dazu gehört auch, len, das fordert auch Mehr Demokratie. recht erhalten transparent zu machen, wie die eingesetz- Aber nicht als Ersatz, sondern als Aus- 9. Wahlen nicht einschränken ten Krisenstäbe besetzt sind. Die Pande- weitung der Möglichkeiten, sich an der 10. Datenschutz beachten mie verlangt nach interdisziplinärer Be- Wahl zu beteiligen. Die Wahllokale soll- 11. Weltweit solidarisch sein ratung, nach Ein schätzungen aus der ten geöffnet bleiben. Ja, probieren wir das 12. Den Umgang mit der Krise evaluieren Sozialwissenschaft, der Ethik, der Öko- aus – und behalten wir dies dann bei für nomie, Rechts- und Politikwissenschaft. alle Wahlen, auch für die nach Corona. Dabei sollte das Spektrum der Meinun- Dann würde die Demokratie nicht be- gen, die hinter den schwierigen Abwä- schnitten, sondern vermutlich wäre ein Das Zwölf-Punkte-Papier, gungen stehen, die die Politik zu leisten Mittel gefunden, die Wahlbeteiligung zu beschlossen vom Bundes- „Das sind DDR-Verhältnisse“, schimpft ihrer Ansicht nach ein paar Löcher hat. vom Bundesverfassungsgericht, definiert hat, wahrnehmbar sein. Es geht aber nicht steigern. vorstand von Mehr Demokratie, finden Sie hier: einer am Telefon, ein anderer meint gar Gegen die Demonstrationsverbote wurde Grundrechts-Einschränkungen als Sache nur darum, politische Entscheidungen Der durch das Corona-Virus verur- „es ist wie 33“. Die Einschränkungen von geklagt, das Bundesverfassungsgericht des Parlamentes. Das macht nicht nur das besser nachvollziehbar zu machen, son- sachte Ausnahmezustand verlangt nach www.mehr-demokratie.de/ Grundrechten in der Corona-Krise su- hat die pauschalen Einschränkungen mo- rechtliche Eis dicker, es hat auch etwas dern die Kompetenz der Betroffenen an einer gründlichen Auswertung. Dafür themen/corona-und-demo- chen ihresgleichen. Aber wer so redet, niert. Ein Pfarrer hat sich per Eilantrag mit Bürgernähe zu tun: Ein Parlament hat den Beratungstisch zu holen. Mehr De- fordert Mehr Demokratie eine Kommis- kratie/unsere-forderungen/ scheint nicht den Hauch einer Ahnung zu Zugang zu einem Heim verschafft, um öffentlich zu agieren, die Auseinanderset- mokratie schlägt einen Krisenbeirat vor, sion beim Bundestag, hälftig von Abge- haben, dass Grundrechte während der eine Sterbende zu begleiten. Das sind nur zung zwischen Regierung und Oppositi- repräsentativ von Bürgerinnen und Bür- ordneten und Expertinnen und Experten oder unter diesem QR-Code: Nazidiktatur abgeschafft oder im SED- zwei von vielen Beispielen, die zeigen: on hilft, alle Argumente, die hinter einer gern besetzt. Es verwundert, dass Bür- aus der Zivilgesellschaft besetzt. Der Regime über Jahrzehnte Demonstra- Der Rechtsstaat hat in der Krise funktio- Abwägung stehen, in die Diskussion zu gerbeteiligung immer erst eingefordert Leitgedanke würde sich nicht auf einen tions- und Versammlungsfreiheit massiv niert. Es gibt keinen Grund, die Demo- holen, Abgeordnete sind (meistens) er- werden muss. Da poltert es aus dem Vorwurf stützen, sondern an der Frage eingeschränkt waren und was das Eintre- kratie in Sack und Asche zu sehen. Den- reichbar und können Rede und Antwort Kanzleramt gegen die Diskussionen in orientieren, welche Rückschlüsse für zu- ten für Grundrechte in einer Diktatur für noch gilt es, den demokratischen Rahmen stehen. Das heißt nun nicht gleich, die der Bevölkerung und gegen die Gerichte, künftiges Krisenmanagement zu ziehen Konsequenzen haben konnte. Die Mög- für das Krisenmanagement der Bundes- Verordnungen für nichtig zu erklären, die pauschale Einschränkungen aufheben, wären – oder ganz einfach: was wir zu lichkeit, Grundrechte einzuklagen, gab regierung und der Regierungen in den weist aber dem Parlament eine stärkere anstatt auf die naheliegende Idee zu kom- lernen haben. Auch das geht nicht ohne es jedenfalls nicht. Nichts hat mich ange- Ländern abzustecken. Das hat Mehr De- Rolle zu. Mindestens sollte der Bundes- men, einen solchen Beirat zu installieren. die Bevölkerung. Corona wird uns noch sichts der gravierenden Einschränkun- mokratie mit seinem Zwölf-Punkte-Pa- tag Verordnungen zurückholen können. Man mag sich vorstellen, wie ein Sprecher eine Weile beschäftigen und eine Auswer- gen der Grundrechte in den vergangenen pier versucht. Es ist die Einladung, die Eine wirksamere Kontrolle der Bundesre- dieses Beirates neben der Kanzlerin vor tung könnte vielleicht erst im nächsten Monaten an die DDR erinnert, außer Lage differenziert zu betrachten, Ängste gierung durch das Parlament wäre kaum die Medien tritt und mithilft, zu vermit- Jahr sinnvoll sein. Aber allein, sich dies dass Klopapier Mangelware war und wir ernst zu nehmen und die Aufmerksam- denkbar. Demokratisch rund wird dies al- teln, warum Entscheidungen notwendig so vorzunehmen, wäre ein Signal der Foto: Tarek Mantaoglu es mitgehen haben lassen, wo sich die keit auf mögliche Gefährdungen der De- lerdings erst, indem die Bürgerinnen und sind. Das könnte deren Akzeptanz und das Bundesregierung an die Bürgerinnen und Möglichkeit bot. Den zitierten Anrufern, mokratie zu lenken. Bürger beispielsweise über das Infekti- Vertrauen in die Politik erheblich steigern. Bürger, sie nicht nur als Risikoträger für die sich gemeldet haben, nachdem Mehr Eine Regierung, die Grundrechte auf onsschutzgesetz und die Festlegungen für Die Krise verhilft zu pragmatischen Ansteckungen zu betrachten, sondern als Demokratie sich zur Corona-Krise geäu- dem Verordnungsweg einschränkt, bewegt Krisensituationen mitbestimmen können. Lösungen: Video- oder Telefonkonferen- mündige Menschen, veranlagt und bereit, Ralf-Uwe Beck ßert hatte, habe ich erwidert: Bitte blei- sich verfassungsrechtlich auf dünnem Wieder wird augenfällig, wie überfällig zen ersetzen Treffen, Fördermittel wer- sich solidarisch zu zeigen. / Bundesvorstandssprecher von ben Sie auf dem Teppich, auch wenn er Eis. Die Wesentlichkeitstheorie, vertreten die Einführung des bundesweiten Volks- den ohne Umstände gewährt, plötzlich Mehr Demokratie. 4 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020 5
CORONA UND DIE DEMOKRATIE CORONA UND DIE DEMOKRATIE CORONA-KRISE AUFARBEITEN UND FÜR DIE ZUKUNFT LERNEN Im weltweiten Vergleich hat Deutschland die direkten gesundheitlichen Folgen der COVID-19 Krise PERSÖNLICHER KOMMENTAR ZUR CORONA-KRISE vergleichsweise gut gemeistert. Diese Krise war ohne Präzedenz und ohne Vorbild. Wir sehen es als selbstverständlich an, dass nach der Bewältigung einer solchen Krise Bilanz gezogen wird, um Posi- ... tives, wie Negatives herauszuarbeiten. Das stärkt die Demokratie. Nur Demokratien sind in der Lage VON ROMAN HUBER ihre Entscheidungen selbst in Frage zu stellen ? VON ROMAN HUBER Es gilt mit den Bürger*innen auszuloten, was wir aus der Krise lernen können. Wie werden wir zu einer krisenresilien- teren Gesellschaft in der Zukunft? Begründung: n Die Corona-Krise, ebenso wie die ge- troffenen Maßnahmen, hat alle Ebe- nen unseres Lebens in existentieller ... Bei Mehr Demokratie hatten und haben wir fast die ganze Bandbreite an Meinun- gen zur Corona-Krise, die es auch in der Gesellschaft gibt. Nach meiner Beobach- serem Menschen- und Lebensbild ent- sprechen. Wir bestätigen das, was wir glauben wollen. Was wir glauben wollen, hängt wesentlich von unseren Lebensum- schwerwiegenden Eingriffen in Grund- rechte eine fortlaufende strenge Prüfung ihrer Verhältnismäßigkeit anhand der je- weils aktuellen Erkenntnisse stattfinden Der Bundesvorstand von Mehr De- Weise beeinflusst. Deswegen ziehen tung bestimmten vor allem zwei Fakto- ständen und unserer Geschichte ab. muss. mokratie hat beschlossen: Zur konstruk- wir eine konstruktiv-kritische Bilanz. ren, zu welcher Bewertung man persön- Einen grundlegenden Mangel in der Jedenfalls darf es auch in und nach tiven Überprüfung der politischen Ent- n Demokratie ist ein lernfähiges Sys- lich tendiert: Krisenbewältigung kann und konnte ich der Corona-Krise nicht wieder zu „alter- scheidungen in der Corona-Krise tem. Eine Fehlerkultur, wie wir als n Für wie gefährlich halten wir Corona jedoch nicht nachvollziehen. Die Politik nativlosen“ Antworten kommen. Sachli- schlagen wir vor, Gesellschaft mit tatsächlichen oder – für uns persönlich, unser Umfeld hat zu Beginn der Krise bei unsicherer che Kritik oder andere Meinungen sollten n Die Entscheidungen der Bundes- und scheinbaren Fehlern und Risiken um- und für die Gesellschaft insgesamt? Datenlage und hoher drohender Gefahr weder in die Ecke von rechten Verschwö- ! ? Landesregierungen in der Corona-Kri- gehen, unterscheidet uns von totalitä- n Für wie bedrohlich halten wir die einen Lockdown mit all den verbundenen rungstheorien geschoben, noch Anders ! se durch eine Parlamentskommission ren Systemen. Maßnahmen zur Eindämmung – für Grundrechtseinschränkungen beschlos- denkende als „schlafende Schafe“ be- überprüfen zu lassen, die je hälftig mit n Demokratie lebt vom Diskurs, sowie uns persönlich, unser Umfeld und für sen. Das konnte ich verstehen. Damit hat zeichnet werden. Abgeordneten und mit Vertreter*innen dem konstruktiven Aufarbeiten ver- die Gesellschaft insgesamt? die Politik jedoch die Verantwortung, Mit welcher Strategie wir langfristig der Zivilgesellschaft besetzt ist. Sie gangener Geschehnisse und Krisen. sich eine valide, breite Datenbasis zu ver- besser durchkommen, ist noch offen. Was analysiert die Maßnahmen, die wäh- Hier kann Deutschland auch Vorbild- Zwischen den beiden Einschätzungen schaffen. Dies ist bis zum heutigen Tage wir uns aber bereits jetzt fragen können: rend der Pandemie ergriffen wurden, funktion für andere Länder überneh- gibt es Wechselwirkungen: Für je ge- nicht geschehen. Sind wir bereit, die Vor- und Nachteile überprüft deren Verhältnismäßig- und men. fährlicher wir das Virus halten, desto an- Warum wurde nicht sofort, wie von Wis- der jeweiligen Strategie unvoreingenom- Wirksamkeit sowie deren Zustande- n Die Corona-Krise macht gesellschaft- gemessener und weniger bedrohlich senschaftlern vorgeschlagen, eine groß men zu prüfen? Oder suchen wir nur nach kommen und zieht Rückschlüsse für liche Spannungen sichtbarer. Gräben empfinden wir die Maßnahmen. Und je angelegte repräsentative Studie (Base Bestätigung unserer vorgefassten Mei- zukünftiges Krisenmanagement. können überwunden werden, wenn mehr wir uns von den Maßnahmen be- Line Studie) in Auftrag geben? Mit Stich- nung? / n dass Ergebnisse einem losbasierten alle Positionen gehört werden und droht fühlen, desto eher neigen wir dazu, proben mit 10.000 oder 20.000 Personen, Bürgerrat vorgelegt werden, der diese echte Begegnung stattfindet. die Gefahren des Virus geringer einzu- die wiederholt alle zwei Wochen getestet bewertet und Empfehlungen für die schätzen. werden. Erst mittels einer solchen Daten- Zukunft entwickelt und diese dem Die richtige Zeit für eine systematische Darüber hinaus war für mich oft zu lage hätten sich einigermaßen abgesi- Bundestag übermittelt. Aufarbeitung ist möglicherweise erst in beobachten: Wir glauben und ziehen eher cherte Rückschlüsse auf die Gesamtsitu- der nächsten Legislaturperiode, wobei die Studien und Experten zu Rate, die un- ation ziehen lassen. Zu hohe Kosten oder Sollte die Bundesregierung – spätestens Vorbereitungen für eine Auswertung be- zu hoher Aufwand kann angesichts der in der nächsten Legislaturperiode – dazu reits jetzt getroffen werden können. / Milliardenbeträge, die jetzt aktiviert nicht bereit sein, soll ein Viertel der Ab- werden, kein Argument sein. 1 www.researchgate.net/publica- geordneten des deutschen Bundestages tion/340448051_Datenbasis_verbessern_Praven- Grundrechte dürfen nur in einer Ab- zu dieser Frage eine Enquetekommission Roman Huber tion_gezielt_weiterentwickeln_Burgerrechte_ wägung von Gütern eingeschränkt wer- Roman Huber wahren oder einen Untersuchungsausschuss ein- Geschäftsführender Bundesvor- 2 Beschluss vom 10. April 2020 - 1 BvQ 28/20 (in den. Auch das Bundesverfassungsgericht Geschäftsführender Bundesvor- setzen. stand von Mehr Demokratie. diesem Fall in die Ausübung der Glaubensfreiheit) mahnte an, dass es bei den überaus stand von Mehr Demokratie. 6 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020 7
CORONA UND DIE DEMOKRATIE CORONA UND DIE DEMOKRATIE Mehr Demokratie Bayern organisierte in Dinkelsbühl und München Versammlungen, bei denen für die Demokratie gesungen und gelesen wurde. PAUSCHALES VERSAMMLUNGS- den können, ohne den Maßnahmen wie Einhaltung eines Min- destabstands entgegenzulaufen. Uns war klar, dass ein pauscha- les Verbot von Versammlungen nicht sein kann! Redebeiträgen – mit Gesang und Musik an die Lebensfreude appelliert, um so die Mitbestimmung und Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger auch während der Corona-Krise zu VERBOT IST NICHT MIT DEM Und so wollten wir es wissen und haben zusammen mit dem Omnibus für direkte Demokratie und dem ÖDP-Stadtverband stärken und somit eine gesellschaftliche Diskussion zu ermögli- chen. Um zu zeigen, dass Demokratie eine freudvolle Angele- GRUNDGESETZ VEREINBAR München für den 17. April eine Versammlung auf dem Münch- ner Marienplatz angemeldet. Für zwölf Personen und mit der Versicherung, dass wir den Mindestabstand von 1,5 Metern ein- genheit ist, sorgten „Hygiene-Clowns“, ausgestattet mit Meter- stäben auf humorvolle Art für die Einhaltung der Abstände. Ähnlich eine weitere Woche später in Crailsheim. VON SUSANNE SOCHER halten werden. Wir wollten aus dem Grundgesetz vorlesen, um So wollten wir zeigen, dass in der pluralistischen Demokratie so ein Zeichen für unsere Grundrecht und die Versammlungs- Meinungsvielfalt wichtig ist, um die offene Gesellschaft zu ge- freiheit zu setzen. Die Versammlung wurde jedoch von der zu- währleisten. In der Vergangenheit haben wir immer wieder erfah- ständigen Behörde in München verboten. Nach einem nerven- ren, wie durch den Austausch der Menschen Lösungen entstan- aufreibendem Hin und Her und dem Gang durch die Instanzen, den sind, die im Vorfeld noch nicht denkbar waren. Wir sind Sich im öffentlichen Raum zu versammeln und seinem Anliegen fentliche Diskussion auf stumm gestellt. Vermutlich waren diese entschied letztlich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zu überzeugt, dass die Menschen grundsätzlich vernünftig und rück- Gehör und Ausdruck zu verleihen ist ein elementarer drastischen Maßnahmen in der ersten unübersichtlichen Phase unseren Gunsten: Ein pauschales Versammlungsverbot ist mit sichtsvoll sind. Für den weiteren Umgang und die Bewältigung Bestandteil der Demokratie und im Grundgesetz in Artikel 8 der Pandemie gerechtfertigt, doch darum soll es in diesem unserer Verfassung nicht vereinbar! Was für eine Erleichterung! der Krise ist uns ist wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger in gewährleistet. Versammlungen und Zusammenkünfte zu Beitrag nicht gehen. Und selbstverständlich wurden sehr schnell Der Beschluss des Gerichts stellte sicher, dass Initiativen die Diskussion miteinbezogen werden. Denn wer beteiligt ist, organisieren, gehört letztlich zum Kerngeschäft der Zivilgesell- andere Formen des Austauschs und der Diskussion gefunden, wieder die Möglichkeit haben müssen, sich in kleinem Rahmen, fühlt sich mitverantwortlich. Es geht nicht darum den Kopf in den schaft und politisch aktiver Gruppen. So denken wir bei Ver- aber eben online und nicht mehr für alle sichtbar. Nur wer mit Mindestabstand im öffentlichen Raum zu versammeln, um Sand zu stecken und zu warten bis man sich als Souverän wieder sammlungsfreiheit sogleich an die großen Demonstrationen aus wusste, wann sich wo wer austauscht und die entsprechenden ihr Anliegen sichtbar zu machen. Und auch, dass Versammlun- regen darf. Ganz im Gegenteil ist es auch Aufgabe der Bürgerin- den vergangenen Jahren, dazu gehören aber zweifelsohne auch Zugangsdaten hatte, konnte sich an der Diskussion beteiligen. gen nicht pauschal abgelehnt werden dürfen. Es muss immer der nen und Bürger, die öffentliche Diskussion zu führen, zu hinter- die kleinen öffentlichen Treffen, beispielsweise von Initiativen Öffentlich wahrgenommen wurde diese Zusammenkünfte eher konkrete Einzelfall berücksichtigt werden. Verwaltungen müs- fragen und zum Finden von Lösungen beizutragen. Das hält die vor Ort, die ein politisches Anliegen haben und auf ihre nicht und sich wirklich begegnen funktioniert im virtuellen sen also auch zu Corona-Zeiten Wege und Mittel finden, Ver- Demokratie auch in schwierigen Zeiten lebendig. / Meinung aufmerksam machen wollen. Raum auch nur bedingt. sammlungen zu ermöglichen. Durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung Schnell stellten wir uns die Frage, ob diese Maßnahmen ver- Auf dem Münchner Marienplatz entstanden dann schöne des Corona-Virus wurden nicht nur Schulen und Geschäfte ge- hältnismäßig und zum Anderen auch zweckdienlich sind. Spä- Bilder, von Menschen, die ruhig auf dem Boden sitzen und aus Susanne Socher schlossen, sondern auch Versammlungen jeglicher Art verboten. testens als die ersten Geschäfte wieder öffnen durften und dar- dem Grundgesetz vorlesen. Eine Rose als Symbol für die Demo- Landesgeschäftsführung Bayern und Ein tiefer Eingriff in die Grundrechte, da dadurch keine Mög- über diskutiert wurde, wie das mit den sogenannten kratie lag dabei. Nun war der Einfallsreichtum und die Kreati- Mitglied im Bundesvorstand. lichkeit mehr verblieb, die eigene Meinung öffentlich kundzu- Schutzmaßnahmen zu vereinbaren ist, fingen auch wir an zu vität neu entfacht. Ein Woche später gab es eine Lesung aus dem tun. Es fühlte sich an, als wäre die Zivilgesellschaft und die öf- überlegen, wie Versammlungen im öffentlichen Raum stattfin- Grundgesetz in Nürnberg. In Dinkelsbühl wurde – neben 8 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020 9
CORONA UND DIE DEMOKRATIE CORONA UND DIE DEMOKRATIE CORONA-KRISE: ZEITENWENDE DER PARLAMENTARISCHEN DEMOKRATIE? VON PROF. DR. ARNE PAUTSCH Unter anderem in ihrem Podcast zum 71. Jahrestag der Verkün- bei der Corona-Krisenbewältigung etwa in Niedersachsen die Parlamenten – getroffen werden. Ein dauerhafter Rückgriff auf wie hier nach § 32 Infektionsschutzgesetz die Landesregierungen dung des Grundgesetzes am 23. Mai hat Bundeskanzlerin An- Oppositionsfraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen das Instrument der Rechtsverordnung (Art. 80 GG) verbietet zum Verordnungserlass ermächtigt sind, sind die Länder zu einer gela Merkel erklärt, dass sie die im Zusammenhang mit der angekündigt haben, gemeinsam den Niedersächsischen sich also auch bei der Corona-Bekämpfung. Regelung auch durch Gesetz befugt. Parlamentarische Gesetzge- Corona-Krise ergriffenen Maßnahmen – insbesondere die mas- Staatsgerichtshof als Landesverfassungsgericht anzurufen. Hier kommen wieder die Grundrechtseinschränkungen ins bung in Corona-Zeiten ist also alles andere als ausgeschlossen, siven und hinsichtlich Zahl und Intensität bislang einmaligen Wie aber kann unter den Bedingungen der Corona-Pandemie Spiel: Denn die zur Infektionsabwehr auf der Grundlage von § 32 eine Umgehung der Landesparlamente vermeidbar – wenn man Grundrechtseinschränkungen – für eine „Zumutung für die auf die Infektionsgefahren reagiert werden, ohne maßgebliche des Infektionsschutzgesetzes (des Bundes) erlassenen „Corona- es denn nur wollte. Das Argument, auf diese Weise sei eine effek- Demokratie“ halte. Was hat es damit auf sich? In der Tat ist zu Grundprinzipien des Verfassungsrechts auszublenden? Und: Wie Verordnungen“ der Länder stehen im verfassungsrechtlichen tive Infektionsabwehr nicht zu leisten, vermag nicht zu überzeu- konstatieren, dass die zur Bewältigung des Covid-19-Virus er- lange darf eine solche grundrechtseinschränkende Rechtsetzung Konflikt mit der sog. Wesentlichkeitstheorie. Diese besagt nach gen: Gerade der Bund hat gleich zu Beginn der Krise selbst unter griffenen Maßnahmen in der Bundesrepublik eine Herausforde- allein durch den Verordnungsgeber erfolgen? gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Beweis gestellt, dass Krisengesetzgebung durch das Parlament rung für den demokratischen Verfassungsstaat des Grundgeset- das Parlament die für die Grundrechtsausübung wesentlichen möglich ist. So wurde das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung zes darstellen, die ohne Vorbild ist. Entscheidungen – und nicht die Exekutive mittels Rechtsverord- bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, das be- Die Notstandslagen des Grundgesetzes Denn auch wenn nach einer geläufigen Redensart in nung – zu treffen hat. Mögen hierfür auch noch so gewichtige kanntlich auch zu einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes Krisenzeiten die „Stunde der Exekutive“ schlägt, darf nicht sind nicht ausgelöst. Das heißt jedoch, Gründe wie das hohe Verfassungsgut des Lebens- und Gesund- geführt hat, unter dem 24. März 2020 als Entwurf der Regie- übersehen werden, dass mit der Corona-Verordnungsgebung dass ein verfassungsrechtliches heitsschutzes der Bevölkerung und die hierzu erforderliche Auf- rungsfraktionen in den Bundestag eingebracht, am Folgetag in zentrale Grundpfeiler des Verfassungsrechts in Gefahr Krisenrechtsregime gerade nicht rechterhaltung des Gesundheitssystems streiten. Denn auf der allen drei Lesungen behandelt und vom Bundestag beschlossen, sind. Denn in der Krisenbewältigung sind die Parlamente anderen Seite stehen widerstreitende Grundrechte wie z.B. die bevor am 27. März 2020 die Zustimmung des Bundesrates und eingreift und daher die Funktions massiv zurückgedrängt. Stattdessen vollzieht sich ein lange Zeit vollkommen dispensierte und noch immer erheblich die Veröffentlichung erfolgt sind. nahezu vollumfänglicher Rückgriff auf das exekutive fähigkeit der Verfassungsorgane [...] bei eingeschränkte Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG, der das Damit sollte verdeutlicht sein, dass die Corona-Krise nicht Rechtsetzungsinstrument der Rechtsverordnung. Die im der Corona-Bekämpfung vollständig Bundesverfassungsgericht als elementarem politisch-demo- zu einer „Zeitenwende der parlamentarischen Demokratie“ Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geübte Staatspraxis aufrechterhalten bleiben muss. kratischen Grundrecht eine für die freiheitlich-demokratische führen darf. Die Gewährleistung der Freiheitsgrundrechte des besteht darin, die zu Recht beklagten Grundrechtseingriffe Staatsordnung konstituierende Bedeutung zugemessen hat. Sie Grundgesetzes und die Demokratie insgesamt bedürfen auch in allein auf die Corona-Verordnungen der Länder zu stützen. – die Versammlungsfreiheit – gewährleiste, so das Bundesver- Krisenzeiten einer Vergewisserung über ihre Grundfesten. Oder Die sind aber – anders als verfassungsrechtlich geboten – nicht Zu berücksichtigen ist – und dies ist eine maßgebliche Erkenntnis fassungsgericht etwa in der Brokdorf-Entscheidung (1985), „ein anders gewendet: Keine Krisenbewältigung ohne die Parlamente! / das Ergebnis eines parlamentarischen Willensbildungs- oder –, dass die Bewältigung der Corona-Pandemie keinen wie auch Stück ursprünglicher ungebändigter unmittelbarer Demokratie“. Abwägungsprozesses, sondern stellen sich augenblicklich immer gearteten Notstand oder gar „Ausnahmezustand“ im Dies sei ausdrücklich in Erinnerung gerufen. Weitere maßgeb- als die exek utive Umsetz ung der Ergebnisse von (verfassungs-)rechtlichen Sinne darstellt. Die Notstandslagen liche Freiheitsgrundrechte, die durch die Corona-Verordnungen Videoschaltkonferenzen zwischen Bundeskanzlerin und des Grundgesetzes sind nicht ausgelöst. Das heißt jedoch, dass massiv eingeschränkt wurden und werden, ließen sich aufzählen. Ministerpräsidenten durch die Landesregierungen dar. Gleich ein verfassungsrechtliches Krisenrechtsregime gerade nicht Gibt es also keinen Ausweg? Doch! Ein Blick in die maßgeb- Prof. Dr Arne Pautsch Professor für Öffentliches Recht und einer „Kettenverordnungsgebung“ werden auf diese Weise zum eingreift und daher die Funktionsfähigkeit der Verfassungsorgane liche Vorschrift des Art. 80 Abs. 4 GG zeigt einen Weg auf, der Kommunalwissenschaften an der Teil innerhalb kürzester Frist maßgebliche Lebensbereiche auch unter dem Aspekt der Geltung des Gewaltenteilungsprinzips recht naheliegend ist, um die Umgehung der Parlamente zu ver- Hochschule Ludwigsburg, Leiter d. der Ausgestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bei der Corona-Bekämpfung vollständig aufrechterhalten meiden, ohne dabei die erforderliche staatliche Handlungsfähig- Instituts für Bürgerbeteiligung und entzogen. In diesem Zusammenhang ist es nur folgerichtig, bleiben muss. Die Folge daraus lautet aber eindeutig: Wesentliche keit bei der Krisenbewältigung zu verlieren: das verordnungser- Direkte Demokratie und Sprecher des dass wegen der weitgehenden Ausblendung des Parlaments Entscheidungen müssen von der Legislative – d.h. den setzende Landesgesetz. Danach gilt: Soweit durch Bundesgesetz Kuratoriums von Mehr Demokratie. 10 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020 11
EUROPA & INTERNATIONAL CORONA UND DIE DEMOKRATIE Volksabstimmung) hier in Deutschland haben, würden wir uns ve und Volksabstimmung anzupassen und zu ändern. Die Ein- nicht so „ohnmächtig“ und „ausgeliefert“ fühlen. Natürlich führung der bundesweiten Volksabstimmung steht in übernimmt im Katastrophenfall erstmal die Regierung die Ent- Deutschland heute dringender denn je auf der Tagesordnung. / SCHWEIZ: MEHRHEIT STIMMT 2013 scheidung. So steht es auch im Schweizer Epidemiengesetz. Das EpG sieht 3 Stufen in der Krise vor (u.a. die besondere Lage, die FÜR DAS EPIDEMIENGESETZ (EPG) aussergewöhnliche Lage) mit entsprechenden Maßnahmen. In der Schweiz sprach der Bundesrat am 16. März 2020 ähnlich wie die Regierung in Deutschland in einer Pressekonferenz die WEITERE INFORMATIONEN «ausserordentliche Lage» aus. Um Mitternacht wurden sämtli- Das EpG wird jetzt während der COVID-19-Pandemie zum ersten Mal angewendet. che nicht zur Grundversorgung beitragende Geschäfte ge- Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragba- schlossen, ebenso Restaurants, Kinos, Theater oder Schwimm- rer Krankheiten des Menschen: bäder. Lebensmittelläden, Apotheken, Drogerien, Tankstellen, VON BRIGITTE KRENKERS Tierverpflegungsgeschäfte und die Post blieben geöffnet, um https://www.admin.ch/opc/ die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. de/classified-compilati- on/20071012/index.html Es ist aber ein großer Unterschied, ob wir das Epedimiegesetz selbst entschieden haben und ändern können, oder ob wir es einer Regierung, Landesvätern, einem Jens Spahn u.a. überlas- sen müssen. Gerade die massiven Einschränkungen der Grund- rechte brauchen die Zustimmung der Bevölkerung. Das geht Referendum gegen das nicht nur nach Umfragen und Stimmungen, sondern so wie in Bundesgesetz vom 28 September 2012 über die der Schweiz über verbindliche demokratische Verfahren, an Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz): denen alle beteiligt sind. Seit 1995 bereitet sich die Schweiz systematisch auf Influenza- zur Volksabstimmung vorgelegt. Bei einer Stimmbeteiligung Die Direkte Demokratie ist als Basisrecht der Demokratie wie https://www.human-life.ch/ Pandemien vor. Unter der Leitung der Eidgenössischen Kom- von knapp 47 Prozent mit einem Ja-Stimmenanteil von 60 Pro- Wahlen auch in diesen Zeiten in der Schweiz nicht ausgeschaltet. upload/dokumente/ mission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) zent wurde das Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Referendum-Epidemienge- entstand 2004 der erste schweizerische Influenza-Pandemie- Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epide- Schweiz: 1.6.2020: setz-EpG_Unterschriftenkar- plan. Dieser wurde in den folgenden Jahren aktualisiert. miengesetz, EpG) angenommen. Es dürfen wieder Unterschriften gesammelt werden te-10er.pdf Im September 2012 verabschiedete die Bundesversammlung Es ist seit 1. Januar 2016 in Kraft. Das EpG wird jetzt 2020 Nachdem der Bundesrat nun entschieden hat, den Fristen das Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krank- während der COVID-19-Pandemie zum ersten Mal angewendet. stillstand für eidgenössische Volksbegehren nicht über den heiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG). Gerade jetzt in Krisenzeiten zeigt die Direkte Demokratie 31. Mai hinaus zu verlängern, hebt auch der Regierungsrat Die Organisation „Human Life Schweiz“ ergriff dagegen hier ihre friedensstiftende Wirkung. seinen Beschluss per 1. Juni wieder auf. Gemäss Bundesrat das fakultative Referendum und sammelte über 70.000 Unter- Man braucht in der Schweiz keinen Widerstand2020. In der bleibt das Sammeln von Unterschriften im öffentlichen Raum schriften. Schweiz haben sich die Bürgerinnen und Bürger selbst diese wegen der geltenden Verhaltens- und Hygieneregeln zwar Brigitte Krenkers Regeln (Epidemiengesetz (EpG)) gegeben und können diese weiterhin schwierig, ein weiterer Aufschub des Initiativ- und Mitglied bei Mehr Demokratie und Volksabstimmung am 22.9.2013 jetzt nach den Erfahrungen mit dieser Pandemie über den Weg Referendumsrechts sei deswegen aber nicht gerechtfertigt. Initiatorin und Gesellschafterin beim Aufgrund des zustande gekommenen fakultativen Referen- der Volksinitiative und Volksabstimmung auch wieder anpas- Jetzt ist der Weg frei, über eine Volksinitiative das Epidemi- OMNIBUS für Direkte Demokratie. dums wurde das Gesetz der Stimmbevölkerung am 22.9.2013 sen und ändern. Würde wir dieses Recht (die bundesweite engesetz für zukünftige Krisen über den Weg der Volksinitiati- 12 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020 13
BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE sanne Wiest mit ihrer Bundestagspetition für ein bedingungs- Genau hier setzt die Kampagne Abstimmung21 an, die von loses Grundeinkommen für Aufsehen, die mit 176.134 Unter- Mehr Demokratie, OMNIBUS für Direkte Demokratie, Demo- stützerinnen und Unterstützern nach Online-Unterschriften die cracy International und change.org gerade vorangetrieben wird. WIR WOLLEN größte Bundestagspetition aller Zeiten ist. Darin fordert sie, dass aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona- Per selbstorganisierter bundesweiter Volksabstimmung soll über verschiedene Top-Themen wie beispielsweise verpflich- ABSTIMMEN – Pandemie und der damit verbundenen Einkommensausfälle für viele Bürgerinnen und Bürger, kurzfristig und zeitlich begrenzt, aber solange wie notwendig, ein bedingungsloses Grundeinkom- tendes Lobbyregister, Mindestlohn, Kohleausstieg oder bedin- gungsloses Grundeinkommen abgestimmt werden. Und ganz wichtig: Auch über die Einführung der dreistufigen Volksge- AUCH AUF men eingeführt wird. Diese und weitere Initiativen haben ein großes öffentliches Interesse erzeugt und könnten gut zum An- setzgebung auf Bundesebene! Dazu wird es am 20. September 2020 zunächst eine Probeabstimmung per Briefwahl auf lokaler BUNDESEBENE lass genommen werden, ganz grundsätzlich über die dauerhaf- te Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eine bundesweite Volksabstimmung herbeizuführen. Das ist letztlich Ebene geben. An alle Haushalte in Hamburg-Ottensen und We- del werden per Post Abstimmungsunterlagen geschickt – zu- dem können deutschlandweit alle stimmberechtigten Menschen auch das übergeordnete Ziel von Susanne Wiest und vielen Mit- teilnehmen, die die Abstimmungsunterlagen über die Webseite VON CHARLIE RUTZ streiterinnen und Mitstreitern. abstimmung21.de bestellen. Diese erste Stufe dient als Stim- Auf Länderebene wird die dreistufige Volksgesetzgebung aus mungstest. Im Anschluss daran findet vom 1. Oktober 2020 – Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid bereits seit 31. März 2021 ein Abstimmungsverfahren statt, um festzule- Derzeit ist der von Mehr Demokratie angestoßene Bürgerrat in Jahrzehnten erfolgreich praktiziert. Erinnern wir uns nur an die gen, über welche zehn Themen die Bevölkerung parallel zur aller Munde. Das ist auch gut so! Ist es doch ein weiteres Instru- Einführung eines Transparenzgesetzes in Hamburg, das Votum Bundestagswahl 2021 per bundesweiter Volksabstimmung ent- ment der Bürgerbeteiligung, das, wenn es richtig umgesetzt gegen Massentierhaltung in Brandenburg oder das erfolgreiche scheiden kann. Dabei sind alle Fragestellungen zugelassen, mit wird, eine ganz neue Form des politischen Diskurses ermög- Volksbegehren Artenvielfalt in Bayern, das im letzten Jahr von denen sich auch der Bundestag befassen kann. Themen und In- licht. Nichtsdestotrotz brauchen wir auch ein Verfahren, das mehr als 1,7 Millionen Menschen unterstützt wurde und dazu itiativen, die Grund- oder Minderheitenrechte einschränken jeder Bürgerin und jedem Bürger ermöglicht, durch eigene Ini- führte, dass der Bayerische Landtag darauf basierend ein neu- wollen, sind dagegen ausgeschlossen. tiative ein Thema auf die politische Tagesordnung zu setzen, es und besseres Naturschutzgesetz beschloss. Wichtig dabei zu Warum das Ganze? Weil Politik und Öffentlichkeit vor Au- über das die Bevölkerung direktdemokratisch und verbindlich wissen: Die dreistufige Volksgesetzgebung sieht keine Schnell- gen geführt werden soll, welche gesellschaftspolitischen Ideen abstimmen kann. Seit mehr als 30 Jahren setzen sich deshalb schüsse vor! Sie beinhaltet monatelange Debatten und es dauert und Themen der Bevölkerung auf dem Herzen liegen und wie Mehr Demokratie und der OMNIBUS für Direkte Demokratie in der Regel ein bis zwei Jahre, bis es zu einer Entscheidung eine bundesweite Volksabstimmung ganz praktisch ablaufen für die Einführung der bundesweiten Volksabstimmung ein. kommt. In dieser Zeit haben alle Seiten die Gelegenheit, im öf- würde. Es ist zugleich ein wichtiger Lern- und Erfahrungspro- Seitdem hat sich zwar auf Landes- und Kommunalebene hin- fentlichen Diskurs ihre Argumente miteinander auszutauschen. zess für alle Beteiligten. Learning by doing! Dahinter steht also sichtlich der Etablierung und des Ausbaus direktdemokrati- Das versetzt die Bevölkerung in die Lage, sich intensiv mit ei- ein ernst gemeinter und konstruktiver Prozess, der uns dem scher Verfahren sehr viel getan, jedoch fehlt weiterhin das Initi- nem Thema auseinanderzusetzen. Darüber hinaus erhält jeder Ziel einer rechtlich verbrieften bundesweiten Volksabstimmung ativrecht auf der Bundesebene. Haushalt vor dem Gang zur Urne eine Abstimmungsbroschüre näherbringen und das Bewusstsein für diese Art der Entschei- Die Gründe dafür sind vielschichtig. Dabei gab es bereits mit der Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Argumenten, dungsfindung stärken soll. Denn sind wir nicht alle gemeinsam 1990 mit dem „Zentralen Runden Tisch“ die große Chance, um sich eine fundierte Meinung bilden zu können. verantwortlich für die Gesetze und Regeln, unter denen wir leben dieses verbindliche Instrument einzuführen. Die Vertreterinnen Vergessen wir auch eines nicht: Allein die Existenz eines ver- wollen? Berufen können wir uns auf Artikel 20 (2) des Grundge- und Vertreter aller Parteien – selbst der CDU – waren damals bindlichen direktdemokratischen Verfahrens wie die bundeswei- setzes, in dem es heißt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. dafür (siehe Artikel im letzten mdmagazin). Immer wieder te Volksabstimmung kann dazu führen, dass die Abgeordneten Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch bestätigen repräsentative Umfragen, dass mehr als zwei Drittel im Deutschen Bundestag bedächtiger in ihrer Entscheidungs- besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt der Bevölkerung bundesweit über richtungsweisende politische findung vorgehen. Denn im Hinterkopf haben sie stets, dass die und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Ergo: Wir als Gemeinschaft Themen abstimmen wollen. Auch die Empfehlungen des Bürgerinnen und Bürger jederzeit selbst die Initiative ergreifen sollten auf Bundesebene wichtige Grundsatzentscheidungen zu Bürgerrats Demokratie im vergangenen Jahr waren eindeutig: und aus ihrer Sicht falsche politische Beschlüsse korrigieren allen politischen Themen treffen können, um damit auch direkt 94 Prozent der Teilnehmenden (148 von 157) befürworteten, können. Auch Lobbyisten hätten es schwieriger: Schließlich ist Verantwortung zu übernehmen! / dass eine bundesweite Volksabstimmung per Initiative aus der es viel leichter, Einfluss auf ein paar hundert Abgeordnete oder Bevölkerung eingeleitet werden kann. Den Menschen reicht es Regierungsvertreterinnen und -vertreter zu nehmen, als auf die eben nicht, alle paar Jahre bei Wahlen ihr Kreuz zu machen. gesamte Bevölkerung. Der parteilose Bundestagsabgeordnete Oder an unverbindlichen Beteiligungsverfahren teilzunehmen, Marco Bülow hatte zuletzt auf der von Mehr Demokratie orga- bei denen nie garantiert ist, dass die dort erzielten Ergebnisse nisierten Online-Konferenz „Demokratie der Zukunft“ zu Recht Charlie Rutz auch zur konkreten politischen Umsetzung kommen. Echte darauf hingewiesen, dass wir in einer Lobby-Republik leben, Vorstandsmitglied von Mehr Mitbestimmung ist nur auf Augenhöhe mit der Politik möglich in der Konzernlobbyisten nicht nur Einfluss auf die Gesetzge- Demokratie Berlin/Brandenburg – das zeigt die Erfahrung! bung nehmen, sondern auch direkt daran mitschreiben. Seine und Referent für Kampagnen- und Und politische Themen gibt es ja genug, die die Menschen Konklusion: „Wir brauchen mehr direkte Mitbestimmung der Öffentlichkeitsarbeit beim bewegen. Ganz aktuell sorgte beispielsweise die Aktivistin Su- Bevölkerung!“ OMNIBUS. 14 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020 15
BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE BÜRGERRÄTE ABSTIMMUNG 21 VIELE FRAGEN ZU ABSTIMMUNG21 läuft auf Hochtouren und BÜRGERRÄTEN wächst. Wenn Sie diesen Artikel lesen, haben wir es hoffentlich geschafft, dass mindestens Seit dem 1. April läuft eine wöchentliche Webinar- 100.000 Menschen bundesweit an der Probeab- Reihe zu zufällig ausgelosten Bürgerräten. Eine stimmung am 20.09.2020 teilnehmen. Jetzt gilt erste Zwischenbilanz. es noch uns lokal zu stärken. VON THORSTEN STERK VON DANIEL SCHILY UND OLAF SEELING „In dieser Zuhause-bleiben-Zeit lerne ich eine Menge über in der ganzen Republik die Teilnahme zu ermöglichen. Da man In 3 Schritten zur Abstimmung 2021 Bündnispartner kommen. Aus diesem Grund sind die Bürgerräte.“ Das schrieb Susanne Kahlefeld auf Facebook, zum Mitmachen nichts tun muss, außer seinen Computer hoch- Zur Bundestagswahl 2021 wollen wir per Brief zehn Themen zur Abstimmungskreise in Ottensen und Wedel als Gegen nachdem Sie bereits mehrfach bei unseren neuen Bürgerrat- zufahren oder die Smartphone-Apps von YouTube oder Zoom bundesweiten Volksabstimmung stellen. (1) Eine Generalprobe gewicht umso wichtiger, da hier alle Haushalte die Abstim Webinaren dabei war. zu öffnen, ist die Beteiligungshürde auch niedrig. für dieses bundesweit erstmalige und große Vorhaben findet am mungsunterlagen bekommen. Kahlefeld sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordneten- Besonders begeistert waren Webinar-Teilnehmende von den 20.09.2020 in Form einer Probeabstimmung mit Top-Themen haus. Sie nutzte wie andere Menschen auch die Möglichkeit, Berichten von Vertreterinnen und Vertretern von Bürgerinitiati- statt. (2) In den sechs Monaten nach der Probeabstimmung Fokus Ottensen und Wedel trotz Corona-Virus über das Internet mit anderen Menschen in ven, die die Initiierung von Bürgerräten selbst in die Hand ge- (10.2020 – 03.2021) werden zehn Themen für die selbst Für die bundesweite Teilnahme haben wir bereits mobilisiert. Kontakt zu bleiben und per Videokonferenz dabei auch noch nommen hatten. Uta Claus, Katharina Hübl und Johanna Weber organisierte Volksabstimmung zur Bundestagswahl 2021 Jetzt gilt es möglichst viele Menschen in Ottensen und Wedel etwas zu lernen. Während Abgeordnete sonst immer viele vom Verein „Nur Mut“ berichteten so, wie sie Bezirksbürger- festgelegt. Dazu sollen unterschiedlichste Initiativgruppen zu erreichen, damit wir eine hohe Teilnahme an der Probeab- Termine haben, hatte die Grünen-Politikerin im Frühling viel meisterin des Berliner Stadtbezirks Tempelhof-Schöneberg für konkrete Gesetzentwürfe oder politische Vorschläge ausarbeiten. stimmung erreichen. Jetzt kommen Sie als Leserin und Leser Zeit für diese Art von Fortbildung. Ebenso wie viele andere einen Bürgerrat begeistert hatten, zu dem die Bezirksverwaltung In unserem Webportal sammeln die Initiativen für ihr Thema ins Spiel, denn wir brauchen Ihre Mithilfe. Menschen, die abends nicht mehr ins Kino oder in ein Theater dann einlud. Katharina Liesenberg vom Verein „Mehr als wäh- Unterstützung. (3) Die zehn Themen mit den meisten Stimmen oder Restaurant gehen konnten. len“ erklärte, wie der „Demokratiekonvent“ genannte Bürgerrat werden dann von uns parallel zur Bundestagswahl 2021 Aktiv werden zum Thema Bürgerbeteiligung in Frankfurt/Main zustande kam bundesweit per Brief zur Abstimmung gestellt. Für den Aktionszeitraum vor Ort: 15.08. – 20.09.2020 benötigen Webinare wöchentlich und durchgeführt wurde. Zugezogene Studentinnen und Studen- wir mindestens 100 Unterstützerinnen und Unterstützer. Dazu Seit dem 1. April haben wir im wöchentlichen Rhythmus jeden ten hatten die Initiative hierzu ergriffen. Probeabstimmung am 20.09.2020 sind alle Kreative, Aktive und Querdenkende herzlich eingela- Mittwochabend ein Webinar angeboten. Das Thema war jedes- Solche Demokratie-Erzählungen haben Folgen. Zunehmend Die Probeabstimmung (per Brief) findet in drei Abstimmungs den, den August und September zu einem Abstimmungsfestival mal ein neues. Es ging dabei u.a. um Bürgerbeteiligung in den werden wir von Teilnehmerinnen und Teilnehmern gefragt, wie kreisen statt: zu machen. Anmelden für den Aktionszeitraum unter Telefon: Zeiten von Corona, um den Stand der Dinge beim Bürgerrat man selber vor Ort Bürgerräte initiieren kann. Unter den An- 1. Städtisch: Alle Haushalte in Hamburg-Ottensen 040- 317 691 08 oder per E-Mail: aktive@abstimmung21.de Demokratie, darum, wie ein Bürgerrat funktioniert, um den fragenden fand sich z.B. eine Bürgermeisterin und eine lokale 2. Ländlich: Alle Haushalte in Wedel (Schleswig-Holstein) In den Wochen vor der Abstimmung wollen wir in Hamburg- Klima-Bürgerrat in Frankreich und um Beispiele lokaler Los- Gruppe von „Fridays for Future“. Allen konnten wir mit Hin- 3. Bundesweit: Alle interessierten Pioniere Ottensen und Wedel so viele Menschen wie möglich informieren. versammlungen in Deutschland, Belgien und Österreich. weisen und Tipps weiterhelfen. Wer mit uns dafür brennt: Herzlich willkommen! / Der Ablauf ist immer gleich. Expertinnen und Experten geben Zweck der Probeabstimmung zu Beginn einen Einblick in das jeweilige Thema. Danach Webinar-Fortsetzung geplant Der Zweck der Generalprobe ist: besteht die Möglichkeit zu Fragen und Diskussion. Teilnehmen Die Webinar-Reihe lief bis Ende Juni. Da einem beim Thema 1. Auftrieb für den zweiten Schritt zur Bundestagswahl 2021 Daniel Schily kann man entweder über den Videokonferenz-Anbieter Zoom Bürgerrat die Unterthemen so schnell aber nicht ausgehen, ist zu bekommen Mitgründer von Mehr Demokratie und oder über YouTube, wo die Webinare live gestreamt werden. eine Fortsetzung des Angebots geplant. / 2. Reichlich Erfahrung zu sammeln Vorstandsmitglied bei Democracy International. 3. Brennende Abstimmungsthemen noch weiter zu verbreiten Großes Interesse und in den Fokus der gesetzgebenden Politik zu bringen Das Interesse war bisher immer sehr groß. Manchmal konnten Olaf Seeling Thorsten Sterk wir uns vor Fragen kaum retten. Das beweist aber nur, dass Mitglied bei Mehr Demokratie und Campaigner beim Bürgerrat Ein Stück repräsentativ Initiator der Initiative zur unser Angebot auf ein entsprechendes Informationsbedürfnis Demokratie. Uns ist bewusst, dass die bundesweit Teilnehmenden nicht Bundesweiten Briefabstimmung. trifft. Und es ist schön, anders als bei Vorträgen nicht nur repräsentativ sind, da sie aus dem Kreis der Themen- und Menschen an einem Ort erreichen zu können, sondern Menschen 16 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020 17
BÜRGERRÄTE BÜRGERRÄTE BUNDESWEITE VOLKSENTSCHEIDE KOMBINATION VON LOSBASIER- eingereicht werden (siehe Fact Sheet Bürgerrats-Initiative). Bei Nicht-Übernahme der Ergebnisse der Bürgerrats-Initia- tive durch den Bundestag haben die Initiierenden das Recht, TEN BÜRGERRÄTEN UND DIREK- ein Volksbegehren (1 Mio. Unterschriften) zu starten, um eine Volksabstimmung über die Empfehlungen des Bürger- TER DEMOKRATIE AUF BUNDES- rates herbeizuführen. 3.2. Nach dem Volksbegehren EBENE Losbasierte Bürgerräte könnten auch erst nach einem Volksbe- gehren angesetzt werden. Nach einem erfolgreichen Volksbe- beschäftigen sich vier Tage lang mit den Inhalten des Volks- gehren kann der Bundestag entscheiden, den Vorschlag des begehrens und formulieren dann auf einer DIN A4-Seite In- Volksbegehrens zu übernehmen. Findet keine Übernahme statt, formationen sowie ihre Position dazu: das Citizen Review kommt es zum Volksentscheid. Zur Vorbereitung können Bür- Statement. mit einzubeziehen. Die Entscheidung verbleibt jedoch beim gerräte helfen: n Inhalt des Statements: Wie wirkt sich die vorgeschlagene Bundestag. Werden Bürgerräte von unten initiiert, gelten be- a) Ein Alternativvorschlag wird durch einen Bürgerrat erarbei- Maßnahme aus? Wie viele Teilnehmer sind dafür und warum stimmte Anforderungen: tet: Nach einem Volksbegehren haben idealerweise Bundes- sind sie dafür? Wie viele sind dagegen und warum? Die n Der Inhalt liegt im Rahmen der Zuständigkeit des deutschen tag und Bundesrat die Möglichkeit, einen Alternativvor- wichtigsten Pro- und Kontra-Argumente werden notiert. Bundestages. schlag parallel zum Vorschlag des Volks begehrens n Diese Stellungnahme wird zusätzlich in der Ab stim n Die Unterschriften werden mit einer Fragestellung (zu einem Diskussionspapier Bundesvorstand 2 von 2 28.02.2020 zur mungsbroschüre abgedruckt und verbreitet. 1 abgrenzbaren Thema) und Begründung beim Bundes Abstimmung zu stellen. Dies erhöht die Wahlmöglichkeiten 4. Kombinationsmöglichkeiten bei fakultativen tagspräsidium oder einer Stabsstelle für Bürgerbeteiligung für die Abstimmenden. Zur Ausarbeitung eines Alternativ- Referenden eingereicht. vorschlags kann der Bundestag auch einen losbasierten n Mit dem fakultativen Referendum können Bürgerinnen und n Auf Antrag des Bundestagspräsidiums entscheidet das Bun- Bürgerrat einberufen. Bürger innerhalb von 100 Tagen einen Volksentscheid über desverfassungsgericht innerhalb von sechs Monaten über die b) Eine Stellungnahme wird durch einen Bürgerrat erarbeitet: vom Bundestag beschlossene Gesetze verlangen. Dafür muss Vereinbarkeit der Fragestellung mit dem GG (Normenkont- Vor einem Volksentscheid wird optimalerweise ein Abstim- eine bestimmte Anzahl von Unterschriften gesammelt wer- rolle). mungsheft mit den Argumenten der Initiative und des Bun- den. Vorschlag: 500.000 Unterschriften. n Die Initiatoren haben Rederecht im federführenden Ausschuss. destages verschickt. Nun wird von einem losbasierten Gre- n Kommen 500.000 Unterschriften zusammen, kommt es zum n Weitere Verfahrensvorschläge siehe Fact Sheet „Institu mium eine weitere Stellungnahme ausgearbeitet. Ein Volksentscheid. Ist vorgesehen, dass das Parlament, obwohl tionalisierung von losbasierten Bürgerräten“. erprobtes und erfolgreiches Verfahren aus Oregon (USA) das zur Abstimmung stehende Gesetz von ihm beschlossen 1. Geeignete Formen von direkter Demokratie könnte hierfür modifiziert übernommen werden: wurde, dennoch einen zweiten Entwurf mit zur Abstimmung Auf Bundesebene sind vor allem folgende drei Formen von di- 3. Kombinationsmöglichkeiten bei n Im US-Bundesstaat Oregon kommen jährlich zahlreiche stellen kann (der die Kritik aus der Zivilgesellschaft auf- rekter Demokratie sinnvoll: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid Volksinitiativen zur Abstimmung. Manche waren kompli- nimmt), könnte dieser Alternativentwurf von einem Bürger- a) Bei der dreistufigen Volksgesetzgebung wird ein Volksent- 3.1. Vor dem Volksbegehren ziert und Umfragen zeigten, dass zu viele Wählerinnen und rat erarbeitet werden. scheid von den Bürgerinnen und Bürgern selbst per Unter- Zwei Varianten sind denkbar, die erste wird präferiert: Wähler nicht genau verstanden hatten, worüber sie abstimm- n Denkbar ist auch das unter 3.2. beschriebene Verfahren. schriftensammlung auf den Weg gebracht. Die drei Stufen a) Obligatorische Bürgerräte nach der Volksinitiative: Nach je- ten. Seit 2011 ist ein Bürgerpanel gesetzlich vorgeschrieben, sind: Volksinitiative (100.000 Unterschriften) – Volksbegeh- der Volksinitiative findet automatisch ein losbasierter Bür- das eine Stellungnahme vor dem Volksentscheid erarbeitet. 5. Kombination nach irischem Vorbild ren (1 Mio. Unterschriften) – Volksentscheid. gerrat zu dem Thema der Volksinitiative statt. n 20-24 per Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürger – die In Irland gibt es gute Erfahrungen damit, dass das Parlament b) Ein Korrektur-Volksbegehren (Fakultatives Referendum/ n Der Bundestag kann dann die Ergebnisse des Bürgerrats über- nach bestimmten Kriterien für Oregon repräsentativ sind – losbasierte Bürgerräte zu bestimmten Fragestellungeneinsetzt Volkseinwand) richtet sich gegen ein vom Parlament be- nehmen. Findet dies nicht statt, (www.citizensassembly.ie). Die erarbeiteten Empfehlungen schlossenes Gesetz. Eine bestimmte Anzahl von Abstim- n haben die Initiatoren das Recht, mit ihrer ursprünglichen For- werden vom Parlament entgegengenommen, im üblichen parla- mungsberechtigten (500.000 Unterschriften) kann einen derung oder mit den Ergebnissen des Bürgerrates ein Volks- mentarischen Verfahren beraten und ggf. beschlossen. Im Fall Volksentscheid darüber beantragen, ob das Gesetz in Kraft begehren zu beantragen (siehe 3.1. a)). von Änderungen der irischen Verfassung findet zusätzlich obli- treten soll. n Zusätzliche Variante: Falls die Initiatoren ein Volksbegehren gatorisch ein Referendum statt (z.B. Ehe für Alle 2015 – Abtrei- c) Obligatorische Referenden sind Volksentscheide zu Verfas- mit ihrer ursprünglichen Forderung beantragen, werden die bungsrecht 2018). Diese Regelung ist seit 1937 in der irischen sungsänderungen, Übertragungen von Hoheitsrechten o.ä., Ergebnisse des Bürgerrates nach dem erfolgreichen Volksbe- Verfassung verankert. / die verpflichtend und automatisch stattfinden. Dem geht ein gehren automatisch als Alternativvorschlag mit zur Abstim- entsprechender Parlamentsbeschluss voraus. mung gestellt. 1 Beispiel Steueränderung in Oregon, Volksabstimmung im Jahr 2016 b) Bürgerrats-Initiative fakultativ zur Volksinitiative: Parallel (Measure 97): https://healthydemocracy.org/wp-content/ 2. Losbasierte Bürgerräte zu einer Volksinitiative mit 100.000 Unterschriften wird ein uploads/2016OR-M97-Statement-1.pdf Losbasierte Bürgerräte nach irischem Vorbild zielen darauf ab, alternativer Zugang eingeführt: Statt einer Volksinitiative Bürgerinnen und Bürger in Gestaltungs- und Planungsprozesse kann eine Bürgerrats-Initiative mit 100.000 Unterschriften 18 www.mehr-demokratie.de | Nr. 124 | 3/2020 19
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