RESEARCH PAPER NO. 13 - Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050? Klimapolitische Maßnahmen und Energieprognosen für Deutschland, Österreich und die ...

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RESEARCH PAPER NO. 13 - Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050? Klimapolitische Maßnahmen und Energieprognosen für Deutschland, Österreich und die ...
März 2020

          RESEARCH PAPER NO. 13
              Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050?
Klimapolitische Maßnahmen und Energieprognosen
      für Deutschland, Österreich und die Schweiz

                                         Manuel Frondel
                                         Tobias Thomas

                                   www.ecoaustria.ac.at
RESEARCH PAPER NO. 13 - Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050? Klimapolitische Maßnahmen und Energieprognosen für Deutschland, Österreich und die ...
RESEARCH PAPER NO. 13 - Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050? Klimapolitische Maßnahmen und Energieprognosen für Deutschland, Österreich und die ...
RESEARCH PAPER NO. 13
Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050? Klimapolitische Maßnahmen
und Energieprognosen für Deutschland, Österreich und die Schweiz
Prof. Dr. Manuel Frondel - RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
Prof. Dr. Tobias Thomas – EcoAustria – Institut für Wirtschaftsforschung

März 2020

Imprint:
EcoAustria – Institute for Economic Research,
Am Heumarkt 10, 1030 Wien, Austria, Tel: +43-(0)1-388 55 11

www.ecoaustria.ac.at
Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050? Klimapolitische Maßnahmen
und Energieprognosen für Deutschland, Österreich und die Schweiz 1

Manuel Frondel2 und Tobias Thomas3

März 2020

    Zusammenfassung
    Angesichts der wachsenden klimapolitischen Herausforderungen streben mittlerweile viele Länder Europas
    bis zum Jahr 2050 eine Dekarbonisierung an, das heißt den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger.
    Vor diesem Hintergrund präsentiert dieser Beitrag Prognosen des Energiebedarfs und der Energiemixe für
    Deutschland, Österreich und die Schweiz für das Jahr 2030 sowie einen Ausblick auf das Jahr 2050. Der
    Vergleich der bisherigen Energiepolitiken dieser Länder offenbart gravierende Unterschiede: Während
    Deutschland bislang vorwiegend auf die massive Subventionierung alternativer Stromerzeugungs-
    technologien gesetzt hat, war der bisherige Ansatz Österreichs eher, Energieverbrauch und
    Treibhausgasausstoß mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen, insbesondere Ge- und Verboten, aber auch
    Subventionen, senken zu wollen. Im Gegensatz dazu setzt die Schweiz bereits seit dem Jahr 2008 auf das
    marktwirtschaftliche Instrument der CO2-Abgabe. Die hier präsentierten Prognosen des Energiebedarfs der
    drei Länder deuten darauf hin, dass vor allem Deutschland und Österreich mit einer Fortführung der
    bisherigen Politik das langfristige Ziel einer weitgehenden Dekarbonisierung nicht erreichen dürften, während
    es in der Schweiz bereits zu einem spürbaren Rückgang des Primärenergieverbrauchs gekommen ist. Vor
    diesem Hintergrund gewinnt die jüngst in Deutschland beschlossene CO2--Bepreisung der Emissionen in den
    Bereichen Verkehr und Wärme besondere Bedeutung. Auch die neue österreichische Bundesregierung
    möchte in diesen Sektoren eine CO2-Bepreisung einsetzen. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie konsequent
    das marktwirtschaftliche Instrument der CO2-Bepreisung tatsächlich verfolgt wird.

    Schlüsselwörter:             CO2-Bepreisung, Strommix, Primärenergiemix.

    JEL-Klassifikation:          Q21, Q31, Q47

1
  Für wertvolle Kommentare und Anmerkungen möchten wir uns bei Christoph M. Schmidt (Essen) und Ludwig Strohner (Wien)
sehr herzlich bedanken. Für wertvolle wissenschaftliche Vorarbeiten möchten wir Nico Schwarzer (Essen) großen Dank aus-
sprechen.
2
   Prof. Dr. Manuel Frondel, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Hohenzollernstr. 1-3, D-45128 Essen. www.rwi-
essen.de/frondel. E-Mail: frondel@rwi-essen.de.
3
  Prof. Dr. Tobias Thomas, EcoAustria - Institut für Wirtschaftsforschung, Am Heumarkt 10, A-1030 Wien, www.ecoaustria.ac.at.
E-Mail: tobias.thomas@ecoaustria.ac.at.
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?   1

1. Hintergrund und Motivation

Die energiepolitischen Ziele Deutschlands, Österreichs und der Schweiz weisen starke
Ähnlichkeiten auf. So stimmen die Schweizer Ziele einer breit gefächerten, sicheren,
wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung, welche dort seit 1990 in der
Verfassung verankert sind, im Wesentlichen auch mit den energiepolitischen Eckpunkten
Deutschlands und Österreichs überein. Die Gewichte in den energiepolitischen Zielsetzungen
änderten sich allerdings über die Zeit hinweg in massiver Weise. Dabei gab es gewisse nationale
Nuancen. So wurde nach den Ölpreiskrisen der 1970er Jahre der Schwerpunkt auf eine sichere
und wirtschaftliche Energieversorgung gelegt. Im Zuge dessen gewann in Deutschland und der
Schweiz vor allem die Kernenergie an großer Bedeutung. In Österreich hingegen verhinderte eine
Volksabstimmung die Nutzung der Atomkraft.

Mit der zunehmenden Sorge um die potentiell gravierenden Folgen des Klimawandels ist
mittlerweile die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung immer mehr in den Vordergrund der
Energiepolitik   dieser     Länder    gerückt.   Es    ist   zu   erwarten,   dass   sich   deren
Energieversorgungssysteme bis zum Jahr 2050 in massiver Weise verändern werden. Dabei
dürften konventionelle Energietechnologien auf Basis fossiler Brennstoffe stark an Bedeutung
verlieren, während regenerative Technologien weiter auf dem Vormarsch sein dürften.

Vor diesem Hintergrund präsentiert dieser Beitrag Prognosen des Energiebedarfs und der
Energiemixe für Deutschland, Österreich und die Schweiz für das Jahr 2030 sowie einen Ausblick
für das Jahr 2050. Jedem dieser Länder wird ein eigenes Kapitel gewidmet, dessen Aufbau für
alle Länder ähnlich ist: Im jeweils 1. Abschnitt wird die Entwicklung des historischen
Energiebedarfs und dessen wesentliche Treiber für möglichst lange Zeiträume dargestellt. Darauf
aufbauend werden im jeweiligen 2. Abschnitt die wesentlichen aktuellen und zu erwartenden
Trends beschrieben, die für die Prognose des Energiebedarfs und der Energiemixe relevant sind.
Dabei werden Triebkräfte berücksichtigt, die für alle drei Länder gleichermaßen wichtig sind, vor
allem die globalen Rohölpreise sowie die Preise für Emissionszertifikate, aber auch
länderspezifische Faktoren, etwa der Atomausstieg in Deutschland im Jahr 2022.

Im jeweiligen 3. Abschnitt wird der künftige Energiebedarf dieser Länder mit Hilfe eines linearen
Trendszenarios, das von Faktoren wie Energie und CO2-Zertifikatpreisen, aber auch der
wirtschaftlichen Entwicklung abstrahiert und ein „Weiter-so-wie-bisher“ darstellt, und eines
Referenzszenarios skizziert, das insbesondere länderspezifische Faktoren berücksichtigt. Die
jeweiligen 4. Abschnitte fassen die künftig zu erwartende Entwicklung des Energieverbrauchs der
Länder und ihre bedeutendsten Treiber zusammen. Das abschließende 5. Kapitel vergleicht die
Klima- und Energiepolitiken der drei Länder und leitet auf dieser Basis energiepolitische
Empfehlungen ab.
2   DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?

2. Deutschland

Deutschlands Energiepolitik orientiert sich, wie die Politik vieler anderer europäischer Staaten,
an dem im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) niedergelegten Zieldreieck, mit den Zielen
Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit bzw. Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit.
Während dieses Zieldreieck weitgehend politischen Konsens darstellt, sind die Mittel zur
Zielerreichung umstritten und es kommt immer wieder zu Zielkonflikten, etwa zwischen
Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit.

Ein bedeutendes Beispiel dafür ist der Streit um die Erzeugung und Nutzung von Kernenergie
seit den 1970erJahren. Nach langen Jahren des Konflikts kam es unter der ersten rotgrünen
Bundesregierung im Juni 2000 zum „Atomkonsens“ mit den Stromversorgern über die
Abschaltung aller Kernkraftwerke. Dieser wurde durch die Novellierung des Atomgesetzes im
Jahr 2002 rechtlich verankert. Für die Atomkraftwerke wurden Reststrommengen vereinbart, nach
deren Erzeugung die Kraftwerke abgeschaltet werden sollten. Feste Abschalttermine wurden
dadurch vermieden. Im Jahr 2010 wurde das Atomgesetz erneut geändert, um die Laufzeiten für
die 17 noch verbliebenen Kernkraftwerke zu verlängern: Den sieben vor 1980 in Betrieb
gegangenen Kernreaktoren wurden zusätzlich je acht Betriebsjahre gewährt, den übrigen 10 je
14 Betriebsjahre.

Am 14. März 2011 – wenige Tage nach Beginn der Nuklearkatastrophe von Fukushima – kam es
zu einer weiteren Kehrtwende in der deutschen Atom- bzw. Energiepolitik: Zunächst wurde ein
dreimonatiges Atom-Moratorium für die acht ältesten deutschen Atomkraftwerke (AKW)
verkündet. Am 6. Juni 2011 wurde dann das Aus für diese acht AKW und ein stufenweiser
Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossen. Mit diesem Beschluss wurden 2011 knapp 9
Gigawatt (GW) bzw. rund 41 % der Bruttostromerzeugungskapazität der 17 Kernkraftwerke
kurzfristig abgeschaltet. Danach wurden bis Ende 2019 drei AKW mit einer Leistung von
insgesamt 4,157 GW stillgelegt (2015, 2017 und 2019). Die letzten sechs Reaktoren mit einer
Leistung von 8,545 GW bzw. 40 % der gesamten Kapazität der ehemals 17 AKW sollen binnen
eines Jahres wegfallen, drei bis spätestens Ende 2021, drei bis spätestens Ende 2022.

2.1. Historischer Energiebedarf und Energiemix Deutschlands
Die Schließung von acht Kernreaktoren im Jahr 2011 machte sich im deutschen Strommix
deutlich bemerkbar (Abbildung 1). Die Stromerzeugung auf Basis von Kernkraft nahm daraufhin
innerhalb eines Jahres um 23,2 % ab, von rund 140 Mrd. kWh im Jahr 2010 auf 108,0 Mrd. kWh
im Jahr 2011 (AGEB 2019). Der Anteil der Kernkraft an der Bruttostromerzeugung schrumpfte
innerhalb eines Jahres von 22,2 auf 17,6 %. Zur Deckung der Grundlast sprangen stattdessen
die Braunkohlekraftwerke ein, deren Stromerzeugung von 145,9 Mrd. kWh im Jahr 2010 auf 160,7
Mrd. kWh im Jahr 2012 anstieg (AGEB 2019). Auch die Stromproduktion auf Basis von Steinkohle
stieg in der Folge zeitweise an.
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?       3

  Abbildung 1: Bruttostromerzeugung in Mrd. kWh und Strommix von Deutschland (Quelle: AGEB 2019)

Dennoch änderte der Kernenergieausstieg nur temporär etwas an der tendenziell rückläufigen
Stromerzeugung auf Basis fossiler Brennstoffe. Diese Tendenz ist seit mehreren Jahren bei der
Steinkohle besonders ausgeprägt und auf die Schließung zahlreicher Kraftwerke zurückzuführen.
So fiel die Stromerzeugung auf Steinkohlebasis von 118,6 Mrd. kWh im Jahr 2014 auf 92,9 Mrd.
kWh im Jahr 2017, mit weiter rückläufiger Tendenz im Jahr 2018 (AGEB 2019). Dies ist dem stetig
steigenden Ausbau der regenerativen Energietechnologien geschuldet. Diese verdrängen
Stromerzeugungstechnologien mit hohen variablen Kosten („Merit-Order-Effekt“), wie die
Steinkohle und Erdgasverstromung, da die variablen Kosten von regenerativen Technologien wie
Windkraft und Photovoltaik praktisch bei null liegen. Die beständig zunehmende Erzeugung
grünen Stroms hat somit einen dämpfenden Effekt auf die Strompreise an der Börse: Diese Preise
fallen niedriger aus als in der kontrafaktischen Situation ohne einen massiven Ausbau der
Erneuerbaren, mit entsprechend negativen Wirkungen für die Gewinne der Betreiber
konventioneller Kraftwerke.

Der Erneuerbaren-Ausbau in Deutschland, dessen wesentlicher Treiber das Erneuerbare-
Energien-Gesetz (EEG) ist, führte zu einer Vervielfachung des Anteils grünen Stroms an der
Bruttostromerzeugung: Dieser Anteil stieg von 6,6 % im Jahr 2000, als das EEG zur Förderung
der Produktion grünen Stroms eingeführt wurde, auf 35,0 % im Jahr 2018 (AGEB 2019). Das
EEG gewährleistete technologiespezifische Vergütungssätze je kWh für die Einspeisung grünen
Stroms für in der Regel bis zu 21 Jahren. Besonders hohe Vergütungen gab es in der
Vergangenheit für Solarstrom, welcher im Jahr 2005 mit über 50 Cent je kWh vergütet wurde,
wenn er ins Stromnetz eingespeist wurde. Dies hatte in den Jahren 2009 bis 2013 zu einem
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Solarboom geführt. So wurden mit 7,1 Gigawatt allein im Jahr 2010 mehr Photovoltaik-
Kapazitäten zugebaut als bis zum Jahr 2008 insgesamt installiert waren (Frondel, Schmidt, Vance
2014).

Bemessen am Bruttoinlandsstromverbrauch von 595,6 Mrd. kWh im Jahr 2018 machte die
Grünstromproduktion auf Basis regenerativer Technologien von 226,4 Mrd. kWh einen Anteil von
38,0 % aus (AGEB 2019). Damit war das Erneuerbaren-Ziel eines Grünstromanteils von 35 %
am Bruttoinlandsverbrauch im Jahr 2020 bereits zwei Jahre zuvor mehr als erfüllt. Die Erreichung
dieses Ziels hat jedoch einen hohen Preis: Derzeit zahlen die Stromverbraucher rund 25 Mrd.
Euro pro Jahr für den von Erneuerbaren-Anlagen produzierten grünen Strom (Andor, Frondel,
Vance 2017). Seit Einführung des EEG im Jahr 2000 haben die Verbraucher mit ihren
Stromrechnungen bereits rund 200 Mrd. Euro für die Förderung der Erneuerbaren aufwenden
müssen (Frondel, Sommer 2018). Nach groben Abschätzungen müssen die Verbraucher in den
kommenden 20 Jahren weitere rund 400 Mrd. Euro für die für bis zu 21 Jahre gewährleisteten
Einspeisevergütungen aufbringen (Andor, Frondel, Vance 2017).

Trotz der massiven Subventionierung der Erneuerbaren machten diese im Jahr 2017 lediglich
einen Anteil von 13,1 % am Primärenergieverbrauch Deutschlands aus (Abbildung 2). Der Anteil
der Photovoltaik, die für beinahe die Hälfte aller Subventionen für Erneuerbare verantwortlich
zeichnet (Frondel, Schmidt, Vance 2014), betrug bei einem Beitrag von 144 PJ zum
Primarenergieverbrauch von 13 594 PJ gerade einmal 1,1 % (BMWi 2018). Der Anteil der
Windkraft war mit 2,8 % bzw. 384 PJ etwas höher, die Biomasseverstromung trug 961 PJ bzw.
7,1 % zur Deckung des Primärenergieverbrauchs bei. Dieser Anteil ist seit dem Jahr 2010
unverändert. Die geringen Anteile von Photovoltaik und Windkraft trotz hoher Subventionen
machen deutlich, dass es mit gewaltigen finanziellen Belastungen der öffentlichen und privaten
Haushalte verbunden wäre, das Ziel der weitgehenden Dekarbonisierung Deutschlands
entsprechend dem nationalen Klimaschutzziel, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050
um mindestens 80 % gegenüber 1990 zu senken (Schiffer 2019a:142), mittels der
Subventionierung erneuerbarer Energietechnologien erreichen zu wollen.

Aus heutiger Perspektive erscheint dies mit den heute vorhandenen regenerativen Technologien
als sehr große Herausforderung, nicht zuletzt weil die Potentiale der Biomasse, die den größten
Anteil am Primärenergieverbrauch unter den Erneuerbaren ausmacht, weitgehend erschöpft sind
und bereits heute der weitere Ausbau in Deutschland wegen der Konkurrenz um Ackerflächen
zum Nahrungsmittelanbau strikt begrenzt wird. So ist der Zubau von Biogasanlagen zur
Stromerzeugung seit der Novellierung des EEG im Jahr 2014 auf 100 Megawatt (MW) pro Jahr
stark limitiert worden. Darin sollen vor allem Reststoffe verwertet werden, um die Konkurrenz zur
Nahrungsmittelproduktion zu vermeiden.
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?   5

                 Abbildung 2: Primärenergieverbrauch von Deutschland in Petajoule
                            und Primärenergiemix (Quelle: BMWi 2018)

2.2. Energie und Strombedarf Deutschlands: Aktuelle und künftige Trends
Deutschlands Stromversorgung steht aktuell vor großen Herausforderungen. Erstens: Mit dem
Kernenergieausstieg bis Ende des Jahres 2022 gehen Kapazitäten im Umfang von knapp 10
Gigawatt (GW) Nettoleistung (Kohlekommission 2019:20) vom Netz, und es müssen rund 76 Mrd.
kWh (AGEB 2019) an CO2-freiem Atomstrom entweder eingespart oder durch andere
Energieträger oder -technologien ersetzt werden. Zur Einordnung: 76 Mrd. kWh entsprechen laut
BMWi (2018) knapp 13 % des Stromverbrauchs bzw. laut ABEG (2019) 6,1 % des
Primärenergieverbrauchs.    Infolge   des    Kernenergieausstiegs      wird   der   CO2-Ausstoß
Deutschlands höher ausfallen, als wenn darauf verzichtet worden wäre. Zudem fallen dadurch
die Strompreise höher aus als andernfalls. Nach der Studie „Energieprognose 2009“ sind damit
im Vergleich zu einer Laufzeitverlängerung von durchschnittlich 12 Jahren volkwirtschaftliche
Verluste von weit über 100 Mrd. Euro verbunden (IER, RWI, ZEW 2010).

Zweitens: Die Umsetzung des bis zum Jahr 2038 von der Kommission „Wachstum,
Strukturwandel und Beschäftigung“ (kurz: „Kohlekommission“) vorgeschlagenen Ausstiegs aus
der Kohleverstromung in Deutschland bedeutet, dass 42,6 GW Kohlekraftwerkskapazitäten
(Tabelle 1), die im Jahr 2017 rund 241 Mrd. kWh Strom produzierten und knapp 37 % zur
Stromerzeugung in Deutschland beitrugen (AGEB 2019), abgeschaltet würden und knapp 3 000
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PJ bzw. 22,0 % des Primärenergieverbrauchs auf andere Art und Weise gedeckt oder verringert
werden müssen.4

Nach dem Abschlussbericht der Kohlekommission (2019) soll bereits bis Ende des Jahres 2022
die Leistung an Braun und Steinkohlekraftwerke auf jeweils rund 15 GW zurückgeführt werden
(Tabelle 1). Das entspricht gegenüber Ende 2017 einem Rückgang von 4,9 GW bei der
Braunkohle und von 7,7 GW bei der Steinkohle und damit einem Rückgang von 25 bzw. 34 %.
Bis 2030 soll die Leistung der im Markt befindlichen Kohlekraftwerke (ohne Reserven) auf
maximal 9 GW Braun und 8 GW Steinkohlekapazitäten verringert werden. Das entspricht im
Vergleich zu 2017 einem Rückgang von 10,9 GW bei der Braunkohle und 14,7 GW bei der
Steinkohle und damit einem Rückgang von 55 bzw. 65 %. Folglich soll bis zum Jahr 2030
Kohlekraftwerksleistung in Höhe von 25,6 GW abgeschaltet werden. Dies ist mehr als ein Viertel
der derzeit vorhandenen Kapazitäten an konventionellen Kraftwerken, zu denen Anlagen auf
Basis von Kernenergie, Braunkohle, Steinkohle und Erdgas gerechnet werden und die eine
Leistung von insgesamt rund 92 GW aufweisen (BNetzA 2019).

     Tabelle 1: Kapazitäten and Stein und Braunkohlekraftwerken in Deutschland in Gigawatt (GW) und
                  Kohleausstiegsplan (Quelle: Kohlekommission 2019:6263, BNetzA 2019)

                          2017                2022               Abbau               2030                Abbau
                                                             gegenüber                               gegenüber
                                                                 2017                                    2017
    Braunkohle          19,9 GW              15 GW              4,9 GW                9 GW             10,9 GW
    Steinkohle          22,7 GW              15 GW              7,7 GW                8 GW             14,7 GW
    Summe               42,6 GW             30 GW              12,6 GW              17 GW              25,6 GW

Allerdings ist dieser Ausstiegsplan für die Kohleverstromung an eine Reihe von energie- und
sozialpolitischen Bedingungen geknüpft und soll 2023, 2026 und 2029 überprüft werden. 5 Unter
Versorgungssicherheitsgesichtspunkten könnte der Termin für die erste Überprüfung im Jahr
2023 jedoch zu spät stattfinden, denn bis Ende 2022 werden neben der vorgesehenen
Abschaltung von 12,6 GW an Kohlekraftwerksleistung zusätzlich knapp 10 GW an
Kernkraftkapazitäten vom Netz gehen.

Insgesamt könnten somit rund 22 GW an konventioneller Kraftwerksleistung bzw. rund ein Viertel
des heutigen konventionellen Kraftwerksparks nicht mehr zur Verfügung stehen; die
konventionellen Kapazitäten könnten bei fehlendem Zubau neuer Kraftwerke bis Ende 2022 auf
rund 70 GW schrumpfen. Dann würden zur Deckung der Spitzenlast, die im Winter in Deutschland

4
  Darüber hinaus gibt es weitere Kohlekraftwerke, die nicht mehr am Markt aktiv sind. Dies umfasst Steinkohle-kraftwerke
in der Netzreserve (2,3 GW Ende 2018) und Braunkohlekraftwerke in der Sicherheitsbereitschaft (2,0 GW Ende 2018).
Die Braunkohlekraftwerke in der Sicherheitsreserve können nicht mehr in den Markt zu-rückkehren und werden nach vier
Jahren endgültig stillgelegt. Insgesamt befinden sich in der Netzreserve 6,9 GW, davon 3 GW an Erdgaskraftwerken und
1,6 GW Kraftwerke auf Basis von Mineralöl (BNetzA 2019).
5
  Sofern die energiewirtschaftlichen, beschäftigungspolitischen und betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen vor-liegen,
kann andererseits das Datum in Verhandlungen mit den Betreibern auf 2035 vorgezogen werden. Die Überprüfung, ob
dies möglich ist, ist für das Jahr 2032 geplant („Öffnungsklausel“).
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?   7

bei über 80 GW liegt, nicht mehr ausreichend konventionelle Kapazitäten zur Verfügung stehen
und     man     wäre    auf   Stromimporte,   Pumpspeicher,     Maßnahmen      zur   temporären
Nachfragereduktion und die in der Netzreserve befindlichen Kraftwerke angewiesen.

Die erneuerbaren Technologien sind in Engpasssituationen hingegen wenig hilfreich: Während
der Anteil der gesicherten an der installierten Leistung bei konventionellen Kraftwerken bei rund
90 % liegt, tragen Windkraft und Photovoltaik-Anlagen nur in geringem Umfang zur gesicherten
Leistung bei (Schiffer 2019b). Deren Beiträge liegen zwischen 0 % (Photovoltaik) und 5 % (Wind).
Da die höchste Last bei der Stromnachfrage typischerweise im Herbst und Winter auftritt, wenn
es bereits dunkel ist und die Photovoltaik dann keinen Beitrag mehr leisten kann, müsste zu
solchen Zeiten bei einer Windflaute nahezu die gesamte Last durch Importe und vor allem durch
heimische konventionelle Kraftwerke gedeckt werden. Dies trifft nicht selten sogar für ganze
Wintertage zu: Beispielsweise mussten konventionelle Kraftwerke am 14. Dezember 2018 über
den ganzen Tag gemittelt mehr als 80% der Last decken, Wind und Sonne lieferten nur einen
geringen Beitrag zur Lastabdeckung (Agora Energiewende 2018).

Vor diesem Hintergrund wird der Bau neuer Gaskraftwerke voraussichtlich eine wichtige Option
zur Stromerzeugung darstellen. Angesichts eines Realisierungszeitraums neuer Kraftwerke
zwischen vier und sieben Jahren ist es jedoch höchst unwahrscheinlich, dass in Planung oder im
Genehmigungsverfahren befindliche Projekte bis zum Ausstieg aus der Kernenergienutzung
Ende 2022 realisiert werden können. In einer Studie für Greenpeace schätzt Energy Brainpool
(2017:1), dass bei einem bereits zum Jahr 2030 erfolgenden Kohleausstieg neue
Erdgaskraftwerke mit einer Leistung von über 28 GW gebaut werden müssten, um die
Versorgungsicherheit mit Strom nicht zu gefährden, vorausgesetzt die Kapazitäten von Windkraft
und Photovoltaik-Anlagen würden in massiver Weise erhöht. Nach der Studie von Energy
Brainpool (2017:1) müssten dazu bis zum Jahr 2030 neue Windkraftanlagen mit einer Leistung
von 116,7 GW und neue Photovoltaik-Kapazitäten im Umfang von 115,0 GW zugebaut werden.
Zum Vergleich: Ende des Jahres 2017 waren insgesamt 55,7 GW Windkraftleistung installiert,
davon 5,4 GW Windparks vor den Küsten, und 42,3 GW Photovoltaik-Kapazitäten (BNetzA 2019).
In einem Zeitraum von 13 Jahren müssten folglich mehr als doppelt so viel Windkraftleistung, als
derzeit installiert ist, zusätzlich errichtet werden und eine nahezu drei Mal so hohe Leistung an
Photovoltaik.

Während ein solcher Zubau eine immense Herausforderung darstellen würde, besagt die Studie
von Energy Brainpool (2017:41), dass damit das Ziel eines Erneuerbaren-Anteils von 65 % am
Bruttostromverbrauch bis zum Jahr 2030 mehr als erreicht wird: Sogar das für das Jahr 2050
gesetzte nationale Ziel eines Erneuerbaren-Anteils von 80 % am Bruttostromverbrauch würde
bereits im Jahr 2030 eingehalten. In jedem Falle bedeutet der zur Erreichung der Erneuerbaren-
Ziele   erforderliche   Ausbau    der   regenerativen   Kapazitäten   eine   Vervielfachung   der
Stromerzeugungskapazitäten gegenüber dem Jahr 2000, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz
(EEG) eingeführt wurde und die gesamten Kapazitäten zur Stromerzeugung in Deutschland bei
rund 120 GW lagen (Frondel, Sommer 2019:29). Die Stromerzeugungskapazitäten könnten nach
der Studie von Energy Brainpool im Jahr 2030 bei weit über 300 GW liegen, nach anderen
Studien sogar noch deutlich darüber (acatech 2017). Zum Vergleich: Im Jahr 2017 betrug die
8   DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?

Stromerzeugungsleistung rund 217,6 GW, davon rund 112,5 GW an regenerative Kapazitäten
(BNetzA 2019), welche im Jahr 2017 die konventionellen Kapazitäten erstmals überstiegen.
Angesichts des zunehmenden Widerstands gegen den Windkraftausbau an Land dürfte es
allerdings schwierig werden, bereits im Jahr 2030 einen Anteil von 80 % grünen Stroms am
Inlandsstromverbrauch zu erreichen. Bei stark wachsenden Kapazitäten von Windparks vor
deutschen Küsten („Wind offshore“) ist allerdings die Erreichung des Ziels eines Erneuerbaren-
Anteils von 65 % am Bruttostromverbrauch nicht ausgeschlossen.

Wie Stromerzeugung und Strommix in Deutschland in den Jahren 2030 und 2050 aussehen
könnten, ist in Tabelle 2 dargestellt. Dafür wurde angenommen, dass der Kohleausstieg erfolgt
wie in Tabelle 1 dargestellt. Weiterhin wurde wie in der Studie von Energie Brainpool (2017:1)
unterstellt, dass u.a. aufgrund der Zunahme von Elektrofahrzeugen der Stromverbrauch bis zum
Jahr 2030 um 56 Mrd. kWh steigt. Den höheren Stromverbrauch zu decken, könnte zunehmend
problematisch werden: Gegenüber 2017 könnten sich die regenerativen Kapazitäten bis zum Jahr
2030 zwar mehr als verdoppeln, aber deren geringe Auslastung führt dazu, dass die
Grünstromproduktion bis 2030 unterproportional wächst.

Die begrenzte Effektivität der Erneuerbaren ist leicht erkennbar an deren relativ niedrigen Anteil
von 33,1 % an der Bruttostromerzeugung im Jahr 2017 (Tabelle 2): Obwohl die regenerativen
Kapazitäten im Jahr 2017 erstmals die konventionellen Kapazitäten überstiegen, trugen die
Konventionellen zwei Drittel zur Stromerzeugung bei, die Erneuerbaren lediglich ein Drittel.
Aufgrund dieser begrenzten Effektivität ist nicht auszuschließen, dass die Erneuerbaren-Ziele mit
Grünstromanteilen von 65 % und 80 % für die Jahre 2030 und 2050 nicht erreicht werden: Bei
einem Ausbau wie in Tabelle 2 dargestellt würde der Anteil der Erneuerbaren am
Bruttostromverbrauch im Jahr 2030 bei rund 60 % liegen und damit das 65 %Ziel verfehlt werden,
im Jahr 2050 bei lediglich rund 70 %, anstatt der angepeilten 80 %.

Gemäß dem bis zum Jahr 2022 zu vollziehenden Kernenergieausstieg liegt der Anteil von
Atomstrom im Strommix für die Jahre 2030 und 2050 bei null. Dies trifft für das Jahr 2050 auch
für die Anteile an Kohlestrom zu: Selbst wenn der Kohleausstieg nicht bis zum Jahr 2038
vollzogen würde, ist davon auszugehen, dass aufgrund auslaufender Betriebsgenehmigungen für
Braunkohletagebaue, etwa im Jahr 2045 in Nordrhein-Westfalen, sowie aufgrund vermutlich
steigender Preise für CO2-Zertifikate die Kohleverstromung bis Mitte des Jahrhunderts
aufgegeben wird.

Wenn andererseits die Kohlekapazitäten bis zum Jahr 2030 so verringert würden, wie es von der
Kohlekommission vorgeschlagen wurde und in Tabelle 1 dargestellt ist, würde dies lediglich zu
einem unterproportionalen Rückgang der Stromproduktion aus Kohle führen (Tabelle 2), da die
Produktion der abgeschalteten Kohlekraftwerke teilweise von den noch am Netz befindlichen
Kohlekraftwerken übernommen würde. Es wäre folglich ein Irrtum, würde man glauben, dass mit
dem Abschalten eines Kohlekraftwerks die zuvor ausgestoßenen Emissionen gänzlich eingespart
würden. Vielmehr entstehen die Emissionen an anderer Stelle, etwa in jenen Kohle und
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?                9

Erdgaskraftwerken, die zu großen Teilen die Stromproduktion des abgeschalteten Kraftwerkes
übernehmen.6

    Tabelle 2: Bruttostromerzeugung in Deutschland in Mrd. kWh nach Energieträgern und Technologien im
    Jahre 2017 sowie Strommixe für die Jahre 2030 und 2050 (Quellen: AGEB 2019, eigene Berechnungen)

                          Bruttostromerzeugung in Mrd. kWh            Anteile an der Bruttostromerzeugung
                           2017           2030           2050          2017           2030            2050
    Braunkohle             148,4           83,9           0,0         22,7%          12,5%            0,0%
    Steinkohle              92,9           49,1           0,0         14,2%           7,3%            0,0%
    Kernenergie             76,3           0,0            0,0         11,7%           0,0%            0,0%
    Erdgas                  86,7          102,4          178,3        13,3%          15,3%            25,5%
    Mineralöl                5,6           5,6            0,0          0,9%           0,8%            0,0%
    Erneuerbare            216,2          401,5          494,2        33,1%          59,9%            70,6%
    Sonstige                27,5           27,5          27,5          4,1%           4,1%            3,9%

    Bruttoerzeugung        653,5          670,0          700,0        100,0%         100,0%          100,0%
    Bruttoverbrauch        595,5          650,0          700,0

Tatsächlich ist davon auszugehen, dass in Ermangelung ausreichender wirtschaftlicher
Speichermöglichkeiten für Strom, welche auch für die kommenden Jahrzehnte nicht in Sicht sind,
Erdgaskraftwerke       einen       großen Teil    der    Last    (Stromnachfrage)       und Aufgaben          der
Kohlekraftwerke übernehmen müssen, wenn die Kohle zum Auslaufmodell werden sollte. Daher
ist zu erwarten, dass Erdgas neben den Erneuerbaren einen hohen Anteil im Strommix des
Jahres 2050 haben wird. Dementsprechend wird der Erdgas-Anteil in Tabelle 2 mit rund einem
Viertel beziffert und die Stromproduktion auf Erdgasbasis könnte nahezu doppelt so hoch
ausfallen als im Jahr 2017.

2.3. Prognose des Energiebedarfs Deutschlands bis zum Jahr 2050
Zur Prognose des künftigen Energiebedarfs wird hier auf die Referenzprognose von EWI, GWS
und Prognos (2014) aus dem Jahr 2014 zurückgegriffen. Demnach würde die relative Bedeutung
von Erdgas, welches im Jahr 2017 rund ein Viertel zum Primärenergiemix beitrug (Tabelle 3), bis
zum Jahr 2050 jedoch nicht weiter steigen, weil damals nicht davon ausgegangen wurde, dass
Deutschland aus der Kohle aussteigen wird. Stattdessen wurde erwartet, dass Steinkohle im Jahr
2050 mit einem Anteil von 9 % am Primärenergiemix noch immer eine nahezu unveränderte Rolle
spielen wird – trotz eines deutlich steigenden realen Preises für CO2-Zertifikate, der sich bis 2050
annahmegemäß auf 181 Euro je Tonne erhöht bzw. auf 71 Euro in Preisen von 2011 (EWI, GWS,
Prognos 2014:71).

6
   Damit ein Kohleausausstieg Deutschlands angesichts der Existenz des EU-weiten Emissionshandels überhaupt
klimawirksam wird, müssen die durch die Kraftwerksstilllegungen freiwerdende CO2-Zertifikate im Umfang der dadurch
eingesparten Emissionen aus dem nationalen Versteigerungsbudget gelöscht werden. Gemäß der Reform des
Europäischen Emissionshandels aus dem Jahr 2018 wird dies den Mitgliedstaaten zukünftig ab dem Jahr 2021 möglich
sein. Hierauf weist die Kohlekommission (2019:65) explizit hin. Allerdings sollen nun nach dem Willen der
Bundesregierung die frei werdenden Zertifikate nicht aus dem Markt genommen werden. Der deutsche Kohle-ausstieg
hätte daher keinerlei Treibhausgasminderungseffekt.
10 DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?

Im Gegensatz zur Steinkohle verliert die Braunkohle auch in der Referenzprognose erheblich an
Bedeutung, da bis zum Jahr 2050 die Kohlevorräte schrumpfen, die Betriebsgenehmigungen von
Tagebauen auslaufen werden, etwa in Nordrhein-Westfalen, und die CO2-Zertifikatpreise
annahmegemäß steigen. Demnach würde der Anteil der Braunkohle am Primärenergiemix von
11 % im Jahr 2017 auf 3 % im Jahr 2050 zurückgehen. Mit dem jüngst beschlossenen
Kohleausstieg ist davon auszugehen, dass zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit
Strom die Rolle der Kohle zu großen Teilen vom Erdgas übernommen wird und der Anteil von
Erdgas auf mehr als ein Drittel des Primärenergieverbrauchs im Jahr 2050 steigen könnte.

Weitgehend unabhängig von einem Kohleausstieg ist damit zu rechnen, dass die Bedeutung der
Erneuerbaren weiter steigen wird. Dies ist zum einen den klimapolitischen Anforderungen
geschuldet, zum anderen nehmen deren Stromgestehungskosten künftig weiter ab. Nach der
Referenzprognose läge der Anteil der Erneuerbaren am Primärenergiemix im Jahr 2050 jedoch
lediglich bei 35 % und damit weitaus niedriger, als es für eine weitgehende Dekarbonisierung
Deutschlands nötig wäre. Die Gründe dafür liegen unter anderem in den begrenzten
Möglichkeiten, den Anteil der Biomasse am Primärenergiemix weiter auszubauen, schließlich
konkurriert    diese    Nutzungsmöglichkeit       der     Biomasse      unmittelbar     mit    der
Nahrungsmittelproduktion. Dennoch werden von der Biomasse der Referenzprognose zufolge
künftig die größten absoluten Zuwächse von allen Erneuerbaren erwartet.

Der Zubau an Windkraft und Photovoltaikanlagen dürfte ebenfalls an Grenzen stoßen. Diese
Schlussfolgerung wird durch die Referenzprognose bestätigt (Tabelle 3): Danach werden
Windkraft und Photovoltaik im Jahr 2050 lediglich einen Anteil am Primärenergieverbrauch von 9
% bzw. 3 % haben. Nicht nur bei der Biomasse, sondern auch bei Windkraft und Photovoltaik
stellt der Flächenverbrauch einen wesentlichen begrenzenden Faktor dar. Darüber hinaus ist bei
der Errichtung von Windkraftanlagen an Land mit wachsendem Widerstand aus der Bevölkerung
zu rechnen. Höhere Beiträge der Windkraft lassen sich wohl vor allem durch einen stärkeren
Zubau von Windparks vor den Küsten realisieren.

Ohne gewaltige Technologiesprünge in Bezug auf die heute bekannten alternativen Technologien
ist kaum      davon auszugehen, dass Deutschland den Anteil der                Erneuerbaren am
Endenergieverbrauch auf 60 % im Jahr 2050 wird steigern können, wie es als nationales Ziel
vorgegeben wurde (Schiffer 2019a:142). Zur weitgehenden Dekarbonisierung Deutschlands sind
vielmehr neue Technologien erforderlich, mit denen kein Treibhausgasausstoß verbunden ist und
die in der Lage sind, große Teile des Energieverbrauchs zu decken. Bislang allerdings zeichnen
sich solche Technologien nicht am Horizont ab.

Eine solche Technologie, die dazu beitragen kann, den Anteil von Mineralöl am Energieverbrauch
deutlich zu senken, fehlt nicht zuletzt für den individuellen Verkehr und den Gütertransport. Diese
Schlussfolgerung ist auch aus der Referenzprognose zu ziehen, derzufolge der Anteil von
Mineralöl im Jahr 2050 noch immer 27 % beträgt (Tabelle 3), und dies, obwohl dabei
angenommen wurde, dass der reale Ölpreis sich nicht wie in der Vergangenheit tendenziell
verringert. Vielmehr wurde unterstellt, dass sich der Ölpreis nominal auf 202 US-Dollar pro Barrel
im Jahr 2030 erhöht bzw. auf 335 US-Dollar pro Barrel im Jahr 2050 (EWI, GWS, Prognos
2014:71).
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?                    11

          Tabelle 3: Referenzprognose des Primärenergiebedarf Deutschlands in Petajoule (PJ) nach
    Energieträgern und Technologien sowie Primärenergiemixe für die Jahre 2030 und 2050 (Quellen: BMWi
                                      2018, EWI, GWS, Prognos 2014)

                             2017            2030            2050           2017            2030           2050
    Steinkohle               1 487           1 364            752            11%            13%              9%
    Braunkohle               1 508           1 261            267            11%            12%              3%
    Kernenergie               833              0               0              6%             0%              0%
    Mineralöl                4 698           3 225           2 296           35%            29%             27%
    Gase                     3 230           2 158           2 023           24%            21%             24%
    Abfälle                   240             166             152             2%             2%              2%
    Erneuerbare              1 781           2 517           2 886           13%            24%             35%
           Wasserkraft         73              67              67             1%             1%              1%
           Windkraft          384             516             751             3%             5%              9%
                              144             242             263             1%             2%              3%
    Photovoltaik
           Biomasse          1 181           1 482           1 506            9%            14%             18%
     Sonst.                    77             210             299             1%             2%              4%
    Erneuerb.
    Sonstige                    6              6               7              0%             0%              0%
    Stromimporte              189             191              28           100%            100%           100%
    Insgesamt               13 594          10 469          8 356

Offenbar ist man bei der Referenzprognose trotz der Annahme real steigender Ölpreise davon
ausgegangen, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor noch lange ihre große Bedeutung im
Verkehrssektor behalten würden und Fahrzeuge mit alternativen Antrieben, wie Elektro oder
Wasserstofffahrzeuge, noch viel Zeit für ihre Marktdurchdringung benötigen werden, vor allem
weil die Kosten für diese Fahrzeuge hoch sind und nicht schnell genug sinken.

Dies ist umso bemerkenswerter, als für die Referenzprognose davon ausgegangen wurde, dass
ab dem Jahr 2020 die Sektoren Verkehr und Wärme in den Emissionshandel integriert werden
und die Preise von Kraft und Brennstoffen einen CO2-Aufschlag entsprechend ihrer CO2-
Intensität und den Annahmen für die Entwicklung des CO2-Zertifikatpreises erfahren. Gemäß der
Annahme der Referenzprognose steigt der CO2-Zertifikatpreis real auf 40 Euro je Tonne im Jahr
2030 bzw. 61 Euro nominal, bis zum Jahr 2050 auf 76 Euro real und 181 Euro nominal (EWI,
GWS, Prognos 2014:71).7 Um eine Verkehrswende in Deutschland hin zu Fahrzeugen mit
alternativen Antrieben zu ermöglichen, müssten demnach die Kosten für diese Fahrzeuge in

7
 Tatsächlich wurde in der Bund-Länder-Verhandlung zum deutschen Klimapaket festgelegt, dass für die Bereiche Verkehr
und Wärme ein nationales Emissionshandelssystem eingeführt werden soll, bei dem der CO2-Zertifikatepreis von 25 Euro
im Jahr 2021 bis 55 Euro im Jahr 2025 staatlich festgelegt ist. Auch danach sieht das Klimapaket ein System mit Höchst-
und Mindestpreisen von 55 bis 65 Euro vor.
12 DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?

Zukunft stärker als unterstellt sinken und die CO2- und Ölpreise noch stärker als angenommen
steigen.

Ebenso      bemerkenswert         an    der    Referenzprognose          ist   der    starke    Rückgang        des
Primärenergieverbrauchs um rund 39            %.8   (Ohne diesen starken Rückgang würde der Anteil der
Erneuerbaren am Primärenergieverbrauch noch niedriger ausfallen und die Erreichung der
Klimaschutzziele        in    noch      weitere      Ferne      rücken.)       Der    starke     Rückgang         im
Primärenergieverbrauch ist wesentlich auf die Annahme einer sinkenden Bevölkerung und einer
schrumpfenden Zahl an Haushalten zurückzuführen. So wurde angenommen, dass die
Bevölkerung von rund 80 Mio. auf 73 Mio. Menschen im Jahr 2050 sinkt (EWI, GWS, Prognos
2014:63).

Diese Annahme dürfte aus mehreren Gründen in dieser Weise nicht mehr zutreffen. Erstens
setzte nach Entstehen der Referenzprognose im Jahr 2014 eine starke Zuwanderung ein, die die
Bevölkerung in Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 um über eine Million Menschen
erhöhte. Damit verbunden geht u. a. Deschermeier (2017) davon aus, dass ein
Bevölkerungsrückgang in Deutschland bis zum Jahr 2035 ausbleibt.

Zweitens ergab eine Revision der Fortschreibung der Bevölkerungszahl, dass Deutschland etwa
eine Million mehr Einwohner hat als zuvor angenommen. Tatsächlich weist das Statistische
Bundesamt zum Ende des Jahres 2018 eine Einwohnerzahl von rund 83 Millionen aus (Destatis
2019) und damit rund 3 Millionen mehr Menschen als der Referenzprognose zugrunde liegen.

Als Folge dieser anders als in der Referenzprognose angenommenen Bevölkerungsentwicklung
ist zu erwarten, dass der Primärenergieverbrauch in den kommenden Jahrzehnten deutlich
weniger stark zurückgeht, als es in der Tabelle 3 dargestellt ist. Eine einfache lineare
Trendprognose, die gänzlich von sich verändernden äußeren Faktoren abstrahiert und allein auf
die Verbrauchswerte der jüngeren Vergangenheit seit der deutschen Wiedervereinigung
zurückgreift, ergibt lediglich einen moderaten Rückgang des Primärenergieverbrauchs bis zum
Jahr 2030 um 4 % gegenüber 2017 (Abbildung 3), von 13 594 PJ auf 13 001 PJ im Jahr 2030.
Fortgeschrieben bis zum Jahr 2050 ergibt sich ein weiterer Rückgang um knapp 100 PJ auf dann
12 096 PJ.

Angesichts der durch die Bemühungen zur Treibhausgaseinsparung erforderlichen Maßnahmen,
nicht zuletzt des im Rahmen des Klimapakets in den Sektoren Verkehr und Wärme eingeführten
CO2-Preises,        dürfte      diese      Trendprognose          den      tatsächlichen       Rückgang         des
Primärenergieverbrauchs unterschätzen, da sie von einer Verteuerung des CO2-Ausstoßes bzw.
des Energieverbrauchs abstrahiert. Sehr wahrscheinlich liegt die künftige Entwicklung des
Primärenergieverbrauchs demnach zwischen den beiden Extremen, die durch die Trend- und die
Referenzprognose repräsentiert werden.

8
  Der Rückgang im Primärenergieverbrauch hat auch rechnerische Gründe, die mit unterschiedlichen Wirkungsgraden zu
tun haben. So wird für den Wirkungsgrad von Erneuerbaren-Anlagen eine verlustfreie Energieumwandlung mit einem
entsprechenden Wirkungsgrad von 100 % unterstellt, wohingegen für Kernkraftwerke lediglich ein Wirkungsgrad von 33
% angesetzt wird. Eine Überschlagsrechnung zeigt, dass der Primärenergieverbrauch allein durch den Ausbau der
erneuerbaren Energien im Jahr 2020 um etwa 50 PJ und 2050 um rund 120 PJ niedriger liegt als dies der Fall wäre, wenn
sich der Anteil der Stromerzeugung in fossilen Kraftwerken nicht verändern würde (EWI, GWS, Prognos 2014:77).
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?   13

    Abbildung 3: Trendprognose des Primärenergieverbrauchs 2030 und 2050 von Deutschland in Petajoule

2.4. Energieprognosen für Deutschland: Überblick
Die jüngere deutsche Energiepolitik, die unter dem Schlagwort „Energiewende“ firmiert, war
bislang gekennzeichnet durch zwei Kernbausteine: den stetigen Ausbau der erneuerbaren
Energien und den Kernenergieausstieg. Diese werden nun durch einen dritten Kernbaustein
ergänzt, den langfristigen Ausstieg aus der Kohleverstromung, voraussichtlich bis spätestens
zum Jahr 2038. Alle drei Kernbausteine sind mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. 9

So impliziert der Kernenergieausstieg verglichen mit einer Laufzeitverlängerung von
durchschnittlich 12 Jahren nach der Studie „Energieprognose 2009“ volkwirtschaftliche Verluste
von weit über 100 Mrd. Euro (IER, RWI, ZEW 2010). Die volkswirtschaftlichen Kosten des
avisierten Kohleausstiegs könnten ebenfalls bei rund 100 Mrd. Euro liegen (Frondel, Schmidt
2019): Allein jeweils 40 Mrd. Euro sind für Strukturhilfen für die Kohlebundesländer sowie für
staatliche Hilfen zur Senkung des Strompreises für Verbraucher vorgesehen, entgangene
Einnahmen            aus      den      CO2-Zertifikatskäufen   der   Kohlekraftwerksbetreiber     und
Entschädigungszahlungen an diese kommen noch hinzu. Weitaus teurer fällt der Ausbau der
Erneuerbaren auf Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) aus. Seit Einführung des
EEG im Jahr 2000 haben die Verbraucher mit ihren Stromrechnungen bereits rund 200 Mrd. Euro
für die Förderung der Erneuerbaren aufwenden müssen (Frondel, Sommer 2018). Weitere rund
400 Mrd. Euro kommen in den kommenden beiden Jahrzehnten noch hinzu, da die durch das
EEG gewährten Einspeisevergütungen in der Regel bis zu 21 Jahre garantiert werden (Andor,
Frondel, Vance 2017).

9
    Siehe hierzu auch Cassel et al 2016.
14 DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?

Trotz dieser gewaltigen Summen machen die Erneuerbaren aktuell nur einen bescheidenen
Anteil am Primärenergieverbrauch von rund 13 % aus; Photovoltaik, die bislang teuerste
Technologie, die etwa die Hälfe aller Förderkosten verursacht hat, hat lediglich einen Anteil von
1,1 %. Angesichts des Missverhältnisses von Kosten und Stromertrag bei den Erneuerbaren wäre
es weitaus besser gewesen, wenn Deutschland die Forschung und Entwicklung von alternativen
Technologien wesentlich stärker gefördert hätte, anstatt die flächendeckende Verbreitung von bei
weitem nicht ausgereiften Technologien (Frondel, Schmidt, Vance 2014).

Die vorangehenden Abschnitte sollten deutlich gemacht haben, dass mit den bestehenden
regenerativen Technologien eine weitgehende Dekarbonisierung Deutschlands kaum zu schaffen
sein dürfte. Daher sollte Deutschland einen gravierenden Wechsel in der Energiepolitik
vornehmen und die überbordende bisherige Subventionspolitik aufgeben. Mit der im Rahmen des
Klimapakets beschlossenen CO2-Bepreisung für die Sektoren Verkehr und Wärme mittels eines
nationalen Emissionshandels ist dafür ein Grundstein gelegt. Allerdings sieht das Klimapaket ein
System von staatlich festgelegen moderaten Festpreisen und später von Mindest- und
Höchstpreisen    vor,   statt    einer   den   Zielen    entsprechenden   Mengenbegrenzung     der
Emissionszertifikate. Daher bleibt abzuwarten, ob dadurch der Energieverbrauch in Deutschland
signifikant gesenkt werden kann. Immerhin werden damit Anreize für eine Energiewende in
anderen Sektoren als dem Stromerzeugungssektor gesetzt, wohingegen die bisherige
Energiewende in Deutschland sich primär darauf kaprizierte.

Darüber    hinaus   sollte      die   Forschung    und     Entwicklung    von   Energieerzeugungs-
und -speichertechnologien intensiviert werden, um eine weitgehende Dekarbonisierung mit
neuen treibhausgasfreien bzw. armen Technologien zu ermöglichen. Im Vergleich zur massiven
Subventionierung der erneuerbaren Energien mittels Einspeisevergütungen wäre mehr
Forschungsförderung von Energietechnologien, welche in der Vergangenheit eher vernachlässigt
wurde, wohl der bessere Weg gewesen.
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?     15

3. Österreich

Österreich hat im Mai 2018 unter dem Namen #mission2030 eine Klima- und Energiestrategie
verabschiedet,   die   darauf   ausgerichtet   ist,   die   Nachhaltigkeitsziele   in   Bezug   auf
Treibhausgasreduktion, erneuerbare Energietechnologien und Energieeffizienz bis zum Jahr
2030 zu erreichen. Das hohe Niveau der Sicherheit der Energieversorgung jederzeit
aufrechtzuerhalten, hat dabei oberste Priorität (BMNT, BMVIT 2018:7). Zentrales klimapolitisches
Ziel ist die massive Reduktion von Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050, bis zu dem
Österreich den Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft – die Dekarbonisierung – anstrebt.
Die Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Leistbarkeit der Energieversorgung sowie Forschung
& Entwicklung komplettieren das Zielsystem der Strategie. #mission2030 ist somit im
Wesentlichen mit den fünf Zieldimensionen der europäischen Energieunion konsistent.

Diese Strategie bildet die Grundlage für den nationalen Energie und Klimaplan (NEPK)
Österreichs und den mittel bis langfristigen Rahmen für die Transformation des Energiesystems,
um so das Ziel des internationalen Klimaschutzabkommens von Paris zu erreichen. Die Politik ist
sich dabei im Klaren, dass die „Erreichung der langfristigen Klima- und Energieziele mit den
Technologien von heute alleine nicht möglich sein wird. Daher muss Österreich seine
Innovationskraft […] verstärkt nutzen, um mit neuen Schlüsseltechnologien das Energiesystem
zu modernisieren“ (BMNT, BMVIT 2018:8).

Der nationale Energie- und Klimaplan (NEKP 2019) sieht vor, dass bis zum Jahr 2030 die
Emissionen in den nicht am Emissionshandel beteiligten Sektoren wie Straßenverkehr und
Wärmebereich um mindestens 36 % gegenüber dem Jahr 2005 reduziert werden müssen,
während die Emissionen der Sektoren Energie und Industrie im Rahmen des EU-
Emissionshandels gesenkt werden. Um das Klimaziel zu erreichen, hat sich Österreich für das
Jahr 2030 ambitionierte Ziele bezüglich der Energieeffizienz und des Erneuerbaren-Ausbaus
gesetzt. So soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch von 32,6 %
im Jahr 2017 auf 4650 % im Jahr 2030 gesteigert werden (NEKP 2019:12); den
Inlandsstromverbrauch sollen erneuerbare Quellen sogar bis zu 100% abdecken, derzeit
geschieht dies zu rund 72 %. Die Primärenergieintensität soll gegenüber 2015 um 2530 % sinken.

Um diese Ziele zu erreichen, sieht die #mission2030 eine Reihe von Maßnahmen vor, u.a. wurden
zwölf „Leuchtturmprojekte“ definiert. Eines dieser Projekte besteht in der Förderung der
Gewinnung von Wasserstoff und Biomethan mit Hilfe von erneuerbaren Stromquellen (NEKP
2019:152f). Hierfür soll es ab dem Jahr 2020 steuerliche Vergünstigungen geben und der
rechtliche Rahmen soll entsprechend angepasst werden. Unter dem Motto „Greening-the-gas“
soll in Zukunft ein wesentlicher Teil fossilen Erdgases durch Biomethan aus biogenen Reststoffen
und durch Wasserstoff ersetzt werden.

Im Regierungsprogramm neuen Bundesregierung unter Beteiligung der Österreichischen
Volkspartei (ÖVP) und der Grünen wird das Bekenntnis zur Bekämpfung des Klimawandels und
zur Einhaltung der Klimaziele von Paris betont (Bundesregierung 2020:6). Zudem sieht das
Regierungsprogramm sogar die 100%ige Stromversorgung (national bilanziell) aus erneuerbaren
Energien bis 2030 (Bundesregierung 2020: 111) und die Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 vor
16 DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?

(Bundesregierung 2020:102). Hierzu soll u.a. ein klimapolitisches Instrument zur CO2-
Bepreisung für die Sektoren eingerichtet werden, die nicht dem EU ETS unterworfen sind (Berger
et al 2020). Hierfür soll eine Task-Force eingerichtet werden, in u.a. geklärt werden soll, ob die
CO2-Bepreisung über Steuern oder ein nationales Emissionshandelssystem erfolgen soll
(Bundesregierung 2020: 79).

3.1. Historischer Energiebedarf und Energiemix Österreichs
Mit einem Anteil von rund 21 % am Primärenergieverbrauch spielte Erdgas im Jahr 2016 nach
Erdöl und den Erneuerbaren eine wesentliche Rolle im Primärenergiemix Österreichs (Abbildung
4). Nicht vertreten im österreichischen Energiemix ist hingegen die Kernenergie. Obwohl diese
Technologie nach den Ölpreiskrisen der 1970erJahre eingesetzt werden sollte, um Österreich
unabhängiger von Erdöl zu machen, wurde der Einsatz der Kernenergie durch eine
Volksabstimmung zum bereits erbauten, aber letztlich nie in Betrieb gegangenen Kernkraftwerk
Zwentendorf am 5. November 1978 verhindert. Die ablehnende Haltung der Bevölkerung
gegenüber Atomkraft manifestierte sich im Atomsperrgesetz. Seit August 1999 steht das
Atomsperrgesetz mit gegenüber dem Volksbegehren nahezu unverändertem Wortlaut als Gesetz
für ein atomfreies Österreich in der Verfassung.

Anstatt durch Atomkraft wurde Erdöl vermehrt durch Kohle substituiert (Winkler-Rieder
1997:622). Noch heute spielt Kohle mit einem Anteil von rund 7 % eine nicht unbedeutende Rolle
im Primärenergiemix Österreichs. Mehr als noch durch Kohle ist Erdöl durch Erdgas ersetzt
worden: Der Anteil von Erdgas am Primärenergieverbrauch stieg bis zum Jahr 2005 auf rund ein
Viertel. Erst danach ist die Bedeutung von Erdgas wieder gesunken. Eine Ursache dafür war die
ab dem Jahr 2005 deutlich steigende Bedeutung der Erneuerbaren.

Österreich   ist   EU-rechtlich    verpflichtet,   den   Anteil   erneuerbarer    Energien    am
Bruttoendenergieverbrauch bis zum Jahr 2020 auf einen Wert von 34 % zu steigern. Dieser Wert
wurde 2016 mit 33,5 % bereits annähernd erreicht. Der Anteil von Energie aus erneuerbaren
Quellen am Bruttoendenergieverbrauch konnte zwischen 2005 und 2016 um knapp 10
Prozentpunkte erhöht werden, von 23,7 auf 33,5 % (BMNT, BMVIT 2018:13). In absoluten Zahlen
entspricht das einem Zuwachs von 125 Petajoule (PJ), davon 38 PJ im Bereich Strom, 66 PJ im
Bereich Wärme sowie 21 PJ im Bereich Bio-Kraftstoffe.

Österreich verfügt aufgrund seiner topographischen Gegebenheiten über ausgezeichnete
Möglichkeiten, Wasserkraft zur Energiegewinnung zu nutzen. Neben Biomasse leistete die
Wasserkraft mit einem Anteil von 37,5 % im Jahr 2017 den größten Beitrag zur Produktion an
grünem Strom (NEKP 2019:35). An der Bruttostromerzeugung hatte die Wasserkraft im Jahr 2016
sogar einen Anteil von 61,0 % (BMNT 2018:12). Zusammen mit den Anteilen der Windkraft und
Photovoltaik von 8,0 % und 1,7 % machten erneuerbare Energien über 70 % der
Bruttostromerzeugung aus (Abbildung 5). Bezogen auf den Bruttostromverbrauch lag der Anteil
der erneuerbaren Energien im Jahr 2017 bei 72,2 % (NEKP 2019:31).
DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?   17

                 Abbildung 4: Primärenergieverbrauch Österreichs in Petajoule (PJ)
                              und Primärenergiemix (Quelle: EC 2018)

Damit gehört Österreich in Bezug auf den Erneuerbaren-Anteil am Stromverbrauch EU-weit zu
den führenden Ländern (Eurostat 2019). Um das Ziel eines Erneuerbaren-Anteils von 100 % bis
zum Jahr 2030 zu erreichen, dürfte es dennoch noch ein weiter Weg sein: Die Potenziale für
große Wasserkraftanlagen sind heute weitgehend ausgeschöpft und deren Erschließung ist
aufgrund aufwendiger wasserrechtlicher Bewilligungen unattraktiv. Nennenswerte Potenziale der
Wasserkraft liegen vor allem im Bereich der Kleinwasserkraft (Anlagen bis 10 Megawatt
Nennleistung) und im Bereich der Anlagenerneuerung.

Die übrigen erneuerbaren Energietechnologien wie Windkraft und Photovoltaik wurden in der
Vergangenheit eher verhalten ausgebaut (Abbildung 5). Windkraft, Photovoltaik und Biomasse
bzw. Biogasanlagen produzierten im Jahr 2017 zusammen rund 10,5 Mrd. kWh Strom und damit
nur etwas mehr als ein Viertel dessen, was durch Wasserkraftanlagen produziert wurde (BMNT
2018:18). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Österreich bis zum Jahr 2030
tatsächlich seine Stromerzeugung weitgehend auf erneuerbare Energietechnologien umstellen
kann, schließlich müssen bis dahin noch erhebliche Mengen an Strom, die derzeit noch mit Hilfe
fossiler Brennstoffe produziert werden, durch grünen Strom ersetzt werden. Wohlgemerkt wurden
im Jahr 2016 noch knapp 28 % des Stromverbrauchs mit Hilfe fossiler Brennstoffe gedeckt.
18 DEKARBONISIERUNG IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ BIS 2050?

    Abbildung 5: Bruttostromerzeugung in Petajoule (linke Skala) bzw. in Mrd. kWh (rechte Skala) und
                            Strommix von Österreich (Quelle: BMNT 2018:12)

3.2. Energie und Strombedarf Österreichs: Aktuelle und künftige Trends
Zur Beantwortung der Frage, wie sich der Strombedarf bis zum Jahr 2030 entwickeln wird, hat
das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT) unter Einbeziehung der
Österreichischen Energieagentur (Austrian Energy Agency, AEA), von E-Control und des
Umweltbundesamts Projektionen vornehmen lassen, die im Einklang mit der #mission2030
stehen. Demnach könnte der Bruttoinlandsstromverbrauch im Jahr 2030 in der Bandbreite von
8085 Mrd. kWh liegen (NEKP 2019:80). Zum Vergleich: Im Jahr 2016 betrug der
Inlandstromverbrauch 72,4 Mrd. kWh.

Die Gründe für die Zunahme um 813 Mrd. kWh bis 2030 sind vielfältiger Natur: Neben einer
Zunahme der Bevölkerung (Tabelle 4) und der Zahl der Haushalte (AEA 2016:12) ist zu erwarten,
dass der Stromverbrauch in den Bereichen Mobilität und Gebäude steigt, weil im Verkehrssektor
die Elektromobilität auf dem Vormarsch ist und im Gebäudesektor zunehmend auf
Wärmepumpen gesetzt wird. Dieser Trend dürfte sich vor dem Hintergrund der vorgesehenen
ordnungsrechtlichen Vorgaben, mit denen der Einsatz von Öl und Erdgasheizungen
eingeschränkt werden soll (siehe Wärmstrategie 2019), noch verstärken.

Die aus dem Jahr 2016 stammende Energieprognose der österreichischen Energieagentur (AEA
2016:22) geht von einem noch deutlicheren Wachstum des Stromverbrauchs von 1,4 % pro Jahr
aus, auf rund 89 Mrd. kWh im Jahr 2030. Getrieben wird dieses Wachstum laut AEA (2016:22)
durch den Stromverbrauch der Industrie sowie durch den Sektor Verkehr, dessen Stromverbrauch
aufgrund der zu erwartenden Marktdurchdringung der Elektromobilität um 4,9 % pro Jahr
ansteigen soll.
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