Relevant - Gemeinsam vorwärts Wie Verlage Allianzen für die Zukunft bilden und mit vereinten Kräften schneller ans Ziel kommen - BDZV

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Relevant - Gemeinsam vorwärts Wie Verlage Allianzen für die Zukunft bilden und mit vereinten Kräften schneller ans Ziel kommen - BDZV
relevant.
Das Magazin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger        Nr 1 | 2021

                                                                    Gemeinsam
                                                                      vorwärts
                                                               Wie Verlage Allianzen für
                                                             die Zukunft bilden und mit
                                                            vereinten Kräften schneller
                                                                     ans Ziel kommen.
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MANIFEST

         Zeitungen sind und
          bleiben relevant.
            Unabhängige Zeitungen
           sind unerlässlich für eine
           pluralistische Meinungs-
             und Haltungsbildung
            in der Demokratie. Ihre
              Existenz ermöglicht
             verantwortungsvollen
                 Journalismus.

INTRO relevant. 1|2021      2
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VORWORT

                                                                      Liebe Leserinnen und Leser,
                                                                      die digitale Wirtschaft ist geprägt von Kooperatio­       über Nacht missliebigen Angeboten einfach den
                                                                      nen und neuen Arbeitsweisen. Lange hieß es,               Stecker, um den Verhandlungsdruck zu erhöhen.
                                                                      Presseverlage seien zu beidem nicht fähig. Das            Aber Medien und Politik schauen dem Treiben
                                                                      hat jedoch mit der Realität im Jahr 2021 wenig zu         nicht tatenlos zu. Stattdessen fordern immer
                                                                      tun. Ganz im Gegenteil: Ausgerechnet im zweiten           mehr Verantwortliche auf der ganzen Welt nun
                                                                      Jahr der globalen Pandemie stehen Allianzen und           klare Spielregeln und einen fairen Wettbewerb.
© Fotos: Bernd Brundert/BDZV, Coverfoto: Adobe Stock – aerial-drone

                                                                      Kooperationen zwischen den Verlagen hoch im
                                                                      Kurs. Das Umfeld der Häuser verändert sich eben-          Auch der Branchenverband selbst verändert sich
                                                                      falls rasant: Neue Player und Initiativen bringen         weiter, was nicht nur auf seinen neuen Namen
                                                                      sich in Spiel.                                            und sein Erscheinungsbild beschränkt bleibt.
                                                                                                                                Dieses Magazin ist ebenfalls Teil der vielen Neue-
                                                                      Zugleich wird das Ungleichgewicht zwischen                rungen im BDZV – wir wünschen Ihnen eine an-
                                                                      den etablierten Medienanbietern und den gro-              regende Lektüre.
                                                                      ßen Plattformen im Internet immer größer. Die
                                                                      Internetriesen schrecken nicht mehr davor zu-             Bleiben Sie gesund und uns gewogen,
                                                                      rück, ihre Marktmacht auszuspielen: Sie ziehen            Ihre Redaktion

                                                                      Alexander von Schmettow                    Dr. Andrea Gourd                         Hans Hendrik Falk

                                                                                                                            3                                 relevant. 1|2021 INTRO
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INHALT

 DIE KERNFRAGEN

         Wie gelingen Kooperation und nachhaltiger
         Erfolg? Welche Allianzen braucht es jetzt,
         um in Zukunft gemeinsam stark zu sein?

         06 KURZMELDUNGEN AUS DEM VERBAND

 POLITIK

         10 MEINUNG PLATTFORMÖKONOMIE BRAUCHT NEUE REGELN
         	Was Megakonzerne wie Google für die Demokratie bedeuten, wie digitale Monopole
           unser tägliches Leben beeinflussen und warum es radikalere Reaktionen braucht.

         16 WISSEN URHEBERRECHTSRICHTLINIE ZÜGIG UND
             EUROPARECHTSKONFORM UMSETZEN
                 echtsanwalt Ole Jani über die Schaffung eines Leistungsschutzrechts für Pres-
                R
                severleger sowie die Verantwortlichkeit von Onlinediensten.

         22 ANWENDUNG „EINE ALLIANZ DER DEUTSCHEN
            ZEITUNGSHÄUSER FÜR DIE POST-COOKIE-ÄRA“
         	Wie kann die German Publishers Data Alliance relevante User-Informationen
           bereitstellen? David Koopmann und Martin Wilhelm im Interview.

   IMPRESSUM
   Herausgeber: Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V., Haus der Presse, Markgrafenstraße 15, 10969 Berlin,
   Telefon: +49 (0) 30 72 62 98-0, E-Mail: bdzv@bdzv.de, www.bdzv.de Inhaltlich verantwortlich: Alexander von Schmettow
   Redaktion: Alexander von Schmettow (Chefredakteur), Dr. Andrea Gourd, Hans Hendrik Falk, Wolfram A. Zabel Konzept, Design
   & Produktion: Starmühler Agentur & Verlag GmbH, www.starmuehler.at Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH
   Hinweis: Aus Gründen der Lesbarkeit wird teilweise auf geschlechtsspezifische Formulierungen verzichtet.

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INHALT

MARKT

   28 M
       EINUNG WENN NUTZERFOKUS AUF DATA SCIENCE
      TRIFFT, DANN HAT DAS DRIVE!
   	Wie können Verlage ihren Lesern optimale und personalisierte Inhalte bieten?
     Die Initiative DRIVE setzt auf Zusammenarbeit.

   36 WISSEN ZUKUNFTSMODELL DIGITALER JOURNALISMUS
   	Wie muss ein Onlineangebot aussehen, damit Nutzer bereit sind, Geld dafür zu
     zahlen? Eine aktuelle Studie gibt Einblicke in die Erwartungen der Leser.

   42 ANWENDUNG „UNSER ZIEL IST DER WIRTSCHAFTLICHE
       ERFOLG DER ZEITUNGEN“
   	Zeitungen stark machen – das möchte die ZMG Zeitungsmarktforschung
     Gesellschaft. Wie sie das macht, erzählt Alexander Potgeter im Interview.

PERSPEKTIVEN

   48 MEINUNG BUNDESVERBAND DEUTSCHER
       ZUKUNFTS-VERSTEHER
   	Neuer alter Name: Kann einem etablierten Verlegerverband wie dem BDZV der
     Spagat zwischen Tradition und Innovation gelingen?

   54 WISSEN NACHHALTIGKEIT? ABER JA!
        Umweltfakten: Warum im Sinne der Nachhaltigkeit nicht auf Printzeitungen
        verzichtet werden muss.

   56 ANWENDUNG FREIE BERICHTERSTATTUNG:
       EIN BILD MIT MAKELN
   	Gehören gewaltvolle Angriffe mittlerweile zum journalistischen Alltag in
     Deutschland? Ein Blick auf das vergangene Jahr und das „Feindbild Journalist“.

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Ein neuer Look
für den BDZV
VERÄNDERUNG Trotz der anhaltenden Beschrän-
kungen durch die Corona-Pandemie hat sich der
BDZV nach über 20 Jahren am 14. Dezember des
vergangenen Jahres erstmals wieder ein neues
Corporate Design verpasst. Gleichzeitig wurde die
neue Website des Verbandes gelauncht. „Das neue
Logo ist modern, multimedial und in Bewegung
– wie der sich transformierende BDZV selbst“,
sagte Präsident Mathias Döpfner anlässlich des
doppelten Relaunchs. Die Überarbeitung war nö-
tig geworden, weil sich der Verband, der 1954 als
Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger ge-
gründet wurde, in Bundesverband Digitalpubli­
sher und Zeitungsverleger umbenannt hatte. «
Mehr unter www.bdzv.de

  Das neue Logo ist
modern, multimedial
und in Bewegung – wie
der sich transformie-
rende BDZV selbst.                                      Übersichtlich, modern, klar – so
                                                        präsentiert sich die neue Visiten-
MATHIAS DÖPFNER, PRÄSIDENT BDZV                         karte des BDZV im Web.

AKTUELL relevant. 1|2021                            6
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Staat will digitalen Umbau
mit Millionen fördern
UNTERSTÜTZUNG Die Richtlinie zur geplanten
staatlichen Förderung für den digitalen Umbau in
Presseverlagen ist nach wie vor im Abstimmungs-
prozess zwischen Wirtschafts- und Finanzminis-
terium sowie dem Bundesrechnungshof. Danach
muss noch die EU-Kommission grünes Licht ge-         hatten sich ursprünglich an die Politik gewendet,
ben. Der Bund plant, in diesem Jahr Presseverlage    um eine Förderung für die Zustellung gedruckter
mit 180 Millionen Euro bei der digitalen Transfor-   Zeitungen zu erreichen. Die Kosten im Logistikbe-
mation zu unterstützen. Genaue Inhalte und De-       reich sind in den letzten Jahren ständig gestiegen.
tails der Fördervorgaben sind noch nicht bekannt.    Laut einer Studie, die der BDZV im Juni letzten
Auch muss der politische Prozess bis Mai 2021 ab-    Jahres in Auftrag gegeben hatte, wird die Zeitungs-
geschlossen sein, damit in diesem Jahr überhaupt     zustellung in 40 Prozent aller Gemeinden bereits
noch Gelder fließen können. Die Zeitungsverleger     im Jahr 2025 nicht mehr wirtschaftlich sein. «

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                                                                                                           Foto: Francisco Seco/AP Pool/dpa
  Angela Merkel trägt beim EU-Gipfel im Juli 2020
  in Brüssel einen Mund-Nase-Schutz.

 Maximale Freiheit
 oder minimales Risiko?
            Mehr Perspektiven zum Umgang mit dem
            Coronavirus finden Sie unter sz.de/mut

                                                                             Mut entscheidet.
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85 %
                                                   der Unternehmen der Digitalpublisher- und
                                                    Zeitungsbranche schätzen die Bedeutung
                                                    von Paid Content als strategisch hoch ein

                                                                                            Zum siebten Mal präsen-
                                                                                             tiert die Studie „Trends
                                                                                                der Zeitungsbranche
                                                                                               2021“ die Zukunftser-

Zuversicht in erfolgreiche
                                                                                             wartungen der Verlage.

Digitalisierung wächst
TRENDS Die Einnahmen aus dem Ge-               GEFRAGT                ratung Schickler vorgelegten Studie
schäft mit digitalem Journalismus                                     „Trends der Zeitungsbranche 2021“.
werden mehr und mehr zum Standbein                                    Weitere Trends sind verstärkte Investi-
für die Verlage. Paid Content spielt da-                              tionen in Technologie und die Bildung
bei die wichtigste Rolle. 85 Prozent der                              von Allianzen innerhalb der Branche.
Unternehmen der Digitalpublisher-                                     Ohne eine entsprechende Technolo-
und Zeitungsbranche schätzen seine                                    gielandschaft gelingt kein Erfolg im
Bedeutung als strategisch hoch oder                                   Digitalen, da sind sich fast alle Me-
sogar existenziell ein. Binnen drei Jah-       Wir brauchen           dienhäuser einig. Das Arbeiten mit

                                               KI
ren, so die Erwartung der Verlage, wird                               Daten, Algorithmen und künstlicher
sich der Anteil des digitalen Kernge-                                 Intelligenz schätzen 76 Prozent als ent-
schäfts am Gesamtumsatz verdoppeln.                                   scheidenden Erfolgsfaktor ein. Dass
Im gleichen Zeitraum stellt die große                                 das besser und schneller mit entspre-
Mehrheit der Verlage ihre redaktionel-      76 % schätzen das         chenden Allianzen gelingt, sehen 96
len Prozesse auf „Digital first“ um.         Arbeiten mit Algo-       Prozent der Verlage. Ihre Bereitschaft
                                            rithmen und künst-
Zugleich steigt die Zuversicht, dass          licher Intelligenz      zu kooperieren ist daher stark ausge-
Rückgänge im Printbereich durch die         als entscheidenden        prägt, vor allem im Digitalgeschäft und
Digitalerlöse in fünf Jahren kompen-         Erfolgsfaktor ein.       in der Logistik.
siert werden können. Bereits für 2021                                 An der aktuellen Trendstudie haben
erwartet knapp ein Viertel der Verlage                                67 Verleger und Geschäftsführer, 32

                                            90 %
eine Verdopplung ihrer Paid-Con­tent-                                 Chefredakteure und 30 Digital-Publi­
Erlöse. Damit das gelingt, wollen 90                                  sher teilgenommen. Sie repräsentieren
Prozent der Verlage die Attraktivität ih-                             nach Auflage gut die Hälfte (59 Prozent)
res digitalen Bezahlangebotes erhöhen.       der Verlage wollen       der Tageszeitungen in Deutschland. «
                                            die Attraktivität ihres
Dies sind wesentliche Ergebnisse der        digitalen Bezahlange-
vom BDZV und der Unternehmensbe-               botes erhöhen.         Weitere Ergebnisse auf www.bdzv.de

AKTUELL relevant. 1|2021                              8
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I want it!
NEW(S)COMERS BEST 2021
Ausschreibung für den Nachwuchspreis startet im April

NACHWUCHS Ein Kreativpreis in Grup-
penarbeit – und das in Zeiten von Co-
rona? Der Werbe-Nachwuchs macht
es möglich: Obwohl die meisten Hoch-
schulen 2020 nur Fernunterricht anbo-
ten, ließen sich die jungen Kreativen
nicht schrecken: 57 Teams bewarben
sich mit über 100 preisverdächtigen
Motiven für den Nachwuchs-Werbe­
award der Zeitungen – die Jury wählte
davon die drei besten Ideen aus.

Erstmals rein digital
Auch in diesem Jahr gibt es einen
­„New(s)comers Best“ – mittlerweile
 zum 19. Mal, und diesmal ausschließ-
 lich digital, damit in diesen besonde-
 ren Zeiten alle teilnehmenden Teams
 die gleichen Chancen haben. Die Aus-
 schreibung startet im April. Dann wird
 auch das Thema bekannt gegeben,
 und die Bewerberinnen und Bewerber
 haben bis zum Sommer Zeit für ihre
 Einreichungen. Zu gewinnen gibt es
 insgesamt 7.000 Euro. Die prämierten
 Anzeigen werden ganzseitig in mehre-
 ren Tageszeitungen geschaltet – eine     Wer gewinnt, entscheidet eine hoch-        Den Werbe-Nach-
 Voraussetzung für die Teilnahme auch     rangig besetzte Jury aus Branchenex-       wuchs zu kreativer
                                                                                     Zeitungswerbung
 an weiteren Wettbewerben der Wer-        perten. Bewerben können sich Junior-­      herauszufordern, ist
 bebranche. Die Gewinner und Gewin-       Texterinnen und -Texter, Junior-Art        das Ziel von „New(s)-
 nerinnen werden außerdem zu einem        Directors sowie Studierende von Wer-       comers Best“.
 Kreativ-Workshop von BDZV und ADC        be-Studiengängen. Die Siegermotive
 eingeladen. Einen Sonderpreis gibt       der letzten Jahre und aktuelle Infos zur
 es für die Gestaltung einer kreativen    Ausschreibung finden Sie hier:
 Crossmedia-Kampagne,        ausgehend
 von der ganzseitigen Zeitungsanzeige.    awards.die-zeitungen.de/newcomers-best

                                                  9                              relevant. 1|2021 AKTUELL
Relevant - Gemeinsam vorwärts Wie Verlage Allianzen für die Zukunft bilden und mit vereinten Kräften schneller ans Ziel kommen - BDZV
Plattform-Ökonomie
        braucht neue Regeln
MEINUNG Megakonzerne wie Google beeinflussen unser tägliches
Leben. Wir haben uns längst daran gewöhnt, persönlichste Daten an
 die „freundlichen“ Plattformen aus dem Silicon Valley abzugeben.
    Wie es trotz langjähriger Warnungen der Publisher und der
    EU-Mitgliedsstaaten so weit kommen konnte und warum wir
         als ­Gesellschaft radikaler darauf reagieren sollten.
                         VON VALDO LEHARI JR.

                                    Große Technologieunternehmen
                                    futtern sich stetig durch unsere
                                    Daten und werden größer und
                                    mächtiger – sind sie wirklich
                                    unaufhaltsam?

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E
        s gibt einen Ausdruck dafür,       re entwickeln konnte und wie lange
        wenn Dinge in der digitalen Welt   sich das Bild des gutmütigen „Don’t be
        nicht existieren, nicht auffind-   evil“-Riesen gehalten hat. Als Präsi-
bar sind: „Ungoogleability“, auf Deutsch   dent der ENPA hatte ich vor mehr als
in etwa „Un-Google-barkeit“. Der schwe-    zehn Jahren zusammen mit meinen
dische Sprachrat wollte die skandina-      Kollegen immer wieder auf Risiken
vische Entsprechung „ogooglebar“ offi-     und Nebenwirkungen der aufkeimen-
ziell als Adjektiv für etwas aufnehmen,    den Digitalmonopole und notwendigen
„das nicht im Netz mit einer Suchma-       Grenzen für deren Daten- und Markt-
schine aufgefunden werden kann“. Das       macht hingewiesen. Seit 2009 haben
Unternehmen wehrte sich seinerzeit         wir eine spezielle Taskforce eingerich-
gegen diese Definition. Auch gegen den     tet und Kartellverfahren eingeleitet.
deutschen Ausdruck „googeln“ sträubte
man sich – vergebens, wie ein Blick in     Gefahren für fundamentale Freiheiten
den Duden zeigt. Wenn Produkt- und         Unser Ruf, so scheint es, war nicht laut
Unternehmenszeichen in den allge-          genug. Immer mehr fasste Google Fuß,
meinen Sprachgebrauch übergehen,           missbrauchte gleichzeitig seine Macht,
ist das in der Regel schlecht für deren    übernahm Inhalte ohne Vergütung,
Inhaber, weil ihn dann niemand mehr        spielte auf Zeit, beruhigte politische
damit in Verbindung bringt. Der besag-     Stakeholder, hielt den Staubsauger
te Technologiekonzern hat es jedoch        an die weltweiten Werbemärkte und
geschafft, dieses Dilemma zu transzen-     machte das Internet seinen intranspa-
dieren. Google ist nicht zum Gattungs-     renten Algorithmen untertan. Die Ver-
begriff für Suchdienste verkommen,         lage gehörten sicherlich zu den ersten
wie das „Tempo“ zum Taschentuch und        Leidtragenden der Netzwerkökonomie,
„Tesa“ zum Klebeband wurde. Google ist     die radikalen Umbrüche auf dem Markt
die Gattung. Jeder kennt die „Nerds aus    für Werbung und Inhalte schienen für
Mountain View“, die nebenbei pro Jahr      andere Branchen weit weg. Allerdings          Laut der „Forbes
über 130 Milliarden Dollar Umsatz und      verfügt die freie Presse traditionell         Global 2000“-Liste
                                                                                         war Googles Mut-
über 30 Milliarden Dollar Gewinn er-       auch über einen guten Seismografen,           terkonzern Alphabet
wirtschaften und der Welt schleichend      wenn sich in der Gesellschaft Macht-          2020 auf Platz 13
ihre Vorstellung des Internets überge-     und Diskursverhältnisse verschieben           der größten Unter-
                                                                                         nehmen der Welt.
stülpt haben.                              und Gefahren für fundamentale bür-
Mich entsetzt es aufrichtig, dass sich     gerliche Freiheiten heraufziehen.
dies alles über die vergangenen Jah-       Im Jahr 2014 warnte Mathias ­Döpfner »

                                                  11                                  relevant. 1|2021 POLITIK
Es gibt keine Ausrede
mehr, sich dem Problem
als demokratische
Gesellschaft und als
Gesetzgeber nicht zu                                                ZUR PERSON Valdo Lehari jr.

stellen.                                                            Valdo Lehari jr. ist Vizepräsident des BDZV und
                                                                    der European Newspaper Publishers Associa­
                                                                    tion (ENPA), außerdem langjähriger Verleger
                                                                    des Reutlinger General-Anzeigers.
VALDO LEHARI JR., VIZEPRÄSIDENT DES BDZV

                           » in einem offenen Brief den damali-     Jahr wurde bei der EU-Kommission
                           gen Google-Chef Eric Schmidt mit den     noch einmal öffentlichkeitswirksam
                           sehr klaren Worten: „Wir haben Angst     diskutiert, ob Maßnahmen ergriffen
                           vor Google.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte   werden sollten. Bei diesen gut gemein-
                           Schmidt schon öffentlich gesagt: „Wir    ten Diskussionen blieb es. Der politische
                           wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du    Wille war trotz aller Warnungen nicht
                           warst. Wir wissen mehr oder weniger,     stark genug, das Problem erschien im-
                           worüber du nachdenkst.“ Auch in jenem    mer noch zu abstrakt. Für europäische
                                                                    marktwirtschaftliche Ideen und Gegen-
                                                                    gewichte fanden sich seinerzeit keine
                                                                    Mehrheiten. Versuche einer Einigung
                                                                    auch großer Anbieter mit den Internet­
                                                                    riesen waren nicht erfolgreich.

                                                                    Und heute, 2021?
     „Wir wissen, wo du bist. Wir wissen,                           Es ist nicht besser, sondern noch
     wo du warst. Wir wissen mehr oder                              schlimmer geworden, insoweit kann
     weniger, worüber du nachdenkst.“                               ich Mathias Döpfner beipflichten. Das
                                                                    freundliche Leitmotiv hat der Riese
     ERIC SCHMIDT, BIS 2015 CEO VON GOOGLE UND BIS                  schon 2018 gestrichen. Google und Co.
     2020 EXECUTIVE CHAIRMAN DER ALPHABET INC.
                                                                    waren aber schon zum Zeitpunkt ih-
                                                                    res anfänglichen Aufschwungs – als

POLITIK relevant. 1|2021                               12
Nebeneffekt der Disruption – eine Art      bei einem sozialen Netzwerk anzumel-
                           Schwelbrand im Medienökosystem             den statt bei fünf. Der Reiz, eine Web-
                           und für den Markt meinungsbilden-          site zu besuchen, die die mehr oder
                           der Inhalte. Solcher ist naturgemäß        weniger größte Markthalle oder auch
                           leicht zu übersehen und wird gern          den größten, kostenlosen Zeitungski-
                           unterschätzt. Staaten und Zivilgesell-     osk der Welt als Sortiment vorhält, ist
                           schaften reagieren außerdem frag-          groß. Die GAFA-Konzerne schmeicheln          Die großen Vier,
                           mentierter und verzögerter, als es der     dem Endnutzer Jahr für Jahr mit im-          Google, Apple, Face-
                                                                                                                   book und Amazon,
                           geballte Takt von Google und Co. auf       mer besseren Features und noch mehr          setzen ihr Markt-
                           bislang weitgehend unregulierten           Komfort. Dies betäubt unseren Sinn           macht geschickt ein.
                           Märkten vorgab. Spätestens jetzt lie-      dafür, was eigentlich vor sich geht.
                           gen die Karten jedoch auf dem Tisch
                           und es gibt keine Ausrede mehr, sich       Auf dem Weg zur Weltmacht
                           dem Problem als demokratische Ge-          Jenseits fehlgeleiteter Tech-Utopien
                           sellschaft und als Gesetzgeber nicht       und eigener Überhöhungen aus dem
                           zu stellen. Dass die Europäische Union     Silicon Valley sollte man die Megakon-
                           nun eine Regulierung avisiert, verste-     zerne traditionell betrachten. Es han-
                           he ich als untrügliches Zeichen, dass      delt sich um profitorientierte, an der
                           der Schwelbrand nun nach Jahren zu         Börse gehandelte, werbefinanzierte
                           einem Feuer im Erdgeschoss der De-         Unternehmen, die sich zur Weltmacht
                           mokratie geworden ist.                     entwickeln konnten, weil sie bald ei-
                           Die Plattformkonzerne sind zugege-         nes feststellten: Eigentlich wissen wir
                           ben gut darin, die Gefahr ihrer Allein-    mehr über die Menschen als jede an-
                           stellung herunterzuspielen. Freilich       dere private oder staatliche Institu­
                           kann man ein digitales Monopol auch        tion vor uns. Personenbezogene Daten
                           nicht immer mit Monopolen auf klas-        waren letztlich ein Nebenprodukt des
                           sischen Warenmärkten vergleichen.          Ausbreitens im digitalen Raum, sei es
                           Es ist vielmehr eine völlig neue Art von   Warenhandel,      Informationsbeschaf-
                           Monopol entstanden. Alleine Google         fung oder soziale Kommunikation.             Bei Suchmaschi-
                           bietet mittlerweile Services in fast al-   Diese Daten sind nun aber meist die          nenanfragen, dem
                                                                                                                   Bereich, mit dem das
                           len basalen Bereichen der Gesellschaft     eigentliche Machtquelle dieser Anbie-        Unternehmen noch
                           an. Wer den Blick von Google auf den       ter und halten das über viele Branchen       immer hauptsächlich
                           Mutterkonzern Alphabet erweitert, fin-     verteilte Geschäft zusammen. Bürger,         assoziiert wird, hatte
                                                                                                                   Google in Deutsch-
                           det ein Unternehmen, das in Dutzen-        Verbraucher, ja sogar Wettbewerber
                                                                                                                   land zuletzt einen
                           den Märkten beteiligt ist. Diese Unter-    sind daran gewöhnt worden, sie als Ge-       Marktanteil von über
                           nehmungen lassen sich nicht nur über       genleistung für undurchsichtige Zwe-         90 Prozent.
                                                                                                                   Quelle: Statista
© Fotos: Bernd Weissbrod

                           ihre vereinzelte Marktmacht fassen.        cke herzugeben. Über lange „Terms
                           Darüber hinaus lautet das volkswirt-       and Conditions“ sowie für Laien un-
                           schaftliche Zauberwort Netzwerkef-         verständliche Datenschutzvereinba-
                           fekt. Es liegt in der Natur der Sache,     rungen wird das Recht der digitalen
                           dass es praktischer erscheint, sich nur    Existenz gewissermaßen an der »

                                                                             13                                 relevant. 1|2021 POLITIK
» Türe abgegeben, um überhaupt Zu-       verabschiedete GWB-Novelle erkennt
                           gang zu den von den Megaplattformen      endlich an, dass digitale Plattformen
                           beherrschten Kommunikations- und         aufgrund ihres Wirtschafts- und Infor-
                           Wirtschaftsräumen zu erhalten.           mationsvorsprungs neu erschlossene
                                                                    Märkte stören bis zerstören können
                           Digital Markets Act muss                 und dass das Bundeskartellamt diesem
                           Teil der Lösung werden                   Treiben Einhalt gebieten muss. Der von
                           Das war und ist aber auf frappierende    den Bundesländern verabschiedete
                           Weise kein fairer und selbstbestimm-     Medienstaatsvertrag legt fest, dass di-
                           ter Vertrag, das ist informationelle     gitale Megaplattformen als sogenannte
                           Leibeigenschaft und einer Demokra-       Medienintermediäre einen massiven
                           tie unwürdig. Personenbezogene Da-       Einfluss auf die öffentliche Meinungs-
                           ten sind entgegen der Metapher eben      bildung und die Medienvielfalt haben
                           kein Öl, das man einfach anzapft. Das    können und deshalb journalistische
                           muss endlich grundlegend, nicht nur      Medien nicht einfach diskriminieren
                           symptomweise problematisiert wer-        dürfen. Das war höchste Zeit. Beides
                           den. Warum erscheint es so verwegen,     sind Ansätze, die auch ich in meiner
                           einem Konzern, der für sein Geschäfts-   Eigenschaft als BDZV-Vizepräsident
                           modell so viele Daten sammelt, dass      in Idee und konkreter Umsetzung un-
                           Geheimdienste dagegen wie ein Ein-       ermüdlich vertreten habe. Sie müssen
                           wohnermeldeamt wirken, diese Praxis      nun mit Nachdruck verteidigt und kon-
                           schlicht zu verbieten?                   sequent weiterfolgt werden. Denn es
                                                                    sind nur erste Schritte. Auch der Digital
                                                                    Markets Act, der nun als europäische
                                                                    Verordnung diskutiert wird, muss drin-
  Warum erscheint es so verwegen,                                   gend Teil dieser Lösung werden. Noch
                                                                    ist er viel zu zaghaft formuliert und als
einem Konzern, der für sein Geschäfts-
                                                                    Feuerlöscher sicher nicht geeignet.
modell so viele Daten sammelt, dass
Geheimdienste dagegen wie ein Einwoh-                               Google-Suche als Gefahr
nermeldeamt wirken, diese Praxis                                    für den Lokaljournalismus
schlicht zu verbieten?                                              Denn es drohen erste Flurschäden.
                                                                    Der Lokaljournalismus ist Garant für
VALDO LEHARI JR., VIZEPRÄSIDENT DES BDZV
                                                                    regionale Vielfalt und Gemeinwesen,
                                                                    gerät aber zunehmend unter die Räder
                                                                    der Such-, Daten-, Werbe- und Medi-
                                                                    enmonopole. Wie ein Bericht der Was-
                           Wie man die Übermacht der Platt-         hington Post Ende vergangenen Jah-
                           formen zum Beispiel im Hinblick auf      res beschreibt, trocknet die Suche von
                           Märkte und Meinungsfreiheit tat-         Google lokale journalistische Angebote
                           sächlich angehen kann, zeigen uns        in den USA mehr oder weniger aus. Die
                           die jüngsten Vorstöße der EU und des     Brosamen, die vom Tisch des Herrn ab-
                           deutschen Gesetzgebers. Die gerade       fallen, kommen also nicht jedem glei-

POLITIK relevant. 1|2021                              14
chermaßen zugute. Der Algorithmus                   die Standard Oil Company entflochten
geringschätzt diese bürgernahen und                 wurde, hatte sie sich mit einem bei-
verlässlichen Zeitungsangebote. Wenn                spiellosen Konkurrenzkampf und dem
es so weitergeht, wird es solchen Jour-             geschickten Nutzen des Ölbooms in den
nalismus sowie viele andere Inhalte                 USA einen Marktanteil von 90 % erar-
auch in Deutschland nicht mehr geben.               beitet. Mitte des letzten Jahrhunderts
Wonach soll man dann noch „googeln“?                waren die Kartellentscheidungen zu
                                                    Bell Pacific AT&T Meilensteine für die
Infrastruktur und Inhalte                           Zukunft des Technologiesektors. Beides
sind zu trennen                                     können Vorbilder für die 2020er-Jahre
Noch radikaler zu denken kann also in               sein. Alleine bei Suchmaschinen beträgt
dieser Situation nicht ausbleiben. So               der Anteil von Google heute ca. 95 %.
neu die Digitalmonopole auch sind, so               Der gemeinsame Marktanteil von Goo-
bekannt sind doch deren fundamentale                gle und Facebook im Werbemarkt wird
Grundsätze. Seit wann haben wir uns                 in den nächsten Jahren auf etwa 60 %
damit angefreundet, dass ein faktischer             zusteuern. Aber wer weiß, vielleicht
Infrastrukturanbieter gleichzeitig das              kommt dieses Mal alles anders. «
„Betriebssystem“ für Mediennutzung
beherrscht, massiv an der Kommuni-
kation selbst beteiligt ist sowie Inhalte
auswählt und verbreitet? So wurde zum
Beispiel General Electric in der ersten
Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in
die Schranken gewiesen. Die Trennung
                                                                                                      5%
zwischen Infrastruktur und Inhalten
prägte die Nachkriegs-Medienordnung
auch in Deutschland. Hier würde sich
eine Bestandsaufnahme lohnen. Google
wäre außerdem nicht der erste Konzern,
der tatsächlich zum Schutz der freien
Märkte zerschlagen würde. Bevor 1912

                                                                            95%
                                                                               Ungefähr

INFO Der Digital Markets Act
Im Dezember hat die Europäische Kommission ihren
Vorschlag für den Digital Markets Act (DMA) veröffentlicht.
Der DMA soll den digitalen Gatekeepern wie Google und
Facebook neue strenge Regeln auferlegen, um online für
fairen Wettbewerb zu sorgen. Damit stellt er die histori-
sche und vermutlich wohl einzige Chance dar, faire und                         beträgt der Anteil von Google
diskriminierungsfreie Bedingungen für den Vertrieb von                         heute bei Suchmaschinen
digitalem Journalismus herzustellen.

                                                              15
Urheberrechtsrichtlinie zügig
und europarechtskonform
umsetzen
WISSEN Soeben hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur
Umsetzung der europäischen Urheberrechtsnovelle vorgelegt. Er sieht
u. a. die Schaffung eines eigenen Leistungsschutzrechts für Pressever-
leger vor und schafft die urheberrechtliche Verantwortung der Betrei-
ber von Online-Plattformen für die von ihren Nutzern hochgeladenen
Inhalte. Rechtsanwalt Ole Jani im Interview.
VON BENEDIKT LAUER

                           W
                                      arum kämpfen die Pres-       Filmhersteller, ist das Presseerzeugnis
                                      severleger so sehr für ihr   bislang rechtlich aber nicht geschützt.
                                      Leistungsschutzrecht? Sind   Durch das Leistungsschutzrecht wird
                           sie nicht schon seit Langem durch die   diese Schutzlücke geschlossen und
                           umfangreichen Rechte der Journalis-     die nicht gerechtfertigte Ungleichbe-
Das Urheberrecht           ten geschützt?                          handlung von Presseverlegern been-
schützt die geistig-­      Nein. Die Journalisten genießen         det. Der urheberrechtliche Schutz von
schöpferische Bezie-
hung des Urhebers          Schutz in Bezug auf ihre Artikel. Das   Presseerzeugnissen durch ein eigenes
zu seinem Werk. Ein        Presseerzeugnis ist aber mehr als die   Schutzrecht ist eine wichtige Maßnah-
Leistungsschutzrecht       Summe der in ihm enthaltenen Bei-       me, um die Wettbewerbsfähigkeit der
hingegen schützt die
                           träge. Das Presseerzeugnis ist die      Presseverlage in der digitalen Welt zu
wirtschaftliche Inves-
tition des Herstellers     wirtschaftliche und organisatorische    sichern. Dies insbesondere auch des-
eines Werkes, ohne         Leistung des Presseverlegers. Im Ge-    halb, weil das Leistungsschutzrecht
die viele urheber-         gensatz zu vergleichbaren Leistun-      die Presseverleger vor der unautori-
                                                                                                             © Foto: CMS

rechtliche Inhalte gar
nicht erst zustande-       gen anderer Medienproduzenten, wie      sierten Nutzung von Ausschnitten
kommen würden.             zum Beispiel Musikproduzenten oder      aus Presseveröffentlichungen durch

POLITIK relevant. 1|2021                              16
Ole Jani, Rechtsan-
                                                                                        walt und Partner der
                                                                                        Kanzlei CMS, unter-
Online-Dienste schützt, die vom Urhe-     davon überzeugt werden, dass ein Ge-          stützt den BDZV in
                                                                                        den aktuellen Fragen
berrecht der Journalisten häufig nicht    setz in der Fassung des ursprüngli-           des Urheberrechts.
erfasst wird.                             chen Entwurfs des BMJV wirkungslos
                                          und deshalb unionsrechtswidrig wäre.
Die Zeitungs- und Zeitschriftenverle-     Hier wären die Schutzlücke, die der
ger sprechen davon, dass die ersten       europäische Gesetzgeber durch das
Fassungen des Gesetzentwurfs, die         Leistungsschutzrecht geschlossen hat,
das Bundesministerium der Justiz          auf Kosten der Presseverleger offenge-
und für Verbraucherschutz (BMJV)          halten und die Geschäftsmodelle von           Artikel 15 der EU-Ur-
vorgelegt hat, erheblich von der Richt-   Online-Diensten, die Presseveröffent-         heberrechtsrichtlinie
                                                                                        führt ein ausschließ-
linie abgewichen sind. Entspricht der     lichungen lizenz- und vergütungsfrei
                                                                                        liches Recht des
Regierungsentwurf nun den europa-         ausbeuten, gesetzlich abgesichert             Presseverlegers an
rechtlichen Vorgaben?                     worden. Der Regierungsentwurf hält            seinen Pressever-
Hinsichtlich des Leistungsschutz-         sich jetzt eng an den Wortlaut von Ar-        öffentlichungen für
                                                                                        sämtliche Online-­
rechts im Großen und Ganzen ja. Hier      tikel 15 der Richtlinie. Das ist richtig      Nutzungen ein (mit
konnte die Bundesregierung offenbar       so. Denn hier wird ein europäisches »         Ausnahmen).

                                                 17                                  relevant. 1|2021 POLITIK
»  Schutzrecht begründet, das euro-       beendet diese ungerechtfertigte Haf-
Artikel 17 der EU-Ur-      paweit einheitlich angewendet und         tungsprivilegierung jetzt endlich. On-
heberrechtsrichtlinie      ausgelegt werden muss. Der deutsche       line-Dienste sind künftig für die von
soll im Ergebnis dazu
führen, dass Online-       Gesetzgeber hat hier keinen Gestal-       ihren Nutzern hochgeladenen Inhalte
dienste nach allen         tungsspielraum. In der Begründung         urheberrechtlich verantwortlich. Das
ihnen zur Verfügung        des Gesetzentwurfs interpretiert die      ist richtig so. Denn das Geschäftsmo-
stehenden Mög-
                           Bundesregierung die Vorschriften an       dell der Plattformen basiert auf den
lichkeiten Lizenzen
einholen und sich          einigen Stellen allerdings noch in ei-    von ihren Nutzern hochgeladenen In-
damit enthaften.           ner Weise, die vor dem Europäischen       halten. Mit diesen Inhalten verdienen
Davon unangetastet         Gerichtshof keinen Bestand haben          die Plattformen ihr Geld. Durch sie
bleiben Zitate, Paro-
dien, Pastiches usw.,      wird. Zum Beispiel überdehnt sie die      wird die Reichweite geschaffen, die
für die die Richtlinie     Regelung über die Zulässigkeit der        die Grundlage für die Werbeerlöse der
eine erweiterte Aus-       Nutzung sehr kurzer Auszüge aus ei-       Plattformen bildet. Dass derjenige, der
nahme vorsieht.
                           ner Presseveröffentlichung. Hier sollte   für das eigene Geschäft fremde Güter
                           der Bundestag, der jetzt am Zug ist, im   verwendet, diese Güter nicht ohne die
                           weiteren Verfahren ein richtlinienkon-    Zustimmung des Berechtigten zum
                           formes Normverständnis zum Aus-           Nulltarif für sich beanspruchen und
                           druck bringen. In Bezug auf die urhe-     verwerten kann, ist Kern der Eigen-
                           berrechtliche Verantwortlichkeit von      tumsgarantie. Und dieser Grundsatz
                           Online-Diensten für die von ihren Nut-    gilt selbstverständlich auch für das
                           zern hochgeladenen Inhalte verfehlt       Urheberrecht. Es ist nicht die Aufgabe
                           der Regierungsentwurf sein Ziel und       der Rechteinhaber, Geschäftsmodelle
                           ist mit den zwingenden europarecht-       von Plattformen durch eine gesetz-
                           lichen Vorgaben nicht zu vereinbaren.     lich angeordnete Beschneidung ihrer
                           Hier muss der Bundestag deshalb un-       Eigentumsrechte zu subventionieren.
                           bedingt nacharbeiten.                     Das war bislang aber der Fall.
                                                                     Das Regelungskonzept von Artikel 17
                           Plattformen sollen zukünftig für In-      sieht die Pflicht der Plattformen zur
                           halte ihrer Nutzer haften. Dieser Ge-     Blockierung von Inhalten, die Nutzer
                           danke ist aus urheberrechtlicher Sicht    hochladen, als Ausnahme und die Li-
                           eher neu. Was steckt hinter diesem        zenzierung als Regelfall vor. Ob sich
                           Ansatz?                                   dieses Verhältnis in ihr Gegenteil ver-
                           Dass ein Unternehmer rechtlich für        kehrt und die Blockierung die Regel
                           sein Geschäftsmodell verantwortlich       wird, hängt allein vom Verhalten der
                           ist, sollte eine Selbstverständlich-      Plattformen ab. Nur dort, wo Plattfor-
                           keit sein. Im Internet ist es das lei-    men auch künftig nicht bereit sind, die
                           der nicht. Online-Dienste sind in der     Rechteinhaber auf der Grundlage einer
                           Frühzeit des Internet von einer Haf-      Lizenzvereinbarung für die Nutzung
                           tung für Urheberrechtsverstöße auf        ihrer Schutzgegenstände angemessen
                           den von ihnen betriebenen Plattfor-       zu vergüten, wird eine Blockierung von
                           men weitgehend befreit worden. Ar-        Inhalten überhaupt erforderlich sein.
                           tikel 17 der Urheberrechts-Richtlinie     Das haben auch die Betreiber der On-

POLITIK relevant. 1|2021                               18
Die Nutzung urheberrechtlich geschütz-
ter Werke und Leistungen ist entweder
zulässig oder unzulässig. Dazwischen
gibt es nichts. Der Regierungsentwurf
versucht, das zu ändern.
OLE JANI, RECHTSANWALT UND PARTNER DER KANZLEI CMS

line-Plattformen längst erkannt. Ich          Für die Presseverlage wäre der vom
bin mir sicher, dass urheberrechtlich         Bundesjustizministerium geplante
geschützte Inhalte für User-genera-           zeitweilig mögliche freie Upload von
ted Content sehr bald umfassend und           pauschal 1.000 Zeichen aus Texten
rechtssicher auf Lizenzbasis genutzt          ein massives Problem. Sorgt hier der
werden können.                                aktuelle Entwurf der Bundesregierung
                                              für Verbesserungen?
Hier wird auch immer wieder ange-             In Teilen auf jeden Fall. Statt 1.000 sol-
bracht, es müsse doch ein Kompro-             len es nun maximal 160 Zeichen sein.
miss gefunden werden.
Der Kompromiss ist die europäische            Ist auch dies aus urheberrechtlicher
Richtlinie. Nach einer sehr langen            Sicht problematisch?
und kontroversen Debatte hat das Eu-          Die Nutzung urheberrechtlich ge-
ropäische Parlament eine Regelung             schützter Werke und Leistungen ist
gebilligt, mit der die widerstreitenden       entweder zulässig oder unzulässig.
Interessen zum Ausglich gebracht              Dazwischen gibt es nichts. Der Regie-
werden sollen. Dieses Ergebnis hat der        rungsentwurf versucht, das zu ändern.
deutsche Gesetzgeber zu akzeptieren.          Denn er schafft ein völlig neues Kon-
Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten       strukt, die „mutmaßlich erlaubte Nut-
keinen Spielraum. Das verkennt die            zung“. Es wird danach widerleglich ver-
Bundesregierung.                              mutet, dass bestimmte Nutzungen »

                                                     19                                    relevant. 1|2021 POLITIK
Die Umsetzung der europäischen Urheberrechts-            INFO             durch Artikel 17 der DSM-Richtlinie
    novelle in Deutschland. Hier die wichtigsten                          noch durch den Regierungsentwurf
               Geschehnisse in der Chronologie.
                                                                          angetastet. Was bisher gesetzlich er-
                                                                          laubt ist, bleibt erlaubt. Hier ändert
                                                                          sich nichts. Das gilt auch für die Vergü-
                                                                          tungspflicht. Natürlich muss ich nichts
»  zulässig sind. Zum Beispiel unter                Nachdem der dazu-     bezahlen, wenn ich aus einem frem-
bestimmten Voraussetzungen die Nut-                gehörige Entwurf am    den Werk zitiere oder es in einer Paro-
                                                    3. Februar 2021
zung fremder Texte in einem Umfang                                        die verarbeite. Was als Zitat oder Paro-
                                                   durch die Bundesre-
bis zu 160 Zeichen. Damit wird das Ur-             gierung beschlossen    die gesetzlich zulässig ist, darf deshalb
heberrecht auf den Kopf gestellt. Denn             wurde, durchläuft er   auch in Zukunft auf eine Plattform
wenn eine Nutzung nicht zulässig ist,              nun das parlamenta-    hochgeladen werden. Das gilt natürlich
                                                     rische Verfahren:
weil der Rechteinhaber sie nicht ge-                                      auch für die Nutzung fremder Inhalte
stattet hat oder weil sie nicht aufgrund                26. März
                                                                          im Rahmen einer Meinungsäußerung.
einer gesetzlichen Ausnahmerege-                     Erste Lesung im      Im Übrigen treffen Online-Plattformen
lung, den sog. „Schranken“, erlaubt ist,                Bundestag         schon heute ständig Entscheidungen
dann darf das Gesetz die Zulässigkeit                                     darüber, was den Nutzern in welcher
                                                        26. März
nicht anordnen. Auch nicht, wenn der                                      Form gezeigt wird und was Nutzer
                                                       Bundesrats­
Rechteinhaber die Rechtsfolge dieser                    befassung         hochladen dürfen. Diese Entscheidun-
Anordnung durch seine Intervention                                        gen sind zentraler Bestandteil des Ge-
beseitigen kann. Die Schranken sind                    31. März           schäftsmodells der Plattformen. Schon
europäisches Recht und dürfen von                  Gegenäußerung der      heute bestimmt deshalb die Plattform
                                                    Bundesregierung
den Mitgliedstaaten nicht erweitert                                       anhand ihrer eigenen willkürlichen
werden. Genau das tut die Bundesre-                     12. April         Kriterien und kommerziellen Interes-
gierung hier aber, indem sie Nutzungen              Anhörung Sach-        sen die Grenzen der Freiheiten ihrer
für zulässig erklärt, die die Anforderun-            verständiger im      Nutzer. Die Freiheit der Nutzer von On-
                                                    Rechtsausschuss
gen der gesetzlichen Ausnahmerege-                  des Bundestages       line-Plattformen ist nur die Freiheit, die
lungen offensichtlich nicht erfüllen.                                     die Plattformen ihren Nutzern gewährt
                                                        6. Mai            und nicht die verfassungsrechtlich ga-
Es gibt Stimmen, die behaupten, Zitate,             Zweite und dritte     rantierte Meinungsäußerungsfreiheit.
                                                      Lesung im
Parodien etc. wären neuerdings vergü-                                     Das wird in der Debatte gerne über-
                                                      Bundestag
tungspflichtig bzw. würden durch die                                      sehen. Die Online-Plattformen sind
Plattformen wegen des Gesetzentwur-                      7. Mai           nicht die Gralshüter der freien Mei-
fes stark unterbunden werden müssen,               Erneute Bundesrats-    nungsäußerung.
                                                       befassung
wodurch die freie Meinungsäußerung                                        Wie die Plattformen mit ihren neuen
im Internet ja deutlich eingeschränkt                                     Pflichten in Zukunft umgehen, wird
                                                      Die Richtlinie
würde.                                                muss bis zum        man sehen. Davon, dass die Plattfor-
Ob die Nutzung fremder Inhalte als Zi-                7. Juni 2021        men gesetzlich zulässige Nutzungen
tat oder Parodie usw. erlaubt ist, richtet         in deutsches Recht     unterbinden müssen, kann aber keine
sich nach den gesetzlichen Ausnah-                   umgesetzt sein.      Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall.
mebestimmungen des Urheberrechts.                                         Gesetzlich zulässige Nutzungen frem-
Diese sog. Schranken werden weder                                         der Inhalte müssen möglich bleiben.

POLITIK relevant. 1|2021                                   20
Auch zulässige Zitate – auch wenn sie
den Umfang eines Tweets haben – sind
deshalb nicht von automatischer Sper-
re bedroht. Dies zu gewährleisten, liegt             ZUR PERSON Dr. Ole Jani
in der Verantwortung der Plattformbe-                Dr. Ole Jani ist Rechtsanwalt, Partner bei CMS und Autor
treiber. Sie müssen die Maßnahmen                    zahlreicher Publikationen zu Themen des Urheberrechts. In an-
ergreifen, die dazu erforderlich sind,               erkannten Anwaltsrankings wird er seit vielen Jahren als häufig
                                                     empfohlener Anwalt für Medienrecht geführt. Aufgrund seiner
dass die gesetzlichen Befugnisse ihrer
                                                     langjährigen Erfahrungen als Berater im Deutschen Bundestag
Nutzer gewahrt werden.                               ist er mit der Gesetzgebung im Bereich des Urheberrechts auf
                                                     nationaler und europäischer Ebene sehr vertraut.
Als Beobachter der Debatte der ver-
gangenen Monate könnte man ge-
nerell den Eindruck haben, die neue
Plattformhaftung sei in erster Linie
eine Geißel für die Nutzer. Finden Sie        Der Entwurf der Bundesregierung
dies zutreffend?                              geht ins parlamentarische Verfahren.
Das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Be-      Was ist jetzt wichtig?
treiber von Online-Plattformen ihrer          Die europäische Richtlinie muss bis
künftigen Verantwortung gerecht wer-          zum Sommer in das deutsche Recht
den, dann ist das auch eine Verbesse-         umgesetzt werden. Das Gesetzgebungs-
rung für die Nutzer. Wenn Plattformen         verfahren muss deshalb jetzt zügig
für die von ihren Nutzern hochgelade-         durchgeführt werden. Und der Deutsche
nen Inhalte Lizenzen erwerben, dann           Bundestag muss den Gesetzentwurf so
werden dadurch automatisch auch die           anpassen, dass er den europarechtli-
urheberrechtlich relevanten Handlun-          chen Vorgaben und dem vom europäi-
gen der Nutzer erfasst und legalisiert,       schen Gesetzgeber vorgegebenen Ziel
soweit solche Handlungen nicht bereits        entspricht. In der Vergangenheit ist es
aufgrund einer gesetzlichen Ausnahme-         den Mitgliedern des Bundestags bei
regelung zulässig sind. Die neuen Vor-        urheberrechtlichen Gesetzgebungsvor-
schriften schaffen also auch Rechtssi-        haben oft gelungen, die richtigen Ent-
cherheit für die Nutzer – und zwar ohne       scheidungen zu treffen. Ich bin optimis-
Kosten oder Aufwand für die Nutzer.           tisch, dass das auch hier gelingt. «

   Die Freiheit der Nutzer von Online-­Plattformen ist
nur die Freiheit, die die Plattformen ihren Nutzern
gewährt und nicht die verfassungsrechtlich garan-
tierte Meinungsäußerungsfreiheit.
OLE JANI, RECHTSANWALT UND PARTNER DER KANZLEI CMS

                                                     21                                      relevant. 1|2021 POLITIK
„Eine Allianz der deutschen
Zeitungshäuser für die
Post-Cookie-Ära“
ANWENDUNG Die German Publishers Data Alliance hat großes Potenzial,
einen eigenen, umfassenden Datenpool zu nutzen, der die Medienhäuser
unabhängig und umfassend mit relevanten User-Informationen versorgt.
INTERVIEW VON WOLFRAM A. ZABEL

                           H
                                    err Koopmann, Herr Wilhelm,     Werbung haben wir Fortschritte er-
                                    die Zeitungsverlage haben       zielt. Insgesamt ist es für kleinere und
                                    sich in den letzten Jahren      mittlere Häuser naturgemäß schwieri-
                           stark engagiert, um ihre Kundinnen       ger, in diesem Feld erfolgreich zu sein.
                           und Kunden noch besser kennenzu-         Wichtig erscheint mir, dass wir hoch-
                           lernen – Stichwort Customer Journey.     wertige Werbung anbieten müssen
                           Wie bewerten Sie das Erreichte?          und dem Werbekunden dabei klarma-
                           David Koopmann: Wir haben verschie-      chen, dass er sich in einem attraktiven
                           dene Tools im Einsatz, die teilweise     Umfeld bewegt. Dazu benötigen wir vor
                           auf Daten von Google zurückgreifen.      allem entsprechende Daten – idealer-
                           Speziell bei der Personalisierung von    weise unabhängig von Google.
                           redaktionellen Inhalten, aber auch von
                                                                    Martin Wilhelm: Für uns ist die Custo-
                                                                    mer Journey ein wichtiges Instrument,
                                                                                                               © Foto: Adobe Stock – Kaspars Grinvalds

                                                                    um eine stärkere, engere Beziehung
   Als Regionalverlag ist es unglaub-                               zu unseren Kunden aufzubauen. Es ist
lich aufwendig, die Daten einzusam-                                 aber verhältnismäßig schwierig, Er-
                                                                    fahrungen über die Gewohnheiten und
meln, die es braucht, um erfolgreiche
                                                                    Interessen von Nutzergruppen zu sam-
Paid-Content-Modelle zu entwickeln.                                 meln. Jedenfalls könnten diese Infor-
DAVID KOOPMANN, VORSTAND BREMER TAGESZEITUNGEN AG                   mationen uns sehr dabei helfen, einen

POLITIK relevant. 1|2021                              22
Interview im
                                                                                       Remote-­Modus:
                                                                                       David Koopmann,
Kunden über die digitale Probe hinaus     Inhalten bzw. Produkten zu verbinden         Vorstand Bremer
an unsere Angebote zu binden. Wir         – da können wir noch von Google und          Tageszeitungen AG
verfolgen seit etwa einem Jahr einem      Facebook lernen. Wir haben aber be-          und Martin Wilhelm,
                                                                                       Geschäftsführer Hei-
Audience-basierten Ansatz und fokus-      reits spannende Erfahrungen gemacht
                                                                                       denheimer Zeitung.
sieren uns auf den Sales-Funnel. Da       mit neu eingesetzter Technik, welche
verlieren wir noch zu viele Kunden. Die   Interessen die Leser haben, auf welche
Lernkurve ist da zwar sehr steil, aber    Seiten sie gehen und wie wir ihnen
wir stoßen immer wieder auf techni-       passend dazu die Informationen bie-
sche Hürden, die uns ausbremsen.          ten können, die für sie wichtig sind.
                                          Als Regionalverlag ist es allerdings
Sind Sie zufrieden mit dem Wissen,        unglaublich aufwendig, diese Daten
das Sie aktuell über Ihre Leserinnen      einzusammeln. Und eine zentrale
und Leser besitzen?                       Vor­aussetzung dafür, um erfolgreiche
David Koopmann: Analog verfügen wir       Paid-Content-Modelle entwickeln zu
immer schon über aggregiertes Wis-        können. Deshalb halten wir die Initia-
sen aus unserer Markforschung: Wie        tive einer German Publishers Data Alli-
setzt sich die Leserschaft zusammen,      ance für sehr wertvoll.
welche soziodemographischen Daten
fallen auf. Jetzt und künftig kommt es    Martin Wilhelm: Ein klares Jein. Ich
darauf an, diese Infos mit Echtzeitda-    will das daher so beantworten: Mit
ten zu verknüpfen und mit geeigneten      Blick auf den Wandel in der Branche »

                                                 23                                 relevant. 1|2021 POLITIK
INFO Die Basis der Data Alliance
Eine Vielzahl strukturierter Nutzerdaten fast aller Zeitungshäuser (BDZV) liegen bereits vor.

Nutzung bereits existierender
Daten und Strukturen
der INFOnline

                                                                      3‚5
                                                                                                        Monatlich werden
                                                                                                        zu 123 Millionen
                                                                                                        Nutzern Informa-
                                                                                                        tionen gesammelt

                                                 530
                                                                                                        und zugeordnet.
                Ca.
                               123
             200               Millionen          Millionen
                                                                                                        Es könnten zielge-
                                                                                                        richtet Informatio-
                                                                                                        nen und passende
                                                                                                        Angebote an die

                                                                 Mi                                     Nutzer ausgespielt

                                                                   lliarden                             werden.

                                                                                                                              Datenerhebung: September 2019
        Websites und           Clients            Visits                 Page Impressions
        mobile Angebote        monatlich          monatlich              monatlich

                           »  suchen wir immer nach Möglichkei-                 Apple als wichtige Browserbetreiber
                           ten, wie wir unserer Vision und Mission              schon bald den Datenhahn zudrehen
                           folgen, wie wir unserem redaktionellen               könnten – indem Third Party Cookies
                           Auftrag nachkommen – und diesen                      mit relevanten Infos nicht mehr aus-
                           auch finanzieren können. Für uns als                 gewertet werden können.
                           kleines Medienhaus hätte ein großer                  Martin Wilhelm: Ich sehe das Verhält-
                           Datenpool, in dem auch die gewonne-                  nis zu Google ambivalent. Einerseits
                           nen Erkenntnisse anderer verfügbar                   gibt es Konfliktfelder wie beim Leis-
                           sind, sicherlich enorme Vorteile. Die                tungsschutzrecht oder der marktbe-
                           Erfolge der Washington Post, aber vor                herrschenden Stellung insgesamt,
                           allem der großen IT-Companies zeigen                 andererseits nutzen aber vor allem
                           doch, dass Daten und deren Analyse                   unsere Kunden Google. Zudem arbei-
                           eine wichtige Bedeutung haben.                       ten wir und auch viele Verlage mit
                                                                                Google zusammen. Ich denke, es hilft
                           … und diese Daten liegen ja alle bei                 uns daher nicht, wenn wir uns zu sehr
                           der IVW-Tochter INFOnline vor, sie                   auf andere konzentrieren und mit dem
                           müssten nur nutzbar gemacht wer-                     Finger auf die zeigen. Um das nicht
                           den. Dieses Ziel verfolgt die German                 falsch zu verstehen: Ich glaube, es ist
                           Pub­lishers Data Alliance, auch und                  von zentraler Bedeutung, diese Proble-
                           vor allem deshalb, weil Google und                   me zu lösen, aber wir sollten überlegen,

POLITIK relevant. 1|2021                                      24
ZU DEN PERSONEN
                                                   David Koopmann Seit 1997 bei der Bremer Tageszeitungen AG als
                                                   Führungskraft für verschiedene Verantwortungsbereiche beschäf-
wie wir zudem selber neue Geschäfts-               tigt. Bis 2018 als Prokurist verantwortlich für Marketing, Leser-
modelle aufbauen können, die uns un-               markt und verschiedene Beteiligungen und Kooperationen. Seit
abhängiger machen können.                          Anfang 2019 Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG. Vorsitzender
                                                   des Zeitungsverlegerverbandes Bremen und Mitglied im Präsidium
                                                   des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger.
Wie sehen Sie die Voraussetzungen
dafür?                                             Martin Wilhelm Nach seinem BWL-Studium zog es ihn 2005 als
                                                   Volontär zur Badischen Zeitung. Kurz danach folgte der Wechsel
Martin Wilhelm: Ich erlebe, dass die
                                                   zum Süddeutschen Verlag als Trainee und Sales Manager, dann
Verlage in Deutschland inzwischen                  zur Mittelbayerischen Zeitung als Assistent der Geschäftsleitung.
doch in vielen Bereichen zusammen-                 Seit Ende 2012 ist er Geschäftsführer der Heidenheimer Zeitung.
arbeiten und gemeinsam Produkte
entwickeln. In meiner Anfangszeit in
der Branche war das noch etwas an-
ders – ich erinnere mich da an diesen
Witz: „einigen sich zwei Verleger“. Den     Unabhängigkeit und Vertrauen. Dar-
versteht heute fast keiner mehr – denn      auf können wir aufbauen, indem wir
                                                                                               INFOnline ist
das hat sich total zum Positiven verän-     einen intensiven und unabhängigen                  führender Anbieter
dert und die Bereitschaft zu Koopera­       Umgang mit Daten forcieren und so                  von Digital Audience
tionen ist eine große Chance.               gleichzeitig sicherstellen, dass diese             Measurement in
                                                                                               Deutschland. Das
                                            sensibel und im Sinne des Kunden ge-               Unternehmen ist
David Koopmann: Die Daten sind be-          nutzt werden können.                               zentraler An-
reits vorhanden bei der INFOnline;                                                             sprechpartner der
                                                                                               Online-Branche für
andere Länder diskutieren das auch,         Der Erfolg hängt letztendlich davon ab,
                                                                                               alle Fragen rund um
haben aber gar nicht die Infrastruk-        dass möglichst viele teilnehmen. Wie               die standardisierte
tur wie wir. Jetzt kommt es darauf an,      bewerten Sie das vorhandene Bewusst-               Nutzungsmessung
das Projekt umzusetzen, Daten auszu-        sein beim Thema „Daten als Chance“.                von Websites gemäß
                                                                                               den Vorgaben von
werten und zur Verfügung zu stellen.        David Koopmann: Das Thema ist ganz                 agof und IVW.
Außerdem: Unsere Marken stehen für          klar auf der Fachebene angesiedelt, »              www.infonline.de

  Für uns als kleines Medienhaus hätte
ein großer Datenpool enorme Vorteile.
MARTIN WILHELM, GESCHÄFTSFÜHRER HEIDENHEIMER ZEITUNG

                                                   25                                       relevant. 1|2021 POLITIK
INFO Warum eine Data Alliance?
Digitale Geschäfte basieren auf Daten – je mehr Daten zur
Verfügung stehen, desto erfolgreicher die Geschäftsmodelle.

1   Status quo Als Publisher (Titel A) kennt man die
    Interessen seiner Nutzer nur zu einem kleinen Teil               2   Vorgehen In der Datenbank der GPDA werden
                                                                         Nutzer­daten abgeglichen und angereichert

                                            ?
                                                                                        GPDA
                                                                   Kultur                                      Finanz
                                                                      Sport                               Lokales
                                                                         Kunst                          Politik
  Kultur                                   Finanz
  Sport                                  Lokales
   Kunst                                  Politik

                               ZEITUNG                                                            NGG
                                                                                              ITUUN
                                                                                           ZEIT
                                                                                           ZE
       Titel                             Titel                            Titel                         Titel

        A                            B                                     A                         B
                           »  deshalb wird es darauf ankommen,            arbeit benötigen. Wie ich bereits an Si-
                           besonders die Verlagsgeschäftsführer           gnalen aus der Branche vernehme, ist
                           dafür zu sensibilisieren und den Nut-          die Bereitschaft aber durchaus recht
                           zen für das eigene Haus zu verdeutli-          groß. Schließlich ist eine Teilnahme
                           chen – nämlich auf der Grundlage von           gemessen an den Voraussetzungen
                                                                                                                        © Foto: Freepik.com –  pikisuperstar, Privat

                           umfangreichen Daten neue und vor al-           anderer Länder erschwinglich, die In-
Die Nutzerinteressen       lem verlagsindividuelle Geschäftsmo-           frastruktur ist vorhanden, besonders
werden von einzel-         delle entwickeln zu können. Große Me-          für kleine und mittlere Medienhäuser
nen Publishern nur
zum Teil erkannt. So       dienkonzerne mit deutschlandweiten             ist es attraktiv, an einen solchen Da-
verfügen sie nur über      Beteiligungen könnten argumentie-              tenpool angeschlossen zu werden, und
einige Details – das       ren, dass sie in ihrem Verbund bereits         insgesamt ist es eine enorme Chance
„Big Picture“ seines
                           Daten aggregieren und auswerten und            für die Branche.
Lesers/Users fehlt.
                           deshalb keine zusätzliche Zusammen-

POLITIK relevant. 1|2021                                      26
3   Ergebnis Die GPDA liefert jedem Publisher ein
    nahezu vollständiges „Big Picture“ seiner Nutzer

            Kultur            Finanz                             werden, sind die vorhandene Struktur
                                                                 und die geringen Kosten ein großer
                                                                 Vorteil.
        Sport                   Lokales
                                                                 Was sagen Sie einer Kollegin, einem Kol-
    Kunst                              Politik                   legen, warum man bei der German Pub-
                                                                 lishers Data Alliance mitmachen sollte?
                                                                 David Koopmann: Ein guter Einstieg
                                                                 wäre: Wir wollen doch unsere Daten
                                                                 selbst in die Hand nehmen, wir wollen
                                                                 die Abhängigkeit von großen digitalen
                           ZEITUNG
                                                                 Playern reduzieren, wir haben mit der
        Titel                         Titel                      INFOnline bereits einen großen Da-

          A                          B                           tenpool und wir können mit diesen
                                                                 personenbezogenen, anonymisierten
                                                                 Daten neue Paid-Content-Modelle ent-
                                                                 wickeln.

                                                                 Martin Wilhelm: Daten sind das Gold
                       Martin Wilhelm: Sicherlich ist das The-   der Zukunft. Wir sollten da offen sein,
                       ma recht komplex und für den einen        von den internationalen digitalen
                       oder anderen eher weiter weg vom Ta-      Playern zu lernen: Daten sammeln,
                       gesgeschäft. Die Frage nach der Um-       analysieren und auf ihrer Basis neue
                       setzung, den Schnittstellen und der       Geschäftsmodelle entwickeln und be-
                       Zugang zum Datenpool – all das sind       stehende ausbauen. Wenn wir alleine
Das Interview          keine leichten Themen und müssen          die zahlreichen digitalen Paywalls der
führte Wolfram A.      gut erarbeitet und klar kommuniziert      Verlage anschauen – mit analysier-
Zabel, Journalist      werden. Am Ende steht dann in den         ten Daten wären da deutlich flexiblere
und Kommunika­
tionsberater, Inha-    meisten Häusern die Frage des Ge-         Abo-Modelle eine schöne Sache. Und
ber 74z Consult.       schäftsführers, was man für das eige-     so auch loyalere Leser.
                       ne Haus daraus machen kann. Wenn
                       hier die richtigen Antworten gefunden     Vielen Dank für das Gespräch! «

                                                       27                           relevant. 1|2021 POLITIK
DRIVE
Wenn Nutzerfokus auf Data Science trifft, dann hat das …

MEINUNG Ein Angebot nach eigenem Gusto – das wünschen sich Leser.
Viele Verlage möchten das auch bieten. Aber dafür müssen sie zunächst
verstehen lernen, was genau die Bedürfnisse ihrer Kunden sind. Mit der
Initiative DRIVE gehen sie gemeinsam einen vielversprechenden Weg.
VON ANDREA GOURD

                         20.08           Uhr am Sonntagabend
                                         – Deutschland macht
                         es sich auf der Couch für den Tatort
                                                                          anderen Tag und zu keiner anderen
                                                                          Uhrzeit verzeichnen sie mehr Zugriffe.
                                                                          Die User kommen mit mobilen End-
                         bequem? Höchstens die älteren Tradi-             geräten, bleiben aber nicht besonders
                         tionalisten. Wer jünger ist, greift zum          lang. Nach ein bis zwei Artikeln sind
                         Smartphone und scannt die News des               die meisten schon wieder weg.
                         Tages. Am Sonntag kurz nach 20 Uhr               Das zu ändern, ist eines der Ziele von
                         ist die absolute Primetime für Deutsch-          DRIVE. Die Digital Revenue Initiati-
                         lands Zeitungswebsites. An keinem                ve liefert nicht nur solche Daten. Sie
                                                                          möchte den Verlagen damit die digitale
                                                                          Zukunft sichern. Eine ihrer Erkenntnis-
                                                                          se: Die Zeit, die jemand auf einem Portal
                                                                          verbringt, ist einer der stärksten Indika-
                                                                          toren dafür, ob er diesem Angebot auch
INFO Was ist die Initiative DRIVE?                                        treu bleibt. Zum loyalen Nutzer, gar zum
                                                                          zahlenden Abonnenten wird. Und das
DRIVE ist die „Digital Revenue Initiative“, in der
seit 2020 die Unternehmensberatung Schickler,                             höchste aller Ziele: Es auch bleibt. Denn
die Deutsche Presse-Agentur und aktuell acht                              der Aufbau von stabilen Abo-Beziehun-
Regionalverlage zusammenarbeiten. Ihr Ziel: Nut-                          gen im Digitalen ist eine Überlebens-
zern mit datengetriebener Personalisierung ein optimales Inhalteangebot
liefern und so schneller zu nachhaltigen Digitalerlösen kommen. 2021      frage für Medienhäuser. Nutzungszeit,
soll die Initiative auf 15 Verlage anwachsen.                             im Forschersprech „Media Time“, ist die

MARKT relevant. 1|2021                                     28
Zauberformel für loyale Kundenbezie-       Das Medienhaus
hungen. Davon ist Rolf-Dieter Lafrenz,     Aachen, die Medien-
                                           gruppe Aschendorff
Geschäftsführer der Unternehmensbe-        (Münster), die
ratung Schickler und einer der Ideenge-    Badische Zeitung
ber von DRIVE, überzeugt. „Mehr Media      (Freiburg) und der
Time = mehr digitale Erlöse ist die ein-
                                           Mittelbayerische        ABO
                                           Verlag (Regensburg)
fache Formel für die Zukunft des digita-   waren von Beginn an
len Abogeschäfts.“                         von der dpa/Schick-
                                           ler-Idee zu DRIVE be-
                                           geistert. Inzwischen
Ein Weckruf geht                           sind Lensing Media
durch Deutschland                          aus Dortmund, Die
Dass das wissenschaftlich gut begrün-      Rheinpfalz aus Lud-
                                           wigshafen, die Ulmer
det und weit weg ist von Zauberformeln     NPG Digital und die
oder Bauchgefühl, dafür steht die Initi-   Ostfriesen-Zeitung
ative DRIVE Pate. Auf den Weg gebracht     ebenfalls an Bord.
haben das Projekt dpa und Schickler
im Sommer 2020. Die ersten vier regio­
nalen Medienhäuser waren vom Start
weg an Bord. Inzwischen sind es acht,
und weiterer Zuwachs ist willkommen.
Ausgangslage war einerseits die Er-
kenntnis, dass es wirtschaftlichen Er-
folg im digitalen Journalismus nur mit
einer ausreichenden Zahl an Abonnen-
ten geben kann. Und zum anderen die
Einsicht, dass Leser nur dann für ein
Angebot bezahlen, wenn es ihrem Be-
darf entspricht. Aber wann tut es das?
Einen „Weckruf für die Branche“ nennt
es Meinolf Ellers, Chief Digital Of-
ficer bei der Deutschen Presse-Agen-
tur (dpa), als 2017 vom norwegischen
Schibsted-Konzern die revolutionäre
Erkenntnis nach Deutschland herüber-
schwappte: Nicht alle User sind gleich.
Eigentlich eine banale Einsicht. Aber
doch bahnbrechend für einen neuen
Umgang mit Leserinnen und Lesern.
Ihre Interessen sind so unterschied-
lich wie ihre Lesegewohnheiten. Dem
müssen die Angebote Rechnung »

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