Schulblatt Basler - ROUTINE : FLUCH UND SEGEN - eduBS
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Nr. 2, Mai 2021 Basler Schulblatt ROUTINE : FLUCH UND SEGEN 10 000 LEGO-TEILE – EINE STADT RÜCKBLICK AUF EINE UNGEWÖHNLICHE GEKO
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 EDit INHALT SCHWERPUNKT 4 ROUTINE : FLUCH UND SEGEN 6 « S ICH SELBER FORDERN, ABER NICHT ÜBERFORDERN ! » INTERVIEW MIT DORIS KUNZ HEIM VON DER PH FHNW 8 JEDEN TAG DIESELBE LEIER ? MITNICHTEN STATEMENTS VON DREI SCHULLEITUNGEN 10 « I N WELCHEM BERUF HAT MAN SO VIELE FREIHEITEN ? » VIER ERFAHRENE LEHRPERSONEN BERICHTEN, WAS IHNEN ROUTINE BRINGT 16 « ROUTINE GIBT RAUM FÜR KREATIVITÄT UND NEUES » BEOBACHTUNGEN DES TEAMS DER BERATUNGSSTELLE PZ.BS 17 MERKSÄTZE, WIE MAN DER ROUTINEFALLE ENTGEHEN KANN EDIT 3 Guten Tag 24 « Wir planen keine weitere Schulreform » Interview mit Conradin Cramer zur Totalrevision der Bildungsgesetzgebung 26 Mittelschulen haben sich am Dreitageblock zur Digitalisierung vernetzt 28 10 000 Lego-Teile – eine Stadt Das Projekt « Wir bauen unsere Stadt » des PS-Standorts Isaak Iselin 31 Wer unterrichtet hier ? Ein Schüler rät 32 Recht schulisch 33 Wer unterrichtet hier ? Die Auflösung ! 34 Der Weg eines Prinzen zur Erleuchtung Eine Klasse der Primarschule Neubad zu Besuch im Museum der Kulturen 36 Wir vom … Theodor 38 Ein Jahr unterwegs … mit den Testklassen Digitalisierung 40 Gute Erfolgschancen für Lehrstellensuchende KANTONALE SCHULKONFERENZ 42 Digitales Neuland Ein Rückblick auf die ungewöhnliche Online-GeKo 2021 FREIWILLIGE SCHULSYNODE 45 FSS-Standpunkt zum Thema : Langeweile, Routine, Motivation 46 Ein Jahr Schule mit Corona Rückblick auf so manches, womit die FSS von Anfang an richtig lag 48 Bericht aus dem Grossen Rat 49 FSS-Mitteilungen und Agenda FSS-Pensionierte PZ.BS 50 Rassismus im Unterrichtsmaterial : Was können Lehrpersonen tun ? 53 Zwei Buchtipps EDIT 54 Porträts der Gestalter des Schwerpunktes und der Bildstrecke 55 Impressum 2
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 EDit GUTEN TAG « JACK BAUER KANN Ich kann mich noch sehr gut an mein erstes Online-Meeting erinnern. Es war ein VIELLEICHT IN Sonntagnachmittag im Jahr 2007 und ich lag etwas vergammelt im Pyjama auf ‹ 24 › ONLINE DIE WELT meinem Sofa. Das Pyjama lässt sich dadurch rechtfertigen, dass ich selbst nicht RETTEN, ABER EIN aktiver Teil des Meetings war, sondern Jack Bauer aus der Serie « 24 » beobachte- SUBTILES ELTERN- te, wie er hollywoodreif mit dem US-Präsidenten via Bildschirm und in Echtzeit GESPRÄCH SCHAFFT kommunizierte. « Ha, Zukunftsmusik », dachte ich mir kurz. Verwarf den Gedan- ER NICHT. » ken aber sogleich wieder, weil die Realität dann wohl eher verwackelte Bilder und nicht funktionierende Mikrofone bedeutet hätte. 14 Jahre später sieht alles etwas anders aus. Die verwackelten Bilder sind ge- blieben, die diversen Mikro-Unfälle auch – aber online hat sich durchgesetzt. Wir stellen fest : Die neue Technik ist genial, wenn man sie richtig nutzt. Anders als via Telefon kann man kurz den Bildschirm teilen, um etwas bildlich darzustel- len. Oder dann fand im Lockdown kollegialer Austausch statt, der ansonsten gar nicht mehr möglich gewesen wäre. Das Jahr 2021 zeigt aber auch, was Online-Meetings nicht ersetzen können : Die feinen Zwischentöne und die Gestik eines komplizierten Elterngesprächs bei- spielsweise. Oder eine hitzige Diskussion mit mehreren Personen – online abso- luter Horror, wenn nicht alle die gleich gute Verbindung haben. Überhaupt, das Miteinander. Es hat nicht die gleiche Qualität, wenn wir unsere Kolleginnen und Kollegen ständig nur auf dem Bildschirm sehen können. Wir alle arbeiten täglich dafür, die dritte Welle in Schach zu halten, und wis- sen um die Notwendigkeit der Massnahmen ( Stand bei Redaktionsschluss Mitte April ). Aber gegen Corona-Müdigkeit hilft kein noch so ausgefeiltes technisches Wundermittel. Ich persönlich werde sicher auch nach der Krise Online-Meetings für gewisse Situationen nutzen. Aber ich freue mich schon jetzt darauf, beim traditionellen Feierabendbier in der Tagesstruktur Drei Linden den dortigen Leiter in einer Par- tie Darts vernichtend zu schlagen. Simon Thiriet, Leiter Kommunikation 3
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt ROUTINE : FLUCH UND SEGEN Seit vielen Jahren im Lehrberuf. Seit Jahrzehnten vielleicht. Da ist manches Routine geworden, wiederholt sich alle Jahre oder zumin- dest mit jeder neuen Klasse. Man kennt die Abläufe, hat einen Riesen- fundus an Materialien, lässt sich nicht mehr so schnell aus der Ruhe bringen, kann routinemässig vieles aus dem Ärmel schütteln, Routine – ist das nun gut oder nicht ? Klingt nach Langeweile, Trott, Hamster- rad, ausgetretenen Pfaden, Repetition. Anderseits : Von wem möchten Sie lieber ( wenn überhaupt ) eine Wurzelbehandlung durchführen las- sen ? Von der langjährig erfahrenen Zahnchirurgin an der Uniklinik oder dem Studenten im zweiten Semester ? Oder wie fühlen Sie sich bei der munteren Durchsage des Piloten, dass er in Kürze zum allerersten Mal den Flughafen Funchal anpeilen wird, einen der gefährlichsten Flughäfen der Welt ? Eben. Routine bedeutet Erfahrung, Kompetenz, meist auch Qualität, und sie lässt einen die Dinge gelassener einordnen. Das bestätigen alle ge- standenen Lehrpersonen, die für das Schulblatt auf ihre langjährige Lehrtätigkeit zurückblicken. Langweilig ist es in all den Jahren keiner geworden. Dafür sorgten zahlreiche Reformen, die stete Veränderung gesellschaftlicher Ansprüche – und zuletzt leider ein winziges Virus. Es hat erreicht, dass Unterricht von einem Tag auf den anderen neu gedacht werden musste. Dass manche den Sprung in die digitale Welt unfreiwillig abrupt vollziehen mussten. Und dass man auch nach dem kompletten Lockdown vor Jahresfrist nie wusste, ob die Schulen neu- erlich geschlossen würden oder wie der momentane Stand ist punkto Maskenpflicht, erlaubter Gruppengrösse, Quarantäneregelung, Risi- kogruppen … Langeweile war in den letzten Monaten also kaum das Thema. Und Routine ? Im Fernunterricht und danach zeigte sich, dass Routine kein Privileg der älteren Generation ist. Punkto Bedienung digitaler Geräte, Tools, digitalen Unterrichts und digitaler Treffen auf allen möglichen Plattformen sind junge Lehrpersonen in der Regel routinierter, wäh- rend es dort mit der Gelassenheit gestandener Lehrerinnen und Leh- rer diesbezüglich oft vorbei ist. Routine ist also relativ. Meist nützlich, zuweilen gefährlich, aber besser als ihr Ruf ! Yvonne Reck Schöni 4
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt ROUTINE IST NÜTZLICH, DENN SIE … + GIBT SICHERHEIT + SCHAFFT STRUKTUR + ERLEICHTERT DIE ORGANISATION + SPART ZEIT UND ENERGIE + VERMITTELT RUHE UND GELASSENHEIT + ERLEICHTERT DAS EINORDNEN + GARANTIERT QUALITÄT + SCHAFFT VERTRAUEN + VERMINDERT STRESS + BEDEUTET KOMPETENZ + VEREINFACHT ENTSCHEIDUNGEN ROUTINE IST GEFÄHRLICH, DENN SIE … – FÜHRT ZU LANGEWEILE – MACHT ABLÄUFE VORHERSEHBAR – BEHINDERT FLEXIBILITÄT – VERHINDERT KREATIVITÄT – VERMINDERT ACHTSAMKEIT – FÜHRT ZU FAHRLÄSSIGKEIT – MACHT BETRIEBSBLIND – VERLEITET ZU TRÄGHEIT – HEMMT DAS ENGAGEMENT – BEHINDERT WEITERENTWICKLUNG – BEDEUTET STILLSTAND 5
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt « SICH SELBER FORDERN, ABER NICHT ÜBERFORDERN ! » DORIS KUNZ HEIM VON DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE FHNW ZUR BALANCE ZWISCHEN ROUTINE UND ERNEUERUNG Interview Yvonne Reck Schöni Bereits nach wenigen Berufsjahren drohe Lehrpersonen eine Routinefalle, sagt Doris Heim, die als Professorin für pädagogische Psychologie und allgemeine Didaktik an der PH FHNW unterrichtet. Das Basler Schul- blatt hat sie gefragt, wie sie dieser entgehen und die Freude am Beruf erhalten können. Basler Schulblatt : Bei frisch ausgebildeten Lehrpersonen ist fehlende Routine ein Manko. Gestandenen Lehrpersonen droht die Routinefalle. Ist Routine nun eine Qualität oder eine Gefahr ? Doris Kunz Heim : Routine ist beides. Sie hat rungen und eignen sich eine Praxis an, die für Vor- und Nachteile. Routine wirkt bei Lehrper- sie funktioniert. Ab diesem Zeitpunkt ist es ei- sonen jeden Alters entlastend, weil Handlungs- ne anspruchsvolle Aufgabe, die Balance zwi- abläufe dadurch automatisiert sind und ohne schen Routine und Erneuerung so zu halten, viel Nachdenken ausgeführt werden können. dass auch die Freude am Beruf bestehen bleibt Frisch ausgebildete Lehrpersonen müssen vor und die Lehrperson eine hohe Meisterschaft jeder Handlung oder Anweisung eine Entschei- erreichen kann. Lehrpersonen, die sich inner- dung treffen. Zum Beispiel : Welche Materiali- halb des Berufs erneuern möchten, müssen in- en dürfen die Schüler selbst holen und welche trinsisch motiviert und bis zu einem gewissen nicht ? Durch die zunehmende Routine fallen Grad ihr eigener Lerncoach sein. Die Balance diese Überlegungen weg und die Lehrperso- zwischen Routine und Erneuerung zu halten nen können ihre Aufmerksamkeit auf andere gelingt dann, wenn sich Lehrpersonen bei ih- Aspekte im Unterricht fokussieren, etwa auf rer Weiterentwicklung selbst fordern, aber nicht das Beobachten von Schülerinnen und Schü- überfordern. Ein taugliches Vorgehen scheint lern. Routine wird dann zur Gefahr, wenn Lehr- mir, wenn sie eine Jahresplanung für ihre Wei- personen Vorgehensweisen im Unterricht und terentwicklung machen. Dazu gehört, dass sie im Umgang mit den Schülerinnen und Schü- sich notieren, in welchem Bereich sie sich im lern beibehalten, die diesen nicht mehr gerecht folgenden Schuljahr weiterentwickeln wollen, werden, etwa dem fragend-entwickelnden Un- was sie hierfür im Unterricht konkret unter- terrichtsgespräch, dem nur die wenigsten folgen nehmen und welche Weiterbildung sie diesbe- können. Zu viel Routine kann bei Lehrperso- züglich besuchen werden. nen auch zu Langeweile führen, quasi zu einem « bore-out ». Lehrpersonen sind also gefordert, Der Lehrplan gibt den Schulstoff vor. Für jede in jeder Berufsphase eine gute Balance zwi- Stufe. Alle Jahre wieder. Welche Möglichkeiten schen Routine und Erneuerungen zu halten. haben denn Lehrpersonen, sich innerhalb der Vorgaben weiterzuentwickeln ? Was kann eine Lehrperson tun, um mit Der Lehrplan ist zwar fix vorgegeben, die Lehr- zunehmender Erfahrung nicht in die Routine- personen haben aber trotzdem noch sehr viel falle zu geraten ? Gestaltungsfreiraum. Dies sehe ich als grossen Die Routinefalle droht bereits ab dem vierten Vorteil des Lehrberufs. In Bezug auf den Un- bis fünften Berufsjahr. Bis dahin lernen junge terricht gibt es zahlreiche Möglichkeiten sich Lehrpersonen kontinuierlich aus ihren Erfah- weiterzuentwickeln. Beispielsweise kann eine 6
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt Lehrperson daran arbeiten, zunehmend diffe- mir der Zusammenhang zwischen Innovation renzierende Lernumgebungen für die Schüle- und Lebensalter nicht zwingend. Nicht alle jun- rinnen und Schüler zu gestalten und zu erpro- gen Lehrpersonen sind innovativ und viele äl- ben, die kompetenzorientierte Beurteilung zu tere Lehrpersonen erhalten sich ihre Meister- vertiefen, das Lerncoaching zu verbessern, ver- schaft durch kontinuierliche Innovation auf mehrt digitale Lernangebote in den Unterricht beeindruckende Weise. Was den Wissensaus- integrieren etc. Zu diesem Zweck bietet das Pä- tausch betrifft, ist zum einen die Arbeit in den dagogische Zentrum PZ.BS zahlreiche Weiter- Pädagogischen Teams dazu prädestiniert, die- bildungsmöglichkeiten an. Besonders anregend sen zu gewährleisten. Voraussetzung ist, dass scheint mir die persönliche Weiterentwicklung, sich die jungen Lehrpersonen mit ihren Ideen wenn Lehrpersonen in gut funktionierenden einbringen und die erfahrenen offen genug sind, Pädagogischen Teams zusammen an der Un- sich auf Neuerungen einzulassen, auch wenn terrichts- und Schulentwicklung arbeiten. diese auf den ersten Blick einen Mehraufwand mit sich bringen könnten oder der Erfolg nicht Die Laufbahnmöglichkeiten innerhalb des unmittelbar auf der Hand zu liegen scheint. Lehrberufs sind beschränkt bis inexistent. Fehlende Aufstiegsmöglichkeiten fördern aber Was kann eine Schulleitung konkret tun, kaum die Motivation … um bei den älteren Lehrpersonen Motivation Es kommt darauf an, was man unter Laufbahn und Leistungsfähigkeit zu erhalten ? versteht. Zum einen kann man darin den beruf- Eine wichtige Möglichkeit bietet das Mitarbei- lichen Aufstieg in Positionen mit mehr Verant- tergespräch ( M AG ), vorausgesetzt, die Schul- wortung und besserem Gehalt verstehen. Zum leitungen haben genügend zeitliche Ressour- anderen eine kontinuierliche Verbesserung der cen dafür. Im MAG können sich Schulleitende beruflichen Kompetenzen, bis hin zur Meister- nach der beruflichen Situation der Lehrper- schaft, wie oben beschrieben. In Bezug auf den son erkundigen und diese besprechen. Sie ha- beruflichen Aufstieg ist es auch in der Privat- ben zudem die Möglichkeit, der Lehrperson ih- wirtschaft so, dass man sich für eine höhere Po- re Wertschätzung entgegenzubringen, was ein sition entsprechend weiterbilden muss. Da se- wichtiger Motivator für jede Weiterentwicklung he ich keinen Unterschied zum Lehrberuf. Das ist. Falls die berufliche Situation für die Lehr- Pädagogische Zentrum PZ.BS und die Pädago- person sehr belastend ist, können sie mit ihr gischen Hochschulen bieten inzwischen zahl- mögliche Lösungen besprechen. Was die Moti- reiche Möglichkeiten an, sich mit dem Ziel des vation und Leistungsfähigkeit betrifft, können beruflichen Aufstiegs weiterzubilden, zum Bei- Schulleitende mit der Lehrperson zum Beispiel spiel die Zusatzqualifikationen zum Heilpäda- deren Jahresplanung für die berufliche Weiter- gogen oder zur Schulleiterin oder die Möglich- entwicklung besprechen und vereinbaren, dass keit, nach dem Bachelor ein Masterstudium zu die Lehrpersonen beim nächsten MAG über ih- absolvieren. Mit einem Master für die Sekun- re diesbezüglichen Aktivitäten und Erfahrun- darstufe I lässt sich anschliessend ein Dokto- gen Bericht erstatten. Dadurch entsteht eine ratsstudium machen. Es gibt auch Weiterbil- höhere Verbindlichkeit für die Weiterentwick- dungen, die im Sinne einer Nachqualifikation lungsvorhaben der Lehrpersonen. Selbstver- zu Spezialfunktionen führen, sei es in Medien ständlich können Schulleitende diese Entwick- & Informatik, Führen von Klassenteams oder lungsvorhaben nicht nur mit einzelnen Lehr- auch die Führung von Steuergruppen, Fach- personen, sondern auch mit Pädagogischen gruppen etc. Diesbezüglich sind in den letz- Teams vereinbaren. ten 15 Jahren viele neue Angebote entstanden, die vielfältige Weiterentwicklungsmöglichkei- Gibt es spezifische Weiterbildungen für die ten erlauben. Berufsabschlussphase ? Mir sind aktuell keine spezifischen Weiterbil- Die Privatwirtschaft kennt Massnahmen zur dungen für diese Phase des Lehrberufs bekannt. Personalentwicklung respektive fördert den Um den Übergang aktiv zu gestalten, können Wissensaustausch zwischen jungen innovativen Coachings sehr unterstützend sein. In Basel et- und erfahrenen älteren Mitarbeitern gezielt. wa mit den Mitarbeitenden der Beratungsstel- Wie ist das an den Schulen ? le PZ.BS. Zudem bietet der Kanton Basel-Stadt Was den Wissensaustausch zwischen jungen ja allen Mitarbeitenden einen Pensionierungs- und erfahrenen Mitarbeitenden angeht, scheint kurs an. 7
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt JEDEN TAG DIESELBE LEIER ? MITNICHTEN Wenn du jedes Jahr Mitte August neue Klassen empfängst, wenn du über Jahre im Kollegium identische Probleme wälzt und gefühlte Millionen Male dieselben Elternfragen beantwortest … dann schläft dir doch irgendwann das Gesicht ein, oder ? Mit dieser These hat das Schulblatt drei langjäh- rige Schulleitungen konfrontiert Und gestandene Lehrpersonen fragten wir : Wenn man zum x-ten Mal den Satz des Pythagoras, die Alten Römer oder die Wortarten vermittelt – wie spannend ist das ? Hilft Routine oder ist sie eher hinderlich ? Auf den folgenden Seiten blicken Lehrperso- nen verschiedener Stufen auf ihre Schulkarriere zurück. « NUR WENIGES « AUF BEWÄHRTES IST ROUTINE » NICHT VERZICHTEN » Eugen Krieger, seit 24 Jahren Pädagoge, Beatrice Regli, seit 39 Jahren Pädagogin, davon 14 Jahre Rektor am Gymnasium davon 9 Jahre als Schulleitung Münsterplatz an der Primarstufe Theodor « Ja, es gibt Routine in meinem Job und ich « K lar, im Schulalltag gibt es einen Rahmen, der geniesse das. Denn Routine macht nur ei- jedes Jahr ähnlich ist. Langweilig ist dieser Rah- nen klitzekleinen Teil meines Alltags aus. Der men aber nicht, denn man kann als Schullei- Rest gestaltet sich dadurch, dass ich mit ext- tung gut mitsteuern, was sich ändern soll. Es rem unterschiedlichen Menschen zu tun ha- gibt Dinge, die sich in all den Jahren bewährt be : Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler, haben, darauf möchte ich nicht verzichten. Wir Eltern oder der Hauswart – alle sind wichtig begrüssen zum Beispiel jedes Jahr bereits im für den Betrieb und alle haben unterschiedli- Juni die neuen Lehrpersonen an einem Nach- che Bedürfnisse. Da kann dir gar nicht langwei- mittag, zeigen ihnen das Schulhaus und beant- lig werden. Um in der jetzigen Situation nicht worten erste Fragen. Auf der anderen Seite ha- ‹ abzuschalten › betrachte ich das Glas immer ben wir am Anfang nach dem Schulstart Eltern- als halb voll und nicht halb leer. Wir dürfen an abende in den 1. Klassen gemacht, an denen viel den Mittelschulen noch immer Präsenzunter- zu viele Informationen auf die Eltern eingepras- richt durchführen. Das finde ich einen giganti- selt sind. Diese Abende haben wir abgeschafft schen Aufsteller. Und – im Gegensatz zur Pri- und die Informationen auf zwei Anlässe verteilt. vatwirtschaft – dürfen wir in einem sicheren Während Corona konnte ich mich immer wie- Job arbeiten, das geht manchmal etwas unter. » der auf Routine verlassen. Ich kenne zum Bei- spiel manche Kolleginnen und Kollegen schon seit Jahrzehnten. Dies half mir einschätzen zu können, welche Bedürfnisse die Lehrpersonen in dieser komplizierten Zeit haben. Zu Beginn versuchte ich Informationen zum Beispiel zu bündeln und nicht täglich Updates an unser Kollegium zu verschicken. Die Gespräche un- tereinander zeigten jedoch, dass man in dieser Zeit lieber zu viel als zu wenig Information will. Deshalb haben wir während des Lockdowns hier Anpassungen vorgenommen. » 8
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt « ROUTINE NIMMT AUCH DRUCK WEG » Götz Arlt, seit 22 Jahren Pädagoge, davon 9 Jahre als Schulleitung an der Sekundarstufe Sandgruben. « In jedem Beruf gibt es Fixpunkte, die sich nicht völlig verändern, auch in der Schullei- tung. Trotzdem wird dir nie langweilig. Zwar meine ich frühmorgens jeweils zu wissen, was der Tag bringen wird, werde dann aber immer wieder aufs Neue von allen möglichen Anfra- gen, Bitten um Support etc. überrascht. Aus die- sem Grund pflege ich meine Routinemomente im Alltag, damit ich nicht zu sehr fremdgesteu- ert werde. Dazu gehören das Abarbeiten von E-Mails am Morgen früh und das Arbeiten an Pendenzen gegen Abend, wenn es im Haus ru- hig wird. Unsere zwei wöchentlichen Sitzungs- termine in der Schulleitung sind uns ebenfalls heilig. Rückblickend teile ich die Corona-Krise in zwei Phasen ein. Zu Beginn warfen wir alle Alltagsroutine über Bord, kommunizierten täg- lich und reagierten spontan auf die Herausfor- derungen. Dann merkten wir, dass wir Gefahr liefen, in eine ‹ A ktionitis › abzudriften. Deshalb pflegten wir Routine wieder stärker, schrieben erneut wöchentliche Schulinfos statt tägliche Mails, machten mit dem Personal Sitzungen am Donnerstagnachmittag, statt uns ständig via Teams auszutauschen. Dies nahm Druck von allen Beteiligten und wir merkten : Es ent- lastet, wenn man nicht alles sofort macht, son- dern priorisiert. » Aufgezeichnet von Simon Thiriet 9
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt « IN WELCHEM BERUF HAT MAN SO VIELE FREIHEITEN ? » FELIX ALBRECHT, KLASSENLEHRER AN DER SEKUNDARSCHULE DE WETTE « Ob es mir je langweilig geworden ist, jahrzehn- mehr. Heute würden sich Eltern und Gesellschaft telang zu unterrichten ? Lustig, diese Frage hab beschweren. Zu Recht ! ich mir eigentlich noch gar nie gestellt. Aber nein, Es hilft mir, dass ich seit bald drei Jahrzehnten erstaunlicherweise nicht ! Ich gebe seit 40 Jahren mit Computern arbeite. Dadurch konnte ich mich, Schule, die letzten 30 Jahre als Klassenlehrer, zur- auch dank der Hilfe junger Lehrpersonen im Kol- zeit in einem A-Zug, und unterrichte mittlerwei- legium, zum Beispiel während des Lockdowns vor le die meisten Fächer selber. Studiert hatte ich ur- einem Jahr, sehr schnell in die Plattform ‹ Teams › sprünglich Sport, Englisch und Geschichte. Später einarbeiten. Der Lockdown war trotzdem schwie- kam Deutsch hinzu. In die anderen Fächer habe rig, ganz besonders für die Schülerinnen und Schü- ich mich dann selbständig eingearbeitet – auch ler im A-Zug. Die sind zwar dauernd am Handy, mit Hilfe von Kolleginnen und Kollegen. Es ist aber mit dem Arbeiten am Computer oder Laptop ein Riesenvorteil, wenn man als Lehrperson in sind viele trotzdem überfordert. Zu jener Zeit ha- einem A-Zug möglichst viele Fächer unterrichtet. be ich manchmal sieben, acht Stunden täglich am Das stärkt den Zusammenhalt und das gegensei- Computer verbracht, manchmal eine Stunde oder tige Vertrauen. A-Zug-Schülerinnen und -Schüler länger mit demselben Schüler, bis er begriffen hat, sind oft überfordert, wenn sie viele verschiedene was er wie machen muss. Trotzdem möchte ich die Lehrpersonen mit unterschiedlichen Charakteren Erfahrung nicht missen. ‹ Teams › ist jetzt alltäglich und Ansprüchen haben. geworden, ich lade das meiste Unterrichtsmaterial Es ist eine Challenge, so viele Fächer zu un- wie Arbeits- oder Textblätter dort hoch. Käme es terrichten, aber es macht auch unheimlich Spass. zu einem erneuten Lockdown, was ich nicht hoffe, Ich versuche immer und in allen Fächern, einen wäre meine jetzige Klasse gut gerüstet. Bezug zum Alltag zu finden. Das ist in einem A- Zug zwingend. In Geschichte zum Beispiel haben UNGEBROCHENE LEIDENSCHAFT viele meiner Schülerinnen und Schüler nicht das Dank meiner Leidenschaft fürs Unterrichten und geringste Vorwissen und auch keine Affinität für des Umstands, dass ich so viele Fächer unterrichte, Vergangenes. Das macht es schwierig, denn alles, wird es mir nie langweilig. Ich bin ein Philanthrop. was heute passiert, baut ja auf Vorkommnissen in Und ich finde dieses Alter toll ! Vielleicht auch des- der Vergangenheit auf. In Fächern wie Englisch wegen, weil ich mich selber gern an meine Jugend und Französisch haben dafür die ‹ native speakers › erinnere und in dieser Zeit sehr gute Lehrer gehabt mehr Vorwissen als ich, da kann ich sie dann gut habe. Ich habe ja immer wieder neue Klassen, de- als meine Assistenten einsetzen. nen ich meine Unterrichtsthemen jeweils anpasse. Natürlich gibt es den Lehrplan, aber der gibt nur WENIGER STRESS DANK ROUTINE etwa die Hälfte des Lernstoffs vor. Für den Rest Meine Routine kommt mir insofern zugute, als ich bin ich frei. Oder nehme mir diese Freiheit ein- mich in schwierigen Situationen kaum mehr stres- fach ! In welchem Beruf hat man so viele Freihei- sen lasse. Ich kann Dinge aufgrund meiner Erfah- ten ? Ich sage immer : Ich habe keinen Beruf, ich rung besser einordnen und auch mal junge Kol- habe ein Privileg ! » leginnen und Kollegen beruhigen, wenn wir mit immer neuen Anforderungen und Aufträgen von Aufgezeichnet von Yvonne Reck Schöni ganz oben an unsere Grenzen stossen. Ein Vorteil ist auch, dass ich, wenn ich mal besonders viel am Hals habe, für die Unterrichtsvorbereitung auf frü- her Erarbeitetes zurückgreifen kann. Weil ich alles im Computer gespeichert habe, kann ich schnell Inhalte abrufen und an die momentane Klasse und Situation anpassen. Ich bin keiner, der alle drei Jahre ‹ d ie immer gleiche Schublade räumt ›, wie man so sagt. Das gibt es heute eigentlich gar nicht 10
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Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt « WER SEINEN JOB ERNST NIMMT, DEM WIRD NICHT SO SCHNELL LANGWEILIG » ALBERT M. DEBRUNNER, LEHRER FÜR DEUTSCH UND ENGLISCH AM GYMNASIUM BÄUMLIHOF « Für mich war schon früh klar, dass ich später ein- verschafft auch mir einen ganz neuen Zugang zu mal Gymnasiallehrer werden wollte. Ich habe des- dem Buch, das ich schon mehrmals im Unterricht halb auch bereits eine Woche nach der Matur mit behandelt habe. dem Studium in Deutsch, Englisch und Philoso- Mit zunehmender Routine merkt man, dass phie begonnen. Damals hätte ich mir aber nicht es entscheidend ist, wie man etwas im Unterricht träumen lassen, dass ich erst mit 34 Jahren das bringt. Selbst wenn ich zwei Parallelklassen ha- Lehrerseminar machen und dann im Jahr 2000 als be, lese ich fast nie in beiden die gleichen Werke, Lehrer ans Gymnasium Bäumlihof zurückkehren sondern versuche immer, die Lektüre auf die Be- würde. Nach dem Lizentiat blieb ich – statt wie dürfnisse einer Klasse auszurichten. Die Schüle- geplant für ein dreimonatiges Praktikum – fünf rinnen und Schüler wissen, dass ich mich auch in Jahre bei den Basler Afrika Bibliographien hängen, der Freizeit intensiv mit Literatur beschäftige und und danach arbeitete ich einige Jahre als Assistent beispielsweise literarische Spaziergänge durch die in Zürich und Lausanne und bei einem National- Stadt anbiete. Es ist deshalb auch schon vorgekom- fondsprojekt zum Thema « Pazifistische Schriftstel- men, dass sie mich gefragt haben, ob ich nicht eine ler im Schweizer Exil während des 1. Weltkriegs ». Führung zu den vielen literarischen Bezügen im Dass ich seit jeher neben dem Unterrichten im- Münster für sie machen könnte. mer viele andere Interessen pflege, ist sicher mit ein Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich im Ver- Grund, warum bei mir bis heute eigentlich noch gleich zu einer Volksschullehrperson bei der Ge- nie das Gefühl aufkam, in einem Hamsterrad zu staltung meines Unterrichts sehr frei und privi- drehen. Ich konnte es immer einrichten, nur in legiert bin. Diese Freiheit zu nutzen, ist oft mit einem 80-Prozent-Pensum in meinem Hauptbe- Mehraufwand verbunden, der sich aber lohnt und ruf zu arbeiten. Das erlaubt mir, daneben Bücher letztlich viel Befriedigung im Beruf bringt. Lesen zu schreiben, und während einiger Jahre konnte kann ich auch für mich selber. Sich mit Jugendli- ich so das ehrenamtliche Präsidium der Allgemei- chen über Bücher auszutauschen, die beide Seiten nen Lesegesellschaft übernehmen. Ich glaube, wer gelesen haben, ist für eine Lehrperson sehr berei- seinen Job, mit Jugendlichen zu arbeiten, ernst chernd, wenn sie bereit ist, von der Sicht des Ge- nimmt, dem wird es nicht so schnell langweilig. genübers zu lernen. Eine gewisse Routine stellt sich mit der Zeit natür- Natürlich gibt es auch in meinem Unterricht lich schon ein, doch da sehe ich vor allem positive Dinge, die sich wiederholen. Aber auch wenn es Seiten. Wenn man Erfahrungen hat, was im Unter- beispielsweise um Grammatik geht, lässt sich Lan- richt funktioniert und was eher nicht, kann man geweile vermeiden, wenn man den Mehraufwand den Fokus verstärkt auf das Pädagogische legen. nicht scheut, Neues auszuprobieren. Immer wie- Ich lese sehr viel und versuche, wenn mir ein der von vorne anfangen zu müssen, finde ich we- Buch für den Unterricht geeignet erscheint, mei- niger belastend und ermüdend als die vielen Refor- ne Faszination und Begeisterung auch auf meine men, die wir in den letzten Jahren zu bewältigen Klasse zu übertragen. Sowohl in Deutsch wie Eng- hatten. Nachdem das Gymnasium verkürzt, unser lisch lese ich deshalb mit meinen Klassen viel zeit- GBplus-Modell eingeführt und der Totalumbau genössische Literatur, bei der es noch keine vor- des Schulhauses endlich abgeschlossen ist, wäre es gespurten Wege gibt, wie man das im Unterricht nun höchste Zeit, wieder zu etwas mehr Norma- angehen soll. Auch Klassiker kommen aber durch- lität zurückzukehren. Doch da hat Corona gleich aus gut an, wenn man den richtigen Zugang findet. wieder verhindert, dass momentan auch nur ein Wenn einige freiwillig beginnen, Sonette auswen- bisschen das Gefühl von Langeweile aufkommen dig lernen, weil sie Shakespeare geil finden, habe könnte. » ich mein Ziel erreicht. In einer Klasse lese ich ge- rade Goethes Werther und verknüpfe das mit ei- Aufgezeichnet von Peter Wittwer nem aktuellen Hörspiel zu Jugendsuiziden – das 12
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt « ROUTINE HILFT, ROHDIAMANTEN ZUM GLÄNZEN ZU BRINGEN » RUEDI GLASER, LEHRER FÜR WIRTSCHAFT UND RECHT AN DER WMS UND AM WG « Ich habe mich schon früh für wirtschaftliche Zu- an aktuelle Beispiele anzuknüpfen : Als kürzlich sammenhänge interessiert, kann aber durchaus das Bundesgericht seine Praxis bei der Unterhalts- verstehen, dass das auch an einer Wirtschaftsmit- pflicht nach einer Scheidung angepasst hat, habe telschule oder einem Wirtschaftsgymnasium nicht ich das gleich in den Unterricht eingebaut. Und allen so geht. Eine Schülerin hat mir einmal ge- wenn ich zeigen will, wie ein KMU funktioniert, sagt : ‹ Obwohl ich rückblickend wohl das falsche illustriere ich das ab und zu gerne am Beispiel des Schwerpunktfach gewählt habe, haben Sie mir die FCB. Schulzeit einigermassen erträglich gemacht. › Ich Um nicht in langweilige Routine zu verfallen, empfand das als Riesenkompliment. Als Lehrer se- bringt es auch viel, sich über den Unterricht hi- he ich es als meine Aufgabe, die Schülerinnen und naus in der Schule zu engagieren. Ich organisie- Schüler in den paar Jahren, in denen sie bei uns in re gerne und finde Lager nach wie vor etwas vom die Schule gehen, wie Rohdiamanten zu bearbeiten Tollsten, was der Lehrerberuf mit sich bringt. Nach und sie zum Glänzen zu bringen. wie vor spannend für mich sind die YES-Projek- Im Laufe der Jahre kennst du immer mehr te, bei denen ich seit Jahren immer wieder neue Tricks, wie das gelingen kann. Ich erinnere mich Gruppen beim Gründen von Jungunternehmen noch gut, wie das am Anfang trotz der Erfahrung, begleite. Und auch die Arbeit als Konferenzpräsi- die ich von der Jugendarbeit im Handball mit- dent hat mir neben einigem Mehraufwand auch brachte, ein Krampf war. In meinem Job als Lehrer immer wieder das eine oder andere Erfolgserlebnis für Wirtschaft und Recht auf der Sekundarstufe II verschafft. Eine Berufskrise im eigentlichen Sinne brauchst du fünf Jahre, bis du alles einmal gemacht hatte ich auch deshalb noch nie, weil es zu 100 Pro- hast. Nach zehn Jahren kannst du dann einschät- zent sinnvoll ist, in junge Menschen zu investieren. zen, was wichtig ist und was die Schülerinnen und Obwohl ich beruflich sehr viel Aufwand betreibe, Schüler brauchen, um etwas zu begreifen. habe ich auch in den letzten Monaten nie das Ge- Als ich mich nach dem Studium entscheiden fühl gehabt, in ein Burnout zu laufen. Ich führe musste, ob ich eine Stelle in der Unternehmensbe- das stark darauf zurück, dass ich mich im Kolle- ratung annehmen oder Lehrer werden wollte, habe gium gut integriert fühle und – auch das ist wich- ich schon nach ein paar Probelektionen gemerkt, tig – dass mir meine Erfahrung mittlerweile hilft, dass die Arbeit mit Jungen für mich das Richti- meinen Schulalltag effizient zu planen. ge ist. Um im Lehrerberuf glücklich zu werden, ist DER Termin der Woche ist für mich der Lehrer- die Liebe zu jungen Menschen und zum Fach zen- fussball, den ich nie verpassen will. Neben nicht tral. Wenn jemand in einer Klasse Probleme macht, allzu viel Stress im Privatleben und einem Aus- schaue ich deshalb immer, dass das nicht zu viel gleich in der Freizeit, bei mir eben der Sport, sind Gewicht bekommt, sondern rede lieber von den 23 diese Faktoren sehr wichtig, um sich seine Begeis- anderen und der Freude, die mir der Unterricht terung für den Beruf bis zur Pensionierung bewah- mit ihnen macht. ren zu können. In den Sommerferien nehme ich Natürlich gibt es auch in meinem Fach Dinge, mir jeweils eine Woche Zeit, um das Programm die mit der Zeit mühsam sind und die sich bei- in allen Klassen schon so weit wie möglich vorzu- spielsweise bei der Einführung in betriebswirt- planen. Das verhindert aber nicht, dass ich meist schaftliche Grundlagen nicht gross ändern. Im vor Beginn eines neuen Schuljahres eine schlaflose kaufmännischen Bereich ist in den letzten Jahren Nacht habe : Nicht aus Angst, sondern aus Vorfreu- aber sehr viel im Wandel : Die im Vergleich zum de, was mich im neuen Jahr an neuen Gesichtern Gymnasium eng getakteten Lehrpläne der WMS und Erlebnissen in der Schule erwartet. » werden ständig aktualisiert, und kaum hat man ein Lehrmittel im Griff, kommt ein neues. Insbesonde- Aufgezeichnet von Peter Wittwer re wenn es um vermeintlich trockene Rechtsfragen geht, gibt es zudem immer wieder die Möglichkeit, 13
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Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt « VERÄNDERUNGEN GAB ES IN DEN VERGANGENEN JAHREN GENUG » RUTH WETTER, KLASSENLEHRERIN AN DER PRIMARSCHULE MARGARETHEN « Ich bin Vollblutlehrerin. Seit fast 40 Jahren arbei- allein. Wir sind ein Team, bestehend aus Heilpä- te ich als Primarlehrerin und habe eigentlich nie so dagogin, Logopädin und – weil in meiner jetzigen genau abgrenzen können zwischen Privatem und Klasse drei hörgeschädigte Kinder sind – auch ei- Beruflichem. Es ging ja immer um Menschen. Di- ner Audiopädagogin und einem Gebärdensprach- rekt nach meiner Ausbildung am Lehrerseminar lehrer. Die eindeutig beeinträchtigten Kinder sind fand ich allerdings nicht gleich eine feste Stelle. Ich nicht das Problem. Die wirkliche Herausforderung übernahm Stellvertretungen, gab Deutschkurse sind die Verhaltensauffälligen. Und auch wenn das und Mathe-Nachhilfe, bis ich dann 1988 meine ers- Arbeiten im Team toll und entlastend ist : Die Or- te feste Stelle im Gundeldingerschulhaus antrat. Es ganisation der Kooperation bedeutet auch Auf- war gleich eine happige Klasse mit vielen schwie- wand. rigen Kindern. Als Berufseinsteigerin musste ich Ich denke und fühle ganzheitlich, das Zwi- mir alle Unterrichtsthemen und Arbeitsmateria- schenmenschliche hat grossen Einfluss auf mei- lien selber erarbeiten und habe in acht Jahren ex- ne Arbeit. Die Beziehung zu meinen Schülerin- trem viel gelernt. Teamarbeit war damals noch nen und Schülern ist für mich zentral. Eine richti- kaum ein Thema. ge Vertrauensbasis stellt sich meist erst im Verlauf 1996 zogen wir um ins neu erbaute Margare- der zweiten Klasse ein. Erste Klassen sind für mich thenschulhaus. Auch dort war ich wieder mit ei- stressiger, alles ist neu, oft auch für die Eltern. Es ner sehr schwierigen Klasse konfrontiert. Schon fehlt an Erfahrung und Routine, für mich durch- Drittklässler schwänzten die Schule, es gab noch aus positive Werte, denn Veränderungen gab es in keine zusätzlichen Fach- und Lehrpersonen in den den vergangenen Jahren genug ! Die Einführung Klassen, ich war für alle und alles allein zustän- der Fünftagewoche und der Blockzeiten, ein neues dig … und wurde krank. Rund drei Monate muss- Schulsystem, neue Lehrmittel, ein neuer Lehrplan, te ich mit einem Burnout pausieren. Schulintern die integrative Schule und damit verbunden neue gab’s damals noch wenig Support, ich holte mir da- Arbeitsformen im Team, immer mehr Sitzungen, rum privat professionelle Hilfe. In dieser Zeit ha- zunehmend schwierige Kinder, aber auch Eltern … ben mich mein Mann als Hausmann und Selbstän- ganz zu schweigen von kleinen Veränderungen wie digerwerbender und auch andere im privaten Um- etwa eine neue Schulschrift. Ich bin dankbar, dass feld sehr unterstützt ! Das ist bis heute so. Auch die die Schulen heute viel mehr Unterstützung anbie- private Supervision möchte ich nicht mehr missen. ten. Jungen Lehrpersonen rate ich, wenn sie mich Danach kehrte ich in den Schuldienst zurück. darum bitten : Vernetzt euch ! Und holt euch recht- Voll motiviert, denn es ist so ein toller, sinnvol- zeitig Hilfe ! » ler und vielseitiger Beruf ! Eigentlich habe ich vie- le Berufe : Ich bin auch noch Erziehungs- und Le- Aufgezeichnet von Yvonne Reck Schöni bensberaterin, Event-Managerin, betreue die Schul- bibliothek … und überall habe ich grossen Gestal- tungsfreiraum. Natürlich habe ich inzwischen eine gewisse Routine, was den Unterrichtsstoff angeht. Zum Glück ! Denn da kann ich auf Vorhandenes zurückgreifen, auch wenn ich das immer wieder abwandle und ergänze. Auch in der Wiederholung wird es mir ganz sicher nicht langweilig. Langweilig finde ich höchstens, den Kindern IMMER wieder aufs Neue zu sagen, wo die Schuhe hingehören. Oder den Eltern zum hundertsten Mal das Gleiche zu erklären. Aber zum Glück bin ich heute mit diesen Herausforderungen nicht mehr 15
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt « ROUTINE GIBT RAUM FÜR KREATIVITÄT UND NEUES » BEOBACHTUNGEN DES TEAMS DER BERATUNGSSTELLE PZ.BS Routine, Langeweile, Motivation, Corona- MOTIVATION ? SINNHAFTIGKEIT ! Müdigkeit : Wie erlebt das Team der Bera- « Wenn ich das, was ich mache, als sinnvoll erle- tungsstelle PZ.BS diese Themen in Gesprä- be, motiviert mich das. Bei den Lehr- und Fach- chen mit Lehr- und Fachpersonen ? Leiterin personen ist da zum Beispiel die Beziehung zu Elisabeth Schneeberger Günesoglu und Be- den Schülerinnen und Schülern : Sie begleiten raterin Katja Hoffmann berichten. sie und geben ihnen etwas fürs Leben mit – und leisten damit auch einen gesellschaftlichen Bei- ROUTINE ? MEHR RAUM ! trag. Das motiviert. Fehlt hingegen die Sinnhaf- « Viele Lehr- und Fachpersonen sehen das Un- tigkeit, beispielsweise aufgrund veränderter terrichten in erster Linie als Berufung und nicht Aufgaben oder Rahmenbedingungen, kann das nur als Beruf. Sie möchten sich eine gewisse demotivierend sein. Die Aufmerksamkeit wie- Routine manchmal kaum eingestehen, weil sie der bewusst auf die sinnhaften Aspekte der ei- meinen, diese gehe mit einer qualitativen Ein- genen Tätigkeit zu richten, kann in vielen Fällen busse ihres Unterrichts einher. Denn Routine bereits ausreichend sein. Manchmal sind aber ist oft negativ konnotiert. Dabei kann sie un- auch berufliche Veränderungen angezeigt. » glaublich hilfreich und entlastend sein. Und Routine gibt auch Raum für Kreativität und CORONA ? WERTSCHÄTZUNG ! Neues. Lehrpersonen zu Beginn ihrer berufli- « Eine eigentliche ‹ Corona-Müdigkeit › beobach- chen Praxis zum Beispiel benötigen viel Vorbe- ten wir in der Beratungsstelle kaum. Natürlich reitungszeit, weil jeder Schritt überlegt sein will. gibt es die Sorge um die eigene Gesundheit oder Mit zunehmender Berufserfahrung entwickeln Mehrbelastungen im beruflichen Alltag, wenn sich manche Teile der Lektionen zu einer ge- neue Regelungen eingeführt werden. Vor allem wissen Routine, sodass die gewonnene Zeit für aber sind es lieb gewonnene Traditionen wie Neues genutzt werden kann. » Museumsausflüge, Schulhausfeste, der Herbst- messe-Besuch oder das gemeinsame Singen, die LANGEWEILE ? WANDEL ! die Lehr- und Fachpersonen – ebenso wie die « Langeweile ist häufig Ausdruck einer Unter- Schülerinnen und Schüler – vermissen, denn forderung. Lehr- und Fachpersonen sind aber sie gehören zu den Highlights eines Schuljah- im Gegenteil eher mit Überlastung und schu- res. Dem Wegfall solcher Aktivitäten steht die Mehr zum Thema gibt es lischem Wandel konfrontiert. Berufsmüdigkeit Wertschätzung gegenüber, die den Lehr- und auf der Website der KSBS : bei Lehr- und Fachpersonen beobachten wir Fachpersonen während der ersten Pandemie- « Corona geschafft oder deshalb eher im Zusammenhang mit den be- Welle entgegengebracht wurde : Was sie in der corona-geschafft ? Erfahrungen schränkten beruflichen Entwicklungsperspek- Schule leisten, ist ins öffentliche Bewusstsein und Denkanstösse aus der tiven. Manche steigen deswegen aus dem Lehr- gedrungen. » Beratungsstelle PZ.BS » : beruf aus, andere machen eine Weiterbildung, ks-bs.edubs.ch > zum Beispiel in Heilpädagogik oder ‹ Deutsch Aufgezeichnet von Valérie Rhein « GeKo 2021 – Weiterbildung » als Zweitsprache ›, oder bauen sich ein zweites berufliches Standbein auf und kombinieren die beiden Tätigkeiten miteinander. Eine abwechs- lungsreiche Berufsbiografie trägt, so unsere Be- obachtung, zur Zufriedenheit bei. Verbesserte Rahmenbedingungen des Arbeitgebers – bei- spielsweise wechselnde und entlöhnte Zusatz- aufgaben – könnten hier entgegenwirken. » 16
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 Schwerpunkt SO ENTGEHT MAN DER ROUTINEFALLE 1. WAGEN SIE NEUE WEGE ! ETWA MIT NEUEN UNTERRICHTSFORMEN. 2. SCHREIBEN SIE EIN ERFOLGSTAGE- BUCH ! DAS STÄRKT DAS SELBSTBE- WUSSTSEIN. 3. BILDEN SIE SICH WEITER ! MOMENTAN HALT ONLINE. 4. TEILEN SIE WISSEN MIT ANDEREN ! AUSTAUSCH ERWEITERT DEN HORIZONT. 5. LESEN SIE BLOGS ! DAS FÜHRT ZU NEUEN DENK- UND HERANGEHENSWEISEN. 6. LERNEN SIE « N EIN » ZU SAGEN ! AUCH WENN SIE ETWAS 20 JAHRE LANG GEMACHT HABEN. 7. SEIEN SIE SELBSTKRITISCH ! WAS FRÜHER GUT WAR, MUSS HEUTE NICHT MEHR GELTEN. 8. TRAUEN SIE SICH MEHR ZU ! ZUM BEISPIEL DEN UMGANG MIT DIGITALEN MEDIEN. 9. LESEN SIE FACHLITERATUR ! NEUE WISSENSCHAFTLICHE ERKENNT- NISSE SICHERN DEN ANSCHLUSS. 10. NEHMEN SIE SICH ZEIT FÜR SICH ! ÄLTERE MENSCHEN BRAUCHEN MEHR RUHEPHASEN. 11. SEIEN SIE DANKBAR ! SIE HABEN EINEN SICHEREN JOB, EINE SINNSTIFTENDE ARBEIT, EINEN FAIREN LOHN. 17
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 EDit « WIR PLANEN KEINE WEITERE SCHULREFORM » CONRADIN CRAMER INITIIERT EINE TOTALREVISION DER FAST 100-JÄHRIGEN KANTONALEN BILDUNGSGESETZGEBUNG Interview Valérie Rhein und Peter Wittwer Bis zum Ende seiner zweiten Legislatur im Jahr 2024 möchte Conradin Cramer das Schulgesetz und die damit verknüpften gesetzlichen Bestimmungen einer Totalrevision unterziehen. Eine interne Projektorganisation erarbeitet nun Vorschläge für ein Bildungsgesetz, das den pädagogischen Führungsan- spruch des Kantons auch auf Gesetzesebene abbildet. Im In- terview mit dem Basler Schulblatt erläutert der Departements- vorsteher, was er mit der Totalrevision anstrebt – und was nicht. Basler Schulblatt : Für Ihre zweite Amtsperiode haben Sie sich eine umfassende Revision der kantonalen Bildungsgesetzgebung vorgenommen. Weshalb ist das nötig und was ist am beste- henden Schulgesetz aus dem Jahr 1929 nicht mehr zeitgemäss ? Conradin Cramer beim Blättern im Schulgesetz, das nun Conradin Cramer : Stellen Sie sich die grundverschiedenen nach fast 100 Jahren eine Gesamtrenovation braucht. Schulsysteme von 1930 und von heute vor : Manche der alten ge- Foto : Grischa Schwank setzlichen Grundlagen passen nicht mehr in unsere Realität. Un- terschiedliche Begrifflichkeiten und Inhalte ergeben nach den Ganze braucht es nun nach fast 100 Jahren eine Gesamtrenova- kontinuierlichen Anpassungen über die Jahrzehnte einen Fli- tion. Wir müssen so aufräumen, dass wir wieder eine Bildungs- ckenteppich. Ein Beispiel : Die Paragrafen 6 bis 30 des Schulge- gesetzgebung haben, die – vielleicht nicht für die nächsten 100, setzes fehlen vollständig, nur die mit Fussnoten versehenen Pa- aber doch 50 Jahre – als rechtliches Fundament für das kantonale ragrafenzahlen erinnern noch an die einstigen Bestimmungen. Bildungswesen dienen kann. Es muss « aufgeräumt » werden, damit nicht nur Rechtsexpertin- nen und Rechtsexperten das Schulgesetz verstehen, sondern alle Was wird künftig anders sein ? am Bildungswesen Beteiligten. Die heutige Bildungsgesetzgebung ist sehr heterogen : In eini- gen Bereichen, etwa bei den Schulen auf der Sekundarstufe II, Gibt es konkrete Beispiele aus dem Schulalltag, die Ihnen gibt es Überregulierungen. In anderen Bereichen ist die Rechts- begegnet sind ? grundlage für die heutige Schulpraxis eher zu dünn. Ausgehend Mit der Zeit haben sich Praktiken etabliert, die zwar völlig un- von der heutigen Aufgabenverteilung im Departement muss hier bestritten, bisher aber gesetzlich nicht verankert sind. Dazu ge- ein Ausgleich geschaffen werden. Am Schluss wird das heutige hören zum Beispiel Massnahmen zum Nachteilsausgleich oder Schulgesetz allerdings nicht einfach durch ein allumfassendes gewisse Fördermassnahmen. Das kann für eine gewisse Zeit neues Bildungsgesetz ersetzt werden. Vorgesehen ist vielmehr, durchaus zweckmässig sein und funktionieren, nicht aber auf dass die Volksschulen, die Mittelschulen und die Berufsbildung längere Sicht. Ich denke da auch an Risiken, die sich mit saube- je eigene Gesetze erhalten, die allenfalls durch ein übergeordne- ren rechtlichen Grundlagen vermeiden liessen, zum Beispiel mit tes Bildungsrahmengesetz miteinander verknüpft und ergänzt Blick auf Rekurse. werden. Der Weg dahin wird anstrengend sein und Lorbeeren lassen sich dabei als Politiker auch nicht ernten. Ich will das nun In welche Richtung soll die Überarbeitung der Gesetzesgrund- aber anpacken, auch weil wir aktuell in unserer Rechtsabteilung lagen gehen ? schweizweit führende Bildungsrechtsexperten haben und dank Beim Projekt Bildungsgesetzgebung geht es nicht um eine wei- ihnen diese Gesetzesreform weitgehend mit eigenen Mitteln tere Schulreform, sondern darum, auf Gesetzesebene wieder für stemmen können. mehr Ordnung zu sorgen. Das heutige Schulgesetz aus dem Jahr 1929 lässt sich gut mit einem Gebäude vergleichen, an dem im- Wie können sich Lehr- und Fachpersonen in dieses Projekt mer wieder herumgeflickt worden ist und das auch immer wie- einbringen ? der durch mehr oder weniger passende Anbauten in ganz un- Die Lehr- und Fachpersonen bringen sich über die KSBS-Ver- terschiedlichen Stilen erweitert worden ist. Mit dem Blick aufs tretungen ein. Doch es handelt sich hier wie gesagt nicht um 24
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 EDit ein Reformprojekt, sondern um eine Nachführung des gelten- darf aber nicht miteinander vermischt werden, denn ich möch- den Rechts, um « Wartungsarbeiten ». Je weniger die Lehr- und te nicht, dass am Schluss gegen die neue Bildungsgesetzgebung Fachpersonen davon merken, umso besser macht das Projekt- wegen punktueller Neuerungen das Referendum ergriffen wird. team seine Arbeit. Denn weder der Berufsauftrag noch das Per- sonalrecht werden inhaltlich verändert. Vielmehr sollen die Lehr- Was bringt eine neue Bildungsgesetzgebung den Lehrpersonen ? und Fachpersonen mehr Klarheit darüber erhalten, was unser Die revidierte Bildungsgesetzgebung soll die rechtlichen Rah- Bildungssystem ausmacht, und auch die Sprache soll zeitgemäss menbedingungen für den heutigen Schulalltag aktuell und um- sein. Formulierungen wie die « Wohlfahrt der bedürftigen Ju- fassend abbilden. Für die am Bildungssystem Beteiligten bringt gend » ( §148 ) oder Begriffe wie das « Schulgebet » ( aufgehobener das eine grössere Rechtssicherheit und Klarheit. §77a ) bilden unsere Realität nicht mehr ab. Kann Basel-Stadt von der Bildungsgesetzgebung anderer Welche Reaktionen auf das Vorhaben erwarten Sie ? Kantone lernen ? Ich mache mir keine Illusionen : Eine Gesetzesreform von diesen Natürlich schauen wir über den Tellerrand hinaus und infor- Dimensionen wird nicht geräuschlos über die Bühne gehen. Es mieren uns, wie die rechtliche Systematik in anderen Kantonen wird sicher politische Vorstösse geben, und an den Schulen wird aussieht. In Basel-Stadt haben wir den Anspruch, in Pädagogik, die Revision der Gesetzesgrundlagen keine Begeisterungsstürme Förderung oder Integration schweizweit eine führende Rolle ein- auslösen. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass zu hohe und zunehmen. Unsere künftige moderne Bildungsgesetzgebung soll falsche Erwartungen geweckt werden. Die angestrebte formel- diesen Anspruch auch auf gesetzlicher Ebene abbilden. le Anpassung der Gesetzesgrundlagen an die aktuellen Verhält- nisse muss klar getrennt werden von Vorstössen, in denen in- Auf der Schulblattwebsite www.baslerschulblatt.ch ist eine etwas haltliche Anpassungen in der Bildungspolitik gefordert werden. ausführlichere Version des Interviews mit Conradin Cramer Auch diese wird es in meiner zweiten Amtszeit sicher geben. Das online nachzulesen. PROJEKTORGANISATION MIT VIER TEILPROJEKTEN Die auf vier Jahre ausgelegte Arbeit an der neuen Bildungsgesetzgebung wird nicht an externe Expertinnen und Experten delegiert, sondern weitgehend mit bestehenden Personalressourcen bewältigt. Zur Entlastung der Projektleitung braucht es einzig beim Rechtsdienst eine befristete Personalaufstockung. Zudem sind für externe Beratungen in den vier Jahren insge- samt 60 000 Franken eingeplant. Das Projekt umfasst vier Teilprojekte. Die beiden grossen Bereiche « Volksschulen » und « Mittelschulen und Berufsbil- dung » sollen je eigene moderne Gesetze erhalten. Zwei Arbeitsgruppen bereiten ein neues Bildungsrahmengesetz vor und erarbeiten Vorschläge für eine gesetzliche Regelung des Lehrpersonalwesens. In allen Teilprojekten sind Personen vertreten, die das Gesetz später in die Praxis umsetzen werden ( vgl. Projektorgani- gramm ). Als « Konsultativ- und Reflexionsgremium für die Projektleitung » wurde zudem ein Soundingboard eingesetzt, dem neben den Präsidenten der KSBS und FSS auch je zwei Schulleitungs-Vertreter der Volksschulen sowie der Sekundarstufe II angehören. Auftraggeber / L enkungsausschuss Conradin Cramer ( Auftraggeber ) Crispin Hugenschmidt Ulrich Maier Urs Bucher Thomas Riedtmann Externe Beratung Projektleitung Sounding Board noch offen Stephan Hördegen Simon Rohner (KSBS) Philipp Schenker Jean-Michel Héritier (FSS) Götz Arlt, Matthias Henke (VSL BS) Patrick Langloh (AKOM u. AKOB) Projektunterstützung Miriam Grab Teilprojekt Teilprojekt Teilprojekt Teilprojekt Bildungsrahmenprojekt Volksschulen Mittelschulen u. Berufsbildung Lehrpersonalwesen Stephan Hördegen Annina Balli René Diesch Thomas Baerlocher Annina Balli Gaby Hintermann Eugen Krieger Idris Kiwirra René Diesch Nathalie Stadelmann Stephan Hördegen Anja Keller Simon Aeberhard ( bei Bedarf ) 25
Basler Schulblatt Nr. 2/2021 EDit MITTELSCHULEN HABEN SICH AM DREITAGEBLOCK VERNETZT EINEN TAG LANG WURDE AUF FACHEBENE ÜBER DIE DIGITALISIERUNG DES UNTERRICHTS DISKUTIERT Von Peter Wittwer Die fünf Gymnasien und die FMS haben dieses Jahr den NICHT ALLE MÜSSEN DIE GLEICHEN FEHLER MACHEN Dreitageblock dazu genutzt, sich standortübergreifend über Eines ist aber sicher : Dieser Umstellungsprozess lässt sich merk- ihre Erfahrungen mit der Digitalisierung des Unterrichts aus- lich beschleunigen, wenn nicht alle zunächst die gleichen Fehler zutauschen. Wegen der Corona-Schutzvorschriften musste machen, sondern – ganz nach dem Motto « Mehr try, weniger er- diese Vernetzung innerhalb der einzelnen Fächer weitest- ror » – von den Erfahrungen anderer profitieren können. Dazu gehend online stattfinden. Eine kleine Umfrage bei Lehrper- haben die beiden Projektleiterinnen zusammen mit Stephanie sonen der Fächer Chemie, Englisch und Geschichte zeigt : Lori vom PZ.BS für den Dreitageblock einen Weiterbildungstag Auch wenn der fehlende persönliche Kontakt schmerzlich organisiert. Dessen Programm baute bewusst auf dem auf, was vermisst wurde, dürfte einiges davon über den Tag hinaus im an den Schulen punkto Digitalisierung bereits läuft. An der FMS Unterricht ankommen. etwa finden bereits regelmässig Weiterbildungen statt, in denen erfahrenere Lehrpersonen dem Kollegium Tipps weitergeben, Wenn die Gesellschaft zunehmend digitalisiert wird, hat das Fol- was es beispielsweise bei Open-Book-Prüfungen am Computer gen für die Schule. Doch wie sehen diese aus ? Diese Frage rückt speziell zu beachten gilt. Ähnliche Weiterbildungen mit internen an den Mittelschulen immer stärker in den Fokus, denn seit Be- und externen Referentinnen und Referenten werden auch an den ginn des neuen Schuljahrs bringen die meisten Klassen der Bas- Gymnasien bereits angeboten. ler Gymnasien und der FMS ihre persönlichen Geräte mit in den Unterricht. Den Lehrpersonen stehen damit neue Möglichkeiten offen. Gleichzeitig stellen sich aber auch zentrale Fragen des Un- « E S IST TOLL ZU SEHEN, terrichtens neu. WAS ANDERE MACHEN » « Mir ist der Tag, an dem wir Geschichtslehrpersonen uns über die einzelnen Schulen hinaus vernetzt haben, sehr positiv in Erinnerung. Das liegt sicher auch daran, dass wir uns in einer neunköpfigen Vorbereitungsgruppe be- müht haben, bei der Zusammenstellung des Programms möglichst viel Praxisbezug herzustellen. Die Good- Practice-Beispiele, die wir dazu ausgewählt haben, sind nach meiner Einschätzung bei den rund 45 Geschichts- lehrpersonen, die dabei waren, gut angekommen. Es war toll zu sehen, was andere in ihrem Unterricht mit den di- gitalen Möglichkeiten bereits machen. Mich persönlich beeindruckt hat beispielsweise die Idee, mit einer Klasse eine Art Tagesschau zu einem Thema aus dem Geschichts- unterricht zu produzieren. Der Podcast zu Stalinismus, Antworten, wo eine Digitalisierung des Unterrichts Sinn der dazu vorgestellt wurde, vermittelte eine gute Vorstel- macht und wo nicht, lassen sich nicht von einem Tag auf den lung, wie man so etwas zu einem anderen Thema auch anderen aus dem Hut zaubern. Sie fallen je nach Fach, Thema ausprobieren könnte. Als Orientierungshilfe haben wir oder Alter der Klasse unterschiedlich aus und können nur aus dazu alle Dokumente bis hin zu den Bewertungskriteri- der Praxis heraus entwickelt werden. FMS-Rektorin Alexandra en auf unsere Austauschplattform gestellt. Der Weiterbil- Guski, die gemeinsam mit Anna-Katharina Schmid, Rektorin dungstag hat gezeigt, dass viel Potenzial vorhanden ist, des Gymnasium Bäumlihof, das Teilprojekt Pädagogik innerhalb wenn wir uns untereinander intensiver austauschen und der Digitalisierung der Mittelschulen leitet, rechnet deshalb mit die Lehrpersonen dadurch inspiriert werden, Neues aus- einer Phase von mehreren Jahren, bis Lehrpersonen auf dieser zuprobieren und Bestehendes weiterzuentwickeln. » Stufe ihren Unterricht unter digitalen Bedingungen routiniert Nicolas Hunkeler, Geschichtslehrer Gymnasium am gestalten können und die positiven Effekte desselben für das Ler- Münsterplatz nen voll zum Tragen kommen. 26
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