Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich

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Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
Kanton Zürich

             Schulblatt
             Bildungsdirektion

                                                                         3/2019

                                                                     Begabt
                                                               Talente erkennen
                                                                    und fördern

Lehrerausbildung                 Im Aufbau                 Paradigmenwechsel
Näher an der Schule              Die zukünftige Kantons-   Neue Lernräume am
dank Praxiszentren               schule Zimmerberg         Bildungs­zentrum Limmattal
Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
5                                                                        14
                                             Magazin                                             Fokus:                                                    Volksschule
                                                                                                 Begabt
                                             4                                                                                                             22
                                             Kommentar                                           12                                                        Praxiszentren
                                             Bildungsdirektorin Silvia                            Beratungsstunde                                          Studierende noch näher an
                                             Steiner über den Stellenwert                         Die Primarschule Hedingen                                die Berufspraxis bringen
                                             der Kultur für die Schule                            versteht Begabtenförderung
                                                                                                  als Schulentwicklung                                     24
                                             5                                                                                                             Stafette
                                             Im Lehrerzimmer                                     14                                                        Die Schule Werd in Adliswil
                                             Berufsfachschule Winterthur,                         Im Gespräch                                              setzt auf Clouddienste
                                             Schulhaus Mühletal                                   Begabte brauchen mehr
                                                                                                  als Zusatzaufgaben,                                      27
                                             6                                                    sagt Begabungsforscher                                   In Kürze
                                             Persönlich                                           Victor Müller-Oppliger
                                             Simea Merz Deme leitet
                                             die Zentralstelle Mineurs                           19
                                             Non Accompagnés                                      Talentklasse
                                                                                                  Das Pilotprojekt für begabte
                                             9                                                    Kochlernende an der Allge-
                                             Meine Schulzeit                                      meinen Berufsschule Zürich
                                             Stefan Haupt, Filmemacher

                                             Wichtige Adressen                                                    Impressum Nr. 3/2019, 3.5.2019
Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Inhalt

                                             Bildungsdirektion: www.bi.zh.ch Generalsekretariat: 043 259 23 09      Herausgeberin: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Walcheplatz 2, 8090 Zürich Erscheinungs­
                                             Bildungsplanung: 043 259 53 50 Bildungsstatistik: www.bista.zh.ch      weise: sechsmal jährlich, 134. Jahrgang, Auflage: 19 000 Ex. Redaktion: Redaktionsleiter
                                             Volksschulamt: www.vsa.zh.ch, 043 259 22 51 Mittelschul- und           reto.heinzel@bi.zh.ch, 043 259 23 05; Redaktorin jacqueline.olivier@bi.zh.ch, 043 259 23 07;
                                             ­Berufsbildungsamt: www.mba.zh.ch, 043 259 78 51 Amt für Jugend        Sekretariat schulblatt@bi.zh.ch, 043 259 23 09 Journalistische Mitarbeit an dieser
                                             und Berufsberatung: www.ajb.zh.ch, 043 259 96 01 Lehrmittel­           Ausgabe: Walter Aeschimann, Bettina Büsser, Andres Eberhard, Andreas Minder, Andrea
                                              verlag Zürich: www.lmvz.ch, 044 465 85 85 Fachstelle für Schulbe­     Söldi Abonnement: Lehr­personen einer öffentlichen Schule im Kanton Zürich können das
                                             urteilung: www.fsb.zh.ch, 043 259 79 00 Bildungsrats­beschlüsse:      «Schulblatt» in ihrem S
                                                                                                                   ­                        ­ chulhaus ­
                                                                                                                                                       gratis beziehen (Bestellwunsch an Schul­     leitung). Be­
                                              www.bi.zh.ch > Bildungsrat > Beschluss­archiv Regierungsrats­        stellung des «Schulblatts» an ­Privat­adresse ­sowie Abonne­ment weiterer Interessierter:
                                              beschlüsse: www.rrb.zh.ch                                           ­abonnemente@staempfli.com, 031 300 62 52 (Fr. 40.– pro Jahr) Online: www.schulblatt.zh.ch
                                                                                                                  ­Gestaltung: www.bueroz.ch Druck: www.staempfli.com Inserate: inserate@staempfli.com,
                                                                                                                   031 767 83 30 Re­  daktions- und Inserateschluss nächste Aus­        gabe: 23.5.2019 Das
                                             Titelbild: Sophie Stieger                                             ­nächste «Schulblatt» erscheint am: 21.6.2019

                                             Weiterbildungsangebote
                                             Unter den nachfolgenden Links finden Sie zahlreiche Schulungs- und Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen, Fachlehrpersonen, Schulbehörden und Schul­
                                             leitende: Volksschulamt: www.vsa.zh.ch > Ausbildung & Weiterbildung Pädagogische Hochschule Zürich: www.phzh.ch > Weiterbildung Unterstrass.edu:
                                             www.unterstrass.edu UZH/ETH Zürich: www.webpalette.ch > Sekundarstufe II > Gymnasium > UZH und ETH Zürich, Maturitätsschulen HfH – Interkantonale
                                             Hochschule für Heilpädagogik Zürich: www.hfh.ch > Weiterbildung ZAL – Zürcher Arbeits­        gemeinschaft für Weiterbildung der Lehrpersonen des
                                             ­Kantons Zürich: www.zal.ch > Kurse EB Zürich, Kantonale Berufsschule für W   ­ eiterbildung: www.eb-zuerich.ch
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Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
28                                               38
Mittelschule                                           Berufs­bildung                                          45
                                                                                                               Amtliches
28                                                     36
Kantonsschule                                          E-Learning                                              46
Zimmerberg                     Das Bildungszentrum                                                             Stellen
Das zukünftige Gymnasium       Limmattal setzt digitales
am linken Seeufer ist auf Kurs Lernen konsequent um                                                            48
                                                                                                               schule & kultur
30                                                     38
Arbeitsort Mittelschule                                Berufslehre heute                                       50
Antoine Parisi lernt Fach-                             Lebensmitteltechnologin EFZ, Agenda
mann Betriebsunterhalt an                              Schwerpunkt Bier
der Kantonsschule Hottingen
                                                       41
33                                                     In Kürze
In Kürze

    Editorial
                                                               Lange waren besonders begabte Schülerinnen und Schüler in der Pädagogik
                                                                                                                                                     Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Inhalt

                                                               kaum ein Thema. Spezielle Förderung innerhalb oder ausserhalb des Schul-
                                                               zimmers genossen diese Kinder bis Ende des letzten Jahrtausends kaum. Das
     Reto Heinzel                                              entsprach der weitläufigen Meinung, dass es den Betreffenden aus eigener
                                                               Kraft gelinge, sich durchzusetzen, und dass vor allem die schwächeren Schü-
                                                               lerinnen und Schüler Unterstützung brauchten. In den letzten Jahren hat sich
                                                               diesbezüglich viel verändert. Als Folge von Integration und Individualisierung
                                                               spielt auch die Förderung der Begabten im heutigen Unterricht eine Rolle. Wie
                                                               sieht Begabtenförderung konkret aus, welchen Stellenwert hat sie und in wel-
                                                               che Richtung sollte sie sich nach Ansicht von Fachleuten entwickeln? Wir ha-
                                                               ben uns an unterschiedlichen Orten auf die Suche nach Antworten gemacht.
                                                               Wo wir überall fündig geworden sind, lesen Sie im aktuellen Fokus. Besucht
                                                               haben wir ausserdem die zukünftige Kantonsschule Zimmerberg in Wädenswil.
                                                               Dort haben wir mit den Projektverantwortlichen gesprochen. 
                                                                                                                                                     3

Die Redaktion freut sich über Reaktionen auf das «Schulblatt»: reto.heinzel@bi.zh.ch, jacqueline.olivier@bi.zh.ch
Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
Schule und Kultur                                                                                                               Zum anderen findet dann im Juni wieder

       Ein Zugang
                                                                                                                                       das Festival «Blickfelder» statt. Schüle-
                                                                                                                                       rinnen und Schüler vom Kindergarten bis
                                                                                                                                       zu den Mittel- und Berufsfachschulen

       zur Welt
                                                                                                                                       haben die Möglichkeit, an internationalen
                                                                                                                                       Gastspielen, Konzerten, Kunstausstellun­
                                                                                                                                       gen, Filmen und Literaturveranstaltungen
                                                                                                                                       teilzunehmen. Dabei machen sie Erfah­

       von Silvia Steiner, Bildungsdirektorin                                                                                          rungen mit künstlerischen Ausdrucksfor­
                                                                                                                                       men, lernen diese zu lesen, zu interpretie­
                                                                                                                                       ren und zu diskutieren.
                                                                                                                                           Beide Kulturprojekte fördern die über-
                                                                                                                                      fachlichen Kompetenzen im personalen
                                                                                                                                      und sozialen Bereich, wie sie auch im
                                                                                                                                      Zürcher Lehrplan 21 vorgesehen sind. So
                                                                                                                                      lernen die Schülerinnen und Schüler etwa
                                                                                                                                      beim Theaterspielen, sich auszudrücken,
                                                                                                                                      sich in eine andere Rolle hineinzuverset­
                                          Oscar Wilde sagte einst: «Ich liebe es,                                                     zen und sich vor Menschen hinzustellen.
                                          ­Theater zu spielen. Es ist so viel realisti­                                               Auf diese Weise entwickeln sie ihre eige­
                                           scher als das Leben.» Auch wenn ich jetzt                                                  nen Stärken und realisieren gemeinsam
                                           nicht ganz so weit gehen möchte, kann ich                                                  mit anderen ein Projekt, das vor einer
                                           ihm im Grundsatz beipflichten. Vom The­                                                    breiteren Öffentlichkeit bestehen muss.

                                                                                             «Kulturprojekte
                                           ater können wir viel fürs Leben lernen.                                                         Das Theater und das Erleben der Welt
                                           Egal ob Theater, Tanz, Musik, Film oder                                                    der Künste sind wertvoll für die soziale
                                           Literatur: Die Kultur gehört zwingend in
                                           die öffentliche Schule. Sie eröffnet unse­
                                                                                               fördern die                            und die persönliche Entwicklung der Kin­
                                                                                                                                      der und Jugendlichen. Gleichzeitig sind
                                           ren Kindern und Jugendlichen einen Zu­            überfachlichen                           sie Ausdruck und Teil einer lebendigen
                                           gang zur Welt.
                                               In den nächsten Wochen finden in              Kompetenzen.»                            Schulkultur und tragen zum Zusammen­
                                                                                                                                      halt der Klasse bei. Die Auseinander­
                                           Zürich gleich zwei namhafte Kulturpro­
                                           ­                                                                                          setzung mit Kunst und Kultur gehört
                                           jekte statt, die sich direkt an unsere Schü­                                               ­daher zwingend in den modernen Schul­
                                           lerinnen und Schüler richten.                                                               unterricht.
                                               Zum einen das Theatertreffen der                                                            Ich wünsche mir, dass möglichst viele
                                           Schweizer Gymnasien. Bereits zum sechs­                                                     Kinder und Jugendliche mit kulturellen
                                           ten Mal – zum ersten Mal bei uns in ­Zü-       dentin der Schweizerischen Konferenz der     Angeboten wie dem Theatertreffen oder
                                           rich – treffen sich Theatergruppen aus al­     kantonalen Erziehungsdirektoren begrüs­      dem «Festival Blickfelder» in Kontakt
                                           len Landesteilen und machen so die gros­       se ich diesen Anlass sehr. Er hat das Po­    kommen. Und dass sie in der Auseinan­
                                           se Vielfalt des Schultheaters sichtbar. Da­    tenzial, die Gymnasien, die Hochschulen      dersetzung mit den Künstlerinnen und
                                           mit findet über die Sprachgrenzen hinweg       und die Theaterwelt noch stärker mitein­     Künstlern wertvolle Erfahrungen machen
                                           ein kultureller Austausch statt. Als Präsi­    ander zu vernetzen.                          können. 
Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Magazin

                                                                                                                                                    Mein
                                                                                                                                                    Traumschulhaus
                                                                                                                                                    Aline Heinzel (12),
                                                                                                                                                    6. Primarklasse,
                                                                                                                                                    Schule Bläsi,
                                                                                                                                                    Zürich
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Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
Im Lehrerzimmer

          Berufsfachschule Winter-
          thur, Schulhaus Mühletal
                                         Süsse Versuchung in nüchterner Atmosphäre
                                                                                                                        Fotos: Marion Nitsch

                                                                                                                                          Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Magazin

Wer Kaffee trinkt: muss sich hier selbst um Nachschub kümmern. Davon zeugt die stattliche Anzahl kleiner Schachteln, die sich auf
dem Küchenregal stapeln und die Namen ihrer Besitzerinnen und Besitzer tragen. Eine kleine, aber treue Gruppe: von Lehrper­
sonen verbringt die grosse Pause regelmässig in diesem nüchternen, zweckmässig eingerichteten Raum. Die Stimmung: ist gut, es
wird gescherzt und gelacht, auch über private Themen. Der süssen Versuchung: können die wenigsten wider­stehen. Das gluschtige,
selbst zubereitete Schoko-Erdnuss-Gebäck hat ein Kollege mitgebracht. Verlassen: steht der riesige runde Tisch in der Ecke. ­Mittags
wird er vereinzelt als Essplatz genutzt. Sitzungen: dagegen finden hier nie statt. Der «Aufenthaltsraum Lehrper­sonen», wie er offi­
ziell heisse, diene der Entspannung, erklärt Rektor Paul Müller, nicht der Arbeit. Viele Lehrpersonen: bleiben aus Zeitgründen in
einem der Fachschaftszimmer, andere treffen sich lieber in der stark frequentierten Mensa. In Zukunft: dürfte das Lehrerzimmer
deutlich mehr Pausengängerinnen und -gänger anlocken. Bis 2023 soll hier nämlich ein zentraler Campus für rund 4500 Lernende
entstehen. Derzeit ist die Berufsfachschule noch auf sieben Standorte verteilt. [rh]
                                                                                                                                         5
Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
Persönlich                                                                                                                    zumerken, dass sie deren Schicksal be­

       Die Begleiterin
                                                                                                                                     rührt. Dasjenige von Kleinkindern etwa,
                                                                                                                                     die nach der Ankunft in der Schweiz meist
                                                                                                                                     in Pflegefamilien oder, wenn möglich, bei

       der unbegleiteten
                                                                                                                                     Verwandten untergebracht werden. Für
                                                                                                                                     diese sei die Reise ohne ihre Eltern «psy­
                                                                                                                                     chologisch grauenhaft». Solche Fälle sind

       Minderjährigen
                                                                                                                                     allerdings sehr selten; die meisten der von
                                                                                                                                     der Zentralstelle betreuten Kinder sind
                                                                                                                                     im Jugendalter.
                                                                                                                                         Kinder, die älter als 12 Jahre sind, wer­
       Simea Merz Deme leitet die Zentral­-                                                                                          den im MNA-Zentrum Lilienberg in Affol­
                                                                                                                                     tern am Albis untergebracht. Dort hat ­jedes
       stelle Mineurs Non Accompagnés. Die                                                                                           von ihnen eine Bezugsperson, der regel­

       Schicksale der Kinder und Jugend­lichen                                                                                       mässige Kontakt mit dem Beistand bleibt
                                                                                                                                     aber bestehen. «Viele der Kinder tragen
       berühren sie immer wieder, trotzdem,                                                                                          einen sehr schweren Rucksack», sagt
                                                                                                                                     Merz Deme: «Es beeindruckt mich, wie sie
       sagt sie, sei sie am richtigen Ort.                                                                                           versuchen, hier ihren Weg zu machen, un­
                                                                                                                                     abhängig davon, ob ihr Asyl­gesuch gutge­
       Text: Bettina Büsser Foto: Stephan Rappo
                                                                                                                                     heissen wird oder nicht.» Denn während
                                                                                                                                     sie sich hier einleben und Deutsch lernen,
                                                                                                                                     läuft der Asylprozess. «Der Moment des
                                                                                                                                     Entscheids ist zentral. Ist er negativ, ist es
                                                                                                                                     für alle schwierig.»

                                                                                                                                     Schulen gehören zum Netzwerk
                                                                                                                                     Die meisten der Kinder und Jugendlichen
                                                                                                                                     werden vorläufig aufgenommen. «Sie neh-
                                                                                                                                     men mit viel Motivation den Bildungsweg
                                                                                                                                     und den Integrationsweg in Angriff, dafür
                                                                                                                                     benötigen sie aber angemessene Unter­
                                          «Wir haben es in erster Linie mit Kindern    Rollen. Uns ist es wichtig, dass für MNA      stützung», betont die Stellenleiterin. Al­
                                          und Jugendlichen zu tun. Erst in zweiter     der notwendige Kindesschutz erhalten          lerdings gebe es auch sehr schwierige
                                          Linie sind sie zusätzlich noch anerkannte    bleibt. Zumal ­Zürich mit der Kombination     ­Jugendliche – eine kleine Minderheit nur.
                                          Flüchtlinge, vorläufig Aufgenommene, in      von Beistandschaft und Rechtsvertretung        In solchen Fällen sorgt die Zentralstelle
                                          einem laufenden Asylverfahren oder Sans-­    eine Vorreiterrolle zukam.»                    gemeinsam mit KESB und Jugendanwalt­
                                          Papiers.» Dieses Credo von Simea Merz                                                       schaft dafür, dass die Jugendlichen in
                                          Deme zieht sich wie ein roter Faden durch    Vertrauen ist oft erschüttert                  ­einem spezialisierten Heim platziert wer-
                                          das Gespräch. Die 45-Jährige ist Leiterin    Es braucht Zeit, das Vertrauen der Kinder       den. Ein passendes Angebot ist laut Merz
                                          der Zentralstelle Mineurs Non Accompag­      aufzubauen. «Wird ein Kind an den Kan­          Deme jedoch aufgrund der multiplen Be­
                                          nés (MNA), also der Stelle, die zuständig    ton Zürich über­wiesen, wissen wir, woher       lastungen der Jugendlichen sehr schwie­
                                          ist für Kinder und Jugendliche, die un­      es kommt, welche Angaben im Asylantrag          rig zu finden.
                                          begleitet in die Schweiz gekommen sind       gemacht wurden», so Merz Deme, «aber                KESB und Jugendanwaltschaft sind
                                          und hier Asyl beantragen oder als Sans-      wir wissen nicht, was sich in seinem Le­        nur ein Teil des Netzwerks der Zentral­
                                          Papiers leben.                               ben und auf der Reise in die Schweiz zu­        stelle. Auch Gesundheitsinstitutionen und
                                               Merz Deme, die ursprünglich Soziale     getragen hat.» Die Kinder und Jugendli­         Psychiatrie gehören dazu; manche der
                                          Arbeit studiert hat, arbeitet seit 2001 in   chen hätten oft viele Enttäuschungen            Jugendlichen leiden unter Krankheiten,
                                                                                                                                       ­
                                          der damals eben neu geschaffenen Zent­       erlebt, schlimme und traumatisierende           schweren psychischen Belastungen. Und
                                          ralstelle MNA. Seit 2008 leitet sie diese    Situationen: «Das Vertrauen in Erwachse­        natürlich gehören auch Horte und Schu­
                                          und findet ihre Arbeit unglaublich inte­     ne ist bei vielen MNA erschüttert.»             len zum Netzwerk. «Die Schulen leisten
                                          ressant: «Es gibt keinen Tag, an dem wir         Wie die vier Mitarbeitenden ihres           häufig tolle Arbeit und kreieren Settings
                                          uns nicht mit einer ethnologischen, welt­    Teams nimmt auch sie selbst Mandate als         für unsere Kinder und Jugendlichen», lobt
Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Magazin

                                          politischen, sozialpädagogischen oder ju­    Beiständin wahr – obwohl sie die Zentral­       Simea Merz Deme. Umso schwieriger sei
                                          ristischen Fragestellung auseinanderset­     stelle leitet und entsprechende Führungs­       es dann, wenn ein Kind die Schule wech­
                                          zen, die wir noch nie hatten.»               aufgaben hat. «Es ist wichtig, dass ich im­     seln müsse, weil es an einem neuen Ort
                                                                                       mer noch in der Praxis bin», sagt sie. Dazu     untergebracht werde. Das ist in letzter
                                          Zwei verschiedene Mandate                    kommen Anfragen zum Thema MNA aus               Zeit mehrmals geschehen. Denn die Zah­
                                          Die Mitarbeitenden der Zentralstelle ha­     der Schweiz und dem Ausland, die sie be­        len der MNA, die in die Schweiz kommen,
                                          ben zwei Mandate. Sie sind als Beistände     antwortet. Denn die Zentral­stelle hat auf­     sind aktuell rückläufig. «Entsprechend
                                          im Auftrag der Kindes- und Erwachse­         grund der grossen Anzahl von unbegleite­        wurden nun Zentren geschlossen, Struk­
                                          nenschutzbehörden (KESB) zuständig für       ten Jugendlichen, die sie betreut hat und       turen abgebaut.»
                                          die gesetzliche Vertretung der Kinder und    betreut, viel Erfahrung in diesem Spezial­          Trotz dieser Schwierigkeiten: Simea
                                          Jugendlichen. Andererseits übernehmen        gebiet. So wurden 2017 insgesamt 720            Merz Deme fühlt sich bei ihrer Arbeit «am
                                          sie deren Rechtsvertretung im Asylpro­       Minderjährige vertreten.                        richtigen Ort»: «Ich habe so viele Jugend­
                                          zess. Da seit dem 1. März das neue Asyl­         Spricht Simea Merz Deme, die selbst         liche begleiten dürfen, die aus unglaub­
                                          verfahren in Kraft ist, ist hier vieles im   Mutter einer 9-jährigen Tochter und eines       lich erschwerten Ausgangslagen so vieles
                                          Wandel. Merz Deme spricht von einer          14-jährigen Sohnes ist, über die betreu­        erreichen – Lehren abschliessen, ein Stu­
                                          «Testphase»: «Wir klären im Moment die       ten Kinder und Jugendlichen, ist ihr an­        dium absolvieren. Das ist toll.» 
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Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Magazin

Simea Merz Deme ist
immer wieder beeindruckt
davon, wie unbegleitete
Minderjährige ihren Weg
zu machen versuchen.
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Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
Lösungen für Schulen und Behörden
                                                                     Beratung für alle pädagogischen und betriebswirtschaftlichen Fragen
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                                  Erfahrung zählt!
                                  Sie machen sich Gedanken um Ihre Zukunft.                                                                                                            erläben und gschpiren …
                                  Stimmen Ansprüche, Wünsche                                                                                                                                  … Zit han und sin
                                  und Alltag noch überein?
                                  Es lohnt sich, von Zeit zu Zeit
                                  innezuhalten.
                                  Gönnen Sie sich professionelle
                                  Unterstützung.                                                                        plaisir alpin, ski, bike and hike
                                  PPC prospektives persönliches Coaching

                                   Esther Zumbrunn, lic. phil. I                                                            Berghotel Steingletscher ∙ Berglodge Steinalp ∙ Restaurant Sustenpass
                                   Coach, Mediatorin, Bildungsfachfrau                                                      www.sustenpass.ch ∙ welcome@sustenpass.ch
                                   al fresca, Gebhartstrasse 18a, 8404 Winterthur, www.alfresca.ch
                                   zumbrunn@alfresca.ch, 052 242 55 25

                                    LEHREN IST IHR LEBEN?                                                                              Sie stehen vor einer wichtigen Entscheidung.
                                    UNSERES AUCH.                                                                                      Sie sind ausgelaugt
                                                                                                                                       und möchten neue Perspektiven entwickeln.
                                                                                                                                       Sie möchten in Ihrem Leben etwas verändern.

                                                                                                                                       All das sind gute Gründe für einen Coaching-
                                                                                                                                       Spaziergang. In der freien Natur tasten Sie sich
                                                                                                                                       zusammen mit dem erfahrenen Coach an die
                                                                                                                                       Fragestellungen heran, finden Antworten und
                                                                                                                                       erarbeiten Werkzeuge, um die Erkenntnisse
                                                                                                                                       rasch in Ihren Alltag einzubauen.
Schulblatt Kanton Zürich 3/2019

                                                                                  L I NE
                                                                               ON       h
                                                                          R SE    z al.c
                                                                      K U        .
                                                                 L LE        w ww
                                                               A
                                                                                                                                                                   Dorothe Kienast
                                                           Für Schule begeistern                                                                                   043 536 62 77
                                                                                                                                                                   info@dok-coaching.ch
                                    Zürcher Arbeitsgemeinschaft für Weiterbildung der Lehrpersonen
                                    Bärengasse 22 | 8001 Zürich | info@zal.ch | 044 205 84 90
                                                                                                                                                                   www.dok-coaching.ch
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Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
Welche Schulreise ist Ihnen speziell                                                                                   Meine Schulzeit

                                                                  «Ich liebte das
in Erinnerung und warum?
Eine Schulreise ins Appenzellerland. Die
Fensterscheibe in der Appenzellerbahn

                                                               flinke Kopfrech-
hatte bereits einen Sprung, und um den
Kollegen zu imponieren, schlug ich mit der
Faust sanft auf genau jene Bruchstelle.

                                                                 nen über alles»
Doch durch meinen Schlag entstand so­
fort ein noch viel grösserer Sprung in
der Scheibe, ich errötete und erschrak zu
Tode, während die Kollegen – wir waren
am Gymnasium noch eine reine Buben­                                                Fünf Fragen an Stefan Haupt,
klasse – mich verstört anstarrten und
fragten, ob ich noch ganz bei Trost sei.                                                          Filmemacher
    Welche Lehrperson werden Sie
nie vergessen?
Armin Schibler, ein extrem engagierter
Musiklehrer und zeitgenössischer Kompo­
nist. Er gab uns, einer kleinen verschwore­
nen Gruppe von interessierten Schülern,
am frühen Samstagmorgen um 7 Uhr –               Aber auch: auszuhalten, dass man endlos
wir hatten noch Unterricht am Samstag –          lang und geduldig zuhören muss, oder die
jeweils Harmonie-Lehre, aus gegenseiti­          Fähigkeit, trotz Wegdämmern nicht ein­
gem Interesse und ohne dafür bezahlt zu          zuschlafen.
werden.                                              Was hat Ihnen in der Schule gar
    Welches war Ihr liebstes Fach                nicht gefallen?
und weshalb?                                     Im Gymi hatte ich schon stark das Gefühl,
Rechnen in der Unterstufe: Ich liebte das        dass in vielen Fächern in den Prüfungen
flinke Kopfrechnen über alles. Später auch       einfach ganz genau das wiedergegeben
Realien oder Deutsch – Gedichte – sowie          werden musste, was die Lehrer uns vor­
Turnen – sich bewegen dürfen. Ich ging           gekaut hatten und nun hören wollten:
allgemein sehr gern in die Primarschule.         Schlüsselwörter, Formeln, Gedanken­
    Was haben Sie in der Schule fürs             gänge präzise reproduzieren und genau

                                                                                                                                                       Foto: © Frederik Bugglin
Leben gelernt?                                   so wiederholen. Und weil ich ein auf­
Vieles. Heimatkunde zum Beispiel: mein           merksamer Zuhörer war und heraus­
Quartier kennenlernen, dann meine Stadt,         hören konnte, was sie in den Prüfungen              Stefan Haupt (58), ursprünglich Primar­
                                                                                                     lehrer, ist Absolvent der Schauspiel-Akade­
den Kanton, die Schweiz; Kartenlesen;            würden lesen wollen, galt ich als guter             mie Zürich und seit 1989 freischaffend
Städte, Flüsse, Seen, Berge mit Namen            Schüler, nicht aber, weil ich den Stoff             als Filmemacher tätig. Sein Spielfilmdebüt
                                                                                                     «Utopia Blues» gewann 2001 den Schweizer
kennen – das hat mich fasziniert. Dis­           wirklich erfasst und dort eigenständiges            Filmpreis. Sein jüngstes Werk ist der Spiel­
kutieren und Argumentieren in Deutsch.           Denken gelernt hätte.                               film «Zwingli». Stefan Haupt lebt in Zürich.

Bildungs-Slang
Ruedi Widmer, Cartoonist, interpretiert Begriffe aus Bildung und Schule – diesmal: Bildungsrendite
                                                                                                                                                    Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Magazin
                                                                                                                                                    9
Schulblatt3/2019 Begabt - Talente erkennen und fördern - Kanton Zürich
10   Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Fokus
Fokus

Begabt
Was macht man mit Schülerinnen und Schü-
lern, die im Klassenunterricht unterfordert
sind? Die Primarschule Hedingen hat mit der
Beratungsstunde eine Möglichkeit geschaffen,
den Ehrgeiz begabter Kinder zu wecken. Einen
anderen Weg beschreitet man an der Allgemei-
nen Berufsschule Zürich, wo besonders starke
und motivierte Lernende in der ­Talentklasse
weniger Zeit für den Schulstoff und mehr Zeit
für Vertiefungen aller Art zur Verfügung haben.
Solche Angebote seien wichtig, sagt Begabungs-
forscher Müller-Oppliger im Gespräch, es gehe
aber ebenso um Persönlichkeitsbildung.
Fotos: Sophie Stieger hat die Talentklasse der Köchinnen und Köche an der Allgemeinen Berufsschule Zürich besucht.

                                                                                                                     Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Fokus
                                                                                                                     11
Beratungsstunde                                                                                                                  Totomat auch dann ein Tor anzeigt, wenn

       Die Begabten­
                                                                                                                                        sie den Torhüter trifft. Noch ein Makel.
                                                                                                                                        ­Lionel erklärt, er wisse nicht, wie er diese
                                                                                                                                         Fehler ausmerzen könne. Zusammen ge-

       förderung ist auch
                                                                                                                                         hen sie den Code durch. Nach etwas ru­
                                                                                                                                         higem Überlegen und Pröbeln gelingt
                                                                                                                                         es, den Mangel zu beheben. «Wenn ich

       Schulentwicklung
                                                                                                                                         sie beim Lösen eines Problems unter­
                                                                                                                                         stütze, ist es wichtig, zu thematisieren, was
                                                                                                                                         nötig war, um die Nuss zu knacken», sagt
                                                                                                                                         Isabelle Brehm.
       In der Primarschule Hedingen können
                                                                                                                                        Die Komfortzone verlassen
       Schülerinnen und Schüler, die im Regel­                                                                                          Es kommt auch vor, dass sich ein Kind

       unterricht unterfordert sind, sich selbst                                                                                        nicht zu viel vornimmt, sondern immer
                                                                                                                                        das wiederholen will, was es beherrscht.
       Aufgaben stellen, die sie lösen wollen.                                                                                          Brehm erinnert sich an einen Jungen,
                                                                                                                                        der spitze war, wenn es um Fragen ging,
       Im Klassenverband werden Fähigkeiten,                                                                                            die er nach Schema X abarbeiten konnte.

       Kreativität und Engagement aller Kinder                                                                                          Offene Aufgaben mit schwammiger Aus-
                                                                                                                                        gangslage und unbestimmtem Lösungs-
       gefördert.                                                                                                                       weg waren ihm dagegen ein Gräuel. «Wir
                                                                                                                                        haben uns schliesslich auf einen Auftrag
       Text: Andreas Minder                                                                                                             geeinigt, der ihn herausforderte, aber doch
                                                                                                                                        nicht so offen war, dass er ihn gelähmt
                                                                                                                                        hätte.» Es ist eine generelle Anforderung
                                                                                                                                        an die Beratungsstunden-Projekte: Auch
                                                                                                                                        Neues, Kreatives, echte Eigenleistung soll
                                                                                                                                        drinstecken, nicht nur mehr vom Glei-
                                                                                                                                        chen. Für einen Vortrag über Pferde ge-
                                                                                                                                        nügt es nicht, im Internet Material zusam-
                                        Lionel programmiert einen Simulator            lichst selbstständig lösen. Isabelle Brehm       menzusuchen. Stattdessen soll das Kind
                                        fürs Penaltyschiessen, Anja arbeitet an        unterstützt die Kinder beim Finden einer         einen Pferdehof besuchen, einen Film
                                        ­einer Dokumentation über grosse Städte,       Fragestellung. «Am Anfang steht meist ein        drehen oder eine Reiterin interviewen.
                                         Alexander gibt einem Raumschiff seines        Brainstorming», sagt sie. Dann wählen die             Eine abschliessende Präsentation ist
                                         Computergames den letzten Schliff, Anna       Kinder ein Thema aus und stellen «For-           fester Bestandteil der Projekte. Das Pub­
                                         schreibt an einer langen Geschichte über      scherfragen», um das konkrete Projekt            likum können die anderen Kinder in der
                                         ein magisches Bild, Silvan schneidet ­einen   klar zu umreissen. Dieser letzte Schritt         Beratungsstunde sein, die eigene Klasse
                                         Film. Die Aufzählung könnte noch wei­         stosse meist auf wenig Begeisterung, sagt        oder sogar ein weiterer Kreis mit Eltern
                                         tergehen. Zehn Viert- und Fünftklässler       Brehm: «Das finden sie blöd.» Er sei aber        und anderen Interessierten. Der Zweck
                                         sitzen an einem Donnerstagvormittag           unumgänglich, sonst sei die Gefahr des           der Präsentation ist ein doppelter: Zum
                                         in einem Zimmer des Primarschulhauses         Scheiterns zu gross. Selbst mit klarem           einen sollen andere profitieren, zum an-
                                         Schachen in Hedingen. Die meisten ha-         Ziel würden die Schülerinnen und Schü-           deren fördert sie die Reflexion des eige-
                                         ben einen Bildschirm vor sich, zwei Bu-       ler noch auf Hürden stossen. Etwas, was          nen Handelns und Lernens. Will man et-
                                         ben beugen sich über ein Spielbrett,          die kognitiv Starken nicht gewohnt seien.        was erklären, sodass es andere verstehen,
                                         Anna schreibt mit einem Stift in ein Heft.    «Viele werden ungeduldig, wenn es nicht          muss man sich überlegen, was man genau
                                         Die Begabungsförderungslehrerin Isa­          sofort klappt.» In diesen Situationen sei        gemacht hat und wie. Schulleiterin Rita
                                         belle Brehm geht zwischen den Kindern         es wichtig, die Schülerinnen und Schüler         Sauter, die vor Isabelle Brehm für die
                                         hin und her, beantwortet oder stellt Fra-     zum Dranbleiben zu motivieren.                   Begabungsförderung an der Schule in
                                                                                                                                        ­
                                         gen, gibt Tipps. Wenn es laut wird, mahnt         Lionels Penalty-Spiel ist noch kein          ­Hedingen zuständig war, hat beobachtet,
                                         sie zur Ruhe.                                 Volltreffer. Die Schuss-Geschwindigkeit           dass Buben, die nicht gern schreiben,
                                             Beratungsstunde heisst das Angebot        ist so hoch eingestellt, dass der Goalie          beim Vorbereiten der Präsentation über
                                         für besonders begabte Schülerinnen und        keine Chance hat. Isabelle Brehm setzt
                                                                                       ­                                                 ihren Schatten sprangen: «Es hat sie zur
                                         Schüler. In diesen Stunden geben sie sich     sich vor den Bildschirm und schiesst              Sprache motiviert.»
Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Fokus

                                         selbst die Aufgaben, die sie dann mög-        selbst ein paar Mal. Sie stellt fest, dass der        Isabelle Brehm hat sich zu vier Kin-
                                                                                                                                         dern an ein Spielbrett gesetzt. Bei «Rico-
                                                                                                                                         chet Robots» geht es darum, eine farbige
                                          Begabten- und Begabungsförderung                                                               Spielfigur mit möglichst wenigen Zügen
                                          Im Rahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung werden besondere päda­                         auf ein bestimmtes Feld zu bringen. Na-
                                          gogische Bedürfnisse immer selbstverständlicher wahrgenommen. Im Kanton                        türlich geht es ums Gewinnen, aber längst
                                          Zürich wird mit dem Volksschulgesetz und der Verordnung über die sonder­                       nicht nur. Auch das Verlieren gehört dazu.
                                          pädagogischen Massnahmen explizit erwähnt, dass aufgrund ausgeprägter Be-                      «Sie erleben in der Beratungsstunde öf-
                                          gabung ein besonderes pädagogisches Bedürfnis entstehen kann.                                  ters, dass es andere gibt, die besser sind»,
                                          Im Volksschulgesetz wird zwischen Begabungsförderung und Begabtenförde-                        sagt Brehm. Eine Erfahrung, die zum
                                          rung unterschieden: Begabungsförderung erfolgt im Regelunterricht und                          Lernanreiz werden kann. Hilfreich beim
                                          betrifft als Grundauftrag alle Schülerinnen und Schüler. Begabtenförderung                     Besserwerden ist die Regel, gute Tricks
                                          meint die Angebote und Massnahmen für begabte Schülerinnen und Schüler,                        nicht für sich zu behalten, sondern zu tei-
                                          deren Förderbedarf die Möglichkeiten des Regelunterrichts übersteigt. [red]                    len. Das gibt stärkere Gegner und span-
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                                                                                                                                         nendere Spiele. «Zudem machen sich die
Am Anfang der Beratungsstunde stehe meist
                                                                                                              ein Brainstorming, sagt Isabelle Brehm.
                                                                                                          Sie ist für die Begabtenförderung im Schul­
                                                                                                                  haus Schachen zuständig. Fotos: zvg

Kinder ihre eigenen Strategien bewusst,         Kunst bestehe darin, Inhalte zu finden, die   ches «Intelligenzprofil», das bei der Wahl
wenn sie sie für die andern formulieren»,       den heterogenen Fähigkeiten und Be-           der freien Tätigkeit helfen kann. Und
erklärt Brehm. Auch hier heisst das Stich-      dürfnissen gerecht werde, sagt Schullei­      nicht nur dabei, wie Isabelle Brehm sagt:
wort: Reflexion.                                terin Sauter. Wie es funktionieren kann,      «Später kann es beispielsweise bei der
                                                erläutert sie anhand eines Projekts, das      Berufswahl von Nutzen sein.»
Lebenslanger Nutzen                             in Hedingen realisiert worden ist. Das            Wie in den Beratungsstunden haben
Zwischen einer und vier Stunden pro Wo-         Thema war Wohnen, umgesetzt wurde es          auch in den beiden Formen der integ­
che kann eine Schülerin oder ein Schü­ler       mit dem Bau eines Hausmodells. Dazu           rativen Begabungsförderung das Nach­
in der Beratungsstunde verbringen. Die          brauchte es analytisches, praktisches und     denken über das eigene Vorgehen und
Arbeit am eigenen Projekt muss sich aber        kreatives Können – oder konkret: Archi­       Präsentationen grosses Gewicht. Isabelle
nicht auf diese Zeit beschränken. Die Kin-      tektinnen, Bauleiter, Handwerkerinnen,        Brehm ist überzeugt, dass sich das aus-
der dürfen sich auch im regulären Un­           Innendekorateure usw. Die Kinder konn-        zahlen wird – auch ausserhalb der Schul-
terricht damit beschäftigen. Immer dann,        ten einen Beruf und damit eine Aufgabe        welt: «Es ist die Grundlage für lebens­
wenn sie den Pflichtstoff beherrschen           wählen. Dieses Projektdesign orientiert       langes Lernen.»
und Langeweile droht und immer in Ab-           sich am Drei-Ringe-Modell des US-ame-
sprache mit den Lehrpersonen, versteht          rikanischen Psychologen Joseph S. Ren-        Viel Anerkennung
sich. Diese sind es oft, die ein Kind für die   zulli. Er postuliert, dass hohe Leistungen    Schulleiter Ueli Trindler hat die Kombi­
Beratungsstunden vorschlagen. Es kann           dann entstehen, wenn ein Mensch in            nation von Begabten- und Begabungs­
aber auch sein, dass Isabelle Brehm selbst      einem Gebiet überdurchschnittlich be-
                                                ­                                             förderung im Schuljahr 2011/12 in He­
auf einen Kandidaten aufmerksam wird.           gabt ist, wenn er kreativ ist und wenn er     dingen eingeführt und ist von diesem
Und manchmal melden sich Kinder gleich          eine Aufgabe motiviert anpackt.               Ansatz immer noch überzeugt. Er ist da-
selbst. Ob und wie viele Beratungs­stunden          Vor einem Jahr hat Isabelle Brehm         mit nicht allein. «Die Fachstelle für Schul-
sinnvoll sind, entscheiden die Klassen-         eine Form der Begabtenförderung einge-        beurteilung gibt unseren Fördermassnah-
                                                                                                                                                  Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Fokus

lehrperson und Isabelle Brehm gemein-           führt, die noch stärker auf die Fähigkei-     men gute Noten», sagt Trindler. Dazu kam
sam. Gute Schulleistungen seien nicht das       ten und Wünsche der einzelnen Kinder          2014 der «Nobelpreis» der Begabungs­
einzige Kriterium, betont Brehm. Wenn           eingeht. Sie nennt sie «Freie Tätigkeit».     förderung in der Schweiz: Die Schule er-
sich bei einem Kind eine Begabung zeige,        Hier sind die Schülerinnen und Schüler        hielt den LISSA-Preis. Die Jury lobte
werde es berücksichtigt, auch wenn es           nicht in ein gemeinsames Projekt einge-       ­unter anderem, dass die Angebote in eine
sein Potenzial in der Schule nicht aus-         bunden, sondern wählen frei, was sie tun       aktiv gelebte Schulentwicklung eingebet-
schöpfe. Ebenfalls wichtig: Eine Pflicht,       wollen. Dazu machen sie sich zuerst ihre       tet ­seien. Ein wichtiger und richtiger
in die Beratungsstunde zu gehen, gibt es        Stärken und Interessen bewusst. Damit          Punkt, findet Schulleiterin Rita Sauter.
keine. Wer nicht will, kann in seiner Klas-     sie dabei nicht in Schulfächern denken,        Dank der engen Zusammenarbeit mit der
se bleiben. Und wer teilnimmt, kann auch        werden ihnen die «Intelligenzen» von Ho-       Fachfrau Isabelle Brehm lernten die an-
wieder aussteigen.                              ward Gardner vorgestellt. Gardner unter-       deren Lehrpersonen, wie sie den Kindern
    Nicht freiwillig sind die Begabungför-      scheidet zwischen sprachlicher, mathema­       noch besser gerecht werden können.
derungsprojekte für die ganzen ­Klassen.        tischer, musikalischer, bildlich-räumlicher    ­Womit die Begabungsförderung nicht nur
Sie finden jährlich statt. Während 20 Stun-     und weiteren Intelligenzen. Die Schüle-         auf Inseln, sondern immer mehr auch im
                                                                                                                                                  13

den dreht sich alles um ein Thema. Die          rinnen und Schüler erstellen ihr persönli-      Schulalltag stattfinde. 
Im Gespräch                                                                                                                 dern gerecht zu werden, wurde in den

       «Jede Begabung
                                                                                                                                   1990er-Jahren quasi als Antwort auf die
                                                                                                                                   Idee, den IQ als Gradmesser für Begabung
                                                                                                                                   zu definieren, der Begriff Inselbegabung

       ist ein Unikat»
                                                                                                                                   oder Teilhochbegabung geprägt. In der
                                                                                                                                   Geschichte finden sich genügend Beispie-
                                                                                                                                   le für solche Inselbegabungen: Einstein,
                                                                                                                                   Edison, Bill Gates, Steve Jobs und so weiter.

       Begabtenförderung bedeutet mehr als                                                                                              Es gibt auch das Bild vom
                                                                                                                                   ­«genialen Autisten»; was ist da dran?
       Zusatzaufgaben und Wettbewerbe,                                                                                              Dieses Bild wird gern von den Medien

       sagt Begabungsforscher und -experte                                                                                          portiert, ist in dieser Generalisierung aber
                                                                                                                                    Unsinn. Es gibt allerdings Kinder – sie

       Victor Müller-Oppliger. Wie man                                                                                              machen etwa ein Drittel der Begabten
                                                                                                                                    aus –, die sogenannte «Twice-exceptio-
       begabte Kinder erkennt, wie Schulen                                                                                          nals» sind. Sie haben in einem Bereich

       sie fördern können und was es zusätzlich                                                                                     eine aussergewöhnliche Begabung, in an-
                                                                                                                                    deren Bereichen aber aussergewöhnliche
       braucht, erklärt er im Gespräch.                                                                                             Schwächen oder gar Beeinträchtigungen.
                                                                                                                                    Sie sind oft verhaltensauffällig oder er-
       Interview: Jacqueline Olivier Foto: Sophie Stieger                                                                          scheinen als sogenannte Minderleister. Zu
                                                                                                                                   Letzteren gehören auch die dysfunktiona-
                                                                                                                                   len Perfektionisten, das sind oft Mädchen,
                                                                                                                                   die übersteigerte Ansprüche an sich selbst
                                                                                                                                   stellen und deswegen blockiert sind. Es
                                                                                                                                   gibt zudem Kinder, die Angst haben, auf-
                                                                                                                                   zufallen, und deswegen verstummen. Oft
                                                                                                                                   handelt es sich um sensible Kinder, die
                                                                                                                                   das Potenzial hätten, vor allem im musi-
                                                                                                                                   schen, sprachlichen und sozialen Bereich
                                                                                                                                   Hochleistungen zu erbringen. Im Schnitt
                                        Was heisst eigentlich «begabt»?               In den 1990er-Jahren hat man den IQ als      droht man pro Schulklasse zwei bis drei
                                        In «begabt» steckt das Wort «Gabe». Die-      Messlatte genommen: ein IQ von über 130      Kinder zu verlieren, wenn man nicht ge-
                                        ses verleitet gern zur Annahme, bei einer     gleich hochbegabt. Dies ist heute über-      nau hinschaut oder ihr Verhalten falsch
                                        Begabung handle es sich um eine gene-         holt, weil ein IQ lediglich das kognitive    interpretiert.
                                        tisch bedingte Eigenschaft – ein «goldenes    Potenzial eines Menschen aufzeigt, aber           Wie kann eine Lehrperson
                                        Chromosom», das dem Betroffenen in die        nichts aussagt über all die anderen Fakto-   eine Begabung erkennen, gerade
                                        Wiege gelegt wurde. Dies ist aber nur ein     ren, die eine Begabung ausmachen, etwa       bei solchen Kindern?
                                        Teil der Wahrheit. Wir gehen davon aus,       Kreativität, Leistungswille oder Sensibi­    Es gibt gewisse Merkmale, auf die man
                                        dass 50 Prozent einer Begabung genetisch      lität. Wir reden deshalb von Begabungs-      achten kann. Zum einen lässt sich Bega-
                                        bedingt sind und 50 Prozent auf Förde-        potenzialen und von Kindern, die Leis-       bung natürlich an der Leistung fest­
                                        rung zurückzuführen sind. Natürlich:
                                        Gewisse kognitive, emotionale und kör-
                                        ­
                                        perliche Potenziale sind angeboren, ge-
                                        wisse Gehirne arbeiten und vernetzen
                                        schneller, haben mehr Kapazität. Hinzu               «Anders zu sein, kann eben auch
                                        kommt aber alles, was gelernt ist, und das
                                        Lernen beginnt schon in der Familie.
                                                                                             bedeuten, bessere Leistungen zu
                                             Heisst das, Begabung kann trainiert
                                        werden?
                                                                                               erbringen als die anderen.»
                                        Eher stimuliert und verstärkt. Ein Kind,
                                        das in einem anregenden Umfeld auf-
                                        wächst, das schon früh ein vielfältiges
                                        ­Vokabular mit auf den Weg bekommt, des-      tungen weit über dem Durchschnitt der        machen. Diese können die Lehrpersonen
Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Fokus

                                         sen Eltern differenziert denken, gewisse     Gleichaltrigen erbringen. Jede Begabung      sehen und einschätzen, sofern die Kinder
                                         Interessen, Selbstvertrauen und deshalb      ist zudem ein Unikat, zusammengesetzt        sie gemäss ihrem Potenzial erbringen.
                                         auch Aspirationen haben, geniesst von        aus Interesse, Potenzial und Gelerntem,      Zum anderen muss man den Blick auf
                                         Geburt an eine andere Förderung als          und lässt sich deshalb nicht normieren.      zahlreiche soziale und personale Kom­
                                         Kinder, denen ein solches Umfeld fehlt.
                                         ­                                                Es gibt auch den Begriff «Insel­         petenzen richten – Kommunikation, Um-
                                         Begabung ist also eine Kombination von       begabung», was ist damit gemeint?            gang mit Herausforderungen, Motivation,
                                         Begabungspotenzialen und dem, was ein        Dieser Begriff kommt ursprünglich aus        Selbstvertrauen und so weiter. Die Lehr-
                                         Kind an Anreizen und positiver Verstär-      der Heilpädagogik. In dieser ist die Rede    personen für solche Kriterien zu sensibi-
                                         kung aus seinem nächsten Umfeld erhält.      von multiplen Intelligenzen wie zum Bei-     lisieren, ist wichtig. Ausserdem sind wir in
                                             Und wann spricht man von                 spiel ästhetischer, sportlicher, mathema­    der Lehrerbildung daran, die sogenannte
                                         ­Hochbegabung?                               tischer, sozialer oder emotionaler Intel­    pädagogische Diagnostik zu stärken.
                                          Mit diesem Begriff bin ich vorsichtig –     ligenz. Ein hochkarätiger Sportler, ein           Was hat es damit auf sich?
                                          man müsste ja irgendwie messen können,      genialer Pianist oder Maler ist kognitiv     Mit der Einführung der Schulpsychologie
                                          wie hoch respektive ausgeprägt eine Be-     oder sozial vielleicht nicht überdurch-      ist die pädagogische Diagnostik für Lehr-
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                                          gabung ist, was jedoch nicht möglich ist.   schnittlich stark. Um auch solchen Kin-      personen in den Hintergrund gerückt. Von
Victor Müller-Oppliger (66) ist eme­
                                                                                               ritierter Professor für Pädagogische
                                                                                                   Psychologie und Didaktik an der
                                                                                           ­Pädagogischen Hochschule Nordwest-
                                                                                             schweiz. Bis 2017 war er Studienleiter
jenem Moment an waren Schulpsycho­           Das hoffe ich und daran arbeiten wir. Vor          des internationalen Masterstudien-
                                                                                                                                        Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Fokus

                                                                                               gangs zur «Integrativen Begabungs-
logen für die Diagnostik zuständig, und      40 Jahren war das Credo der schulischen         und Begabtenförderung» in Koopera­
selbst um in die Begabungsförderung auf-     Heilpädagogen klar: Die Schwächeren            tion mit dem National Center of Gifted
                                                                                                and Talented in Connecticut (USA).
genommen zu werden, mussten die Kin-         ­benötigen Hilfe. In den 1990er-Jahren er-
                                                                                                  Er ist unter anderem Mitglied des
der in diversen Kantonen erst durch den       wuchs dann allmählich die Erkenntnis,               International Panel of Experts for
schulpsychologischen Dienst abgeklärt         dass damit gewisse Kinder nicht «be-             Gifted Education, des General Com-
                                                                                           mittee und des Board of Education des
werden. Das ist absurd. Begabung ist kein     dient» werden. In den letzten zehn Jahren       European Council of High Ability so-
Fall für die Schulpsychologie, ausser wenn    kam die Heterogenitäts- und Integra­               wie Delegierter für die Schweiz im
                                                                                             World Council for Gifted and Talented
Lern- oder Verhaltensdefizite damit ein-      tionsdebatte dazu – «Schule der Vielfalt»,       Children. Ausserdem ist er als Gast­
hergehen. Darum sind wir überzeugt, dass      es ist normal, anders zu sein. Und anders        dozent an mehreren internationalen
                                                                                                                 Universitäten tätig.
Lehrpersonen wieder vermehrt in päda-         zu sein, kann eben auch bedeuten, besse-
gogischer Diagnostik ausgebildet werden       re Leistungen zu erbringen als die ande-
müssen.                                       ren. Aber die Schulen stehen momentan
    In den letzten Jahren standen vor         an unterschiedlichen Orten, es gibt nach
allem die Schwächeren im Fokus. Fin­          wie vor Teams, die ihre Aufmerksam-
                                                                                                                                        15

det im Moment ein Umdenken statt?             keit hauptsächlich auf die Schwächeren 
richten, andere haben auch – mehr oder         lungsstand und seinen Stärken entspricht.     die grundsätzlich auf den Durch­
                                        weniger – Zusatzangebote für Leistungs-        Erste solche Programme existieren be-         schnitt ausgerichtet ist?
                                        starke.                                        reits. Sie dienen im Sinne der Leistungs-     Die Fokussierung auf den Durchschnitt ist
                                            Wie fördert man Begabte denn               heterogenität sicher allen Lernenden,         vor allem in Deutschland, Österreich und
                                        am besten?                                     aber gerade im Bereich der Begabtenför-       der Schweiz stark ausgeprägt. Bei uns ist
                                        Grundsätzlich geht es darum, Schul- und        derung sehe ich in der Digitalisierung        es oft «sozial verdächtig», wenn man et-
                                        Unterrichtskonzepte zu entwickeln, die es      grosses Potenzial.                            was gut kann, erst recht, wenn man das
                                        ermöglichen, alle Schülerinnen und Schü-           In der Schule zählt am Schluss            auch noch kundtut. Hier kommt den
                                        ler in ihrer individuellen Entwicklung zu      die Gesamtleistung. Was nützen da             Schulen im Rahmen der Heterogenitäts-
                                        fördern. Für Begabte sehen wir dafür drei      punktuelle Angebote in einzelnen              und Integrationsdebatte eine wichtige
                                        Ebenen vor: den Klassenunterricht, Er-         Bereichen?                                    Aufgabe zu. Wenn es normal ist, anders zu
                                        gänzungsangebote in der eigenen Schule         Die Förderung in einzelnen Fächern oder       sein, muss es eben auch normal sein, et-
                                        und ausserschulische Angebote. Das             Themenbereichen wirkt sich positiv aus        was besser zu können als andere. Dies be-
                                        heisst, es muss möglich sein, dass die         auf die Leistungsmotivation. Das ist gene-    deutet, dass man nicht nur die Begabten
                                        Schülerinnen und Schüler in der Klasse         rell der Ansatz des stärkenorientierten       fördern, sondern gleichzeitig auch das
                                        aufgehoben sind, gleichzeitig aber einen       Unterrichts: In den eigenen Stärken be-       Umfeld dafür sensibilisieren sollte, solche
                                        Teil der Unterrichtszeit in Zusatzforma-       stätigt, gefördert und gefordert zu werden,   Menschen wertzuschätzen. Gerade die
                                        ten der Schule – sogenannten Pull-outs –       strahlt aus. Genauso wie Defizite im nega-    Schweiz, die keine Bodenschätze auf-
                                        oder in schulergänzenden Förderpro-            tiven Sinn ausstrahlen. In den 1990er-        weist, ist auf Expertise und Exzellenz an-
                                        grammen wie etwa dem Universikum der           Jahren hat man sich in der Begabtenför-       gewiesen. Gleichzeitig müssen sich Be-
                                        Stadt Zürich verbringen. Noch wenig be-        derung lediglich auf die fachlichen Kom-      gabte aber ethischen Grundsätzen stellen
                                        kannt ist die vierte Ebene, das Mentoring.     petenzen fokussiert. Dann kam das selbst-     und sich bewusst machen, dass sie Teil
                                            Was ist damit gemeint?                     gesteuerte Lernen in der Pädagogik auf,       einer Gesellschaft sind. Begabtenförde-
                                        Mentoren sind Fachpersonen, die Schü-          bei dem es zusätzlich um sogenannte           rung beruht also auf einem Menschenbild
                                        lern Einblicke in ihr Fachgebiet ermögli-      «Soft Skills» wie Selbstvertrauen, Lern-      und einer Gesellschaftsvorstellung. Wir
                                        chen. Ein paar reale Beispiele: Ein Kind       techniken und -strategien, Vernetzung         reden deshalb von «Selbstverwirklichung
                                        interessiert sich für die Ausbildung von       und so weiter geht. Die logische Konse-       in sozialer Mitverantwortung».
                                                                                                                                             Wir haben bisher von der
                                                                                                                                     ­Volksschule gesprochen. Was passiert
                                                                                                                                      danach?
                                                                                                                                      An den Gymnasien, den Berufsfachschu-
                                                 «Begabtenförderung beruht                                                            len und den Hochschulen läuft teilweise

                                             auf einem Menschenbild und einer                                                         wenig punkto Begabungsförderung. Es ist
                                                                                                                                      zwar schön, wenn man die besten Matur-
                                                  Gesellschaftsvorstellung.»                                                          oder Abschlussarbeiten auszeichnet, aber
                                                                                                                                      das reicht nicht. Was es braucht, ist eine
                                                                                                                                      Anerkennungskultur. Es gibt eine inter-
                                                                                                                                      nationale Vereinigung für sogenannte
                                                                                                                                      Honors Programs für erfolgreiche Stu­
                                                                                                                                      ­
                                        Drogenhunden und darf zusammen mit             quenz daraus ist, dass sich auch die           dierende. Auch hier geht es um Zusatz-
                                        einem Polizisten dem Hundetraining bei-        Begabtenförderung nicht allein aufs
                                                                                       ­                                              programme, Mentoring, Vernetzung, freie
                                        wohnen. Ein anderes besucht einmal             Fachliche beziehen darf.                       Projekte und so weiter. Doch an hiesigen
                                        ­wöchentlich eine Radiologin im Spital, ein         Worauf muss sie sich also noch            Hochschulen wird dies noch wenig ge-
                                         drittes entwickelt mithilfe eines Program-    ­beziehen?                                     nutzt. Auch für die Gymnasien wären sol-
                                         mierers Computerspiele. Das können             Seit mehr als zehn Jahren verfolgen wir in    che Honors Programs sehr wichtig.
                                         Lehrpersonen nicht leisten, dafür braucht      der Begabtenförderung die drei Ebenen                Für Gymnasiasten gibt es die
                                         es Eltern, Bekannte, freiwillige Senioren      fachliche, Persönlichkeits- und Sozialbil-    ­Wissenschaftsolympiaden, für
                                         und so weiter, die sich für ein solches        dung. In der Persönlichkeitsbildung geht       ­angehende Berufsleute die Berufs­
                                         Mentoring zur Verfügung stellen. Natür-        es um Fragen wie: Wer bin ich? Was kann         meisterschaften. Das ist doch auch
                                         lich können auch Lehrpersonen Mento-           ich? Was ist mein Potenzial? Ein wichtiges      ­Begabtenförderung?
                                         ren sein, wenn sie eine spezielle Ausbil-      Thema ist ebenso der Umgang mit Miss-            Wettbewerbe per se sind sicher ein gutes
                                         dung oder ein Know-how haben, von dem          erfolg. Gerade die Twice-exceptionals            Angebot, aber nur für die wettbewerbs-
                                         begabte Kinder profitieren können.             können oft nicht so gut mit Misserfolg           orientierten Kinder und Jugendlichen, für
                                              Zusatzgefässe, Mentoring, externe         umgehen und reagieren stattdessen mit            jene, die über das nötige Selbstvertrauen
Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Fokus

                                         Förderprogramme – das klingt alles             Verweigerung. In der Sozialbildung geht          und Selbstkonzept verfügen. Aus der For-
                                         wunderbar für eine Stadt wie Zürich,           es unter anderem darum, wie man damit            schung wissen wir, dass dies nur auf etwa
                                         aber welche Möglichkeiten haben                umgeht, dass man anders ist, schneller           die Hälfte der hochleistenden Schülerin-
                                         ­kleine Landgemeinden?                         denkt als andere, und wie man mit diesen         nen und Schüler zutrifft, die anderen kön-
                                          Es bestehen natürlich unterschiedliche        anderen umgeht. Seit Kurzem kommt                nen einbrechen, wenn sie an einen Wett-
                                          Voraussetzungen, aber auch in kleinen         noch eine vierte Ebene dazu: Werte- und          bewerb teilnehmen sollen. Auch Hoch-
                                          Gemeinden ist es durchaus möglich, ein        Sinnfragen. Begabt zu sein, bedeutet eben        leistende können unsicher sein oder Min-
                                          Netzwerk von Mentoren aufzubauen. Es          auch, sich darüber Gedanken zu machen,           derwertigkeitsgefühle haben. In Deutsch-
                                          können ja auch mehrere benachbarte            wozu diese Begabung gut ist und wie man          land redet man mittlerweile von Leis-
                                          Schulgemeinden zusammenspannen. Im            sie nutzt: Auf der Basis einer Kernfusion        tungsstarken und Leistungsfähigen, weil
                                          Übrigen gibt es heute Möglichkeiten, digi-    beispielsweise kann ich ebenso eine Bombe        eben nicht alle Begabten in der Lage sind,
                                          tale interaktive Lernsysteme einzurich-       herstellen wie sauberen Strom gewinnen.          ihr Potenzial auszuschöpfen und zu ent-
                                          ten, mit denen der Schüler selbstständig          Begabungsförderung ist folglich              falten. Genau darum ist eine umfassende
                                          lernen kann und laufend neue Aufgaben         auch ein gesellschaftliches Thema.               fachliche, persönliche und soziale Förde-
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                                          erhält, die seinem aktuellen Entwick-         Was heisst das für eine Gesellschaft,            rung der Begabten so wichtig. 
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Sie koche unheimlich gern, erzählt Va­                                                                              Talentklasse

                                                              Immer wieder
nessa Orlando. Trotzdem wusste sie lange
nicht, was sie lernen sollte. «Beim Schnup-
pern in verschiedenen Küchen hat es mir

                                                             über den Teller­
dann total gefallen.» Darum absolviert die
16-Jährige heute eine Ausbildung als Kö-
chin. Auch Jill Billeter hegt eine Leiden-

                                                                rand blicken
schaft fürs Kochen. Was man aus einem
einzigen Lebensmittel alles machen kann,
fasziniert sie. «Meine Eltern sagen, ich
hätte bereits als Dreijährige verkündet,
dass ich einmal Köchin werden wollte.»               In der Berufsbildung sind es vor allem
Adrin Angele wiederum erklärt: «Schon
­
als Kind habe ich am liebsten mit der            die Betriebe, die begabte Lernende gezielt
Spielzeugküche gespielt.» Darum schaute
er als Fünftklässler am Zukunftstag einem
                                                          fördern. Letzten Sommer startete
Koch bei der Arbeit über die Schulter. Dies       an der Allgemeinen Berufsschule Zürich
hat seine Berufswahl besiegelt.
     Heute stehen die drei Jugendlichen             ein schweizweit einmaliges Projekt: die
im ersten Lehrjahr und besuchen die All-
gemeine Berufsschule Zürich (ABZ). Und
                                                    Talentklasse für Köchinnen und Köche.
seit Beginn des Frühlingssemesters sind                                                                               Text: Jacqueline Olivier
sie in der Talentklasse für lernende Köche
und damit so etwas wie Pioniere, handelt
es sich doch um den ersten Jahrgang, der
von diesem Angebot profitiert. Die geisti-
gen Väter des Pilotprojekts heissen And-
rea Hanselmann und Alexander Wilhelm,
sind Berufskundelehrer und Co-Leiter          «gleichzeitig werden wichtige soziale        vor: Im ersten Jahr geht es um die Pro­
der Berufsgruppe Koch. Seit Jahren beob-      Kompetenzen gefördert. Teamarbeit etwa       dukte, im zweiten um die Produktion, im
achten sie, wie stark das Leistungsspekt-     ist in diesem Beruf zentral. Man arbeitet    dritten um das Sammeln von Erfahrungen
rum in den Klassen auseinanderfällt –         mit so vielen Menschen zusammen und          und den Aufbau eines persönlichen Netz-
mehr als in manch anderem Beruf. «Für         auch für Menschen.»                          werks. Im Juni besuchen die Lernenden
die einen ist Koch der absolute Traum­             Gebildet wird die Talentklasse gegen    beispielsweise während dreier Tage die
beruf, für die anderen ein Notnagel, weil     Ende des ersten Semesters des ersten         landwirtschaftliche Schule in Landquart.
sie keine andere Lehrstelle gefunden ha-      Lehrjahrs. Ausgewählt werden die 16 bis      Diesen Sommer kochen sie an den Ren-
ben», stellt Andrea Hanselmann fest. Dies     18 Lernenden aufgrund der Empfehlun-         nen von Aston Martin. Ein anderes Mal
führe dazu, fährt Alexander Wilhelm fort,     gen ihrer Berufsbildner und ihrer Lehr-      beteiligen sie sich an Kochkursen der
dass die motivierten Lernenden in der         personen sowie eines Motivationsschrei-      Kochnationalmannschaft. Auch bringen
Schule stark unterfordert seien. «Und sol-    bens. Es zählen nicht nur die schulischen    ihnen Forscher der Zürcher Hochschule
che Jugendlichen springen nach der Leh-       Leistungen, sondern auch die praktische      der Angewandten Wissenschaften (ZHAW)
re häufig ab und wechseln den Beruf.»         Begabung und die Begeisterung. Wer die-      die Lebensmittelsensorik näher, also die
                                              se Hürde geschafft hat, ist jedoch nicht     hohe Kunst der Bewertung von Lebens-
Mehr als einmalige Zückerchen                 automatisch bis zum Ende der Ausbil-         mitteln mithilfe der Sinnesorgane.
Vor fünf Jahren starteten die beiden Leh-     dung Talentschüler: Per Ende jedes Se-
rer deshalb ein Projekt, das besonders        mesters können Aus- und Eintritte erfol-     Praktikum als Höhepunkt
talentierten Lernenden im letzten Aus­
­                                             gen. Dies ist den beiden Leitern wichtig:    Da an den klassischen Schultagen nur
bildungsjahr ein Praktikum bei einem          «Spätzünder sollen auch die Möglichkeit      noch Allgemeinbildender Unterricht (ABU)
Spitzenkoch im In- oder Ausland ermög-        haben, von dem Programm zu profitie-         und Berufskunde auf dem Stundenplan
lichte. Dies wirkte zwar durchaus als         ren», betont Alexander Wilhelm, «umge-       stehen und die Sportlektionen in fünf
Motivationsspritze, trotzdem war den
­                                             kehrt sollen jene, die bereits drin sind,    ­halben Tagen zusammengefasst wurden,
Berufsgruppeleitern damals schon klar,
­                                             wissen, dass eine gewisse Leistung erfor-     ist vermehrt Blockunterricht angesagt.
dass die Lösung nicht in einem einmali-       derlich ist, um zu bleiben.» Selbstver-       Die ABU-Lehrerin Heidi Giger kann so
gen «Zückerchen» liegen konnte, sondern       ständlich sind auch freiwillige Wechsel       ihren Unterricht mit externen Aktivi­täten
                                                                                                                                           Schulblatt Kanton Zürich 3/2019 Fokus

dass begabte und leistungswillige Ler-        nicht ausgeschlossen, wer sich zu sehr        verknüpfen und den Lernenden zum Bei-
nende ein regelmässigeres Angebot be­         unter Druck fühlt, soll nicht durchbeissen    spiel den Auftrag erteilen, während einer
nötigten. Mit der Talentklasse wurde ein      müssen bis zum Abschluss. Dieser wird         Besichtigung Interviews mit Fachperso-
Rezept ge­ funden, von dem sie sich viel      zwar zum gleichen eidgenössischen Fä-         nen vor Ort zu machen. Auch Sportleh-
erhoffen. Die Idee: Der Schulstoff wird in    higkeitszeugnis führen wie bei allen an-      rer Stefan Stamm ist involviert, etwa bei
drei Vierteln der üblichen Zeit vermittelt,   deren Kochlernenden, die Talentschüler        Themen wie Gruppendynamik, Sport­
die so gesparte Zeit – sechs bis zehn Tage    sollen darüber hinaus aber noch ein zu-       ernährung oder Energieverbrauch. Damit
pro Schuljahr – stehen für fachliche Ver-     sätzliches Zertifikat oder Zeugnis erhal-     ist Interdisziplinarität ein weiteres Plus
tiefungen in Form von Exkursionen, Refe­      ten, das sie als solche ausweist.             des Konzepts. Und was einst den Anfang
raten und anderem mehr zur Verfügung.              Wer die vollen zweieinhalb Jahre         machte – die Praktika –, bildet nun den
«Da diese Jugendlichen einen starken          durchläuft, erhält zahlreiche Einblicke in    Höhepunkt des Programms. Dank der
Willen haben, voranzukommen, und auch         Themen und Bereiche, die den Horizont         Stages sollen die Jugendlichen, die selbst
bereit sind, sich gegenseitig zu unterstüt-   erweitern und zeigen, «dass es noch mehr      vielleicht eine solche Karriere anstreben,
zen, können wir im Unterricht effizien-       gibt als das aktuelle Umfeld». Das Kon-       erfahren, was Spitzengastronomie heute
                                                                                                                                           19

ter arbeiten», sagt Andrea Hanselmann,        zept sieht ausserdem einen klaren Aufbau      bedeutet, nämlich Kreativität und Renom- 
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