SOCIAL MEDIA - FÜR DIE PASTORAL - Erzbistum Freiburg

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SOCIAL MEDIA - FÜR DIE PASTORAL - Erzbistum Freiburg
1/ 2019

               FÜR DIE PASTORAL

          SOCIAL MEDIA
SOCIAL MEDIA - FÜR DIE PASTORAL - Erzbistum Freiburg
EDITORIAL

    Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im
    ehrenamtlichen und hauptamtlichen Dienst
    unserer Erzdiözese,

    „Der Kirche ist sehr wohl bekannt, dass die sozialen        Online kann auch „angeleint“ bedeuten, daddeln kann
    Kommunikationsmittel bei rechtem Gebrauch den               auch fesseln. Social Media sind immer Unterstützung
    Menschen wirksame Hilfe bietet.“1                           und nicht Selbstzweck, sie sind „bei rechtem Gebrauch“
                                                                eine Chance, im Heute als Kirche präsent zu sein:
    Dieses Zitat aus dem Dekret über die sozialen               Spiritualität und Digitalität sind weder identisch noch
    Kommunikationsmittel des Zweiten Vatikanischen              gegensätzlich. Es gilt die Potentiale, die in den neuen
    Konzils ist zwar einerseits in die Jahre gekommen,          Möglichkeiten für die pastorale Arbeit liegen, noch
    zumal sich durch die Digitalisierung ungeahnte              stärker konstruktiv und kritisch zu nutzen. Diese
    interaktive Möglichkeiten ergeben haben, andererseits       Impulse dazu wollen wir Ihnen an die Hand geben.
    geht es in all diesen epochalen Weiterentwicklungen, die
    sich in den sozialen Medien zeigen, immer noch – oder       Mit herzlichen Grüßen Ihr
    um so mehr – um Menschen und ihre Kommunikation.
    Die Gefahr besteht: soziale Kommunikationsmittel
    können auch zu „a-sozialen“ Kommunikationsmitteln
    werden. Gerade die Digitalisierung, die zwischenzeitlich
    zur Digitalität geworden ist, braucht die Balance, die
    positive Souveränität des Nutzers und die Authentizität
    der Inhalte. Wir sind nicht primär User, sondern
    Personen, zu deren Wesenskern die wahrhaftige                                      Andreas Möhrle
    Kommunikation gehört und dies erfordert humane                                     Domdekan und Rektor des
    Standards, wie zum Beispiel Gemeinwohlorientierung.                                Erzbischöflichen Seelsorgeamtes

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        Karl Rahner, Herbert Vorgrimler – Kleines Konzilskompendium, S. 95
SOCIAL MEDIA - FÜR DIE PASTORAL - Erzbistum Freiburg
für die Pastoral   1/2019

INHALT

Editorial

Blickwinkel
Was brauchts?
   von Björn Siller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  5

Zugänge
Drei Zeichen unserer digitalisierten Gesellschaft und ihre Chancen
für die Glaubenskommunikation
   von Tobias Sauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  7
Social Media in der Seelsorge?
  von Wolfgang Beck und Madeleine Helbig-Londo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Von der Utopie zur Dystopie? – Empirische Anmerkungen zu Entwicklungslinien
der Sozialen Medien
  von Elke Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Erfahrungen
Soziale Medien – alternativlos in der kirchlichen Kommunikation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
  von Michael Hertl
Auch Jesus würde twittern – Warum ich als Bischof die sozialen Medien nutze,
wie und wofür!
  von Erzbischof Dr. Ludwig Schick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Firmvorbereitung mit #gottinoffenburg
   von Friederike Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  23
Formatierungen von Identität und Wirklichkeit in digitalen Kulturräumen –
Intention und Erfahrungen des Videowettbewerbs 1–31.tv
   von Jan Kuhn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  26
Social Media, Medienbildung und Religionsunterricht
  von Jonas Müller. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  28
DA_ZWISCHEN – Die Kirchengemeinde für‘s Smartphone
  von Felix Goldinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  30
Kulturelle Diakonie: Instawalks in Kirchen
  von Felix Neumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Filmische Zugänge
   von Thomas Belke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  34             3

Material und Medien
SOCIAL MEDIA - FÜR DIE PASTORAL - Erzbistum Freiburg
2/2018   für die Pastoral   Meditation

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Blickwinkel
                                                                           Zugänge                  für die Pastoral   1/2019

BLICKWINKEL

Was brauchts?
Eifrig ging es zu in einer Diskussion zum Thema Social     wie müssten wir Bibelkreis, Gemeindebrief oder die
Media. Dabei saß eine junge Frau neben mir, die mir        Predigt gestalten anhand neuer Kommunikations-
erklärte, um was es hier ginge. Verblüfft reagierte sie,   formen?
als ich mich, für sie einfach alt und dann noch Theo-
loge, in die Diskussion einbrachte und als Nutzer von      Social Media zwingt uns, Fragen und Antworten zu
Social Media outete. Vorurteile, Ungläubigkeit und         finden, zu Themen, die uns oft genug fremd sind.
ein belächelt werden sind Reaktionen, die ich kenne,       Das liegt auch daran, dass es eine „Hürde“ aufgrund
wenn ich von Social Media rede und zeige, wo ich           der Angst vor der Technik gibt. Daher noch ein Dis-
unterwegs bin.                                             kussionsansatz: Kommunikation in der Gemeinde
                                                           geschah bisher am Sitzungstisch, bei Festen, vor der
Aber ist diese Reaktion so abwegig? Spiegelt sich da       Kirche oder auch am Lagerfeuer des Sommerlagers.
nicht eine Wirklichkeit wider? Oft erlebe ich in den       Setzen wir voraus, dass hier gute Kommunikation,
aktuellen Diskussionen um Datenschutz und Social           erfolgreiche Glaubensvermittlung gelang, was können
Media, dass das Smartphone noch immer nur ein              wir davon dann übernehmen, um dies an den neuen
neues Telefon ist, oder dass Ängste bestehen.              digitalen – und alltäglichen – Lagerfeuern als Christen
                                                           und Christinnen einzubringen?
Dabei stellt sich die Frage: Gibt es die Chance zu
einem neuen Ansatz der Diskussion? Können wir              Wie wäre es also mit einem geistlichen Social Media-
uns einmal über all die Fakten und Studien hinweg-         ABC (QR-Code scannen & mitschreiben erwünscht)?
bewegen und grundsätzlich ausloten, was unsere
wirklichen Themen sind? Welche Antworten finden
wir denn, wenn wir uns fragen, wie wir in Zukunft
kommunizieren wollen? Wie will sich die Gemeinde
der Zukunft in einem Heute formieren und intera-
gieren? Was bedeutet das, wenn wir sagen: Social
Media = Kommunikation? Wäre(n) es dann unsere
Kommunikationsform(en)? Und wenn ja, welche
Prämissen und Grundhaltungen für Kommunikation                                   Björn Siller
in einem christlichen Kontext müssten dann gelten?                               Priesteramtskandidat im
Was bräuchte es? Was ist unser geistliches Social                                Collegium Borromaeum und
Media-ABC?                                                                       Social Media-Redakteur im
                                                                                 Referat Kommunikation des
Das eine tun und das Andere nicht lassen (vgl. Lk                                Erzbistums Freiburg                       5
11,42): Glauben lebt von Kommunikation, vom Mitei-
nander, ganz besonders auch vom Face to Face! Aber
1/2019   für die Pastoral   Zugänge

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Zugänge                   für die Pastoral   1/2019

ZUGÄNGE

DREI ZEICHEN UNSERER DIGITALISIERTEN GESELLSCHAFT
UND IHRE CHANCEN FÜR DIE GLAUBENSKOMMUNIKATION.

Digital – Eine neue Welt?

Erinnern Sie sich noch an die Werbespots der Inter-         prägendes Element unseres Lebens. Schon die Kam-
netprovider in den 90er Jahren? Allen voran Boris           pagne von Barack Obama in der Vorwahl 2008 und
Becker mit seiner ikonischen Phrase: „Bin ich schon         der Präsidentschaftswahl 2009 hat den ungemeinen
drin? – Das ist ja einfach!“ Damals galt das Internet       Einfluss des Digitalen auf die analoge Gesellschaft auf-
noch als eine ganz andere, besondere, grenzenlose           gezeigt. Spätestens seit Donald Trump Themen wie
Welt – der Cyberspace, das Virtuelle, eine Welt, in         Migration, Nordkorea und vermeintliche Wahlma-
der der Mensch nicht geht, sondern „surft“. Internet,       nipulation via Twitter diskutiert, zeigt sich, dass das
das Virtuelle wurde zum Kontrast des Analogen. Da-          Digitale und seine Themen eben nicht im Digitalen
                                                            bleiben, sondern ganz konkreten Einfluss auf die Art

                                      t ja einfa   ch ! “   und Weise der analogen Gesellschaft haben.
                             D a s is
                   n drin? –                                Die Utopie eines Cyberspace hat sich nicht erfüllt.
 „B   in ich sch o                                          Wir haben kein zweites, digitales Leben erschaffen,
                                                            sondern unser eigenes Leben digitalisiert. Damit wird
mals stand nichts so sehr für den Ausbruch aus der          auch deutlich, dass sich digitale Glaubensvermittlung
Wirklichkeit, wie das Piepsen des 56k-Modems. Da-           nicht in einer Facebookseite, einer Bibelapp und vir-
mals vor nicht einmal 20 Jahren.                            tuellen Kerzenständern erschöpft, sondern die Frage
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es so nicht mehr          einer digitalen Glaubenskommunikation die kom-
ist! Menschen, vor allem die jüngere Generation, geht       plette Art und Weise, wie wir aktuell über Glauben
nicht mehr online, sie ist online. Träumte die Gesell-      reden, auf Grundlage der aktuellen Zeichen der Zeit
schaft in den frühen 2000ern von einem zweiten Le-          an- und hinterfragt. Dabei ist nicht entscheidend,
ben in einer virtuellen Welt, zeigt sich heute, dass es     dass das Endprodukt digital ist, sondern dass es zu
keine zwei getrennten Welten sind, sondern immer            einer digitalisierten Gesellschaft passt.
zwei ineinander verwobene Beschreibungen einer              In diesem Artikel werde ich drei Zeichen unserer
Wirklichkeit.                                               digitalisierten Gesellschaft, ihre Bedeutung für die             7
Digitale Dienste, allen voran die sozialen Netzwerke,       Glaubensvermittlung und ihre Chancen für digitali-
sind gleichzeitig Ausdruck unserer Lebenswelt und           sierte Glaubensvermittlung aufzeigen.
1/2019           für die Pastoral      Zugänge

         Verfügbarkeit                                              Diese Erfahrungen können im Sinne einer Disclosure-
         Das erste Zeichen einer digitalisierten Gesellschaft       Erfahrung (nach Edward Schillebeeckx) eine Tran-
         ist die Verfügbarkeit. Noch 2009/2010 haben nicht          szendenzerfahrung werden.
         wenige meiner Freunde die für sie wichtigen SMSe in        Genauso wenig wie Gott als Produkt angeboten
         ein kleines Büchlein abgeschrieben. Heute undenkbar.       werden kann, kann auch eine Transzendenzerfahrung
         Der Speicherplatz, den eine SMS belegt, ist bei der        nicht instruiert werden. Sie ist eine persönliche Er-
         aktuellen Speicherkapazität moderner Smartphones           fahrung. Einzig das Stimulieren von Transzendenzbe-
         nicht mehr relevant. Mit der Entwicklung von Flat-         wusstsein kann helfen, dass die Person eine Erfahrung
         ratemodellen und flächendeckender Verbreitung von          als Disclosure-Erfahrung deutet.
         mobilem Internet, sorgten Streaming- und Cloud-
         dienste für eine ständige Verfügbarkeit an eigenen         Individualität
         und geliehenen Daten. Als Jugendlicher pflegte ich         Am 14. Februar 2005 ging YouTube online. Der Slo-
         noch meine mp3-Sammlung, heute habe ich durch              gan bis 2011: „Broadcast yourself!” YouTube traf
         Spotify kostenlosen und uneingeschränkten Zugriff          damit den Zeitgeist. Die Nutzer wurden motiviert,
         auf 35 Millionen Songs. Auch das menschliche Wissen        eigenen Content ins Netz hochzuladen, sich selbst
         ist durch das Internet allgemein verfügbar geworden.       auszuprobieren und selbst darzustellen. YouTube
         Die Wikipedia hat schon längst jedes andere Erst-          setzte als Geschäftsmodell auf das Charisma des Ein-
         nachschlagewerk ersetzt und immer besser werdende          zelnen und seinem Drang zur Selbstdarstellung. Da-
         Suchmaschinen können konkrete Fragen beantworten.          mit war YouTube eines der ersten Portale, die kom-
         Diese Entwicklung wird dadurch verstärkt, dass di-         plett auf user-generated content setzen. User-generated
         gitale Güter entgegen physischer Güter unendlich           content meint, dass die Inhalte der Plattform von den
         geteilt werden können. Die Verfügbarkeit ist unab-         Nutzern der Plattform selbst stammen. YouTube
         hängig von physischer Existenz. Theoretisch könnten        produziert keine eigenen Inhalte, sondern lebt (und
         alle Streamingkunden den selben Song zur selben Zeit       verdient) durch die Inhalte der Nutzer. Die Botschaft
         hören. In einer Gesellschaft, in der prinzipiell alles     damals: Jeder kann Webvideo-Star werden! Jeder hat
         leicht verfügbar ist, sind die Dinge, die es nicht sind,   Talent und soll das präsentieren!
         in der Wahrnehmung entweder sehr seltene Luxus-            Diese Entwicklung ist Ausdruck einer immer weiter
         gegenstände oder nicht-real.                               voranschreitenden Entwicklung hin zur Individualisie-
         Im Hinblick auf die Glaubenskommunikation stellt sich      rung. Nicht mehr die Gruppe, sondern die eigenen
         hier das Problem, dass das, was ich kommunizieren          Leistungen und erarbeiteten Überzeugungen sind
         möchte, „Gott, das Transzendente“, per Definition          ausschlaggebend für das eigene Leben.
         nicht verfügbar ist. Deswegen ist es auch erstmal nicht    In Hinblick auf Glaubenskommunikation, und vor
         verwunderlich, wenn Menschen Gott prinzipiell als          allem die Frage nach religiöser Bildung und Bindung,
         nicht-existent wahrnehmen. Karl Rahner beschreibt          stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen
         diese Erfahrung in seinem Aufsatz „Der bekümmerte          Individualität und Gemeinschaft. Wie passen die spi-
         Atheismus“ wie folgt: „Wie erleben heute nur, dass         rituelle Identität und der persönliche Glaube zu einer
         man von Gott sich kein Bild machen kann, das aus dem
         Holz der Welt geschnitzt ist.“ Gott ist das Transzen-
                                                                                                         d e r k a n n Webv ideo-s
         dente, das nicht Teil des Geschaffenen ist, sondern als
                                                                            o t s c h a f t da mals: Jate Talent und soll da
         Schöpfer über dem Geschaffenen steht.                      Die B rden! Jeder h en!
         Für die Glaubenskommunikation bedeutet dies, dass           St a r w e                präsentier
         sie kein Produkt „Gott“ oder „Glaube“ anbieten
         kann. Ein solches Produkt, das mensch sich aneignet,       religiösen Gemeinschaft und zu konfessionellen Nor-
         würde die Transzendenz Gottes ignorieren und ihn           mierungen?
         zu einem Götzen zusammenschrumpfen. Es gilt, der           Um das zu klären, gilt es, den Prozess der Identi-
         Person eine Erfahrung des Transzendenten zu ermög-         tätsbildung als Grundlage der Individualisierung zu
         lichen, damit sie potentiell eine Beziehung (Glauben)      betrachten. Der Begriff der Identität ist vor allem
8        zum Transzendenten aufbauen kann. Grundlage die-           durch den Psychologen Erik Erikson maßgeblich ge-
         ser Erfahrungen können nur Dinge sein, die die Per-        prägt worden. Dieser definiert die Identität als die
         son selbst erlebt, also Erfahrungen aus ihrem Leben.       Frage „Wer bin ich?“ im Kontext von Zeit sowie
Zugänge                   für die Pastoral   1/2019

Fremd- und Selbstwahrnehmung. Aufbauend auf den            Die Chancen für die Glaubenskommunikation
Überlegungen von Erikson entwickelt der Psychologe         Die digitalisierte Gesellschaft ist nicht glaubensfeind-
James Marcia vier Entwicklungsstadien der Identität,       lich, die analoge nicht zwingend glaubensaffin. Wohl
die jeweils abhängig vom Ausmaß der Exploration            aber erfordern die Veränderungen innerhalb der
und dem Ausmaß der Verpflichtung sind.                     Gesellschaft auch eine Anpassung, in welcher Art und
Das Wissen über den Prozess der Identitätsbildung          Weise wir über Glauben sprechen. Die Grundlage
ist entscheidend für den Umgang mit der Individuali-       dafür ist die intensive Auseinandersetzung mit den
tät. Ist mein Gegenüber in seiner spirituellen Identität   Chancen in diesen Veränderungen.
„diffus“, braucht er keine Verpflichtungen, sondern        Zwar bedeutet eine stärke Betonung der eigenen
Anreiz zur Exploration, während Personen im Status         Individualität eine grundsätzlich kritische Haltung ge-
des Moratorium weitaus offener für die Entwicklung         genüber Gemeinschaften. Auf der anderen Seite kann
von Selbstverpflichtungen sind.                            durch intensive Förderung der Exploration die eigene
                                                           Glaubensidentität viel stärker ausgeprägt werden. Dies
Aufmerksamkeit                                             ist der Grundstein für die Kirche als Gemeinschaft der
Zu keiner Zeit der Menschheit gab es so viele Infor-       Gläubigen. War es lange Zeit üblich, über Gemein-
mationsquellen und Sender wie aktuell. Der Grund           schaft zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Glau-
dafür ist, dass mit den neuen Medien und dem Kon-          ben zu finden, steht nun die Auseinandersetzung mit
zept des user-generated content die Kosten für das         dem Glauben vor der Gemeinschaft mit Gläubigen.
Verbreiten von Informationen vernachlässigbar gering       Um diese Auseinandersetzung mit der Frage nach
sind. Damit erreicht nicht mehr derjenige die meisten      dem eigenen Glauben und der Gemeinschaft von
Empfänger*innen, der die Kosten für die Sender hat,        Religion zu ermöglichen, ist die Aufgabe von profes-
sondern derjenige, der es schafft, aus den Massen an       sioneller Glaubenskommunikation, die grundsätz-
Angeboten herauszustechen, um die Aufmerksamkeit           lichen Botschaften präzise und verfügbar, das heißt
der Empfänger*innen zu erlangen. Aufmerksamkeit            in verständlicher Sprache, an die Wegkreuzungen
ist die wichtigste Ressource geworden, um seine Bot-       der Menschen zu kommunizieren. Es gilt Produkte
schaft zu platzieren.                                      zu schaffen, die sowohl Nutzen für den Menschen
Dies steht im direkten Kontrast zu der Einsicht, dass      jenseits von Glaube hat, als auch den Horizont zum
Gott nicht in Gewitter, Sturm oder Feuer, den lauten       Transzendenten hin aufschließt.
und aufmerksamkeitserregenden Dingen ist, sondern          Diese Produkte gilt es professionell und zielgruppen-
im leisen Säuseln, im Frequenzrauschen, im Dazwi-          gerecht zu gestalten. Der Inhalt kann noch so gut und
schen (1 Könige 19). Gott ruft jeden Menschen, aber        wertvoll sein, wenn sich die Person nicht unmittelbar
er brüllt ihn nicht an.                                    angesprochen fühlt, bleibt er unbeachtet.
Wenn Glaubenskommunikation jedem Menschen die              Eine solche Form der Glaubenskommunikation achtet
Möglichkeit eröffnen möchte, diesen Ruf zu hören, so       die soziokulturellen Gegebenheiten und beschränkt
bedarf es der höchsten Professionalität in der Kom-        sich nicht auf rein digitale oder analoge Produkte,
munikation. Dies gilt sowohl für die interne Kommu-        sondern verbindet diese, wie das Gesellschaft heute
nikation zum Menschen direkt, als auch die externe         insgesamt tut.
Kommunikation im Bewerben von Angeboten und
Veranstaltungen.
Es gilt neue Darstellungsformen der christlichen
Verkündigung zu finden. Dazu gehört auch die Art
und Weise, wie wir über Gott sprechen im aktuellen
Zeithorizont, im Sinne der aggiornamento, zu über-                                Tobias Sauer
denken. Eine professionelle Glaubenskommunikation                                 Katholischer Theologe
verwässert und relativiert Gott nicht, sondern sorgt                              und strategischer
dafür, dass das leichte Säuseln in einer Welt voller                              Kommunikationsberater mit
Krach wahrgenommen werden kann.                                                   der Initiative ruach.jetzt
Alles Wissen über Gott bringt der Kirche nichts,                                                                            9
wenn sie es nicht im Sinne eines Werkzeugs (LG 1)
Menschen dazu befähigt, Gott finden zu können.
1/2019           für die Pastoral      Zugänge

         Social Media
         in der Seelsorge?

         Die kirchlichen Strukturmaßnahmen rufen Fragen            de mit einem entsprechenden Seelsorgeverständnis
         nach zeitgemäßen Formen der Seelsorge im Raum             wird insbesondere im Blick auf die gesteigerten Mo-
         der katholischen Kirche auf. Insbesondere in Anpas-       bilitätsphänomene westlicher Gesellschaften im 21.
         sungen von kirchlichen Strukturen steht die Frage         Jahrhundert, wie auch der zunehmend heterogenen
         nach Prioritätensetzungen an. Für viele pastorale         Positionsbestimmung von Christinnen und Christen
         Mitarbeitende rangiert dabei die Seelsorge auf dem        gegenüber den kirchlichen Sozialformen unüberseh-
         obersten Rang des vermeintlichen „Kerngeschäfts“,         bar.
         ohne dass dabei manche Idealisierung der Realität         Selbstverständlich sind auch die eher kurzen Kon-
         und Verklärung von Berufsbildern kritisch reflektiert     takte im Umfeld von Kasualien, die vielfältigen Kon-
         wird. Einerseits ist darin Wertschätzung gegenüber        takte in den unterschiedlichen Angeboten kirchlicher
         seelsorglichen Tätigkeitsfeldern auszumachen. Ande-       Beratungsstellen, die Arbeit mit kirchlichen Verbän-
         rerseits sind aber kritische Anfrage zu formulieren,      den und die Begleitung von Gremien als Bestandteil
         wo lediglich Idyllen konstruiert werden, die wenig mit    seelsorglicher Arbeit unter den Vorzeichen eines
         der Realität einer urbanen Großpfarrei, mit den Ab-       weiten Seelsorge-Verständnisses zu sehen. Gemein
         läufen etwa in einem Universitätsklinikum oder den        haben die verschiedenen Formen von Seelsorge, dass
         Alltagsroutinen von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-         sie auf ein personales Beziehungsangebot aufbau-
         nehmern zu tun haben.                                     en. Dieses Beziehungsangebot muss nicht immer in
                                                                   Gestalt eines langjährigen Aufbauens von Vertrauen
         Es genügt nicht, auf eine Gesprächsanfrage                wachsen, sondern kann genauso durch kurze, punktu-
         zu warten.                                                elle und alltägliche Begegnungen mit Seelsorgerinnen
         Möglicherweise steht bei der Suche nach einer zeit-       und Seelsorgern entstehen, wie sie gerade durch digi-
         gemäßen Ausgestaltung von Seelsorge-Angeboten             tale Medien erleichtert werden.
         häufig ein klassisches Seelsorge-Verständnis im Hin-      In einer gesellschaftlichen Situation, die zunehmend
         tergrund, das von unzeitgemäßen Romantisierungen          als „Kultur der Digitalität“1 zu bestimmen ist und in
         bestimmt ist und damit als zunehmend inkompatibel         der zwischenmenschliche Kommunikation zu einem
         zu den Lebenswelten einer modernen Gesellschaft
         im 21. Jahrhundert erscheint. Allzu häufig ist etwa
                                                                                                        c h ie d e n e n Formen
         das parochiale Seelsorgeverständnis von den Engfüh-
                                                                          m e in   h a b e n die v eries auf ein personales
         rungen der Gemeindetheologie und einer biographie-           Ge             o r g e, dass sebot aufbauen.
                                                                     v on S  e e l s             a ng
                                                                                 B eziehungs
         begleitenden Sakramentenpastoral bestimmt. Die
         Stärke dieses Seelsorgebegriffs liegt eigentlich darin,
         Seelsorge nicht ausschließlich als individuelles Ge-
         sprächsangebot zu verstehen. Zwar ist das vertrau-        erheblichen Teil im Bereich der Social Media ange-
         liche Vier-Augen-Gespräch eine klassische und das         siedelt ist, stellt sich die Frage nach neuen Ansätzen
10       allgemeine Verständnis wohl dominierende Format           der Seelsorge. Längst gehört der Austausch über
         seelsorglicher Begleitung, allerdings ist es auch nur     digitale Medien im Bereich von Beratungsangeboten
         Teil einer Formenvielfalt. Und die Krise der Gemein-
Zugänge                      für die Pastoral   1/2019

zur Selbstverständlichkeit. Hier eröffnen sich Wege      ihres Lebens. (…) Dies bringt völlig neue Möglich-
zur Kontaktaufnahme, die den Lebensrhythmen von          keiten mit sich, die für alle, die daran teilhaben kön-
Menschen in postmodernen Gesellschaften entge-           nen und wollen, zunächst einmal neue Chancen der
genkommen und Einzelnen die Bestimmung unter-            Kommunikation, Information, Bildung und Unterhal-
schiedlicher Grade von Anonymität überlassen. Die        tung bedeuten. Auf einer tiefer liegenden, individuell
beeindruckende Tradition einer verlässlichen und         wie gesellschaftlich relevanten Ebene geht es um
professionell-ehrenamtlichen Präsenz in der Tele-        neue Formen der Integration von Leben und Arbeit,
fonseelsorge zeigt, wie unverzichtbar ein kirchliches    Freizeit und Gemeinschaft.“5
Einlassen auf zeitgemäße Medienformate ist. Ein pro-     Wer jedoch YouTube, Twitter, Instagram und Co.
fessionelles und vor kurzem überarbeitetes Projekt       nicht mehr als virtuelles Gegenüber zum realen
für seelsorgliche Angebote im Internet wird von der
„Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pasto-
                                                                                                 a l e W a n d el sind
ral“ (KAMP) in Erfurt in Kooperation mit mehreren
                                                                    ie r u n g b z w. der digr itMensch en in allen
Diözesen verantwortet: www.internetseelsorge.de2 .       „ Digitalistrends prä gend fü ebens. (…)
Dabei gibt es die Möglichkeit, mit einer persönlich
vorgestellten Person aus einem Team über ein abge-
                                                         als Mega B ereich en ihres L
sichertes, technisches Format (hier: AYGOnet) als
Webmail-System in konkreten Kontakt zu treten.
                                                         Gemeindeleben betrachtet, sondern als selbstver-
Chancen der Digitalität entdecken und                    ständlichen Bestandteil zwischenmenschlicher Be-
Ressentiments abbauen!                                   ziehungspflege, wird sie als Ausdruck „phatischer
Längst haben die Bistümer des deutschsprachigen          Kommunikation“6 würdigen können: einander sehen,
Raumes die Arbeit mit den unterschiedlichen Platt-       informiert sein und miteinander austauschen. Eine
formen der Social Media für die eigenen Verkündi-        so verstandene Praxis der Social Media lässt schnell
gungsformate entdeckt. Das Engagement in diesem          erkennen, dass es dabei nicht um eine asymmetrische
Bereich wird weithin als Ausdruck des eigenen Ver-       Kommunikation gehen kann, in der eine belehrende
ständnisses von Professionalität im pastoralen Agie-     Kirche lediglich ihre Botschaft verbreitet und Hilfsan-
ren verstanden. Dennoch kommt es immer wieder            gebote vorstellt. Kommunikation in den Social Media
zu problematischen Verengungen, wenn die Arbeit          erfordert markante Spielarten kommunikativer Kom-
mit sozialen Netzwerken lediglich als Bestandteil        petenz als einer Grundvoraussetzung für die pastora-
der Jugendkultur des 21. Jahrhunderts eingeordnet        le Praxis und Seelsorge.7 Verkündigung und Seelsorge
wird3 oder klassische Verkündigungsformate lediglich     bauen auf unterschiedliche Weise auf ein Beziehungs-
auf neuen Wegen verbreitet werden sollen. Solche         geschehen auf, in dem kirchliche Akteure auch als
Rückgriffe in eine „vormoderne Medienpraxis“4            Individuen sichtbar sind. Deshalb genügt es nicht,
wirken schnell grotesk und lassen ein anhaltendes        sich hinter den standardisierten Internetseiten von
Ressentiment gegenüber den Eigenarten der Social         Bistümern, Pfarreien, Orden oder kirchlichen Ein-
Media erkennen. In der Regel wird dabei vor allem        richtungen zu verstecken. Stattdessen müssen auch
die Erwartung an eine persönliche Dialogbereitschaft     einzelne Akteure sichtbar sein, Stellung beziehen und
unterschätzt.                                            diese auch zur Diskussion stellen. Dies mag, gerade
Aufbauend auf der Pastoralinstruktion „Communio          zu Beginn, unbequem sein, werden so doch auch ei-
et progressio“ aus dem Jahr 1971 hat die Deutsche        gene Vorstellungen hinterfragt. Außerdem werden
Bischofskonferenz mit den jüngsten Positionspapieren     hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da-
einen positiven Zugang zu den digitalen Medien ge-       durch gefordert, sich mit aktuellen gesellschaftlichen
sucht. So entstanden 2011 die Schrift „Virtualität und   Themen zu beschäftigen und in öffentlichen Debatten
Inszenierung“ und 2016 die Schrift „Medienbildung        Profil zu zeigen.
und Teilhabegesellschaft“, mit denen aus vorrangig
medienpädagogischer und medienethischer Perspek-         Datenschutz? Notwendiges Abwägen
tive die Chancen der Digitalität gewürdigt werden:       Mit dem 25. Mai 2018 tritt die neue europäische Da-                   11
„Digitalisierung bzw. der digitale Wandel sind als       tenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) in Kraft.
Megatrends prägend für Menschen in allen Bereichen       Zweck dieser Verordnung ist die Vereinheitlichung
1/2019           für die Pastoral      Zugänge

         der europäischen Standards und Regelungen zum              denen und verantwortungsvollen Nutzung der Social
         Datenschutz. 8 Mit dem Anliegen des Datenschut-            Media kommen. Anderseits kann die Frage des Da-
         zes entsteht die Tendenz, dass bestehende Social           tenschutzes pastoral Mitarbeitende hemmen, soziale
         Media-Aktivitäten eingeschränkt oder gar eingestellt
         werden. Aus Furcht vor rechtlichen Konsequenzen
                                                                                                           e r A n g s t h era u s
         könnten auch im Bereich der Seelsorge Ansätze in
                                                                            a u s e in e r  Position dedia-Formate zu de
         den Social Media ausgebremst werden.                          Nun h auf Social M Weg und stün
         Auf Grund der fortschreitenden technischen Ent-                 gä nzlic äre der falsch e dten K irch e
                                                                                     w                         an
         wicklung ist es auch auf legislativer Seite unabdingbar,    v erzichtedn,en Mensch en zugeewgen.
                                                                         einer                              tg
         die entsprechende Gesetzgebung den neuen Möglich-
         keiten der Social Media anzupassen. Daher sind die
                                                                                           k o nt r ä r e n
         bisherigen Bestimmungen oft als veraltet kritisiert
         und Regelungsbedarf konstatiert worden. Mit der ge-        Medien für ihre Arbeit zu nutzen. Derart restriktive
         setzlichen Neubestimmung wird versucht, hier anzu-         Vorgaben beziehen sich derzeit schon auf die dienst-
         setzen. Jedoch bedarf es – wie bei allen gesetzlichen      liche Nutzung von WhatsApp. Sie erfordern vor
         Regelungen – fortlaufender Anpassungen an je neue          allem, von Nutzerinnen und Nutzern die ausdrück-
         technische Möglichkeiten. Diese lernende Haltung           lichen Zustimmungen zum Sammeln und Verwalten
         der Legislative erfordert auch das Lernen auf Seiten       von personenbezogenen Daten einzuholen.
         der Anwenderinnen und Anwender.                            Nun aus einer Position der Angst heraus gänzlich auf
         Ein Ziel der EU-Verordnung ist, die Interessen von         Social Media-Formate zu verzichten, wäre der falsche
         Nutzenden gegenüber Konzernen und Staaten zu               Weg und stünde einer den Menschen zugewandten
         schützen und so Machtasymmetrien abzubauen.9 Dies          Kirche konträr entgegen. Wenn Seelsorge die Men-
         soll unter anderem durch die Stärkung der Selbstaus-       schen erreichen will, muss sie auch die Lebenswirk-
         kunftsrechte der Nutzerinnen und Nutzer bewirkt            lichkeit der Menschen und die sozialen Medien als
         werden, wie auch auf einen generell höheren Schutz         Teil ihres Alltags ernst nehmen.
         der Daten abzielen.
         Um mit den Neuerungen zugleich das Medienbe-               Ansätze für Gebet und Seelsorge im Internet
         wusstsein von Bürgerinnen und Bürgern zu fördern,          Längst gelten digitale Medien als einer der wichtigen,
         wurden eigens das Informationsportal www.Deine-            dezentralen Orte zur Information über örtliche Got-
         DatenDeineRechte.de sowie der # DeineDatenDei-             tesdienste, Regelungen der Sakramentenpastoral,
         neRechte in Kooperation von Justizministerium und          Informationen zu unterschiedlichen Beratungsfeldern
         Verbraucherschutz eingerichtet.                            in Einrichtungen oder einfach als Form der Kontakt-
                                                                    aufnahme. Eine professionell gestaltete Präsenz von
         Kirchlicher Umgang mit dem neuen                           Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen im Internet
         Datenschutz                                                ist deshalb vielen eine Selbstverständlichkeit. Dass
         Die neuen EU-Regelungen erfordern auch auf kirch-          dies jenseits einer bloßen Marketinglogik auch Aus-
         licher Seite eine Anpassung der Verordnung zum             druck einer „nachgehenden Pastoral“12 sein kann,
         Datenschutz10. Daher tritt mit dem 24. Mai 2018 das        ist jedoch noch unzureichend im Blick. So finden
         Kirchliche Datenschutzgesetz (KDG) in Kraft und            sich Möglichkeiten, Gebetsanliegen mitzuteilen13,
         löst damit die bisherige Kirchliche Datenschutzver-        liturgische Elemente wie z.B. Tageslesungen zu ver-
         ordnung ab.11 Für die Einbindung der Social Media          breiten und zu diskutieren. Einer Seelsorge, in der
         in die pastorale Arbeit sind aktuelle verbindliche         die spirituelle und liturgische Praxis einen integralen
         Regelungen essentiell. Indem die deutschsprachigen         Bestandteil ihrer Konzeption ausmacht, dürfte an
         Bistümer das KDG erlassen, nehmen sie die Poten-           diesen liturgischen Ansätzen innerhalb der digitalen
         ziale der Social Media ernst. Mit dem KDG wird sich        Medien gelegen sein.14 Vor diesem Hintergrund ist es
         jedoch gleichzeitig der Aufwand, Daten zu verwalten,       durchaus zu problematisieren, wenn kirchliche Prä-
         erhöhen.                                                   senz im Internet auf die Möglichkeit von Diskussionen
12       Einerseits wird mit dem KDG auf berechtigte Sorgen         in Chatforen oder den Social Media verzichtet, damit
         von Medienkritikerinnen und -kritiker eingegangen          hinter den Standards zeitgemäßer Dialogfähigkeit zu-
         und es kann so zu einer neuen, bewusst entschie-           rückbleibt und so nicht für Menschen erreichbar ist,
Zugänge                    für die Pastoral   1/2019

die auf (anonymen) Wegen seelsorgliche Begleitung
                                                                                          Madeleine Helbig-Londo
in Krisenerfahrungen suchen.15 Es ist problematisch,
                                                                                          Wissenschaftliche
wenn Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie kirch-
                                                                                          Mitarbeiterin am Lehrstuhl
liche Amtsträger eine persönliche Präsenz in sozialen
                                                                                          für Pastoraltheologie und
Medien nur vorgeben, sich bei näherem Hinsehen
                                                                                          Homiletik an der PTH Sankt
jedoch hinter der institutionellen Präsenz verstecken
                                                                                          Georgen in Frankfurt am Main.
oder den persönlichen Kontakt an andere delegieren.

                                                                                         Wolfgang Beck
                                                                                         Lehrstuhl für Pastoraltheologie
                                                                                         und Homiletik, Leiter des
                                                                                         Studienprogram Medien an der
                                                                                         PTH Sankt Georgen in Frankfurt
                                                                                         am Main; Sprecher des „Wort
                                                                                         zum Sonntag“ in der ARD.

1
     Stalder, Felix: Kultur der Digitalität, Berlin 2016.
2
     Vgl. zur Genese des Angebotes in seiner ersten Variante in Verantwortung der „Katholischen Glaubensinformation“
     (KGI): Lay, Manfred: Ein Seil aus dünnen Fäden. Internetseelsorge, in: Purk, Erich (Hg.): Ortswechsel. Auf neue Art Kir-
     che sein, Stuttgart 2003, 111–118.
3
     Vgl. Daigeler, Eugen: Jugendliturgie. Ein Beitrag zur Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils im deutschen Sprach-
     gebiet, Regensburg 2012, 491.
4
     Beck, Wolfgang: Die katholische Kirche und die Medien. Einblick in ein spannungsreiches Verhältnis, Würzburg 2018,
     152.
5
     Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit. Impulse der publizis-
     tischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz zu den Herausforderungen der Digitalisierung, Bonn 2016, 25.
6
     Dueck, Günther: Flachsinn. Ich habe Hirn, ich will hier raus, München 2017, 73.
7
     Nauer, Doris: Seelsorge. Sorge um die Seele, Stuttgart 32014, 299.
8
     Gründe Nr. 10, EU-Datenschutz-Grundverordnung 2016/679 vom 27. April 2016.
9
     Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (Hg.), Datenschutz-Grundverordnung. Info 6,
     Bonn 52017, 7.
10
     Präambel, Gesetz über den Kirchlichen Datenschutz (KDG) in der Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des
     Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 20.11.2017.
11
     §58, KDG.
12
     Gelhot, Rainer: Internet-Seelsorge aus unserer Sicht, in: Ders. / Lübke, Norbert / Weinz, Gabi (Hg.): Per Mausklick in
     die Kirche. Reale Seelsorge in der virtuellen Welt, Düsseldorf 2008, 53-60, 59.
13
     Lienau, Anna-Katharina: Gebete im Internet. Eine praktisch-theologische Untersuchung, Erlangen 2009, 309.
14
     Böntert, Stefan: Gottesdienste im Internet. Perspektiven eines Dialogs zwischen Internet und Liturgie, Stuttgart 2005,          13
     220.
15
     Vgl. Knatz, Birgit: Handbuch Internetseelsorge. Grundlagen – Formen – Praxis, Gütersloh 2013, bes. 229–298, 298.
1/2019           für die Pastoral       Zugänge

         Von der Utopie
         zur Dystopie?
         EMPIRISCHE ANMERKUNGEN ZU ENTWICKLUNGSLINIEN
         DER SOZIALEN MEDIEN

         Blickt man heute auf die Entwicklungsgeschichte des         ausgespäht, den letzten Rest seiner Privatheit im
         Diskurses über das Internet zurück, so lässt sich           Netz einbüßen würde. Eine empirische Analyse der
         eine Verlaufskurse von der Utopie zur Dystopie              Schreibpraktiken im Web 2.0, die den konkreten Um-
         beobachten. Digitale Öffentlichkeiten wurden in             gang mit und die spezifische Herstellung von privaten
         der Frühphase des Internets noch als telematisches          und öffentlichen Formen und Stilen betreffen, kann
         Pfingstwunder gefeiert. Der Grundtenor der öffent-          vor diesem aufgeregten Hintergrund vielleicht einige
         lichen Debatte war dabei die Feier vernetzter Kom-          überraschende Tendenzen sichtbar machen. Eine von
         munikationssysteme. Erst im Medium des Computers            der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte
         wird es möglich, die Vorteile schwacher Netzwerke           Untersuchung der Kommunikations-Praktiken im
         zu nutzen und Teilpublika, die vorher unvernetzt            Web 2.0 (Wagner / Stempfhuber; 2014–2016) konnte
         nebeneinander existierten, zusammenzuführen. Die-           so etwa unterschiedliches zeigen:
         se Euphorie und Emphase scheint heute verflogen.
         Netzkommunikation wird heute vor allem als das              Unbestimmtheit als kommunikative Lösung
         irrationale Wüten eines digitalen Pöbels wahrge-            des Problems der Privatheit im Netz
         nommen, der das Internet als Ort des kollektiven            Unbestimmtheit (Wagner/Stempfhuber 2013) von
         Ressentiments missbrauche, seinen Leidenschaften,           kommunikativen Offerten und Anschlusskommunika-
         Affekten und ungehemmten Hass dort freien Lauf              tionen sind funktional für die Emergenz der Kommu-
         lasse. Diesem digitalen Pöbel gehe jene rationale Di-       nikationsstruktur im Web 2.0 – sie führen zu vielfäl-
         stanz ab, die der bürgerliche Öffentlichkeitsdiskurs        tigen Anschluss- und Verknüpfungsmöglichkeiten und
         seit jeher als Bedingung der Möglichkeit gelungener         damit zu neuartigen Kombinationen von Nähe und
         öffentlicher Diskursivierung veranschlagt. Und tat-         Distanz, die für die Spezifizität und den Ordnungsauf-
         sächlich hat diese Diagnose ja auch einige Plausibilität,   bau von Kommunikation im Web 2.0 relevant sind.
         wenn man sieht, wie sich der Ton im Zuge der soge-          Gleichzeitig dienen unbestimmte Kommunikationsof-
         nannten Flüchtlingskrise in den sozialen Netzwerken         ferten wie etwa ironische Postings dazu, das Problem
         radikalisiert hat. Dass das Internet weniger Heilsbrin-     der Privatisierung bestimmter Inhalte vor dem un-
         ger als Verderbnis sei, wird weiterhin im Hinblick auf      bestimmten Publikum des Netzwerks zu bearbeiten.
14       Praktiken der Privatheit problematisiert. Die Rede ist      Ein Musikvideo etwa, das auf das private Gespräch
         vom gläsernen Bürger, der staatlich und ökonomisch          am Vorabend im Club zwischen zwei Personen Be-
Zugänge                  für die Pastoral   1/2019

zug nimmt, muss nicht von allen übrigen Netzwerk-                  nordnung in der Öffentlichkeit auf Facebook unter-
Teilnehmern genauso entschlüsselt werden, wie von                  scheidet sich damit maßgeblich von der eher asymme-
den beiden Protagonisten – gleichzeitig können alle                trischen eines klassischen Zeitungsdiskurses, in dem
verlinkten Teilnehmer das Musikvideo ansehen und                   die Themenauswahl nach der sorgfältigen Auswahl
-hören und dieses womöglich kommentieren. Un-                      durch professionelle Journalisten erfolgt. Der Effekt
bestimmte Kommunikationsangebote führen also zu                    dieses Mechanismus ist, dass Sprecher symmetrisch
einem praktischen Umgang mit dem Schutz der Pri-                   angeordnet werden und nicht einer asymmetrischen
vatsphäre in der Öffentlichkeit des Netzwerks.                     Diskursformation unterliegen. Schließlich zeigt die
                                                                   empirische Beforschung der listenförmigen Anord-
Listen:                                                            nung von Inhalten das Phänomen der Diskontinuierung
Symmetrische und diskontinuierte Publika                           von Kommunikationspraktiken. Anders als in einem
Beobachtet man die mediale Anordnung der Kommu-                    klassischen Diskursraum werden in der Öffentlichkeit
nikation etwa auf der Social Network Site Facebook                 auf Facebook Themen und Argumente nicht mehr un-
fällt auf, dass jegliche Kommunikationspraktiken auf               bedingt hierarchisch abgearbeitet. Vielmehr zeigt sich
Facebook listenförmig angeordnet sind: die Start-                  auch hier eine Art chaotische Aneinanderreihung von
seite (Timeline) auf Facebook funktioniert im Sinne                Themen und möglichen Kommentaren. Diskurse zer-
einer Liste; weiterhin bestehen: Freundeslisten,                   fasern dadurch, sie werden nicht mehr hierarchisch
Gruppenlisten, Veranstaltungslisten und schließlich                gebündelt im Sinne der Abfolge von Argument und
wird das eigene Profil auch als Liste sichtbar. Der                direkt darauf bezogenes Gegenargument; vielmehr
empirische Befund hierzu lautet: das mediale Format                zeigt sich eine „wild“ anmutende Diskussionskultur,
prägt die Schreibpraktiken eindeutig. Im Falle der                 die einem nicht eingeweihten Publikum sogar weitge-
Liste sind dies Verzeitlichung, Symmetrisierung und                hend sinnfrei erscheinen kann.
Diskontinuierung von Kommunikationsofferten. Alle
drei Momente haben entscheidenden Einfluss auf die                 Intimisierte Öffentlichkeiten
Veröffentlichungspraktiken auf Facebook: Die radi-                 Innerhalb der Öffentlichkeitssoziologie geht man
kale Verzeitlichung von Themen auf der Startseite –                von einem Universalismus bürgerlicher Publika aus.
nahezu jede Minute erscheint ein neuer Post – führt                Jedermann-Beteiligung und All-Inklusion sind Kate-
dazu, dass Diskussionen und Diskurse wesentlich                    gorien, die bürgerliche Öffentlichkeit einmal ausge-
schnelllebiger ausfallen als in herkömmlich gerahmten              zeichnet haben. Dass sich diese beiden Kategorien
Debatten wie etwa jene, die durch die klassische Zei-              wandeln, hatte bereits Habermas (2008) diskutiert,
tungsberichterstattung vermittelt werden. Diskurse                 als es um den Einsatz des Internets und die dort sich
kochen entsprechend schnell hoch, brechen genauso                  versammelnden Öffentlichkeiten ging. Die Virtuali-
                                                                   sierung von bürgerlicher Öffentlichkeit führe zwar

                                      h ie r z u l a utet: das n   einerseits zu mehr Partizipation, gleichzeitig aber zu

      r   e m p ir is c h e B efunddie Schreibpraktik e            einer Fragmentierung jenes Diskursraums, dem es
  De             o r m at prä gt eutig.                            einmal gelungen war, zumindest als normatives Prin-
  me d ia l e F              eind                                  zip alle relevanten Stimmen aufeinander zu beziehen,
                                                                   so Habermas. Das Internet versammelt entsprechend
schnell wieder ab und richten sich wieder auf neue                 unterschiedliche Öffentlichkeiten, die gleichzeitig ne-
Themen. Die mediale Anordnung von Postings als Li-                 beneinander bestehen. Eine Form hiervon ist die so-
ste führt weiterhin zur Symmetrisierung von Sprecher-              genannte filter bubble (Pariser 2012). Eli Pariser geht
positionen innerhalb der Öffentlichkeit auf Facebook.              in seinen Ausführungen zur filter bubble davon aus,
Da die Anordnung der Postings nicht thematisch,                    dass sich Öffentlichkeiten im Internet algorithmisch
sondern algorithmisch gesteuert wird, entsteht eine                gesteuert so verdichten, dass allein ein personalisier-
Art chaotische Aneinanderreihung von Postings – auf                tes Netzwerk übrig bleibt, das Irritationen von außen
das eigene Posting, das ein Musikvideo beinhalten                  ausblendet. Dies führt zu einer Verkümmerung jener
kann, folgt möglicherweise ein Posting des Bundes-                 Form von Öffentlichkeit, die die bürgerliche Gesell-
verfassungsgerichts, ein Posting der Radio-Sendung                 schaft einmal hervorgebracht hatte, nämlich: einen              15
Zündfunk (Bayern 2) usw. Die solchermaßen herge-                   offenen, für jedermann zugänglichen Diskursraum:
stellte zumindest thematisch symmetrische Diskursa-                „In der Filter Bubble bekommt man keine komplette
1/2019           für die Pastoral        Zugänge

         Lageerfassung, keinen Rundumblick, sondern immer               aufeinander, die weder vernünftig diskutieren, noch
         nur einen kleinen Ausschnitt.“ (Pariser 2012: 151) Die         selbstreflexiv auf Distanz zu sich gehen, sondern viel-
         solcherart organisierte personalisierte Öffentlichkeit         mehr eine Form affektiver Befindlichkeitskommunika-
         führe schließlich zum Absterben politisierter Diskurs-         tion als erhitzte öffentliche Praxis inszenieren. Jürgen
         formationen (Pariser 2012: 159).                               Habermas stellte Öffentlichkeit noch im Medium
         Einerseits durch Algorithmen, andererseits durch               guter Gründe scharf. Im Medium des Netzwerks fin-
         Nutzerpraktiken verdichtet sich Öffentlichkeit auf             den wir auf Social Network Sites nun erhitzte öffent-
         der Social Network Site Facebook zu einer Art inti-            liche Praktiken der Authentizität. Als Beschreibungs-
         misierten Öffentlichkeit (Wagner 2014; Wagner/Fory-            folie für diese kommunikativen Formen „kollektiver
                                                                        Enthemmungen“ hat sich in der öffentlichen Debatte

                                               ir k e n C h ristinnen   das Label der „Shitstorms“ bzw. „Candystorms“ pro-

                     K ir c h e n g emeindenswtv erstä ndlich Seiten.   minent etabliert. Diese affektive Dynamik öffentlicher

         A us allenisten gera dezu selberinnen und Bürger               Diskursivierung lässt sich als hitzige massenhafte

         und Chr mit a nderen Bürg                                      Kommunikation lesen.

          a n Seite                                                     Fazit
                                                                        Den Diagnosen eines Zeitalters der „post privacy“
         tarczyk 2015). Algorithmen steuern die Inhalte der             oder einer vollkommen durchgesetzten „Transpa-
         auf der Startseite von Facebook sichtbar werdenden             renzgesellschaft“ widersprechen die hier vorgestell-
         Postings solchermaßen, dass allein die vom Nutzer              ten Ergebnisse eines empirischen Forschungspro-
         am meisten frequentierten Seiten angezeigt werden.             jektes: sie lassen durchaus einen Umgang von Nutze-
         Gleichzeitig wird hieran aber auch sichtbar, dass Nut-         rinnen und Nutzern mit dem Web 2.0 aufscheinen,
         zer eine Umgangsmöglichkeit mit den algorithmisch              die kreative Privatisierungpraktiken sowohl einüben
         gesteuerten Inhalten auf der Startseite von Facebook           als auch wertschätzen. Man kann Schreibpraktiken
         haben können – der Algorithmus orientiert sich an              und Thematisierungen begegnen, die ein hohes Maß
         ihren aktiven Klicks und Likes und errechnet danach            an geschicktem Umgang mit der Herstellung von
         das personalisierte Netzwerk. Die These Parisers               Zugriffs- und Verstehensgrenzen aufweisen. Im An-
         hat sich entsprechend als allgemein gültiges Paradig-          schluss an die Formulierung von Felix Stalder (2016),
         ma zur Beschreibung von Öffentlichkeiten auf Social            der zeitgenössisch einen „vernetzten Individualismus“
         Network Sites wie Facebook inzwischen weitgehend               zu erkennen glaubt, kann man von einer „vernetzten
         durchgesetzt. So hat auch Jan Schmidt diese Entwick-           Privatheit“ sprechen, die praktisch mit der symmetri-
         lung mit seinem Konzept der „persönlichen Öffent-              schen Sichtbarkeit der vernetzten Nutzerinnen sowie
         lichkeiten“ (Schmidt 2011) zu beschreiben versucht.            Nutzern umgeht und gleichzeitig den Zumutungen
         Neben der Form der intimisierten Öffentlichkeiten              unbestimmter Publika und Institutionen des data mi-
         auf Facebook kann eine empirische Perspektive indes            nings entgegenarbeitet.
         noch weitere Aspekte der Öffentlichkeitserzeugung
         identifizieren (Barth/Wagner 2016). Die öffentliche
         Praxis des wohl temperierten deliberativen Aus-

                                    n g s f o l ie f ür diese r
                              reibu                       tiv e
                A ls B esacthiv en Formen „kollöefkfentlich en
               kommuniken“ hat sich in der storms“ bzw.
                          g                                                                    Elke Wagner
            E nth emmuendas Label der „ Snhtitetabliert.                                       Professur für spezielle
              D ebatt ystorms“ promine                                                         Soziologie und
                   „ Ca nd                                                                     qualitative Forschung am
                                                                                               Institut für Politikwissenschaft
16       tauschs und der taktvoll-distanzierten Geste „läuft                                   und Soziologie an der
         heiß“. Facebook erzeugt private Nischenöffentlich-                                    Universität Würzburg
         keiten. In ihnen treffen dann authentische Sprecher
Zugänge         für die Pastoral   1/2019

Die Erzdiözese Freiburg
im Web …
                            www.ebfr.de
                            www.facebook.com/erzdioezese.freiburg
                            www.instagram.com/erzbistumfreiburg
                            www.twitter.com/BistumFreiburg

                   D U u n s !
  f o l g e a u ch
…

                                                                                    17
1/2019   für die Pastoral   Zugänge

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Zugänge                 für
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                                                                                                     die Pastoral
                                                                                                         Pastoral   1/2019
                                                                                                                    1/2019

ERFAHRUNGEN

Soziale Medien – alternativlos in
der kirchlichen Kommunikation?
Dr. Michael Hertl ist Pressesprecher und Leiter des Referates Kommunikation im Erzbistum
Freiburg. In seinem Erfahrungsbericht beschreibt er die absolute Relevanz des Dialoges in den
Sozialen Medien und appelliert an das Mitwirken zu einer respektvollen Kommunikation in den
virtuellen Lebenswelten. (Red.)

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mehr         Soziale Medien stellen somit ein bedeutsames Wachs-
als 4.600 Fans hat allein die Facebook-Präsenz der       tumssegment im Spektrum kirchlicher Kommunikati-
Erzdiözese Freiburg: Darüber werden derzeit pro          on dar. Inhaltlich ist hier eine große Bandbreite mög-
Woche bis zu 18.000 Menschen erreicht. Hinzu kom-        lich: von expliziter bis impliziter Verkündigung über
men etliche tausend oder gar zehntausende Fans di-       Testimonials, Veranstaltungshinweise und interaktive
verser Verbands- oder diözesaner Einrichtungsseiten,     Formate bis hin zu Livestreams lässt sich über Sozi-
deren Reichweite in der Summe in die Hunderttau-         ale Medien praktisch die gesamte Bandbreite dessen
sende geht. Dabei findet auf diesen Seiten keine Ein-    medial kommunizieren, was heute technisch möglich
bahn-Kommunikation statt, sondern wirklicher Dia-        ist. Wenn es dabei auch noch gelingt, einzelne Bot-
log. In keinem anderem Medium, das mit kirchlichen       schaften viral gehen zu lassen, sind dabei Reichweiten
Inhalten bespielt wird, findet ein derart intensiver     zu erzielen, die denen traditioneller Medien in nichts
Austausch unter Kirchenmitgliedern statt wie auf         nachstehen.
Facebook. Und noch eins kommt dazu: Auch wenn            Menschen nutzen heute Soziale Netzwerke zum In-
Facebook mittlerweile die jüngeren Nutzer (also die      formations-, Identitäts- und Beziehungsmanagement
unter 24jährigen) immer weniger anspricht, so sind       als selbstverständlichen Teil ihres Lebens. Auch das
die Nutzer hier im Vergleich zu sonstigen Zielgrup-      ist ein Grund dafür, dass Kirche hier präsent sein
pen kirchlicher Kommunikation im Durchschnitt sehr       muss.
jung. Alleine bei Instagram – einem weiteren Sozialen    Angesichts diverser datenschutzrechtlicher Problem-
Netzwerk, in dem die Erzdiözese Freiburg aktiv ist       anzeigen, die sich aus der Nutzung der genannten
– sind sie noch jünger. Aktiv sind kirchliche Anbieter   Netzwerke ergeben, muss man sich aber mit der
auch auf der Video-Plattform YouTube, die sich auch      Frage auseinandersetzen, ob die Sozialen Medien
                                                                                                                        19
unter den großen Sozialen Netzwerken einordnen           deshalb alternativlos sein können. Man muss sich
lässt.                                                   immer darüber klar sein, dass das Geschäftsmo-
1/2019           für die Pastoral     Erfahrungen

         dell der genannten Plattformen darin besteht, mit        – oder auch nur im Zuge einer abnehmenden Popu-
         den Daten ihrer Nutzer Geld zu verdienen. Dabei          larität – von Facebook wäre unmittelbar das eigene
         muss es nicht soweit gehen, dass bestimmten, gut         Verschwinden verbunden. Am besten vorgebeugt
         zahlenden Unternehmen, komplette Nutzerprofile           werden kann dem durch eine Multi-Channel-Präsenz,
         quasi verkauft werden, um damit hochspezielle und        die auch kontinuierlich neue Angebote wahrnimmt
         politisch mitunter fragwürdige Kampagnen durchzu-        und testet, um die eigene Strategie auf diese Entwick-
         führen. Es beginnt bereits damit, dass Werbung unter     lungen anpassen zu können.
         Auswertung individueller Eigenschaften, Vorlieben        Ein Anbieter von Medienkompetenz wie die Kirche
         oder Verhaltensweisen personalisiert wird, ohne dass     sollte sich zugleich an Debatten über Datensouve-
         dem Nutzer dies bewusst gemacht wird. Nach einem         ränität und informationelle Selbstbestimmung betei-
         Urteil des EuGH vom Juni 2018 sind Anbieter von          ligen. Dieses „Recht an den eigenen Daten“ ist aus
         Unternehmensseiten (zu denen auch die kirchlichen        der Menschenwürde abgeleitet, der sich die Kirche
         Seiten gehören) dazu verpflichtet, den Datenschutz       verpflichtet sieht. Daher ist es wichtig zu wissen, wie
         der Nutzer gemeinsam mit Facebook sicherzustellen.       Soziale Netzwerke „funktionieren“, welche Vor- und
         Da Facebook den Seitenbetreibern diese Daten aber        welche Nachteile ihre Nutzung hat. In ihren Gremien
         gar nicht zugänglich macht, besteht die Gefahr, dass     sollte die Kirche zum Beispiel auch prüfen, ob sie im
         sie gegen die DSGVO verstoßen, wenn sie ihre Seite       Rahmen ihrer Möglichkeiten Projekte wie „Solid“
         weiter betreiben.                                        (Social Linked Data) des „WWW-Erfinders“ Tim
         Weil die Aus- bzw. Verwertung von Daten die              Berners-Lee unterstützen kann. Dieses Modell zielt
         Grundlage des Geschäftsmodells der meisten Sozia-
         len Netzwerke sind, sind für die Zukunft zwei Szena-
                                                                                                     ie n k o m p e t enz wie dien
         rien vorstellbar: Entweder wird es weitere, ähnlich
                                                                          A n b ie t e r    v on Med gleich a n D ebatte le
         gelagerte juristische Auseinandersetzungen zwischen         E in
                                                                            h  e   s o l l t e sich zu und informationel
         Facebook und den Datenschützern geben, die letzten            K irc ensouv erä nität teiligen.
         Endes den Betrieb von Facebook – zumindest in Eur-           über Dat elbstbestimmung be
         opa – so unrentabel machen, dass es hier nicht mehr
                                                                                 S
         genutzt werden kann. Die andere Variante wäre, dass
         Facebook künftig weniger vermarktbare Daten seiner       darauf, dass Nutzer immer die Verfügungsgewalt über
         Nutzer erhebt und dafür das Angebot – vor allem          ihre Daten behalten und damit nach eigenem Wunsch
         für Anbieter gewerblicher Inhalte – kostenpflichtig      von Anbieter zu Anbieter wechseln können.
         gestaltet. Im Gegenzug würden diese Anbieter einen       Und kirchliche Anbieter müssen schließlich auch da-
         vollständigen Zugriff auf die Nutzerdaten erhalten,      ran mitarbeiten, die Kommunikationskultur in den
         um damit verantwortlich im Sinne der Nutzer umge-        Sozialen Netzwerken zu pflegen, indem sie dort für
         hen zu können. Beide Varianten machen aber deut-         Wahrhaftigkeit und gegenseitigen Respekt eintreten.
         lich, dass sich zwar die Art und Weise ändern lässt,     Soziale Netzwerke sind nämlich kein vom „realen Le-
         in der mit Sozialen Netzwerken Geld verdient wird,       ben“ abgetrennter Bereich der „Virtualität“, sondern
         dass aber das „Prinzip Social Media“ nicht wieder        Teil der Lebenswirklichkeit. Wenn Christen in diesen
         verschwinden wird.                                       Medien also am respektvollen Stil ihrer Kommunika-
         Insofern bleibt es Teil kirchlicher Medienkompetenz,     tion erkannt werden, tragen sie auch damit zu einer
         die Kommunikation über Soziale Netzwerke pro-            Kultur des Miteianders bei.
         fessionell zu bedienen. Dies sollte aber immer mit
         einem kritischen Blick auf die jeweiligen Geschäfts-
         modelle und unter Berücksichtigung der gesetzlichen                                 Michael Hertl
         Grundlagen geschehen. Außerdem muss den Inhal-                                      Pressesprecher und Leiter
         teanbietern immer bewusst sein, dass sie sich nicht                                 des Referats Kommunikation
         in eine alleinige Abhängigkeit bestimmter Plattformen                               des Erzdiözese Freiburg
         begeben dürfen, selbst wenn diese Marktführer sind.
20       Deshalb wäre es z.B. ein großer Fehler, die eigene In-
         ternetpräsenz zugunsten einer alleinigen Präsenz auf
         Facebook aufzugeben. Denn mit einem Marktrückzug
Erfahrungen                   für die Pastoral   1/2019

Auch Jesus würde twittern
WARUM ICH ALS BISCHOF DIE SOZIALEN MEDIEN
NUTZE, WIE UND WOFÜR !

„Auch Jesus würde twittern“ – so lautet die Überschtrift des Erfahrungsberichts von Erzbischof
Dr. Ludwig Schick. Er beschreibt eindrucksvoll, wie er sich als Erzbischof in den virutellen
Lebensräumen der Menschen einbringt. (Red.)

Die Kirche hat von Anfang an die Medien für ihre        nissen, die mir wichtig erscheinen, und kommentiere
Verkündigung aktiv genutzt: in der Antike den Brief-    aktuelle Vorgänge und Verlautbarungen aus der Sicht
verkehr, seit dem Mittelalter den Buchdruck und die     der Kirche. Über die Sozialen Netzwerke erreiche
Printmedien, in der Neuzeit Radio und Fernsehen für     ich Menschen und pflege Kommunikation mit ihnen,
die audio-visuelle Verbreitung ihrer Botschaft. Seit    die ich sonst nicht erreiche. Ich bin sicher, dass Jesus
Jahren beobachte ich interessiert und auch kritisch     heute Twitter, Facebook, YouTube etc. nutzen würde.
die Entwicklung der neuen Medien und der Sozialen       Schließlich hat auch er sich schon vor 2.000 Jahren
Netzwerke. Mir ist klar geworden: Die Kirche muss       aller Möglichkeiten bedient, die ihn in Kontakt mit
auch diese Möglichkeiten nutzen, um mit ihnen die       den Menschen bringen konnten.
Menschen zu erreichen. Fast jeder in Deutschland ist
heute – mehr oder weniger – digital aktiv. Apps und     Die Aktivität in den Sozialen Netzwerken darf für
Online-Angebote haben bei jungen Leuten – aber          einen Bischof sowie für jede Kirchenfrau und jeden
nicht nur bei ihnen – die klassischen Informationska-   Kirchenmann keine bloße PR-Aktion sein. Das Inter-
näle wie Radio, Fernsehen und Tageszeitung abgelöst.    net muss man als Raum sehen, der zum Leben vieler
Allein deshalb muss die Kirche sich heute auch in       Menschen heute dazu gehört. Im Internet begegnet
diesen Medien bewegen. Daher bin ich auch selbst        man Menschen mit ihrer Freude und Hoffnung, mit
seit 2012 auf Facebook, Twitter und Instagram aktiv,    ihrer Trauer und Angst. Das erfordert Respekt und
um so den Menschen, die durch diese Netzwerke           Wohlwollen! Vieles, was früher im Familien- oder
ansprechbar sind, zu begegnen und ihnen Botschaften     Freundeskreis, auf dem Kirchplatz oder am Stamm-
des Glaubens zu vermitteln.                             tisch von Angesicht zu Angesicht besprochen wurde,
Meine persönlichen Seiten pflege ich selbst. Zu Hause   wird heute oft im Netz thematisiert: die Lebensge-
arbeite ich am PC, unterwegs habe ich mein Tablet       staltung, Glaube, Werte, Ethik. Viele Menschen sind
und Smartphone bei mir. Beim Gehen, Laufen oder         in den Medien auf der Suche nach Antworten auf ihre
im Auto, wenn ich Gespräche führe, lese, nachdenke      existentiellen Fragen. Als Bischof bin ich zuerst Seel-
oder bete, fallen mir Gedanken ein, die ich für mit-    sorger, der Kontakt mit den Menschen pflegt und auf              21
teilenswert erachte; diese twittere oder poste ich      das hört, was sie beschäftigt, der ihre Freuden teilt
dann. Ich berichte auf meinen Accounts von Ereig-       und ihnen in ihren Sorgen und Nöten Trost und Bei-
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