Kirche in Bewegung GemeindekolleG der Velkd im oktober 2014
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Inhalt Editorial 4 Zum Thema Axel Eger Das Alte ist das Neue „Auf ein Neues!“ 6 Isabel Hartmann Das Neue finden Ruft es uns zu neuen Ufern – oder dazu, dem Alten ganz neue Mög- 9 Reiner Knieling Gottes Geheimniskraft lichkeiten zuzutrauen? Eine Entweder-Oder-Frage ist das nicht. Sonst Wie sich verborgene Potenziale entfalten wären die Artikel dieses Heftes nicht so unterschiedlich. Sie werden darin ganz Vertrautes wiederfinden. Aber auch auf überraschend Un- 12 Thomas Hirsch-Hüffell Es blüht ja schon gewohntes werden Sie gestoßen sein. Futur Zwei – Kleine Visionen von Kirche 12 16 David Gilmore Der Narrensprung Eine Gruppe junger Menschen wagt sich in Berlin daran, auf einer Eine biografische Reise durch Angst und Glück Brache geistlich neues Leben einzupflanzen. Ein Narr riskiert den Sprung in völlig unbekanntes Land, weil er nur so Freiheit gewinnt. 20 Hendrik Mattenklodt „… aber es ist doch der Wille des Eines unserer Seminare schenkt einem Teilnehmer neue Einsicht, Heilands dabei!“ Der lange Weg des Neuen nach Neudietendorf indem es Geist und Körper in Bewegung bringt. 24 Tobias Horrer Kirchliche Brachflächen Entfaltungsorte für geistliche Neuaufbrüche Wenn Erfahrungen so unterschiedlich sind, wie lässt sich dann der Kern des Neuen fassen? Die Bibel zeigt uns Gott, der das Neue will 27 Noch etwas Neues beginnen? und schafft und der uns immer neu begegnet. Das Neue geschieht aus der V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft in ganz von Gottes schöpferischer Geistkraft erfüllter Begegnung 24 28 Hans-Jürgen Kant im Interview „Es schwirren in der Welt und in einer Gestalt, die dem Alten manchmal zum Verwechseln viele Dinge umher, die eine Verstärkung brauchen“ ähnlich sieht. Wege zu neuen Entwicklungen in einem Kirchenkreis Wir hoffen, Sie bleiben so neugierig wie wir … aus dem Gemeindekolleg „Auf ein Neues!“ – so grüße ich Sie herzlich im Namen des Teams. 31 Handreichung Projekt Glaubenskurse Ost 32 Konsultation Glaubenskurse Ost – Tickt der Osten anders? 11. – 12. März 2014 Was heißt „anders“? Hendrik Mattenklodt 38 34 Gemeinde-Entwicklungs-Training Alles hat seine Zeit Was bleibt vom Gemeinde-Entwicklungs-Training? 36 Einführung von Pfarrer Hendrik Mattenklodt 6. März 2014 Gottes Bewegung ist unsere Mission 38 Tagung Geist und Prozess 16. – 19. Juni 2014 Geistvoller Prozess Diesem Heft liegt das Jahresprogramm 2015 bei. Reichen Sie es gern weiter. Auf unserer Internetseite (www.gemeindekolleg.de) finden Sie es zusätzlich als pdf. Ebenfalls fügen wir wieder einen Überweisungsträger bei mit der Bitte um eine Spende für „Kirche in Bewegung“. Herzlichen Dank sagen wir allen bisherigen Spenderinnen und Spendern dieses Jahres für ihre Unterstützung. 3
Axel Eger, Jahrgang 1956, studierte Mathematik/Physik, war Lehrer und arbeitet seit 1990 als Und die sprichwörtliche Fahrt zu Wende - im Lauf der Zeit immer das Außergewöhnliche ihren Wert. neuen Ufern, die die Altvorderen gleichmäßiger fließt, öffnet sich, Zwei Zeilen, die alles sagen. Nicht Redakteur der Thüringer Allgemeinen. Direkt nach der Wende überrollte ihn eine Welle der über die Meere trieb, empfinden das strudelnd Revolutionäre hinter jeder kann ein Superstar sein, so Veränderung: „Viel mehr Neues ist kaum verkraftbar!“ Das wirklich Neue beschreibt er als eine wir nach, wenn wir in den Ferien sich lassend, mit den Jahren dem gern er es möchte. Doch jeder hat um die halbe Welt fliegen. Delta des Evolutionären. Und so seinen unverzichtbaren Platz in Qualität des Erkennens unserer von Neuigkeiten gefluteten Zeit. Und trotzdem zieht es uns lernen wir, das Alte neu zu entde- dieser Welt. zugleich an vertraut gewordene Orte cken - in einer Welt, die oft genug Es ist diese Sicht, auf die Welt zurück. Als junger Mensch musste Banalitäten als Neues anpreist, und auf uns selbst, die uns unent- ich immer den Kopf schütteln, wenn weil selbst das Neue nicht mehr wegt antreibt. Wir wollen verste- Das Alte ist das Neue ich die Standardnachricht von Schritt halten kann mit dem Zwang, hen und verstanden werden. Das Helmut Kohls Urlaub hörte. Zum Neuigkeiten verkaufen zu müssen. wirklich Neue aber macht nur fünfundzwanzigsten Mal am Wolf- Die Quantitäten, all die Eindrü- einen Teil davon aus. Die Erkennt- gangsee! Wie langweilig! cke, das Erlebte, das Wissen, das wir nis von Wilde lässt sich auch auf in jungen Jahren in uns aufsaugten die Kategorien des Neuen und Ist es das wirklich? und anhäuften, erleben ein Revival des Alten übertragen. Vielleicht im besten dialektischen Sinne: als so: Das Neue verleiht dem Leben Z Ich war inzwischen gefühlte zwan- neue Qualität. Ich lese noch einmal Reiz, das Altvertraute Sicherheit. um Jahreswechsel Menschen schlichtweg überrollte. irgendwo etwas Entscheidendes zigmal zum Wandern in Berchtesga- die Klassiker, die mich als Schüler Wie viele unserer Gespräche 1990/91 stand ein Apho- In meinem Falle müsste ich passierte, das man wissen wollte, den. Den Weg zum Watzmannhaus bisweilen langweilten, und verste- sind Nacherzählungen von längst rismus in der Zeitung. noch hinzufügen: Familie, Ar- da es auch für das ganz persönliche kenne ich im Schlaf, den zum Hohen he sie plötzlich. Ich studiere noch Erfahrenem? Hast du das auch Es war für uns einstige beitsstelle, Wohnung. Dafür kam Schicksal bedeutsam sein konnte. Göll auch. Langweilig? Überhaupt einmal die Himmelsmechanik und gehört? Und: Weißt du noch? DDR-Bürger das ers- das Auto erst im Frühjahr. nicht. Da gibt es zum einen, abhän- begreife mit leichtem Genuss die Die alltäglichen Fragen unseres te bundesdeutsche Silvester, mit Viel mehr Neues ist nicht nur Spannender kann gig von Jahreszeit und Wetterlage, Unterschiede zwischen synodi- Miteinanders werfen deshalb immer neuem Pass, mit D-Mark und Sekt kaum verkraftbar - sondern kaum Leben nicht sein. immer neue Einblicke. Und da scher und siderischer Umlaufzeit. auch den Anker von Bestätigung, aus dem Westen zum Anstoßen. möglich. Bei mir machten sich erfasst mich zum anderen jedes Ich nehme mir die Zeit, analysiere von geteilter Freude und Trost. Als „Ich habe nun schon Geld, Staats- die stürmischen Zeichen der Zeit Nur ist es auf Dauer erträglich? Ist Mal schon vorab eine stille Vorfreu- ein Turmendspiel und sehe die zutiefst soziale Wesen suchen wir in bürgerschaft, Meinung und das auch auf der Waage bemerkbar. Ich ein Dasein im ständigen Aufbruch de. Die ritualisierte Gewissheit, an Logik, die ich früher flüchtigen unseren Gesprächen gar nicht im- Auto gewechselt. Da kommt es hatte zehn Kilogramm abgenom- erstrebenswert? Oder verklärt sich einen Platz zu kommen, den man Blitzschach-Zügen opferte. mer das Neue, sondern viel häufiger auf das Jahr auch nicht mehr an.“ men. Veränderung zehrt, weil sie die Erinnerung, die die Wende- kennt, beruhigt und stiftet inneren Das Hintergründige, das Erklä- die Wiederholung, die Übereinstim- Mein damaliger Kollege Eberhardt uns permanent auf Achse hält. zeit bis heute als die schönste in Frieden. Das Gefühl, schon ein- rende als das Neue einer von Neu- mung mit dem Menschen nebenan. Pfeiffer hatte das formuliert, und ich Es gab kein Pastell mehr. Die meinem Gedächtnis abbildet? mal Erlebtes wieder neu erleben igkeiten gefluteten Zeit zu erkennen Erst sie gibt unserem Leben Halt. habe es bis heute nicht vergessen. Flut der Farben, in der man zu Neues zu sehen, zu entdecken, zu zu können, bedient unsere ewige - daran sollte sich letztlich auch der Trefflicher und kürzer, fröhlicher ertrinken drohte, der sprichwört- erleben ist tief im menschlichen Sehnsucht, die Zeit festzuhalten: Zeitungsschreiber messen lassen. und nachdenklicher, aufregender liche Duft der neuen, weiten Welt Genom gespeichert. Hast Du schon Möge es noch einmal sein wie da- Es gibt noch einen Aphorismus, und gelassener zugleich lässt sich trieben die tägliche Sehnsucht an. gehört? Hast Du das gelesen? Wie mals. Wenigstens ein einziges Mal. einen von Oscar Wilde, der sich mir nicht zusammenfassen, welches un- Und die Nachrichten, die im besten oft machen wir uns gegenseitig auf Der Fluss des Lebens, der - erst eingeprägt hat: Das Durchschnitt- glaubliche Maß an Veränderung die Sinne News waren. Weil ja immer Neues, auf Unerhörtes aufmerksam. recht nach dem Sturzbach der liche gibt der Welt ihren Bestand, 4 5
V om Neuen wird viel er- Lohnt es sich also, nach Neu- Ich suche nicht, wartet, vielleicht zu viel. em Ausschau zu halten? Schaut ich finde. Der neue Gottesdienst, die man in die Bibel, ist die Antwort Suchen, neue Verwaltungsstruktur, ein klares Ja! Vom Neuen ist hier das ist das Ausgehen ein neues Team für eine immer in einem positiven Zusam- von alten Beständen Aufgabe, oder eine neue Aufgabe für menhang die Rede. Wie kommt das? und ein Findenwollen ein Team. Die Motivation, auf etwas Das Neue steht in den bibli- von bereits Bekanntem. Neues zuzugehen, entspringt oft schen Schriften im engen Bezug Finden, Isabel Hartmann ist Pfarrerin und der Erfahrung: So wie bisher geht zum je gegenwärtigen Heilshan- das ist das völlig Neue. stellvertretende Leiterin des Ge- es nicht weiter. Situationen, Anfor- deln Gottes. Bereits die Propheten Alle Wege sind offen, derungen, Bedürfnisse haben sich kündigen das zukünftige heilvolle und was gefunden wird, meindekollegs. Hier beschreibt gewandelt, das Bekannte passt nicht Wirken Gottes als „neu“ an. Es ist unbekannt. sie die positive Sicht der Bibel auf mehr, funktioniert oder befriedigt wird abgesetzt von Gottes frühe- Es ist ein Wagnis, nicht genug. Vom Neuen erwartet rem Heilswirken, an das sich Israel ein heiliges Abenteuer: das Neue. Das Neue ist hier nicht man die Chance für neue Lebens- gerne erinnert, das aber als Vision Die Ungewissheit einfach das noch nicht Dagewesene, möglichkeiten. Es weckt Neugier für das Kommende nicht ausreicht: solcher Wagnisse zu schauen, was darin steckt. Man Das, was werden will, wird von Gott können eigentlich sondern es geschieht in ganz von schöpft Hoffnung, es könnten inmitten des Vorfindlichen ermög- nur jene auf sich nehmen, Gottes überraschender und schöp- zusätzliche Kräfte frei werden. licht, ist aber nicht aus diesem die sich im Ungeborgenen Zum Neuen gehört, dass man Vorfindlichen ableitbar: „Gedenket geborgen wissen.“ ferischer Geistkraft erfüllter Begeg- es noch nicht kennt. Man kann nicht an das Alte und achtet nicht Pablo Picasso nung. Eine Ermutigung für Gemein- also letztlich nicht sagen, ob es auf das Vorige. Denn siehe, ich will das bringt, was man erhofft. Nur ein Neues schaffen, jetzt wächst (zitiert nach Kruse, next practice, 153, den und ihre Verantwortlichen, sich dort ohne Quellenangabe) weil es neu ist, muss es noch nicht es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ für das noch Unbekannte zu öffnen besser sein als das Bekannte. Diese (Jesaja 43,18f.) So war die mes- Unsicherheit ruft auch Skepsis oder sianische Hoffnung ausgerichtet und damit zu rechnen, dass Gott Misstrauen gegenüber dem Neuen auf ein neues Handeln Gottes. 7,6; 8,18-27; Hesekiel 11,19; 36,26), dort anwesend ist und wirkt. auf den Plan: Beim Gewohnten weiß die neue Schöpfung durch das Sein man, was man hat. Wenn das Neue „in Christus“ (2. Korinther 5,17), auch Vorrang bekommt, könnte Vertrau- Das qualitativ Neue der neue Himmel und die neue Erde tes und lieb Gewonnenes verschwin- Mit Jesus Christus schließlich (Offenbarung 21,1; vgl. Jesaja 65,17; den. Man weiß, was man verliert, aktualisiert Gott seine Präsenz und 66,22). wenn man es aufgibt. Vom Neuen Wirkkraft in dieser Welt auf eine Im biblischen Befund wird das weiß man noch nicht, ob es das neue Weise. Neu ist, dass Gott jetzt Neue also nicht aufgrund seiner aufwiegen oder übertreffen kann. selbst Mensch wird und „Raum in Neuartigkeit oder Originalität der Herberge“ sucht (Lukas 2,7). Im geschätzt, sondern weil Menschen griechischen Sprachgebrauch gibt darin die Nähe Gottes erkennen. Sie „Erkennt ihr‘s denn nicht?“ es zwei Begriffe für „neu“: Kainos können sich für das noch Unbe- Das Man mag mit neuen Gottesdienst- bezeichnet eher das qualitativ Neue kannte, Unerhörte öffnen, weil sie formen bei einigen mehr Zuspruch im Gegensatz zum Alten, neos eher erleben, dass Gott anwesend ist finden, andere erreicht man so nicht, das Noch-nicht-Dagewesene; diese und wirkt (z.B. in der neuen Lehre sie bleiben weg. Wenn man zwar Unterscheidungen werden jedoch Jesu in Vollmacht in Markus 1,22). neue Leute gewinnt, die alten aber nicht konsequent durchgeführt. Im Gottes Gegenwart kann nicht Neue verliert, was hat man dann gewon- Neuen Testament wird das Wort konserviert werden. Gott zu be- nen? Neue Leute im Team können kainos deutlich häufiger gebraucht. gegnen ist eine Erfahrung, die sich Bewegung und frische Anregungen Es bezeichnet alles, was mit Jesus immer neu vollzieht und zwar – das einbringen, aber sie bringen auch und seinem Wirken „neu“ wurde und liegt in der Natur einer Begegnung finden neue Ecken und Kanten mit. Neue wird: der neue Bund (zum Beispiel – für beide Seiten: Neu für Gott und Aufgaben locken zu neuen Ufern, sie 1. Korinther 11,25 u.a.; Jeremia 31, neu für die Menschen. Gott kommt könnten aber auch mehr Energien 31-34), das neue Wesen des Geistes immer neu auf die Menschen zu, die kosten, als man bewältigen kann. (z.B. 2. Korinther 3,6; Römer 6,3f.; Menschen reagieren, indem sie sich 6 7
öffnen oder nicht, auf ihre Reaktion Gegenwärtige Gotteserfahrungen von übertragbaren Modellen von geht Gott wiederum ein usw. Halten In vielen Gesprächen und in der kirchlichem Leben und Strukturen die Menschen an überkommenen Zusammenarbeit mit Menschen ausgeht oder mit fertigen Gemeinde- Begegnungsweisen mit ihm zu starr aus den verschiedenen kirchlichen konzepten den Plan für die Zukunft fest, entgeht ihnen, dass er – auf Kontexten erleben wir im Gemein- schon im Kopf hat, der dann auf wieder neue Weise – unter ihnen ist. dekolleg die Ambivalenz, die mit einen Kontext anzuwenden wäre. dem Neuen verbunden ist. Dabei Die Gestalt von Gemeinde, in lassen wir uns gerne von der der wir Gottes Präsenz erfahren Neuer Wein braucht neue Schläuche positiven Sicht der Schrift auf das werden, könnte der ähnlich sein, die Ein Beispiel dafür erzählt Markus 2, Neue inspirieren. Wir nehmen die wir bisher erlebt haben. Sie könnte 18-22. Jesus wird von einigen Leu- geistlichen Fragen auf, die ange- aber auch ganz anders sein, und sie ten gefragt, warum seine Jünger sichts des Neuen entstehen: Steckt könnte für verschiedene Menschen nicht fasten. Die meisten religiös in der Suche nach dem Neuen die verschieden sein. Es gibt ja jetzt ernsthaft Gesinnten tun es doch. Im Sehnsucht nach Gottesbegegnung? schon viele, die ihren Glauben an Fasten suchte man bisher die Nähe Erwarten wir vom Neuen eine Ver- Gott unabhängig vom kirchlichen Gottes. Jesus versucht, ihre Auf- merksamkeit auf die neue Anwe- senheit Gottes in der Begegnung tiefung des Lebens aus göttlicher Dynamik, gespeist von Gottes Geist und Kraft? Neue Formen, neue Leben und Angebot finden. Und es gibt viele in der Kirche, die ihre Sehnsucht nach Gottesbegegnung Gottes Geheimniskraft mit ihm zu lenken, und gebraucht Strukturen, neue Worte bergen drängt, weiter und tiefer zu fragen: Wie sich verborgene Potenziale entfalten und neue, ein Bild: Neuer Wein braucht neue die Chance gegenwärtiger Gottes- Wo ist Gott und sein Heilshandeln gegenwärtige Früchte bringen Weinschläuche. Die alten Schläuche erfahrungen. Aber sie müssen es zu finden? Wächst es unter uns waren gut für den Wein der vergan- nicht zwingend tun. Und nicht nur auf? Erkennen wir es schon? Prof. Dr. Reiner Knieling ist genen Ernte. Inzwischen wurde er sie können es tun. Wenn sich Gott konsumiert. In der aktuellen Saison zeigt, ist die Gestalt, die er wählt, 2. Gemeinde neu denken: Neues zu Leiter des Gemeindekollegs E gibt es neuen Wein, der jetzt kon- nicht wesentlich. Dann kann auch entdecken, fordert uns heraus, uns der VELKD und außerplan- sumiert wird. Nur neue Schläuche das Alte zum Neuen werden. dem Neuen auch auf eine neue her selten ist neu an voll, wirksam und spürbar? Wie können ihn verlässlich aufbewahren. Weise anzunähern. Wir fragen nicht mäßiger Professor für Prak- sich ein Wert. Das kommt heute in die Welt, was Kein Winzer würde erwägen, den nur danach, was wir finden werden. machen die Artikel es gestern auch schon gab, was Kirche neu denken tische Theologie in Wupper- neuen Wein in die alten Schläuche Wir fragen auch danach, wie wir in diesem Heft auf aber nicht konserviert werden zu füllen. Das wäre absurd, sie wür- Das ermutigt uns, auch Kirche es tun können. Wie finden wir das tal. In seiner Auslegung des unterschiedliche Weise kann: Liebe, Glück, Erlösung, den reißen, und alles wäre verloren. und Gemeinde neu zu denken, und Neue, in dem Gott zu finden ist? deutlich. In vielen Lebensbereichen Gotteserfahrung? So oder ähnlich Gleichnisses vom vierfachen Wenn wir in der kirchlichen zwar „neu“ in zweierlei Hinsicht: Fragen, die einem Aufbruch geht es nicht um die Neuheit des könnte man die Fragen beschrei- Arbeit über das Neue nachdenken, in unbekanntes Gelände gleichen. Acker folgt er der Neugier, Neuen, sondern um je neue, leben- ben, zu denen Jesus in den Saat- geraten wir schnell, in diesem Bild 1. Gemeinde neu denken: Wenn Für dieses Neuland existieren dige, gegenwärtige Erfahrungen und Wachstumsgleichnissen die ihn dorthin leitet, wo der gesprochen, in eine Diskussion über Gott uns immer neu begegnet, in noch keine Landkarten, GPS-Daten mit dem, was das Leben trägt. verschiedene Bilder vor Augen das Für und Wider neuer Schläuche. welchen Gestalten von Kirche und oder Erfahrungen früherer Wan- ausgesäte Same seine Kraft Wie wird Gottes Gegenwart kraft- malt. Ich wähle eines davon aus. Neue Angebote, neue Strukturen, Gemeinde geschieht dies heute? derer. Auch die neue Weise des entfaltet. Es zeigt sich, wie neue Worte, neue Ämter: Welche Auch 2015 und zukünftig wird es Annäherns ist noch unbekannt und Von der Aussaat und unterschiedlichen Böden (Markus 4,3-9) Gestalten des kirchlichen Lebens „gute Jahrgänge“ der Nähe Got- wird erst noch gefunden werden, die Frucht des Samens wie- Jesus sprach: 3 Hört zu! Siehe, es 7 Und einiges fiel unter die sollen erneuert werden, welche tes unter uns geben. In welche während wir unterwegs sind. derum zum Samen neuer, ging ein Sämann aus zu säen. Dornen, und die Dornen wuchsen nicht? Viele Verantwortliche in Kir- „Schläuche“ werden sie gefüllt? Aber wir sind ausgerüstet. 4 Und es begab sich, indem er säte, empor und erstickten’s, und es che und Gemeinden bemühen sich Wir denken, dass es davon noch Wir haben einander, und wir kön- lebendiger Gotteserfahrung dass einiges auf den Weg fiel; da brachte keine Frucht. um Erneuerung. Allen ist klar, dass keine Vorstellung gibt und geben nen aus unseren Erfahrungen auf wird. Die aktuelle Umbruch- kamen die Vögel und fraßen’s auf. 8 Und einiges fiel auf gutes es zum Wesen der Kirche gehört, kann, weil das Neue dann nicht unterschiedlichen vergangenen 5 Einiges fiel auf felsigen Boden, Land, ging auf und wuchs und sich stetig zu erneuern (ecclesia einfach das noch nicht Dagewesene, Wegstrecken schöpfen.Wir sind situation der Kirche fordert wo es nicht viel Erde hatte, und brachte Frucht, und einiges semper reformanda). Gleichzeitig sondern wirklich neu – im Sinne Träger des Geistes Gottes, den dazu heraus, die Wahrneh- ging alsbald auf, weil es keine tiefe trug dreißigfach und einiges herrschen mitunter Reformmüdig- von: ganz von Gottes überraschen- Christus verheißen hat, uns in alle Erde hatte. sechzigfach und einiges keit und Skepsis gegenüber dem der und schöpferischer Geistkraft Wahrheit zu leiten. Und wir vertrau- mung für diese „Fruchtfol- 6 Als nun die Sonne aufging, hundertfach. Neuen vor. Einige machen aus erfüllt - sein wird. Daher wollen en darauf, dass Gott selbst uns neu ge“ Gottes zu schulen. verwelkte es, und weil es keine 9 Und er sprach: Wer Ohren ihrem Widerstand keinen Hehl und wir uns in eine möglichst große erschließen wird, wo er zu finden Wurzel hatte, verdorrte es. hat zu hören, der höre! verteidigen die „alten Schläuche“. Offenheit locken lassen, die nicht ist, dass er auf uns zukommt. 8 9
Jesus erzählt von einem Sä- nicht? Dass diese Fragen aufkom- und wird von anderen einverleibt. bringt – welcher Boden auch immer gehen: als lebendige, gegenwärtige an verschiedenen Orten als steinig, mann, der Samen aufs Land warf. men, scheint in der Absicht des Was neu lebendig werden könn- sich als fruchtbar erweisen wird.‘ Erfahrungen mit der Quelle des dornig oder anderweitig unfrucht- In einer landwirtschaftlich geprägten Erzählers zu liegen, und auch, dass te, wird von den Umständen oder Im Vollzug wird sichtbar, was vorab Lebens, mit dem drei-einen Gott. bar erweisen wird. Und wir rechnen Umgebung war das alltägliche man sie nicht ganz so schnell be- bestimmten Akteuren aufgefressen. nicht gewusst und gesteuert wer- Die Saat- und Wachstumsgleich- nicht nur mit Weizen, sondern auch Erfahrung. „Hört!“ beginnt er seine antworten kann. Jesus greift häufig Wir wissen nicht, was sich als fel- den kann und was doch verlässlich nisse lenken unseren Blick auf die mit Unkraut (Matthäus 13,24-30): Rede. Es wirkt, als ob das, was er auf Alltagserfahrungen zurück und siger Boden mit dünner Erdschicht genügend Frucht bringen wird. Potenzialität, die in der Gegenwart das Neue, das wächst, ist nicht sagen wird, sich nicht von selbst geht im Erzählen darüber hinaus. Er erweisen wird: Menschen lassen verborgen ist und sich noch nicht immer hilfreich und gut. Neben dem versteht; als ob etwas Besonderes erzählt Vertrautes und öffnet gleich- sich schnell begeistern, sind „Feuer entfaltet hat. Sie erzählen von der Unkraut wird aber auch der Weizen folgt; als ob sich in den Worten etwas zeitig für Neues; für Fragen, die und Flamme“, doch bald zeigt sich, Wahrnehmung – Neugierde – Gegenwart als Verborgenheit zu- wachsen. Was wo und wie wächst, – Neues? – verbirgt, das nicht auf in die eigene Auseinandersetzung dass ihr Eifer nur ein Strohfeuer Gottesgegenwart künftiger Möglichkeiten. Dank Got- können und müssen wir noch nicht den ersten Blick zu sehen ist; als ob und in die Zukunft Gottes locken. gewesen ist. Was neu aufflammte, Noch etwas liegt in der Geschichte, tes Wort-Samen aus der Vergangen- wissen. Das nötigt uns, aufmerksam sich bestimmte Bilder erst ein-bilden ist schnell wieder erloschen. Wir die Jesus erzählt – wie auch in den heit liegt schon manches im Boden. zu sein und alle Wahrnehmungs- müssen und vertieftes Verstehen wissen nicht, was sich als Dornen anderen Saat- und Wachstums- Davon wird genügend aufgehen und sinne zu öffnen: Was erweist sich erst wachsen muss – wie die Samen- Welches Land ist fruchtbar? erweisen wird und welche Mäch- gleichnissen (vgl. insgesamt Kapitel Frucht bringen – neben dem, was als fruchtbarer Boden und was als körner, von denen Jesus redet. Das Vorgehen des Sämanns ist te oder Energien das aufgehende 4 im Markusevangelium): Die neuen gar nicht erst aufgeht oder schnell anderer? Wo wächst die Frucht Jesus erzählt: Ein Landwirt dann sinnvoll, wenn er vorher nicht Korn – samt den Potenzialen für Samenkörner sind in ihrem Wesen wieder erstickt oder vertrocknet. lebendiger und stärkender Gotte- wirft großzügig Samen aufs Land. weiß, was fruchtbares Land ist und Neues, die darin verborgen sind nicht anders als die alten. Entschei- Die Dynamik der Saat- und serfahrungen? Wo wird neu kraft- Einiges fällt auf den Weg – ohne was nicht. Jesus überschreitet das – ersticken werden. Wir wissen dend ist, dass das Potenzial für wei- Wachstumsgleichnisse zielt weniger voll, was doch so schwach geworden dass Frucht entsteht –, einiges konkrete Bild aus der Landwirt- genauso wenig, welches Land sich tere Frucht und Lebendigkeit und auf das Tun als auf die Wahrneh- war? Was ist nahrhaftes Getreide, auf Steine und Felsen – ohne dass schaft. Er verweist auf eine andere als fruchtbares Land erweisen Wirksamkeit der Geheimniskraft mung und die Neugierde: Wo wird Samen für weitere Früchte, und was Frucht entsteht –, anderes unter Wirklichkeit, auf Samen im übertra- wird: Der Samen wird verwandelt Gottes jetzt in den neuen Samenkör- der Samen aufgehen? Und welcher scheint nur so? Dafür ein Gespür zu dorniges Gestrüpp – ohne dass genen Sinne, auf die Wirkkraft von und bringt neuen Samen hervor. nern liegt. Neue Früchte gegenwär- Samen wird aufgehen? Der, den entwickeln, nehmen wir im Gemein- Frucht entsteht – und wieder an- Anregungen, Ideen, Worten. In der Was hier geschieht – das Frucht- tiger Gotteserfahrungen erwachsen wir ausgeworfen haben; oder der, dekolleg als eine der Hauptheraus- deres fällt auf fruchtbaren Boden. Deutung des Gleichnisses ab V.13 bringen – ist nicht abgeschlossen. aus ehemaligen Früchten. Und auch den andere ausgeworfen haben? forderungen in den gemeindlichen wird der Same als „das Wort“ (logos) Es geht weiter. Das Fruchtbringen die neuen, gegenwärtigen Gotteser- Wenn Frucht entsteht, ist vielleicht und kirchlichen Umbrüchen wahr. näher bestimmt: als Wirkwort, das ist auf Zukunft ausgerichtet. fahrungen werden sich nicht kon- nicht mehr so wichtig, wer Säfrau Warum passt er nicht besser auf? seine Kraft entfaltet (vgl. u.a. Jesaja servieren lassen. Aus ihnen werden oder Sämann war. Wir sind ge- Grundlage dieses Artikels ist ein Ab- schnitt aus dem Buch „Gemeinde neu Warum achtet der Landwirt nicht 55,10f.); als Gotteswort, von dem irgendwann wiederum neue hervor- spannt, was sich in unseren Zeiten denken. Geistliche Orientierung in wach- genauer darauf, dass der Samen im Alten Testament gesagt wird, Genügend Frucht sender Komplexität“ (s.unten). Er wurde für diese Ausgabe neu bearbeitet. nur auf fruchtbaren Boden fällt? dass es den Propheten widerfährt Der Ertrag ist unterschiedlich groß: Es ist eine ganze Menge, die dane- („Das Wort des HERRN geschah 30-fach, 60-fach und 100-fach. Mit ben geht und sicher keine Frucht zu …“), und das nach dem Zeugnis der Mengenangabe soll die Verläss- Wie kann wirklich Neues entstehen in der komplexen Welt der Kirche? bringen wird. Für einen Teil lässt des Neuen Testaments in Jesus lichkeit der Zuwendung Gottes her- sich das nicht vermeiden. Aber so Mensch unter Menschen wurde. vorgehoben werden, da die Zahlen Isabel Hartmann und Reiner Knieling beantworten diese Frage auf viel? Warum passt der Sämann Wer auch immer den Samen im Gleichnis über den Standard- eine ganz neue Weise: Statt weitere strukturelle Veränderungen vorzu- nicht besser auf? Hat er Samen im ausstreut: Wir wissen nicht, was ertrag hinausgehen. Manche spre- schlagen, legen sie ihr Augenmerk auf die geistlichen Perspektiven, die Überfluss? Kann er sich’s einfach sich als „Weg“ erweisen wird. Der chen vom 10-15-fachen, andere Veränderungsprozesse in Gang bringen und nachhaltig machen. Nicht leisten? Versteht er sein Handwerk Samen findet keinen Wurzelboden vom 30-fachen oder etwas mehr. effizientere Strukturen und besseres Marketing machen die Kirche neu, Andererseits geht es nicht um die sondern eine biblisch motivierte Spiritualität, die in eine offene und zu- Fülle am Ende der Zeiten, denn versichtliche Praxis führt. Wie diese konkret aussieht, macht dieses die Mengenangaben im Gleichnis provozierende Buch auf ermutigende und befreiende Weise deutlich. sind im Vergleich zu der Üppigkeit, mit der frühchristliche Schriften http://www.randomhouse.de/Paperback/Gemeinde-neu-denken-Geistliche- Bilder von Gottes neuer Welt Orientierung-in-wachsender-Komplexitaet/Isabel-Hartmann/e448223.rhd malen, eher bescheiden. In aller Unterschiedlichkeit Paperback, Broschur, 240 Seiten, 13,5 x 21,5 cm zeigen die Mengenangaben: ‚Selbst ISBN: 978-3-579-08180-9 wenn eine ganze Menge Samen € 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,50 * (* empf. VK-Preis) verloren geht – was vorauszusetzen Verlag: Gütersloher Verlagshaus ist –, könnt Ihr gewiss sein, dass der gesäte Samen genügend Frucht 10 11
Thomas Hirsch-Hüffell ist Pastor und arbeitet im verständlich lesen sie auch Camus logen lauschen der Weisheit, die Gebet. Sie kümmern sich. Sie gehen und Harry Potter, denn alle wissen: immer und überall schon da ist: die hin. Sie besingen die Schalterhalle. „gottesdienstinstitut nordkirche“. Er reist mit seiner ein Theologe kann nicht allein von Leute wissen eine Menge. Die wird sich das merken. Leiser Kollegin Anne Gidion durch die kirchliche Landschaft Theologie leben, er muss ahnen, Niemand tritt aus der Kirche aus Glanz liegt plötzlich auf diesen Orten. was normal-unkirchliche Leute den- oder in sie ein, weil es darum gar und hilft Pastorinnen und Pastoren und Gemeinden, ken. Sie studieren Kinderzeichnun- nicht geht. Man freut sich und kann ihren Gottesdienst frisch zu halten oder zu renovieren. gen über den Tod und besuchen das nicht genug kriegen von solcherart Weitherzig wach Krematorium. So lebensklug wird Austausch. Man spricht zuhause mit Manchmal sehe ich Gemeinden, die Beide überschreiten gelegentlich Denkverbote und die Systematik einmal geworden hohem Respekt von dieser Runde. laden in ihren Gottesdienst Men- lieben gleichzeitig die alten Formen. „Manchmal“, sein. Herrlich! Die ersten Großspenden für dieses schen ein, die etwas lieben oder gut Projekt treffen ein - niemand hat kennen. Zu einem Thema - ‚Abneh- so sagt er von sich selbst, „ habe ich kleine Visionen. sie verlangt. Andere klopfen an und men‘ z.B.. Einen Schneider, einen Und wenn es mir so geht - wer weiß: vielleicht haben Verbale Trainingslager wollen mitmachen. Konkursverwalter und eine Über- Manchmal sehe ich eine Art ver- gewichtige. Die müssen überhaupt andere auch welche, und wir wussten nicht voneinan- bales Trainingslager. Dort treffen nicht fromm sein. Alle drei erzählen der? Das wäre doch schade.“ Im folgenden Artikel lässt sich auskunftswillige Theologinnen Ein Bethaus in kurzen Sequenzen von ihren Ein- aller Art mit Menschen, die nicht Manchmal sehe ich einen alten sichten mit dem Zu- und Abnehmen. Thomas Hirsch-Hüffell uns an seinen Visionen von zur Kirche gehören, ihr aber von heiligen Raum. Da gehen Menschen Die Pastorin fügt in diese Collage Kirche teilhaben. weitem gewogen sind - Therapeu- übend umher, die Gottesdienst ebenso knappe geistliche Worte ten, Redakteurinnen, Amtsärzte, leiten müssen. Sie proben das ein. Sie deutet nichts. Sie sagt, was Er schreibt im Futur Zwei: Was wird gewesen sein, Gerichtsvollzieher. Später (im öffentliche und das innige Beten. Sie christlich dazu gelten könnte. Wie wenn wir eines Tages die Augen öffnen und erkennen, zweiten Durchgang) vielleicht auch stammeln, schreien und formulie- Kirche das Thema erlebt. Vier Weis- Gabelstaplerfahrer, Postbotinnen, ren. Ein Bethaus. Dabei sitzen Men- heiten nebeneinander im Altarraum. was geworden ist? Kellnerinnen und Telefonisten. Die schen, die solche Gebete hören und Keine Predigt. Die Einsicht entsteht Kirchlichen präsentieren Worte und vielleicht von weitem mitvollziehen in den Köpfen der Menschen, in Werke aller Art vor deren Augen möchten. Sie schauen, lauschen und jedem eine andere. und lassen sich sagen, wie es wirkt. sagen, was sie mitnimmt. Was sie in Die Gemeinde hat Freude daran, Sie forschen gemeinsam, was einen freien Modus des Daseins bei Menschen in dem zu sehen, wo sie man an diesen Wörtern verstehen Gott bringt, auch wenn sie nicht fol- am besten sind: in dem, was sie muss, weil es spielentscheidend gen. Was sie abstößt. Es entstehen können oder erlitten haben. Sie ist - und was als heiliges Geräusch kleine einfache Wunder aus Klang sagt: „Ihr müsst nicht glauben, was Es blüht ja schon … den Raum füllen darf ohne weite- und Schweigen und aus Sprache, wir glauben. Aber wir glauben, dass re Konsequenzen. Die Theologen die, statt zu verstopfen, entbindet. ihr mit Eurer Liebe in unserem ahnen, was die Frage einmal war, So lernen alle gemeinsam neu be- geistlichen Zentrum genau richtig auf die sie eine Antwort sein sollten. ten. Sie werden kaum erinnern, dass seid. Weil wir glauben, dass Gott Futur Zwei - kleine Visionen von Kirche Sie entwickeln einen Heiden-Spaß sie vergessen hatten, wie das geht. Menschen zu sich entbindet, wenn daran, ihr Schönstes so zu sagen, sie etwas liebhaben. Egal, ob sie dass Nicht-Kirchliche aufmerken. Jesus gut finden.“ So weitherzig Sie verstehen sich selbst neu. Sie Sie gehen hin wach wird die Christengemeinde verzichten auf alle Bekehrungsver- Manchmal sehe ich Christen aus- geworden sein. suche und haben einfach Freude an schwärmen. Sie suchen nach Orten Ich höre diese ‚Besucher‘ spä- Lebenskluge Systematik zu dürfen! Sie begleiten Studierende ihrer Sache. Nicht auszuschließen, in ihrer Umgebung, die kirchliche ter zuhause erzählen: „Die haben Manchmal sehe ich einen Lehrer für dem Leben nachsinnend an den dass jemand aus Versehen sagt: bzw. geistliche Gegenwart brauchen mich einfach in ihrem Tempel sagen philosophische Theologie (‚Systema- Rand des Lebens. Behutsam ent- „Oh, wenn das christliches Den- könnten. Ein verwahrloster Spiel- lassen, was ich wichtig finde. Irre. tik‘ genannt) an der Uni mit seinen werfen sie Antworten auf Fragen, ken ist, dann gern mehr davon!“. platz, die geschlossene Post, die Die wussten doch früher immer alles Schülern und - z.B. mit einer für die es keine Antworten gibt. Entsprechend erzählen die Sparkasse. Sie planen etwas Geist- besser. Sowas hätte ich denen nie hellsichtigen Bestatterin sitzen. Sie Denn damit hantiert die Theologie Nicht-Kirchlichen, was sie lieben liches an diesen Orten und nehmen zugetraut.“ entdecken von Platon bis Cusanus, fast ausschließlich. Sie lehren die oder was sie so genau kennen, das dabei Menschen mit, die sonst nichts Bei der Fürbitte wird knistern- von Luther bis Derrida, was es im Jungen das Kreisen um den uralten man merkt: das weiß man nicht mit Kirche zu tun haben, aber ein des Schweigen sein, denn die Kirche Menschen bewirkt, dass er weiß, er Turm. So wird die künftige Zunft ohne Liebe. Sie erläutern. Man wird Verhältnis zu dem Ort. Sie nehmen traut sich etwas Neues: Sie betet für muss sterben. Herrlich, so denken reifer für Lebensbegleitung. Selbst- dasitzen mit offenem Mund. Theo- die Wünsche der Leute auf und ins Menschen, die im Raum sind. 12 13
Man kann da tanzen Welt-Gott-Innen Flash-Mobs des Geistes. Die sich die Bipolarität, die Ambivalenz. Und Manchmal sehe ich ausgeräumte Manchmal – unmittelbar danach auf dem Fahrrad abspielen mitten damit hat sie wesentliche Lebens- Kirchen. Man sieht den Fußboden, - höre ich geistliche Rede, die in im Sturm. Die mit Krabbelkindern vollzüge kennen und deuten gelernt, kann an den Säulen die Tragkraft diesem ‚Spielraum Gott‘ ihre alten den Namens-Anruf Gottes zeleb- an denen sie früher oft gestrandet der Konstruktion ablesen. Man kann trinitarischen Figuren poliert und rieren. Und wer der greisen Dame war. So wird eine lebensdienliche da tanzen und umhergehen. Man glänzend wiedergefunden haben den Hintern wischt, wird dabei ein Theologie der Neuzeit entstanden kann Stühle aufstellen in verschie- wird. Diese Theologie wird nicht Vaterunser singen. Am Couchtisch sein. denen Ordnungen, gern auch mal mehr vom ‚Gott außen‘ plappern. wird man aus Noten auf Gehäkeltem frontal - je nachdem wie man es Sie vermeidet, Menschen zu einer singen – der Haus-Gottesdienst braucht. An den Seiten stehen Chai- göttlichen Sonderwelt überreden kommt auf den Dörfern in Fahrt. Sehen, wie alles sprießt selongues zum Dösen. Ganz andere zu wollen, die eh niemand braucht. Aus diesen ungehobelten spirituel- Ich sehe manchmal Gemeinden, die Menschen sind eingetroffen, weil Alle sind total erleichtert – beson- len Akten wächst ein Geflecht aus mindestens die Hälfte ihres Etats sie merken: Wir werden nicht mehr ders die Geistlichen selber. Die neuer Liturgie. frei ausgegeben haben werden an ausschließlich nach vorn gezwun- kirchliche Rede wird wissen, dass es Nachdem das geschehen ist, Leute, die im kommunalen Umfeld gen, sondern darin ernstgenommen, nur ein Welt-Gott-Innen gibt und da- wird man vielleicht irgendwann etwas Menschendienliches wagen dass wir im Leben schon mehrere rin das Gegenüber und Ineinander wieder nach dem Sonntags-Gottes- wollen unter dem Dach der Kirche: Richtungen kennen. Diese Men- von Jesus und seinem Schöpfer, von dienst fragen. Und wo er nicht ver- „Sagt, was ihr vorhabt - wir geben schen machen auf einmal Vorschlä- Mann und Frau, von Protonen und sunken ist, da taucht die alte Übung Euch Geld dafür. Ihr macht es, und ge, was da auch noch ginge. Chris- Quarks – eben das EIN-ANDER aller der Osterwiederholung eigenartig wir denken mit, wenn ihr wollt.“. ten werden verblüfft und neugierig Dinge, das Gott-Selbst ist. Plötzlich unversehrt wieder auf - aber nur wo Kirchenzugehörigkeit gilt nicht als reagieren. Sie werden lachen - und wird vieles einfacher denkbar und sie selbst will, nicht wo wir wollen. Bedingung. plötzlich weiß der Raum, wozu er glaubhaft geworden sein. Aus der anfänglichen Graswur- gemacht ist: zur Freude. Diese Theologie wird sich an zelkultur werden nach kurzer Zeit den Kopf fassen, wie sie sich so Lebensdienliche Theologie aufregende Stadtteil-Initiativen lange mit der sog. ‚Rechtfertigung‘ Ich sehe manchmal eine Schule geworden sein, Wohnformen und Person und Gegenwart als einzigem Schlüssel für alles und für Menschen, die geistlich wirken Weisen der Frömmigkeit, die wir Manchmal höre ich geistliche Rede, jedes hat begnügen können. Sie wird wollen. Selbstverständlich wird von nicht kannten. die es geschafft hat, zu erklären, wie u.a. Paulus und seine Rede von der allen, die hauptberuflich fromm sein Die Leitenden werden sich nach das zusammen geht: Gott als Person Geschwisterschaft der Menschen wollen, verlangt worden sein, dass anfänglicher Panik selig zurückleh- und Gott als Gegenwart von etwas. zu Gott neu gelesen haben. Sie wird sie zusätzlich noch etwas anderes nen und sehen, wie alles sprießt. Seltsamerweise wird sie das zur auf den Gesichtern aller Menschen gut können - Geige spielen, Autos Man wird von ihnen respektvoll gleichen Zeit gedacht haben können, den Christus entdeckt haben – in reparieren, Massieren, Kochen für sprechen als von Menschen, die ein wie sie die Bänke ausräumt. Denn seinem jeweiligen Aspekt, den diese viele, Einrad fahren, Buchhaltung. bemerkenswert starkes Gottver- sie wird dabei gemerkt haben: Der Biografie samt Schatten und Glanz Also ein Zweitstudium. Ohne das trauen haben und daher zum Vorbild göttliche Raum mit seiner Aura ist darstellt. Deswegen wird die Kirche wird niemand in den Pfarr-Beruf taugen. eine wesentliche geistliche Metapher sich in neuen und alten Kasualien gelassen. der Zukunft. Sie kann den Raum des Menschen zu Lebzeiten zuwenden: Das Examen wird in beiden U Körpers, der Person, der Herkunft, Würdigung von Menschenleben als Disziplinen abgenommen werden. nd ich ahne: Niemand wird der Familie, des Staates, der Kirchen Gesichtspflege und Wiedererken- Thema und Kern der Examens- mehr davon sprechen, dass und der Biografien und Sozialgebilde nung Christi. Viele werden sich – arbeit wird die Verbindung aus es oder ob es ‚Gott gibt‘. deuten. Sie wird sich einen Moment vielleicht erstmalig – geehrt fühlen beiden Bereichen sein, theoretisch Diese Rede wird ausgestorben sein, schämen, dass sie diesen Spielraum und wiederkommen, weil sie davon und praktisch. Wie eins aus dem weil sie niemanden interessiert. Die so lange mit Bänken, Verordnungen gern mehr hören. anderen hervorgeht und aufeinan- Antwort samt der Frage ist ja jetzt und einer einseitig-monarchischen der antwortet. Das Beste: Es wird schon erloschen. Indem man Gott Ausrichtung vernagelt hat. Aber es Ausbilderinnen geben, die davon erleben kann in all diesen Lebens- wird nur kurz wehtun, denn das Neue Flash-Mobs des Geistes etwas verstehen! Diese Zunft von weisen, ist uns alles Wichtige im blüht ja schon. Ich sehe eine Fülle wildgewordener Pastorinnen und Pastoren wird sich Raum aufgegangen. Andachten, die sich keinem Diktat sehen lassen können, weil sie nicht Ach ja, und ehe ich es vergesse: Seit 1988 Kulturkirche St. Petri in mehr beugen. Die Krankenhaus- nur einen monarchisch regierenden Alle diese Formen gibt es bereits. Lübeck – hier bei einem „gregoriani- flure für Minuten zu Kathedralen Chef-Logos kennt, sondern nun schen Sing-Flash-Mob“ im Juni 2014 machen und wieder verschwinden. auch den Dia-Logos, das Paradox, Installation: „Projekt: Leben“ von Mark Pepper 14 15
David Gilmore kam 1972 nach dem Studium Moderner Sprachen, Literatur & Geschichte (M.A.) kann ein Lebensweg sein. Das sind Raum der eigenen Wahrhaftigkeit Doch ich selbst sah mich außer Entscheidungen, die uns in einen zu „springen“ - tatsächlich ihn in Stande, echte Beziehungen zu am Christ‘s College in Cambridge nach Westberlin, wo er zunächst in der Erwachsenbildung völlig neuen Zustand versetzen. den Mittelpunkt des Handelns zu knüpfen oder gar das von anderen tätig war. Er ist Mitbegründer von KOMMRUM e.V., einem Kultur- und Therapiezentrum in Die Entscheidung ist gleichzeitig stellen. Das motiviert seine Sprün- für mich gewählte Leben zu führen. beglückend und macht Angst. Doch ge. Ihm ist die Wahrhaftigkeit wich- Ich verzweifelte und konnte mit Berlin. Mit künstlerischer und therapeutischer Weiterbildung u.a. in San Francisco lebt und es hilft nichts: Man muss für sich tiger als das Leben selbst. Er setzt niemandem darüber reden - außer arbeitet der Clown und Narr heute in Freudenstadt – als „Narrentherapeut“, Theaterpädagoge entscheiden und handeln. Auch voraus, dass sein „Herz“ fürs Leben mit mir selbst und mit Gott - am wenn man nicht vorher wissen ihm treuer dient als der Kopf. wenigsten mit meinen Eltern. Mein und Improvisationskünstler im Bereich der Psychiatrie. Mit seiner Humor- und Lebensschule kann, ob die Entscheidung gut Entscheidend ist, ob das stimmt, Vater war Schneider und hasste sei- bietet er außerdem im ganzen deutschsprachigen Raum Aus- und Fortbildungen an. ausgeht, so weiß man doch: Sie ist was er tut und sagt und denkt, und nen Beruf, weil er von seinem Vater die Richtige! Wer so anders han- ob er darin „gegenwärtig“ ist, nicht dazu gezwungen wurde. Er wollte Sein Buch: „Der Clown in uns – Humor und die Kraft des Lachens“ ist 2007 im Kösel Verlag, delt, kann allein durch seine offen- ob er dadurch einen Fehler machen eigentlich studieren und Pianist München erschienen. sichtliche Lebendigkeit den Beweis könnte. Er stellt die großen Fragen: werden. Auch das motivierte mich, für den Sinn darin erbringen. Und „Wenn Du jetzt sterben würdest, mein eigenes Leben zu suchen, In „Kirche in Bewegung“ erzählt David Gilmore nun von seiner Entdeckung des Narrensprungs. wenn es schief geht, dann hat man wärst Du damit wirklich glücklich?“ selbst wenn es anders aussah. Er nimmt uns mit auf den Weg eigener biographischer Erfahrung und schildert die entschei- „das schon kommen sehen“. Es kann uns helfen, das eigene Han- Ich hatte Angst. Ich hatte Angst, Wir sagen: „Wir springen über deln als Theaterstück zu sehen bzw. ich würde so viel Angst vor der Welt denden Punkte, an denen er sich das Neue nur er-springen konnte. unseren Schatten.“ und meinen das Verhalten so zu übertreiben entwickeln wie meine Eltern. Ich damit, dass wir über eine Grenze oder solange bewusst das „Fal- hatte Angst vor der Zukunft, die unseres gewohnten Wahrnehmens, sche“ zu machen, bis wir merken: sie mir ausmalten und über die sie Denkens, Fühlens oder Handelns „Stopp! Ich muss einen anderen sich freuten. Nur ich freute mich „springen“. Dann bewegen wir uns Weg gehen.“. Es kann sein, dass nicht. Ich hielt es nicht aus, ständig auf unbekanntem Terrain, dem Fa- Andere das Verhalten als „leichtfer- angeschaut zu werden, und emp- den unserer „Intuition“ bzw. unserer tig“, „unsinnig“ oder „unvernünftig“ fand mich als hölzern und unfähig. „Eingebung“ folgend. Voraussetzung abtun. Das ist nicht wichtig. Solan- Ich las viel, interessierte mich für dafür ist die Fähigkeit, sich von ge wir bereit sind, dem Herzen zu das Leben anderer und stellte mir Der Narrensprung eigenen gewohnten Absichten zu lösen, über sich selbst zu lachen, sich auf den Augenblick einzulas- folgen und die Konsequenzen zu tragen, können wir mit uns und mit dem Leben einverstanden sein. ein ganz anderes Leben vor. Ich fing an, Fremdsprachen zu lernen – u.a. Deutsch – vielleicht weil jiddisch die Eine biografische Reise durch Angst und Glück sen, das Leben als Spiel, als „The- Muttersprache meines Großvaters ater“ zu sehen und den kreativen war und jiddische und hebräische Impulsen unserer Lebendigkeit und Alles schien schon ausgemacht Ausdrücke das Englisch durchsetz- Lebensfreude den Vortritt zu geben, Als Kind fühlte ich mich falsch. ten, das meine Eltern und meine N sie gar als wichtigste Messlatte Das ist für ein Kind sicherlich das Großfamilie sprachen. Ich hatte ichts ist so mächtig sie nicht da ist! Und doch regt sich Einzigartigkeit befruchtet und unserer Lebensqualität anzusehen. falsche Gefühl und meine Eltern auch nicht das Gefühl - obwohl in wie das „So-Sein“. auch in ihnen das Bedürfnis da- neu belebt, ist seine Grundauf- konnten nicht verstehen – und sie England geboren - jemals ein „rich- Nichts verunsichert nach, das Bestehende zu erhalten gabe, die nicht immer glückt … verstehen es teilweise bis heute tiger“ Engländer werden zu können. so sehr wie das und Sicherheit darin zu finden. Die Dinge auf den Kopf stellen nicht –, dass ich nicht war, wie ein Das Stetl-Leben Osteuropas war Gefühl, nicht so Die Welt steht in ständiger Span- Ein Narr steht für den freien Raum. jüdischer Junge sein sollte. Ich im Ostlondon der Nachkriegszeit zu sein, wie man sein sollte bzw. nung zwischen beiden „Polen“. Beglückend und Angst machend Das „So-Sein“ muss eben nicht so sollte jüdische Freunde haben und und auch in mir selbst präsent. nicht zu denken und zu fühlen, wie Wir kommen als neue Hoff- Es gibt Menschen, denen das sein. Er öffnet das Bewusstsein eine Freude für die Eltern sein. Meine Familie (immer noch, selbst die anderen denken und fühlen. nung auf die Welt und lernen sie gelingt. Sie haben die Fähigkeit für andere Möglichkeiten, wie es Ich sollte erfolgreich werden und in England) teilte eine allgemeine Wie sollten wir eigentlich sein? unser Leben lang neu kennen. sich von anderen in einer Weise durchaus sein könnte, hilft dadurch, hatte die Wahl: Arzt, Anwalt oder Angst, die Juden in aller Welt auch Durch die Not dieser Frage Jede einzelne Wahrnehmung abzuheben, dass sich die Anderen manches anders zu sehen, anders Zahnarzt. Ich sollte dafür an der heute noch empfinden, selbst wenn gedrängt und eigener Absicht ist etwas Neues und Einzigarti- dadurch befreit und beglückt fühlen. zu reagieren, frisch und frech die Universität Cambridge studieren es ihnen anscheinend gut geht. folgend gehen Menschen auf die ges, wofür oft Worte fehlen, die Es geschieht, wenn sich jemand „für Dinge auf den Kopf zu stellen, und dann ein jüdisches Mädchen Suche. Sie wollen nicht mehr ein- noch nicht geprägt sind. Wie ein eine Sache“, „für seine Wahrheit“ wahrhaftig und grundsätzlich neu heiraten, mit dem sie einverstan- fach ihre Rollen spielen. Sie wollen Mensch seine Einzigartigkeit einsetzt, selbst wenn ihn keiner zu handeln. Er prüft: Stimme ich den waren. Alles schien schon Im Feindesland „wirklich“ werden. Sie suchen mit lebt und dies mit dem Beste- versteht. Das kann eine politische mit mir überein? Stimmt Ihr mit ausgemacht zu sein. Ich brauchte In der Schule wurde ich „dreckiger und in ihrer eigenen Existenz das henden in Einklang bringt bzw. Sache sein; es kann die Entschei- Euch überein? Seid Ihr wahrhaftig? es nur noch zu leben und dabei Jude“ beschimpft (wir sprechen Neue, das außer ihnen und ohne das Bestehende durch seine dung sein, Künstler zu werden; es Er steht für den Mut, in den freien Höchstleistungen zu bringen. von England in den 50-er Jahren) 16 17
und tatsächlich hatte ich oft das In der „Unfähigkeit“ angenommen an, meinen Weg zu begreifen. Mein Gefühl, im Feindesland zu leben Es zog mich auf die Bühne. Doch Vater sagte mir später tatsäch- - sowohl in England als auch in auch die Bühne erzeugte in mir lich, dass er stolz auf mich war! meiner Familie. Die Spannungen einen Widerspruch: Einerseits Schritt für Schritt erkannte zwischen den beiden Welten stellten fühlte ich mich in vorgegebenen ich, dass meine Erfahrungen mit mich vor echte Probleme: Könnte Rollen fremd, andererseits hatte der Bühne und mit der Komik sich ich Engländer werden und gleich- ich Angst, dass die Zuschauer mein auf den Alltag übertragen lassen. zeitig Jude bleiben? Könnte ich Elend sehen würden. Komischer- So entstand mein Konzept: „Mo- jüdisch leben und ich selbst sein? weise ging bei meinen Auftritten oft ving Stages“. Meine Vision war, die Könnte ich in dieser Familie leben etwas schief. Es passierte immer Improvisations- und Clownsbühne Wichtig ist die und gleichzeitig zu mir stehen? etwas Unvorhergesehenes. Das und die Komik zu den Menschen Fähigkeit, sich Für uns waren die Deutschen brachte zwar den Regisseur in Rage, zu bringen, dorthin, wo sie sind, von eigenen die größten Feinde. Und hier hat- ich aber fühlte mich dabei wohl. und sie gleichzeitig einzuladen, gewohnten ten wir mit den Engländern etwas Und am allerschönsten: Das Pub- selbst zu spielen und als Clowns Absichten zu gemeinsam. Ich nahm zwar am Leid likum musste lachen. Dabei fühlte und Narren die eigenen persönli- lösen, über sich meines Volkes Anteil – ich studierte ich mich den Menschen nah und in chen Merkmale als Spielmaterial selbst zu lachen, auch detailliert die Geschichte - meiner „Unfähigkeit“ angenommen. zu bedienen. Und genau das tue ich sich auf den wollte mich aber von den tradierten In mir stieg eine Gewissheit jetzt. Die lösende Wirkung dieses Augenblick Ängsten lösen und wollte auch wis- auf, dass dies ein Hinweis war, wie Konzeptes hat sich bewährt. einzulassen … sen, ob es einen anderen Weg gibt, ich meine Not lösen könnte. Ich als die Geschichte zu wiederholen. fasste den Mut, „meiner inneren Stimme zu folgen“. Dazu brauchte Was für eine Niederlage Vaterfigur, die mich unterstütz- Ich hatte die Arbeit in Freudenstadt auch für uns selbst - nicht gleich ich nach einigen kleineren gelunge- Doch zuvor musste ich noch te. Ich wollte einen Unterschlupf trotz Umzugs nie aufgegeben. verständlich sind. Oft ist es erst die „Es steht gschribe“ nen und misslungenen Versuchen einen für mich sehr schwe- statt zu meinen Qualitäten und zu Da ich meinen Freunden ver- Not, die uns dazu bringt, uns tat- Der Gott, den ich mir vorstellte, mindestens 12 Jahre. Aber nach ren Narrensprung riskieren: meiner Vision als Spieler, Heiler sprochen hatte, ich würde auf sie sächlich ein Herz zu fassen und das verhielt sich so wie meine ganze abgeschlossenem Sprachstudium Ich hatte schon einige Jahre und Lehrer zu stehen, und dafür hören, ging ich tatsächlich zum Neue zu wagen. In dieser „Lücke“, Familie! Meine Familie hatte mir in Cambridge ging ich nach Berlin. als Clown und Narr in der Psych- hatte ich fast alles aufgegeben … Chefarzt und fragte, ob ich in seiner die meine Not erschuf, fand ich den weisgemacht, Gott würde alles gut iatrie in Freudenstadt gearbeitet. Mit 39 Jahren war ich zwar Psychiatrie mehr Stunden arbeiten Freiraum, eine neue Perspektive finden, was sie mit mir vorhatten, Meine Seminare waren ausge- in Deutschland – aber geschei- könnte. „Gerne!“ sagte er und „... einzunehmen. Ich wurde „genötigt“, und jedes Zuwiderhandeln wür- Den Freiraum ersprungen bucht, ich war ständig unterwegs. tert. Was für eine Niederlage! Ich übrigens, da macht gerade eine mich vom „Alten“ zu lösen, um das de Gott bestrafen! Sie stellten ihn Das war zwar das Gegenteil von Es ging mir gut – ich schrieb eine wusste, was meine Eltern sagen neue psychosomatische Klinik auf. „Neue“, „mir Gemäße“ zu finden. dar, als wäre er wie mein Großva- dem, was meine Eltern wollten, schwarze Null. Aber: Ich lebte zwar würden, wenn ich ihnen das er- Wenn Sie eine Empfehlung brau- ter, der immerzu sagte: „Es steht aber das absolut Richtige für mich! in einer WG in Tübingen, doch ich zählte. Und tatsächlich: Umgehend chen... kein Problem!“ Innerhalb gschribe!“ Nur sagte er nie wo! Ich Hier bin ich „wirklich“ geworden war nie zu Hause. Ich hatte viele bekam ich von ihnen einen Brief von drei Monaten hatte ich wie- Sprung in die Wirklichkeit fing an, auch meine Religion aus und als Clown und Narr auf meine Kontakte, jedoch immer noch keine mit Stellenangeboten für Englisch- der ein Einkommen, hatte meine Man kann darüber streiten, ob es einer anderen Sicht anzusehen. Weise erfolgreich. Ich hatte mir das Freunde. Ich begriff: Es muss- Deutsch-Lehrer in verschiedenen Kosten reduziert, mein Einkommen sich beim Narrensprung um eine Wenn das Leben Sinn macht, „er-sprungen“, was ich zunächst te sich radikal etwas ändern! Privatschulen in England. Ich sah erhöht und... lebte in der Stadt, direkte oder indirekte Gotteserfah- so dachte ich, musste auch mein am meisten brauchte: Freiraum. Ich beschloss, noch einen mir das an und wusste: Dafür bin in der ich die Arbeit machte, die rung handelt. Wie sich die Dinge Leiden einen Sinn haben, und ich Das war kein Schicksal, sondern Narrensprung zu wagen. Ich wür- ich nicht von England „gesprungen“. ich selbst kreiert hatte. Ich konn- fügen oder wie das Herz „spricht“ musste die Fähigkeit besitzen, die meine Wahl, und ich wollte lernen, de das Angebot meines früheren te sogar zu Fuß zur Arbeit gehen. - wie solche Notlagen uns auf den ich brauchte, um mich aus dieser wie ich aus dieser Wahl meine Lehrers annehmen und in sein Genau, was ich brauchte und auch uns gemäßen Weg bringen, bleibt Situation zu lösen – auch wenn Grundfähigkeiten zur Improvisati- Theaterprojekt einsteigen. Ich Den Stolz überwunden wollte. Der Narrensprung stellte schon mysteriös. Manche würden das meiner Familie nicht gefällt on, zur Komik und zum Verstehen brach meine Zelte in Tübingen ab Der entscheidende Sprung bestand mich ganz neu in meine Welt! Er im Narrensprung ein unkalkulier- und sie es nicht versteht. Ich war von komplexen Zusammenhängen und zog nach Freiburg. Doch sehr darin, nun meinen Stolz zu über- war der Anfang davon, mich end- bares Risiko sehen oder gar eine nun sicher, dass Gott genau solche ausbauen und anbringen konnte. bald stellte sich heraus, was ich winden und Freunde (ich hatte wohl lich als Teil der Menschheit zu Flucht vor der Realität. Ich nenne Situationen zulässt, um einem zu Und ich war nicht allein: In vorher hätte wissen können: Der doch welche!) zu bitten, mir zu hel- sehen und ein Zuhause zu finden. ihn aber „ein Sprung in die Wirk- zeigen, was wirklich richtig und Deutschland gab es viele Menschen Sprung ging schief! Meine Einnah- fen. Und was sagten sie mir? „Wenn Wenn wir den Mut haben, dem lichkeit“. Wer sich davon leiten lässt was wichtig ist. Und ich verstand: meiner Generation, die nachvoll- men brachen ein. Ich wurde krank. wir mit Dir reden, spüren wir Deine Herzen zu folgen, seiner Weisheit und danach handelt, ist ein Narr. Ich selbst musste entscheiden ziehen konnten, was ich gesucht Was ich wirklich suchte, konnte ich Liebe zu der Arbeit als Clown in der und seinem Gleichmut zu vertrauen, Ein Tor ist er auf keinen Fall. und handeln. Ein Narrensprung hatte, und die meinen Weg ver- durch Umzug und Stellenwechsel Psychiatrie in Freudenstadt. Das ist kann das zu „Sprüngen“ führen, die bereitete sich in mir vor. standen. Sogar meine Familie fing nicht finden. Ich suchte nach einer Deine Arbeit. Zieh ganz dorthin!“ für andere – und möglicherweise 18 19
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